Siebzehntes Kapitel
Schändliche Delation bei Maria Theresia • Leiden des Bischofs • Die Kapelle wird zerstört • Pichels Heiratsgeschichte

[155] Der Bischof war nicht nur für sich selbst schon ein großer Freund vom Militär, sondern wurde auch von der unvergeßlichen Kaiserin Maria Theresia dazu aufgemuntert; denn sie sagte ihm bei einer Audienz: »Sie werden mich sehr obligieren, wenn Sie mit Ihrer Garnison in Großwardein gut harmonieren.« – Dieser Wink war für den Bischof hinreichend, um dieser Garnison, vom Chef bis zum gemeinen Mann, alle mögliche Politesse zu erzeigen.

Sollte man wohl denken, daß gerade das die Ursache wurde, warum die Kapelle des Bischofs zerstört ward?

Bei einer in Ungarn damals nicht ungewöhnlichen Dislokation der Garnisonen traf es, daß das Regiment in ein anderes Komitat verlegt wurde und dafür das Regiment Neukleinhold in Großwardein einrückte. Der Obrist von letzterm Regimente war aus der Familie der Prinzen Hohenlohe-Schillingsfürst. Er war ein Herr von 27 Jahren, ein großer Freund der Musik und des Theaters, auch überdies ein außerordentlicher Liebhaber vom Tanzen. Es war daher kein Wunder, daß der Bischof demselben nicht nur alle Politesse, die einem Prinzen gebührte, erzeigte, sondern auch dessen Lieblings-Leidenschaften zur Musik, dem Theater und Tanze auf alle mögliche Art zu befriedigen suchte. Als der Prinz unsere erste Musik gehört hatte, versicherte er dem Bischof auf seine Ehre, daß er an keinem reichsfürstlichen Hofe, außer Braunschweig,[156] München, Mannheim und Stuttgart, eine so wohl eingerichtete Kapelle angetroffen habe. Ebenso vergnügt war er, als er unsere Oper: Amore in musica hörte. Er lud mich am folgenden Mittage zur Tafel. Während der Mahlzeit erzählte er mir, daß er einen Stallmeister habe, der nicht nur einen artigen Tenor sänge, sondern auch auf dem Theater gut zu gebrauchen wäre, und daß mir dieser, sooft ich ihm eine Rolle geben würde, zu Diensten stände.

Bei diesem Regimente befand sich auch ein Oberlieutenant, Graf Strasoldo, der eine schöne Tenorstimme und die Musik vollkommen inne hatte; ebenso war auch der Auditeur vom Regiment, Herr von Wreden, ein guter Akteur und ganz Baß. Diese beiden boten sich selbst an. Endlich war auch des Obristlieutenant Grafen Figuemont Tochter, Comtesse Josephe, erbötig, unser Theater zu betreten, um, wie ihr Vater sagte, die Politesse zu erwidern, die der Bischof der ganzen Garnison erwiese. Sie war sehr musikalisch, hatte eine angenehme Stimme und war eine Schönheit vom ersten Rang. Man kann leicht denken, wie sehr ich diese Anerbietungen benutzte, und wie dadurch unser Haustheater zu einer Art von Vollkommenheit gelangte, die ich nachher auf meinen Reisen bei vielen Provinzialtheatern, als Grätz, Pest, Preßburg, Brünn usw., vermißt habe.

Ich muß aufrichtig bekennen, daß ich durch meinen Aufenthalt in Großwardein und durch die immerwährenden Versuche von Theaterkompositionen die Kenntnisse erworben habe, mittelst welchen ich in meinem männlichen Alter das Glück gehabt, so manche Sensation zu bewirken.

Es versteht sich, daß ich nicht nachließ, unsere Akteurs[157] in beständiger Übung zu erhalten, um unsern verehrungswürdigen Prinzen zu amüsieren. Aus eben diesem Grunde gab der Bischof nicht nur im Fasching, sondern auch selbst im Sommer manchesmal Bälle und Spektakel auf dem Theater; nur zur Advent-und Fastenzeit wurde der so beliebte Isaak gegeben. Daher war Großwardein in einen Ort umgeschaffen, der jedem Liebhaber eines anständigen Vergnügens trefflich behagte.

