V.

Akkompagnement.

[184] Die Melodie in Mozarts Werken prononzirt die Gefühle, die das Akkompagnement wirklich beleben. Vielsagender ist gewiß kein Musiker im Ausdrucke als Mozart. Hier ist kein leeres Getön, hier sind kein nichts sagenden gebrochenen Akkorde, jede Note hat ihren bestimmten Gehalt. Er betrachtet den Kubus des ganzen Orchesters als eine Orgel mit allen Registern, die ihm jeden Augenblick zu Gebote stehen, um alles mit ihnen auszudrücken, was er wollte. Daher der Aufwand von Besetzung, ohne jemals zu überladen, weil er[185] seine Instrumente immer nur da braucht, wo sie nöthig sind. Ich werde hievon bei der Oekonomie der Instrumente ausführlicher sprechen. Die beständige Abwechslung der Instrumente und ihre Verbindung, ihr Zusammen- und Auseinandertreten, alles giebt eine Neuheit, die vor ihm noch keiner kannte. Nebst dieser beständigen Abwechslung der Instrumentalparthien, nebst diesem ewigen Ineinandergreifen, Reperkutiren und Nachahmen der Instrumente unter sich, ist er auch in den Figuren des Akkompagnements immer abwechselnd, neu, und ich möchte sagen, wie ein Taschenspieler, unterhaltend. Nie bedient er sich der gewöhnlichen Alltagsphrasen, und braucht er sie, so geschieht es niemals lange, selten 3 oder 4. Takte hinter einander, wo sich vielleicht Andere kein Gewissen daraus machen, ganze Arien mit diesem Nichts[186] durchzuführen. Jede Arie, jedes Chor bei Mozart hat sein eigenthümliches Akkompagnement, dessen Neuheit eben durch jene Abwechslung einen desto größern Reiz erhält. Selten wiederholt er sich im Akkompagnement, und in seinen dramatischen Werken giebt es immer die richtige Pantomime an. Jede Arie, jedes Duett tritt hier als Muster auf. Oft theilt er, zumal in größern Singstücken, jedem Sänger einen Theil der Instrumente des Ganzen besonders zu, die sich mit ihm verbinden, und an die er sich im Gegentheile anschmiegen kann. Dieß findet sich vorzüglich in den Finales und Sextetten, besonders des Don Juan und der Hochzeit des Figaro, deren Studium ich überhaupt jedem Tonsetzer empfehle. Man kann im Grunde gar nicht sagen, daß Mozart das Akkompagnement als solches betrachtet habe. Nein! er verwarf diesen schaalen Begriff[187] geradezu; und machte Melodie und Begleitung zu einem unzertrennlichen schönen Ganzen, zu einer so genauen Verwebung, daß sich eines ohne das andere nicht wohl denken läßt. Man wird keine Arie Mozarts vollkommen ohne Akkompagnement singen können, wohl aber macht letzteres, zumal in den Quintetten und Finals, ein besonderes Gebäude aus, deren Vortrag zum Theil auch ohne Singstimme deutlich wird, und einigermaßen ein Ganzes bildet. Ich sage nur zum Theil; denn die Melodie giebt immer den Text zur Begleitung und prononzirt die Gefühle, wie ich schon mehrmals wiederholte, die in der Begleitung fluthen. Bei dem außerordentlichen Reichthume der Harmonie ist die immer wechselnde Begleitung natürliche Folge. Man ziehe aus einer Arie oder einem Chore, aus welchem man will, den Generalbaß heraus, und man wird erstaunen[188] über die reiche Ausbeute von konkurirenden Ziffern und die künstliche Lösung oft dreier und mehr in einer einzigen Arie enthaltenen Aufgaben. Diese Arbeit wird zur gründlichen Verständlichkeit des Geistes seiner Komposizionen vom größten Nutzen seyn, und ich rathe jedem jungen Tonsetzer, sich im Exzerpiren solcher Generalbaß-Skizzen zu üben, und in der Folge eine andre Ausführung darüber zu giesen. Ich selbst habe mir, wo nicht alle, doch die vorzüglichsten seiner Werke auf diese Art skizzirt. Dann legte ich mehrern meiner Schüler eines dieser Generalbaßexempel zur Bearbeitung vor, ohne ihnen zu sagen, welches Ursprungs es sey. Es gab glückliche Ausführungen unter ihnen, aber die des Originals kam kein einzigesmal wieder heraus, obwohl die mehrsten Bearbeiter gute Köpfe, und einige unter ihnen wirkliche Genies waren.[189]

