8.

Am 14. März reisten Mutter und Sohn ab; sie hatten sich einem Hauderer verdungen, der ihnen ihre Chaise abkaufte, und kamen am 23. März in Paris an, nachdem sie also neun und einen halben Tag unterwegs gewesen waren: »wir haben geglaubt, wir können es nicht aushalten« schreibt Wolfgang (24 März 1778)1.

Der Vater setzte auf Paris große Hoffnung und glaubte, es könne Wolfgang nicht fehlen dort bald berühmt zu werden und also auch Geld zu erwerben. Er hatte die überaus glänzende Aufnahme im Gedächtniß, welche er daselbst vor vierzehn Jahren mit seinen Kindern gefunden hatte, und war überzeugt daß man dem Jüngling, der das was er als Kind versprochen hatte in einer Weise erfüllte, die einem denkenden [187] Beobachter ungleich wunderbarer erscheinen mußte, als selbst die unglaublichen Leistungen des Knaben, die gleiche Theilnahme schenken würde. Er rechnete auf das gute Gedächtniß so vieler vornehmer und angesehener Personen, deren Gunst sie erfahren hatten, und vor Allem auf die erprobte Freundschaft Grimms, der ihm damals mit seiner Kenntniß aller Verhältnisse die Wege gebahnt hatte und mit dem er fortwährend in Verbindung geblieben war2. Er hatte denselben jetzt ausführlich von seiner Lage und wie sehr Wolfgang seiner Unterstützung bedürfe in Kenntniß gesetzt und empfahl diesem die unbedingteste Hingebung an Grimms Rathschläge3.

[188] Und doch hatte der kluge Mann in mehr als einer Hinsicht falsch gerechnet. Er hatte nicht bedacht, daß Grimm seit jener Zeit älter, bequemer und vornehmer geworden war, und daß schon ehemals um seine Freundschaft wirksam zu nutzen, eine Klugheit, Thätigkeit und Geschmeidigkeit im praktischen Leben erforderlich gewesen war, wie er sie besaß, sein Sohn aber trotz aller Lehren, die ihm sein Vater und nun auch schon das Leben gegeben hatte, nicht mit nach Paris brachte und auch dort nicht erwerben sollte. Er hatte nicht hinreichend erwogen daß die Aufmerksamkeit des Publicums viel eher durch das Auffallende und Ueberraschende in äußerlichen Dingen gewonnen wird als durch die größten inneren Vorzüge, in denen das Wesen der Kunst beruht; daß die Gunst der Vornehmen und Reichen hauptsächlich gepflegt sein will und durch die geschickte Benutzung der socialen Verhältnisse erhalten wird. Ganz besonders galt dies für Paris, wo damals noch Bildung und Interesse für Musik im Verhältniß zu anderen großen Städten weniger allgemein war und nur wenn ungewöhnliche Umstände hinzutraten zu einer Art Enthusiasmus sich steigerten. Dies war nun allerdings in jener Zeit der Fall, allein selbst dieser Umstand – auch hier konnte der Vater nicht klar sehen – war für das Auftreten eines jungen Mannes nicht günstig, der es so wenig verstand sich persönlich geltend zu machen. Höchst merkwürdig aber ist es für uns, daß Mozart, der so eben in Mannheim mitten in die ersten noch frischen, lebhaften Bestrebungen für die Erweckung einer nationalen deutschen Oper getreten war, zu einer Zeit nach Paris kam, wo der Kampf zwischen der italiänischen und der durch Gluck reformirten französischen Oper von beiden Seiten mit brennendem Eifer geführt und, wie es schien, zum Austrag gebracht werden sollte. Hier, wie dort nahm er trotz seiner lebhaften Neigung keinen thätigen [189] Antheil; es war, als sollte er als unbetheiligter Zuschauer noch erst sich vorbereiten auf die Aufgaben, deren Lösung ihm bestimmt war.

Ich muß hier kurz an die bekannten Thatsachen in ihrem Zusammenhang erinnern um die musikalische Situation klar zu machen. Lully4 erhielt im Jahr 1672 von Ludwig XIV die Ermächtigung die Académie royale de musique einzurichten und wurde dadurch nicht allein der Stifter dieser noch jetzt unter demselben Namen bestehenden Anstalt5, sondern er begründete auch ihrem Wesen nach die große Oper der Franzosen. Er ging von jenen ersten Versuchen aus, welche man in Italien machte, die antike Tragödie in der Oper wieder zu erwecken6, und sowie diese dort zur Verherrlichung von Hoffesten [190] gedient hatten, so war auch in Paris die Aufführung der Oper ursprünglich ein Hoffest; das Privilegium Lullys bestand eben darin, daß ihm gestattet wurde auch vor dem Publicum gegen Bezahlung Opern aufzuführen, »selbst die welche für den Hof bestimmt waren« (même celles qui auront été représentées devant Nous). Ballets mit und ohne Gesang waren die Vorläufer derselben gewesen, in denen auch die vornehme Welt, den König nicht ausgeschlossen, selbst mit auftrat; Ballets wurden deshalb ein wesentlicher Bestandtheil der Oper, es war eine Hauptaufgabe des Dichters und Componisten dieselben mit der Handlung geschickt in Verbindung zu setzen; – bekanntlich sind die Ballets noch jetzt eine auszeichnende Prärogative der großen Oper in Paris. Eine nicht minder wichtige Aufgabe war es durch Pracht und Mannigfaltigkeit der Costumes, Decorationen, Maschinerien, Aufzüge und was dahin gehört diesen Spielen eine Würde zu geben, würdig eines Hofes, der sich als den Repräsentanten des Glanzes und des Geschmackes ansah; – auch hierin ist die große Oper in Paris sich treu geblieben. Während wir aber sahen, daß in Italien das musikalische Element der Oper und besonders die Gesangskunst über alle anderen die Oberhand gewinnt, macht sich in Paris das dramatische neben demselben geltend. Eine Oper von nationaler Bedeutung und nachhaltiger Wirkung zu begründen war Lully hauptsächlich dadurch möglich, daß er in Quinault einen Dichter fand, der seine, meist mythologischen Stoffe in einer Weise dramatisch gestaltete, welche dem poetischen Sinne und der Auffassung der Tragödie jener Zeit so wohl entsprach, daß man auch viel später noch die Opern Quinaults abgesehen von ihrer Bestimmung für die Musik als vortreffliche Tragödien gelten ließ. Wenn uns der Charakter derselben gegenwärtig – auch das abgerechnet was die Rücksicht auf den [191] Hof mit sich brachte – weit entfernt von dem Geist der antiken Tragödie und mehr rhetorisch aufgetragen und zugespitzt als poetisch erscheint, so erklärt sich das leicht aus dem veränderten Standpunkt der Zeit, hindert aber keineswegs zu begreifen, daß jene Tragödien – denn so nannte man auch die Oper – den Geist ihrer Zeit ausdrückten und um so größere nationale Bedeutung gewannen, je lebhafter man in Frankreich die Zeit Ludwigs XIV als eine große empfand. Wenn es Lully gelang, den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu finden, so war die nationale Oper geschaffen; und dieses Verdienst haben ihm die Mitlebenden und geraume Zeit hindurch die Nachwelt zugesprochen7. Seine Musik unterscheidet sich nicht wesentlich von jenen ersten Versuchen in Italien. Wir finden keine der in der Opera seria bestimmt ausgeprägten Formen, keine eigentlichen Arien, kein Duett, kein Ensemble. Der durchgehende Charakter des musikalischen Ausdrucks ist der des Recitativs, welches einfach die Worte wiedergiebt. Zum Theil ist dasselbe nur mit einem (bezifferten) Baß begleitet, allein auch dann hat es nicht die leichte freie Bewegung des italiänischen Recitativs, sondern es ist viel bestimmter abgemessen und auch in der Begleitung der Wechsel der Harmonie häufiger. Sowie aber die Empfindung sich auch nur um ein Weniges steigert tritt eine Art von Mittelzustand zwischen Recitativ und Gesang ein, in welchem die Worte genau nach dem declamatorischen Sprachaccent wiedergegeben sind, und nicht bloß streng im Tact – so daß die Tactarten häufig und in unregelmäßigen Abschnitten wechseln –, sondern auch harmonisch in der Art behandelt, daß zu jeder Note des Gesanges zugleich vom Orchester ein [192] voller Accord angegeben wird. Die Bildung der Melodie war daher sehr beschränkt – so geht z.B. die Baßstimme auch in den Solopartien immer mit dem Fundamentalbaß – und eine ausgeführtere musikalische Form schwer erreichbar. Selbständige Musikstücke kommen nur sehr selten vor, und dann in der beschränktesten Form, welche sich meistens an die der Tanzmelodien (Airs) anlehnt. So ist es auch, wenn mehrere Stimmen zusammenkommen; entweder wechseln sie nur mit ein ander ab, oder wenn sie zusammen singen, fällt Note auf Note, und ebenso sind die Chöre nichts als eine in der einfachsten Weise mehrstimmig ausgesetzte Harmonie eines Grundbasses, wobei die Oberstimme sich nicht einmal immer durch ihre Melodie besonders auszeichnet. Das Orchester hat, wo es nicht zum Tanz spielt, gar keine selbständige Bedeutung, sondern es leistet wesentlich nur dasselbe, was der Generalbaßspieler auf dem Klavier ausführt: es giebt zu jeder Note des Basses die volle Harmonie an. Von instrumentaler Wirkung ist kaum die Rede; sehr selten treten einzelne Instrumente z.B. die Flöten in individueller Weise hervor. Das Verdienst Lullys war es nun, den declamatorischen Accent in einer der französischen Sprache angemessenen Weise musikalisch wiedergegeben, und den Ausdruck des Pathetischen in der einzelnen Phrase charakteristisch getroffen zu haben. Es ist begreiflich daß anfangs, zumal bei geringer musikalischer Bildung, grade dieser Vorzug am lebhaftesten empfunden und anerkannt wurde; allein in jeder Kunst und besonders in der Musik ist das Charakteristische, weil es der Zeit und Person nach am meisten individuell ist, am ehesten dem Loos unterworfen nicht mehr verstanden zu werden und daher nicht mehr zu gefallen. Deshalb finden wir denn auch daß später die Reaction gegen Lullys Musik sich grade gegen diese Behandlung der Textesworte richtete; man fand sie einförmig, schwerfällig, langweilig8 [193] , zudem man auch für die einzelnen bedeutenden Züge nicht mehr empfänglich war, und verglich sie mit dem Psalmodiren (plainchant) der kirchlichen Gesänge9. Auch wird der Vortrag der Sänger und Sängerinnen uns als abschreckend geschildert, indem sie ein eintöniges Herleiern mit heftigem Aufschreien und übertriebenen Accenten in einzelnen Momenten abwechseln ließen10.

