Vorwort

[7] Dies Buch ist keine Einführung in Mozarts Leben und Werk. Es wendet sich an Leser, die bereits vertraut sind mit einigen Daten aus seinem Leben, und vor allem an solche, die zum mindesten einige seiner Werke gehört und liebgewonnen haben. Ihnen kann es vielleicht neue Anregung und Erkenntnis liefern. Lange Jahre habe ich mich eingehend mit Mozart beschäftigt, am eingehendsten in einer Arbeit an der dritten Auflage von Köchels Chronologisch-Thematischem Katalog, nach dem Mozarts Werke zu zitieren üblich geworden ist. Im Lauf dieser langjährigen Arbeit (1929 bis 1937) hatte ich mich nicht nur zu befassen mit allen Äußerlichkeiten jeder Mozartschen Handschrift und Ausgabe, sondern auch mit dem inneren Sinn und dem Stil jedes einzelnen Werkes. Es war unvermeidlich, daß ich dabei in vielen Fällen zu neuen Ergebnissen gelangte, und es ist vielleicht verständlich, daß ich am Ende das Bedürfnis fühlte, diese Ergebnisse nicht nur in der trockenen Form eines Kataloges darzubieten, sondern auch in einem persönlicheren und lebhafteren Zusammenhang. Ich habe mich nicht bemüht, die Lebensgeschichte Mozarts, für die neue Quellen in den letzten Jahrzehnten nur spärlich geflossen sind, nochmals in allen Einzelheiten zu erzählen. Meine Absicht war lediglich, den Charakter Mozarts und die Menschen und Ereignisse, die diesen Charakter entscheidend beeinflußt haben, so unbefangen und scharf als möglich zu beleuchten. Nicht jedes einzelne Werk ist erwähnt oder »beschrieben«; auch hier wird man »Vollständigkeit« vermissen. Aber ich habe mich bemüht, jede einzelne Schöpfung Mozarts einzuordnen in sein Gesamtwerk, und dies Gesamtwerk sowohl vom Standpunkt seiner Entstehungszeit wie unserer Beziehung zu ihm zu betrachten. Auf dem großen Gebiet der Mozartliteratur bin ich vielen Werken verpflichtet, in Zustimmung und Widerspruch. Mein besonderer Dank gebührt jedoch vor allem drei neueren Veröffentlichungen. Mein größter den vier bisher erschienenen Bänden von Th. de Wyzewa und G. de Saint-Foix: »Wolfgang Amédée[7] Mozart« (Paris 1912, 1936, 1939, Desclée de Brouwer & Cie.) – die beiden ersten Gemeinschaftsarbeit der Verfasser, die beiden letzten von M. de Saint-Foix allein. Es ist mir eine besondere Freude, zu wissen, daß M. de Saint-Foix inzwischen den letzten und fünften hat vollenden können. Das Kapitel über Mozarts Klavierkonzert verdankt besondere Anregung der eindringlichen Studie »Mozart et ses concertos pour Piano« von C.M. Girdlestone (Paris 1939, Librairie Fischbacher). Und endlich habe ich das liebenswerte populäre Büchlein über Mozart von Eric Blom (London 1935, J. M Dent & Sons, in der Serie »The Master Musicians«) namhaft zu machen. In den Zitaten aus den Briefen der beiden Mozarts bin ich der Ausgabe Schiedermairs (München 1914, Gg. Müller) gefolgt, ohne jedoch alle Eigentümlichkeiten der Orthographie Wolfgangs und Leopolds diplomatisch getreu zu konservieren.
Dieser deutschen Fassung ist eine in englischer Sprache vorausgegangen (New York, Oxford University Press, Februar 1945, Second Printing April 1945). Aus besonderen Gründen möchte ich erwähnen, daß das Manuskript dieser originalen Fassung am 1. August 1942 abgeschlossen wurde, und daß eine Änderung des Textes seitdem nicht mehr erfolgt ist. Northampton, Mass., am 9. Mai 1945 Alfred Einstein
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 7-8.
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