An einem Abende, an welchem ein Ball in der bischöflichen Residenz bestimmt war, präparierte der Prinz, um den Bischof zu überraschen, in aller Stille mit seinen Offizieren und den Großwardeiner Damen eine Maskerade, die in einer Bauernhochzeit bestand und elegant ausgeführt wurde.

Als des Prinzen Geburtstag (mich dünkt, es war im Sommer) eintraf, lud dieser den Bischof acht Tage vorher auf ein Diner von vierundzwanzig Kouverts ein und verhehlte ihm nicht, daß er an dem nämlichen Abende der Großwardeiner Noblesse auf dem Rathause, weil die Zimmer seines Quartiers zu eng wären, einen Ball zu geben beschlossen hätte.

Da nun der Bischof dem Prinzen für seine letzthin angestellte Maskerade ebenfalls ein unerwartetes Vergnügen bereiten wollte, so fragte er mich dieserhalb um Rat. Ich proponierte einen türkischen Einzug. Mein Vorschlag wurde genehmigt, und unter Begleitung einer türkischen Musik ging der Zug über den großen Platz in der Stadt aus des Bischofs Residenz, woselbst sich die Maskerade versammelt hatte, nach dem Saale des Rathauses.

Aber man sehe, wie weit die Bosheit ging, die eine an sich selbst unschuldige Sache mit so schwarzen Farben zu malen sich erfrechte![158]

Der Bischof hatte unter seinen Domherren einen heimlichen und rachgierigen Feind. Dieser war über eine Sache, bei welcher der Bischof keinen Anteil hatte, höchst aufgebracht.

Es ist nötig zu wissen, daß die ungarischen Bischöfe nicht durch die Wahl der Domherren, wie bei andern Bistümern gebräuchlich ist, kreiert werden, sondern ein König von Ungarn hat unmittelbar das Recht, den Bischof so wie den Dompropst zu bestimmen, zu benennen und einzusetzen. Nach dem Tode des vormaligen Dompropstes ernannte die Kaiserin, als Königin von Ungarn, an die Stelle des Verstorbenen einen gewissen Grafen Kolonics aus einer der ansehnlichsten Familien in Ungarn. Obgedachter Domherr hatte sich auf diesen Posten gespitzt; da er aber leer ausging, so glaubte er steif und fest, der Bischof habe der Kaiserin den Kolonics vorgeschlagen, und deswegen sei er übergangen worden; daher kam eben sein Haß gegen seinen Bischof. Was tat der Nichtswürdige? – Er steckte sich hinter eine Favoritin der Kaiserin und ließ durch sie der Monarchin hinterbringen: daß der Bischof nicht nur ein stehendes Theater unterhalte, sondern auch zu verbotenen Zeiten, als Fasten und Advent, darauf Komödien spielen lasse. – Daß er nicht nur das ganze Jahr hindurch Bälle, sondern auch maskierte Bälle gebe, ja letzthin selbst verordnet habe, daß ein ganzer Zug von mehr als funfzig vermummten Menschen aus dem Bischofhofe über den Marktplatz der Stadt öffentlich und unter Vortretung einer lärmenden Musik gezogen sei, und daß diese und noch mehr dergleichen Auftritte dem ganzen Klerus zum größten Skandal gereichten.

Der heimtückische Mensch! – Er wußte gar wohl, daß[159] die Kaiserin nie erlaubte, an heiligen Zeiten auf einem, es sei öffentlichen oder Privattheater Komödien oder Opern zu spielen. Aber geistliche Stücke, nämlich Oratorien, waren erlaubt. Folglich war die erste Angabe schon eine Lüge, weil Isaak ein Oratorium war. Ebenso wußte er, daß die Kaiserin die Masken – aber nur die verlarvten – verboten hatte; daher bediente er sich des Wortes: vermummt, damit die Monarchin glauben sollte, es wären verlarvte Maskeraden gewesen. – Ebenso war es auch grundfalsch, daß der ganze Klerus sich darüber skandalisiert hätte; denn es war außer dem Denunzianten keiner unter den Domherrn, der nicht unsere Theater-Spektakel gesehen und sich daran, statt zu ärgern, höchlich ergötzt hätte.

