Seelenmesse [416] (Requiem.)

1791 für eine unbekannte Person komponirt. Es ist sein Schwanengesang. Die sehr splendid gedruckte Partitur verdanken wir der verdienstvollen Unternehmung der Breitkopf, und Härtelschen Musikhandlung. Sie macht die erste Lieferung Mozartischer Partituren. Die treflich gewählte Titelvignette, von Kinninger gezeichnet und von W. Böhm gestochen, versinnlicht den Begriff des christlichen Todten-Opfers. Ein von Cypressen beschatteter Kirchhof, Gräber mit Kreutzen. Ein frisch gehügeltes[416] in der Mitte. Weinende Verwande knieen betend und händerringend um dasselbe. Ein junges Weib – wahrscheinlich die Wittwe des Beerdigten – kniet im Vorgrunde. In der einen Hand hält sie ein Tuch, zum Trocknen ihrer Thränen; die andere streckt sie über den Grabhügel und blickt nach der über demselben in einer Wolkenglorie schwebenden weiblichen Figur mit Kreuz und Siegespalme, die christliche Religion vorstellend, welche sie tröstend ansieht, als empfänge die Betende Linderung und Stärke von ihr, die allein mit süßer Hoffnung einer bessern Welt der Sterblichen Leiden zu stillen vermag und die wilde Verzweiflung sanft mütterlich zu zähmen weis. Der jungen Wittwe gegen über betet ein ehrwürdiger Greis – die schönste Figur des ganzen Blattes – wahrscheinlich der Vater des Verstorbenen, inbrünstig, während seine verwaiste Enkelin[417] das Grab mit Rosen überstreut. Der Stich ist sehr fein und die Zeichnung gut ausgeführt. – Der Greis, die Figur in den Wolken und das Rosen streuende Kind sind die schönsten Glieder der wohl komponirten Gruppe.

Dem lateinischen Texte ist eine deutsche Uebersetzung beigefügt, um das Stück auch für protestantische Kirchen brauchbar zu machen. Die hinten angehängte Uebersetzung des Requiem, vom Herrn Professor Clodius in Leipzig, ist ein Meisterstück geistlicher Poesie.

Der äußerst billige Preiß dieser Partitur ist sechs Thaler.

Der Stil des Requiem ist der strengste Kirchenstill; düstrer Ernst und finstre Melancholie sind seine Hauptkaraktere.[418] Die Melodien sind antik und tragen das Gepräge hoher Erhabenheit. Schauerlich schön, furchtbar groß ist das Gemählde des jüngsten Gerichts: Dies irae dies illa etc. Und so viel deren auch komponirt worden sind, so kömmt doch keines an Erhabenheit dem Sanctus in der Seelen-Messe Mozarts gleich. Die immer absetzenden Chöre, der Donner der Pauke, der ihre Zwischenräume füllt, die mit den Vokalstimmen singenden Possaunen, alles füllt die Seele mit Ehrfurcht vor dem, der da heilig ist! – Aber das höchste Gefühl der Andacht beseelt das: Domine Jesu Chirste! Rek gloriae! Es ist so hingebend, so betend! Und welche Zuversicht herrscht in der Fuge: Quam olim Abrahaie promisisti, et semini ejus in saecula. (g moll).

Die Stücke sind durchgängig fugirte Sätze, aber nichts desto weniger liegt so[419] viel Wahrheit in ihrem Karakter, die Deklamazion ist so sprechend und der Gesang so ausdrucksvoll, daß alle Forderungen der strengsten Kirchenkomposizion in diesem schönsten Produkte seiner Gattung weit überstiegen sind. Die Wahl der Tonart (D mol ist der Hauptton, einige Stücke versitzen in B dur, das Domine Jesu Christe geht aus g moll, modulirt in Mittelsatze, 3/4 Hostias et preces, in Es dur. Das Sanktus geht aus D dur, Benedictus aus B dur, Agnus Dei und das Schlußchor:Lux perpetua aus D moll) ist, so wie die der Instrumente, vortreflich berechnet, der Seele eine feierliche Stimmung zu geben. Nächst den Violinen, der Bratsche, dem Baß und Violonzell, zwei Bassethörner, zwei Fagotte, Trompeten, Pauken und Possaunen. Der tiefe schwermüthige Ton der Bassethörner und Fagotte ist hier in seinem angemessensten Wirkungskreiße;[420] der Effekt der Possaunen ist entscheidend. Die weise Oekonomie, mit welche Trompeten und Pauken angebracht sind, vermehrt den Karakter des schauerlich Großen, der sich über das Ganze verbreitet. Das Possauen-Solo bei den Worten: Tuba mirum spargens sonum (No. III.) macht einen grausenvollen Effekt. Die Stelle: »Rex tremendae majestatis« ist in Rücksicht auf die Behandlung ihrer Deklamazion und des Akkompagnements, so wie das Chor: »cenfutatis maledictis« (No. VI. Andante A moll) einzig. Schön ist die Mahlerei im Akkompagnement der Violinen bei dem folgenden: Oro supplex, und in dem trauernden Chore: »Lacrimosa dies illa« (No. VII. Larghetto D moll) giebt der sehr zweckmäßig gewühlte 12/8 Takt, und die zwei Takte Ritchnell ohne Baß, in dem Bratsche und Sekondvioline vorgeben,[421] und die erste Geige jedesmal zwei Achtel; bald aufsteigend; bald abfallend, nachbringt, die täuschendste Nachahmung einer ängstlichen Stille; von Schluchzen und Stöhnen unterbrochen. Die weinende Tonart D moll trägt nicht wenig zur Vollendung des Gemähldes bei. Eine der schwersten und kritischsten Fragen ist ohnstreitig das: Osanna. Jede Note dieses unerreichbaren Werkes trägt ihren bestimmten Gehalt: Jede Fuge ist Karakter; alles erhaben, groß, prächtig! Dieses Requiem ist die höchste Tendenz des erhabenen Kirchenstils.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 416-422.
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