Zwischen Kunst und Wissenschaft.

[15] »Leipzig ist ein infames Nest, wo man seines Lebens nicht froh werden kann«. Dies war der erste Eindruck des stud. jur. Schumann, den er am 5. Juni seinem Herzensfreunde Rosen in Heidelberg mittheilt.11 Es war natürlich, dass der innere Seelenkampf mit dem Besuch des ersten juristischen Kollegs in sein kritisches Stadium treten musste, und die Folge davon wiederum war ein Rückschlag auf die gesammte Gemüthsstimmung des Jünglings, der wohl anfänglich auch noch unter dem Heimweh nach dem Elternhaus leiden mochte. So gestalteten sich die Verhältnisse am Anfang in dem »öden« Leipzig für ihn keineswegs erfreulich. Die naive Lust der seligen Fuchsenzeit war ihm fremd; er trat zwar einer Verbindung »Markomannia« bei, aber es ist schwer zu sagen, wohin er mit grösserem Widerwillen ging, ins Kolleg oder auf Kommers und Fechtboden. Die einzigen Altersgenossen, mit denen er näheren Verkehr pflegte, waren Semmel und Flechsig, aber auch sie vermochten den fernen Rosen nur ungenügend zu ersetzen. So ist denn die Welt dem Achtzehnjährigen »ein ungeheurer Gottesacker eingesunkener Träume – ein Garten mit Cypressen und Thränenweiden, ein stummer Guckkasten mit weinenden Figuren«.12

Vorlesungen besuchte Schumann in der ersten Zeit überhaupt noch nicht, erst auf das beständige Drängen seiner Mutter und die Ermahnungen seines Vormunds hin entschloss er sich zu einem regelmässigen, in seinen Augen »maschinenmässigen« Kollegbesuch.13 Es war dies um so anerkennungswerther, als sich durch alle seine Briefe aus dieser Zeit eine bittere Klage über die »eiskalte und trockene Jurisprudenz« hindurchzieht. Es war ein heroischer Kampf, den er mit dieser Wissenschaft kämpfte; dass er ihn so lange aushielt, erklärt sich aus seinem ausserordentlich raschen Auffassungsvermögen, das ihm das Studium von Kunst und Wissenschaft zugleich vergönnte. Für die Drangsale des Studiums hielt er sich reichlich schadlos bei Poesie und Musik. Erstere verkörperte sich für ihn immer noch vorwiegend in der Gestalt Jean Pauls,[16] dessen Bild neben denjenigen seines Vaters und Napoleons sein Zimmer zierte14 und dem er mit der Dichtung eigener »Jean Pauliaden« emsig nacheiferte. Jean Pauliaden sind auch die Briefe aus jener Zeit, es sind Bekenntnisse einer schwärmerischen Jünglingsseele, die trotz allen Gefühlsüberschwanges doch genug echte Poesie offenbaren, um auch dem nüchternen Geschlecht der Gegenwart gegenüber ihrer Wirkung sicher zu sein.15

Aber die Dichtung tritt mehr und mehr zurück gegen die Tonkunst. Hier war, zur selben Zeit wie Jean Paul, ein Künstler in seinen Gesichtskreis getreten, der einen ähnlichen Einfluss auf seine Entwicklung haben sollte: Franz Schubert. Es waren jedoch weniger Schuberts Lieder, die Schumann damals begeisterten, sondern seine 2- und 4 händigen Klavierkompositionen. Offenbar von ihnen empfing er die Anregung zu eigener kompositorischer Thätigkeit: es fallen in jene Zeit acht 4 händige Polonaisen, sowie Variationen für Klavier, die aber dem Druck nie übergeben wurden.

Im höchsten Grade folgenschwer sollte für Schumann die Erneuerung einer schon in Zwickau gemachten Familienbekanntschaft werden. Die Familie des Dr. Carus war aus Colditz nach Leipzig übergesiedelt und die kunstsinnige Frau hatte hier binnen Kurzem einen Kreis von Künstlern um sich versammelt, der so manche interessante Persönlichkeit in sich schloss. So lernte Schumann hier Marschner kennen, ferner den Braunschweiger Kapellmeister G. Wiedebein,16 dessen Lieder Schumann derart begeisterten, dass er ihm alsbald eine eigene Liedersammlung zur Begutachtung einsandte. Wiedebeins Antwort fiel dermassen günstig aus, dass Schumann in seinem Entschluss, sich der Kunst zu widmen, aufs Neue bestärkt wurde, freilich ohne irgend Jemand davon noch ein Sterbenswort zu sagen. Im Gegentheil, nach wie vor zeigt sich in den Briefen an die Mutter eine gewisse verzagte Zurückhaltung hinsichtlich des Themas Musik; es wird meist nur flüchtig gestreift, während ihm in den Briefen an sonstige Verwandte und die Freunde ein ziemlich grösserer Raum gewidmet wird.