Was waren die Folgen dieser Denunziation? – Der Bischof erhielt von dem Kabinetts-Sekretär der Kaiserin, Baron von Pichler, ein Privatschreiben folgenden Inhalts:


Sub rosa berichte ich Euer Exzellenz, daß Dieselben bei I.M. der Kaiserin über folgendes denunziert sind; nämlich: Daß auf dem Theater, das im Bischofhofe errichtet ist, in der Advents- und Fastenzeit Komödien gespielt werden, welches in allen k.k. Staaten gescharf verboten ist. Ferner: daß in dem Bischofhofe das ganze Jahr hindurch nicht nur maskierte Bälle gehalten werden, sondern daß sogar zum Skandal des Großwardeiner Kleri eine ganze Truppe maskierter Personen bei einer lärmenden Musik aus dem Bischofhofe durch die Stadt über den großen Platz gezogen wäre. I.M. werden daher vermutlich demnächstens die Sache durch eine eigens von Wien abzuschickende Kommission untersuchen lassen.[160] Dieser Prostitution aber können Euer Exzellenz vorbeugen, wenn Dieselben, je eher je besser, den Stein des Anstoßes hinwegräumen. Werden Euer Exzellenz dieses aus eigenem Antriebe tun, so stehe ich dafür, daß I.M. die Untersuchung niederschlagen werden, etc.


Dieses Schreiben intimidierte den Bischof dergestalt, daß er, so klug er sonst war, dennoch alle Besinnung verlor. Er verschloß sich nach der Tafel und ließ niemanden ganze vier Stunden vor. Endlich am Abend ließ er mich rufen und sagte mit einer sehr niedergeschlagenen Miene: »Willst du nicht morgen mit mir nach Bellènieß (einem dem Bistum gehörigen Landgute, woselbst ein niedliches Wohnhaus war) fahren?« – »Ich bin zu Befehl«, antwortete ich. »Punkt sechs Uhr«, erwiderte er, »werden wir morgen früh reisen.« Mit dem Glockenschlag saßen wir in dem Wagen. Schon waren wir beinahe eine Meile gefahren, und der Bischof hatte noch keinen Laut von sich gegeben. Endlich entstand folgendes Gespräch:

Ich: Euer Exzellenz sind doch wohl nicht krank?

Er: Jawohl, mein lieber Karl! Ja wohl bin ich krank; aber nicht am Körper, sondern am Gemüte.

Ich: Darf ich mich erkühnen zu fragen, was E.E. am Herzen liegt?

Er: Ich habe dich deswegen mitgenommen, um dir meinen Kummer zu entdecken. (Hier zog er des Baron Pichlers Brief hervor.) Da! Lies einmal!

Ich (nachdem ich den Brief dreimal durchgelesen hatte): Welch gottlose Verleumdung! Welch ehrvergessene Lügen!

Er: Lügen sagst du? Ist es etwa nicht wahr, daß zur[161] Advents- und Fastenzeit auf meinem Theater gespielt worden ist?

Ich: Distinguo! – Komödien, Tragödien, Drama und überhaupt alle weltliche Stücke sind zu diesen Zeiten streng verboten; aber Oratorien sind erlaubt. Ich habe selbst mitten in der Fasten bei eben dem nämlichen Oratorium: Isaak von Bonnos Komposition in Gegenwart des ganzen kaiserlichen Hofes und des höchsten Adels im Orchester mitgespielt.

Er: Nun, das mag sein. Doch es ist keine Lüge, daß ich einen Ball gegeben, bei welchem eine Maskerade von einer Bauernhochzeit war – daß ich selbst einen öffentlichen Einzug in türkischer Maskerade veranstaltet habe.

Ich: In Ansehung der Maskerade eine ebenso niederträchtige Lüge. Denn – Larven ohne Ausnahme sind in den k.k. Erblanden streng verboten, aber anständige Verkleidungen, als zum Beispiel: Domino, Bauern- oder Nationaltrachten, wenn nur das Angesicht nicht verlarvt ist, sind durchgängig erlaubt. Ich selbst bin öfters auf der Redoute zu Wien bald im Domino, bald in spanischer Tracht, bald als Nobile Veneziano, bald als holländischer Bauer gewesen. Da nun die eine unserer Maskeraden in einer Bauern-, die andere in einer Nationaltracht bestand und keiner von den Verkleideten mit einer Larve vor dem Angesicht erschien, so ist auch hierbei nicht wider den Hofverbot gesündigt worden; folglich können E.E. hierüber nie zur geringsten Verantwortung gezogen werden.

