Frankfurth am Mayn.

[58] Auf meiner Reise längst dem Ufer des Rheins, von Cölln nach Coblenz, wunderte ich mich, ich gesteh' es, daß mich meine Erwartung betrog, und ich keine Beweise von dem starken Hange zur Musik fand, den man den Deutschen, besonders in diesem Striche zuschreibt; denn selbst zu Coblenz, ob es gleich ein Sonntag war, als ich daselbst ankam, und die Gassen und die Nachbarschaft voller Menschen waren, welche spatzieren gingen, hörte ich keine einzige Stimme, oder ein einziges Instrument, wie sonst wohl in andern römisch-catholischen Ländern zu geschehen pflegt. Ich bekam also Lust, es mit einer andern Gegend von Deutschland zu versuchen. Ich setzte daher über den Rhein und über die fürchterlichen Gebirge der Wetterau, und kam zu Frankfurth ermüdeter an, als ich mich ehedem nach der Reise über den Cenis befand. Hier fand ich wirklich ein wenig von dieser Anlage zur Musik, welche ich erwartete, und ob ich gleich weder einen grossen Sänger noch Instrumentisten antraf, so war doch wenigstens in allen[58] Theilen der Stadt Musik zu hören, sie war denn auch wie sie war.

Die grosse Bartholomäuskirche, die der Kayserkrönungen wegen berühmt ist, war eben nicht mit Sängern von grossen Talenten besetzt, indessen war eine Anzahl Mädchen vorhanden, welche ohne Begleitung der Orgel, mit den Priestern und Canonicis sangen; und viele davon waren sogar lutherisch oder reformirt, obgleich der Gottesdienst römisch-catholisch war.

Des Nachmittags waren auch auf der Gasse eine Anzahl junger Schüler, welche unter Anführung eines Caplans Hymnen in drey oder vier Stimmen singen. Es sind arme Schüler, die der Kirche gewidmet sind, und auf diese Art milde Gaben zu ihrer Unterhaltung sammlen.

Im Gasthofe zum römischen Kayser, wo ich abgetreten war, spielte eine Bande Gassenmusikanten nach Tische verschiedene vierstimmige Sinfonien, und ziemlich gut. Alles dieses fiel an einem gemeinen Werkeltage vor, und es ist also natürlich zu glauben, daß es etwas Gewöhnliches sey.

An der Cathedralkirche ist ein ziemlich bejahrter Vicarius Organist. Das Werk ist nicht schlecht vom Tone, aber, wie die meisten andern, die ich auf meiner Reise gehört habe, erbärmlich verstimmt, und so schwer zu spielen, daß man, wie bey den meisten Glockenspielen, zuweilen das Gewicht einer ganzen Hand nöthig hätte, um eine Taste nieder zu drücken.[59]

Die Überschriften einiger Register an diesem Werke reizten meine Neugierde, als z.B. Pofaune, Solicional, Cymbel, Suavial, Violon, u.s.w. im Hauptwerke, und im Rückpositive das: Großgedackt, Kleingedackt, Viol di gamba, u.s.f., sie waren aber dergestalt in Unordnung, daß sie unmöglich als Solostimmen gebraucht werden konnten. Ich konnte nur gerade so viel merken, daß das Suavial die sanfte Stimme seyn soll, welche Herr Schnetzler in seinen Orgeln Dulcian zu nennen pflegt, und Violon so viel heißt als Contreviolon. Dies ist ein halbes Register, und geht nicht höher, als bis ins eingestrichne C.

An dieser Orgel ist ein Kunstgriff angebracht gewesen, um einen halben- einen ganzen Ton, oder eine kleine Terze hinauf zu transponiren; er ist aber nicht mehr brauchbar. Das Werk ist vor langen Jahren von Meyer gebauet, und vor ungefehr acht Jahren von Großwald, aus Hanau, wieder reparirt, der auch einige neue Stimmen hinein gemacht hat. Allein ein Orgelwerk, das im Grunde nicht taugt, wird gemeiniglich schlechter, wenn mans ausbessern will; und ich erinnre mich, daß Herr Schnetzler einst einigen Kirchenvorstehern, die ihn fragten, was die Orgel, die sie ausbessern lassen wollten, wohl werth wäre, und was die Reparatur wohl kosten würde? zur Antwort gab: er schätzte sie ohngefehr auf sechshundert Reichsthaler, und wenn sie noch sechshundert daran wenden wollten, so könnte[60] vielleicht ein Werk daraus gemacht werden, das dreyhundert werth wäre.

Das beste Instrument, daß ich bey meinem Aufenthalte in Frankfurth hörte, war die Orgel in der Dominikanerkirche; sie war besser von Ton und besser gestimmt, als die übrigen, gleichwohl war sie nicht so gut, als viele, die ich in England gehört habe; auch die Vox humana war nicht sonderlich angenehm, oder der Menschenstimmen ähnlich, ob man hier gleich viel Wesens daraus machte.

Durch diese Orgel ist ein Bogen gezogen, um durch das Fenster an der Westseite Licht in die Kirche zu bringen. Sie hat eine schöne Einfassung, die Zierrathen über dem Bogen sind in einem guten Geschmacke, und die Seitencolumnen sind gut angebracht. Die Claviere liegen an der Seite Rechterhand der Orgel, und darüber steht eine kleine Fronte. Ihr Umfang ist von C zu C, und das Pedal hat noch eine kleine Octave unter dem groben C.

Die vornehmsten Musiker in dieser Stadt sind gegenwärtig Herr Sarrazin, Violinist; Herr Pfeil, Clavicimbalist, und Herr Saueisen, Organist an der reformirten Kirche zu Bockenheim, ein Ort nicht weit von der Stadt, woselbst sich diese Religionsverwandte versammlen, weil ihnen in Frankfurth kein Gotteshaus verstattet wird.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 58-61.
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