Zwölftes Kapitel
Ich gerate in liederliche Gesellschaft, werde ein Spieler • Desertion • Verhaftnehmung • Transport nach Wien, und wie es mir dort erging.

[97] Da der Prinz das Kommando niedergelegt hatte, so wäre es ihm beinahe leid gewesen, Schloßhof verkauft zu haben, weil er den Sommer über nicht gern in der Stadt, sondern lieber auf dem Lande zu leben pflegte. Er entschloß sich daher, eine Jagdbarkeit auf irgendeiner in Östreich oder Mähren gelegenen Herrschaft zu mieten. Dies veranlaßte ihn, bald hierhin, bald dorthin zu reisen, und dies machte, daß wir viele Monate lang im Müßiggange zubrachten.

Dies war mein Verderben. Ich geriet in liederliche Gesellschaft, und meine Gage wollte nicht zulangen. Ungeachtet ich neben dieser noch eine ziemlich ansehnliche Zubuße von einigen Scholaren hatte, die gut bezahlten; ungeachtet ich mich bald in Kirchen, bald in Privathäusern hören ließ und manchen schönen Dukaten verdiente, so reichte doch alles dieses nicht zu; denn Billard, Karten- und Kegelspiel machten mich oft schon in der Hälfte des Monats rattenkahl.

Freilich gelang es mir auch zuweilen, im Billard, das ich sehr gut spielte, ansehnliche Gewinste zu machen, womit ich meine Schulden bezahlen konnte und wieder neuen Kredit erhielt. Allein dies bestärkte mich nur um so mehr in meiner Liederlichkeit. Indessen mein Kunststudium – und das war noch das Beste – verlor nichts dabei. Ich unterließ nicht, sowohl fleißig Violine zu spielen als der Komposition ernstlich obzuliegen. Ich schrieb[98] sechs Sinfonien, die sowohl in Wien als in Prag Aufsehen machten.

Graf N., ein böhmischer Kavalier, der selbst eine Kapelle hielt, hatte diese Sinfonien auch bekommen. Er kam nach Wien. Natürlicherweise war ihm darum zu tun, mich von Person kennen zu lernen. Er ließ mich rufen, bestellte sechs neue Sinfonien bei mir, akkordierte mir dafür 24 Dukaten, gab mir 12 davon im voraus und gab seinem Agenten den Auftrag, bei Überlieferung meiner Partitur die andern 12 Dukaten zu bezahlen. Zugleich fragte er mich, ob ich engagiert sei. Ich sagte ihm, daß ich in Diensten des Prinzen wäre und monatlich 37 Fl. 30 Kr. Gage hätte. »Pfui Teufel!« versetzte er, »das ist kein Gehalt für einen Menschen, der das versteht, was Sie verstehen. Wenn Sie bei mir in Dienste gehen wollen, so gebe ich Ihnen monatlich 16 Dukaten, den Offiziertisch, freie Wohnung und jährlich zwei schöne Kleider.« Ich gab ihm zur Antwort, daß es undankbar sein würde, die Dienste eines Prinzen zu verlassen, der mich alles, was ich könnte, mit vielen Kosten hätte lernen lassen. »Wie Sie wollen«, versetzte der Graf. »Doch, sollten Sie sich einmal vom Prinzen losmachen, so finden Sie jederzeit bei mir, was ich Ihnen soeben versprochen habe.«

Da ich meine schlechte Lebensart immer so fort trieb, so blieb allerwärts, wo ich zu bezahlen hatte, etwas hängen, und ich war gegen 70 Gulden schuldig. Meine Gläubiger drohten mir, mich beim Prinzen zu verklagen, wofern ich sie nicht mit dem Ersten des künftigen Monats befriedigen würde. Nun war es aber doch eine platte Unmöglichkeit, mit meiner Gage von siebenunddreißig Gulden eine Summe von siebzig Gulden zu tilgen und[99] dabei zu leben. Ich vertraute mein Anliegen einem meiner liederlichen Spießgesellen, wie auch das Anerbieten jenes Grafen, und siehe da, ich ließ mich endlich von ihm bereden – Reißaus zu nehmen.

Am andern Morgen kam er zu mir mit der Nachricht, daß er auf einer am Ersten künftigen Monats nach Prag gehenden Landkutsche bereits einen Platz für mich bestellt habe. Nun waren bis dahin noch fünf Tage übrig. Während diesen schleppte ich nach und nach unter meinem Mantel Kleider, Wäsche und Musikalien zu ihm; auch lieh er mir einen kleinen Koffer, in den er meine Habseligkeiten packte und den er richtig zum Landkutscher hinbesorgte. Unsern Kassier beredete ich, daß er mir meine am ersten Monatstage erst fällige Gage einen Tag vorher auszahlte. Mein Herz pochte mir oft, wenn ich diesen schlechten Streich überdachte; aber es war nun einmal meiner Meinung nach zu weit mit mir gekommen, und ich suchte mich wie jeder, der etwas Unedles will, mit dem Gedanken an die Notwendigkeit zu übertäuben.

