Gewiß ist Ihnen, mein theurer Freund, der Nachmittag des 7. November 1847 noch eben so frisch im Gedächtniß als mir. Wir hatten uns in der Johanniskirche versammelt um der Leiche Mendelssohns das Geleite zu geben und der Zufall – denn ich war noch nicht lange in Leipzig und Ihnen nicht näher bekannt – hatte es so gefügt, daß wir in der langen Reihe neben einander gingen. Von der Trauer um den frühen Verlust eines Meisters, der in seiner Durchbildung, strenger Selbstprüfung und echtem Streben nach dem Edlen und Schönen Vorzüge in sich vereinigte, in denen sein wohlthätiger Einfluß auf die Richtung der Kunst unserer Zeit wesentlich begründet war, wendete sich unsere ernst gestimmte Betrachtung der Musik überhaupt und den großen Meistern der Vergangenheit zu. Wir wurden dadurch zu mannigfachem Gedankenaustausch angeregt, bei welchem wir uns in den Grundanschauungen stets übereinstimmend fanden. Und so begegneten wir uns auch in der Erfahrung, daß in einer Periode der jugendlichen Entwickelung Mozart uns fremd und dem unruhig strebenden, ins Unbegränzte schweifenden Sinn ein Meister unverständlich geworden sei, der den Gährungsproceß der Leidenschaft nicht im Kunstwerk vollzieht, sondern nachdem er alles Unreine und Trübe vollständig bewältigt hat, die reine vollendete Schönheit hervor ruft. Wenn man in reiferen Jahren dann wieder zu ihm geführt wird, erstaunt man über den wunderbaren Reichthum seiner Kunst und über sich selbst, daß man dagegen kalt sein konnte. Ich gestand Ihnen, wie nach schweren Leiden, die mir Jahre lang alle Musik unmöglich machten, durch Mozart wieder Muth und Kraft zur Theilnahme an derselben in mir wach wurden. Darin [7] waren wir einig daß, wer herangereift zu der Fähigkeit die Kunst als solche aufzufassen und zu empfinden sich Mozart hingiebt, dauernd von ihm gefesselt werden müsse, aber mit der Freiheit Alles was sonst schön und groß ist mit Wärme und Liebe zu umfassen, denn auch von Mozart gilt, was Aristophanes so schön von Sophokles sagt, daß er wie im Leben so nach dem Tode liebenswürdig gern gewähren lasse.
Jene Unterredung wurde der Grund eines näheren Umgangs, aus welchem eine Freundschaft erwachsen ist, die durch Einigkeit in Gesinnung und Ansicht bei allen ernsten und wichtigen Angelegenheiten unauflöslich befestigt worden ist, und mich in guten und schweren Tagen bei Ihnen stets herzliche Theilnahme und besonnene Förderung finden ließ. Ich wäre berechtigt Ihnen dies Buch als ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Liebe zu bringen, auch wenn sein Inhalt Sie weniger anginge. Allein die Musik hat in unserem Verkehr fortwährend eine große Rolle gespielt, mochte ich neben Ihnen am Klavier sitzen oder hinter Ihrem Stuhle stehen, oder wir uns im Gespräch ergehen; ja, Sie haben an diesem Buch soviel Antheil genommen, mich so lebhaft zur Arbeit getrieben, mitunter – jetzt darf ich es Ihnen wohl gestehen – sogar etwas unbarmherzig, daß ich jetzt Niemand mit mehr Freude und Vertrauen dasselbe zu bringen wüßte als ihnen. Nun müssen Sie sich es aber auch gefallen lassen, daß ich Ihnen so manches mittheile was ich dabei auf dem Herzen habe. Mir ist, als träte ich wieder zu Ihnen und Ihrer Frau, um im behaglichen Gespräch mich zu erholen und zu neuer Arbeit zu stärken. Machen Sie sich auf eine lange Unterredung gefaßt.
Sie wissen, lieber Freund, wie diese Biographie entstanden und allmählich zu dem Umfange herangewachsen ist, vor dem ich jetzt selbst erschrecke. Anfangs nur mit der Biographie Beethovens beschäftigt sah ich bald ein, daß es unmöglich sein würde, das was er Neues und Großes geschaffen hat vollkommen begreiflich zu machen, ohne die Leistungen Mozarts klar zu übersehen, der die vorausgehende Periode der Musik abgeschlossen hat, und dessen [8] Erbschaft Beethoven antreten mußte um seine eigenthümliche Stellung in der Geschichte der Musik zu gewinnen. Diese Auseinandersetzung wäre für eine Einleitung zu umfassend geworden; ich entschloß mich daher, das reiche aber unverarbeitete und ungenießbare biographische Material, das bei Nissen aufgehäuft liegt, zu einer lesbaren Darstellung von Mozarts Leben zu redigiren, um eine concrete Grundlage für die allgemeinen Betrachtungen zu gewinnen, welche ich daran zu entwickeln gedachte. Während ich nun diese Aufgabe naher ins Auge faßte, führte mir ein günstiges Geschick so wichtige Hülfsmittel für die Geschichte seines Lebens und zur Würdigung seiner künstlerischen Leistungen zu, daß mir die Pflicht erwuchs, auf neuem Grund ein ganz neues Gebäude aufzuführen. Ehe ich aber die von mir zuerst vollständig benutzten Quellen angebe, lassen Sie mich einen Blick auf die allen zugänglichen, die bisher gedruckten Biographien Mozarts werfen, soweit mir dieselben bekannt geworden sind.
Bald nach Mozarts Tode erschien in Schlichtegrolls Nekrolog vom Jahr 1791 ein biographischer Artikel über ihn. Dieser ist genau und zuverlässig in den Nachrichten über seine Jugendzeit, welche von Mozarts Schwester herrührten; für die späteren Lebensjahre sind die Notizen oberflächlich und das Urtheil das über ihn als Menschen gefällt wird beruht auf einer vorgefaßten ungünstigen Meinung, welche damals in Wien, zum Theil durch künstliche Mittel, verbreitet war und die überhaupt bis in die Gegenwart herab tiefe Wurzeln gefaßt hat, so daß ich nicht weiß, ob es mir gelingen wird die Wahrheit zu ebenso allgemeiner Geltung zu bringen. Kein Wunder daß die Wittwe Mozarts, durch diese Darstellung tief verletzt einen Abdruck dieses Artikels, der unter dem Titel Mozarts Leben in Grätz bei Jos. Georg Hubeck 1794 erschien, aufkaufte, um seine Verbreitung zu verhindern. Eine Biographie, welche in demselben Jahr in Sonnleithners Wiener Theater-Almanach S. 94ff. erschien, ist nur eine abgekürzte Bearbeitung des Schlichtegrollschen Nekrologs; eine französische Uebersetzung findet sich bei [Bombet] Lettres sur [9] Haydn suivies d'une vie de Mozart Paris 1814, in englischer Uebersetzung London 1817, und in neuer Bearbeitung Paris 1817.
Theils auf Mittheilungen der Familie, namentlich der Wittwe, theils auf die persönliche Bekanntschaft mit Mozart gegründet ist das »Leben des k.k. Kapellmeisters Wolfgang Gottlieb Mozart, nach Originalquellen beschrieben von Franz Niemtscheck« Prag 1798 (zweite Auflage 1808). Leider geht dasselbe, namentlich für die spätere Zeit nicht so in Einzelnheiten ein als man wünschen möchte; was der Mozart aufrichtig ergebene Verfasser berichtet ist zuverlässig und treu.