Indessen erhielten sich Lullys Opern nicht allein so lange er lebte, sondern auch nach seinem Tode (1687) eine lange Reihe von Jahren in unbestrittner Herrschaft auf der Bühne, [194] ein deutlicher Beweis, daß die hohe Gunst, welche er persönlich genoß, nicht den wesentlichsten Antheil an seinen Erfolgen haben konnte. Was neben seinen Opern etwa Gehör fand ist kunstgeschichtlich nicht so wichtig, weil es sich seiner Weise anschloß; vereinzelte Stimmen, welche auf die in Italien in der neapolitanischen Schule sich ausbildende Opera seria und ihre Gesangskunst hinwiesen und einen Einfluß derselben auf die französische Musik wünschenswerth fanden, wurden schon aus nationalem Stolz nicht beachtet11.

Nur durch die zähe Energie seines Charakters und eine mächtige Protection wie die des reichen La Popeliniere12 gelang es Rameau13 für seine Opern einen Platz neben den [195] Lullyschen zu gewinnen. Er fand, als er 1732 zuerst Hippolyte et Aricie aufführte, den heftigsten Widerspruch von Seiten der Anhänger Lullys, der nicht sobald ermüdete; indeß gelang es ihm die Herrschaft auf der Bühne, wenn gleich nicht über Lully doch neben ihm vollständig zu erringen, und seine Widersacher beruhigten sich allmählich, indem sie anerkannten daß durch Rameaus Verdienst die französische Musik nicht in ihrem Wesen geändert sondern weiter ausgebildet und vervollkommnet worden sei14. Und ohne Zweifel war dies der Fall. Rameau hatte sich, ehe er mit seinen Opern [196] auftrat, als Organist und Instrumentalcomponist, ganz vorzugsweise aber als der Begründer einer Theorie der Harmonie großen Ruhm erworben. Von dieser Seite her zeigen sich auch in seinen Opern entschiedene Fortschritte. Die harmonische Behandlung ist reicher und mannigfaltiger, sie ist nicht allein oft neu und überraschend, sondern sogar gesucht und überladen. Die Begleitung ist nicht mehr die harmonische Ausfüllung des bezifferten Basses, sondern sie bewegt sich vielfach frei und selbständig; auch ist das Orchester zu eigenthümlichen Effecten benutzt, sowohl durch Abwechslung und Zusammenstellung der Instrumente nach ihren verschiedenen Klangfarben, als durch selbständige Motive, welche besonders auch zu mancherlei Detailmalerei verwendet werden. In dieser Kunst das Orchester zu behandeln ist nicht allein gegen Lully ein Fortschritt, sondern auch der italiänischen Oper gegenüber eine Ueberlegenheit zu erkennen. In ähnlicher Weise sind ebenfalls den Chören die Fesseln einer bloß generalbaßmäßigen Behandlung abgenommen, die Stimmen bewegen sich freier und ausdrucksvoller. Auf die Ausführung der lyrischen Partien ist die vorgeschrittene Kunst des Sologesangs sichtlich von Einfluß gewesen, die Bewegung derselben ist freier, auch an Ansätzen zur Coloratur fehlt es nicht. Hier hat aber, obgleich Rameau sich in seiner Jugend eine Zeitlang in Italien aufhielt, eine maßgebende Einwirkung der italiänischen Musik doch nicht Statt gehabt15; wir finden nicht allein die bestimmten Formen der italiänischen Oper nirgends [197] angewendet, sondern überhaupt weder in den Chören noch Sologesängen eine fest ausgeprägte Form selbständig ausgeführter Musikstücke. Und wenn hier im Wesen die Weise der Lullyschen Oper gewahrt ist, so gilt dasselbe noch mehr von der Behandlung des Dialogs. Es ist derselbe streng gemessene recitativartige Gesang mit beständig wechselndem Tact, mit einer Begleitung gehäufter Accorde, deren fast auf jeden Ton der Singstimme ein neuer fällt; wenn gleich, wie sich von selbst versteht, die verschiedene Individualität des Componisten auch hier einen gewissen freien Spielraum behält, so war doch der Grundcharakter des dramatischen Ausdrucks durch die Musik in den wesentlichsten Erscheinungen nicht verändert. Rameaus Oper war eine Ausbildung der Lullyschen, keine Umgestaltung ihres Princips. Ob das was derselben eigenthümlich war für einen wahren Fortschritt der Kunst zu halten sei, oder für eine unzweckmäßige Neuerung, darüber wurde in jener Zeit mit großer Leidenschaftlichkeit gestritten; die Punkte, für welche man sich damals am lebhaftesten interessirte, berühren uns jetzt am wenigsten. Die Thatsache ist nicht zu bezweifeln, daß Rameau mit entschiedenem Talent auf den von Lully gelegten Grundlagen einer französisch-nationalen Oper fortbauete; man wird sogar bei einem genaueren Eingehen auf das Detail finden, daß selbst die heutige dramatische Musik der Franzosen trotz aller Umwandlungen und verschiedenartigen Einflüsse welche sie erfahren hat, sowie in ihrer großen Oper das Gerüste und der Zuschnitt jener ersten Oper noch deutlich zu erkennen ist, auch in manchen Wendungen und Eigenthümlichkeiten der Melodiebildung wie der rhythmischen und harmonischen Behandlung die Verwandtschaft mit jenen alten Meistern nicht verläugnet: ein Beweis, daß in dieser Tradition ein nationales Element sich geltend macht.