Am Ersten früh morgens fuhr ich denn also mit ängstlichem Herzen von Wien ab. Es war mir, als wenn Bäume und Felder mir meine Undankbarkeit vorwürfen und ich mich nicht getrauen dürfte, die schöne Natur, die in frühem Sommerlichte hervorging, anzublicken. Schamvoll hüllte ich mich in meinen Mantel. Aber mein Leichtsinn drang bald wieder durch, und je weiter es ging und je mehr die Bewegung des Wagens mein Blut in Umlauf setzte, je froher und munterer ward ich; denn ich kam mir jetzt frei und als der Herr meines eigenen Schicksals vor.

Nach fünf Tagen war ich in Prag. Sogleich eilte ich zum[100] Grafen. Aber o Himmel! wie erschrak ich, als der Portier mir den traurigen Bescheid gab, er sei schon vor drei Monaten mit seiner Gemahlin nach Paris gereist, woselbst er vielleicht noch dreiviertel Jahre sich aufhalten würde. Da stand ich und wollte im Gefühl meiner Verlassenheit versinken. Endlich ließ ich mich zum Haushofmeister führen. Diesem erzählte ich, wer ich wäre und wie der Graf mir in Wien seine Dienste angeboten habe. Allein ich erhielt ganz trocken zur Antwort, daß er vor der Hand keinen Auftrag habe, mir Gage, Kost und Wohnung zu geben; er zweifle zwar nicht an der Wahrheit meiner Aussage, aber er müsse dieserhalb erst an den Grafen schreiben, worüber aber fünf, sechs, auch wohl mehrere Wochen hingehen könnten, bevor ich Antwort haben könnte; ich müsse mich also so lange gedulden.

Freilich war nichts anderes zu tun. Aber wovon bis dahin leben? Meine kleine Barschaft war nicht hinlänglich. Zufälligerweise hörte ich von einem sehr guten Hoboisten, der bei dem Grafen Breda in Diensten wäre. Am folgenden Morgen suchte ich ihn auf, eröffnete ihm meine Verlegenheit, bat ihn zugleich, mir bis zur Zurückkunft des Grafen einen Verdienst zu verschaffen, verhielt ihm aber sorgfältig, daß ich aus Wien und vom Prinzen schändlicherweise durchgegangen wäre. Der gute Mann hatte Mitleiden mit mir und sagte, ich solle nur ein wenig verziehen, er werde mit seinem Grafen darüber sprechen.

Nach einer Weile kam er wieder und führte mich zu seinem Herrn. Dieser empfing mich sehr gütig mit den Worten: »Haben Sie keinen Kummer. Bis Sie Antwort vom Grafen N., der mein sehr guter Freund ist, erhalten,[101] gebe ich Ihnen in meinem Hause freie Wohnung und Tisch; und damit Sie sich mittlerweile etwas verdienen, so komponieren Sie mir sechs Sinfonien und zwei Konzerte für meinen virtuosen Hoboisten. Hier haben Sie etwas«, es waren zwölf Dukaten, »a conto.« – Nun war ich geborgen. Von diesen Dukaten nahm ich dreißig Gulden und übergab sie dem Hoboisten mit der Bitte, sie an meinen Gastwirt nach Wien zu expedieren. Er bewerkstelligte das getreulich.

Nach einem Zeitraume von vier Wochen hatte ich drei Sinfonien und ein Hoboekonzert verfertigt. Der Graf gab mir wieder zwölf Dukaten, und ich expedierte wieder vierzig Gulden auf eben die vorige Art.

Bald darauf, als ich gerade wieder des Morgens komponierte, ließ mich Graf Breda rufen. Wie vermag ich mein Erschrecken zu schildern, das mich beim Anblick des Haushofmeisters – Bremer überfiel, der, einen Polizeikommissarius zur Seite, vor mir stand, und, ohne ein Wort zu sagen, mit traurig ernstem Blicke mich ansah. »Sie haben mich«, fuhr mich der Graf an, »durch Ihr Verschweigen, daß Sie aus Wien durchgegangen sind, in nicht geringe Verlegenheit gesetzt. Da« – indem er mir ein Dekret hinreichte – »lesen Sie selbst!« Es war von dem damaligen Statthalter in Prag, dem Grafen Wiepprick, unterschrieben, und dem Grafen Breda ward darin ernstlich aufgetragen, mich sogleich dem Polizeikommissar auszuliefern und sich selber wegen des Verdachts, mich aus den Diensten des Prinzen debauchiert zu haben, standhaft zu verantworten. »Nein!« schrie ich, »nein, nein! Graf Breda hat nicht den geringsten Anteil an meiner Entweichung.«

»Hat dies seine Richtigkeit?« fragte der Kommissarius.[102] – »So wahr, wie Gott lebt!« antwortete ich. – Sogleich ward diese meine Aussage zu Protokoll genommen, und ich gestand den ganzen Vorgang der Sache. Nochmals ward es mir vorgelesen, von mir genehmigt und vom Kommissar und mir unterzeichnet.