Bedeutenderes war von Friedrich Rochlitz zu erwarten, der geraume Zeit mit dem Plane umging eine Biographie Mozarts zu schreiben. Er hatte als Jüngling Mozart bei dessen Anwesenheit in Leipzig im Jahr 1789 kennen gelernt und da er mit Doles und Hiller, überhaupt in allen musikalischen Kreisen viel verkehrte, ihn öfter gesehen und, lebhaft angezogen von dem großen Künstler wie von dem liebenswürdigen Menschen, sich damals schon aufgezeichnet, was ihm bei diesem Zusammensein merkwürdig erschienen war. Als er später den Vorsatz faßte das Leben Mozarts darzustellen, theilte ihm die Wittwe nicht allein Anecdoten und Charakterzüge mit, deren auch die Schwester beisteuerte, sondern sie übergab ihm, wie ich aus ihren Briefen ersehen habe, die Correspondenz Mozarts zur Benutzung. Er ließ in der allgemeinen musikalischen Zeitung [A. M. Z.] die von der Wittwe (I S. 289. 854) und der Schwester (II S. 300) ihm mitgetheilten sowie die selbst erlebten Charakterzüge (I S. 17. 49. 81. 113. 145. 177. 480. III S. 450. 493. 590) drucken, und kam auch später bei verschiedenen Veranlassungen auf seine persönliche Bekanntschaft mit Mozart wieder zurück; dabei blieb es aber und mir ist nicht bekannt, weshalb er seinen Plan aufgegeben habe. Ich stellte Nachforschungen an, ob unter seinem Nachlaß vielleicht noch Aufzeichnungen und Ueberlieferungen sich finden möchten die, aus jetzt versiegten Quellen geflossen, für meine Arbeit von Wichtigkeit wären. Dabei machte ich eine Erfahrung, [10] welche ich – so peinlich mir es ist auf das Andenken eines vielverdienten Mannes einen Schatten fallen zu lassen – um der Wahrheit willen nicht verschweigen kann. Ich war bereits aufmerksam darauf geworden daß bei den Zügen aus Mozarts Leben, welche Rochlitz als selbst erlebte oder von Mozart mitgetheilte erzählt, nicht allein die Form der Darstellung, ihre Haltung und Färbung ganz ihm angehört, sondern daß auch manche Umstände, die er mit großer Sicherheit erwähnt, sich mir durch sichere Zeugnisse als irrig erwiesen. Ich suchte mir dies zu erklären durch die Annahme theils von Gedächtnißfehlern theils von einer leicht begreiflichen Selbsttäuschung, die ein Räsonnement oder eine Combination, welche sich von selbst zu ergeben scheint, mit einem überlieferten Factum verwechselt. Nun aber fand ich in seinem Nachlaß die auch in der musikalischen Zeitung gedruckte Parallele zwischen Mozart und Raphael vermehrt mit einer ausführlichen Erzählung der eigenthümlichen Umstände, unter welchen sich Mozart verheirathet habe, und zwar mit ausdrücklicher Berufung auf Mozarts eigene Erzählung, welche Rochlitz gleich in derselben Nacht niedergeschrieben habe lieber die Zeit, von welcher es sich hier handelt, die Jahre 1780 bis 1783, ist Mozarts ausführliche Correspondenz vorhanden und ein Irrthum über wesentliche Dinge ist, wie Sie sich selbst überzeugen werden, unmöglich. Alles aber was Rochlitz angiebt, über Zeit, Ort, Personen und Verhältnisse ist unwahr, vollständig unwahr. Sie erinnern sich gewiß noch meiner Bestürzung bei dieser unwillkommnen Entdeckung; hier läßt sich keine poetische Licenz als Erklärung denken. So leid es uns auch ist, ich halte es für Pflicht die Sache mitzutheilen, theils weil sie überhaupt Vorsicht gebietet, theils damit nicht jene Erzählung, wenn sie je zufällig gedruckt würde, weitläufige und widerwärtige Erörterungen veranlasse.
Jene Anecdoten der musikalischen Zeitung verbunden mit den Nachrichten bei Schlichtegroll und Niemtscheck bilden nun den wesentlichen Stoff, den mehr oder weniger vollständig und in verschiedener Fassung eine Reihe von Schriften über Mozart verarbeiten; [11] was etwa hinzukommt, sind theils einzelne meist wenig verbürgte, oft schlecht erfundene Anecdoten, wie sie unter den Künstlern umzulaufen pflegen, theils mancherlei Redensarten, wie sie, mit Zelter zu sprechen, einer selbst macht. Ich kann als gewissenhafter Biograph es Ihnen nicht ersparen einige Bücher der Art hier namhaft zu machen.
Bloße Uebersetzung der Anecdoten giebt das Buch von Cramer Anecdotes sur Mozart. Paris 1801. Mehr Prätension macht »Mozarts Geist. Seine kurze Biographie und ästhetische Darstellung seiner Werke. Bildungsbuch für junge Tonkünstler.« Erfurt 1803. Zelter fragte bei Goethe an, wer der Verfasser dieser Goethe zur Hälfte dedicirten kurzen Biographie des verewigten Mozart sei, »welcher eine nicht kurze, nicht ästhetische Darstellung seiner Werke nebst einem nicht guten Portrait angehängt sei« (Briefwechsel I S. 56), und war nicht wenig erstaunt von diesem zu hören, daß er von der Biographie so wenig als von ihrem Verfasser wisse (ebend. I S. 67. 65). Der spätere Nachtrag: Mozart und Haydn. Versuch einer Parallele. Erfurt 1810 hat schwerlich Zelters Beifall in höherem Grade erworben.
Ohne alles selbständige Verdienst sind auch die Darstellungen von Hormayr im Oesterreichischen Plutarch (VII, 2, 15) Wien 1807; und Lichtenthal Cenni biografici intorno al celebre Maestro Wolfgango Amadeo Mozart. Mailand 1816. Das Elogio storico di Mozart del Conte Schizzi. Cremona 1817 habe ich mir nicht verschaffen können. Die Artikel in Gerbers Tonkünstlerlexicon sind namentlich in der Zusammenstellung der Werke fleißig, obgleich nicht vollständig; dagegen ist Mozarts Biographie von J.A. Schlosser (Prag 1828, dritte Auflage 1844) eine urtheilslose Compilation.
Einen ungeahnten Reichthum von neuen Quellen erschloß die Biographie W.A. Mozarts von G.N. v. Nissen. Leipz. 1828 (mit einem Anhang). Um dieses Buch richtig zu beurtheilen, und vor Allem um es richtig gebrauchen zu können, muß man sich eine klare Einsicht verschaffen, wie und aus welchem Material [12] es gemacht ist, was allerdings mehr Mühe kostet als darüber zu schelten und zu spotten. Nissen, der nach Mozarts Tode als dänischer Diplomat nach Wien kam, lernte dort dessen Wittwe in ihrer hülflosen Lage kennen und interessirte sich für sie. Er hatte eine Neigung zu geschäftlicher Thätigkeit, Papiere ordnen, Briefe schreiben, selbst Copiren war ihm erwünscht; so übernahm er es gern den Nachlaß Mozarts zu ordnen, die Wittwe in allen Geschäftsangelegenheiten zu vertreten und ihre Correspondenz zu führen. In einer langen Reihe meist sehr ausführlicher Briefe, welche er in ihrem Namen schrieb, zeigt er sich als einen wohldenkenden verständigen Mann, der sich aber einer etwas umständlichen Darstellung befleißigt. Nachdem er die Wittwe Mozarts geheirathet, fühlte er die Pflicht für dessen Andenken mit derselben Gewissenhaftigkeit zu sorgen, wie er für seinen Nachlaß gesorgt hatte und benutzte hauptsächlich die Muße seiner letzten Jahre, welche er in Salzburg zubrachte, um diesen Plan auszuführen. Wir sind ihm dafür großen Dank schuldig, denn ohne seine Sorgfalt waren die wichtigsten Documente und Traditionen spurlos verschollen. In Salzburg lebte damals auch die Schwester Mozarts; ihre Erinnerungen wie die seiner Frau boten eine Fülle charakteristischer Züge zu einem plastischen Lebensbild und in den in großer Vollständigkeit erhaltenen Correspondenzen und Papieren der Familie lag ihm ein Schatz von authentischen Documenten vor. Außer einer Reihe einzelner Urkunden, Briefe und Aufzeichnungen konnte er nach seiner Angabe benutzen – die Briefe Leopold Mozarts an Hagenauer während der Reise nach Wien vom September 1762 bis Januar 1763; während der großen Reise vom Juni 1763 bis November 1766; während der Wiener Reise vom September 1767 bis December 1768; die Briefe des Vaters und des Sohnes an die Ihrigen während der Reisen nach Italien vom December 1769 bis März 1771; vom 13. August 1771 bis December 1771; vom October 1772 bis März 1773; nach Wien vom Juli 1773 bis September 1773; nach München vom December 1774 bis März [13] 1775; die Briefe Wolfgangs und der Mutter nach Hause nebst den Antworten Leopolds und der Tochter auf der Reise nach Paris vom September 1777 bis Januar 1779; den Briefwechsel Wolfgangs mit dem Vater und der Schwester während der Reise nach München im November 1780 und des Aufenthalts in Wien; Wolfgangs Briefe reichten bis ins Jahr 1784, die des Vaters bis 1781.
