Einundzwanzigstes Kapitel
Florian Gaßmann wird Kapellmeister zu Pferde; will mich aufs Glatteis führen • Böser Ursprung meines besten Oratoriums: Esther

[196] Ein Jahr nach meiner Verheiratung machte ich eine Exkursion nach Wien. Unter so vielen Besuchen, die ich meinen Gönnern und Freunden daselbst machte, ging ich auch zu Herrn Florian Gaßmann, der während meiner Abwesenheit würklicher kaiserlicher Kammer- und Hofkapellmeister (Gluck ward auf sein Begehren mit 2000 Fl. jubiliert) geworden war, um ihm zu seiner Würde zu gratulieren. »Wissen Sie auch«, sagte er, »daß ich zu Pferde Hof-Kapellmeister geworden bin?« – »Wie das?« versetzte ich. – »Der Kaiser«, fuhr er fort, »folgt bekanntlich bei Dienstbesetzungen immer seinem eigenen Kopfe und tut oft gerade das Gegenteil von dem, was ihm von andern geraten oder vorgeschlagen wird. Ritter, mein Vorgänger, starb früh um acht Uhr. Um zehn Uhr erfuhr es der Kaiser. Um eilf ritt er wie gewöhnlich in den Augarten. Zufälligerweise begegne ich ihm auf dem Graben. Schon ist er zehn Schritte vorbei, als er plötzlich stille hält und mich mit den Worten anruft: ›Ich will Ihnen eine Neuigkeit erzählen. Ritter ist tot.‹ – Als ich ihm erwidere, daß ich das schon seit einer Stunde wisse, fiel er etwas unwillig ein: ›Aber die Neuigkeit wissen Sie doch nicht, daß Sie statt seiner Hof-Kapellmeister geworden sind!‹ – Und so ritt er fort.«

Gaßmann hatte im verwichenen Fasten zum Besten des musikalischen Witwen-Instituts ein Metastasisches Oratorium, Betulia liberata, geschrieben, welches von einem[197] Orchester von 200 Personen aufgeführt worden war. Ich hatte erfahren, daß es großen Beifall gefunden hatte, und bat den Komponisten daher um Durchsicht der Partitur. Er legte sie mir vor, und ich saß gerade ein paar Stunden darüber, es mit Aufmerksamkeit durchzusehen, und fand wirkliche Schönheiten darin. Gaßmann machte mir seinen Gegenbesuch, und da er auf meinem Tisch einige Partituren von Singsachen fand und durchsah, so sagte er mir zwar viel Schönes darüber; doch schien es mir, als wenn es ihm nicht recht vom Herzen ginge. Unterdes, da wir einmal im vollen Komplimentieren waren und ich seine Artigkeiten erwidern wollte, so sagte ich: »Hätte ich gewußt, um welche Zeit Ihr Oratorium aufgeführt worden wäre, so würde ich die Kosten nicht gescheut haben, die Reise von Schlesien nach Wien bloß darum zu machen, um so ein Meisterstück zu hören.« – »Ei!« sagte Gaßmann, »es hängt bloß von Ihrem Willen ab, sich noch ein größeres Vergnügen zu machen, wenn Sie zum Besten der Witwensozietät selbst ein Oratorium schreiben und dieses in eigner Person hier aufführten.«

»Wie kommen Sie auf diesen Einfall?« versetzte ich.

»Ich – ein großes Oratorium für Wien schreiben? Sie trauen mir viel zu. Nach Hasse – nach Ihnen – ich auftreten?«

»Ja!« sagte Gaßmann, »um uns beide abzustechen.«

Dies sagte er mit einem so verzweifelt spitzen Ton und Gesicht, daß ich darunter den Schalk nicht verkennen konnte. Es pikierte mich, und ich blieb stumm. – Er verstand das unrecht und hielt mich geschlagen. »Ja freilich!« unterbrach er die Stille, »es gehört ein bißchen Verwegenheit dazu, sich so einer Klippe zu nähern. Nun[198] wie Sie wollen, – wenn Sie nicht das Herz haben ...« – »O bewahre«, fuhr ich ziemlich verdrüßlich und trotzig heraus, »das ists gerade nicht. Ich habe sehr wohl das Herz dazu und nehme Sie beim Wort. Sie haben mir ein Oratorium offeriert; ich danke Ihnen für diese Distinktion und – hier haben Sie meine Hand – ich werde eins schreiben.«