[198] Die Verehrer der national-französischen Oper thaten recht ihren Streit über Lully und Rameau durch die Anerkennung beider zu schlichten; denn ihnen insgesammt stand ein gefährlicher Angriff durch die italiänische Oper bevor, welche das übrige musikalische Europa in einer Weise beherrschte, daß Frankreich davon nicht unberührt bleiben konnte. Im August 1752 kam eine Gesellschaft italiänischer Sänger nach Paris, welche die Erlaubniß erhielt im Saal der großen Oper komische Opern aufzuführen und deshalb Les Bouffons genannt wurde. Der Eindruck, welchen die italiänische Musik16 – namentlich Pergoleses Serva Padrona – von italiänischen Kehlen mit italiänischer Gesangskunst vorgetragen hervorbrachte, war außerordentlich. Es war nicht allein die ausgebildete, bestimmt ins Ohr fallende Form der italiänischen Gesangsstücke, der Reiz einer anmuthigen wohlgebildeten Melodie die von einer einfachen, leicht faßlichen Harmonie getragen wurde, welche so große Wirkung thaten, sondern besonders auch die vortreffliche Ausführung. Denn hierin waren die französischen Operisten nicht allein hinter den Italiänern zurückgeblieben, sondern die Kunst des Gesanges, welche als eine selbständige zu einem so hohen Grade der Vollkommenheit in Italien ausgebildet worden war, schien in Frankreich ganz unbekannt geblieben zu sein. Auch das Orchester mit seinem hörbar lactirenden Director17 wird dem [199] discret accompagnirenden Orchester der Italiäner gegenüber als eine Gesellschaft musikalisch wenig gebildeter Leute bezeichnet, die es als ihre Hauptaufgabe betrachtet möglichst viel Geräusch zu machen. Jetzt geriethen die Enthusiasten der italiänischen mit den Anhängern der nationalen Musik in Streit und es entspann sich der vielbesprochne Kampf des coin du Roi (der Nationalen) und des coin de la Reine (der Italiäner)18. Grimm, der sich seit 1749 in Paris befand und von Deutschland Kenntniß und Neigung für die italiänische Musik mitgebracht hatte, wurde durch seine Spottschrift Le petit prophete de Boehmischbroda (1753) welche in biblisch-prophetischem Ton den Untergang des guten Geschmacks weissagt, wenn sich Paris nicht zur italiänischen Musik bekehre19, einer der einflußreichsten Vorfechter der italiänischen Musik; mit ihm Diderot, der wie alle Encyclopedisten durch Rameaus Angriff auf die Encyclopedie auch persönlich gegen diesen gestimmt war20. Und J.J. Rousseau, der durch seinen mit dem größten Beifall aufgenommenen Devin du village dem entzückten Publicum gezeigt hatte, wie man die in der italiänischen Oper gewonnenen Schätze für [200] die französische fruchtbar verwerthen müsse21, schlug sich so entschieden auf die Seite der Bouffonisten, daß er nicht allein die Mängel der französischen Oper der Composition und Ausführung nach schonungslos aufdeckte, sondern den Beweis unternahm, die französische Sprache sei ungeeignet für die Composition und es könne keine französische Musik geben22. In der Entrüstung über ein solches Attentat auf die Nation wurde Rousseau nicht bloß mit Stockschlägen und Dolchstichen der Operisten23, sondern mit der Bastille bedroht; indessen blieb es bei einer Fluth von Streitschriften24. Die Anhänger der französischen Musik, besonders die Inhaber und Sänger der Oper, die in ihrem Interesse beeinträchtigt waren, wußten es aber durchzusetzen, daß die italiänischen Sänger im März 1754 Paris verlassen mußten25.

[201] Wohl möchte man sich wundern daß Männer wie Rousseau26 und Diderot27, die das Einfache und Naturgemäße als das einzige Princip der Kunst geltend machten, für die italiänische Musik auftraten, welche doch damals sich zum großen Theil in Formen bewegte, die, wenn sie auch ursprünglich in der Natur der Musik als Kunst wohl begründet waren, doch mehr und mehr conventionell geworden und von dem, was jene Männer einfach und natürlich nannten, weit entfernt waren. Indessen darf man dabei nicht übersehen, daß es die Opera buffa war, welche sie begünstigten, die damals zwar noch in ihren Anfängen stand, aber von jenem conventionellen Zwang derOpera seria sich zu befreien strebte28. Sodann ist als die Hauptsache wohl zu beachten, daß das Grundelement der italiänischen Oper die Musik war, daß ihre Formen aus der Natur derselben abgeleitet waren und daß diese auch in den Auswüchsen und Verirrungen immer noch erkennbar blieb. Für eine Opposition gegen die französische Oper, – welche ebenfalls eine ganz conventionelle [202] Gestalt angenommen hatte, die aber nicht auf den eigenthümlichen Bedingungen der musikalischen Auffassung, sondern wesentlich auf den Grundsätzen der poetisch-dramatischen Darstellung beruhte, gegen welche jene Opposition gerichtet war – konnte daher die specifisch musikalisch-künstlerische Ausbildung der italiänischen Oper eine willkommene Etscheinung sein, wenn sie auch folgerichtig sich gegen das Ueberschreiten des Maaßes in derselben hätte wenden müssen.

Mit dem Abgang der Bouffons war indessen das Interesse für die italiänische Musik in Paris nicht erloschen. Man suchte nun beliebte Opern durch Uebersetzung und Bearbeitung – wobei ihnen freilich oft übel mitgespielt wurde29 – nach Paris zu verpflanzen; sodann aber bildete sich bald eine neue Schule von Componisten, welche die Vorzüge der italiänischen Musik und insbesondere des Gesanges mit den begründeten Forderungen des nationalen Geschmacks auszugleichen suchten. Wenn man sich anfangs auch an die knappen Umrisse und leichten Entwürfe der Intermezzi hielt, so verlangte doch der französische Sinn mehr Zusammenhang und Interesse der Handlung, mehr Freiheit und Geist in der Ausführung als die possenhafte Opera buffa aufzuwenden pflegte; das Interesse des Publicums bestimmte talentvolle Dichter wie Favart, Sedaine, Marmontel sich dieser Gattung [203] zu widmen, und von der Seite des Dramatischen gewann die komische Oper der Franzosen rasch die Oberhand über die Opera buffa. Natürlich mußte diese Richtung auch auf die musikalische Darstellung einen um so bestimmenderen Einfluß gewinnen, als sie im Geist der Nation begründet war30.

Duni31, ein geborner Neapolitaner und in der neapolitanischen Schule erzogen, war durch seinen Aufenthalt am Hofe in Parma, wo damals völlig französischer Geschmack und französische Sitte herrschten, veranlaßt worden einige französische Operetten zu componiren, zuerst Ninette à la cour. Der Erfolg, welchen sie fanden, veranlaßte ihn 1757 nach Paris zu gehen, wo er während dreizehn Jahren eine Reihe komischer Opern lieferte, welche im leichten Stil und kleinen Formen geschrieben, durch den heiteren, anmuthigen Charakter ihrer Melodien sehr gefielen32. Ihm schloß sich Monsigny33 [204] an, welcher, ohne musikalische Bildung, durch die Vorstellungen der Bouffons sich in einem Grade angeregt fühlte, daß er Unterricht in der Musik nahm und sogleich anfing komische Opern zu componiren. Im Jahr 1759 brachte er glücklich seine erste Oper auf die Bühne und Sedaine interessirte sich so für diese Musik, daß er ihm seine Opern anvertraute34 [205] . Ein großer Reichthum angenehmer, leicht ansprechender Melodien und ein entschiedenes Talent für den Ausdruck des Gefühls ließen den Mangel einer tüchtigen Schule übersehen35 und verschafften seinen Opern einen glänzenden [206] Erfolg, von denen einige wie Le Déserteur36 einen großen, weit verbreiteten Ruhm erlangten. Bedeutender und tüchtiger geschult war Philidor37, welcher als Schachspieler eines außerordentlichen Rufes genoß, ehe er (ebenfalls 1759) als Operncomponist auftrat. Auch auf diesem Gebiet war sein Ruhm bald entschieden38, und er beherrschte mit Duni und Monsigny die komische Bühne, bis Gretry sich derselben[207] bemächtigte. Theils die Abneigung mit diesem zu rivalisiren, theils seine Leidenschaft für das Schachspiel entzog ihn dann der Bühne.