(Er biß sich in die Lippen und blieb stumm.)

Ich: Was werden E.E. dem Baron Pichler antworten?

Er: Ich habe ihm schon geantwortet.[162]

Ich: Doch vermutlich, daß es eine falsche und unwahrhafte Denunziation sei?

Er: O nein! ganz was anderes.

Ich: Nun?

Er: Daß ich ihm für seinen gütigen Wink danke und auf der Stelle beschlossen habe – um den Stein des Anstoßes auf die Seite zu räumen – nicht nur Theater und Bälle zu kassieren, sondern auch den größten Teil meiner Kapelle zu entlassen.

Ich: Den Brief müssen E.E. wieder zerreißen.

Er: Er ist schon fort; ich habe ihn gestern abend durch eine Stafette nach Wien expediert.

Ich: O weh! – Verzeihen mir E.E., da haben Sie sich übereilt.

Er: Leider, leider habe ich mich übereilt! O hätte ich dich doch gestern, ehe ich diese unselige Antwort schrieb, rufen lassen! – Aber jetzt ist es zu spät. Du wirst selbst einsehen, daß sich nun nichts mehr ändern läßt.

Ich (mit Achselzucken): Freilich läßt sich nichts mehr ändern. Jammerschade, daß die so gut eingerichtete Kapelle zerrissen werden soll!

Er: Jawohl, jammerschade! – Laß uns davon abbrechen.


Um drei Uhr nachmittags langten wir in Bellènieß an. – Nach aufgehobener Tafel sagte der Bischof: »Komm in einer Stunde zu mir; ich will dir meine Entschließung bekannt machen, nach welcher du alsdann deine Maßregeln zu nehmen hast.«

Ich kam, und folgendes wurde gesprochen.

Er: Ich bin willens, so lange hier zu bleiben, bis meine Kapelle sich ganz zerstreut hat; denn mein Herz würde es nicht aushalten, wenn sich die braven und guten Leute[163] bei mir beurlaubten. Dich – den Pater Michael – und die beiden Waldhornisten will ich noch behalten.

Ich: Nehmen E.E. nicht ungnädig: Was soll ich hier ohne Kapelle?

Er: Als mein Freund bis an meinen Tod bei mir bleiben, den bisher gehabten Gehalt und dieselben Vorteile beziehen und mich dafür trösten.

Ich (nach einer Pause): E.E. werden selbst einsehen, daß ich ohne eine Kapelle mein Talent sowohl zur Violine als zur Komposition vergraben müßte. Ich bin daher willens, auf Reisen zu gehen und mich sodann an irgendeinem Orte oder Hofe, wo es mir gefällt, zu etablieren.

Er: Dein Vorhaben ist so lobenswert, daß ich es für Sünde halte, dich davon abwendig zu machen. Versuche also dein Glück in der Welt, es wird dir nirgends an Unterkommen fehlen. Solltest du aber – dafür dich Gott behüte – ein auf Reisen gar leicht mögliches Unglück haben, eine Hand oder einen Arm zu brechen, so komm zu mir; deinen jetzigen Gehalt wirst du immer, solang ich lebe, bei mir finden, und ich werde dafür sorgen, daß du auch nach meinem Tode nicht darben sollst. Morgen um eilf Uhr erwarte ich dich in meinem Zimmer; bis dahin wirst du meine Anstalten wegen der Kapelle finden.

Als ich am andern Tage kam, überreichte mir der Bischof einige eigenhändig geschriebene Papiere und sprach: »Hier hast du die Liste derjenigen Personen, die ich entlasse. – Hier einen Befehl an den Haushofmeister, nicht nur binnen drei Tagen jedem Entlassenen das in fünf Wochen gefällige Quartal bar, sondern auch überdies noch jedem statt Reisekosten eine dreimonatliche[164] Gage zu bezahlen – hier einen Befehl an meinen Haussekretär, daß er jedem einen Abschied und Zeugnis seines Wohlverhaltens nach beiliegendem Formular ausfertige und mir zur Unterschrift hierherschicke – hier einen Befehl an meinen Stallmeister, daß er euch bis Pest Pferde und gute Wägen gebe – und hier noch einen kleinen Zettel an den Haushofmeister, daß er den Koch Peter Haßmann samt einem Lehrkoch und einem Hausknechte mit hinlänglichen Viktualien und Wein mit euch schicke, damit ihr bis Pest die sechs Tage, die ihr bis dahin zubringen werdet, mit Speise und Trank genugsam versehen seid.

