Siebentes Kapitel
Ich produziere mich in Wien • Zweckdienliche Epistel für Virtuosen • Kadenzen • Urteil einer Wiener Exzellenz über Mozarts und – Dülons Fantasien

[53] Anfang November trafen wir wieder in Wien ein. Meine Lehrstunden hatten sich um zwei vermindert, denn Reiten und Tanzen fielen weg; aber ich gewann dadurch mehr Zeit, mich für mich allein üben zu können, und das ist bei dem, der es auf einem Instrumente weit bringen will, wie überhaupt bei allen Dingen, die Hauptsache. In der Musik insonderheit kann man ohne das zu gar nichts kommen.

Trani sagte mir, ich müßte mich nun bereit halten, bei jeder Akademie (wie man in Wien die Konzerte nennt), die der Prinz den ganzen Winter hindurch alle Freitage dem hohen Adel zu geben gewohnt war, mit einem Solo aufzutreten. – »Locatellische, Zuccarinische und Tartinische Stücke, wie Sie deren haben, sind zum Exerzieren gut, aber nicht zum Produzieren; auch sind sie hier schon zu bekannt. Also werden Sie jedesmal Ferrarische Stücke, von welchen Sie bereits drei Konzerte und vier Sonaten gelernt haben, spielen. Da aber diese nicht hinreichend sind, so müssen wir uns inzwischen auf neue präparieren, und die Ferrarischen sind gerade die besten zu Studien.«

Ferrari, der große Virtuose auf der Violine, war zwei Jahre vorher, ehe ich in die Dienste des Prinzen trat, zu Wien, hielt sich bei dreiviertel Jahr dasselbst auf und erntete sowohl beim kaiserlichen Hofe als auch bei der Theater-Direktion so wie bei Privatliebhabern nicht nur[54] den größten Beifall, sondern auch die reichlichste Belohnung ein. Ich habe ihn nie spielen gehört; aber ganz Wien hielt ihn damals für den größten Violinspieler. Seine Konzerte und Sonaten, die ich noch immer im Gedächtnis habe, verdienen heute noch Bewunderung. Bei seiner Anwesenheit in Wien wurde Trani sein Busenfreund; überall, wo Ferrari sich hören ließ, mußte er akkompagnieren. Das wirkte so auf ihn, daß er sich Ferraris Methode, Fingersatz, Strich und Vortrag ganz zu eigen machte. Zur Dankbarkeit für das vielfältige Akkompagnieren erlaubte Ferrari ihm, seine schönsten Konzerte und Sonaten abschreiben zu dürfen.

Ungeachtet Trani schon einige Jahre nicht mehr Solo spielte, hatte er doch die Gabe, seinen Schülern das beizubringen, was er selbst nicht mehr auszuüben vermochte. So kam es denn, daß ich die Ferrarischen Stücke ganz nach dem Geschmack ihres Schöpfers spielen lernte, weshalb mich manche Wiener im Scherz Ferraris kleinen Affen nannten.

Als ich das erstemal vor dem hohen Adel auftrat, ward mein Spielen mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Mein Lehrmeister erhielt von allen Anwesenden viele Lobeserhebungen. Einige sagten sogar, daß er an mir einen neuen Ferrari hergestellt habe.

Allein am andern Morgen, als er zur gewöhnlichen Lektionsstunde zu mir kam, bemerkte ich, daß er etwas auf dem Herzen hatte; denn er machte sich, ehe er anfing, so vielerlei zu tun, was er immer pflegte, wenn er mir eine Epistel zu lesen hatte. Ich glaubte, wir würden uns beide noch von gestern her in gleicher Trunkenheit begegnen, und ich konnte daher seinen kalten Ernst nicht begreifen, auch nicht, daß er von selber mit keinem[55] Wort meiner gestrigen Lorbeern erwähnte. Auf meine Frage, ob er etwas gegen mich habe, antwortete er: »Nein! Aber wohl gegen das gestrige Publikum, da Sie's doch wissen wollen.« – Ich stutzte. – »Dies soll Sie nicht beleidigen«, fuhr er fort. »Sie haben sich, mir und dem Prinzen Ehre gemacht; ich bezeige Ihnen darüber auch meine vollkommene Zufriedenheit. Indes hören Sie mir aufmerksam zu und prägen Sie es Ihrem Gedächtnisse ein.