Es ist wohl charakteristisch daß die komische Oper, die vom Vaudeville und der Chanson ausging, in ihren ersten Ansängen durch Componisten herausgebildet wurde, die, wie Duni, auf ein größeres Genre nicht mehr Anspruch machen konnten, oder wie Monsigny und Philidor halb dilettantisch nur so nebenbei auch componirten. Mit ganzer Kraft und brennendem Eifer warf sich Gretry39 in dieses Gebiet; er war es, welcher der komischen Oper ihre Vollendung gab, wodurch sie noch heute die echte Repräsentantin des nationalen Charakters der Franzosen auf dem Gebiet der dramatischen Musik ist. Schon als Knaben hatten ihn in seiner [208] Vaterstadt Lüttich die Vorstellungen italiänischer Opernsänger entzückt, als Jüngling war er nach Rom gekommen, während Piccinni dort glänzte, hatte dort mehrere Jahre lang seine Studien gemacht und zuletzt ein Intermezzo Le vindemiatrici geschrieben, welches gut aufgenommen wurde und ihm selbst Piccinnis Beifall erwarb. In Paris hatte er anfangs, obgleich Monsigny und Philidor ihm freundlich entgegen kamen, mit Schwierigkeiten zu kämpfen; als es ihm aber 1768 gelungen war seine Oper Le Huron zur Aufführung zu bringen40, war der Erfolg so vollständig daß seine außerordentliche Fruchtbarkeit dem stets erneuerten Beifall kaum genug thun konnte. Marmontel und Sedaine lieferten ihm mit anderen Dichtern Texte, welche auch ihrerseits meistentheils einen guten Erfolg verbürgen konnten. Die Ansichten über das Wesen der dramatischen Poesie, über die Aufgabe derselben die menschliche Natur frei vom Zwang conventioneller Vorschriften in ihrer nackten Wahrheit darzustellen, welche von den Encyclopedisten ausgegangen waren und in dem bürgerlichen Drama, wie Diderot und Beaumarchais es ausbildeten, praktische Ausführung gefunden hatten, gewannen auf die Gestaltung der komischen Oper einen wesentlichen Einfluß. Die strenge Scheidung, welche in Italien zwischen der Opera seria und buffa festgesetzt war, hatte hier keine Geltung; in dem Bemühen der komischen Oper mehr dramatisches Interesse und zugleich der Musik einen weiteren Spielraum zu geben, zog man immer mehr die ernsteren und edleren Seiten des Gemüthslebens, anfangs vorwiegend die Liebe, dann aber überhaupt die Aeußerungen der menschlichen Leidenschaften in ihren Bereich, und so entsprach [209] die komische Oper zuletzt durch den Charakter der Handlung und Situationen, durch die psychologische Motivirung immer mehr dem Begriff des Drama im engeren Sinn oder der ernsten Komödie, ja die Neigung für das Rührende, Ergreifende wurde sogar vorherrschend. Allerdings fehlte das Element der Heiterkeit selten ganz, aber es war keineswegs mehr das absolut Bestimmende sondern häufig das Secundäre; jene Mischung von Ernst und Scherz, die man gegen das ehemals herrschende Verbot der Vermengung verschiedener Stilgattungen nun als den eigentlichen wahren Ausdruck der Natur ansah, kam besonders der komischen Oper zu Statten41. Diese Bezeichnung wurde nun freilich mehr eine conventionelle und knüpfte sich an äußere Umstände, welche sie von der großen Oper unterschieden, wie es noch heutzutage der Fall in Paris ist. Daß in der komischen Oper keine Ballets sind ist weniger wesentlich als daß sie gesprochenen Dialog und kein durchgehendes Recitativ hat42. Da das Recitativ der französischen großen Oper ihren wesentlichen Charakter gab, so enthielt man sich desselben vor allen Dingen in der komischen Oper die vom Vaudeville ausging; das frei vorgetragene Recitativ der Italiäner mochte man nicht wagen nachzubilden, vielleicht verbot es auch damals schon das Privilegium der großen Oper. Indem man auf dasselbe verzichtete, gewann man für den Dialog die Freiheit einer geistreichen, witzigen Conversation, [210] die für den Franzosen ein Lebenselement ist; und indem dieser Ton angeschlagen wurde, bestimmte er auch die Haltung der musikalischen Darstellung, die, wenn gleich bedeutend höher gehoben, doch immer ihren Ausgang vom Conversationston nehmen mußte. Diese Gattung auszubilden war Gretry ganz und gar geeignet43. Seine ganze Anlage hatte durchaus nichts Großes, Anmuth und Feinheit waren vorherrschend. Sein Gefühl war weniger tief als lebhaft, aber ungemein reizbar und leicht erregt; sein Geist war ebenso sein als beweglich. Dem entsprach eine außerordentliche Leichtigkeit für die verschiedenartigsten Empfindungen einen treffenden und ansprechenden Ausdruck zu finden. Sein Bestreben war darauf gerichtet daß die Musik wahr sei, daß sie das bestimmte Gefühl und zwar in der individuellen Modification der dramatischen Situation und des dramatischen Charakters wiedergebe, und zwar unmittelbar dadurch daß der Componist sich lebendig in die Handlung versetze und sich dadurch begeistere44. Das wesentliche Mittel wodurch er dies [211] zu erreichen strebte war der Gesang, die Melodie; diese gefällig, singbar und ausdrucksvoll zu bilden hatte er den Italiänern abzulernen gesucht45, wie er auch die dort üblichen [212] Formen, aber mit Freiheit anwendete46. Mit dieser Sorgfalt für die Melodienbildung47 ihrem Wohlklang und Ausdruck48 nach verband er die größte Aufmerksamkeit auf das Wort49, auf richtige, scharf accentuirte Declamation50 überhaupt und eine Betonungsweise, welche auch dem Geistreichen sein Recht widerfahren ließ51. Dies gab seiner musikalischen Ausdrucksweise etwas Lebendiges und Pikantes und [213] brachte in der Musik ein wesentlich nationales Element zur Geltung, das am prägnantesten im Vaudeville ausgesprochen ist. Nach dieser Seite der musikalischen Gestaltung hat Gretry in der That Bewundernswürdiges geleistet soweit Anmuth und Frische, lebendiges Gefühl und Geist reichen, denn für das Große und tief Bedeutende reichte seine Kraft nicht aus52. Die ausdrucksvolle Melodie des Gesanges ist aber auch fast allein von ihm ausgebildet worden; andere Mittel, wie die einer reichen und gewählten Harmonie53, kunstvolle [214] Begleitung, Instrumentaleffecte verschmäht er zwar nicht durchaus54, aber er gebraucht sie selten und wie Nebendinge, denen man keinen großen Werth beilegen dürfe; zum Theil aus berechneter Sparsamkeit, zum Theil weil dieser ganze Zweig der musikalischen Kunstübung ihm ferne lag, wie denn das was man seine Ausführung, saubere Arbeit nennen kann, woran der gute Musiker seine Freude hat, ihn nicht interessirte, auch nicht in seinem Vermögen lag55. Allein selbst diese Simplicität, die wohl auch an Dürftigkeit gränzt, konnte zu jener Zeit nur dienen seine wirklich vortrefflichen Eigenschaften um so glänzender wirken zu lassen und seine Musik populär zu machen. Und das war sie in einem seltenen Maaße. Es ist begreiflich daß die Encyclopedisten56, die zugleich Vertreter [215] der italiänischen Musik waren, in ihm den Mann gefunden hatten, der mit der Schönheit und dem Wohlklang der Italiäner Wahrheit und charakteristischen Ausdruck vereinigte. Rousseau dankte ihm, daß er durch seine Musik ihm das Herz wieder für Empfindungen geöffnet habe, denen er es nicht mehr zugänglich geglaubt hätte57. Grimm, der ihn gleich anfangs mit lautem Beifall empfangen hatte58, erklärte während der Streit der Gluckisten und Piccinnisten aufs heftigste entbrannt war, Kenner und Laien seien einig, daß kein Componist mit solchem Glück wie Gretry italiänische Melodie dem [216] Charakter der französischen Sprache anzupassen und den Geschmack der Nation durch Feinheit und Geist in allen Motiven zu befriedigen gewußt habe (corr. litt. X p. 228). Und mit welchem Enthusiasmus nahm das ganze Publicum seine Musik auf59! Viele seiner Opern – ich nenne nur Zemire und Azor – wanderten durch ganz Europa, und sicherlich hat Gretry auf die Bildung des musikalischen Geschmacks überhaupt einen wesentlichen Einfluß geübt.

Fußnoten

1 Man merkt die Wirkung der väterlichen Ermahnungen daran, daß nun gleich berichtet wird, für 11 Louisdor sei der Hauderer gemiethet, der die Chaise um 43 Fl. übernehme, und 4 Louisdor haben die Reisekosten betragen.