Diese reichen Hülfsquellen zu verwerthen wie sie es verdienten brachte Nissen Fleiß und redlichen Willen mit; leider reichen diese für ein Unternehmen dieser Art nicht aus. Zu geschweigen daß er von Verarbeitung und Darstellung keine Ahnung hat, so fehlt es ihm an Sinn und Bildung für Kunst und Musik überhaupt, an Urtheil und Tact das Wichtige und das Unbedeutende zu erkennen und an dem richtigen Begriff von Genauigkeit der Ueberlieferung. Da wenigstens ein Theil der von ihm benutzten Papiere mir auch zu Gebote gestanden hat, so habe ich ihn controliren und von seinem Verfahren mir eine Vorstellung bilden können. Nirgend zeigt er sich unredlich, nirgend ändert er um zu täuschen, aber er verfährt mit seinen Documenten willkührlich. Er theilt sie selten ganz vollständig mit, sondern nur das wovon er glaubt daß es von Interesse sei. Leider verstand er weder zu beurtheilen was für die Kunst wichtig, noch was psychologisch interessant sei; und so ist denn seine Auswahl oft unglücklich genug ausgefallen. Auch leiteten ihn dabei mitunter Rücksichten theils auf vornehme Personen, theils auf Vorurtheile seiner Frau, die offenbar manche Familienverhältnisse nicht berührt wissen wollte; allein immer nur so weit daß er dies und jenes unerwähnt läßt. Aber auch das Verschweigen kann, weil es den wahren Zusammenhang der Begebenheiten nicht durchschauen, die richtigen Beweggründe nicht erkennen läßt, für die historische Glaubwürdigkeit so nachtheilig werden als positive Entstellung, und immer wird der, dessen Charakter darzustellen die Aufgabe ist, aus Rücksicht gegen Andere zurück gesetzt. Glücklicherweise habe ich für die wichtigsten Jahre, für die Zeit von 1777 an, die Familiencorrespondenz [14] selbst benutzen können: Sie werden sehen, wie ganz anders die Auffassung dieser Zeit sich dadurch gestaltet hat. Weniger wichtig ist es, aber es bleibt doch ein Uebelstand, daß er für gut befunden hat Stil und Darstellung der Briefe im Einzelnen zu ändern. Nun bedürfen aber die Briefe weder des Vaters noch des Sohnes irgend solcher Nachhülfe, beide schreiben mit Einsicht und Geschick, und in eigenthümlicher Weise; aber selbst wenn dies der Fall nicht wäre, und wenn Nissen eben so sehr der Mann gewesen wäre ihnen das Exercitium zu corrigiren als er es nicht ist, wie darf man den individuellen Charakter solcher Mittheilungen verwischen?
Wenn Nissen sich begnügt hatte den Briefen und Briefauszügen die Nachrichten, welche er aus dem Munde der Frau und Schwester oder anderer sicherer Zeugen erfuhr, beigegeben und als so beglaubigte Ueberlieferungen zu bezeichnen, so hätte er sich ein großes Verdienst erworben. Allein er hat mehr thun wollen, und auch Nissen gegenüber behält Hesiod Recht, daß die Hälfte mehr sei als das Ganze. Es waren in der Familie mancherlei Schriften, Zeitungen, Journale u. dgl. aufbewahrt worden, welche die künstlerischen Leistungen Mozarts betrafen; damit nicht zufrieden hat Nissen mit großem Fleiß zusammengebracht was über Mozart geschrieben war, dann Alles abgeschrieben was ihm wichtig vorkam, und diese Excerpte nach Kategorien geordnet, wie sie ihm gerade angemessen schienen z.B. Alles zusammengestellt, was sich auf ein Werk bezog, und endlich diese verschiedenartigen Bruchstücke ohne Verbindung, ohne Erklärung, ohne Angabe woher sie entlehnt seien, zusammengeschoben. Um von diesen disparaten und confusen Massen Gebrauch machen zu können, muß man sie in ihre einzelnen Bestandtheile auflösen und nachsuchen von wem jedes genommen ist, um es dann in seinem wahren Zusammenhang würdigen zu können; – man kann darauf rechnen daß, wo ein Gedanke oder ein Urtheil ausgesprochen ist, Nissen nicht in eigener Person redet. Den ursprünglichen Sitz der einzelnen Mittheilungen aufzufinden hat Nissen durch sein Verzeichniß der Schriften, [15] in welchen über Mozart gehandelt wird, wenigstens erleichtert; da aber auch manche jetzt verschollene Schriften von ihm benutzt sind, ist mir die Wiederentdeckung nicht überall gelungen. In den meisten Fällen ist daran auch gar nichts gelegen; allein es befinden sich unter dieser großen Menge herrenlosen Guts auch einzelne Mittheilungen, welche auf mündlicher Tradition der Familie beruhen, und es ist allerdings wünschenswerth diese mit Bestimmtheit darauf ansprechen zu können. Indessen geben sie sich meist deutlich genug zu er kennen und betreffen auch nicht einmal Hauptsachen.
Diese Auseinandersetzung war nöthig um den Gebrauch des Nissenschen Werks möglich zu machen, glauben Sie aber nicht daß ich deshalb ungerecht sei. Es ist wahr, die Masse bedruckten Papiers kann einen zur Verzweiflung bringen; bedenkt man aber daß der größte Theil der Documente später verkommen ist, so wird man dankbar gegen den Mann, der uns solche Blicke in dies Künstlerleben thun ließ und der mit uneigennütziger Pietät für das Andenken Mozarts arbeitete, für welches die ihm Nächsten nicht einmal durch Erhaltung der Documente besorgt blieben, deren Wichtigkeit Nissen begriffen hatte. Uebrigens ist man auch das zu bemerken schuldig, daß Nissen seine Biographie nicht selbst hat drucken lassen; er starb am 24. März 1826 ehe sie soweit gediehen war, und vielleicht hätte er bei einer schließlichen Redaction doch Manches gebessert.
Es ist auffallend daß in Deutschland, obgleich man sich einig war daß Nissens Buch ungenießbar sei und erst bearbeitet werden müsse um lesbar zu werden, Niemand dieser Mühe sich unterzog, sondern daß man es Ausländern überließ, die reichen Schätze zu verwerthen. Dies unternahm Fétis in seiner Biographie universelle des Musiciens (Brüssel 1840) VI p. 432ff., soweit es die einem allgemeinen Werke der Art gestellten Grenzen zuließen. Die nahe liegende Aufgabe aber durch zweckmäßige Ordnung und Redaction des wirklich interessanten Theils von dem Nissenschen Material eine übersichtliche und lesbare Biographie Mozarts herzustellen [16] unternahm Edward Holmes in The life of Mozart, including his correspondence. London 1845. Mit Verstand und Einsicht ist hier der wesentliche Theil der Correspondenz so geordnet und mit einer auf den sonsther überlieferten Notizen begründeten Darstellung verbunden, daß ein zusammenhängendes Ganze entstanden ist, welches eine zuverlässige und soweit es möglich war vollständige Uebersicht über Mozarts Lebensgang gewinnen läßt. Holmes hat außerdem die von André veröffentlichten Verzeichnisse der Mozartschen Werke und die dort mitgetheilten Angaben über ihre Entstehungszeit zweckmäßig benutzt, er hat auf einer Reise durch Deutschland sich die Originalmanuscripte bei André wenigstens angesehen und hie und da mündliche Traditionen aufgesammelt, er hat sich auch in der musikalischen Litteratur umgesehen, und ein Werk zu Stande gebracht, das ohne Zweifel für die zuverlässigste und brauchbarste Biographie angesehen werden muß, soweit sie durch geschickte Benutzung der allgemein zugänglichen Hülfsmittel herzustellen war. Denn allerdings hat er weder bis dahin unbekannte Quellen von Wichtigkeit eröffnet, noch tiefer gehende Forschungen angestellt, noch durch eigenthümliche Ansichten neue Aufklärungen gegeben.
