4.

Der Aufenthalt in Salzburg war nicht von langer Dauer. Durch den Erfolg in Wien aufgemuntert beschloß Leopold Mozart mit seinen Kindern eine größere Reise anzutreten und ihre Talente auch außerhalb Deutschland geltend zu machen. Hauptsächlich hatte er Paris im Auge und suchte auf der Reise dahin seine Kinder bei den deutschen Höfen zu produciren, welche von seinem Wege nicht zu weit ablagen. Denn die Höfe und die vornehme Welt in großen und kleinen Residenzen waren es damals ganz vorzugsweise, von welchen ein gebildetes Interesse und materielle Belohnung zu erwarten war; das Publicum, welches heutzutage das musikalische ist, hatte sich damals noch nicht herausgebildet, und auch da, wo wie in den Reichsstädten kein Hof war, bildeten die Patricier und reichen Kaufleute doch ein dem vorher angedeuteten ähnliches Publicum. L. Mozart hebt nicht ohne Befriedigung hervor, daß sie auf ihrer Reise keinen Umgang hätten als mit dem Adel und distinguirten Personen, und daß sie auch ihrer Gesundheit wegen und zu ihres Hofes Reputation noblement [41] reisen müßten. Wir finden daher daß unsere Reisenden, weil es Sommer war, die großen Residenzstädte meist vorbeigehen und die Luftschlösser, in welchen während der schönen Jahreszeit der Hof sich aufhielt, besuchen1.

Auf der Reise nach München lernte Wolfgang, der schon früher die Orgel gespielt hatte, aber nur auf dem Manual, auch das Pedal behandeln. »In Wasserburg« schreibt sein Vater »sind wir um uns zu unterhalten auf die Orgel gegangen und ich habe dem Wolferl das Pedal erklärt. Er legte gleich stante pede Probe ab, rückte den Schemel hinweg, präambulirte stehend und trat das Pedal dazu, und zwar so, als wenn er es schon viele Monate geübt hätte. Alles gerieth in Erstaunen, und es ist eine neue Gnade Gottes, die Mancher nach vieler Mühe erst erhält.« Allerdings ist dies im höchsten Grade bewundernswerth, und mit welcher Leichtigkeit der Knabe alle Schwierigkeiten überwand, erkennt man daraus, daß er während der ganzen Reise sich häufig auf der Orgel hören ließ und meistens, wie der Vater wiederholt berichtet, seines Orgelspiels wegen noch mehr bewundert wurde denn als Klavierspieler. In Heidelberg, wo sie von Schwetzingen aus einen Besuch machten, spielte er in der heil. Geistkirche die Orgel und setzte die Zuhörer dadurch in ein solches Erstaunen, daß der Stadtdechant seinen Namen und die näheren Umstände seines Besuches zu ewigem Andenken an die Orgel anschreiben ließ2.

Am 12. Juni 1763 in München angelangt begaben sie [42] sich gleich nach Nymphenburg; durch den Prinzen von Zweibrücken, der sie von Wien her kannte, dem Churfürsten angemeldet, wurden sie gnädig aufgenommen und mußten vor diesem und dem Herzog Clemens wiederholt sich hören lassen und zwar Wolfgang auch auf der Violine; er spielte ein Concert und »präambulirte zwischen den Cadenzen aus dem Kopf.« In Augsburg hielten sie steh bei ihrer Familie längere Zeit, bis zum 6. Juli auf; ein Concert, welches sie dort gaben, wurde fast nur von den Lutheranern besucht – eine ähnliche Erfahrung machte Wolfgang dort auch später3. Ob sie in Cannstadt steh vor dem Herzog von Würtemberg haben hören lassen, oder ob die Schwierigkeiten, welche man ihnen trotz ihrer guten Empfehlungen machte, sie abgeschreckt haben, ist nicht bestimmt angegeben. L. Mozart war geneigt die Hindernisse dem Einfluß Jomellis4 zuzuschreiben, der sich alle Mühe [43] gebe, die Deutschen an jenem Hofe auszurotten, was ihm auch beinahe gelungen sei, da er die Gnade des Herzogs im höchsten Grade besitze. Wenigstens habe er sowie seine Landsleute, deren sein Haus immer voll sei um ihm aufzuwarten, sich dahin geäußert, es sei kaum glaublich daß ein Kind deutscher Geburt ein solches musikalisches Genie sein und soviel Geist und Feuer haben könne. Wie weit er sich in der Voraussetzung einer persönlichen Intrigue irrte, kann man dahingestellt sein lassen5; gewiß ist es daß seit Jomellis Anstellung und durch seinen Einfluß der Geschmack in Ludwigsburg, wie auch Schubart berichtet, ganz italiänisirt wurde; auch Hasse und Graun wollte man neben Jomelli nicht mehr gelten lassen6. Wie lange sich dieser Geschmack und besonders in einer feindseligen Richtung gegen Mozart dort erhalten hat kann man aus einem wunderlichen Buche sehen, das später noch zu erwähnen sein wird7. Uebrigens erkennt L. [44] Mozart an, daß die unumschränkte Macht Jomellis wesentlich dazu beigetragen habe, die Musik d.h. die Ausführung derselben vortrefflich zu machen8. Von den vorzüglichen Virtuosen, welche damals dort waren, zeichnet L. Mozart nur Nardini aus, »der in der Schönheit, Reinigkeit, Gleichheit des Tons und im singbaren Geschmack von Niemand übertroffen werden könne, aber gar nicht schwer gespielt habe«9.