2 An Breitkopf schreibt er (7 Febr. 1772): »Haben Sie schon lange keine Nachricht von unserem Freund, Herrn Grimm?«


3 »Jetzt empfehle ich Dir nachdrücklichst« schreibt er seinem Sohn (6. April 1778) »Dir durch ein vollkommenes kindliches Vertrauen recht die Gnade, Liebe und Freundschaft des Hrn. Baron v. Grimm zu verdienen, oder vielmehr solche zu erhalten, ihn in allen Stücken zu Rathe zu ziehen, und nichts aus eigenem Kopf oder vorgefaßter Einbildung zu thun, und durchaus auf Dein und dadurch auf unser gemeinschaftliches Interesse bedacht zu seyn. Die Lebensart in Paris ist von der deutschen sehr unterschieden, und die Art, im Französischen sich höflich auszudrücken, sich anzuempfehlen, Protection zu suchen, sich anzumelden u.s.w., hat ganz etwas Eigenes, so daß Herr Baron von Grimm mir eben auch damals Anweisung gab, und ich fragte, was ich sagen und wie ich mich aus drücken sollte. Sage ihm nur, nebst meiner gehorsamsten Empfehlung, daß ich Dir dieses erinnert habe, und er wird mir Recht geben. – Was diesen Punct nun betrifft, bin ich zum voraus überzeugt, daß Du Dich immer an diesen unsern gewissesten Freund halten wirst. – Ihr dürft dem Herrn Baron von Grimm alle unsere Umstände sagen; ich selbst habe ihm dieß und auch alle unsere Schulden in zween langen Briefen geschrieben, und mich in vielen Stücken, die Verfolgung und die Verachtung, die wir vom Erzbischof ausgestanden, betreffend, auf Deine mündliche Erzählung berufen. Ich habe ihm erzählt, daß er nur dann höflich geschmeichelt, wenn er Etwas nöthig hatte, und er Dir für alle Compositionen nicht einen Kreuzer bezahlt hat.«


4 Jean Baptiste de Lully war geboren in Florenz 1633, und wurde vom Ritter von Guise mit nach Paris genommen, wo er zunächst als Küchenjunge in den Dienst von Mademoiselle von Montpensier trat. Sein Violinspiel und seine ersten Versuche in der Balletmusik erregten Aufmerksamkeit, 1652 stellte ihn Ludwig an die Spitze seiner Kapelle. Er componirte jetzt die Musik der Ballets, seit 1664 für Moliere, mit dem er sich vereinigt hatte und in dessen Stücken er auch mitunter als Komiker auftrat. Er genoß einer fast unumschränkten Gunst bei Ludwig XIV, welcher er Ansehen und Reichthum verdankte; beides steigerte sich nachdem ihm 1672 das Privilegium der großen Oper ertheilt worden war. Für diese componirte er neunzehn Opern, außer vielen Ballets und einigen Sachen für die Kirche. Er starb 1687. Er war egoistisch, anmaßend und stolz, dabei verschlagen und falsch; so daß es ihm an Feinden nicht fehlte, die sich nach seinem Tode durch eine bittere Spottschrift rächten, Lettre de Clement Marot à Mr.***touchant ce qui s'est passé à l'arrivée de J.B. de Lully aux Champs Elisées. A Cologne 1688 (deutsch in Marpurgs hist. krit. Beitr. III S. 387ff.).


5 Die hierauf bezüglichen Documente und Nachrichten sowie Notizen über die weitere Ausbildung der Oper enthält das Buch Histoire du théâtre de l'opera en France. Paris 1753 (zweite Aufl. 1757).


6 I S. 240ff.


7 Im Jahr 1778 wurde zuletzt eine Oper von Lully (Thésée) gegeben.


8 Grimm sagt (corr. inéd. p. 222): Son récitatif est un chant lourd, traînant et languissant que l'acteur débite à force de cris et de poumons, et qui dure depuis le commencement jusqu' à la fin. Ce récitatif détestable qui a été imité d' après le plainchant de l'église, et qui n'est proprement ni chant ni déclamation, est cause qu'il n'y a ni air ni récitatif dans un opéra français, et que l'auditeur le plus intrépide en sort harassé. Er erzählt nicht übel (corr. litt. II p. 205): M. Hasse, qui avait entendu parler de la légèreté et de la petulance françaises, ne se lassait point, lorsqu'il fut en ce pays-ci, d' admirer la patience avec laquelle on écoutait a l'Opéra une musique lourde et monotone.


9 Atys, tragédie de l'immortel Quinault, mise en musique ou plutôt en plainchant par Lully sagt Grimm (corr. litt. I p. 93).


10 L'art que nous appelons en langage sacré chanter, terme honteusement profané en France et appliqué à une façon de pousser avec effort des sons hors de son gosier et de les fracasser sur les dents par un mouvement de menton convulsif; c'est ce qu'on appelle chez nous crier, et qu'on entend jamais sur nos théatres, à la vérité, mais tant qu'on veut sur les marchés publics (Grimm corr. litt. XV p. 233). En France, toute l'expression du chant musical est estimée sur les cris et les efforts des poumons dans les passions fortes, ou pour l'adoucissement de la voix dans les passions tendres; mais demander si tel chant, telle idée, tel motif a l'accent de la passion qu'il doit exprimer, c'est parler grec aux oreilles françaises (ebend. IV p. 165). Gretry bezeichnet die Unarten der alten Gesangsmanier näher (mém. I p. 301).


11 Raguenet Parallèle des Italiens et des François en ce qui regarde la Musique et les Operas (Paris 1702), deutsch mit Anmerkungen nebst der Entgegnung von Vieuville (bei Bonnet histoire de la musique p. 425ff.), in Matthesons Critica Musica (Hamburg 1712) I S. 91ff.


12 La Popeliniere, geb. 1692 gest. 1762, ein reicher fermiergénéral, von dem Grimm (corr. litt. III p. 185) folgende Charakteristik giebt: C'était un homme célèbre à Paris, sa maison était le réceptacle de tous les états. Gens de la cour, gens du monde, gens de lettres, artistes, étrangers, acteurs, actrices, filles de joie, tout y était rassemblé. On appelait la maison une ménagerie, et le maitre le sultan. Ce sultan était sujet à l'ennui, mais c'était d' ailleurs un homme d' esprit. Er machte artige chansons, schrieb Komödien, die er bei sich aufführen ließ, und einen Roman, Daira. Eine andere, für jene Zeit charakteristische Berühmtheit gaben ihm die Liebesintriguen seiner ersten Frau mit dem Marschall Richelieu; auch seine zweite Ehe war nicht ohne Skandal.


13 Jean Philippe Rameau, geboren in Dijon 1683, trieb von Jugend auf leidenschaftlich Musik, kam 1701 auf einige Zeit nach Mailand, und hielt sich dann in verschiedenen Orten im südlichen Frankreich auf. Nach einem vergeblichen Versuch 1717 in Paris eine Organistenstelle zu erhalten, nahm er eine solche in Clermont an und beschäftigte sich dort mit theoretischen Studien. Im Jahr 1721 kehrte er nach Paris zurück und machte sich dort durch seinenTraité de l'harmonie (1722), an welchen sich eine Reihe anderer, zum Theil polemischer Schriften anschloß, einen großen Namen als Theoretiker. Nachdem er 1732 seine erste Oper aufs Theater gebracht hatte folgten derselben noch ein und zwanzig. Er starb 1764.


14 Als Grimm nach Paris gekommen war, berichtete er Gottsched: »M. Rameau wird von allen Kennern für einen der größten Tonkünstler, die jemals gewesen, gehalten und mit Recht« (Danzel, Gottsched S. 349). Seine Ansicht änderte sich bald, allein die Charakteristik, welche er später von Rameau giebt (corr. litt. IV p. 80ff.) läßt, so parteiisch sie ist, die Verdienste Rameaus erkennen, obwohl sie dieselben nicht gelten lassen will: Dans ses opéras cet homme célèbre a écrasé tous ses prédècesseurs à force d' harmonie et de notes. Il y a de lui de choeurs, qui sont fort beaux. Lulli ne savait que soutenir par la basse une voix qui psalmodiait; Rameau ajouta presque partout à ses récits des accompagnemens d' orchestre. Il est vrai qu'ils sont d' assez mauvais goût, qu'ils servent presque toujours à étouffer la voix plutôt qu' à la seconder et que c'est la ce qui a forcé les acteurs de l'Opéra de pousser ces cris et ces hurlemens qui font le supplice des oreilles délicates. – Il ne manquait point d' idées, mais il ne savait qu'en faire; son récitatif est, comme celui de Lulli, un mélange de contresens continuels et de quelques declamations heureuses. A l'égard de ses airs, comme le poète ne lui a jamais imposé d' autre tache que de jouer autour d'un lance, vole, triomphe, enchaine etc., ou d' imiter le chant des rossignols par des flageolets et d' autres puérilites de cette espèce, il n'y a rien à en dire. In seiner Lettre sur Omphale (1752.Corr. litt. XV p. 281ff.) gab Grimm eine detaillirte Kritik in sehr gemäßigtem Ton.


15 Rameau soll zu Arnaud gesagt haben, wie Gretry(mém. I p. 426f.) mittheilt, wenn er dreißig Jahre jünger wäre, würde er nach Italien gehen und sich Pergolese zum Muster nehmen.