Einen ganz andern Gesichtspunkt hatte Alexander Oulibicheff verfolgt in seinem Werk Nouvelle Biographie de Mozart suivie d'un aperçu sur l'histoire générale de la musique et de l'analyse des principales oeuvres de Mozart, Moskau 1843, in drei Theilen, welches durch die Uebersetzung von A. Schraishuon (Stuttgart 1847) in Deutschland allgemein bekannt geworden ist. Die enthusiastische Verehrung für Mozart, welche den Verfasser zu einer Arbeit begeisterte, die jahrelange Vorstudien und große Opfer jeder Art erheischte, und welche sich in seinem Buche so lebhaft ausspricht, ist liebenswürdig und anziehend, allein sie darf das Urtheil nicht bestechen. Ich fürchte nicht, daß Sie mir den alten Spruch vom Töpfer der den Töpfer beneidet vorhalten werden, wenn ich meine Meinung über die schwachen Seiten dieses Buches offen ausspreche. Für Oulibicheff ist die [17] Hauptsache die räsonnirende ästhetische Analyse der Hauptwerke Mozarts, derjenigen Werke aus seinen späteren Lebensjahren, in welchen die Kunst des Meisters vollendet ausgeprägt erscheint, auf welchen sein Ruhm unerschütterlich gegründet ist; diese in ihrer künstlerischen Bedeutung zu charakterisiren und verständlich zu machen ist seine eigentliche Aufgabe. Er beschränkt daher wesentlich seine Betrachtung auf einen bestimmten Kreis Mozartscher Compositionen – es sind die bekanntesten, weil sie die größten sind –, diesen zu erweitern scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen, weil es ihm nur um den Mozart zu thun ist, den er und die musikalische Welt aus diesen Werken kennt. Was er außerdem beibringt dient nur zur Vorbereitung und zur Grundlage für jene Betrachtungen. Denn er erkennt sehr wohl daß man um den vollendeten Meister zu begreifen die Einsicht haben müsse, wie er es geworden sei, also seinen Entwickelungsgang kennen müsse; ferner, da Mozart nicht zufällig seine Stellung in der Geschichte der Musik einnimmt, stellt er sich die Forderung nachzuweisen, daß der ganze Entwickelungsgang dieser Kunst mit Nothwendigkeit auf einen Abschluß hindränge, wie er in Mozart verkörpert erscheine. Für die eigentliche Entwickelungsgeschichte Mozarts begnügt er sich aber mit dem bei Nissen Dargebotenen, von dem er das hervorhebt, was geeignet scheint die von ihm gewählten Gesichtspunkte zu beleuchten. Allein wenn er sich hier wieder beschränkt, so holt er bei der allgemeinen geschichtlichen Betrachtung desto weiter aus. Denn in der That dient eine Uebersicht über die Geschichte der Musik nur dem Gedanken, daß, da jede bedeutende Erscheinung auf irgend einem Gebiet die Summe aller ihr vorhergehenden sein und sie in sich begreifen und abschließen müsse, auch die ganze Entwickelung der modernen Musik von Guido von Arezzo an nach allen Richtungen hin nur Statt gefunden habe um Mozart hervorzubringen, durch den sie auch in der That vollständig abgeschlossen sei. Niemand weiß besser als Sie, mein Freund, woher dieser Wind kommt und was diese Uebertreibung eines wahren und fruchtbaren Gedankens auf den verschiedensten Gebieten [18] für Unheil angerichtet hat. Hier treffen nun die Einseitigkeit des Enthusiasmus und Dilettantismus zusammen. Es bedarf keiner großen Gelehrsamkeit um zu sehen daß jener Abriß der Geschichte der Musik nicht auf eigenen Forschungen beruht, nicht aus einer selbständigen Kenntniß auch nur der wichtigsten Meisterwerke der verschiedenen Zeiten und Richtungen hervorgegangen, sondern aus einigen leicht erkennbaren Werken zusammengestellt ist für einen bestimmten Zweck, nämlich Mozart als den Schlußstein der musikalischen Entwickelung daraus hervorgehen zu lassen. Wer nun im Ernst behauptet, daß die niederländischen Contrapunktisten, Palästrina, Bach und Händel dagewesen seien damit das Requiem habe entstehen können; wer den Gedanken eines lebendigen, mit Naturnothwendigkeit stetig treibenden Fortschritts nur faßt und durchführt um an einem beliebigen Punkt Halt zu machen und von da an keinen Fortgang mehr anzuerkennen: der hat sicherlich weder jenen Gedanken, noch das Wesen der Kunst, noch den Meister ergründet dem er zuviel Ehre erweisen will. Die einseitige, ausschließliche Anerkennung eines Künstlers mag den individuellen Geschmack befriedigen, über den sich nach dem Sprichwort nicht streiten läßt, bei wissenschaftlicher Untersuchung, wo sich allerdings streiten läßt d.h. wo Gründe gelten, hat sie keine Bedeutung. Wen die Verehrung Mozarts zu solcher Verkennung Beethovens führt, wie wir es bei Oulibicheff sehen, der versteht – ich glaube, Sie geben mir darin Recht – auch Mozart nicht. Die falsche Auffassung und Durchführung jenes auf die Spitze getriebenen Gedankens rächt sich aber auch dadurch, daß darüber die Anknüpfungspunkte für ein genaueres Verständniß der Entwickelung Mozarts, welche die sorgfältige Erforschung seiner Lebensverhältnisse, seiner Jugendarbeiten, der ganzen Zeit, in welcher er lebte und die zunächst unmittelbar auf ihn wirkte, ergeben muß, aus den Augen gesetzt sind und insofern stellt die oben angedeutete Beschränkung sich als ein wesentlicher Mangel heraus. Dies schließt natürlich nicht aus daß in den ästhetischen Analysen einzelner Werke viel Feines, [19] Geistreiches und Anregendes gesagt sei, und ich bin weit entfernt dies in Abrede zu stellen. Allein sie gehen im Wesentlichen nicht von dem aus, worin das Specifische eines jeden Kunstwerks beruht, von der künstlerischen Form, sie suchen nicht nachzuweisen wie die allgemeinen Gesetze der Kunst unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen durch die Individualität des Künstlers in dieser ganz concreten Gestalt zur Anwendung gebracht sind, – was namentlich in der Musik schwierig, allein der einzige Weg zu einer wahren Verständigung ist –; sondern sie geben hauptsächlich das wieder, was der Verfasser bei den verschiedenen Compositionen empfunden und gedacht hat, und was ihm über dieselben eingefallen ist. Dergleichen Betrachtungen sind angenehm und unterhaltend, sofern sie ein geistreicher und gebildeter Mann anstellt, allein sie sind auch dann meistens charakteristischer für ihn als für das Kunstwerk das sie hervorgerufen hat, und befriedigen gewöhnlich die am meisten, welche für das Wesentliche eines Kunstwerks kein Verständniß haben und sich darum an das halten was sich daran heften ließ. Oulibicheff verräth überall Geist und seine Bildung, aber es ist allgemeine weltmännische Bildung, nicht musikalische, die durch enthusiastische aber dilettantische Neigung nicht ersetzt werden kann; daher treffen seine Bemerkungen, auch wo sie wahr sind, selten den Kernpunkt, oft tauschen sie durch brillanten Effect, und für das eigentlich künstlerische Verständniß ist wenig dadurch gewonnen.