Man hat Ihnen applaudiert; aber merken Sie wohl, nur darum applaudiert, weil Sie noch ein Kind sind und man Ihnen weniger Geschicklichkeit zutrauete, als man wirklich fand. Hätten Sie in Ihrem sechzehnten Jahre so wie gestern gespielt, so würde man Ihr Spiel nicht einmal bemerkt, noch viel weniger bewundert haben. Man hat mir zwar in Ihrer Gegenwart gesagt, daß ich in Ihnen einen zweiten Ferrari hergestellt habe; aber ich versichere Sie, daß das nicht nur ein bloßes Kompliment, sondern eine offenbare Unwahrheit ist; denn ich sage Ihnen frei heraus, daß Sie bis jetzt noch kaum ein Schatten von dem großen Ferrari sind. Es ist meine Pflicht, Ihnen reinen Wein einzuschenken und damit einem frühzeitigen Dünkel vorzubeugen, der sich nur zu bald einstellt und junge Virtuosen unausstehlich macht. Dagegen verspreche ich Ihnen aber auch und kann es, da ich Ihre Anlagen am besten kenne, daß Sie, wenn Sie mit dem Fleiß wie bisher fortfahren, Sie in Ihrem sieben- oder achtzehnten Jahre mit Recht verdienen werden, einem Ferrari an der Seite zu stehen. – Suchen Sie«, fuhr er fort, »bei jedem großen Virtuosen, es sei in der Violine, Singstimme oder andern Instrumenten, mit aller Sorgfalt auszuspähen, was seine Eigentümlichkeiten[56] sind, worin er vorzüglich exzelliert, und dann bestreben Sie sich, die seltenen und echten Schönheiten nicht sklavisch, sondern auf eine liberale Art nachzuahmen und sich zu eigen zu machen, und lassen Sie sich insonderheit durch Ihr eigenes Gefühl leiten. Dann wird ein Künstler aus Ihnen werden. – Und nun zur Lektion, mein Sohn!«

Bisher hatte mich Trani zu den Ferrarischen Konzerten und Sonaten Kadenzen von seiner eigenen Erfindung gelehrt; da er mir aber ein neues Konzert zum Einstudieren brachte, sagte er, von nun an müsse er mir die Erfindung davon selbst überlassen.

Bei dieser Gelegenheit will ich eine hierher gehörige Bemerkung machen.

Kadenzen (in älteren Zeiten legte man denselben den Namen Capriccio bei) waren damals gänge und gäbe, aber bloß in der Absicht, damit der Virtuos seine Geschicklichkeit, aus dem Stegreif etwas hervorzubringen, zeigen könnte. Nachher aber kam man davon ab, vermutlich deswegen, weil durch die Ungeschicklichkeit des Tonkünstlers manchmal das, was er im Konzerte selber gut vortrug, bei der Kadenz wieder verhunzt ward. Dagegen aber entstand eine neue Sitte, die ich nur beim Fortepiano und an Männern wie Mozart, Clementi und andern großen schöpferischen Genies leiden mag, die, um durch das sogenannte Fantasieren ihre schnelle Empfindungskraft zu zeigen, in ein simples Thema übergehen, das sie alsdann nach allen Regeln der Kunst einigemal variieren. Da fanden sich denn aber sehr bald eine Menge kleiner Männerchen, die das alles wie die Affen nachmachten, und jetzt ist die Variier- und Fantasiersucht so allgemein, daß man überall, wo man in[57] Konzerten ein Fortepiano anschlagen hört, gewiß sein darf, mit verkräuselten Thematen regaliert zu werden. Und es wird einem nun gar übel, wenn man unbärtige Burschen Unternehmungen, worauf sich nur Meister einlassen sollten, waghalsen hört, und man möchte davonlaufen, wenn man ihre mit Katzensprüngen und anderm tollen Zeuge angefüllte unreifen Hirngeburten mit ansehen muß.

