Fünftes Kapitel
Trani mein Lehrmeister • Wie ich vom krummbeinigen Matthes gedemütigt werde • Die Uhr

[37] So gesprächig auch der Rückblick auf unsere Jugend zu machen pflegt und so wichtig uns selber auch jeder Umstand darin vorkommt, so darf man doch nicht wohl annehmen, daß dem Leser mit einer umständlichen Erzählung an sich geringfügiger Vorfälle und Ereignisse aus jener Zeit gedient sein könne. Ich will also nur noch ganz kürzlich sagen, daß in allen Stücken auf das vollkommenste für meinen Unterhalt und für meine Bedürfnisse gesorgt war. Ich hatte meinen bestimmten Platz am Offiziantentische, auf welchem gegen dreißig Gedecke sich befanden und wo täglich sieben Essen aufgetragen wurden, und des Abends ward mir mein Essen auf das Zimmer geschickt. Überdem erhielt ich monatlich fünf Gulden dreißig Kreuzer Taschengeld, von deren Verwendung ich indes Herrn Bremer Rechenschaft ablegen mußte. Ein Bedienter des Prinzen, der eine Zulage dafür erhielt, mußte mich täglich frisieren, und für Wäsche und anderweitige Reinigung ward ebenfalls auf das Beste gesorgt, so daß ich also in Wahrheit von dem Prinzen sagen kann, er sorgte wie ein Vater für mich.

Nach der ersten Mahlzeit, die mein Vater hier mit einnahm, kam er noch einmal auf mein Zimmer, ermahnte mich, mein Glück nicht durch üble Aufführung zu verscherzen, gab mir seinen väterlichen Segen, und nachdem ich ihm gerührt die Hand geküßt hatte, verließ er mich.

Unterdes kann ich eben nicht sagen, daß meine Betrübnis länger als einige Augenblicke gedauert hätte. Ich[38] hielt eine Revision mit meiner Garderobe, begaffte noch einmal Stück für Stück, absonderlich aber ergötzte ich mich an dem schönen Galakleide. Es war von dem feinsten französischen Tuche und mit prächtigen silbernen Borten über und über verbrämt. Darüber kann ein eitler Kammerpage schon seinen Vater vergessen!

Noch an eben dem Tage ward ich zum Prinzen gerufen, welcher mir Herrn Trani, der soeben bei ihm war und vor dem ich eine Probe meines Spiels ablegen mußte, als meinen künftigen Lehrmeister auf der Violine vorstellte. Ich kann in Wahrheit sagen, daß dieser Mann sich meine musikalische Bildung mit allem Eifer angelegen sein ließ.

Von dieser Zeit an lebte ich genau nach Vorschrift meines Reglements, das ich fleißig durchlas, und so verstrichen drei Monate, an die ich gern zurückdenke. Kurz zuvor, als wir soeben nach Schloßhof abreisen wollten, kam mein Vater zu mir und brachte mir die frohe Nachricht, daß der Prinz auch meinen ältern Bruder Joseph in seine Dienste genommen und ihm nebst Wohnung und Tisch jährlich dreihundert Gulden akkordiert habe, daß er also ebenfalls auch mit nach Schloßhof gehen würde. Ich konnte mich kaum lassen für Freude, und da ich nun wußte, daß mein Vater gern bisweilen ein Gläschen guten Cyperwein trank, wie er denn bei außerordentlich vergnügter Stimmung meinen ältern Bruder oder mich in das Gewürzgewölbe zum Grünen Kranz auf dem Graben mitzunehmen und dort eine Flasche davon auszustechen pflegte, so steckte ich heimlich dem krummbeinigten Hausknecht, meinem Aufwärter, einem schlechterdings närrischen Menschen, einen Taler zu und ließ heimlich eine holen.[39]

Unterdes mußte ich meinem Vater, der begierig war zu hören, was ich bei meinem neuen Lehrmeister für Fortschritte gemacht hätte, etwas vorspielen. Ich nahm die gestochene Sammlung der Locatellischen Sonaten, die ich von diesem bekommen hatte. So altväterisch diese Sonaten zu jetziger Zeit klingen möchten, so will ich sie doch jedem angehenden Schüler auf der Violine – nicht zum Produzieren, sondern zum Exerzieren, bestens empfohlen haben. Er wird bei Erlernung derselben große Progresse im Fingersatz, in verschiedenen Strichen, Arpeggios, Doppelgriffen usw. machen.