Aber noch ein anderes Band spann sich im Hause Carus an, das den Menschen Schumann für sein ganzes Leben fesseln und auch den Künstler zu den Höhen seines Genius emporleiten sollte: es war die Bekanntschaft mit Friedrich Wieck17 und seiner damals 9 Jahre alten Tochter Clara. Wieck selbst stand damals im 43. Lebensjahr (geb. 18. Aug. 1785). Ursprünglich zum Theologen bestimmt, hatte er die Musik zuerst nur nebenher betrieben, bis es ihm gelang, in Leipzig eine Klavier- und Musikalienleihanstalt zu gründen. Er konnte dieses Geschäft bald wieder eingehen lassen, da er mit der Erziehung seiner Töchter Clara und Marie sich zu einer klavierpädagogischen Berühmtheit ersten Ranges emporgeschwungen hatte.

Seine ältere Tochter Clara Josephine war am 13. September 1819 zu Leipzig geboren. Bereits in ihrem 5. Lebensjahr begann ihr Vater mit dem Klavierunterricht. Seine vernünftige, das Talent des Schülers niemals forcirende[17] Lehrmethode brachte es so weit, dass Clara schon nach 4 Jahren zum ersten Male öffentlich auftreten und nach 6 Jahren ihre erste Konzertreise unternehmen konnte. Ihre Ausbildung blieb auch fernerhin eine durch und durch harmonische; sie ging nicht einseitig nach der Seite des Virtuosenhaften, sondern umfasste auch das gesammte Gebiet der theoretischen Studien, ja einige Zeit sogar Violinspiel und Gesang.

Als Schumann sie kennen lernte, stand sie im neunten Lebensjahr. Was hn damals für sie einnahm, war selbstverständlich lediglich die Hochachtung vor ihren schon damals ziemlich bedeutenden Leistungen und die Bewunderung vor der Lehrmethode ihres Vaters, die ihn schliesslich auch veranlasste, diesen um Theilnahme an dem Unterricht zu bitten. So erhielt Schumann, nachdem er lange Jahre hindurch auf sich selbst, sein eigenes künstlerisches Urtheil und Gewissen angewiesen gewesen, nunmehr als Student den ersten rationellen Unterricht. Es ist sehr bezeichnend, dass er sich nur die rein klaviertechnische Seite desselben zu Nutze machen wollte und jede Mahnung Wiecks zum Studium der musikalischen Theorie hartnäckig zurückwies; noch damals war er felsenfest davon überzeugt, dass ihn sein Gehör aller theoretischer Studien überhebe.

Wichtiger als dieser schon im Februar 1829 wieder abgebrochene Unterricht war der Kreis von Gesinnungsgenossen, den Schumann in jener ersten Leipziger Zeit immer fester um sich zu scharen begann, Persönlichkeiten, von denen wir den meisten bei den Davidsbündlern wieder begegnen werden. Es waren hauptsächlich Julius Knorr, der spätere berühmte Klavierpädagog, Glock, nachmals Bürgermeister in Ostheim bei Meiningen, endlich Täglichsbeck, welcher schon damals Kapellmeister des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen war. Ein für Schumann selbst unschätzbarer Gewinn aus diesem gemeinsamen Musiziren war die damit verbundene Förderung seiner Kenntnisse in der Kammermusik;[18] sie trug eine sichtbare Frucht in dem schon genannten Emoll-Quartett für Klavier und Streichinstrumente, das leider seitdem verschollen ist. Das geistige Patronat über die Vereinigung hatte Franz Schubert, dessen vor Kurzem erfolgtes Hinscheiden von den Genossen mit leidenschaftlicher Wehmuth betrauert wurde. Zu gleicher Zeit aber tritt nunmehr ein zweiter Meister in Schumanns künstlerischen Gesichtskreis, der fortan sein schwärmerisch angebetetes Ideal bis ans Ende bilden sollte: Johann Sebastian Bach. Das Studium dieses Meisters ersetzte ihm geraume Zeit hindurch den fehlenden musiktheoretischen Unterricht, indem es dem unruhigen Geiste, der nur allzusehr geneigt war, die ihm reichlich zufliessenden Ideen in wirrer Formlosigkeit zerflattern zu lassen, wohlthätige Zügel anlegte.