Der Reichthum der Gedanken Mozarts zeigt sich in solchen Skizzen vorzüglich, und hier ist es, wo man die Bedachtsamkeit der Anlage, die Gründlichkeit seiner Kenntnisse am mehrsten bewundern kann; und wenn man nun mit der Skizze von Ziffern in der Hand einen Blick auf ihre Ausführung in der Partitur wirft, so fesselt uns ehrwürdiges Staunen vor diesem einzigen Mozart. Die Komposizionen der mehrsten Italiener und Deutschen sinken, im Vergleich mit ihm, zur Erbärmlichkeit herab. Zum Beispiel: man breite ein Stück Partitur aus dem Don Juan, oder derClemenza di Tito aus, und eines aus dem Donauweibchen, dem Sonntagskinde und Konsorten daneben, und – vergleiche. – Die Magerkeit der letztern sinkt gegen die Vollkräftigkeit der erstern ins Nichts herab.[190]

Bei aller Verschiedenheit des Akkompagnements in einem und demselben Stücke, wird dennoch niemals die Einheit des Ganzen unterbrochen, und die Austauschung der Figuren geht so unbemerkt vor sich, als wäre sie immer natürliche Folge des Vorhergehenden. Im Grunde entwickelt sich auch immer eine Figur aus der andern, und ihre Abwechslung liegt jedesmal, theils in den Chiffern, theils in der Deklamation, der bei verändertem Akzent auch wechselnde Begleitung erfordert. Was keine Worte sagen; drückt Mozart mit der Instrumentalbegleitung jedesmal glücklich aus, ohne in den Fehler übertriebener Mahlerei zu verfallen. Sie athmet jedesmal den Geist der Empfindung, der über das Ganze herrscht, und wechselt immer genau mit diesem, oft in frappanten, manchmal auch in längst vorbereiteten Uebergängen.[191]

Wie sehr er überhaupt die Harmonie in seiner Gewalt habe, zeigen die oft ganz sonderbaren, kühnen Modulazionen der Töne, und nach verschiedenen Abwechslungen der Empfindungen die außerordentlichen Uebergänge in die entferntesten Tonarten. Hieran ist besonders Don Juan vorzüglich reich. Ich führe unter vielen nur drei Stellen an, deren Wirkung, gleich ihrer Kühnheit, außerordentlich ist. Das Terzett No. 2 im zweiten Akte; aus A dur, wo Don Juan Elviren aus dem Hause locken will. Nach langem fruchtlosen Bitten in A dur läßt er sich durch E ins C herab. Der Uebergang von C dur in den benachbarten Mollton A ist so leicht als richtig berechnet. Don Juan bittet in dem schmeichelnd fließenden C dur; Elvire bleibt standhaft, geht mit den Worten no, non ti credo, Barbaro! ins harte A moll, bis sie in den vorbereitenden
[192]

ad

fisa

3 Taktend f

––––––

fisf


von seinen Schwüren von neuem gesangen wird, wo sich dann der Uebergang in den Grundton unisono: e f e dis e d, cis d cis h cis h, a ganz natürlich bildet.

Dann die vortreffliche Stelle im großen Sextett No. 6 desselben Aktes. (Es dur.) Die Szene spielt in einem finstern Zimmer. Leporello und Elvire tappen umher, ohne einander zu finden. Kein schönerer Ton die Finsterniß auszudrücken als Es dur mit seinem schauderhaften Nachbar C moll, aus dem das Stück in das ängstlich klagende g moll modulirt. Unvermuthet kömmt Oktavio mit seiner Braut herein, begleitet von einer Anzahl Fackelträger. Ein, Leporello und Elviren, wiewohl aus verschiedenen Ursachen, höchst unangenehmes,[193] Licht verbreitet sich auf einmal im Zimmer. Wie meisterhaft ist mit dem Uebergang durch die Trompete ins lichte D dur gemahlt!

Die Pauke geht mit dem Basse und schlägt die Quinte des neuen Grundtons (D) vor.