Meinem Vater gefiel die Überraschung, seinen geliebten Cyperwein, dem er ohnehin heute zuzusprechen sich in der Freude seines Herzens vorgenommen hatte, bei mir in aller Bequemlichkeit zu finden, und meine Aufmerksamkeit gar sehr, und er blieb lange und gab uns einige freundliche Lehren über das Hofleben, die er mit launigten Anekdoten würzte. Und als er am Abend fortging, schenkte er mir einen blanken Kremnitzer Dukaten zum Ersatz für meine Auslagen, wie er sagte, und der närrische Kauz von Hausknecht trug auch einen Gulden davon, wofür er auf seinen einwärts gedrehten Füßen wie toll und töricht umhersprang.

Dieser Umstand wäre nun an sich nicht der Rede wert; aber da ich die eben nicht sehr lobenswürdige Gabe hatte, die Grimassen und Lächerlichkeiten anderer Menschen sprechend nachzuahmen, so kopierte ich am andern Morgen den Hausknecht, und indem ich gerade wie er mit schiefen Beinen die Stube auf und ab tanzte und wir beide, Herr Bremer und ich, uns halbtot darüber lachen wollten, trat das Original mit dem Frühstücke herein. Der Jubel ward nun natürlich um so größer, und[40] ich trieb mein Wesen noch ein Weilchen so fort, worauf der ehrliche Hausknecht aber nicht Acht zu haben schien. Aber – er trug mirs nach, und ich büßte noch an demselben Tage für meinen unziemlichen Kurzweil sehr empfindlich.

Als ich es mir nämlich beigehen ließ, ihn über Tische dem Gelächter Preis zu geben, und eingedenk jener Heldentat, wovon ich die Gesellschaft in seiner Abwesenheit schon unterhalten hatte, ihn auch noch hier in seinem gestrigen Veitstanze kopierte – weil er selbst davon auf dringendes Verlangen der Gesellschaft nicht die Probe ablegen wollte –, so lachte er zwar erst selber zum Ersticken mit, stellte sich aber darauf, als alles wieder ruhig geworden war, mit dem Teller hinter den Stuhl eines Tischgenossen mir gerade gegenüber, sah mich freundlich an und sagte mit angenommener Einfalt: »Es ist wahr, junger Herr, ich habe meine Freude über Ihre Geschicklichkeit. Sie haben meine Künste nur ein einziges Mal gesehen und doch gleich getroffen. Wenn Sie es doch auf Ihrer Violine auch so geschwind treffen möchten! Aber ja – da haperts denn manchesmal gar sehr. Es trifft gemeiniglich, daß ich gerade um die Stunde, wenn Ihr Lehrmeister da ist, den Gang auskehre, und da höre ich denn gar oft, daß er Ihnen so einen Schnörkel vorzeigt, und da wollen Sie es nachmachen, und da gehts nicht, und da sagt der Lehrmeister: da capo, und dann gehts immer noch nicht, und das währt so hintereinander oft zwanzig-, dreißigmal, und da quiekt es bisweilen so garstig, als wenn sich ein paar Dutzend Katzen herumbissen. – Apropos, Herr Haushofmeister, ich habs Ihnen schon die vorige Woche melden wollen, daß, seit der junge Spaßmacher da« – indem[41] er auf mich zeigte – »im Hause ist, sie die vielen Ratzen und Mäuse halter ganz verloren haben.« – »Brav, Matthes!« fiel ich ihm ein, »Er hat mich für meinen Mutwillen gut bezahlt; ich habs um Ihn verdient.« – »Pfui, Matthes!« sagte Herr Ebert, »da habt Ihr einmal wieder gezeigt, daß Ihr ein plumper, grober Hausknecht seid und nur mit der Holzaxt umzugehen wisset. Nun möcht Ihr selber zusehen, wie Ihr den Kammerknaben wieder gut macht!« – »Nichts für ungut, junger Herr«, sagte er nun im gutmütigsten Tone von der Welt, »es fuhr mir nur so heraus, und ich habs so böse nicht gemeint; verzeihen Sie mir!« – »Von Herzen gern, lieber Matthes«, antwortete ich; »aber nicht nur verzeihen, sondern danken muß ich Ihm für Seine gute Lehre. Da ist ein Zwanzigkreuzerstück; trinke Er ein Maß Wein dafür. Er hat Seine Sache gut gemacht!«