Wie ärgerte ich mich, als ich vor einigen Jahren einen Dülon mit seiner Flöte hintreten sah und sein Fantasieren mit anhörte, in welchem er, mit meinem ehrlichen krummbeinigen Hausknecht zu reden, allerhand Schnirkel und Kribrefax herdudelte und mit Variationen – nota bene – ohne irgendein Akkompagnement endigte! – Indes, gerade als wir, Kozeluch und ich, uns einander wechselseitig unsern Unwillen darüber äußerten, fielen uns Se. Exzellenz der Graf N.N. allergnädigst ins Wort: »Messieurs! Sie sind beide Diktatoren in der Musik; müssen Sie nicht selbst eingestehen, daß nunmehr die Musik auf den höchsten Gipfel gestiegen sei? Denn, daß sich ein Mozart hinsetzt und auf einem harmoniereichen Fortepiano fantasiert, das ist keine Kunst; aber daß ein Flötraversist uns auf seinem sterilen Instrumente das Nämliche leistet, was Mozart tut (oho! dachte ich), ist das nicht zum Erstaunen? Was sagen Sie dazu, Messieurs?« – »O ja, sehr zum Erstaunen«, sagte ich etwas sehr laut lachend, denn mir fiel gerade Blumauers Beschreibung von den Exzellenzen auf der Insel der Circe ein. Kozeluch hingegen sagte mit seiner gewöhnlichen Professormiene: »O tempora, o mores!« – Das Sonderbarste war, daß Se. Exzellenz weder mein Lachen noch Kozeluchs Exklamation verstand und bei[58] seinem wiederholt nachher gefällten Urteile hinzusetzte, Kozeluch und Dittersdorf wären vollkommen auf seiner Seite. Bravo!

Doch nun wieder zur Geschichte.

Im Dezember desselben Jahrs kam Gluck nach Wien. Schon wußte der Prinz durch seinen Korrespondenten, welchen Beifall dieser würdige Mann in Italien erworben hatte. Eben dieser Korrespondent hatte dem Prinzen einige Wochen vorher die Partitur von der bekannten Arie: Se mai senti spirarti sul volto etc., durch welche Gluck in ganz Italien so viele Sensation erregte, geschickt. Der Prinz ließ sich durch Mademoiselle Heinisch, eine in Wien sehr berühmte Kammersängerin, vortragen, und sie wurde allgemein bewundert. Eine ganz natürliche Folge davon war es, daß der Prinz den Gluck von Person zu kennen begierig ward. Dies wurde durch Bonno veranstaltet, der ihn dem Prinzen vorstellte.

Gluck war im Umgange ein jovialer Mann und besaß auch außer seinem Fache Welt und Lektüre, daher wurde er bald ein Hausfreund des Prinzen. Bei den Akademien, von welchen immer des Abends vorher eine Probe gehalten wurde, damit alles, besonders neue Sachen, recht ordentlich und akkurat gehen sollten, setzte sich Gluck mit der Violine à la tête. Am Probe- und Konzerttage wurde des Prinzen Kapelle mit einer beträchtlichen Anzahl der gewähltesten Orchesterspieler verstärkt; daher war es kein Wunder, wenn unsere Akademien in ganz Wien für die besten anerkannt wurden.