16 Die Opern, welche die Bouffons zur Aufführung brachten, waren La serva padrona von Pergolese; Il giocatore von Orlandini; Il maestro di musica, ein Pasticcio; La finta Cameriera von Atella; La donna superba, ein Pasticcio; La scaltra governatrice von Cocchi; Il Cinese rimpatriato von Selletti; La Zingara von Rinaldo da Capua; Gli artigiani arrichiti von Latilla; Il paratagio von Jomelli; Bertoldo in corte von Ciampi; I viaggiatori von Leo.


17 In der italiänischen Oper wurde nur vom Klavier aus dirigirt, während in der französischen der Tact mit einem Stab fortwährend laut geschlagen wurde. Vgl. Gretry Essays I p. 39ff.


18 Die Häupter der Parteien hatten ihren festen Platz unter der Loge des Königs und der Königin.


19 Sie ist wieder abgedruckt Corr. litt. XV p. 315ff. ein Theil deutsch in der neuen Zeitschrift für Musik I S. 241ff., wo sie aber mit Unrecht Rousseau zugeschrieben ist, der selbst ausdrücklich gegen die Autorschaft protestirt. Grimm berichtet über ihren außerordentlichen Erfolg an Gottsched, und Frau Gottsched richtete eine Nachahmung derselben gegen Weißes Operette Der Teufel ist los (Danzel Gottsched S. 350f.).


20 Die Charakteristik, welche er Rameaus Neffen von seinem Oheim und der italiänischen Musik machen läßt, ist sprechend genug (Goethe XXIII S. 208ff.).


21 I S. 114ff.


22 Dies geschah in der bekannten Lettre sur la musique française (1753), wozu die Lettre d'un Symphoniste de l'académie royale de musique a ses camarades de l'orchestre (1753) ein witziges Nachspiel war.


23 Gretry (mém. I p. 279) erzählt, die Mitglieder der Oper wären, durch das Lob der Anhänger der alten Musik stolz gemacht und durch die Angriffe der Kritiker erbittert, in jener Zeit von einem unerträglichen Benehmen gewesen.


24 Rousseau Confessions l. VIII. Grimm corr. litt. I p. 92f.


25 Grimm corr. litt. I p. 114: L'académie royale de musique vient enfin de bannir de son théatre la musique italienne, cette rivale si superbe et si dangereuse des opéras de Lulli et de Rameau. Je vois un avantage tres-réel à ce renvoi des bouffons, qui ne frappe personne, c'est que les Buffon, les Diderot, les d' Alembert, tous les gens de lettre d' un certain nom, les artistes de tous les ordres, peintres, sculpteurs, architectes, que cette musique avait comme ensorcelés, n' iront plus à l'Opera, et auront d' autant plus de loisir à vaquer à leurs travaux, qui font l'honneur et la gloire du siècle et de la nation.


26 Rousseau hatte offenbar eine ursprüngliche musikalische Begabung, die durch die italiänische Musik geweckt und belebt war; sie tritt überall hervor, wenn ihn auch mitunter die Consequenz seiner Reflexion auf Abwege führt, und bewährt sich besonders 1771 auch darin, daß er für neue musikalische Eindrucke zugänglich bleibt, auch wenn sie seinen ausgesprochenen Ansichten entgegen sind.


27 Diderot scheint, wenngleich nicht unempfänglich für Musik, doch weniger dafür gebildet gewesen zu sein und offenbar hat in dieser Hinsicht Grimm auf ihn Einfluß gehabt, wie übrigens und freilich ungleich bedeutender Diderot auf Grimm. Von diesem ist der Artikel poeme lyrique in der Encyclopedie (abgedruckt corr. litt. XV p. 349ff.), in dem man, wie in einem kürzeren Aufsatz (corr. inéd. p. 221) ein eigenthümliches Gemisch von Ansichten findet, welche auf dem seit früher Jugend eingesogenen italiänischen Geschmack beruhen und von Reflexionen im Sinne Diderots, die in dieser Anwendung und Verbindung vielfach flach und schief sind.


28 I S. 346ff.


29 Grimm sagt von Piccinnis Buona figliola (corr. litt. VII p. 289f.): Ce qu'on vient de faire pour assurer son succes en France est l'affront le plus sanglant qu' aux yeux d'un homme de goût un ouvrage puisse recevoir; mais cet affront ayant déjà été fait a la Serva Padrona, pourquoi des barbares traiteraient-ils mieux Piccini que Pergolesi? An lieu de chanter les paroles sur lesquelles la musique a été faite, M. Cailhava d' Estandeux les a parodiées sur la musique en paroles françaises à peu près approchantes, et partout où cela lui est devenu trop difficile, un certain Baccelli a coupé la musique et l'a forcée de cadrer avec M. Cailhava.


30 Man muß sich erinnern daß seit 1717 die erneuerte Comédie Italienne (aux Italiens) bestand, wo ursprünglich ausschließlich italiänische Komödien in den Charaktermasken gegeben wurden; indessen nahm man bald auch zu französischen Komödien seine Zuflucht und gab vorzugsweise Liederspiele und Parodien (Grimm corr. litt. VI p. 229f.). Daneben bestand die Opéra comique an théatre de la foire, welche besonders durch Favart in Aufnahme kam und als eine gefährliche Rivalin der italiänischen Komödie vielfach angefeindet und 1745 aufgehoben wurde (Favart mémoires I p. XVIIf.). Indeß konnte Favart sie später wieder eröffnen, bis sie 1762 mit der Comédie italienne vereinigt wurde (Favart mémoires I p. 203f. 214f. 228f. 233).


31 Egidio Romoaldo Duni, geb. in Matera 1702, erhielt seine musikalische Bildung in Neapel unter Durante; noch sehr jung gewann er mit seiner ersten Oper in Rom den Sieg über Pergolese (Gretrymém. I p. 425f.) und schrieb dann eine lange Reihe von Opern für die verschiedensten italiänischen Bühnen mit nicht geringem Erfolg. Er starb in Paris 1775.


32 Grimm hebt hervor daß Duni nach Paris kam, weil er bei vorgerückterem Alter in Italien nicht mehr hoffte den Anforderungen einer neuen Zeit zu genügen, und sich dort große Verdienste erwarb. M. Duni a le premier véritablement chanté la langue française dans son Peintre amoureux (1757). Cette piece eut un grand succes, sans que le public en sentit le vrai mérite. On ne s'apperçut ni de la verité de la declamation et du chant, ni de la justesse des inflexions, ni de l'exactitude des ponctuations, toutes choses observées pour la premiere fois dans une composition française (corr. litt. IV p. 164f.).– Lorsqu'il vint en France son goût et son style étaient déja vieux; mais avec son petit goût et son style un peu trivial, il fut le premier qui écrivit vrai dans ce pays-ci, et ce lui fut un grand mérite auprès des gens de goût (corr. litt. VII p. 126). Nach 1765 findet er seinen Stil un peu vieux et faible, mais ailleurs plein de finesse, de charme, de grace et de verité. C'est toujours malgré sa faiblesse l'homme chez lequel nos jeunes compositeurs devraient aller à l'école (corr. litt. IV p. 414). Später räumt er ihm zwar die unveräußerlichen Vorzüge einer guten Schule noch ein, aber der Mangel an Erfindung, Frische und Leben wurde empfindlicher, daher er ihn ermahnt Philidor und Gretry das Feld mit Ehren zu räumen (corr. litt. V p. 140. 369. VI p. 63).


33 Pierre Alexandre Monsigny, geb. 1729, hatte in Paris eine Anstellung im Finanzfach, ehe er als Componist auftrat. Im Jahr 1767 trat er alsmaître d'hôtel in die Dienste des Herzogs von Orleans (Grimm corr. litt. V p. 360), was wie Grimm spottet seinen musikalischen Leistungen Eintrag that (corr. litt. VI p. 197. 209), in dessen Hofhaltung er auch als maître de musique gebraucht wurde (Genlismém. I p. 294ff. 355). Dort lernte ihn Frau von Genlis kennen, die seinen Charakter ebenso sehr schätzte als seine Musik (mém. I p. 300. II p. 9. 337). Nach dem Jahr 1777 hörte er auf zu componiren, weil er durchaus keinen Trieb mehr verspürte, und starb allgemein geachtet in Paris 1817.


34 Grimm corr. litt. Vl p. 61: En France, un poète ne se croit pas l'homme de plusieurs musiciens ou plutot de tous les musiciens; il en choisit un, s'associe avec lui et ne travaille plus avec d' autres: cet arrangement est tres-préjudicable aux progrès de l'art. M. Sedaine s'est ainsi marié avec M Monsigny – et persiste, au grand préj udice de nos plaisirs et de l'opéra comique du nouveau genre dont il est le créateur, à ne vouloir travailler qu' avec Monsigny. Grimm schreibt die Erfolge Monsignys überwiegend den Operntexten Sedaines zu, bei dem er trotz mancher Schwächen und seiner Nachlässigkeit in der Ausführung die wesentlichen Eigenschaften eines guten Operndichters findet. Si jamais un poète italien, sagt er (corr. litt. III p. 136), ayant de la simplicité et de la facilité s'avise de les traduire, afin de mettre les Galuppi et les Piccinni à portée d' en faire la musique, ces pieces feront le charme et les délices de toute l'Europe; car ce qui empêche qu'on ne devienne absolument fou des opéra bouffons d'Italie, c'est que le poeme d'ordinaire n'a pas le sens commun.