Indem ich ihm folgte, versprach ich dem Grafen, die noch rückständigen drei Sinfonien und das Hoboekonzert, die er mir schon im voraus bezahlt, von Wien aus nachzutragen. Er nahm das Anerbieten aber nicht an, und dies kränkte mich mehr als alles.

Ich mußte mit dem Polizeikommissär in einen Wagen steigen und ward nach dem Altstädter Rathaus in sichere Verwahrung gebracht. Ich fand daselbst ein ziemlich sauberes Zimmer. Auch das Mittagsmahl war sehr gut; aber das Beste dabei fehlte mir, der Appetit. Kein Bissen wollte hinunter. Bis zum dritten Tage dauerte mein Arrest, und in Begleitung Bremers, des Kommissärs und noch zweier Polizeidiener ward ich endlich wieder nach Wien transportiert.

Als ich hier ankam, sperrte man mich sogleich in das Nebenzimmer des Portiers ein, und kurz darauf erschien Bremer wieder, mich auf Befehl des Prinzen noch einmal wegen meiner Entweichung summarisch zu verhören. Alle meine Antworten, die er niederschrieb, liefen darauf hinaus, daß ich teils durch die Verheißungen des Grafen N. angelockt, teils aus Furcht vor meinen Gläubigern entwichen wäre. Alles kam darauf an, daß ich mich von dem Verdachte, dieselben betrügen zu wollen, reinigte, und das ward mir nicht schwer, da sie sämtlich auf mein Verlangen sogleich die Quittungen ausstellten. Das änderte sehr die Lage der Dinge. Denn am folgenden Morgen kam Bremer wieder und meldete mir im[103] Namen des Prinzen: daß er mich von dem Verdachte einer ehrlosen Handlung gegen meine Gläubiger zwar losspreche, mir aber dennoch mein undankbares Betragen gegen ihn, seinen Wohltäter, nicht ungestraft hingehen lassen könne; es sei also Sr. Durchlaucht Befehl, daß ich von heute an vierzehn Tage hier beim Portier im Arrest, und jeden vierten Tag bei Wasser und Brot zubringen sollte.

Tränen der Rührung stürzten mir aus den Augen, und ich war kaum im Stande, für diese Schonung meinen Dank dem großmütigen Prinzen sagen zu lassen. Aber als ich nun gar am Ende des dritten Tages, wo ich schon dem Brot und Wasser des morgenden Tages traurig entgegensahe, von Bremer zum Prinzen geführt ward, da überwältigten mich Reue und Scham, und ich wagte es nicht, ihn anzublicken, und brach in ein lautes Heulen aus. Der Prinz schwieg, bis sich mein Gewinsel verlor. Dann sprach er: »Ich sehe, daß dein eigenes Gefühl dich schon hinlänglich peinigt; es bedarf also keiner Strafe mehr. Du bist deines Arrestes entlassen. Vielleicht gelingt es mir, durch Schonung mehr zu bessern als durch harte Strafe, die du verdient zu haben selber eingestanden hast. Geh! leb ordentlich; dann werde ich die Schande, die du mir und dir selber angetan hast, vergessen.«

Ich ging in mein Zimmer, und so gesund meine Leibeskonstitution sonst war, so hatte mich doch dieser Auftritt so erschüttert, daß ich die ganze Nacht bald Kälte, bald Hitze empfand, mit einem Worte ein hitziges Fieber bekam, das mich vier Wochen im Bette hielt. Während meiner Krankheit, worin ich wie ein Kind vom Hause gepflegt und gewartet wurde, ließ mir der Prinz sagen, er habe alles lange vergessen, und ich sollte mich[104] nur beruhigen und machen, daß ich bald wieder gesund würde. Ebenso erfuhr ich, daß er seinem ganzen Hofstaat bei Strafe des Dienstverlustes habe verbieten lassen, mir den geringsten Vorwurf zu machen.

Meine Gesundheit fand sich allgemach wieder ein. Ich studierte und komponierte fleißig, und so vergingen nach dem im Hause des Prinzen gewöhnlichen Brauch volle zwei Jahre. Endlich trat ein Zeitpunkt ein, der meinem künftigen Schicksale eine ganz andere Richtung gab.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 97-105.
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