Am Abend des folgenden Tages ward ich unvermutet zum Prinzen gerufen mit dem Bedeuten, eine Sonate mitzubringen, die ich von Herrn Trani soeben gelernt hatte. Ich kam. Die Madame Tesi und Bonno waren eben bei ihm. »Nun«, redete mich der Prinz an, »du wirst dich vielleicht schon oft gewundert haben, daß ich dich seit eilf Wochen noch niemals spielen ließ; aber ich wollte nur um so mehr deine Fortschritte bemerken. Nun spiele!« – Ich spielte meine Sonate, zu welcher Hubaczek akkompagnierte, zu seiner Zufriedenheit. Er winkte darauf Hubaczek, sich zu entfernen; da ich aber glaubte, es gälte auch mir, so wollte ich mit ihm fort. »Bleib da«, sagte der Prinz, »oder bist du etwa schon schläfrig?«

Ich: O nein, Ew. Durchlaucht; es ist ja noch nicht spät.[42]

Er: Wieviel Uhr ist es?

Ich: Ich will sehen (indem ich hinausgehen wollte).

Er: Wohin schon wieder?

Ich: In die Antichambre, um nach der Uhr zu sehen.

Er: Dummer Teufel! Kannst ja nach deiner Uhr sehen.

Ich: Nach meiner?

Er: Ja!

Ich: Ich habe keine Uhr.

Er: Wie? Du hast keine?

Ich: Nein, Ihre Durchlaucht.

Er: Und hast doch deine Lehrstunden pünktlich gehalten? Wie hast du das angestellt?

Ich: Wenn ich wissen wollte, wieviel es an der Zeit war, ging ich nach der Antichambre.

Er: Das ist ja aber abgelegen.

Ich: Ich habe ja gesunde Füße.

Er: Nun, damit du fürs künftige nicht mehr nötig hast, wegen der Uhr Treppe auf, Treppe ab zu laufen (hier zog er eine Uhr hervor und gab sie mir), so nimm diese und geh nach deinem Zimmer.

Ich küßte dem Prinzen dankbar die Hand und ging nach der Tür.

»He! Apropos!« rief er; »noch eins; komm her! Ich höre, daß du hübsch singen und tanzen kannst und daß du dies von dem Hausknecht Matthes gelernt hast.« – Das Blut stieg mir ins Gesicht und ich verstummte. – »Sei nur ruhig«, sagte der Prinz; »die Röte deines Gesichts beweist, daß du dich schämst, und bürgt mir zugleich, daß du dir alle Mühe geben wirst, nie wieder schamrot zu werden. Übrigens sehe ich es viel lieber, wenn meine Leute eines muntern Temperaments sind und Geistesgegenwart haben, als wenn sie phlegmatischen Schildkröten[43] gleich sind, die sich nicht zu helfen wissen. Du hast zwar gefehlt; aber daß du deinen Fehler auf der Stelle repariert hast, macht deiner Gegenwart des Geistes« – auf diese Worte legte er einen besonderen Akzent – »Ehre. Und nun geh, mein Sohn!«

Welch ein gütiger Mann! Wie fein wußte er selbst dem Knaben zu geben! Und wenn ich auch, wie ich hinterher erfuhr, das Präsent nicht meinen Fortschritten in der Musik, sondern seiner Zufriedenheit mit meiner Geistesgegenwart verdankte, wovon er sehr viel zu halten pflegte, so war es doch ebenso klug als schonend von ihm, mich in diesem Glauben zu lassen.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 37-44.
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