35 Grimm beurtheilt ihn sehr hart; eine allgemeine Charakteristik giebt er 1766 (corr. inéd. p. 219f.): M. de Monsigny n'est pas musicien de profession, et il n'y a rien qui n 'y paraisse. Sa composition est remplie de solécismes; ses partitions sont plaines de fautes de toute espece. Il ne connait point les effets ni la magie de l'harmonie; il ne sait pas même arranger les différentes parties de son orchestre et assigner à chacune ce qui lui appartient: ses basses sont presque toujours détestables, parce qu'il ne connait pas la véritable basse du chant qu'il a trouvé, et qu'il met ordinairement dans la basse ce qui devrait être dans les parties intermédiaires. Aussi tout oreille un peu exercée est bientôt excédee de cette foule de barbarismes; et en Italie M. de Monsigny serait renvoye du théatre à l'école; mais en France le public n' est pas si difficile, et quelques chants agréables mis en partition comme il plait à Dieu, des romances surtout, genre de musique national, pour lequel le parterre est singulièrement passioné, ont valu à ce compositeur les succès les plus flatteurs et les plus éclatans. Die einzelnen Züge kehren immer wieder (z.B. corr. litt. III p. 136.VI p. 208. IX p. 463) und werden mit einer Schärfe betont, die den Gedanken an persönliche Abneigung aufkommen läßt. Frau von Genlis protestirt gegen diese Verurtheilung (mém. II p. 22): Monsigny n'eut ni la fécondité de Grétry, ni lénergie de Gluck; mais jamais on n'a composé en France des airs plus suaves, d'une plus touchante mélodie et d'une gaité plus vraie.


36 Grimm verurtheilt auch hier Monsignys Musik und spricht dem Dichter, dessen Stück er mit großem Interesse analysirt, alles Verdienst am Erfolg zu (corr. litt. VI p. 197f. 206ff.); umgekehrt behauptet Frau v. Genlis daß man über Monsignys Musik alle Unwahrscheinlichkeiten und Unschicklichkeiten des Stückes vergäße (mém. II p. 21f.).


37 François André Danican, genannt Philidor, geb. in Dreux 1727, genoß eine musikalische Erziehung und lebte als Musiklehrer und Copist in untergeordneten Verhältnissen, bis er sich als Schachspieler auszeichnete. Er starb 1795, durch die Revolution aus Paris vertrieben, in London.


38 Anfangs findet Grimm seine Musik nicht besser als alle französische Musik (corr. litt. II p. 346. III p. 89), seit 1764 erkennt er immer mehr die Fortschritte an, welche er mache (III p. 401. IV p. 20a), und giebt ihm 1768 das Zeugniß (VI p. 14f.): Philidor prouve bien la vérité du proverbe, qu'à force de forger on devient forgeron; il a fait en dix aus de temps, du côté du métier, des progrès immenses: son style était lourd et pesant, il est devenu leger et plein de graces; quant au nerf il en a toujours en, mais il produisait ses effets laboriensement; s'il arrivait à son but, c'était par des efforts d'un athlète à la vérité plein de vigueur, mais dont la vue harassait votre imagination. Aujourd'hui l'on voit un maître qui se joue de son métier, et qui compose avec d'autant plus de sûreté qu'il lui en coûte moins de peine; la chaleur de son style et la magie de son coloris vous dérobent ce que ses idées peuvent avoir quelque fois de mesquin ou de trivial. – Il y a un air dans Le Jardinier de Sidon, accompagné d'un violon, d'un hautbois et d'un cor de chasse obligés: on n'a encore rien entendu en France dans ce goût la. Man warf ihm vor, daß er die italiänischen Meister bestehle, allein Grimm meint, es gehöre immer viel Talent dazu um auf solche Weise zu stehlen (V p. 25. VI p. 145). Später neigte sich Philidor nach Grimms Meinung zu sehr nach Glucks Weise (IX p. 378. X p. 358), und zuletzt erklärt er Philidor sei schwach geworden XII p. 468. XIII p. 137.


39 André Ernest Gretry, geb. in Lüttich 1741, Sohn eines Musikers, zeichnete sich als Knabe durch musikalisches Talent und seine Stimme aus, erhielt Unterricht in der Musik, und ging 1759 nach Rom um dort im Lütticher Collegium (einer ähnlichen Stiftung, wie die französische Akademie in Rom) seine künstlerischen Studien fortzusetzen. Im Jahr 1767 verließ er Italien und begab sich nach einem kurzen Aufenthalt in Genf nach Paris. Er war von Jugend an schwächlich und wurde wiederholt vom Bluthusten befallen, so daß man ihm, zumal bei seiner großen Arbeitsamkeit kein langes Leben versprach. Dennoch überlebte er seine drei Töchter, die er zärtlich liebte und im blühenden Alter verlor, und starb geachtet und geliebt 1813.


40 Die näheren Umstände berichtet auch Marmontel (mém. IX. oeuvr. II p. 72ff.).


41 Grimm discutirt bei Gelegenheit des Deserteurs, welches die erste komische Oper dieser Gattung war, ausführlich über diesen Gegenstand im Sinne Diderots (corr. litt. VI p. 212ff.).


42 Grimm, der das Recitativ für ein wesentliches Erforderniß der Oper ansah, bekämpft den »barbarischen Gebrauch« in der komischen Oper gesprochnen Dialog und Gesang zu vermischen, und behauptet es werde in Frankreich keine wahren Componisten geben, ehe ein wahres Recitativ geschaffen sei (corr. litt. IV p. 166. VI p. 120. 209f.).


43 Er selbst hat über seinen Bildungsgang, die Entstehung seiner Werke, seine Ansichten über dramatische Musik ausführliche Mittheilungen gemacht in seinen Mémoires ou Essais sur la musique (Paris an V. 8. in drei Bänden), welche von K. Spazier im Auszug und mit Zusätzen, meistens polemischer Art, deutsch bearbeitet sind: Gretrys Versuche über die Musik (Leipz. 1800). Die Naivetät einer im Ganzen harmlosen Eitelkeit, welche in dem Buch hervortritt, giebt über manche Erscheinungen den besten Aufschluß. Die Ansichten sind sehr breit ausgeführt, und enthalten neben manchem Feinen und Durchdachten, das auf eigener Erfahrung beruhet, viel Triviales und willkührlich Ersonnenes. Auch darf man wohl annehmen, daß Gretry bei seinen Compositionen nicht mit der Art von Berechnung verfuhr, welche er hier nach der That anstellt, z.B. I p. 177ff.


44 Er beschreibt seine Art zu arbeiten dem berühmten Arzt Tronchin (mém. I p. 21): Je lis, je relis vingt fois les paroles que je veux peindre avec des sons: il me faut plusieurs jours pour échauffer ma tête: enfin je perds l'appetit, mes yeux s'enflamment, l'imagination se monte, alors je fais un opéra en trois semaines ou un mois. Dieses erregte Gefühl behauptet er wiederholt müsse den Componisten sicherer zum Wahren führen als die Regel (I p. 168. 204f.). Als das treffendste Compliment, das ihm gemacht sei, führt er die Worte des Prinz Heinrich von Preußen an, der nach einer Aufführung von Richard Löwenherz ihm sagte: Vous avez le courage d'oublier que Vous êtes musicien pour être poëte. Er will dies auf Gluck angewendet wissen – wie er auch ein andermal ausruft:oui, l'on est poëte et musicien en opérant comme Gluck (I p. 346) – und erzählt, als er dessen erste Oper gehört habe, sei er ganz hingerissen worden durch die Handlung, und habe gesagt: il n'y a point de chant; mais que je fus heureusement detrompé en sentant que c'étoit la musique, elle même, qui étoit devenue l'action qui m'avoit ébranlé! Denn Gluck hatte klar eingesehen, qu'il n'est point d'intérêt sans vérité, et point de vérité sans sacrifice (I p. 121f.). Dann heißt es anderswo (I p. 229) une beauté inutile est une beauté nuisible. La place que doit occuper chaque chose, est le grand procédé des arts; la nature seule, en se jouant, opere par-tout ce prodige.