Und nun noch eins: Verhindere, daß keiner von den Entlassenen hieher komme, um sich etwa bei mir zu beurlauben; denn das würde mir nur meine Wunde wieder aufreißen. Nur dich allein, mein Sohn! nur dich allein will ich noch einmal hier in Bellènieß sehen.

Hiernächst gönne ich jedem Entlassenen so viel Zeit, als er, um sich zu seiner Reise zu arrangieren, bedarf; doch sähe ich auch gern, wenn ihr alle an einem und eben demselben Tage zugleich abreisen möchtet, um so mehr, als ich alle Anstalten zu eurer Beköstigung und Bequemlichkeit bis Pest getroffen habe. Morgen früh gehst du nach Großwardein, besorgst alle meine Kommissionen und kömmst vor deiner Abreise noch einmal zu mir.« – Ich versprach es; nur erkundigte ich mich, ob ich dem Hofmeister die Ursache mitteilen dürfte, warum die Kapelle entlassen sei. »Allerdings«, sagte der Bischof; »nicht nur der Hofmeister, sondern die ganze Stadt soll zu eurer Rechtfertigung wissen, daß ihr unverschuldet aus meinen Diensten gehet.«

Man kann leicht denken, welch ein Donnerschlag meine[165] traurige Nachricht für ganz Großwardein war. Sowohl die verabschiedete Kapelle als die Großwardeiner Inwohner wurden über diese Nachricht mißmütig; erstere, weil sie einen so vortrefflichen Dienstherrn verloren; letztere, weil alle angenehme Unterhaltungen, woran jeder seinen Anteil nehmen konnte, so plötzlich in die Luft gesprengt waren, wodurch Großwardein neuerdings in die vormalige wüste Einöde umgestaltet wurde. Niemand war über diese Nachricht untröstlicher als mein lieber Pichel. Allein, ich hatte während meiner Rückreise von Bellènieß nach Großwardein seinem Liebeshandel nachgedacht und einen Plan entworfen, dessen glückliche Ausführung zwar noch im weiten Felde lag. Ohne dem Pichel ein Wort von meinem Plane zu sagen, ging ich an dem Abende meiner Zurückkunft zu einem Domherrn, von welchem ich wußte, daß er mit dem alten Herrn von Samogy (dem Vater der Geliebten des Pichels) in enger Freundschaft lebte. Es gelang mir bald, diesen würdigen Geistlichen in Pichels Interesse zu ziehen, und er versprach mir, das Seinige beizutragen. Da ich ihm aber vorstellte, daß keine Zeit zu verlieren wäre, so verabredeten wir, daß er am folgenden Mittage den Samogy einladen wolle, und ich sollte auch da speisen.

Bei der Tafel jagte der Domherr seinem alten Freunde einige Gläser des vortrefflichsten Tokaiers ein, und dieser Nektar stimmte den Herrn Papa in die beste Laune. Diese benutzte der Domherr vortrefflich, und Samogy gab die Einwilligung zur Heurat des Pichels mit seiner Tochter. Voll Freude über die glückliche Wendung sagte ich: »Herr von Samogy! Ihnen ist gewiß das alte Sprichwort: Qui cito facit, bis facit bekannt! Wie wäre es, wenn wir heute noch die Eheversprechen hielten?« Samogy sprach[166] gut deutsch und hatte wenigstens nicht so viel Nationalhaß gegen unsere Nation. »Meinetwegen!« sagte er; »ich bin es zufrieden.« – »Bravo!« fiel der Domherr ein, »wir wollen das Verlöbnis heute abend bei mir halten, und ich gebe euch obendrein ein gutes Nachtmahl.« – »Wohl!« sagte der alte Herr. »Hören Sie!« fiel ich ein, »wir wollen aber unsere jungen Brautleute überraschen. Haben Sie die Güte, Herr von Samogy, Ihrer Fräulein Tochter kein Wort von Ihrer Einwilligung zu sagen, sondern sie bloß zum Souper bei Seiner Hochwürden mitzubringen. Ich will es mit Picheln ebenso veranstalten.« Mein Projekt gefiel, und wir verabredeten noch eines und das andere, um unser Vorhaben desto auffallender zu machen.