Im Singen traten gewöhnlich auf: Mad. Tesi, die wir schon kennen, Mlle. Heinisch, die eine wunderschöne Sopranstimme hatte und dabei auch bildschön war. Ungeachtet man ihr die größten Anerbietungen machte,[59] so war sie doch nie zu bewegen, sich auf einem öffentlichen Theater zu engagieren; bei Kammermusiken aber ließ sie sich für ein Douceur hören. Der Prinz hatte sie ein für allemal für seine Winterkonzerte engagiert. Ferner sang Herr Joseph Fribert, ein Tenorist, den Bonno gebildet hatte und der in wirklichen Diensten des Prinzen war. Auf Instrumenten ließen sich gewöhnlich hören: Herr Gentsch auf dem Violoncello; Herr Tüne auf dem Fagott; Herr Schmit auf der Hoboe so wie auch auf dem englischen Horn; beide Hubaczek auf dem Waldhorn, zuweilen einzeln, zuweilen a due, und endlich meine Wenigkeit. Außerdem aber, wenn ein Virtuos, es sei im Singen oder auf einem Instrumente, nach Wien kam und den Beifall des Publikums in Wahrheit verdiente, so mußte Bonno vorher des Preises wegen mit ihm einig werden, und dann ließ ihn der Prinz kommen. Daher geschah es, daß ich bei unsern Akademien eine Gabrieli, einen Guarducci, Mansoli im Singen; einen Pugnani, Van Maldre auf der Violine; einen Besozzi auf der Hoboe; einen Le Claire auf der Flöte; einen Stamitz, Leutgeb auf einzelnem Waldhorn und dergleichen seltene Virtuosen mehr zu hören bekam.

Gluck ließ dem Prinzen viele seiner Kompositionen, als Sinfonien und Arien, abschreiben, und jedes Stück von der Feder dieses würdigen Kompositeurs war ein neuer und delikater Ohrenschmaus für uns.

Graf Kaiserling, der damalige russische Botschafter in Wien, war ein intimer Freund des Prinzen. Als er eines Tages bei dem Prinzen en ami speiste, verfiel der Diskurs auf die Musik. »Apropos!« sagte Kaiserling, »endlich sind die bei Benda in Berlin bestellten zwölf Konzerte für die Violine angekommen.«[60]

»So?« sagte der Prinz. »Wer hat sie denn gespielt?«

Kaiserling: Ein gewisser Reinhard.

Prinz (zum Bonno): Kennen Sie den Reinhard?

Bonno: Ja, Ew. Durchlaucht.

Prinz: Was ist das für ein Mann?

Bonno: Hm! er ist kein Hexenmeister; es gibt wohl noch viel bessere hier.

Kaiserling: Ei das wäre? Ich habe doch den Kapellmeister vom hiesigen Dom ersuchen lassen, mir den ersten Violinisten herzuschicken; und der muß doch wissen, wer der beste in Wien ist.

Bonno: Ei, da hätten Ew. Exzellenz nicht den ersten, sondern den besten verlangen sollen. Reinhard ist zwar der erste Violinist bei St. Stephan, aber nicht der beste in Wien.

Kaiserling: Indessen hat doch Reinhard die sechs Konzerte, die ihm vorgelegt wurden, nicht nur a vista getroffen, sondern auch recht artig und nett vorgetragen.

Bonno: Wundert mich sehr – Bendaische Konzerte ...

Kaiserling: Sind aber auch nicht so schwer als die, welche er für sich selbst gesetzt; denn ich habe vom Fürsten N. in Petersburg die Kommission übernommen, diese Konzerte nicht in seinem, sondern in meinem Namen zu bestellen; daher hat sie auch Benda an mich hierher und nicht nach Petersburg adressiert. Ich werde sie mit dem nächsten Kourier expedieren. Wenn aber (zum Prinzen) Ew. Durchlaucht Belieben tragen, sie zu hören, so bestellen Sie Ihre Kapelle und ich bestelle den Reinhard, dann können wir heute abend sechse und morgen abends die andern hören.

Der Prinz: Warum nicht alle zwölf noch heute?[61]

Kaiserling: Das geht nicht; Reinhard hält es nicht aus. Denn als er gestern bei mir die ersten sechse gespielt hatte, war er müde genug und konnte nicht mehr.

Prinz: Ja, das ist was anders. Daran dachte ich nicht.