Erschrecken Sie nicht, lieber Freund, vor der üblen Stellung, welche ich mir und meiner Arbeit durch diese Offenherzigkeit bereite. Ich wünsche der Wissenschaft zu dienen und muß daher die Aufgabe die ich mir zu stellen habe, die Mittel und Kräfte sie zu lösen klar erkennen; am wenigsten mochte ich den Schein gewinnen, als ob ich, indem ich Andere schone, mich selbst geschont sehen wollte. Sie wissen, daß ich von Jugend auf mich viel mit Musik beschäftigt, ihr soviel Zeit gewidmet habe, daß gar Mancher den Kopf dazu geschüttelt hat, wie sich das nur meinen philologischen Studien vertrage. Vielleicht hatten sie mit [20] Recht; ich muß indessen bekennen daß mir die Musik jederzeit eine ebenso ernste Sache gewesen ist als die Philologie und daß ich stets bemüht gewesen bin durch gründlichen Unterricht und eifriges Selbststudium mir eine Einsicht in das Wesen der Musik und ihrer Technik zu erwerben. Ich empfand es aber als eine Pflicht gegen mich selbst, von dieser Thätigkeit, die einen guten Theil meines Lebens erfüllt, auch Rechenschaft abzulegen, und da eine glückliche Fügung mir die Gelegenheit bot den Meistern meine Forschung zu widmen, denen ich soviel verdankte, griff ich mit Freuden zu. Ich glaubte mir sagen zu dürfen, daß eine Darstellung ihres Lebens und künstlerischen Wirkens soviele Seiten darbietet, soviele Anforderungen macht, daß nur vereinigte Kräfte diese Aufgabe vollkommen lösen können; daß, wenn ich auch Wesentliches dem Musiker vom Fach überlassen muß, die größere Uebung in wissenschaftlicher Methode der Untersuchung andere nicht minder wesentliche Punkte fördern könne. Und so machte ich mich denn getrost an das Werk.
Meine Aufgabe war eine auf gründlicher Durchforschung der Quellen beruhende zuverlässige und vollständige Darstellung des Lebensganges Mozarts, mit sorgfältiger Berücksichtigung Alles dessen, was in den allgemeinen Bedingungen der Zeit, in welcher er lebte, wie in den örtlichen und persönlichen Verhältnissen, unter deren besonderm Einfluß er stand, seine Cutwickelung als Mensch und Künstler zu bestimmen geeignet war; sodann eine aus der möglichst umfassenden Kenntniß und Würdigung seiner Compositionen hervorgehende Charakteristik seiner künstlerischen Leistungen, eine Geschichte seiner künstlerischen Ausbildung. Keine Seite dieser Aufgabe kann selbständig für sich gefaßt werden, wenn auch die Forschung wie die Darstellung bald der einen bald der anderen nachgehen mußte; die Aufgabe selbst war stets eine, wie das Individuum in welchem der Künstler und der Mensch untrennbar vereinigt sind.
Wie ungenügend für diese Aufgabe das vorliegende Material sei ergab sich bald und was hie und da zerstreut zu der Nissenschen [21] Sammlung hinzukam, war im Ganzen eine dürftige Aehrenlese; es galt ergiebige Quellen zu finden. Als ich im Sommer 1852 nach Wien reiste, geschah es, wie Sie wissen, hauptsächlich in der Absicht den Traditionen die sich von Beethoven dort noch erhalten haben möchten nachzugehen, für die genauere Kunde Mozarts dort noch viel zu finden machte ich mir keine Rechnung. In der That war auch die lebendige Ueberlieferung von seinem Leben, seiner Person und seinen Verhältnissen ziemlich erloschen, auf unmittelbaren Eindrücken beruhte Weniges was ich erfuhr und im Allgemeinen mußte man gegen solche Mittheilungen vorsichtig sein, da sie häufig sich nur als eine durch mündliche Fortpflanzung entstellte Bücherweisheit ergaben. Indessen war mir doch dieser Aufenthalt auch für die Darstellung Mozarts ungemein lehrreich. Wie verschieden auch Wien 1852 von dem Wien der Jahre 1780 bis 1790 sein mochte, so war doch auch jetzt noch durch lebendige Anschauung und den sinnlichen Eindruck Vieles zu gewinnen, was sich aus Büchern gar nicht schöpfen läßt, und was auch mehr in der Färbung und Haltung der ganzen Darstellung als in bestimmten Einzelnheiten wieder zum Vorschein kommt. Auch im mündlichen Verkehr mit kundigen Freunden ergab sich gar manche Belehrung, für die sich sonst vielleicht nicht einmal ein Anlaß gefunden hatte. Besonders war es mein lieber Freund Karajan, der, selbst musikalisch gebildet und in der Geschichte Wiens heimisch wie in seinem Hause, mir meinen Aufenthalt in Wien so lehrreich gemacht hat als er ihn mir behaglich und angenehm zu machen wußte. Er hat auch nachher noch erfahren, was man einem Freunde für Mühe machen kann, der immer bereit ist Aufschluß zu geben und sich selbst zu jeder mühsamen Detailforschung gern herbeilaßt, nur um einem Anderen damit zur Hand zu gehen. Auf der k.k. Hofbibliothek fand ich außer den verschiedenen Manuscripten des Requiem, welche für die Entscheidung einer so wunderlich verzettelten Frage den sicheren Anhaltspunkt gewahren, noch manche andere wichtige Handschriften Mozarts, und reichen Stoff für vielfache Belehrung[22] – Dank der unermüdlich freundlichen Bereitwilligkeit des Custos A. Schmid.
Den wesentlichsten Vorschub fand ich aber bei Aloys Fuchs. Außer mehreren anderen Sammlungen hatte er mit außerordentlicher Ausdauer Alles gesammelt, was sich nur irgend auf Mozart bezog, und mit neidloser Liberalität, wie sie bei Sammlern nicht eben alltäglich ist, überließ er mir was er wußte und was er hatte zur freien Benutzung. Von großem Nutzen war mir das systematisch-chronologische Verzeichniß aller gedruckten und ungedruckten Werke Mozarts, welches er sich angelegt hatte, sowie die Sammlung von Documenten, Zeitungsblättern, Journalartikeln und Broschuren, welche er im Original oder abschriftlich zusammengebracht hatte. Dabei mußte ich freilich mitunter bedauern, daß er diese Sammlungen mehr mit der Neigung des Sammlers als im wissenschaftlichen Interesse gepflegt hatte; wie er z.B. fast nie die Quelle seiner Excerpte angemerkt hatte; allein ich bin dadurch auf Vieles aufmerksam gemacht worden, an das ich sonst schwerlich gedacht hatte, viele Mühe ist mir erspart worden, und namentlich eine Reihe Mozartscher Briefe, welche er sich abgeschrieben hatte, ist nur so zu meiner Kunde gekommen. Seine reichhaltige Sammlung Mozartscher Compositionen in den verschiedenen Ausgaben und in Abschriften habe ich leider nicht gründlich benutzen können; mir wurde die Zeit zu knapp und ich durfte hoffen dieselbe auch noch später nach Bedürfniß zu Rathe zu ziehen. Diese Hoffnung wurde freilich traurig getauscht; wenige Monate nachdem ich Wien verlassen hatte starb Aloys Fuchs. Es ist mir ein schmerzliches Gefühl daß ich dem braven Mann für so viele treue Freundesdienste nicht durch das Buch danken kann, das ihm, ich weiß es, Freude gemacht haben würde.