»Ei, bravo«, sagte Gaßmann seltsam betroffen und freundlich; »das machen Sie recht. Ich will Ihnen sowohl die Werke von Metastasio ...« – »Die habe ich selbst«, fiel ich ein. – »Oder jene von Apostolo Zeno schicken, um sich eins daraus zu wählen.« – »Auch diese«, erwiderte ich, »sind mir bekannt. Da ich aber vermute, daß Chöre bei so viel Stimmen gute Würkung tun müssen und in allen diesen vorgeschlagenen Oratorien zu wenig Chöre sind, so werde ich mir selbst von einem guten Freunde, der nicht nur ein guter Italiener, sondern auch ein guter Dichter ist, ein Oratorium machen lassen, bis zu künftigem Advent die Musik dazu komponieren und es selbst hier aufführen.« – »Da müssen Sie mir aber«, versetzte er, »Ihr Ehrenwort darauf geben, damit ich bei dem Kaiser, dem ich davon Meldung tun muß, nicht mit Schande bestehe.« – Ich gab ihm mein Wort, und er ging.

Am nämlichen Tage sah ich Pichel und erzählte ihm den ganzen Vorgang und wozu ich mich verpflichtet habe. »Oh«, sagte er warnend, »trauen Sie dem Gaßmann nicht; er ist ein grundfalscher Mann. Er stellt Ihnen gerade damit eine Falle.«

»Ei der Teufel!« antwortete ich, »da will ich noch heute zu ihm gehen und ihm absagen.«

»Das tun Sie nicht. Ich kenne Ihr Talent zu gut, als daß[199] ich nicht mit Grund hoffen könnte, Sie werden ganz gewiß reüssieren.« – »Woher aber wissen Sie«, fragte ich weiter, »daß er es nicht gut mit mir meint?« – »Daher«, versetzte Pichel, »weil ich ihm die Partituren von verschiednen Ihrer Großwardeiner Sachen gezeigt habe und er alle verworfen hat.« – »Da wird er mir aber Kabalen machen.« – »Das kann er nicht, wenn Sie selbst herkommen und Ihr Oratorium dirigieren.« – »In Austeilung der Rollen aber ...« – »Dafür ist Rat. Während Ihrem jetzigen Hiersein haben Sie Gelegenheit, die besten Sänger zu hören, die Ihnen gefallen zu wählen, und sodann den Vorteil, für sie angemessen zu schreiben. Halten Sie sich brav, wenden Sie insonderheit etwas auf die Chöre, die hier einen vortrefflichen Effekt tun, und ich wette, Sie machen ihn samt seinem bösen Plan zu Schanden.«

Ich ließ keine Oper aus, und da ich von jedem der besten Sänger, die ich mir auszeichnete, sowohl den Umfang der Stimme als auch die Methode desselben in mein Taschenbuch notierte, so war es keine Kunst, das Beste von jedem hervorzusuchen, mithin für jeden auch angemessen zu schreiben.

Gleich nach meiner Zurückkunft in Schlesien schrieb mir Padre Pintus ein Oratorium und wählte aus der biblischen Geschichte die Esther. In vier Wochen nach Empfang des Gedichts war ich mit meiner Arbeit fertig. Ich ließ es für unsere Kapelle schreiben und probierte es in Johannisberg einige Male durch. Da ich meiner eigenen Einsicht, aus Furcht vor Wirkung der Eigenliebe, nicht trauete, so lud ich selbst von Breslau und andern benachbarten Örtern ächte Kenner ein; ja selbst den Musikern der fürstlichen Kapelle machte ich das Ersuchen,[200] mir frei und ungescheut ihre offene Meinung zu sagen, wenn sie da und dort einige Sätze oder Stellen nicht nach ihrem Geschmack finden sollten. Überhaupt nahm ich mir vor, an diesem Werke so lange zu feilen und zu polieren, bis aller Tadel gehoben wäre. Allein weder ich selbst noch irgendeiner dieser kompetenten und nicht kompetenten Kunstrichter fanden für gut, nur die geringste Note abzuändern.

Sechs Wochen vor der Aufführung schickte ich meine Original-Partitur nach Wien mit dem Versprechen, acht Tage vor der Aufführung daselbst zu erscheinen.