Von Ludwigsburg begaben sie sich nach Schwetzingen und wurden auch am Hofe des Churfürsten Karl Theodor von der Pfalz mit außerordentlichem Beifall aufgenommen (18. Juli). L. Mozart preist das Orchester als dasjenige, welches ohne Widerrede das beste in Deutschland sei und aus lauter jungen Leuten von guter Lebensart bestehe, die weder Säufer, noch Spieler, noch liederliche Lumpen seien – dies scheint also damals die Regel gewesen zu sein –, und ihrer Conduite wegen ebenso hoch zu schätzen seien als wegen ihrer Productionen.

In Mainz konnten sie, da der Churfürst Joseph Emmerich (aus dem Geschlecht von Breidtbach) krank war, nicht bei Hofe spielen, gaben aber ein Concert im römischen Kaiser und fuhren dann nach Frankfurt, wo sie am 18. August ein Concert gaben, welches solches Aufsehen erregte, daß demselben noch drei andere folgten, wie sie auch nach der Rückkehr nach Mainz dem Adel noch ein Concert geben mußten.

Eine Concertanzeige aus Frankfurt vom 30. August 1763, welche ich in der Sammlung von Fuchs fand, kann uns [45] einen Begriff geben von den erstaunlichen Leistungen, die dem Publicum geboten wurden. Sie lautet folgendermaßen:


»Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Capellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemüthern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreymahlige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Concerts nach sich gezogen.«


»Ja diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursach daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharfischen Saal auf dem Liebfrauenberge Abends um 6 Uhr, aber ganz gewiß das letzte Concert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab, der im siebenten Jahr ist, nicht nur Concerten auf dem Claveßin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab wird auch ein Concert auf der Violine spielen, bei Synfonien mit dem Clavier accompagniren10, das Manual oder die Tastatur des Clavier mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Claviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Clavier, oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren etc. anzugeben im Stande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasiren, um zu zeigen, daß er auch die [46] Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art den Flügel zu spielen ganz unterschieden ist«11.

In Koblenz, wo Baron Walderdorf und der kaiserliche Gesandte Graf Bergen die Wunderkinder bei der Hand zum Churfürsten von Trier, Johann Philipp (aus dem Geschlecht von Walderdorf) führten, ließen sie steh bei Hofe am 18. September hören. Uebrigens verkehrten sie viel in der Familie des Geheimraths und Ritterhauptmanns von Kerpen, welcher sieben Söhne und zwei Tochter hatte, die fast alle Clavier, zum Theil auch Violine und Violoncell spielten und sangen. In Bonn war der Churfürst von Köln, Maximilian Friedrich (Graf zu Königseck-Rothenfels, nicht anwesend, sie hielten sich daher nicht auf. In Aachen machte damals die Prinzessin Amalie, die Schwester Friedrichs des Großen, wegen ihrer Liebe zur Musik, welche sie auch praktisch betrieb, wohlbekannt, einen Badeaufenthalt. Sie suchte Mozart zu bereden mit seinen Kindern nach Berlin zu gehen, allein er ließ steh in seinem Plan nicht irre machen. »Sie hat kein Geld«; schreibt der praktische Mann »wenn die Küsse die sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang, gegeben hat, Louisd'ors wären, so hätten wir froh sein können; aber weder der Wirth noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen.« In Brüssel, wo Prinz Karl von Lothringen, Bruder des Kaiser Franz I, als Gubernator und Generalcapitán der österreichischen Niederlande residirte, mußten sie einige Zeit verweilen, bis es ihnen gelang ein großes Concert zu geben.