45 Er sagt dies ausdrücklich und erklärt (I p. 112):L'école italienne est la meilleure qui existe, tant pour la composition que pour le chant. La mélodie des Italiens est simple et belle, j'amais il n'est permis de la rendre dure et baroque. Er kommt wiederholt darauf zurück, daß Italien das Vaterland der Melodie, Deutschland das der Harmonie sei; und daß Frankreich bestimmt sei die vollendete Musik hervorzubringen beweist er aus klimatischen Verhältnissen und aus der überwiegenden Cultur der Franzosen (I p. 284. II p. 128ff. 138). Danach giebt er folgende Charakteristik (I p. 243): On peut exprimer juste, avec beaucoup d'harmonie, un grand travail d'orchestre et un chant souvent accessoire ou une déclamation peu chantante; c'est ce qu'en général a fait Gluck. On peut exprimer juste, en faisant sortir de la declamation un chant pur et aisé dont l'orchestre ne sera qu'un accompacnement accessoire; c'est généralement ce que j'ai cherché à faire On peut faire un chant plus pur et plus suave ancore, qui, en ne peignant point, n'a cependant pas d'intention contraire à l'expression des paroles; c'est ce qu'a fait Sacchini.


46 Man warf ihm vor daß er fast nur die Form des von Piccinni in die Oper eingeführten Rondo gebrauchte; Grimm vertheidigt ihn, indem er behauptet, dies sei für die französische Sprache die allein angemessene Form (corr. litt. VI p. 122).


47 Il est deux sortes de mélodie: la première est celle que donne la sensibilité, qui ne subsiste qu' avec elle et comme elle; la seconde est une sorte de mélodie scholastique, que l'on apprend à faire par l'étude du contrepoint et de l'harmonie (I p. 388).


48 Si vous donnez trop à la mélodie, la vérité d'expression se perdra dans le vague charmant de son empire idéal (I p. 224). Eine große Unklarheit im Denken ist es, welche Gretry expression, mélodie und harmonie als coordinirte Begriffe betrachten läßt, wodurch eine fortwährende Verwirrung entsteht.


49 Er behauptet, in der Betonung im Sprechen, namentlich bei erregter Stimmung sei das wahre Element des musikalischen Ausdrucks schon gegeben, der Componist müsse dasselbe nur fixiren (I p. 141. 238ff. III p. 144f.).


50 Il faut être vrai dans la déclamation, me disois-je, à laquelle le Français est très sensible (I p. 169). Daher machte er seine Studien für den richtigen musikalischen Ausdruck hauptsächlich bei den guten Schauspielern im théatre français (I p. 146. 170). Er verkennt die Schwierigkeiten nicht, welche die französische Sprache für die musikalische Behandlung bietet (I p. 134), aber er glaubt doch daß sie die geeignetste dafür sei, mehr selbst als die italiänische (I p. 406ff.).


51 Er sagt selbst von seinem Ami de la maison (I p. 231): Cette musique souvent parlante, quoique d'un genre assez élevé, n'avoit été traitée, je crois, par aucun musicien; und bemerkt dabei: La finesse et l'esprit ne sont pas toujours saisis par les acteurs ni par le public.


52 Seine Versuche in der großen Oper mit Gluck zu wetteifern konnten daher nicht gelingen. Von der Andromaque sagt Grimm (corr. litt. X p. 290): La musique est de M. Grétry, mais dans la manière du chevalier Gluck: peu de chant, beaucoup de récitatifs, et des choeurs sans nombre. Daher führte er die »comédie lyrique« auch in der großen Oper ein (mém. I p. 360).


53 Charakteristisch ist folgende Aeußerung (I p 212): Quand votre chant est significatif, je veux dire d'une mélodie bien déclamée, gardez-vous de surcharger vos accompagnemens. Si le chant n'est pas l'ame de votre composition, faites un bon quatuor instrumental dessus, bien compliqué, bien syncopé; au defaut des ames sensibles, les savans vous applaudiront. Es versteht sich daß dann auch wiederum der Harmonie ihr Antheil an der musikalischen Darstellung zugestanden wird neben der Melodie z.B. Je dis donc que la nature seule donne le sentiment et le goût qui nous rendent maîtres de l'expression jointe à plus ou moins de mélodie ou d'harmonie (I p. 224 vgl. p. 207). Er gesteht auch zu daß sich in der Harmonie wahre Erfindung bewähren könne (I p. 260f.): L'équilibre ne consiste pas à appliquer beaucoup d'harmonie sur un chant heureux; il faut que les accompagnemens eux-mêmes ayent le caractère de la verité. Il y a des trouvailles d'harmonie comme de mélodie, etc'est parce que cette harmonie, elle-même, est vraie et expressive, que je la trouve heureuse.


54 Sein Grundsatz war: Les intentions premières, c'est-à-dire, le dessin, le chant, furent pour le théatre, et l'orchestre, quoique plus nerveux, n'en fut que pour le colorit (II p. 47f.). Er warnt gegen den Mißbrauch der Instrumente, namentlich der Blasinstrumente, den Gluck veranlaßt, wenn auch nicht zu verantworten habe (I p. 339f. II p. 48); aber er empfiehlt den mäßigen Gebrauch derselben zur Charakteristik (I p. 237), wie er sich derselben in einzelnen Fällen bediente (I p. 375); er rühmt sich sogar der sehr zweifelhaften Erfindung in der Andromaque zur Charakteristik für die Hauptrollen immer dieselben Instrumente beim Recitativ angewandt zu haben, für Andromache drei Flöten (I p. 356). Eine Aeußerung Gretrys, daß in der Oper der Gesang die Statue, das Orchester das Piedestal vorstelle und daß Mozart mitunter das Piedestal auf die Bühne setze, ist oft erzählt; ich habe die Quelle derselben nicht auffinden können.


55 Seine Besorgniß daß ein Musiker von Talent zu viel lerne und dadurch seiner Einbildungskraft schade, ist wahrhaft komisch; was er von seinen eigenen Studien erzählt zeigt deutlich, wie wenig tief sie gingen; demgemäß ist auch seine ganze Factur. Dagegen legt er, wie es gewöhnlich in solchen Fällen ist, großes Gewicht auf die Reflexion, die nicht eigentlich die künstlerischen Voraussetzungen der Musik trifft.


56 Diderot, der unter Gretrys Portrait das Motto gesetzt hatte: Irritat, mulcet, falsis terroribus implet, ut magus (mém. II p. 16), gab diesem mitunter guten Rath (I p. 225) und Gretry bekennt sich zu seinen Ansichten (III p. 377).


57 Gretry mém. I p. 279ff. vgl. II p. 331.


58 Grimm sagt nach der Aufführung von Le Huron (corr. litt. VI p. 34f.): M. Grétry est un jeune homme qui fait ici son coup d'essai; mais ce coup d'essai est le chef d'oeuvre d'un maître, qui élève l'auteur sans contradiction an premier rang. Il n'y a dans toute la France que Philidor, qui puisse se mesurer avec celui-là et espérer de conserver sa reputation et sa place. Le style de Grétry est purement italien, Philidor a le style un peu allemand et en tout moins chatié. Il entraine souvent de force par son nerf et sa vigueur; Grétry entraine d'une manière plus douce, plus séduisante, plus voluptueuse; sans manquer de force l'orsqu'il le faut, il vous ote, par le charme de son style, la volonté de lui résister: du côté du métier, il est savant et profond, mais jamais aux depens du goût. La pureté de son style enchante: le plus grand agrément est toujours à côté du plus grand savoir; il sait surtout finir ses airs et leur donner la juste étendue, secret très-peu connu de nos compositeurs. Vous avez pu remarquer combien sa musique est variée: depuis le grand tragique jusqu'an comique, depuis le gracieux jusqu'aux finesses d'une déclamation tranquille et sans passion, on trouve dans son opéra des modeles de tous les caracteres. Ebenso lebhaft spricht er bei der Lucile (VI p. 122) und dem Tableau parlant (VI p. 251) seine Bewunderung aus und begleitet ihn unausgesetzt mit einer achtungsvollen und anerkennenden Kritik.


59 Er hatte das Glück, daß außer den Encyclopedisten auch Arnaud und Suard, die Vertreter Glucks, auf seiner Seite standen (mém. I p. 150f.), ebenso gut wie Marmontel, der gegen Gluck auftrat. Er selbst untersucht die Gründe, weshalb seine Musik sich in Frankreich eingebürgert habe, sans me faire des partisans enthousiastes et sans exciter des ces disputes puériles, telles que nous en avons vu (I p. 169).


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 2, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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