Den größten Dienst erwies er mir aber durch die Nachricht, daß die Briefe Mozarts, soweit sie noch erhalten waren, durch ein Geschenk der Frau Baroni-Cavalcabo, welcher Wolfgang Mozart der Sohn sie als Vermächtniß hinterlassen hatte, an das[23] Mozarteum in Salzburg übergegangen seien. Ich begab mich also im November nach Salzburg. Als einziger Ueberrest jener vollständigen Correspondenz, welche Nissen vorgelegen hatte, fand ich hier die Briefe vom Jahr 1777 bis 1784 im Wesentlichen noch so, wie jener sie benutzt hatte –, glücklicherweise den wichtigsten Theil. Ein flüchtiger Einblick überzeugte mich, daß Nissen nicht bloß im Einzelnen ungenau und willkührlich verfahren sei, sondern daß er die ausführlichsten Nachrichten über die wichtigsten Verhältnisse und Begebenheiten, auf denen das Verständniß jener Zeit beruht, ganz unterdrückt habe. Hier gab es zu thun, aber auch reichen Gewinn. Durch die gütige Unterstützung des Secretärs des Mozarteums Dr. v. Hilleprandt und des Archivars Jellinek wurde es mir möglich mit ungetheilter Kraft meine Arbeit in kürzester Frist zu vollenden. Ich collationirte die bei Nissen gedruckten Briefe wie einen alten Autor, die übrigen schrieb ich ab oder machte mir ausreichende Excerpte. Seines Fleißes darf man sich ja rühmen, und ich kann Ihnen eine unverdächtige Zeugin stellen, die alte Theres im goldnen Ochsen, die sich später nicht meines Namens aber wohl des Professors erinnerte, der langer als drei Wochen lang von früh bis spät auf seinem Zimmer saß und schrieb. Es war gut daß es damals meist schlechtes Wetter war, denn sonst wäre es auch für einen Professor zu viel geworden in Salzburg nur auf der Stube zu sitzen. Aber es war ein eigener Genuß bei dieser sterilen Arbeit des Abschreibens, die mir sonst Sie wissen wie verhaßt ist. Ich glaubte mit den Männern selbst zu verkehren, als ich so Brief um Brief Alles mit durchmachte was sie erlebt hatten, und was sie bewegte in Freud und Leid, unmittelbar wie ihnen der Eindruck gekommen war, bis in die wechselnden Züge der Handschrift, so wieder aufnahm, wie einst der dem der Brief zu Handen kam. Wie sehr wünsche ich daß ein Hauch davon auch in meine Darstellung dieser menschlich anziehenden Verhältnisse übergegangen sei, obgleich ich wohl fühle, daß es kaum möglich ist ihn so unmittelbar wiederzugeben als er aus [24] den Briefen selbst mich anwehte. Nachdem diese Arbeit gethan war, untersuchte ich was von Mozartschen Compositionen in Salzburg noch vorhanden sei; weiter war leider dort nichts zu machen. Obgleich Mozarts Schwester, Mozarts Wittwe und deren Schwester bis in die letzten Decennien in Salzburg gelebt haben, ist es Niemand eingefallen sie nach dem großen Landsmann auszufragen und den reichen Schatz einer Familientradition, die sein ganzes Leben umspannte, der Nachwelt zu erhalten: ich fand, wo ich nachfragte, Alles vergessen, spurlos verschollen wie sein Grab. So ist auch von allen Familienpapieren und Documenten aller Art außer jenen Briefen Nichts dort aufbewahrt worden, unbeachtet hat man es verkommen lassen.
Aehnliche Schätze wie jene Correspondenz waren freilich anderswo nicht mehr zu heben; allein durch die gütige Mittheilung von Freunden und Gönnern sind noch manche einzelne Briefe und kleinere Correspondenzen in meine Hände gekommen, aus denen sich interessante Züge zu dem Bilde besonders der späteren Jahre gewinnen ließen. Ich zweifle nicht, daß namentlich in den Autographensammlungen noch viele, zum Theil wichtige Documente der Art verborgen sind; vielleicht wird man durch mein Buch aufmerksamer auf ihren Werth für die Wissenschaft, und ich würde es als einen schönen Lohn meiner Bestrebungen ansehen, wenn man mir dergleichen Reliquien Mozarts auch ferner mittheilen wollte.
Hülfsmittel einer anderen Art, nicht minder reich und wichtig als die vorher genannten, welche ich ebenfalls zum erstenmal vollständig und ausreichend benutzen durfte, bot mir die Andrésche Sammlung dar. Bekanntlich hat der Hofrath André von Mozarts Wittwe die sämmtlichen Originalmanuscripte Mozarts, gedruckte wie ungedruckte Werke, erkauft, und diese Sammlung wurde mit Ausnahme weniger bereits früher veräußerter Stücke, bis vor kurzer Zeit in Frankfurt im ungetheilten Besitz der Erben bewahrt, wie ein »Thematisches Verzeichniß derjenigen Originalhandschriften Mozarts welche Hofrath André besitzt« Offenbach [25] 1841 dieselben angiebt. Mozarts Vater hatte sorgsam alle Arbeiten seines Sohnes von früher Jugend an aufbewahrt, die nach seinem Tode dem Sohne zufielen, der mit seinen späteren Compositionen zwar nicht so sorglos umging, wie es wohl dargestellt worden ist, aber sie nicht mit gleicher Genauigkeit bewahrte und manche auch verschenkte. So kam es daß nach seinem Tode die Arbeiten aus der Zeit vor dem Wiener Aufenthalt nahezu vollständig vorhanden waren, die aus späteren Zeiten wenigstens zum größten Theil. Die Andrésche Sammlung bewahrt also in der eigenen Handschrift Mozarts die Mehrzahl seiner Werke von den frühsten Jugendarbeiten an in einer fast ununterbrochenen Folge aus allen Jahren bis zu seinem Tode. Von den Compositionen die vor das Jahr 1780 fallen ist der sowohl der Zahl als der künstlerischen Bedeutung nach erheblichste Theil noch ungedruckt, viele der gedruckten sind so unzuverlässig publicirt, daß man durchaus genöthigt ist wieder auf das Original zurückzugehen. Die Wichtigkeit dieser Sammlung leuchtet ein und vielleicht giebt es für keinen bedeutenden Meister in irgend einer Kunst eine ähnliche Sammlung von gleicher kunstgeschichtlicher Bedeutung. Leider steht zu befürchten daß dieselbe zerstreut werde, und daß in Deutschland sich keine Mittel finden ein Andenken Mozarts zu erhalten, das seiner würdiger ist und sein Gedächtniß treuer der Nachwelt überliefert als Statuen und Büsten. Da eine Würdigung der künstlerischen Entwickelung Mozarts ohne eine erschöpfende Kenntniß seiner Jugendarbeiten nicht möglich ist, begab ich mich im Sommer 1853 nach Frankfurt um diese merkwürdige Sammlung zu untersuchen. Die Gebrüder Carl und Julius André eröffneten mir bereitwillig den Zugang zu derselben, sie räumten mir freundlich eine Wohnung im Haus Mozart ein, wo ich in voller Freiheit mit Ruhe die Handschriften studiren konnte und fünf Wochen zubrachte um ausführliche Notizen und Auszüge zu machen. Allein als ich an die Ausarbeitung ging, mußte ich bald gewahren daß die genauesten Notizen den frischen Eindruck des gegenwärtigen Kunstwerks nicht zu ersetzen vermögen. Auch hier halfen mir die [26] Gebrüder André, die für meine Arbeit ein lebhaftes und freundschaftliches Interesse gefaßt hatten, mit einer Liberalität aus, auf welche ich nicht gewagt hatte Anspruch zu machen: sie theilten mir im Verlauf der Arbeit immer die Handschriften mit, mit denen ich mich zu beschäftigen hatte und machten es mir möglich meine Darstellung fortwährend auf das unmittelbare Studium der einzelnen Compositionen zu begründen. Ich sage nicht zu Viel, wenn ich mit dem aufrichtigsten Dank bekenne, daß ohne das ehrenvolle Vertrauen und die freundschaftliche Förderung dieser Männer mein Buch das nicht hatte erreichen können, worin ich sei nen wesentlichen Vorzug setzen zu können glaube. Da es mir durch eine günstige Fügung außerdem vergönnt worden ist die wichtigsten Werke, welche in der Andréschen Sammlung fehlen, durch die Güte ihrer Besitzer in Mozarts eigener Handschrift zu studiren – was nie ohne Genuß und eigenthümliche Belehrung geblieben ist –, so darf ich mich des seltenen Glückes rühmen, nicht allein die Compositionen Mozarts mit verhältnißmäßig geringen Ausnahmen vollständig, sondern weitaus die meisten in seiner Handschrift kennen gelernt zu haben.
Sie sehen, lieber Freund, diese Hülfsmittel mußten zu neuen Aufschlüssen, zu vollständigerer und genauerer Einsicht in das bisher zum Theil Bekannte führen; daß ich auch in der Litteratur mich umzusehen bemüht war und den dort zerstreuten Stoff für meine Zwecke zusammenzubringen suchte werden Sie mir schon als Philologen zutrauen. Indessen ist die musikalische Litteratur nicht so leicht zugänglich als die philologische und viele Hülfsmittel, welche dort das Nachsuchen und Forschen erleichtern, fehlen hier gänzlich; ich bin daher weit entfernt zu glauben daß ich mich einer vollständigen Benutzung der Litteratur auch nur angenähert habe. Dies war auch nur nach einer Richtung bin mein Bestreben, soweit es die Ueberlieferung des Thatsächlichen anlangt; denn Alles das was über Mozarts Musik gedacht, geträumt, gefaselt ist kennen lernen oder gar anführen zu wollen ist mir nicht in den Sinn gekommen. Ich hatte völlig genug an dem was mir bei anderer Lecture [27] in den Weg gekommen ist, meine Leser werden an dem was beispielsweise angeführt ist ebenfalls genug haben.