Ostern 1829 beabsichtigte Schumann die Universität Heidelberg zu beziehen, angeblich um des berühmten Rechtslehrers Thibaut willen, in der That aber der reizenden Lage des Städtchens und vor Allem seines dort weilenden Busenfreundes Rosen wegen. Seine Stimmung hatte sich im Laufe des Leipziger Semesters bedeutend gehoben; das junge Studentenblut forderte auch bei dem träumerischen Jüngling Schumann seine Rechte. Schon der Abschied von Leipzig war ihm in Anbetracht einer »schönen, heiteren, frommen, weiblichen Seele«,18 die die seinige gefesselt hatte, recht schwer; geworden, aber der Schmerz ging rasch vorüber, zumal da in den Ferien bei den Verwandten in Zwickau und Schneeberg Bälle und Konzerte in übergrosser Fülle seiner harrten. Am 11. Mai ging's unter der Reisebegleitung von Willibald Alexis nach Heidelberg, hinein ins »Blüthenleben«. Und in der That, hier inmitten der idyllischen Poesie des Neckarthales, wo ihm im Vergleich zu der Nüchternheit des nordischen Lebens Alles in einer »sanften, singenden provencalischen[19] Tonart«19 zu schweben scheint, geniesst er in vollen Zügen alle Reize des Studentenlebens. Mit Rosen und Semmel, der ebenfalls einige Zeit dort zubrachte, im Verein durchstreift er die herrliche Umgebung, macht das gesellige Leben in ausgedehntem Umfange mit, arbeitet wenig und – das untrüglichste Zeichen des Studenten – leidet an chronischem Geldmangel; kurz, es war, wie er selber später gesteht, eine »wüst-freie Weltansicht«,20 der er mit seinen Genossen während dieses Blüthenjahres huldigte. Sehr bezeichnend für den sorgenlosen Optimismus des Jünglings ist, dass er sich eine kurze Spanne Zeit lang sogar für die Jurisprudenz begeisterte, eine Wendung, die durch die Autorität Thibauts, des Verfassers des 1825 erschienenen berühmten Werkes »Ueber die Reinheit der Tonkunst« veranlasst war. Thibaut selbst freilich sah schärfer, sein wissenschaftlich wie künstlerisch gleich geschultes Verständniss erkannte bald, dass diesen Schüler der Himmel zu keinem Amtmann geboren hatte. Er gab denn auch schliesslich Schumann den Rath, die Wissenschaft endgültig mit der Kunst zu vertauschen.

Um so mehr Eindruck auf Schumann machten die Aufführungen Händelscher Oratorien, die Thibaut jeden Donnerstag bei sich zu Hause veranstaltete. »Ich weiss oft nicht, wie ich Lump zu der Ehre komme, in einem solchen heiligen Hause zu sein und zu hören«.21 Andererseits aber konnte er sich mit den persönlichen Ansichten Thibauts über Musik keineswegs befreunden; sie kamen dem jugendlichen Feuergeist einseitig und pedantisch vor.

Am Schlusse des Sommersemesters glückte es ihm, von seinem Vormund die Geldmittel zu einer Reise nach Oberitalien herauszuschlagen. Sie führte ihn zunächst nach Mailand und von hier über Verona und Padua nach Venedig. Es war eine richtige Studentenreise voll überquellendem Jugendmuth, dem selbst der Geldmangel, Schumanns treuer Begleiter auch im Süden, keinen Abbruch zu thun vermochte. So wenig er sich im Allgemeinen von dem Musiktreiben der Italiener angezogen fühlte, so tief war der Eindruck, den in Mailand Rossini und die berühmte Pasta auf ihn machten; bei ihrem Gesang war es ihm, als Hesse ihn »Gott auf einige Augenblicke in sein Angesicht sehen«.

Nach der Rückkehr aus Italien warf sich Schumann mit erneutem Eifer auf das Klavierspiel und war in Kurzem der erklärte Liebling aller musikliebenden Familien Heidelbergs, die er namentlich durch sein freies Phantasiren unwiderstehlich mit fortriss. Ja auch vor einem grösseren Kreise liess er sich hören: in einem Konzert des »Museums« führte er die Variationen über Moscheles' »Alexandermarsch« vor mit einem Erfolge, der alsbald die ehrenvollsten Anträge zum Auftreten in Mannheim und Mainz nach sich zog. Schumann lehnte sie ab; ihn drängte es gerade in jener Zeit, auch seiner eigenen Schöpferthätigkeit zu ihrem Rechte zu verhelfen. Es entstanden damals neben einigen Ansätzen zu Symphonieen mehrere kleine Klavierstücke, die späterhin in den Papillons (op. 2) gedruckt wurden (No. 1, 3, 4, 6 und 8). Der Anfang des Jahres 1830 brachte ausser den Anfängen eines Klavierkonzerts die Variationen über den Namen »Abegg«, die 1831 als op. 1 im Druck erschienen, sowie die erste Fassung der später umgearbeiteten und als op. 7 veröffentlichten Toccata.

