Drittes Kapitel
Ich werde zum Kammerknaben eingekleidet.

[23] Es war am ersten März 1751, des Morgens, als mein Vater mich in das Palais des Prinzen führte, wo ich von nun an ein neues Leben beginnen sollte. Der Prinz war nicht zu Hause, und wir wurden an den Haushofmeister, Johann Ebert, einen feinen und respektablen Mann, gewiesen. Er hatte Befehl, uns zu empfangen. Da nun nebst ihm insonderheit noch dem Kanzlisten Bremer die Aufsicht über mich übertragen war, so führte er uns nach einigen Instruktionen, die er mir in einem sehr väterlichen Tone erteilte, nach dessen Zimmer. »Den Prinzen«, sagte er zu meinem Vater, »können Sie jetzt nicht sprechen; er ist ausgefahren und kommt erst gegen zwei Uhr nach Hause; Sie sind aber bei unserm Offiziertisch mein Gast, damit Sie sehen, ob Ihr Sohn bei unserer Kost bestehen kann. Wie Sie es heute finden, ist es alle Tage.« Zuvor stellte er mir noch ein Reglement für mich zu, wovon er sagte, daß es der Prinz dem Herrn Bremer selbst in die Feder diktiert habe.

Dieser, ein hübscher Mann von ungefähr sechsundzwanzig Jahren, bewillkommte meinen Vater sehr höflich und wies mir mein Zimmer dicht neben dem seinigen an. Ein sehr anständiges Bette, einen Schreibtisch, einen Kleiderschrank mit schönen Beschlägen, nette Stühle, überhaupt alles, was zur Einrichtung gehört, fand ich ganz neu darin. Er übergab mir das Inventarium von allen Meubeln und Kleidungsstücken mit dem Bedeuten, daß er Ordre habe, von Zeit zu Zeit nachzusehen. Ich mußte alles, was ich am Leibe hatte, vom Kopf bis zu Füßen ausziehen[24] und mich ganz neu equipieren. Rock und Beinkleider von meinem Alltagsanzuge waren aschgrau, die Weste aber rot. Alles war von feinem holländischen Tuche, und die Knopflöcher waren nach damaliger Mode mit silbernen Borten eingefaßt. Wäsche aller Art fand ich im Überfluß. Auch erhielt ich weiße seidene Strümpfe, neue Schuhe, silberne Schuh- und Beinkleiderschnallen nach der letzten und neuestenFaçon. Und alles hatte der Prinz veranstalten lassen, ohne daß ich vorher etwas davon hatte merken können; denn Schneider, Schuster und Nähterin hatten sich in meines Vaters Hause Gewerbe machen müssen, ohne daß ich davon etwas gewahr wurde. »Sehen Sie«, sagte Herr Bremer, als er mein Erstaunen bemerkte, »so ist der Prinz; er ist gütig und mag jeden gern angenehm überraschen. Hätten Sie wohl gedacht, das alles hier zu finden? Nun, halten Sie aber auch alles recht nett und ordentlich, und führen sich gut auf; dann werden Sie es sehr gut haben. – Hier ist Ihr eigener Schlüssel, damit Sie aus- und eingehen können, wann sie wollen.«

Meine Zufriedenheit über mich selbst war nicht geringe, als der Haushofmeister mich vor einen großen Wandspiegel stellte und ich mich nun ganz in meinem Staate übersehen konnte. Man ist immer etwas mehr, wenn man sich gut angezogen weiß. »Es ist gleich eilf Uhr«, sagte er; »gehen Sie in den Salon, das Exerzitium wird bald anfangen.« Ich ging dahin und fand die meisten schon versammlet. Alle überschütteten mich mit Gratulationen, und meine Erhebung zum Kammerknaben, der hier nun das Recht hatte, sich an die übrigen Musiker anzuschließen, machte mich zu einem sehr glücklichen Sterblichen.[25]