Mein erstes Augenmerk war also die sichere Feststellung und urkundliche Begründung des Thatsächlichen und die, soweit es von Interesse sein konnte, vollständige Darlegung desselben. Die schriftliche oder die verbürgte mündliche Ueberlieferung Mozarts und seiner Angehörigen bildet daher die wesentliche Grundlage meiner Darstellung und zwar so daß, wo kein bestimmter Beleg beigebracht ist, die fortlaufende Correspondenz bei Nissen als Quelle anzusehen ist. Da ich aber wünschte Alles das in meinem Buch zu vereinigen, was mir ein bleibendes Interesse zu haben schien, und Nissens Sammlung entbehrlich zu machen für Alle, welche nicht selbständig prüfen und forschen wollen, so habe ich wörtliche Mittheilungen aus den Briefen wo es nur thunlich schien beigegeben, auch nicht versäumt, da ich das in den Briefen enthaltene Material an sehr verschiedenen Stellen und zu sehr verschiedenen Zwecken gebrauchen mußte, die außer der Reihe benutzten Briefe anzuführen. Ich habe immer die Briefe nach dem Datum bezeichnet, ohne anzugeben ob der Brief bei Nissen gedruckt ist oder nicht. Dabei muß ich aber bemerken daß meine Angaben überhaupt nicht nach Nissens Buch controlirt werden können, da er die Briefe weder genau noch vollständig hat abdrucken lassen; und um jedes Mißverständniß zu verhüten, will ich noch anführen, daß mir außer der oben angegebenen Folge gar manche einzelne Briefe von Leopold und Wolfgang Mozart zu Handen gekommen sind, aus denen ich genauer referiren konnte. Denn natürlich habe ich, wo mir das Original zu Gebote stand nur dieses zu Rath gezogen und Nissens Abdruck nur, wo jenes mir fehlte. Sie, lieber Freund, brauche ich nicht zu bitten mir das Vertrauen zu schenken daß ich es mit diesen Dingen genau genommen habe; ich hoffe aber daß meine Arbeit überhaupt dem Leser das Gefühl gebe, daß er sich auf meine Sorgfalt für treue Ueberlieferung verlassen könne. Es versteht sich von selbst, daß ich in Stil und Darstellung der Briefe nicht das Geringste geändert habe; nur in [28] der Orthographie habe ich mir einige Freiheit genommen um nicht den Leser ohne allen Nutzen für die Charakteristik zu stören. Wo andere Quellen benutzt werden konnten und mußten als die Briefe, sind sie gewissenhaft angegeben.
Ich habe aber außer dem was Mozart unmittelbar angeht auch eine Zeit, die Verhältnisse unter denen er lebte und die Personen, mit denen er in Berührung kam, bestimmter darzustellen gesucht, soweit es eben für seine Entwickelung in Betracht kommt. Hier habe ich den großen Mangel an ausreichenden Nachrichten gar sehr zu beklagen. Wie genau wir auch über manche Partien der Litteratur- und Culturgeschichte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unterrichtet sind: über die musikalischen Verhältnisse und Personen erhalten wir wenig Aufschluß, und über die Gegenden, welche für die Geschichte der Musik von dem größten Interesse sind, erfahren wir überhaupt am wenigsten. Ich zweifle nicht, daß der Geschichtsforscher, der sich mit diesen Zeiten besonders beschäftigt, vieles Interessante ausmitteln wird das mir entgangen ist, obgleich ich auch solche über diese Armuth habe klagen hören. Ich habe denn nicht ohne Eifer zusammenzubringen gesucht was mir dienlich schien das Bild lebendiger und anschaulicher zu machen, und nicht versäumt die Quellen und Belege beizubringen, theils um der sicheren Gewißheit willen, theils um denen welche sich dafür interessiren die Wege zu weisen. Ich glaubte noch weiter gehen zu müssen, und habe bei den vielen Personen – meistens Musikern – die erwähnt werden mußten eine kurze Angabe ihrer Lebenszeit, mitunter auch eine summarische Charakteristik hinzugefügt. Die wenigsten meiner Leser werden diese Notizen gegenwärtig haben, die doch wenn das Ganze klar und deutlich sein soll zur Stelle sein müssen; ich wollte ihnen deshalb die Mühe sparen auch nur ein Conversationslexikon zur Hand zu nehmen. Ich habe mich dabei an die gangbaren und in ihrer Art vortrefflichen Tonkünstlerlexica von Gerber und Fétis gehalten; meine eigenen Untersuchungen aber, welche mich in das Detail dieser Zeit einführten, haben mir nicht selten Berichtigungen [29] der gewöhnlich überlieferten Angaben geboten; ich bemerke das nicht um das Verdienst jener Werke zu schmälern, sondern damit man nicht glaube mich ohne Weiteres aus gangbaren Büchern berichtigen zu können.
Vielleicht lächeln Sie über den Philologen, der sich in seinem Eifer für diese kleinen Beigaben verräth – immerhin, ich halte aufs Handwerk, und gelegentlich wird es Ihnen auch wohl bequem sein. Uebrigens bemerke ich, nicht für Sie, sondern für die, denen Anmerkungen, Excurse, Citate. Verzeichnisse u.s.w. als die grausame Rüstung der Pedanterie Entsetzen einflößen, daß sie deshalb das Buch noch nicht wegzulegen brauchen. Ich habe mich bestrebt so zu schreiben, daß der Text ein in sich abgeschlossenes Ganze bildet, der zu seinem Verständniß der Anmerkungen nicht bedarf; und wen nach ihrer Gelehrsamkeit nicht verlangt, der kann sie getrost bei Seite liegen lassen. Dagegen hoffe ich aber daß Sie mir zugestehen werden, daß durch Anwendung philologischer Methode im Ganzen und Einzelnen auch diese Forschung nur gewinnen könne. Am augenfälligsten tritt sie vielleicht bei der chronologischen Bestimmung der einzelnen Werke hervor.
Wir sind in dieser Beziehung bei Mozart im Ganzen gut daran. Vom Jahre 1784 an besitzen wir seinen eigenen sorgfältig geführten thematischen Catalog, welchen André im Jahr 1828 herausgegeben hat. Bei früheren Compositionen ist auf dem Autograph in der Regel die Entstehungszeit genau angegeben, und die Reihe der sicher datirten Werke umfaßt die bei weitem größte Anzahl. Aber doch nicht alle; von manchen fehlt das Autograph, und nicht auf allen findet sich ein Datum. Hier waren daher Combinationen, bei denen äußere Gründe bis auf Papier und Handschrift, und innere aus dem Stil und der formellen Behandlung abgeleitete sowie die Auslegung der Zeugnisse ihre Rollen spielen, unvermeidlich. Hofrath André hatte zu seinem Gebrauch einen bis zum Jahr 1784 geführten chronologischen Catalog entworfen, den ich in einer Abschrift benutzen konnte. Er enthielt manche mir sehr erwünschte Bemerkung und [30] Nachweisung und leistete mir überhaupt gute Dienste; eigene Untersuchungen konnte er mir natürlich nicht ersparen. Durch diese bin ich, obgleich ich vorsichtig verfahren bin, fast überall ziemlich aufs Reine gekommen; die Verzeichnisse, welche ich nicht ohne Mühe entworfen habe, empfehlen sich hoffentlich durch übersichtliche Kürze und Zuverlässigkeit. Ganz aufgeben mußte ich es genau anzugeben, was bereits gedruckt ist, wo, wie oft; dies in einiger Vollständigkeit zu ermitteln verlangt Hülfsmittel und Studien, die ich diesen Fragen nicht widmen konnte. Was von der Art angeführt ist, kann nur als vereinzelte, zufällige Angabe gelten.