Ich ging nach Hause, suchte Picheln auf und proponierte ihm einen Spaziergang. Er war bereit und sagte: »Bis um sieben Uhr abends bin ich Ihnen zu Befehl, aber dann muß ich Sie verlassen, denn ich habe um diese Stunde meiner Caton (der Name seines Mädchens) versprochen, sie zu besuchen.« Während unserm Spaziergange klagte mir der Trostlose sein Unglück; ich bedauerte ihn zum Schein und sagte ihm ungefähr das Nämliche, was er mir, als ich vormals in einer ebenso betrübten Situation war, gesagt hatte. Geflissentlich lenkte ich den Spaziergang so ein, daß wir im Rückwege gleichsam zufälligerweise bei dem Hause des obgesagten Domherrn vorbei mußten. Nach unserer Verabredung stand der Domherr wie von ungefähr am Fenster. Wir grüßten ihn; er dankte uns und rief herab: »Wo soll der Weg hingehen?« – »Nach Hause«, sagte ich. »Ist denn die Neuigkeit wahr«, fuhr er fort, »die in der ganzen Stadt zirkuliert?« – »Leider!« antwortete ich. »Ei!«[167] sprach er; »kommen Sie doch beide ein wenig herauf und erzählen Sie mir die Sache!« Wir gingen hinauf, und ich verschwieg nicht das Mindeste. Pichel ward unruhig, da es nahe an sieben Uhr war, und machte Anstalt zum Gehen, als auf einmal Samogy mit seiner Tochter eintrat. »Da heute so ein schöner Tag ist«, sagte er, »so habe ich mir unmöglich einen Spaziergang mit meiner Tochter versagen können, um Euer Hochwürden bei dieser Gelegenheit eine Visite zu machen.« – »Brav«, sagte der Domherr; »da wir in so hübscher Gesellschaft einmal beisammen sind, so dächte ich, blieben wir auch beisammen zum Souper.« Wir nahmen die Einladung an, der Domherr klingelte und befahl, seinem Koch zu sagen, daß er für fünf Personen das Abendessen anrichten solle.

Endlich setzten wir uns zu Tische. Unter vielerlei Discoursen lenkte unser Hauswirt das Gespräch unvermerkt auf eine bekannte Heirat. »Apropos!« fiel ihm der alte Samogy ins Wort, »wissen Sie auch, daß meine Tochter ebenfalls Braut ist?« – »Sie spaßen?« sagte der Domherr. »Nein, ich spaße nicht«, erwiderte der Alte. »So wahr ich Samogy heiße, so wahr ist meine Tochter Braut.« Pichel und seine Caton erblaßten. »Wer ist denn der Bräutigam?« fragte der Domherr. »Raten Sie!« – Der Domherr nannte wohl sechs bis sieben der jungen Edelleute, die sich in- und außerhalb Großwardeins befanden, und zögerte geflissentlich nach jedesmaligem Raten. Als es keiner von ihnen war, rief der Domherr mit verstelltem Unwillen: »Ei, was soll ich mir erst noch länger den Kopf zerbrechen! Mags sein, wer will.« – »Nun!« versetzte Samogy, »so muß ich den Bräutigam schon selbst nennen. Es ist – es ist – kein anderer als –[168] hier unser Pichel!« Beide Verliebte staunten den alten Herrn sprachlos an. »Ei zum Henker!« rief dieser, »ich glaub gar, ihr zweifelt an der Wahrheit!« Hastig stand er auf, trat zwischen beide Verliebte, die nebeneinander saßen, legte ihre Hände zusammen und sprach: »Hier habt ihr meine Einwilligung und meinen väterlichen Segen.«

Es wäre überflüssig, die allseitigen Empfindungen zu beschreiben, da man sich dieselben ohnehin vorstellen kann. Als sich der alte Herr wieder an seinen Platz gesetzt hatte, sagte er zu beiden: »Liebe Kinder! Euch eine Prunkhochzeit zu machen, bin ich nicht Willens, das Geld dafür wird euch in der Tasche besser behagen. Zugleich wünschte ich, daß euch, da ihr in der Stille getraut werden sollt, der Bischof vom öffentlichen Aufgebot dispensieren möchte.« – »Das will ich bewirken!« fiel ich ein.