Kaum war die Sinfonie geendigt, so erschien Madame Tesi, die heute zwei neue Arien, welche der Kapellmeister Bonno soeben für sie komponiert hatte, probieren wollte. Sie war eine Frau, schon über fünfzig Jahre, aber sehr wohl konserviert und angenehm. Bonno legte eine Arie auf, setzte sich an das Clavicembalo, und Madame Tesi trat hinter ihn. Sie hatte eine runde helle Contre-Altstimme, und ihr majestätischer Vortrag entzückte mich bis zur Betäubung. Nach der Arie sprach sie mit dem Kapellmeister und setzte sich mit ihm gerade vor das Orchester. »Madame Tesi«, rief Bonno mir zu, »möchte Sie gern spielen hören; haben Sie etwas bei sich?« – »Ja«, antwortete ich und holte eine Züglersche Sonate herbei, die Hubaczek mir akkompagnierte. Bei jeder Stelle, die ich gut vortrug, rief die Tesi bald: »bravo!«, bald: »bravissimo!« Darauf ließ sie sich meinen Vater vorstellen, mit dem sie sich eine Weile französisch unterhielt. Nach etlichen Instrumentalstücken trat sie endlich wieder an das Clavicembalo und sang die zweite Arie. Es war ein Adagio. Hatte mich vorher ihr brillanter Vortrag entzückt, so riß mich ihr sanfter und schmelzender Ausdruck so hin, daß ich glaubte, man könnte nichts Schöneres in der Welt mehr hören.

Der dreimal wiederholte Klang der Portiersglocke verkündigte endlich die Ankunft des Prinzen. Er ging sogleich auf meinen Vater zu, nahm ihn in ein Fenster und unterhielt sich eine ziemliche Weile sehr gnädig mit ihm. Alsdann rief er mich und sagte: »Nun, ich hoffe, du wirst mit deinem Zimmer und allem, was du darin gefunden, zufrieden sein. Sei aber nun auch hübsch fleißig und führe dich so auf, daß auch ich mit dir zufrieden sein kann. Vorzüglich aber befehle ich dir, das Reglement[26] öfters durchzulesen und dem, was darin steht, genau nachzuleben.«

Darauf ließ er sich seine Flöte und ein Konzert bringen, setzte sich hin und spielte. Ich muß freilich offenherzig sagen, daß er kein großer Hexenmeister war; unterdes spielte er doch weit besser, als ich vermutet hatte. Er hielt sein Tempo richtig und hatte eine vorzüglich schöne Embouchüre. Mit seinem Konzerte endigte sich das Exerzitium, und der Prinz ging zur Tafel.

Als ich zu Herrn Ebert kam, fand ich den Pagen vom Prinzen, einen gewissen Baron Ende, daselbst und seinen Pagenhofmeister, der zugleich den Titel Sekretär hatte. Dieser hieß Göhrn und war ein Sachse. »Von diesem Herrn«, sagte Ebert, indem er mich ihm vorstellte, »werden Sie Unterricht in der lateinischen und französischen Sprache erhalten; auch wird er so gütig sein, Sie im Fechten zu unterrichten. Den Unterricht aber im Reiten, Tanzen und in der italienischen Sprache werden Sie erst bekommen, wenn wir auf unsere Herrschaft Schloßhof gehen, wohin sich der Prinz alljährlich zu Anfang des Juni zu begeben pflegt.«

»Das Wichtigste«, sagte er zu meinem Vater, »hätte ich bald vergessen. Ungeachtet unser Prinz katholisch ist (er war evangelisch erzogen, aber auf Zudringen der verstorbenen Kaiserin Elisabeth katholisch geworden), so ist doch beinahe die Hälfte seines Hofstaats teils lutherisch, teils reformiert, wie denn die Aufseher über Ihren Sohn, Herr Göhrn, Bremer und ich, es auch sind. Aber wir sind nichts weniger als Proselytenmacher. Um Sie jedoch ganz ruhig sein zu lassen, hat der Prinz befohlen, daß ein Priester Ihrer Religion angenommen werden soll, der gegen ein anständiges Honorar Ihren Sohn in[27] seinem Glauben unterrichte. Da Sie nun selber schon einen würdigen Priester in Ihrem Hause haben, so wird es dem Prinzen angenehmer sein, wenn dieser die Mühe davon übernehmen will.«

Mein Vater, entzückt über diese großmütigen Anerbietungen, versicherte, Pater Johannes würde das sehr gern unentgeltlich übernehmen; und in der Tat kam dieser würdige Mann wöchentlich zwei- bis dreimal zu mir, wofür er bei unserer Abreise nach Schloßhof ein Douceur von neun Dukaten und so viel Ellen von schwarzem Brüssler Camelot erhielt, als zu einem Talar nötig waren.

Meine Leser werden aus alledem schon einen kleinen Vorgeschmack von den erhabenen und menschenfreundlichen Gesinnungen des Prinzen bekommen haben. Aber in Zukunft sollen Sie das unvergleichliche Herz dieses großen Fürsten wohl noch näher kennen lernen. Ich will zu dem Ende gleich die Geschichte von jener rechtschaffenen Frau, der Madame Tesi, hier einschalten, für die ich sonst keinen schicklichern Platz finden dürfte.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 23-28.
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