Ostern 1830 sollte die Stunde des Abschieds von Heidelberg schlagen. Schumann fühlte, dass der entscheidende Wendepunkt seines Lebens da war. Hatte sich doch während des Heidelberger Aufenthalts für ihn das Gleichgewicht zwischen Kunst und Wissenschaft dermassen zu Ungunsten der letzteren verschoben, dass er einer endgültigen Auseinandersetzung mit sich selbst und mit[20] seinen Angehörigen nicht mehr länger aus dem Wege gehen konnte. Er erbat sich darum eine Verlängerung seines Heidelberger Aufenthaltes, um Zeit zur Lösung dieses Zwiespalts zu gewinnen. Seine Bitte wurde gewährt, und der Aufenthalt in Heidelberg noch über den ganzen Sommer dieses Jahres ausgedehnt. An Ostern trat ein für Schumanns weitere Entwicklung hochbedeutsames Ereigniss ein: Paganini gab ein Konzert in Frankfurt, und Schumann beschloss alsbald, mit seinem Freunde Töpken hinzueilen. Der Eindruck, den Paganinis Persönlichkeit und Spiel auf Schumann machte, war tief und nachhaltig; er spiegelt sich äusserlich wieder in seiner Bearbeitung Paganinischer Capricen für Klavier, und es mag als so gut wie sicher gelten, dass Schumann damals den späterhin kundgegebenen Entschluss fasste, sich der Virtuosenlaufbahn gänzlich in die Arme zu werfen.

In einem Briefe vom 30. Juli22 erfolgte endlich die entscheidende Mittheilung an seine Mutter. Er gesteht ihr darin, dass sein »ganzes Leben ein Kampf zwischen Poesie und Prosa – oder nenn' es Musik und Jus –« gewesen. »Folg' ich meinem Genius«, fährt er fort, »so weist er mich zur Kunst, und ich glaube, zum rechten Weg«. Nochmals legt er ihr die ganze Alternative dar und bittet sie am Schlusse inständig, Friedrich Wiecks Meinung über seinen Lebensplan einzuholen und die Entscheidung ihm anheimzustellen; denn, schliesst er: »jedenfalls muss die Frage bis Michaelis entschieden werden, und dann soll's frisch und kräftig und ohne Thränen an das vorgesteckte Lebensziel gehen.«

Die Mutter war über diese Eröffnungen aufs Tiefste bekümmert; sah sie ihn doch nach fast dreijährigem Studium, das den grössten Theil seines Vermögens verschlungen hatte, den Schritt thun, vor dem ihr schon so lange gebangt hatte. Trotzdem aber, und trotz der Einsprache ihrer drei anderen Söhne entschloss sie sich, doch dem Wunsche ihres jüngsten Kindes zu willfahren und ein Schreiben an Fr. Wieck abzusenden, dessen Schlussworte zu charakteristisch für das innige Verhältniss zu ihrem Sohne sind, als dass sie hier übergangen werden dürften. Sie lauten:


»Auf Ihrem Ausspruch beruht Alles, die Ruhe einer liebenden Mutter, das ganze Lebensglück eines jungen, unerfahrenen Menschen, der blos in höheren Sphären lebet und nicht ins praktische Leben eingehen will. Ich weiss, dass Sie die Musik lieben – lassen sie das Gefühl nicht für Roberten sprechen, sondern beurtheilen seine Jahre, sein Vermögen, seine Kräfte und seine Zukunft. Ich bitte, ich beschwöre Sie als Gatte, Vater und Freund meines Sohnes, handeln Sie als redlicher Mann! und sagen Sie unumwunden Ihre Ansichten, was er zu fürchten – oder zu hoffen hat.«


Wieck, der sich über Schumanns glänzende Begabung längst im Klaren war, entschied zu seinen Gunsten, ohne ihm jedoch die Schwierigkeiten und den Ernst des neuen Studiums, insbesondere desjenigen der Theorie, zu verhehlen. Daraufhin gab die Mutter ihren Widerstand auf. Schumann selbst war überglücklich. Nach einer kurzen Exkursion nach Strassburg traf er Anstalten, um im Herbst 1830 wieder nach Leipzig überzusiedeln. Er hatte sich, dem Zuge der Zeit folgend, entschlossen, die Virtuosenlaufbahn einzuschlagen.

Quelle:
Abert, Hermann: Robert Schumann. Berlin 1903, S. 15-21.
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