Von da ging es nun nach Paris, wo sie am 18. November ankamen, und bei dem baierischen Gesandten Grafen Eyck, [47] dessen Gemahlin eine Tochter des salzburgischen Oberstkämmerers Grafen Arco war, freundliche Aufnahme und in seinem Hotel eine Wohnung fanden. Die Wege zu ihren Erfolgen bahnte ihnen aber der bekannte Baron Grimm12, der in richtiger Schätzung der außerordentlichen Talente dieser Kinder sich ihrer mit einer Freundschaft und Dienstfertigkeit annahm, welche L. Mozart nicht genug zu rühmen weiß13, und durch seine genaue Orts- und Personenkenntniß der geeignetste Mann war sie allenthalben bekannt zu machen und einzuführen.

Zunächst war ihr Augenmerk auch hier sich bei Hofe zu produciren. Die wichtigste Person an demselben war die Marquise von Pompadour. Sie ließ, wie Mozarts Schwester sich noch später erinnerte, den kleinen Wolfgang vor sich auf den Tisch stellen, wehrte ihn aber, als er sich gegen sie neigte um sie zu küssen ab, so daß er entrüstet fragte: »Wer ist denn die da, daß sie mich nicht küssen will? hat mich doch die Kaiserin geküßt«14. Freundlicher waren die Töchter des Königs, welche [48] gegen alle Etikette nicht nur in ihren Zimmern, sondern in der öffentlichen Passage, sich mit den Kindern unterhielten, sie küßten und sich von ihnen die Hände küssen ließen. Am Neujahrstage bei der Abendtafel wurde die Familie Mozart durch die Schweizer in den Saal an die königliche Tafel geführt, Wolfgang mußte unmittelbar neben der Königin stehen, die ihm von den Leckerbissen mittheilte und sich mit ihm deutsch unterhielt, was sie dann Ludwig XV, der natürlich kein Deutsch verstand, übersetzen mußte. Neben Wolfgang stand der Vater, auf der anderen Seite des Königs, neben dem Dauphin und Mme. Adelaide die Mutter mit der Tochter. Als sie erst in Versailles gespielt hatten, fanden sie auch in allen vornehmen Zirkeln Zutritt und Bewunderung, und gaben, nachdem sie sich in Privatgesellschaften oft hatten hören lassen, zwei große Concerte am 10. März und 9. April 1764 au théâtre de Mr. Félix, rue et porte St. Honoré, in dem Saale eines vornehmen Mannes, in welchem ein kleines Theater stand, auf dem die Noblesse unter sich Schauspiele aufführte. Die Erlaubniß zu diesen Concerten war eine große Gunst, da sie den Privilegien des Concert spirituel, wie des französischen und italiänischen Theaters zuwiderlief, und wurde nur auf die Verwendung vieler vornehmer Gönner erreicht; der Erfolg war in jeder Hinsicht glänzend.