Graf Kaiserling fuhr nach der Tafel nach Hause, bestellte Reinhard zum Prinzen, und dieser spielte die ersten sechse denselben Abend. Wir alle, selbst Bonno, Gluck und Trani waren über die Schönheit der Konzerte entzückt, und Reinhard hatte sie in der Tat sehr sauber und niedlich vorgetragen; nur war mirs nicht recht, daß er, wenn Kadenzen vorkamen, keine machte, sondern gleich in den Triller überging.

Den Tag darauf sprach der Prinz, wie mir vom Baron Ende, der das Aufwarten hatte, erzählt ward, mit Gluck und Bonno über diese Violinkonzerte und lobte den Reinhard. »Hm!« versetzte Bonno, »ich wette, Karl hätte sie ebenso gut gespielt.«

Der Prinz: Das wäre der Teufel!

Bonno: Ja! Ich stehe dafür.

Prinz (zu einem Bedienten): Holt mir den Karl! – Ich kam.

Prinz (zu mir): Haben dir die Bendaischen Konzerte gefallen?

Ich: O ja, Ew. Durchlaucht! Sie sind wunderschön.

Prinz (schmunzelnd): Aber schwer.

Ich: Ich dächte nicht; die Passagen liegen gut in der Hand.

Prinz: Wie kannst du das sagen, da du noch keins gespielt hast?

Ich: Das wäre nicht gut, wenn ich das nicht vom bloßen Hören wissen sollte.

Gluck: Dice bene, ha ragione.[62]

Prinz: Hättest du wohl Kourage, die andern sechse vom Blatte zu spielen?

Ich: Wenn sie nicht schwerer sind als die gestrigen, warum nicht?

Prinz: Wenn ich nun dem Gesandten sagen ließe, ich wollte ihm statt des Reinhard einen andern Violinisten stellen?

Ich: Tun das Ew. Durchlaucht immerhin.

Prinz: Wenn du aber stecken bleibest und ich darnach zu Schanden würde?

Ich: Da will ich auf acht Tage zum Portier in Arrest bei Wasser und Brot gehen.

Gluck (zum Prinzen): Mi piace la presenza di spirito di questo ragazzo.

Bonno (lachend zum Gluck): Oh, das hat Karl so gut verstanden, als wenn Sie es deutsch gesagt hätten.

Gluck: Nun, desto besser.

Der Prinz sandte auf der Stelle zum Grafen, und zu mir sagte er: »Nun geh und sieh zu, ob deine Violine gut im Stande ist.«

Ich: Oh, das ist sie immer. Herr Trani hat mir ein für allemal gesagt, ein Violinist müsse des Abends nie schlafen gehen, ohne vorher sein Instrument untersucht zu haben, ob auch eine falsche Saite darauf sei; die reine, die er dafür aufziehe, könne sich über Nacht ausdehnen und den andern Tag desto besser Stimmung halten.

Gluck lächelte zufrieden.

Ich ging auf mein Zimmer, nahm meine Violine und präparierte mich zu Kadenzen, sowohl in der harten als weichen Tonart. Trani kam dazu, schüttelte mit dem Kopf, als er von meinem Wagstück hörte, aber sprach[63] mir doch Mut ein und empfahl mir die strengste Aufmerksamkeit.

Die Musik begann, ich spielte die andern sechs Konzerte, die Reinhard noch nicht gespielt hatte, mit der möglichsten Anstrengung durch und unterließ nicht, an Orten, wo es angezeigt war, förmliche Kadenzen anzubringen. Aus dem Gespräche der sämtlichen Zuhörer, unter welchen Gluck sich am lebhaftesten äußerte, bemerkte ich, daß man das nicht erwartet hatte und zufrieden war. Als ich Trani fragte, ob ich den Prinzen wohl um die Erlaubniß bitten könnte, die andern sechs auch noch zu spielen, so sagte er zwar: »Wenn Sie nur nicht mit den letzten wieder verderben, was Sie mit den ersten gut gemacht haben«; indes als ich darauf bestand, so ging er mit den Worten: In nome di Dio! zum Prinzen. Kurz, ich spielte sie ebenfalls durch, und sie kamen mir nicht halb so schwer an.

Was hierüber gesprochen wurde, verschweige ich, damit ich nicht des Eigenlobes beschuldigt werde. Ich frage aber jeden Unparteiischen, wer verdiente eigentlich Lob dafür? Unstreitig mein Lehrmeister, der sich so redliche Mühe um mich gab, insonderheit aber der gute Herr, der so viel aufwendete und sich meine Kultur so angelegen sein ließ. Und doch, diesen meinen braven Wohltäter – – doch ich mag mir nichtvorgreifen.

So schön mir alles nun gelungen war, so blieb doch wie gewöhnlich die Epistel meines wackern Lehrers nicht aus. »Ehre dem Ehre gebühret!« sagte er, als er am folgenden Morgen zur Lehrstunde kam. »Sie haben sich gestern brav gehalten, und ich bezeuge Ihnen hierüber meine aufrichtige Freude. Aber, aber! Hüten Sie sich, dergleichen Wagstücke öfters zu versuchen. Ich habe[64] schon manchen kapitalen Virtuosen dabei straucheln und sich um seine Reputation bringen gesehen. Daß Sie gestern gut fortgekommen sind, haben Sie bloß dem blinden Glücke zu verdanken. Ich will den Fall setzen, während dem Spielen und gerade ein paar Takte vor den Arpeggios, die fast in jedem dieser zwölf Konzerte vorkommen, wäre Ihnen eine Saite gerissen. Wie hätten Sie viersaitige Arpeggios auf drei Saiten bei einem Konzert, das Sie nicht nach meiner Methode einstudiert haben, exekutieren oder aus dem Stegreif variiren können? Mußten Sie nicht stecken bleiben? Ich habe Sie zwar bei Ihren Exerzitien sich stets auch auf den Fall mit drei Saiten präparieren lassen; aber bei Sachen, die Sie gar nicht kennen, ist das beim Teufel doch wohl etwas anderes? – Ich bitte, das nicht für ungut zu nehmen.«

In der Tat ließ dieser vortreffliche und vorsichtige Lehrmeister mich allemal, wenn ich mein Konzert mit aller Präzision vorzutragen gelernt hatte, dasselbe noch einmal auf drei Saiten spielen, und diese Übung ist mir in meiner Virtuosenlaufbahn späterhin sehr oft zu Statten gekommen.

Der Prinz fuhr oft und meistenteils des Vormittags nach Hofe. Einmal kam er mit der Nachricht von dort zurück, der Kaiser habe ihm versprochen, ihn mitten im künftigen Juli mit der Kaiserin und einigen der ältesten Erzherzoge und Erzherzoginnen auf einige Tage in Schloßhof zu besuchen. Er entschloß sich daher, statt wie gewöhnlich Anfang Juni schon Anfang April mit allen seinen Leuten dorthin zu gehen, um die gehörigen Anstalten und Vorbereitungen zur Bewirtung und zum Vergnügen dieser hohen Gäste zu treffen. Es wurden[65] daher noch verschiedene Leute angenommen, z.B. ein Ingenieur, ein Maler, ein Bildhauer usw. Die Kapelle wurde um fünf Personen verstärkt, nämlich mit einem Kontrabassisten, einem Violoncellisten und drei Violinisten, unter welchen letztern mein jüngerer Bruder Alexander war, der sich bereits zum fertigen Orchesterspieler gebildet hatte. Der Prinz gab ihm den Offiziantentisch und meinem ältern Bruder eine monatliche Zulage von zwölf Gulden, wofür er dem Alexander fernern Unterricht in der Violine geben, ihn kleiden und auf seinem Zimmer wohnen lassen sollte. Die Kleidung jedoch übernahm mein Vater.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 53-66.
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