Der Fürst bezeigte große Lust, dieses Oratorium von einem Orchester von 200 Musikern in Wien aufführen zu hören; aber da ihm seit dem letzten Friedensschlusse verboten war, öffentlich bei Hofe oder beim kaiserlichen Hoflager zu erscheinen, so bedauerte er sehr, sich dieses Vergnügen versagen zu müssen. Allein, als man ihm bedeutete, es sei ihm damit ja doch nicht untersagt, inkognito, unter einem andern Namen und Titel, in Wien überhaupt zu erscheinen und, wie der Papst als Bischof von Rom, so als Pfarrer, Dechant und Erzpriester zu reisen, so ließ er sich diese Anwendung des Kasualfalls gefallen, zog ein kurzes ordinäres Priesterkleid an und reiste als Dechant von Weidenau, das in seinem Kirchsprengel lag. Er nahm mich in seinen Wagen, und ich hatte den Vorteil, die Reisekosten zu sparen.

Wir langten am versprochenen Tage in Wien an, denn wir fuhren Tag und Nacht. Es war morgens um sieben Uhr, als wir ankamen, und um zehn ging ich zum Grafen Spork, der sogleich die erste Probe in seinem Quartier veranstaltete. Die andern folgenden Tage wurden drei große Proben im Theater gehalten. Der Graf war so[201] artig, auf meine Bitte dem Dechanten von Weidenau nicht allein für alle Proben, sondern auch an den zweien Produktionstagen einen Logenschlüssel zu schicken; welches erstere etwas sagen wollte, da in Wien der Brauch ist, daß niemand, weder vom hohen Adel noch andern Publikum, bei Proben gegenwärtig sein darf.

Bei allen Proben war der Kaiser Joseph zugegen. Pichel erzählte mir an dem Abende meiner ersten Probe, die am Vormittag gehalten wurde, daß der Kaiser bei seiner Kammermusik gesagt hatte: »Gaßmann hat dem Ditters eine Nase drehen wollen, Ditters aber hat ihm dafür eine tüchtige gedreht; denn ich ziehe sein Oratorium dem Hassischen und dem Gaßmannischen weit vor.«

Mein Oratorium wurde zum ersten Male am letzten Adventstage und das zweite Mal am folgenden Dienstage aufgeführt. Ich will weiter nichts davon sagen, als daß die Witwensozietät nach Abzug aller Unkosten reine 1450 Fl. bei meinem Oratorium gewann, bei jenem des Gaßmann hingegen nicht mehr als 530 Fl. profitiert hatte.


Ich war sechs Wochen wieder in Johannisberg, als mir Pichel schrieb, Gaßmann wäre vor vierzehn Tagen gestorben und der Kaiser habe wider alles Vermuten, ungeachtet der vielen Kompetenten, die sich um diesen Posten, der 300 Dukaten eintrug, gemeldet hätten, denselben noch nicht vergeben. Es schiene daher, daß der Kaiser bloß darauf warte, ob ich darum einkommen würde; und ich sollte also ohne Verzug dazu tun.

Ich schrieb aber zurück, daß ich in Johannisberg bereits mehr Einkünfte und bei Gelegenheit noch größere zu hoffen hätte und also nicht einkommen würde. Sollte[202] mich aber der Kaiser ausdrücklich verlangen, so würde ich zu allerhöchstem Befehl sein.

Ich weiß zwar nicht, ob Pichel einen heimlichen Auftrag hatte, mich zu sondieren; aber nach der Hand habe ich wohl erfahren, daß dem Kaiser meine Antwort hinterbracht worden ist und er sie ungnädig aufgenommen hat. »Ei seht doch den preziösen Herrn an!« soll er gesagt haben. »Es ist ihm nicht nur der Gehalt von 300 Dukaten zu gering; er will auch, daß ich ihm den Posten auf der Schüssel entgegen tragen soll. Das werde ich fein sauber bleiben lassen!« –

Bonno erhielt die Stelle, dabei profitierte der Kaiser offenbar; denn Bonno war schon seit vielen Jahren mit einem Pensionsgehalt von 800 Fl. jubiliert. Von diesem nun dem Ärario zufallenden Gelde gab der Kaiser der Witwe Gaßmanns die Hälfte und die andere Hälfte an Salieri, den er zu seiner kleinen Kammermusik engagierte.

Ich komme nunmehr zu der wichtigsten Epoche meines Lebens, nämlich zu meiner Erhebung in den Adelsstand.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 196-203.
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