Doch die Behandlung des Historischen im Einzelnen und Ganzen geht ihren sicheren und gewiesenen Weg. Ihr letztes Ziel ist die Wahrheit, und nur diese zu finden und darzustellen habe ich mich bemüht. Keine Rücksicht auf Andere hat mich bewogen zu verschweigen, was für das Verständniß Mozarts als Mensch und Künstler nothwendig oder wichtig war, ebensowenig habe ich je verschwiegen oder zu verdecken gesucht, was zu seinem Nachtheil sprechen könnte. Das Urtheil über ihn als vollendeten Künstler steht fest und konnte vielleicht nur in Einzelheiten scharfer bestimmt und begründet werden; das Urtheil über den sich bildenden Künstler und über den Menschen kann erst durch das was hier vorgelegt wird sicher gefaßt werden. Allerdings ist es eine Freude für mich, daß in jeder Beziehung die Bewunderung wie die Achtung und Liebe zu Mozart gesteigert, ja zum Theil erst fest begründet wird. Aber um nichts in der Welt möchte ich daß man meine Darstellung Mozarts für eine apologetische ansahe. Nach meiner Ueberzeugung thut man großen Männern Unrecht, wenn man ihre Schwachen beschönigen oder wegläugnen will; man hat Alles gethan, wenn man sie zu verstehen sucht sowie sie waren.
Bei diesem Bestreben die ganze Individualität Mozarts dem Leser klar und lebendig vor die Seele zu stellen, erschien es auch erwünscht seine körperliche Erscheinung demselben gegenwärtig zu [31] halten. Sie finden vor dem ersten Theil das Bild des jungen Mozarts nach dem in Salzburg im Mozarteum befindlichen Familienbild, welches im Jahr 1780 gemalt worden ist und vor dem zweiten einen Stich nach dem im Jahr 1790 in Mainz von Tischbein gemalten Bilde. Bei einem Buche aber, das die Ueberlieferung zu bewahren bestimmt ist, erschien es mir wie eine Pflicht auch das wohlbekannte Profil nach dem Wachsmedaillon von Posch zu erhalten, welches allen früher currenten Bildern zu Grunde lag und fast wie das des alten Fritz in jeder Copie unähnlicher wurde und doch noch ähnlich blieb; Sie finden es zu Anfang des zweiten Buches. Auch von seiner Handschrift ist jedem Theil ein Facsimile beigegeben.
Darf ich Ihnen auch noch ein Wort über die musikalische Charakteristik sagen? Sie muß sich selbst rechtfertigen, das weiß ich wohl, und ich mochte auch nur aussprechen, daß ich mir der großen Schwierigkeiten dieses Unternehmens klar bewußt bin. Daß sich der Inhalt eines musikalischen Kunstwerks nicht in Worte fassen laßt, daß auch der bestimmte Ein druck welchen dasselbe beim Anhören macht nicht durch Worte, am wenigsten durch eine Klimax stattlicher Beiwörter, wiedergegeben werden kann ist klar. Eigentlich müßten, wie Schumann es einmal für die musikalischen Recensenten wünschte, wenn man über Musik sprechen sollte, immer Instrumentalisten und Sänger geliefert werden, um das Stück gleich aufzuführen. Dies ist indessen doch nicht wohl thunlich, und es kommt also immer darauf an durch das Wort in dem Leser eine dem Wesen des Kunstwerks entsprechende Vorstellung hervorzurufen. Dies ist nur möglich, indem man von der künstlerischen Form ausgeht, ihre Gesetze und Normen, ihre technischen Bedingungen, ihre mannigfache Anwendung und Ausbildung bis in die individuellste Gestaltung klar und anschaulich zu machen sucht. Allerdings wird man auch hiedurch nur zu allgemeinen Vorstellungen gelangen, die specifische, welche nur durch den unmittelbaren Eindruck des Kunstwerks zu erreichen ist, laßt sich nicht mit Bestimmtheit hervorrufen. Auch wenn [32] man von der anderen Seite her die künstlerische Stimmung, welche in jener Form ihren eigentlichen Ausdruck fand, durch Worte anzudeuten versucht, wird dies nie völlig gelingen; und den Punkt, in welchem die künstlerische Stimmung die künstlerische Form erfüllt, also das Kunstwerk entsteht, in einer anderen Weise als durch das Kunstwerk selbst zu fassen ist unmöglich. Die Vorstellungen vom musikalischen Kunstwerk werden also, da man auch nicht, wie in der bildenden Kunst, der Natur unmittelbare Analogien entlehnen kann, nur ungefähre bleiben, die um so bestimmter sein werden, je sicherer man an musikalische Erfahrungen des Lesers anknüpfen und in diesen die Analogien für die neu zu gewinnende Vorstellung finden kann. Hier ergiebt sich nun die große Schwierigkeit, daß in einem großen Kreise von Lesern – Sie wünschen mir deren recht viele – der Grad der musikalischen Bildung, d.h. die Summe der musikalischen Erfahrungen und das Maaß des klaren Bewußtseins über die Natur derselben sehr verschieden ist. Rein technisch die Sache behandeln, wie es am kürzesten und bequemsten geschieht wenn man nur mit Musikern verkehrt, ist also ganz unthunlich, wenn man verstanden sein will, ebensowenig kann man an jedem einzelnen Punkte ohne alle Voraussetzung des Wissens und Verstehens völlig von vorn anfangen. Es bleibt also, wie mir scheint, nur übrig, von den verschiedensten Ausgangspunkten, den verschiedensten Seiten und Richtungen her, aber immer an einen concreten Fall anknüpfend, die der Musik eigenthümlichen Kunst formen zu betrachten und zu entwickeln, um so die verschiedensten Anknüpfungspunkte für die eigene Erfahrung des Lesers darzubieten und ihm ein wahres Verständniß zu vermitteln. Denn wenn er nur an einem Punkt sich innerlich getroffen fühlt und ihm lebendig geworden ist um was es sich handelt, wird er von da aus sich auch des klebrigen bemächtigen. Hiezu werden, wie ich hoffe, ebensowohl die geschichtlichen Ueberblicke über die allmähliche Ausbildung der musikalischen Formen, als die allgemeinen [33] Betrachtungen über die Gesetze der künstlerischen Formen überhaupt das Ihrige beitragen; denn da ihre Bedeutung eine weiter greifende und tiefer gehende ist, so wird auch das Licht das sie verbreiten heller leuchten und tiefer eindringen als Beobachtungen welche einen einzelnen Fall betreffen. Dabei mußte ich mir aber beständig gegenwärtig halten, daß ich nicht technische eingehende Analysen einzelner Musikstücke zur Belehrung für den Musiker zu geben hatte, sondern eine Charakteristik deren Wesen und Umfang durch die Stelle, welche sie in der ganzen Darstellung einnimmt, bestimmt und begrenzt wird. Sehen Sie zu, lieber Freund, wie weit es mir gelungen ist über so schwierige Gegenstande klar und eindringlich mich zu äußern; ich kann nur versichern, das was ich gesagt auch innerlich erfahren und durchlebt zu haben.
Eine herzliche Freude hat mir der Antheil gemacht, welchen mein verehrter Freund Hauptmann an dem Buche während des Drucks genommen hat. Ich will ihm keinerlei Verantwortung aufbürden, wenn ich ihm für die Sorgfalt danke, mit welcher er nicht bloß den Setzer sondern auch den Verfasser beaufsichtigt hat; Sie begreifen aber, wie ermuthigend und erfrischend mir im Verlauf meiner Arbeit die fortdauernden Beweise seiner freundschaftlichen Theilnahme und die lebendige Erinnerung an den schmerzlich vermißten persönlichen Verkehr mit ihm sein mußten.
Es ist spät geworden, mein theurer Freund, später noch als wir nach unseren musikalischen Excessen uns zu trennen pflegten, die Ihrer Frau in der Regel schon zu lange dauerten. Leben Sie wohl und nehmen Sie mein Buch mit derselben herzlichen Theilnahme und freundlichen Nachsicht auf, welche mir stets so wohlthuend gewesen ist.
Bonn 30. November 1855.
Otto Jahn.
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