Eben so auffallend ist die Stelle im Duett auf dem Kirchhofe, Scene II, (No. 9 im zweiten Akte) wo Leporello den steinernen Mann zu Gaste bitte. Das Stück hat die karakteristische Tonart E dur; hierin versirt es so lange, bis Don Juan, aufmerksam gemacht durch die Erzählung seines Bedienten, kühn, aber nicht ohne Anwandlung von Grausen, zum Grabmale geht, und den Mann anredet. Seinen kühnen Schritt bezeichnet der eben so kühne Uebergang mit H aus E ins C[194] dur. Mit der Anrede wird Don Juan wieder beherzt, daß er aus C sich bis an den Grundton E hinauf windet, worin er dem steinernen Manne die Quinte h vorschlägt; nun sagt dieser »ja« im Grundtone E, den Mozart aber plötzlich als große Terz von C dur betrachtet und ihm den Akkord hievon unterlegt, um ins A moll, und hieraus wieder ins E dur zurück zu kehren.

Das Erschrecken Leporello's konnte nicht besser gemacht werden, als durch das plötzliche Herunterfallen, von der kühnen Frage mit H, und der Antwort inE, ins C.

Solche Beispiele finden sich bei Mozart häufig. Mit Vorsatz wähle ich die mehrsten aus dem Don Juan, weil die Partitur dieser Oper durch die vortrefliche[195] Anstalt der Härtelschen Musikhandlung gedrückt vorhanden ist; und um den, in Betracht des Werks gewiß äußerst wohlfeilen Preis von 12 Thaler leicht angeschafft werden kann. Man kann also hier eher, als in einer andern Oper, die angezogenen Beispiele nachlesen.

Ueberhaupt wünschte ich, daß sich jeder junge Tonsetzer Mozarts Partituren ankaufte, und sie, wie der Dichter seinen Horaz und Homer, zu seinem täglichen klassischen Studium machte. Ich selbst besitze Mozarts, Haydns und Bachs Werke, widme jede Stunde meiner Muse ihrem Studium, und kehre jedesmal mit neuer Ausbeute zurück. Ueberhaupt muß man bei Mozart selbst sehen, selbst hören, selbst empfinden; auch ist es mit einem Male nicht gethan; der ungeheure Reichthum läßt sich nicht mit einem Blick erspähen,[196] und dem geübtesten Auge entgehen im Anfange Schönheiten, die sich nur bei wiederholtem Studium entfalten. Sein Akkompagnement kann man blos durch's fleißige Lesen seiner Partituren abmerken.

Nicht nur in seinen Arien und Chören ist Mozarts Akkompagnement vortrefflich; aus der Begleitung seiner Rezitative spricht ein großer neuer Genius. Auch hier, wo man sich vor und zu seiner Zeit blos mit Begleitung der Saiteninstrumente begnügte, brachte er, um eine gewisse Wirkung hervor zu bringen, alle Instrumente an, die er brauchte, und welchen Effekt hier oft ein einziger Trompetenstoß thue, zeigt uns unter andern das herrlich kolorirte Rezitativ der Donna Anna (im ersten Akte) wo sie ihrem Oktavio erzählt, wie Don Juan ihr Gewalt thun wollen, und den herbei eilenden Vater ermordet[197] habe. Gleich Anfangs bei der Stelle: Don Ottavio, son morta! welchen außerordentlichen Effekt thun hier die Halter mit den Es Hörnern und C Trompeten; und eben bei den Worten: e il carnefice del padre mio, die zwei Trompetenstöße g, c, dann: chiamo socorso (ich rufe um Hülfe) der grelle Trompetenschrei ins Tutti von allen Instrumenten


d

gis

f

–––

h


welch schauerlicher Ruf! Aehnliche meisterhaft kolorirte Rezitative finden sich im Idomeneo, und wie vortrefflich ist das Rezitativ Tamino's im ersten Final der Zauberflöte? Welches Ringen, welche schmachtende Sehnsucht liegt in der ganz eigenen Art der Instrumentalbegleitung!

Und wie könnte ich sie alle entwickeln die unzähligen Vorzüge, die unerschöpflichen[198] Vorzüge seiner Kunst! Wer vermag mit Worten das Neue, Originelle, Hinreissende, Erhabene, Volltönende seiner Musik zu beschreiben! Hört mit unbefangenem Herzen zu, studirt seine klassischen Werke, und ihr werdet mehr fühlen, mehr lernen, als sich sagen läßt! Seine Musik verfehlt nie ihre Wirkung, wenn sie nur nach strengem Takte, pünktlich, und mit Feuer und Empfindung vorgetragen wird. Es ist nicht leicht, seinem Geiste nachzufliegen, und da bei ihm jede Note mathematisch genau zur ganzen Harmonie berechnet ist, so giebt es auch kein ärger Mißgetön, als wenn rohe Hände unwissender Lyranten sich an seine Heiligthümer wagen.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 184-199.
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