Man fand daß die Tochter die schwersten Compositionen der damals in Paris lebenden Virtuosen, namentlich Schoberts und Eckarts, mit einer Präcision und Deutlichkeit spiele, [49] daß sie den Meistern selbst nichts nachgäbe, worüber Schobert15 seine Eifersucht gegen alle Welt und besonders auch gegen Eckart16, der als ein ehrlicher Mann dergleichen nicht empfand, in einer Weise äußerte, daß er sich zum Gespötte machte. Bei Wolfgang traten die Leistungen als Virtuos auf dem Klavier, der Orgel und Violine, wie außerordentlich sie auch waren, doch vor den anderen Beweisen einer größeren und in der That unbegreiflichen musikalischen Begabung zurück. Er accompagnirte nicht nur in öffentlichen Concerten und Gesellschaften italiänische und französische Arien vom Blatt, er transponirte dieselben auch prima vista. Und das Accompagniren war damals etwas mehr, als heute das Abspielen eines fertigen Klavierauszuges, weil entweder aus der mehrstimmigen Partitur die Begleitung im Moment herauszufinden, oder zu dem Baß die Harmonie zu vervollständigen war. Allerdings ist dagegen auch die große Einfachheit der Harmonie und das Festhalten an bestimmten hergebrachten Formen zu beachten, worin für Aufgaben der Art eine größere Erleichterung liegt als Willkühr und Formlosigkeit sie vielleicht zu bieten scheinen. Immer aber bleibt ein Zug den Grimm berichtet staunenswerth17. Wolfgang begleitete einer [50] Dame eine italiänische Arie, welche er nicht kannte, ohne die Noten zu sehen, nur nach dem Gehör, indem er die Harmonie aus dem was er eben hörte auch für das was folgte errieth. Das konnte ohne einzelne Mißgriffe nicht wohl abgehen; allein nachdem die Arie beendigt war, bat er die Dame wieder zu beginnen, spielte nun selbst die Melodie nach dem Gedächtniß und begleitete sie vollkommen richtig und wiederholte sie dann zehnmal, indem er jedesmal den Charakter der Begleitung veränderte. Auch schrieb er, wenn man ihm eine Melodie aufschrieb, sogleich den Baß und wenn man wollte auch die Mittelstimme dazu, ohne dazu des Klaviers zu bedürfen; er zeigte sich auch hierin so entwickelt, daß der Vater überzeugt war, er werde nach seiner Rückkehr Hofdienste als Musiker verrichten.

Er glaubte daher es wagen zu können jetzt den Knaben auch als Componisten vor das Publicum treten zu lassen und ließ vier Sonaten für Klavier und Violine stechen, wobei er sich herzlich auf den Lärm freuete, den diese Sonaten in der Welt machen würden, wenn auf dem Titel stände, daß sie das Werk eines Kindes von sieben Jahren wären. Er fand diese Sonaten in der That gut, nicht bloß weil ein Kind sie gemacht habe, und besonders ein Andante darin »von einem ganz sonderbaren goût«. Als sich später fand daß im letzten Trio von op. 2 drei Quinten mit der Violine, welche der junge Herr gemacht habe, stehen geblieben seien, obgleich er sie corrigirt habe, tröstete er sich damit, »daß sie als ein Beweis gelten könnten, daß Wolfgangerl die Sonaten selbst gemacht habe; welches, wie billig, vielleicht nicht Jeder glauben werde, obgleich es denn doch so sei«. Die zuerst gestochenen beiden Sonaten wurden von dem kleinen Componisten der Prinzessin Victoire, der zweiten Tochter des Königs, gewidmet und selbst [51] zu Versailles überreicht18, die folgenden waren der Gräfinde Tessé, Ehrendame der Dauphine, dedicirt19.

[52] Unter den mannigfachen Beweisen von Bewunderung und Interesse fehlten natürlich auch Gedichte nicht, von denen eines sich erhalten hat, das hier zur Vergleichung mit dem oben angeführten deutschen stehen mag.


Sur les enfans de Mr. Mozart.


Mortels chéris de Dieux et des Rois,

Que l'harmonie a de puissance!

Quand les sons modulés soupirent sous Vos doigts

Que de finesse et de science!

Pour Vous louer, on n'a que le silence.

Avec quel sentiment le bois vibre et frémit!

Un corps muet devient sonore et sensible.

A Vous, mortels heureux, est il rien d'impossible!

Tout jusqu'au tact en Vous a de l'esprit.


Eine anmuthigere Ehrenbezeugung war das Gemälde, welches Herr von Carmontelle, ein Dilettant von der Künstlerfamilie gemacht hatte, das von Delafosse gestochen wurde20. [53] Der kleine Wolfgang, wohl frisirt und im verbrämten Kleide, sitzt auf einem Tabouret am Flügel, und sieht aufmerksam mit hellem klugen Auge in die Noten; in dem runden Kindergesicht sind die wohlbekannten Züge wenigstens zu errathen. Neben ihm steht die Schwester aus einem Notenblatte singend, hinter ihm der Vater auf der Geige accompagnirend. Es ist ein artiges Genrebild; die Aehnlichkeit scheint, nach anderen Portraits zu urtheilen, nicht grade schlagend gewesen zu sein.