Der Domherr ließ ein paar Fläschchen von seinem alten Kapital-Tokaier bringen, und wir saßen im höchsten Vergnügen bis Mitternacht an der Tafel.

Am folgenden Morgen berief ich alle Entlassene von der Kapelle; wir unterredeten uns wegen unserem vereinten Abmarsche und bestimmten denselben am zehnten Tage nach dieser Unterredung. An eben demselben Tage schrieb ich dem Bischof, meldete ihm, daß wir in zehn Tagen abreisen würden, und fragte an, an welchem Tage ich, um mich zu beurlauben, nach Bellènieß kommen sollte. Zugleich berichtete ich die gestrige Verlobung des Pichels mit Samogys Tochter und bat im Namen des Vaters der Braut aus Ursache unserer baldigen Abreise um die Dispensation des gewöhnlichen Aufbittens. Der Bischof antwortete mir, daß er mich künftigen Sonnabend[169] des Abends erwarte und daß ich Picheln, seine Braut und ihren Vater mitbringen solle, weil er die Brautleute selbst trauen wolle.

Man kann leicht denken, welche Freude der Vater der Braut über die Ehre, die ihm und seiner Tochter dadurch widerfuhr, empfand!

Wir fuhren am Sonnabende nach Bellènieß. Am andern Morgen früh las der Bischof in seiner Hauskapelle eine stille Messe, und nach dieser ging der Trauungs-Akt vor sich.

Der Bischof behielt die Brautleute und uns übrigen bei seiner Mittagstafel. Als wir uns setzten und beide Brautleute die Serviette aufhoben, fand jedes derselben ein Röllchen mit 50 Dukaten. Auf einem stand von des Bischofs eigener Hand geschrieben: Kleine Haussteuer auf Tischzeug, auf dem andern: Auf Kücheneinrichtung. Beide Brautleute standen auf und küßten dem Bischof die Hand.

Bis um sechs Uhr abends behielt der Bischof seine Gäste bei sich; alsdenn gab er dem Pichel den Trauschein und entließ ihn so wie die übrigen mit den menschenfreundlichsten Ausdrücken seines Wohlwollens, mir aber befahl er, noch da zu bleiben.

Jedermann kann sich leicht vorstellen, wie rührend unsere Beurlaubung war. Ich will sie nicht erst ganz beschreiben, sondern nur sagen, daß er, nachdem er mir anempfohlen hatte, daß ich ihm von meinen Glücksumständen Nachricht geben sollte, eine seidene Börse hervorzog, mir dieselbe gab und sagte: »Das gehört zur Bestreitung der Reisekosten.« Schon hatte ich den Mund geöffnet, um meinen Dank zu stammeln; aber er unterbrach mich damit, daß er mit zusammengelegten, gen[170] Himmel empor gehobenen Händen ein stilles Gebet sprach, nach welchem er mir den bischöflichen Segen mit den Schlußworten: Descendat super te et maneat semper gab und, ohne mich mehr anzusehen, in sein Schlafzimmer eilte.

Ich war so betäubt, daß ich wirklich nötig hatte, in die freie Luft zu eilen, um mich dadurch zu erholen. Noch heute denke ich mit dem innersten Gefühl an diesen traurigen Auftritt.

An dem bestimmten Tage unseres Abmarsches verließen wir alle zusammen Großwardein. Unsere Reise bis Pest war natürlicherweise bei einer so großen Gesellschaft unterhaltend genug. Ich, meine Schwester, Pichel und seine junge Frau fuhren zusammen in einem Wagen. Am siebenten Tage nach unserer angetretenen Reise trafen wir in Pest ein. Daselbst trennten sich die Übrigen von uns, und jeder reiste für sich. Pichel und ich aber beschlossen, noch einige Tage in Pest zu verbleiben und alsdann in Gesellschaft nach Wien zu gehen. Wir mieteten eine bequeme Landkutsche, die wir jeder zur Hälfte bezahlten, und fuhren nach Wien.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 155-171.
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