Diese Erfolge waren um so höher anzuschlagen, als in Paris damals die Neigung und Bildung für Musik keineswegs in der Weise wie in den meisten deutschen Residenzen vorherrschend war, auch mochten sie wohl dem Wunderbaren mehr gelten als der Musik. »Schade« sagt Grimm »daß man sich hier zu Lande so wenig auf Musik versteht.« L. Mozart berichtet von dem beständigen Krieg zwischen der französischen und italiänischen Musik. Die ganze französische Musik war ihm keinen Teufel werth; in der Kirchenmusik, welche er in der Kapelle des Königs hörte, waren nur die Chöre gut, alles was mit einzelnen Stimmen war und einer Arie gleichen sollte, »leer, frostig und elend, folglich französisch.« In der Instrumentalmusik begannen die deutschen Componisten ihren Geschmack geltend zu machen, unter ihnen Schobert, Eckart, Hannauer für Klavier, so daß Le Grand21 seinen goût gänzlich verlassen habe und Sonaten nach deutschem Geschmack componire. Er hofft, in zehn bis funfzehn Jahren werde der [54] französische Geschmack völlig erlöschen22. Was Gluck für eine Revolution hervorbringen würde, war damals freilich noch nicht zu ahnden23.

Welchen Eindruck übrigens Paris auf den streng sittlichen und religiösen, einfachen aber scharf beobachtenden Mann machte, läßt steh leicht denken. Ueberall gewahrte er, daß der Wohlstand durch den letzten Krieg tief erschüttert war, daß man aber dem äußerlichen Luxus, der sich zum Theil auf die absurdeste Art zeigte, nicht entsagen wolle, so daß weder der Bürgerstand noch der Adel wohlhabend sei, sondern eine geringe Anzahl von Pächtern und Financiers allen Reichthum vereinigen, den sie meistens an »Lucretien, die sich nicht selbst erstechen«, verschwendeten. Mit Entrüstung spricht er von der allgemeinen frivolen Maitressenwirthschaft, von der unnatürlichen Sitte die Kinder aufs Land zur Erziehung zu geben, die den sittlichen und physischen Bestand der Familien untergrabe und prophezeit, daß es dem Staat von Frankreich, wenn Gott nicht sonderlich gnädig sei, wie dem ehemaligen persischen Reiche ergehen werde.

Fußnoten

1 Wir sind für die Kenntniß dieser Reise fast ausschließlich auf die Auszüge aus den Briefen L. Mozarts an Hagenauer und einige Familienerinnerungen beschränkt, welche Nissen mittheilt.


2 Nach Holmes ist die Inschrift verschwunden, da die Orgel verkauft sei; auch haben neuerliche Nachforschungen von Musikfreunden kein Resultat ergeben.


3 In der Salzburger Zeitung vom 19. Juli 1763 erschien folgender Bericht aus Augsburg 9. Juli:

»Vorgestern ist der Salzburgische Vice-Kapellmeister L. Mozart mit seinen zwei bewundernswerthen Kindern von hier nach Stuttgart abgereist, um seine Reise über die größten Höfe Deutschlands nach Frankreich und England fortzusetzen. Er hat den Inwohnern seiner Vaterstadt das Vergnügen gemacht, die Wirkungen der ganz außerordentlichen Gaben mit anzuhören, die der große Gott diesen zwei lieben Kleinen in so großem Maße mitgetheilt und deren der Herr Kapellmeister sich mit so unermüdetem Fleiße als ein wahrer Vater bedient hat, um ein Mägdlein von eilf und, was unglaublich ist, einen Knaben von sieben Jahren als ein Wunder unserer und voriger Zeiten auf dem Clavecin der musikalischen Welt darzu stellen. Alle Kenner haben dasjenige, was ein Freund von Wien ehedem von diesen berühmten Kindern geschrieben und in den allhiesigen Intelligenz-Zettel ist eingerückt worden, so unglaublich es schien, nicht nur wahr, sondern noch weit bewunderungswerther gefunden.«


4 Nicolo Jomelli (geb. 1714) trat im Jahr 1748 mit einem Gehalt von 10000 Fl. in die Dienste des Herzog Karl von Würtemberg, in welchen er bis zur Reduction der Kapelle 1768 blieb, wo er nach Neapel ging.


5 Holmes legt großes Gewicht darauf, daß Jomelli bei einem späteren Zusammentreffen in Neapel im Jahr 1770 höflich gegen sie war – Il Sign. Jomelli ci ha parlato ed era molto civile schreibt Mozart (Beil. V, 16). Daß er viel höflicher und sanfter in seinem Benehmen gewesen sei als Händel, an den er im Aeußeren erinnerte, erzählt auch Burney (Reise I S. 137). Allein dies beweist noch nicht viel; eben so wenig daß Metastasio ihn in seinen Briefen an Farinelli als einen äußerst liebenswürdigen Mann schildern soll. Ich habe sie zwar in der Sammlung von Ayala (opp. post. Wien 1795) nicht gefunden, aber allerdings wiederholte Beweise, daß er ihn als Componist und persönlich schätzte (opp. post. I p. 359. 386. II p. 129. 320). Eher kann man geltend machen was Schubart (Aesthetik S. 78) erzählt, daß Jomelli, als Jemand in seiner Gegenwart Hasse herabsetzte, mit Unwillen ausrief: »Ich kann es nicht leiden, daß man von meinem Lehrmeister klein spricht.«


6 Schubart Aesthetik S. 150. Selbstbiographie I, 12 S. 100.


7 J.B. Schaul Briefe über den Geschmack in der Musik. Carlsruhe 1809.


8 Und doch klagt Schubart (Aesthetik S. 156. Selbstbiographie I, 12 S. 94), daß die vielen Virtuosen, welche sich nicht fügen mochten, dem Orchester schadeten, so daß es im lauten Vortrag oft Verzierungen gab, die nicht ins Ganze paßten.


9 Pietro Nardini, der berühmteste Schüler Tartinis, geb. 1725, starb in Florenz 1793.


10 Bekanntlich wurde damals in Orchestersätzen auf dem Klavier nach der Baßstimme die Harmonie gespielt.


11 Noch ist hinzugefügt. »Die Person zahlt einen kleinen Thaler. Man kann Billets im goldenen Löwen haben.« Auch abgedruckt bei Belli-Gentard, Leben in Frankfurt. V, S. 25.


12 Friedrich Melchior Grimm, geb. 1723 in Regensburg, war anfangs ein Anhänger Gottscheds, als welchen er sich auch durch sein Trauerspiel Banise manifestirte, und blieb lange mit ihm in Verbindung (Danzel Gottsched S. 343ff.). Im Jahr 1750 ging er nach Paris und wurde der Freund Rousseaus – ein Verhältniß das bald in bittere Feindschaft umschlug – und Diderots. Mit ihm besorgte er bekanntlich die litterarische Correspondenz mit mehreren deutschen Fürsten, welche später gedruckt ist und für die musikalischen Zustande von Paris sehr wichtige Berichte enthält. Er hatte musikalische Bildung und Interesse und nahm an den verschiedenen Streitigkeiten anfangs für die italiänische Oper, dann für Gluck lebhaften und einflußreichen Antheil. Er starb durch die Revolution vertrieben 1807 in Gotha. Eine anziehende Charakteristik Grimms giebt Sainte-Beuve causeries di lundi VII p. 266ff.


13 Wir werden auf seinen Charakter später zurückkommen müssen.


14 Auf die Kaiserin war er überhaupt stolz. Als man ihm an einem der kleineren deutschen Höfe Muth machen wollte, weil er vor einem vornehmen Herren spielen sollte, erwiederte er, er habe vor der Kaiserin gespielt und da sei ihm nicht bange.


15 Schobert, aus Straßburg gebürtig, kam 1760 nach Paris, wurde Cembalist des Prinzen von Conti, dann Organist in Versailles und starb 1767 an vergifteten Schwämmen, worüber Cornelie Göthe sich so theilnehmend ausspricht (Göthes Briefe an Leipziger Freunde S. 242f.). Man rühmte an seinen Compositionen den italiänischen Geschmack, Feuer und Schwärmerei; als Spieler besaß er seine Stärke im Allegro, das Adagio gelang ihm nicht. Vgl. Hiller, wöchentl. Nachr. I S. 135f. Schubart Aesthetik S. 230f. Junker Zwanzig Componisten S. 89ff.


16 Jo. Gotfr. Eckart, aus Augsburg gebürtig, kam 1758 nach Paris, wurde bald einer der angesehensten Klavierspieler und Lehrer, und starb dort 1809 im Alter von 75 Jahren.


17 Der Brief Grimms ist mit einem englischen und deutschen Bericht aus damaliger Zeit Beilage III mitgetheilt.


18 Titel und Dedication lautet folgendermaßen:


II Sonates pour le Clavecin qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de Violon dédiées à Madame Victoire de France.

Par J.G. Wolfgang Mozart de Salzbourg, âgé de sept ans.

Oeuvre premier.

A Madame Victoire de France.

Madame!


Les essais que je mets à Vos pieds, sont sans doute médiocres; mais lorsque Votre bonté me permet de les parer de Votre auguste Nom, le succès n'en est plus douteux, et le Public ne peut manquer d'indulgence pour un Auteur de sept ans, qui paroît sous Vos auspices.

Je voudrois, Madame, que la langue de la Musique fut celle de la reconnaissance; je serois moins embarrassé de parler de l'impression que Vos bienfaits ont fait sur moi. Nature qui m'a fait Musicien comme elle fait les rossignols, m'inspirera, le Nom de Victoire restera gravé dans ma mémoire avec les traits ineffaçables qu'il porte dans le coeur de tous les François.

Je suis avec le plus profond respect


Madame

Votre très humble, très

obéissant et très petit serviteur

J.G. Wolfgang Mozart.


Die Sonaten befinden sich in den Oeuvres compl. cah. XVII, 3 und 4.


19 Titel und Dedication lauten folgendermaßen:


II Sonates pour le Clavecin qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de Violon dédiées à Madame la Comtesse de Tessé Dame de Madame la

Dauphine.

Par J.G. Wolfgang Mozart de Salzbourg, âgé de sept ans.

Oeuvre II.

A Madame la Comtesse de Tessé

Dame de Madame la Dauphine.

Madame!


Votre goût pour la Musique et les bontés, dont Vous m'avez comblé, me donnent le droit de Vous consacrer mes foibles talens. Mais lorsque Vous en agréez l'hommage, est-il possible que Vous défendiez à un enfant l'expression des sentiments, dont son coeur est plein?

Vous ne voulez pas, Madame, que je dise de Vous ce que tout le Public en dit. Cette rigueur diminuera le régret que j'ai de quitter la France. Si je n'ai plus le bonheur de Vous faire ma cour, j'irai dans le pays où je parlerai du moins tant que je voudrai, et de ce que Vous êtes, et de ce que je Vous dois.

Je suis avec un profond respect,


Madame

Votre très humble et très

obéissant petit serviteur

J.G. Wolfgang Mozart.


20 Nach L. Mozart war der Kupferstecher von Mecheln mit dem Stich beschäftigt; das Blatt, welches vor mir liegt – es ist dasselbe, welches Marianne Mozart bis in ihr hohes Alter aufbewahrte – hat die Unterschrift L.C. Carmontelle del. Delafosse sculp. 1764. und außerdem LEOPOLD MOZART, Père de MARIANNE MOZART, Virtuose âgée de onze ans et de J.G. WOLFGANG MOZART, Compositeur et Maître de Musique âgé de sept ans. Uebrigens fragt L. Mozart schon in einem Brief vom 17. Oct. 1763 an: »Sind die Portraite meiner Kinder noch nicht in Ihren Händen?« Ob dies Gemälde oder Kupferstiche sind, ist nicht bekannt. Von einem großen, im Schlosse von La-Rouche-Guyon im Besitze des Herzogs Rohan-Chabot befindlichen Gemälde, welches den kleinen Mozart in einer vornehmen Gesellschaft Klavier spielend vorstellt, berichtet nach Escudier die süddeutsche Mus. Ztg. VI S. 124.


21 Vgl. Schubart Aesthetik S. 270f.


22 Es ist bekannt, mit welchem Beifall im Jahr 1752 die italiänische Opera buffa in Paris aufgenommen war und wie sich von da ein lebhafter Kampf gegen die französische Musik, als deren Vertreter namentlich Lully und Rameau zu betrachten sind, erhob. Neben Rousseau war besonders Grimm einer der entschiedensten Angreifer der französischen Musik, wovon auch seine Correspondenz zahlreiche Proben giebt, in der die französischen Musiker gegen die italiänischen aufs verächtlichste herabgesetzt werden. L. Mozart, der unter dem Einfluß italiänischer Musik gebildet war, konnte also am wenigsten im Verkehr mit Grimm von der französischen eine günstige Meinung gewinnen.


23 Man vergleiche was Burney (Reise I S. 12f. 16ff.), der auf derselben Seite stand, im Jahre 1770 über die damalige französische Musik im Verhältniß zur italiänischen sagt.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wilbrandt, Adolf von

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.

62 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon