Zu den Männern, welche auf Mozart einen in mehr als einer Hinsicht bedeutenden und fördernden Einfluß ausübten, geborte Gottfried Baron van Swieten1. Er war der [351] Sohn des berühmten und einflußreichen Leibarztes der Kaiserin Maria Theresia, Gerhard van Swieten, und mit diesem im Jahr 1745 von Leyden nach Wien gekommen. Er hatte sich dem Studium der Rechte gewidmet, war aber von Jugend auf leidenschaftlich der Musik ergeben, mit der er sich auch praktisch, aber ohne sonderlichen Erfolg beschäftigte. Im Jahr 1769 wurde in Paris Favarts Rosière de Salency mit Musik von verschiedenen Componisten gegeben; van Swieten hatte mehrere Arien dazu geschrieben, allein man wollte sie nicht loben2. Auch hatte er acht Symphonien geschrieben, »so steif wie er selbst«, wie Haydn sagte3. Joseph II machte ihn zu seinem Gesandten am preußischen Hofe4, dort lernte ihn auch Nicolai als »eifrigen Liebhaber und Kenner der Musik, ja selbst als Componisten« kennen5. Dieser Aufenthalt in Berlin war für die Ausbildung seines musikalischen Geschmacks und die Richtung, welche er später in Wien geltend zu machen suchte von entscheidendem Einfluß.
[352] Friedrich der Große ließ 1740 in Berlin das Opernhaus erbauen und führte die italiänischeOpera seria, so wie sie zu jener Zeit ausgebildet war, mit allem Glanz der Gesangsvirtuosität und scenischer Ausstattung dort ein6. Regelmäßig wurden – nur der siebenjährige Krieg machte eine Unterbrechung – große Opern aufgeführt; der König besuchte sie eifrig und pflegte im Parket unmittelbar hinter dem Kapellmeister zu stehen, so daß er in dessen Partitur nachlesen konnte7. Bis an sein Ende hielt er unerschütterlich an dem Geschmack fest, den er sich einmal ausgebildet hatte; nur die Opera seria und in dieser außer einigen der älteren italiänischen Meister nur Hasse und G r a u n ließ er gelten. Graun8 mußte die Opern, zu welchen der König das Libretto selbst französisch zu entwerfen pflegte, das dann italiänisch bearbeitet wurde9, componiren und suchte dies in möglichst kurzer Zeit abzumachen; sie wurden dem König vorher vorgelegt und was diesem nicht gefiel wurde geändert10. Er zog Hasse wegen seiner größeren Kraft und feurigen Lebendigkeit vor, sprach mit dem größten Lob von ihm, während Graun – den der König als Sänger sehr hoch schätzte11 – meistens nur den Tadel über das hörte was diesem mißfiel; nichts desto weniger mußte er Jahr aus Jahr ein Opern componiren12. [353] Dabei blieb es nun auch. Agricola13, seit 1760 Grauns Nachfolger, schrieb selbst wenig außer einzelnen Arien, welche in die alten Opern eingelegt wurden und in derselben Weise geschrieben sein mußten. Von anderen Componisten mochte der König nichts wissen; wie unglücklich der Versuch ablief ihn mit Gluck bekannt zu machen sahen wir bereits (II S. 234f.), und Reichardt empfing er mit dem Rath: »Hüt er sich für die neuen Italiäner, so'n Kerl schreibt ihm wie 'ne Sau«14. Dieser konnte sich nach Agricolas Tode im Jahr 1775 zu dessen Stelle nur durch Uebersendung einer Oper empfehlen, »bei deren Bearbeitung ihm Hasse und Graun Muster gewesen«15; er durfte in dieser Stellung auch nicht daran denken andere Wege einzuschlagen. Uebrigens bekümmerte sich der König in den letzten zehn Jahren seiner Regierung wenig mehr um die Musik; die italiänische Oper dauerte fort mit den Hasseschen und Graunschen Stücken, aber die Ausführung sank immer mehr16.
Neben der Oper, welche die alte italiänische Tradition [354] starr festhielt, bildete sich aber in Berlin ebenfalls vom König aus, eine eigenthümliche Instrumentalmusik aus, welche auf der sächsischen Schule beruhte. Bekanntlich hielt der König jeden Abend bei sich Concert, in welchem er selbst die Flöte blies, und zwar nur eigene oder von seinem Lehrer Quanz17 componirte Solosachen, der deren für Friedrich allmählig über 300 geschrieben hatte18. Quanz, gegen den der König von seinen Jünglingsjahren her Zuneigung und Pietät hatte, herrschte nicht allein bei dieser Cabinetsmusik – er war der einzige, der dem König bravo! zurufen durfte19 – sondern vermöge seiner einflußreichen Stellung überhaupt in musikalischen Dingen und war allgemein gescheut als »Pabst der berlinschen Musik«20. Neben Quanz stand Franz Benda21, [355] ein origineller Künstler und ausgezeichneter Geiger, der eine ihm durchaus eigenthümliche Manier des Spiels ausgebildet hatte, als deren wesentlicher Vorzug der edelste, ausdrucksvollste Gesang gepriesen wird; sein Bruder Joseph, sowie die Söhne beider waren aus seiner Schule hervorgegangen, auch der Concertmeister Graun22, als Violinspieler und als Instrumentalcomponist geschätzt, reihte sich ihnen an. Durch diese vorzüglichen Künstler wurde das Berliner Orchester herangebildet und geschult, das lange Zeit unerreicht neben dem Dresdner stand, und erst später von dem Mannheimer und Wiener überflügelt wurde.
Den höchsten Rang unter den Berliner Künstlern behauptete aber Philipp Emanuel Bach23. Im Jahr 1738 wurde er als Accompagnist zum damaligen Kronprinz berufen, und versah diesen Dienst seit 1756 abwechselnd mit Fasch. Er war ein ebenso gelehrter als geschmackvoller Accompagnist, allein das ewige Einerlei in den Concerten des Königs langweilte ihn, und da er sich als Künstler fühlte, so verdrossen ihn die absprechenden Urtheile des Königs; er ließ es ihn entgelten, indem er nicht nachgab wenn der König im tempo rubato auf die Gefügigkeit des Begleitenden rechnete24. Diesem entging das nicht, er faßte eine persönliche [356] Abneigung gegen Bach und schätzte ihn nicht nach Verdienst25. Bach nahm daher 1767, als man ihn an Telemanns Stelle nach Hamburg berief, seinen Abschied und verließ Berlin. Er ist durch seine, auf die von seinem Vater erfundene Fingersetzung begründete, Technik und seine den Stil der Klaviercompositionen reformirenden Sonaten, der Vater des modernen Klavierspiels geworden und hat auch über diese Grenzen hinaus einen bedeutenden Einfluß geübt, wofür das Zeugniß Haydns genügen mag, der Ph. Em. Bach als sein einziges Vorbild anerkannte26. Die Verehrung, welche man für ihn als einen großen, schöpferischen, durchaus originellen Geist, mochte sie dem ausübenden Künstler oder dem Componist gelten, namentlich in Berlin und Hamburg hegte, war unbegrenzt und allgemein27; Nicolai meint (Reise IV S. 558), was Quintilian vom Cicero sage, dürfe man völlig auf Bach anwenden, daß derjenige in Kenntniß der Musik weiter gekommen sei, dem Bachs Compositionen vorzüglich gefallen.
Die eigentliche Schule des alten Joh. Seba stian Bach in ihrer Strenge und Gelehrsamkeit wurde noch mehr vertreten durch seinen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann [357] Bach28, der seine letzten Lebensjahre ebenfalls in Berlin zubrachte und wegen seiner Leistungen als genialer und gründlicher Künstler ebenso sehr bewundert wurde29 als er durch seinen hochmüthigen Eigensinn und seine Sonderlingslaunen sich und Anderen das Leben schwer machte30, ganz im Gegensatz auch darin zu seinem Bruder, der ein heitrer und jovialer Gesellschafter war. Auch Agricola war ein Schüler, und wie alle Schüler des großen Mannes, tiefer Verehrer Seb. Bachs, vor allen aber war es der gleich näher zu erwähnende Kirnberger, der ganz eigentlich Seb. Bachs Evangelium lehrte. Es war daher kein Wunder, daß sich in Berlin neben jener italiänischen Hasse-Graunschen Richtung in der Oper eine aus der Bachschen Schule hervorgehende und zunächst, aber doch keineswegs allein31, in der Instrumentalmusik ausgeprägte [358] Kunstweise ausbildete und den Berliner musikalischen Geschmack eigenthümlich und auf nachhaltige Weise bestimmte32.
Was aber dem musikalischen Berlin ferner eine eigenthümliche Stellung gab, war der Eifer mit welchem man dort die Musik von den verschiedensten Seiten her auch in den Kreis der litterarischen Besprechung zog. Theils waren nicht wenige Musiker wissenschaftlich gebildete Männer und auch der Feder wohl mächtig, theils schlossen sich auch gründlich gebildete Dilettanten mit Eifer diesen litterarischen Bestrebungen an. Auf Quanz's Versuch einer Anweisung die Flöte zu spielen (1752) folgte Ph. Em. Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753. 1761), und Agricolas Anleitung zur Singekunst (1757), denen Marpurgs Kunst das Clavier zu spielen [359] (1750), Anleitung zum Clavierspielen (l755. 1765) und Anleitung zur Musik und Singekunst (1763) zur Seite standen: es war keine geringe Anerkennung, daß man Leop. Mozarts Violinschule (1756) in Berlin würdig erachtete in diesen Kreis aufgenommen zu werden (I S. 20)33.
Mit nicht weniger Eifer wurde die Theorie der Harmonie und des Contrapunkts nach verschiedenen Seiten hin erörtert; Kirnberger und Marpurg werden in der Geschichte der Musik stets mit Ehren genannt werden.
Kirnberger34, ein Schüler Seb. Bachs, war als Componist wenig bedeutend, aber als ein scharfsinniger und zum Grübeln geneigter Mann suchte er aus den Werken seines verehrten Meisters35 die Lehren der Composition zu entwickeln und auf ihre Grundsätze zurückzuführen. Seinem ganzen Bildungs- und Lebensgang zufolge fehlte es ihm an der Gabe des schriftlichen Ausdrucks und wo ihm nicht seine Freunde wie Agricola, Sulzer oder sein Schüler Schulz zu Hülfe kamen, gelang es ihm schwer seine Ansichten klar darzustellen36. So wie er durch Verstand, Kenntnisse und Studien große Tüchtigkeit zeigte, so war auch die Grundlage seines [360] Charakters brav und achtbar37; allein er wurde verbittert, weil er weder als ausübender Künstler noch als Componist sich auszeichnete und auch seine theoretischen Kenntnisse die Anerkennung nicht fanden, welche er für sich beanspruchen zu können glaubte. So gebrauchte er seine Einsicht als eine kritische Angriffswaffe, und weil es ihm an seiner Bildung gebrach oft in einer Weise, die ihn nicht allein als grob sondern auch als boshaft und hämisch erscheinen ließ38. Quanz hatte behauptet, ein echtes Duett lasse keinen Baß zu und Duetts veröffentlicht, welche dies erweisen sollten; Kirnberger hielt sich nicht allein in Gesellschaften darüber auf, sondern spielte in der Kirche, während Quanz zur Communion ging, dessen Duette mit hinzugefügtem Baß auf der Orgel39. Auf dieses Attentat trat Marpurg40 gegen ihn auf und suchte zunächst an Kirnbergers Fugen nachzuweisen, daß er nicht der Mann sei der so aufzutreten das Recht habe; daraus entwickelte sich eine Fehde, die mit großer Erbitterung über verschiedene Grundsätze der musikalischen Theorie fortgeführt wurde. Marpurg hatte eine gründliche Schul- und [361] Universitätsbildung genossen, er war als Privatsecretär bei General Bodenberg in Verkehr mit Voltaire, d'Alembert, Maupertuis getreten, hatte sich 1746 in Paris aufgehalten und sich die französische Bildung jener Zeit zu eigen gemacht; er war ein Genosse Lessings und seiner Freunde, und hatte, ein jovialer, für sinnlichen Lebensgenuß empfänglicher Mensch, mit diesem nicht bloß studirt und disputirt41. Er war scharfsinnig und gründlich in seinen Untersuchungen, aber leidenschaftlich, gleich unfähig Widerspruch zu ertragen und seine Heftigkeit zu zügeln42; wenn er Kirnberger durch die Darstellung weit überlegen war, so gab er ihm an Grobheit und Bitterkeit nichts nach43.
Auch von allgemeineren Gesichtspunkten aus wurde die Musik dort litterarisch behandelt. Sulzer wollte in seiner Theorie der schönen Künste auch die Musik besprechen und da er sich hierfür nicht gehörig vorbereitet wußte, suchte er sich bei den Männern vom Fach Raths zu erholen und glaubte zuletzt an Kirnberger seinen Mann gefunden zu haben; in dessen Stelle dann 1773 sein Schüler Schulz trat, der ihm an gelehrten Kenntnissen nicht gleich aber durch gewandte Darstellung [362] weit überlegen war44. Bei dem großen Einfluß, welchen Sulzers Werk in Deutschland ausübte, war es allerdings von Bedeutung, welche Ansichten über Musik in demselben ausgesprochen wurden und für viele eine Art von gesetzgeberischer Bedeutung erhielten. Ein anderer, in der kritischen Litteratur einflußreicher Mann, Fr. Nicolai, beschäftigte sich aus Neigung mit der Musik, die er praktisch übte und über welche er sich ein auf eigner Einsicht beruhendes Urtheil zu bilden mit redlichem Ernst bemüht war45. Er war mit ausgezeichneten Musikern, namentlich Agricola, Marpurg, Reichardt persönlich befreundet46, und als er im Jahr 1765 die allgemeine deutsche Bibliothek unternahm, wurde auch die Musik in den Kreis ihrer Besprechungen gezogen, in welcher jener oben bezeichnete berlinsche Standpunkt festgehalten wurde, wie er namentlich in der Opposition gegen Gluck zu erkennen ist47. So wie daher Nicolai als ein in musikalischen Angelegenheiten Berlins einflußreicher Mann galt und gesucht wurde48, so mußte ein litterarisches Organ von solcher Bedeutung nicht wenig dazu mitwirken, der berliner musikalischen Kritik Ansehen und Gewicht zu geben.
[363] Das praktische Resultat dieser musikalischen Bestrebungen, insofern sie nicht unmittelbar vom König ausgingen, trat hauptsächlich in dem Liebhaberconcert hervor, welches alle Freitag Abend bei Corsica gehalten wurde49. Hier waren die bedeutendsten Kräfte versammelt, es wurden Orchesterwerke vorgetragen, einheimische und fremde. Gesangs- und Instrumentalvirtuosen ließen sich hören; dann aber kamen auch große Gesangscompositionen hier zur Aufführung, Grauns und Ph. Eman. Bachs geistliche Musik und, was besonders hervorzuheben ist, Händels Oratorien, namentlich Judas Maccabäus, das Alexanderfest und der Messias50. Der Sinn und die Richtung auf das Ernste und Tüchtige, selbst auf das Große, der sich hierin kund gab, sowie das Bestreben auch der Kunst gegenüber Einsicht und verständiges Begreifen zur Geltung zu bringen, verdienen alle Anerkennung, wenn gleich Einseitigkeit und Pedanterie mit der [364] Zanksucht, welche sie zu begleiten pflegt, dabei auch zum Vorschein kamen. Ebenso begreiflich ist es, daß die hohe Meinung, welche die Hauptstadt Friedrichs des Großen von ihren Einrichtungen und Leistungen zu hegen sich berechtigt hielt, auch in der Musik geltend gemacht wurde, besonders Süddeutschland und namentlich Wien gegenüber. In Marpurgs kritischen Briefen (II S. 141ff.) werden Wagenseil und Steffan, damals in Wien angesehene Männer, mit einem gewissen Behagen sehr von oben herab in die Schule genommen. Nicolai sagt grade heraus (Reise IV S. 525f.), nach Füx's Tode habe Wien zwar verschiedene gute Componisten gehabt, aber kein ausgezeichnetes Genie, welches einem Seb. und K. Ph. Em. Bach, Telemann, Graun und Hasse, Männern, welche im nördlichen Deutschland der Musik eine ganz neue Wendung gaben, hätte an die Seite gestellt werden können – bis Haydn aufgetreten sei. In Wien ignorirte man dagegen alles norddeutsche und namentlich berlinische Musikwesen gründlich51.
Allerdings konnten auch in Berlin manche junge Regungen in der Musik nicht ganz ohne Wirkung vorübergehen; die französische Operette, welche eine Zeitlang von Schulz dirigirt [365] wurde52, noch mehr die deutsche Oper seit 177153 wirkten allmählich und besonders auf den Geschmack des größeren Publicums, das sich für das Gefällige und Leichte immer gern bestimmen läßt, reformirend ein. In diesem Sinne machte sich auch ein Einfluß des Prinzen Heinrich geltend, der wie der König die Musik liebte und eine vortreffliche Kapelle unterhielt. Burney, der sich mit ihm über Musik unterhielt, meinte, es sei leicht zu entdecken daß Se. Kön. Hoheit der alten Musik und den alten Componisten nicht völlig so sehr geneigt seien als der König (Reise III S. 149). Sein Concertmeister Salomon54 vertrat offen diese Opposition gegen die Quanz-Graunsche und die Kirnbergersche Tendenz und führte namentlich Haydns Symphonien und Quartette mit Eifer und Energie auf55. Sein Nachfolger Schulz56, obgleich ein Schüler Kirnbergers, der auf einer längeren Reise sich in Italien umgehört, auch Haydn persönlich hatte kennen lernen57, folgte nur seiner eigenen Natur, indem er sich[366] – zum großen Mißvergnügen seines Lehrers – in seinen Compositionen dieser neuen Richtung zuwandte58 und nicht bloß Haydns, sondern sogar Glucks Musik aufführte. Mit dieser drang er freilich nicht durch, aber Haydn fand, und nicht allein bei dem jüngeren Theil des Publicums, lebhaften Beifall. Zwar gab es Anhänger der alten Musik, welche jedesmal mit Geräusch fortgingen, wenn Haydnsche Musik aufgeführt wurde, allein Männer wie Marpurg lachten darüber und versagten ihm ihre Anerkennung nicht59; auch Nicolai spricht mit aufrichtigem und einsichtigem Lob über ihn60. Reichardt61 mußte freilich als Kapellmeister des Königs [367] in dessen Sinne schreiben62, allein mit der ihm eigenen Beweglichkeit und Lebendigkeit wußte er durch das von ihm eingerichtete Concert spirituel63, durch Compositionen und Schriften64 nach vielen Seiten hin anregend auf das Publicum zu wirken65.
In musikalische Zustände so eigenthümlicher und von den in Wien ihm bekannten so verschiedener Art trat van Swieten in Berlin ein. Sie mußten ihn um so mehr interessiren, als er seiner ganzen Anlage nach für das Verstandesmäßige, was nach Regeln einzusehen und zu beurtheilen ist, mehr befähigt war als zu eigner Production66. Er war daher für die strenge berlinsche Schule leicht zu gewinnen und faßte hier eine entschiedene Vorliebe, nicht allein für den gebundenen Stil, sondern ganz besonders für Händelsche und Bachsche Musik, welche er mit nach Wien brachte und namentlich [368] durch seine persönliche Stellung zu Haydn, Mozart und Beethoven in seltner Weise fruchtbar machte. Bei Ph. Em. Bach bestellte er sechs große Symphonien fürs Orchester mit dem ausdrücklichen Wunsch, daß er sich ohne alle Rücksichten auf die Schwierigkeiten der Ausführung allein seinem Genius überlassen möge. Reichardt, der im Jahr 1774 in Hamburg diese eben vollendeten Symphonien aufführte, rühmt sie außerordentlich und meinte, »es sei kaum eine Composition von höherem, keckerem, humoristischerem Charakter einer genialen Seele entströmt« (A. M. Z. XVI S. 28f.). Auch Haydn konnte van Swieten in Berlin damals vielleicht besser als in Wien kennen lernen, und daß er diesen und Mozart und später den jugendlichen Beethoven neben Händel und Bach erkannte und liebte, ist ein Zeugniß, daß er ein echtes Gefühl für das Große und Schöne besaß67.
Als er nach Wien zurückkehrte – dies wild etwa 1778 geschehen sein –, nahm er dort eine sehr bedeutende Stellung ein. Zunächst wurde ihm die Stelle eines Präfecten der Hofbibliothek zu Theil, welche früher sein Vater bekleidet hatte, dann wurde er Präses der Studien- und der Büchercensur-Commission, und erhielt den Auftrag den Studienplan auszuarbeiten, welcher 1783 in der ganzen Monarchie eingeführt [369] wurde. Kenntnisse, Einsicht und Eifer für die Wissenschaften, welches für einen solchen Posten die ersten Erfordernisse waren, sprach ihm Niemand ab68, allein man vermißte an ihm die Entschlossenheit, Thätigkeit und Kühnheit um durchzusetzen was er sich vorgesetzt hatte69. Indessen konnte es nicht fehlen daß eine so einflußreiche und bedeutende Stellung, sein Rang und Reichthum, der Ruhm des väterlichen Namens und der Glanz der Gesandtschaft am Hofe Friedrichs des Großen ihm in Wien in den vornehmen Kreisen großes Ansehen gaben, welches er zum Frommen der Musik eifrig verwandt hat, selbst für so untergeordnete Zwecke um bei musikalischen Aufführungen Stille und Aufmerksamkeit zu erhalten. Denn wenn etwa einmal ein flüsterndes Gespräch entstand, so erhob sich Se. Excellenz, die in den ersten Reihen zu sitzen pflegte, mit feierlichem Anstand in ihrer ganzen Länge, wendete sich dem Schuldigen zu, maß ihn lange mit ernstem Blick und setzte sich langsam wieder nieder. Das wirkte jedesmal70.
Mit pecuniären Unterstützungen – um dies gleich abzuthun – war van Swieten nicht freigebig. Er verwendete mit Eifer seinen Einfluß in den vornehmen Kreisen und verstand es auf diesem Wege erhebliche Mittel für würdige Kunstzwecke zusammenzubringen, namentlich durch Gründung eines Vereins für Aufführung geistlicher Musik, von dem [370] nachher noch die Rede sein wird. Für solche Zwecke steuerte er dann auch selbst an seinem Antheil bei, und dieses sein Verdienst soll ihm nicht geschmälert werden71; allein die echte Liberalität, welche aus innerem Antriebe und zu eigener Befriedigung hilft und fördert kannte er nicht. Vielmehr bewies sich der reiche und kinderlose Mann nicht selten knauferig; das hat Haydn erfahren72 und die Lobeserhebungen, mit welchen van Swietens Verdienste um Mozarts nachgelassene Familie gepriesen worden sind73, kamen ihm nicht zu: er hat nichts irgend Nennenswerthes für sie gethan. Auch war er im Verkehr mit Künstlern, so sehr er sie selbst und ihre Leistungen zu schätzen wußte, nicht immer gleichmäßig; zu Zeiten kehrte er auch gegen sie den vornehmen Herrn heraus und machte seine Kennerschaft ihnen gegenüber selbst [371] in ungebührlichen Zumuthungen eigensinnig und hartnäckig geltend. Auch das hat Haydn erfahren müssen74, und schwerlich wird Mozart solchen Unannehmlichkeiten ganz entgangen sein.
Aber diese persönlichen Schwächen treten zurück gegen das Verdienst, welches sich van Swieten erworben hat, indem er in Wien das Interesse für ernste und strenge Musik mit Eifer vertrat. Der Einfluß, welchen er dadurch auf Mozart ausübte, ist unverkennbar. Zu Anfang des Jahres 1782 finden wir Mozart bereits in lebhaftem Verkehr mit van Swieten, bei dem alle Sonntag Morgens Musik gemacht wurde, aber nur Musik im strengen Stil. Er hatte, wie Mozart seiner Schwester schreibt (20. April 1782), »in der That am Werth einen sehr großen, an der Zahl aber einen sehr kleinen Schatz von guter Musik«; um denselben zu vermehren ließ Mozart sich von seinem Vater nicht allein seine eignen Kirchencompositionen, sondern auch erlesene Werke von Mich. Haydn und Eberlin, die er zum Theil selbst früher abgeschrieben hatte, schicken, welche mit Beifall in diesem kleinen Zirkel aufgeführt wurden75. Für Zuhörer waren diese Aufführungen freilich nicht berechnet; denn van Swieten sang, wie Mozart seinem Vater berichtet (12. März 1783), den Discant, Mozart, der zugleich Klavier spielte, Alt, Starzer76 den Tenor, der junge Teyber77, der erst aus [372] Italien zurückgekommen war, den Baß. Aber man lernte doch treffliche Werke bedeutender Meister kennen, die in Wien zu hören sonst gar keine Gelegenheit war. »Wir wissen ja«, schreibt Mozart (12. April 1783) mit Beziehung auf diese musikalischen Zusammenkünfte bei van Swieten, »daß sich die Veränderung des Gusto leider sogar bis auf die Kirchenmusik erstreckt hat, welches aber nicht seyn sollte; woher es denn auch kömmt, daß man die wahre Kirchenmusik – unter dem Dach und fast von Würmern zerfressen findet«78.
Nicht allein Gesangmusik dieser Art wurde bei van Swieten aufgeführt, sondern auch Klaviermusik derselben Richtung. »Apropos« schreibt Mozart dem Vater (10. April 1782) »ich wollte Sie gebeten haben, daß Sie mir möchten die sechs Fugen vom Händel und die Toccaten und Fugen vom Eberlin schicken79. Ich gehe alle Sonntag um 12 Uhr zum Baron [373] van Swieten, und da wird nichts gespielt als von Händel und Bach. Ich mache mir eben eine Collection von den Bachischen Fugen, sowohl Sebastian, als Emanuel und Friedemann Bach, dann auch die Händlischen und da gehen mir nur diese ab. Und da möchte ich den Baron die Eberlinschen auch hören lassen.« Ueber die letzteren aber schrieb er bald nachher der Schwester (20. April 1782): »Wenn der Papa die Werke vom Eberlin noch nicht hat abschreiben lassen, so ist es mir sehr lieb. Ich habe sie unter der Hand bekommen und – dann ich konnte mich nicht mehr erinnern – leider gesehen, daß sie gar zu geringe sind, und wahrhastig nicht einen Platz zwischen Händel und Bach verdienen. Allen Respect für seinen vierstimmigen Satz, aber seine Klavierfugen sind lauter in die Länge gezogene versetti.«
Wir haben schon gesehen, wie der Eifer mit welchem Mozart sich dem Studium dieser Meister hin gab, durch das Interesse, das auch seine Constanze für diese Gattung von Musik faßte, noch angefacht wurde (S. 168). Es konnte nicht fehlen, daß er dadurch angeregt wurde sich in ähnlicher Weise zu versuchen, und als er seiner Schwester eine dreistimmige Fuge mit dazu gehörigem Präludium schickte, schrieb er ihr (20. April 1782), daß er mit der Zeit und mit guter Gelegenheit noch fünf Fugen machen und sie van Swieten überreichen wolle, sie möge sie deshalb keinen Menschen sehen lassen, sondern sie auswendig lernen und so spielen: »eine Fuge spielt man nicht so leicht nach.« Diesen Vorsatz hat er zwar soviel bekannt ist, nicht ausgeführt, es existiren aber noch verschiedene Werke, welche bezeugen, daß er damals in dieser Richtung mit Eifer thätig [374] war. Die dreistimmige Fuge in C-dur mit voraufgeschicktem Präludium, welche (Oeuvres VIII, 1) veröffentlicht ist80, kann eine Vorstellung von dem geben, was Mozart beabsichtigte. Derselben Zeit und Richtung gehört die große Fuge für zwei Klaviere in C-mol an81, welche am 29. December [375] 1783 componirt82 und von Mozart später (im Juni 1788) für das Saitenquartett arrangirt und mit einer Einleitung versehen wurde83. Die größere Bequemlichkeit und Deutlichkeit, welche beim Vortrag vierstimmiger Sätze in gebundener Schreibart auf diese Weise zu erreichen ist, war ohne Zweifel die Veranlassung daß Mozart auch fünf Fugen aus Bachs wohltemperirtem Clavier für Saiteninstrumente arrangirte84. Die Handschrift zeigt daß dies Arrangement im Jahr 1782 oder 1783 gemacht sei, wo der Verkehr mit van Swieten am lebhaftesten war, und daß dieser dasselbe veranlaßt habe ist um so wahrscheinlicher, da auch das Arrangement der C-mol Fuge in die Zeit fällt, wo die Aufführung und Instrumentation der Händelschen Oratorien [376] Mozart wieder in nähere Berührung mit van Swieten brachte. Für dieselbe Art des Vortrags mögen auch zwei in jener Zeit componirte Fugen bestimmt gewesen sein, welche ihrem Charakter nach weder für Singstimmen noch für das Klavier geschrieben sind85. Für dies Instrument war dagegen noch eine von Mozart bis auf wenige Takte vollendete vierstimmige Fuge in G-moll bestimmt, welche mit einem[377] Schluß vom Abbé Stadler bekannt gemacht ist86. Wie Mozart diese Sachen gespielt wissen wollte, darüber belehrt uns eine Aeußerung welche er bei Uebersendung jener ersten Fuge gegen seine Schwester macht (20. April 1782): »Ich habe mit Fleiß Andante maestoso darauf geschrieben, damit man sie nur nicht geschwind spiele – denn wenn eine Fuge nicht langsam gespielet wird, so kann man das eintretende Subject nicht deutlich und klar ausnehmen, und ist folglich von keiner Wirkung.«
Ein interessanter Beleg für die Lust, mit welcher Mozart Händel und Bach nachzuarbeiten suchte, ist auch eine im Jahre 1782 oder 1783 angefangene aber unvollendet gebliebene Klaviersuite. Sie beginnt nach der Regel jener Compositionen87 mit einer Ouverture (in C-dur), welche aus zwei Sätzen besteht, einer langsamen, imitirten Einleitung und einem fugirten Allegro, welches in der Dominante schließt. Auf dasselbe folgt der hergebrachten Ordnung gemäß eine Allemande (in C-moll), und auf diese die Courante (in Es-dur), an welche sich die Sarabande (in G-moll) anschließt; von dieser aber hat Mozart nur einige Takte niedergeschrieben88. Die Nachbildung jener Meister ist sowohl in der Anlage der Sätze, als in der Behandlung des Einzelnen bis auf manche Wendungen ganz unverkennbar89 [378] und man kann in diesem Sinn sie als Studien betrachten; allein die Mozartsche Eigenthümlichkeit tritt daneben nicht minder bestimmt hervor, und namentlich die sehr schöne Courante ist so ganz davon durchdrungen, daß sie trotz der ihm ungewöhnlichen Form doch als ein ganz specifisch Mozartsch empfundenes und ausgeführtes kleines Musikstück erscheint. Eigenthümlicher noch und freier ist die »kleine Gique für das Clavier«, welche Mozart am 17. Mai 1789 »in das Stammbuch des Hrn. Engel kurf. sächs. Hoforganisten in Leipzig« schrieb90, sicherlich im Andenken an Bach, dessen Motetten er dort zu seiner staunenden Bewunderung hatte kennen lernen, und dessen Meisterschaft auch in dieser kleinen Form er längst verehrte. Die leichte bewegliche Gique war durch Bach sowohl in strenger als freier Ausführung zu einem phantastischen, meist humoristischen Kunstwerk ausgebildet worden, daß sie in der Suite so ziemlich die Stelle behauptet, welche das Scherzo später in der Sonate einnahm. Mozart hat die strengere Form gewählt, und das geistreiche Spiel, in welchem contrapunktische, harmonische, rhythmische Kunst im knappsten Raum frei sich entwickelt und den Zuhörer [379] wie den Spieler neckisch in Athem hält, macht diese kleine Composition zu einem Meisterstück. Sie kann wohl das Bedauern erregen, daß die Suite, welche so manche fruchtbarer Entwickelung fähige Elemente enthält, von Mozart nicht ernstlich aufgenommen und weitergebildet ist, was freilich nur von einem Künstler geschehen konnte, der nicht allein die Formen, wie sie Bach und Händel ausgebildet hatten, als fertige übernahm, sondern sie eigenthümlich fortzubilden im Stande war.
Ueberhaupt diente ja das Studium Bachs und Händels für Mozart nicht dazu, um Fugen machen zu lernen91; daß er der contrapunktischen Technik vollkommen Herr war, beweisen seine früheren Compositionen zur Genüge. Allein was er an jenen Meistern bewundern lernte, was ihn zu freier Nacheiferung anfeuerte, das war die Kraft und Tiefe ihrer künstlerischen Natur und Bildung, vermöge welcher sie diese strengsten, scheinbar bis zur Starrheit abgeschlossenen Formen der Darstellung als die naturgemäße und durchaus entsprechende Ausdrucksweise ihres musikalischen Empfindens und Denkens ergriffen, in ihnen mit vollkommener Freiheit und Wahrheit ihr innerstes Leben aussprachen und so den staunenswerthen Reichthum contrapunktischer Combinationen nicht als ein Spiel unfruchtbarer Speculation oder als todte Erfüllung des Gesetzes verbrauchten, sondern als unerschöpfliche [380] Fundgrube wahrhaft genialer Productionskraft in steter Bereitschaft hielten. Daß Mozart jene großen Männer in diesem Sinn würdigte, beweist schon sein oben mitgetheiltes Urtheil über Eberlin, seine Aeußerung über Häßler, der nur Harmonien und Modulationen vom alten Bach auswendig gelernt habe, aber nicht im Stande sei eine Fuge ordentlich auszuführen (Beil. XIX, 3), beweisen am besten seine eigenen Arbeiten. Denn so wie schon in den Compositionen, welche von ihm unter dem unmittelbaren Einfluß Bachs und Händels zum Studium geschrieben sind, die Eigenthümlichkeit Mozarts unverkennbar hervortritt, so macht sich auch in seinen späteren Werken nirgend das Bestreben geltend, wie Bach und Händel zu schreiben, es ihnen nachzumachen92, sondern es ihnen gleich zu thun, aus denselben Quellen zu schöpfen, zu welchen sie ihm den Zugang gewiesen, und was er von ihnen empfangen seiner Natur und der jedesmaligen Aufgabe gemäß zu verwenden93. Was in manchen Stücken [381] seiner Kammermusik, im Schlußsatz der C-dur Symphonie, in der Ouverture zur Zauberflöte als ein wahrer Triumph erscheint, welchen die Kunst in der Durchdringung der strengsten Gesetzmäßigkeit und der freiesten Schöpferkraft zur vollkommenen Klarheit und Schönheit feiert, das ist nicht zum geringsten Theil in den Anregungen begründet, welche ihm diese Studien gewährten. Allein ihr Einfluß reicht viel weiter als in die Compositionen strengen Stils; die tiefe und großartige Entfaltung der polyphonen Schreibart, welche alle Werke Mozarts charakterisirt und deren Durchführung in den verschiedensten Gattungen eines seiner wesentlichsten Verdienste ist, beruht, auch in ihrer freiesten und leichtesten Anwendung, auf den Grundlagen, welche jene Meister gelegt hatten, indem sie zugleich lehrten, in welchem Geiste auf denselben fortgebaut werden könnte und sollte. Unverkennbar ist es, wie der Reichthum und die Kühnheit der harmonischen Behandlung, welche in Mozarts Werken immer bewunderungswürdiger hervortreten, auf dieselbe Quelle zurückzuführen sind. Auch in seinen früheren Werken sind große harmonische Schönheiten, neue und überraschende Uebergänge und Wendungen häufig genug, allein sie stehen nicht selten noch als einzelne Momente da und erscheinen als rein harmonische Combinationen, während sie in den späteren Werken überwiegend aus der freien und geistreichen Durchführung des polyphonen Princips hervorgehen. Man sieht also, daß die ursprüngliche erfinderische Kraft durch das Studium großer Muster und die dadurch hervorgerufene [382] Einsicht in das Wesen und die Grundgesetze der künstlerischen Darstellung zu freiester Entfaltung gelangt ist. Der Einfluß jener Meister und ihrer Kunst zeigt sich auch in einer gewissen Herbigkeit und Strenge, welche durch polyphone Anlage und Selbständigkeit der Stimmführung veranlaßt, von Mozart keineswegs an sich vermieden wird; vielmehr muthet er in dieser Hinsicht dem Zuhörer gar oft ebensoviel und mehr zu als z.B. Bach und Beethoven, auch darin dem Sophokles vergleichbar, der von den Alten mit Recht seiner süßen Lieblichkeit wegen als die attische Biene gepriesen dennoch durch schroffe Strenge und herben Ernst zu erschüttern nicht verschmäht. Allerdings erscheint solche Härte auch bei Mozart nie als die Folge einer ungelenken Sprödigkeit, sondern stets als eine gewußte und gewollte, weil mit Nothwendigkeit aus der Consequenz der zur musikalischen Darstellung angewendeten Mittel hervorgehend, und ebenso wenig wird sie als bloßes Reizmittel von ihm angewendet, vielmehr stets nur als ein Durchgang zu einer um so nachhaltigeren Befriedigung in reiner Schönheit. Und weil ihm diese Lösung des Conflicts, welcher durch zu starke einseitige Anspannung hervorgerufen war, zu vollkommener Klarheit und Beruhigung fast ohne Ausnahme so wunderbar gelingt, ist es nicht zu verwundern, wenn jene andere Seite oft weniger beachtet wird94.
Unter den Compositionen in gebundener Schreibart nimmt die dreistimmige Klavierfuge in C-dur ein besonderes [383] Interesse in Anspruch. Vorher geht eine Einleitung, welche, weil sie weiter ausgeführt ist als ein gewöhnliches Präludium, als Phantasie bezeichnet ist. Solche Vorspiele, meistens obgleich nicht immer in freier Form, die auch Toccaten genannt werden, pflegte man einer Fuge oder einem anderen Tonstück von geschlossener Form voranzustellen, und ihm den Charakter einer freien Improvisation zu geben95. Das in Rede stehende nimmt nach einer kurzen langsamen Vorbereitung eine lebhafte Bewegung an, spielt im raschen Wechsel in verschiedenen Tonarten ohne in irgend einer sich festzusetzen, ebensowenig wird ein Motiv oder eine Figur bestimmt durchgeführt; diese unruhige treibende Bewegung hat einen schwungvollen, pathetischen Charakter und erregt eine nicht geringe Spannung, während sie zugleich brillant und auch in dieser Beziehung effectvoll ist96. Im schönsten Gegensatz zu diesem hastigen Treiben steht nun die feste und ruhige, aber bewegte und durch inniges Gefühl belebte Fuge
[384] Die beiden ersten Takte mit ihren Quartengängen kündigen zwar mehr ein brauchbares als ein individuell ausdrucksvolles Fugenthema an, allein das bewegte Motiv, was folgt, hat einen sehr eigenthümlichen Charakter besonders durch die Wechselnoten, welche den melodischen Gang hervorheben und durch rasch vorübergehende scharfe Dissonanzen einen in der Durchführung vielfach modificirten und gesteigerten Reiz gewähren. Das weiche, fast an Wehmuth streifende, aber immer ernst gefaßte Gefühl – welches sich auch in dem häufigen Ausweichen in die Molltonarten ausspricht – ist in der ganzen Fuge so einfach und wahr ausgedrückt und so bestimmt festgehalten, daß sie, abgesehen von der interessanten technischen Ausführung, als ein Muster für den charakteristischen Ausdruck der Stimmung in dieser Form und als ein Beleg gelten kann, wie tief innerlich Mozart dieselbe aufgefaßt und sich angeeignet hat. Dazu kommt, daß diese Fuge durchaus klaviermäßig und ihrer Conception und Ausführung nach so ganz für dies Instrument berechnet ist, daß die Wirkung wesentlich mit darauf beruht97. Dies letztere kann man nicht in gleicher Weise von der C-moll-Fuge sagen, deren Wirkung weder auf den Klangeffecten [385] des Klaviers noch der Saiteninstrumente beruht98. Sie ist aber so groß angelegt, mit einem so strengen Ernst und einer [386] so rücksichtslosen Strenge durchgeführt, daß die äußeren Mittel der Ausführung hier allerdings weniger in Betracht kommen, wo es wesentlich auf den energischen Ausdruck des Gesetzmäßigen ankommt, das sich aber nicht als die bloße Vollziehung einer äußerlich gegebenen Norm, sondern als die bewußte That eines kräftigen und consequenten Willens erweist.
Es scheint angemessen gleich hier noch einen Blick auf zwei Compositionen zu werfen, welche einer viel späteren Zeit, aber derselben Richtung angehören. Dies sind die beiden »Stücke für ein Orgelwerk in einer Uhr« in F-moll, welche mit der willkührlichen Bezeichnung als Phantasie und Sonate für Klavier zu vier Händen gedruckt worden und sehr bekannt sind. Beide bestehen aus einem langsamen und einem lebhaften Satz, welcher in gebundenem Stil geschrieben ist, die Anlage beider ist verwandt, aber nicht gleich. Das erste Stück99 wird durch ein ernstes Adagio eröffnet, dessen schöne Harmonieführung sich durch einige jener Herbigkeiten auszeichnet, welche aber den sanften Ausdruck desselben nicht beeinträchtigen; ohne eigentlich selbständige Ausführung hält es den Charakter einer Einleitung fest. Das dann folgende Allegro in F-dur besteht nur aus der imitatorischen Behandlung eines rasch bewegten Motivs; es zerfällt sonatenartig in zwei Theile, von denen der erste in der Dominante schließt, worauf nach einem kurzen Mittelsatz, dem auch das Hauptmotiv zu Grunde liegt, dasselbe wieder eintritt und in der Tonica abschließt, durch eine rasche harmonische Bewegung aber wieder in das Anfangsadagio überleitet, welches auf [387] meisterhafte Art so modificirt ist, daß es ebenso bestimmt, als es vorher einleitete, nun zu einem beruhigenden Abschluß führt. Dadurch rundet sich das Ganze vortrefflich ab, und auch die lebhafte Geschäftigkeit, welche in dem Allegro herrscht, aber kräftig und selbst glänzend ist, steht zwar in einem starken Gegensatz zu dem sanften Gefühlsausdruck des Adagio, aber in keinem Widerspruch, vielmehr ergänzen sich beide aufs schönste. Größer angelegt und tiefer empfunden ist aber das zweite Stück100. Es beginnt mit dem Allegro, dessen erste Takte von kräftiger Bewegung als Einleitung zu einer regelmäßigen Fuge dienen, die nicht nur durch schöne Führung und herrlichen Wohllaut sondern durch den innigen Ausdruck einer ernsten, beschaulichen Stimmung von hoher Bedeutung ist; nachdem sie durch eine Engführung des Themas in der Umkehrung abgeschlossen ist, führt sie nach einer frappanten harmonischen Ausweichung wieder zu dem Eingangsmotiv zurück, das aber jetzt zu einem Andante in As-dur überleitet. Da dieses hier als der Mittelsatz erscheint, auf welchen ein wesentliches Gewicht fällt, so ist es breiter angelegt und ausgeführt; ein bestimmt ausgebildetes Motiv kehrt in mannichfacher Figurirung durch verschiedene Zwischensätze verbunden mehrmals wieder. Gegenüber den Gegensätzen kräftiger Bewegung und sinniger Beschaulichkeit im Allegro spricht sich hier eine in sich befriedigte, still verklärte Empfindung, wie sie aus jenen Elementen sich entwickelt, in reiner Anmuth aus, die durch einen leisen Hauch wehmüthiger Erinnerung nicht getrübt, sondern gehoben wird. Aber dieser Zustand glücklicher Ruhe ist kein dauernder; so tritt denn auch der erste bewegte Satz wiederum ein, das Fugato beginnt von Neuem, gesteigert durch ein zweites unruhig bewegtes Gegenthema, welches [388] der ganzen Durchführung den Charakter lebhafter Erregung giebts und zu einem leidenschaftlichen, kräftigen Schluß führt101.
Diese beiden Compositionen102 bewähren von Neuem, daß Mozart bei weiterem Fortschreiten auf diesem Wege eine wahrhaft fruchtbare Ausbildung auch dieser bedeutenden musikalischen Darstellungsform, in einer durch die innerlichste Vertiefung in das Wesen derselben gewonnenen Freiheit und der auf dieser beruhenden Verschmelzung mit der individuellen Natur ohne Zweifel gelungen wäre – zum unberechenbaren Gewinn für die Entwickelung der Musik, die später nach anderen Richtungen hin sich einseitig ausgebildet hat103. Man pflegt bei Gelegenheit dieser Stücke wohl zu bedauern daß Mozart sein Genie und seine Arbeit in so schönen Compositionen an eine Spieluhr verschwenden mußte. Aber darauf sollte man vielmehr aufmerksam machen, wie echt künstlerisch der Mann verfuhr, indem er sich ganz der einmal gestellten Aufgabe widmete, [389] ohne alle Rücksicht auf die äußeren Verhältnisse, die sie hervorgerufen, einzig darauf bedacht, ein Kunstwerk zu schaffen das innerhalb der gegebenen Bedingungen, ohne die er es gar nicht denken konnte oder wollte, ein harmonisches Ganze sei.
Da Mozart durch van Swieten auch mit Gesangcompositionen Händels, Bachs – obwohl er dessen großartige Motetten erst später in Leipzig kennen lernte – und anderer Meister des Kirchenstils bekannt wurde und, wie wir sahen, den Verfall der wahren Kirchenmusik mit ihm beklagte, so sollte man erwarten, daß er mit Eifer sich derselben zugewandt habe, zumal da hier keine ähnliche Concurrenz wie bei der Oper zu fürchten gewesen wäre. Daß er aber erst im letzten Jahr seines Wiener Aufenthalts, und zwar auf bestimmte Veranlassungen, für die Kirche componirte erklärt sich daraus, daß Kaiser Joseph im Jahr 1783 bei der neuen Anordnung des Gottesdienstes die figurirte und Instrumentalmusik in den Kirchen Wiens untersagte, nur mit der Ausnahme daß in der Hofkapelle und im Stephansdom, wenn der Erzbischof pontificirte, musikalische Messen aufgeführt werden durften. Dafür wurden deutsche Gesänge eingeführt, welche von der Gemeinde gesungen wurden; man wollte die Composition derselben nicht loben104 und beklagte es, daß um den Mißbrauch abzuschaffen auch die gute Kirchenmusik ganz beseitigt sei105. Kurz, Mozart war wie jedem anderen Componisten dadurch die Möglichkeit benommen auf diesem Gebiet mit Erfolg wirksam zu sein. Wir haben aber bereits gesehen (S. 257f.), daß Mozart im Jahr 1782 zufolge eines Gelübdes [390] eine Messe zu componiren unternommen hatte, welche in Salzburg aufgeführt werden sollte, und diese Arbeit trägt allerdings die deutlichen Spuren der Studien, welche ihn damals beschäftigten.
Diese Messe in C-mol106 unterscheidet sich durch die ganze Anlage und Behandlung wesentlich von allen früheren. Während bei jenen die Beschränkung auf ein knappes Maaß und ein Zusammenziehen der einzelnen Theile zu einem größeren Ganzen, mit Ausnahme weniger Sätze vorwiegt, ist hier dagegen das Bestreben nach einer möglichst breiten Ausführung des Einzelnen maaßgebend. Daher sind die einzelnen Abschnitte des Textes, wie das auch von anderen Componisten schon geschehen war, als selbständige Sätze behandelt; das Gloria zerfällt in sieben vollkommen abgeschlossene Musikstücke. Dem äußeren Umfang entspricht die Ausführung, indem durchgehends eine ausgearbeitete thematische Behandlung, meistens in strenger Form, angewandt ist. Auch in den Mitteln, welche dafür verwendet werden, ist ein größerer Reichthum entfaltet; mehrere Chorsätze sind fünfstimmig, einer achtstimmig, und daneben sind vier Solostimmen in verschiedener Weise in Anspruch genommen. Das Orchester zeigt zwar die in Salzburg übliche Zusammensetzung – die Blechinstrumente sind vollständig besetzt, neben Oboen [391] und Fagotts aber keine Flöten und Clarinetten benutzt – allein es ist durch seine selbständige Haltung tüchtig in Anspruch genommen, einzelne Instrumente auch obligat behandelt107.
Was nun bei einer genaueren Betrachtung dieser Messe am meisten auffällt ist die große Ungleichheit, welche sich nach verschiedenen Seiten hin zwischen den einzelnen Sätzen kund giebt, und dieser Composition wesentlich den Charakter einer zum Studium unternommenen giebt. Zunächst fallen die Solosätze, besonders durch ihre bravurmäßige Behandlung, in die Augen. Diese galt zwar damals für keineswegs unverträglich mit kirchlichem Stil, und auch ernste und strenge Meister des vorigen Jahrhunderts, auch Händel und Bach haben sie in ihren Kirchenmusiken nicht ausgeschlossen; aber es ist auffallend, daß Mozart, der in seiner dramatischen Musik das Bravurmäßige nur dem Sänger zu Liebe anbrachte und wo er sich selbst folgen durfte gern darauf verzichtete, hier jenem Geschmack nachgab. Auch hat das erste große Sopransolo Laudamus te ganz den Zuschnitt einer alten Bravurarie und auch im Einzelnen wenig oder gar nichts von Mozarts Eigenthümlichkeit; vielmehr erinnert es so auffallend an Hasses oder Grauns Weise, daß es fast absichtlich [392] in diesem Geschmack geschrieben zu sein scheint108. Mehr vom Mozartschen Charakter verräth das Incarnatus est, das von concertirenden Blasinstrumenten begleitet ist und in deren Behandlung manche seine Züge, überhaupt einen anmuthigen Ausdruck hat; aber hier wird die Bravur noch entschiedener zur Hauptsache und überschreitet namentlich in der 22 Takte langen Cadenz, in welcher die Singstimme mit den Blasinstrumenten wetteifert, alles billige Maaß. In den mehrstimmigen Solosätzen tritt dies Element schon viel weniger hervor. Das Duett zwischen zwei Sopranen Domine Deus ist wie das Terzett zwischen zwei Sopranen und Tenor Quoniam tu solus sowohl in den Singstimmen als in der Begleitung in strengerer Form geschrieben, und schon dadurch einfacher, gehaltener und auch im Ausdruck würdiger; allein bei aller Klarheit und Sicherheit, mit welcher diese Form gehandhabt ist, haben sie doch etwas Schulmäßiges und Trocknes, sie machen den Eindruck, als seien sie der Arbeit wegen gemacht, und das frische Aufquellen fehlt ihnen, das sonst selbst weniger bedeutenden Compositionen Mozarts eigen ist.
Zum Theil muß man dies auch von den Chören sagen. Die ausnehmend lange Fuge Cum sancto spiritu ist zwar als solche vortrefflich gearbeitet und trotz der mancherlei Kunststücke, welche darin angebracht sind, sehr klar; sie wird bei allem Behagen an der Arbeit nirgends kleinlich und gekünstelt, sondern – und darin kann man am ehesten Händels Vorbild erkennen – alle Züge sind fest, bestimmt, das Ganze einfach und bedeutend: nichts desto weniger fehlt ihr der Nerv eines ganz individuellen Lebens, welches einzelne und selbst [393] schwungvolle charakteristische Züge, wie z.B. der höchst grandiose Schluß – wo die Singstimmen im Einklang das Thema gegen eine figurirte Begleitung durchsetzen – ihr nicht geben können. Eigenthümlicher belebt ist das Osanna, das hier nicht wie sonst meistens ein kurzes Fugato, sondern ein lang ausgeführter fugirter Satz ist; indessen läßt sich nicht läugnen, daß auch hier das technische Interesse an der Arbeit den Componisten weiter geführt und länger festgehalten hat als nöthig war, so daß auch hier der Charakter der Schule nicht ganz verwischt ist. Dagegen sind das Kyrie, Gloria undSanctus sehr schöne Sätze, in denen die tüchtige und sichere Ausführung in meistens strenger Form nicht das Uebergewicht gegen den Gefühlsausdruck und den inneren musikalischen Gehalt gewinnt, sondern ein schönes Ebenmaaß bewahrt ist, das sich auch in dem äußeren Umfang bewährt. Der Ausdruck in den einzelnen Sätzen ist der Natur der Sache nach so verschieden, aber jedesmal so entsprechend, und so ernst und bedeutend, daß man in ihnen schon den Begriff, welchen Mozart von wahrer Kirchenmusik gefaßt haben mochte, klar und würdig ausgesprochen finden darf109. Die Krone dieser Composition aber bilden das fünfstimmige Gratias und das achtstimmige Qui tollis, die nicht allein meisterhaft [394] angelegt und ausgeführt und von großartigem, tief ernstem Ausdruck, sondern auch ganz und gar von Mozarts innerstem Wesen und Leben ergriffen sind. Wenn man gleich in dem herben und strengen Ernst, in den großen Zügen und der massenhaften Wirkung die großen Vorbilder erkennt, welche ihm lebendig vor der Seele standen, so haben wir hier auch den Meister vor uns, den jene Muster anregten, um so tiefer aus sich selbst zu schöpfen und die eigenste Kraft zur höchsten Leistung zu steigern. Der wunderbare, geheimnißvolle Schauer des Unsichtbaren, der in den schönsten Sätzen des Requiem so tief ergreift, weht uns auch aus diesen Chören an.
Nachdem Mozart die Messe, unvollendet wie sie war, in Salzburg zur Aufführung gebracht hatte, fand er zunächst keine Veranlassung dieselbe zu vollenden und ließ sie, da es ihm an dringender Arbeit nicht fehlte, liegen; vielleicht trug auch das Gefühl, daß er hauptsächlich mit derselben seine Studien gemacht hatte, mit dazu bei, daß er keine Neigung fühlte sie zu Ende zu bringen. Als er aber im Jahr 1785 aufgefordert wurde in dem Concert für den Pensionsfonds (S. 10ff.) ein Oratorium aufführen zu lassen, entschloß er sich die Sätze des Kyrie und Gloria dazu zu verwenden, welchen ohne eine erhebliche Veränderung der von einem mir unbekannten Dichter hierzu verfaßte italiänische Text des Davidde penitente untergelegt wurde. Dazu schrieb er für Mlle. Cavalieri und für Adamberger noch zwei neue große Arien, welche eingeschoben wurden110. Allerdings verlor [395] dadurch das Ganze noch mehr an Einheit der Haltung, denn in diesen beiden Arien ist nicht allein das Orchester ganz in Mozarts späterer Weise behandelt, sondern sie sind in Anlage und Behandlung merklich von den übrigen Musikstücken unterschieden. Beide sind ganz in der Weise der Concertarien jener Zeit geschrieben, denen sie im lebhaften Gefühlsausdruck und in der dankbaren Behandlung der Singstimme nichts nachgeben, und wenn sie dadurch auch unverkennbar mehr von dem eigentlich Mozartschen Charakter erhalten haben – nur im Allegro der Sopranarie glaubt man noch die Graun-Hasseschen Anklänge durchzuhören –, so ist doch auch dieser nicht zu seiner vollen Entfaltung gelangt; und während diese Arien keineswegs zu den vorzüglichsten Concertarien gehören, sind sie doch für das Oratorium zu sehr Concertarien. Allein nach dem was über die Ausbildung des Oratoriums bemerkt worden ist (I S. 320ff.) wird man es[396] begreiflich finden, wenn diese Vermischung der Stilarten angemessen erschien und vielleicht sogar die brillanten Solosachen die ernsteren Chorsätze beim Publicum entschuldigen mußten111.
Hierüber kann das Urtheil gegenwärtig nicht zweifelhaft sein112. Wichtig aber ist es sich zu vergegenwärtigen, von welcher Bedeutung es für Mozarts Entwickelung war, daß er grade zu der Zeit, da er in Wien als Instrumental- und Operncomponist in einer Richtung thätig wurde, welche bei dem dort allgemein herrschenden Geschmack ihn dem ernsten und strengen Stil ganz zu entfremden drohte, durch van Swieten mit den Meistern vertraut wurde, welche allein ihn tief zu ergreifen und zu fesseln vermochten, und ihm so einen mächtigen Impuls gaben, sich mit verdoppeltem Interesse und aus einem inneren Bedürfniß den ernsten Studien hinzugeben, ohne welche auch das Genie die vollendete Meisterschaft nicht erringt, und welche im Verein mit seiner sich immer steigendern Productionskraft seinen Werken dieser Periode ihren unvergänglichen Stempel aufgedrückt haben113.
1 Er war 1734 in Leyden geboren und starb 1803 in Wien.
2 Grimm berichtet nach der ersten Aufführung in Fontainebleau (corr. litt. VI p. 263): C'est un pasticcio, Philidor et Monsigny y ont la principale part. Un amateur celèbre, M. le baron de Swieten, fils du premier médecin de l'impératrice-reine en a fait plusieurs airs. Nach der Aufführung in Paris sagt er (a.a.O. p. 314): On prétend que le baron van Swieten, Monsigny et Philidor ont fournit des morceaux; mais à l'exception de ce dernier, qu'ont reconnaît aisément à son faire et à la vigueur de son style, on peut attribuer le reste à qui l'on voudra, cela est également mauvais, suivant les gens qui écoutent.
3 Griesinger Biogr. Not. S. 66f. Eine ließ Mozart aufführen (S. 201).
4 Dort fand ihn im Jahr 1776 Müller auf seiner theatralischen Reise und rühmte die liberale Unterstützung, welche derselbe ihm zu Theil werden ließ (Abschied S. 116ff.).
5 Nicolai Reise IV S. 556.
6 Schneider Gesch. der Oper in Berlin S. 14ff.
7 Burney Reise III S. 67.
8 Carl Heinr. Graun, geb. 1701 in Wahrenbrück, erhielt seit 1713 seine Bildung in Dresden, wurde 1725 als Tenorist und Operncomponist in Braunschweig angestellt, von wo er 1735 in die Dienste Friedrichs trat, 1740 Kapellmeister wurde und 1759 starb.
9 N. Ztschr.f. Mus. IX S. 130.
10 Zelter, Fasch S. 22.
11 Reichardt Kunstmagaz. I S. 158.
12 Friedrich sagte einmal zu Fasch: »Graun hätte einen tüchtigen Mann neben sich haben müssen, der ihn gespornt hätte; allein wo soll alles Geld herkommen solche Leute zu bezahlen, die es werth sind? Hasse war einer! die andern kennt kein Mensch, und in Italien sind sie froh, wenn sie nur bravissimo! rufen können« (Zelter a.a.O. S. 49). Die Parallele, welche Reichardt (Briefe eines aufmerks. Reisenden I S. 15ff.) zwischen Hasse und Graun anstellt, spricht wohl die allgemeine Ansicht aus.
13 Joh. Friedr. Agricola, geb. 1720 in Altenburg, studirte seit 1738 in Leipzig und wurde dort ein Schüler Seb. Bachs. Seit 1741 lebte er als Musiker in Berlin, trat 1751 in die königliche Kapelle ein, wurde 1760 Kapellmeister und starb 1774.
14 Reichardt mus. Monatsschr. S. 69f. A. M. Z. XV S. 610ff., wo ausführliche und interessante Mittheilungen gegeben sind.
15 A. M. Z. XV S. 605f.
16 Reichardt mus. Zeitg. I S. 74.
17 Joh. Joach. Quanz geb. 1697, bildete sich seit 1718 in Dresden zum Flötisten aus, trat 1724 eine Kunstreise nach Italien, Frankreich und England an, und wurde nach seiner Rückkehr 1728 Lehrer des damaligen Kronprinzen Friedrich, den er jährlich zweimal besuchen mußte, bis er 1741 ganz in des Königs Dienste trat. Er starb 1773.
18 Burney Reise III S. 116.
19 Burney Reise III S. 111. Zelter, Fasch S. 47.
20 A. M. Z. III S. 172. Als er in den kritischen Briefen (oder vielmehr von Kirnberger s. S. 361) angegriffen wurde, beschwerte er sich beim König und meinte, wer sich so gegen den Lehrer des Königs vergehe, verdiene wohl auf einige Monat nach Spandau gebracht zu werden. Dieser aber erwiederte, diese Strafe würde zu gelinde sein, so lange der selbst kritische Autor eines voluminösen Werkes über die Kunst die Flöte zu spielen annoch schreiben und seinen Gegner niederschreiben könne (Reichardt mus. Wochenbl. S. 70f.).
21 Franz Benda, geb. 1709 in Benatky in Böhmen, Sohn eines Leinewebers, trat nach einem mehrjährigen Wanderleben 1732 in den Dienst des damaligen Kronprinzen Friedrich. Seine Brüder Johann, Joseph und Georg kamen 1742 in die Kapelle des Königs, später auch seine Söhne Friedrich und Carl. Franz Benda, seit 1772 Concertmeister, war in seinen letzten Jahren gelähmt (Burney Reise III S. 90ff.), und starb 1786.
22 Joh. Gottlieb Graun, geb. 1698, erhielt ebenfalls seine Bildung in Dresden, machte eine Reise nach Italien und wurde 1728 in den Dienst des Kronprinzen Friedrich gezogen; später wurde er Concertmeister und starb als solcher 1771.
23 Karl Philipp Emanuel Bach, geb. 1714 in Weimar, der zweite Sohn Joh. Sebastians, war von seinem Vater nicht zum Musiker bestimmt und hatte seine juristischen Studien absolvirt, als er 1738 von Friedrich als Cembalist berufen wurde. Im Jahr 1767 ging er nach Hamburg, wo er 1788 starb. Vgl. Rochlitz Für Freunde der Tonkunst IV S. 273ff.
24 Als Jemand, der den König hatte auf der Flöte blasen hören, gegen Bach, welcher accompagnirt hatte, enthusiastisch das Spiel desselben pries und endlich ausrief: »Und wie viel Takt!« antwortete Bach gelassen: »Ja, vielerlei Takt!«
25 Zelter, Fasch S. 14. 47.
26 Griesinger Biogr. Not. S. 15. Rochlitz Für Freunde der Tonkunst IV S. 274. Bach ließ ihm einst sagen, er sei der einzige, der seine Schriften ganz verstanden habe (Dies biogr. Nachr. S. 38).
27 Man vergleiche z.B. die Darstellung Burneys (Reise III S. 209ff.) mit den Urtheilen Reichardts aus verschiedenen Zeiten (Briefe e. aufmerks. Reisenden I S. 111ff. II S. 7ff. Kunstmagaz. I S. 24ff. Musik. Alman. 1796. A. M. Z. XVI S. 28ff.).
28 Wilh. Friedemann Bach, geb. in Weimar 1710, war eine Zeitlang Organist in Dresden und seit 1747 in Halle; er gab 1767 diese Stelle auf, führte ein wanderndes Leben meist in Noth und Dürftigkeit, und lebte zuletzt in Berlin, wo er 1784 starb.
29 »Von Seiten seines Talents ist er hier hoch verehrt worden« sagt Zelter (Briefw. m. Goethe S. 210). »Seine Orgelextemporationen, besonders in seinen guten Stunden, waren die Bewunderung von Männern wie Marpurg, Kirnberger, Benda, Agrikola, Bertuch, Ring, meistens vorzügliche Orgelspieler, die alle fühlten, wie weit sie von ihm zurückgelassen wurden. So spielte er was ihm eben zu Gedanken kam, und je länger er spielte, je prächtiger, sicherer, ergreifender wirkte es auf uns Jüngere. Auf Flügeln, Fortepianos und Clavieren habe ich ihn noch öfter ebenso bewundern müssen, wiewohl ich ihn niemals eine Note von seinem Vater spielen hören, was jeder wünschte.« Bon Ph. Emanuel pflegte er mit mitleidiger Miene zu sagen: »Mein Bruder, der Hamburger hat einige artige Sächelchen gemacht«; mit demselben Familienausdruck erklärte sich jener über den Londoner Bruder (Reichardt musik. Zeitg. II S. 159).
30 Forkel musik. Alman. 1784 S. 201ff. Reichardt musik. Alman. 1796. Zelter Briefw. V S. 209.
31 Man darf nur an Ph. Em. Bachs Gesangscompositionen erinnern, und wie in Grauns Tod Jesu beide Richtungen sich begegnen liegt klar vor.
32 In einem Bericht aus Berlin vom Jahr 1800 heißt es (A. M. Z. II S. 585): »Berlin ist vielleicht der einzige Ort in Deutschland, in welchem Sie noch immer neben den wärmsten Verehrern der modernen Musik die eifrigsten Verfechter des ältern Geschmacks finden. Joh. Seb. Bach und seine berühmten Söhne kämpfen noch immer mit Mozart, Haydn Clementi um den Vorrang. Friedrich der Große gab durch die Aufführung der in ihrer Art vortrefflichen Hasseschen und Graunschen Opern dem Geschmack eine so bestimmte Richtung, daß ihr Einfluß noch jetzt sehr sichtbar bleibt. Der Aufenthalt vieler älterer berühmter Tonkünstler in Berlin, als C. Ph. Em. Bachs, der beiden Graun, Kirnbergers, Faschs u.a.m. trug nicht wenig dazu bei den herrschenden Geschmack, trotz der damals in Wien und anderen Orten Deutschlands schon blühenden Genies, in seinem gewohnten Gleise zu erhalten.« Zelter schreibt (Briefw. m. Goethe V S. 208): »Ich bin seit 50 Jahren gewohnt den Bachschen Genius zu ehren. Friedemann ist hier gestorben, Em. Bach war hier königlicher Kammermusiker, Kirnberger, Agricola Schüler vom alten Bach, Ring, Bertuch, Schmalz u.a. ließen fast nichts anderes hören als des alten Bachs Stücke, ich selbst unterrichte seit 30 Jahren darin und habe Schüler, die alle Bachschen Sachen gut spielen.«
33 Auch das Buch des Advokaten Krause Von der musikalischen Poesie (1752), sowie Marpurgs Anleitung zur Singcomposition (1758) gehören hieher.
34 Joh. Phil. Kirnberger, geb. in Saalfeld 1721, begab sich 1739 nach Leipzig in Seb. Bachs Schule. Im Jahr 1741 ging er nach Polen und verbrachte dort als Cembalist auf den Gütern mehrerer Magnaten 10 Jahre in einem ziemlich wüsten Leben, für das er später auch durch Kränklichkeit büßen mußte. Nachdem er sich 1751 in Dresden im Violinspiel ausgebildet hatte, ging er nach Berlin, trat in die königliche Kapelle, dann in die des Prinzen Heinrich, und wurde nach einigen Jahren Kammermusikus der Prinzessin Amalie, einer eifrigen und gründlichen Liebhaberin der Musik. Als solcher starb er 1783.
35 Einen charakteristischen Zug von dieser Verehrung erzählt Zelter Briefw. V S. 163.
36 A. M. Z III S. 598ff. Zelter Briefw. III S. 17.
37 Dieses Zeugniß giebt ihm, außer seinem dankbaren Schüler Schulz, Eberhardt A. M. Z. II S. 872f. Vgl. Zelter, Fasch S. 59f.
38 Reichardt hat in den Briefen eines aufmerksamen Reisenden I S. 128ff. das Bild eines theoretischen Kritikers mit starken Farben entworfen, in welchem man Kirnberger erkennen wollte, der ihm deshalb als jungem Kapellmeister viel Noth gemacht habe, wie Spazier mittheilt (A. M. Z. II S. 597), und das dort erwähnte musikalische Pasquill Kirnbergers scheint auf Reichardt gemünzt gewesen zu sein. Aber dieser hat ihm später auf ehrenwerthe Art Gerechtigkeit widerfahren lassen (A. M. Z. III S. 169ff.)
39 So erzählt Reichardt (A. M. Z. III S. 172), was in den kritischen Briefen angedeutet ist (vgl. kr. Br. I S. 15. 23. 41. 175. 231).
40 Friedr. Wilh. Marpurg, geb. in Seehausen 1718, lebte nach einem wechselnden Aufenthalt seit 1749 in Berlin, wo er Kriegsrath und Director der Lotterie war und 1795 starb.
41 A. M. Z. II S. 569. 595.
42 Spazier, der zur Kenntniß von Marpurgs Persönlichkeit interessante Beiträge gegeben hat (A. M. Z. II S. 569ff. 593ff.), erzählt z.B., wie er trotz aller französischen Galanterie, die er zu beobachten pflegte, bei Tische »seinem anständigen Dienstmädchen, wenn sie etwas beim Serviren versah, mit einem: Kann der Schweinhund sich nicht in Acht nehmen! vor aller Gesellschaft entgegendonnerte« (S. 595).
43 Er schonte auch Ph. Em. Bach nicht. Dieser hatte eine Fuge drucken lassen; Agricola fragte ihn, wie Zelter erzählt (Briefw. VI S. 321), ob er Marpurgs scharfe Kritik derselben gelesen habe, worauf Bach erwiederte: »Nein! Hätte er mir seine Kritik vorher gesagt, so hätte man sich vielleicht danach richten können; gefallen ihm aber seine eigenen Fugen, so sehe ich nicht ein, wie ihm die meinigen gefallen sollen.«
44 Schulz berichtet selbst hierüber (A. M. Z. II S. 276ff.), womit Reichardts Erzählung (A. M. Z. III S. 597ff.) in Einzelnheiten nicht ganz übereinstimmt.
45 Er selbst war sowie seine Kinder musikalisch, spielte Violine und Bratsche, auch in dem zu erwähnenden Liebhaberconcert, und hinterließ eine schöne Sammlung von Musikalien und Schriften über Musik (Göcking Fr. Nicolais Leben S. 95 vgl. 29). Die Bemerkungen welche er in seiner Reise über Musik macht zeugen von Interesse und Einsicht.
46 Er traf mit denselben auch im Montagsclubb zusammen (Göcking a.a.O. S. 74 vgl. 85).
47 Agricolas Recensionen sind schon erwähnt (II S. 235), ebenso äußert sich auch Nicolai (Reise IV S. 527ff.).
48 Burney Reise III S. 58. 74.
49 Reichardt Briefe e. aufmerks. Reis. I S. 32f.: »Es ist ein wöchentliches Concert, welches Hr. Ernst Benda, ein Sohn des verdienstvollen Hrn. Jos. Benda, und Hr. Bachmann, ebenfalls ein königlicher Capellist, zum Vergnügen und zugleich zur Uebung der Musikliebhaber halten; und zu dessen beständiger Verbesserung sich Hr. Nicolai, als ein seiner und geschmackvoller Kenner der Musik sehr viel Mühe giebt.« Müller Abschied S. 117: »Nach unserer Rückkunft besuchten wir das sogenannte Liebhaberconcert bey Corsica. Nicolai dirigirte es. Hier machte ich Bekanntschaft mit Ramler.« Es bestand neben ähnlichen Instituten bis zum Anfang dieses Jahrhunderts (Cramer Mag. d. Mus. I S. 565f. A. M. Z. II S. 586).
50 Diese drei führt Nicolai 1781 als ihm wohlbekannte, oft gehörte Händelsche Oratorien an (Reise IV S. 534). Eine enthusiastische Charakteristik des Judas Maccabäus nach einer Aufführung im Liebhaberconcert 1774 gab Reichardt in den Briefen e. aufmerks. Reisenden I S. 82ff. Der deutsche Text war von Eschenburg, den des Alexanderfestes hat bekanntlich Ramler für die Aufführungen in Berlin bearbeitet. Der Messias wurde 1775 auch schon in Hamburg aufgeführt (Joh. Heinr. Voß Briefe I S. 295ff.).
51 Reichardt erzählt (A. M. Z. XV S. 666f.), daß Kaiser Joseph bei seiner Unterredung im Jahr 1783 ihm gradeheraus gesagt habe, in der Theorie sei alles gethan und wer seinen Fux im Kopf habe, wisse alles was er wissen könne und müsse. Als Reichardt ihn auf Kirnbergers Theorie und Kritik hingewiesen habe, durch welche die tiefe Kunst in den Meisterwerken von Bach, Händel, Fasch erst zu gründlichem Verständniß gebracht seien, habe es sich gezeigt, daß diese Namen und Dinge dem Kaiser ganz fremd geblieben seien; und als Reichardt erwähnte, daß Kirnberger auch für den praktischen und ästhetischen Theil der Musik fruchtbare Ideen angeregt habe, habe Joseph »mit echt cäsarischem Ausdruck« erwiedert: »Ei was! wers fühlt, schreibts – und's thuts!«
52 A. M. Z. III S. 601ff. Nach dem Sinne Friedrichs des Großen war das freilich nicht. Als man in Racines Athalia die Chöre singen lassen wollte, schlug der König das ab mit der eigenhändigen Bemerkung (10. Jan. 1774): La musique française ne vaut rien, il faut faire declamer le choeur alors cela revient au même (Preuß Friedrich der Große III S. 310).
53 L. Schneider Gesch. der Oper in Berlin S. 49ff.
54 Joh. Pet. Salomon, geb. in Bonn 1745, erwarb sich als Violinspieler Ruf und ging nachdem er vom Prinzen Heinrich entlassen war, nach London, wo er sich um die Concerte der philharmonischen Gesellschaft große Verdienste erwarb, und 1815 starb.
55 Rochlitz Für Freunde der Tonkunst III S. 191ff.
56 Joh. Abrah. Pet. Schulz, geb. 1747 in Lüneburg, begab sich 1762 nach Berlin in Kirnbergers Schule und trat 1768 eine Reise durch Deutschland, Italien und Frankreich an, von der er 1773 nach Berlin zurückkehrte. Im Jahr 1780 trat er in den Dienst des Prinzen Heinrich, und ging 1787 als Kapellmeister nach Kopenhagen; er starb 1800.
57 A. M. Z. III S. 176.
58 A. M. Z. III S. 605. Ein charakteristisches Document ist das Schreiben der Prinzessin Amalie (31. Jan. 1785), welcher Schulz seine Chöre zur Athalia (A. M. Z. III S. 614ff.) zugesandt hatte, das nach dem Original in der kön. Bibliothek kürzlich herausgegeben ist (Echo 1857 N. 10 S. 74f.) und so lautet: »Ich stelle Mir vor, Hr. Schulz! daß er sich versehen, und statt seiner Arbeit Mir das musikalische Notengekläckere seines Kindes geschickt hat, dieweil ich nicht die allergeringste wissenschaftliche Kunst darin bemerket, hingegen von Anfang bis Ende durchgängig fehlerhaft, sowohl in dem Ausdruck, Sinn und Verstand der Sprache, als auch in dem Ritmus. Dermodus contrarius ganz hintenangesetzt, keine Harmonie, kein Gesang, die Terze ganz ausgelassen, kein Ton festgesetzt, man muß rathen, aus welchem es gehen soll, keine kanonische Nachahmungen, nicht den allergeringsten Contrapunkt, lauter Quinten und Oktaven, und das soll Musik heißen. Gott wolle diejenigen, welche eine solche heftige Einbildungskraft von sich selbst besitzen die Augen öffnen, den Verstand erläutern und erkennen lehren, daß sie nur Stümper und Fuscher sind. Ich habe sagen hören, daß das Werk den Meister rühmen müßte, aber anitzt ist alles verkehrt und verworren, die Meister sind die einzigen, die sich loben, wenn auch ihre Werke stinken. Dem Schreiben der Prinzessin Amalie war schon eins vom 16. Jan. 1785 vorangegangen (Echo 1857 N. 14): »Ich verbitte sehr Meinen Namen unter ein Werk zu setzen, worauf Ich nie unterschreiben werde, weil ich die jetzige für keine Musik halte. Amelie.«
59 A. M. Z. II S. 575f.
60 Nicolai Reise IV S. 526. 534.
61 Joh. Fr. Reichardt, geb. in Königsberg 1752, genoß eine musikalische und litterarische Jugenderziehung, die er ausführlich geschildert hat (musikal. Zeitung I S. 215ff.), studirte 1771 und 1772 in Leipzig und reiste dann mehrere Jahre. Nach Agricolas Tode wurde er 1775 Kapellmeister in Berlin, ging 1783 auf kurze Zeit nach Italien, 1785 nach London und Paris, von wo er durch den Tod Friedrichs des Großen nach Berlin zurückberufen wurde. Die weiteren Schicksale seines vielbewegten Lebens gehören nicht hieher; er starb 1814.
62 Er hat über seine Stellung zu Friedrich interessante Mittheilungen gegeben A. M. Z. XV S. 601ff. 633ff.
63 Cramer Mag. d. Mus. I S. 565ff.
64 In jener Zeit gab er das musikalische Magazin heraus (1–4. 1782) und war Mitarbeiter an Nicolais allgemeiner deutscher Bibliothek.
65 Der Einfluß, welchen der Kronprinz, nachherige König Friedrich Wilhelm II, auf den Berliner musikalischen Geschmack äußerte, gehört wesentlich einer späteren Zeit an, als die hier in Betracht kommt.
66 »Die Regeln, nach welchen Werke des Geschmacks zu beurtheilen sind« sagt Griesinger (biogr. Not. S. 69f.), »waren ihm nicht fremd; aber bei seinen eigenen Productionen verfiel er in alle Mangel und Fehler, die er an andern streng getadelt haben würde. Das Beste an seinen Gedichten war nicht das was er aussprach, sondern was er sich dabei dachte.«
67 »Ich bin überhaupt was Musik betrifft« schreibt van Swieten (Dec. 1798) »in jene Zeiten zurückgetreten, wo man es noch für nöthig hielt die Kunst ehe man sie ausübte ordentlich und gründlich zu lernen. Da finde ich Nahrung für Geist und Herz, und da hole ich Stärkung, wenn irgend ein frischer Beweis von dem Verfall der Kunst mich niedergeschlagen hat. Meine Tröster sind vor allen Händel und die Bache, und mit ihnen auch die wenigen Meister unserer Tage, welche die Bahn jener Muster des Wahren und Großen mit festem Fuß wandeln und das Ziel entweder zu erreichen versprechen oder es schon erreicht haben. Dahin wäre ohne Zweifel der uns zu früh entrissene Mozart gelanget; Joseph Haydn aber stehet wirklich am Ziel« (A. M. Z. I S. 252f.).
68 Nicolai Reise III S. 358. 363.
69 G. Forster sämmtl. Schr. VII S. 273. Man wollte wissen daß das vielbesprochene Project der Wiener Akademie nicht zu Stande gekommen sei, weil van Swieten sich nicht getrauet habe die Männer zu nennen welche berufen werden müßten und deshalb gesagt habe, es sei noch nicht Zeit an eine Akademie zu denken, da man noch keine Schulen habe.
70 So erzählt mir Neukomm. G. Forster fiel die steife Haltung und vornehme Haltung van Swietens auf (sämmtl. Schr. VII S. 270).
71 Dies biogr. Nachr. S. 158f.
72 Charakteristisch ist ein von Dies (biogr. Nachr. S. 210) mitgetheilter Zug. Haydn hatte für van Swieten auf dessen Bitte die Partitur eines seiner Oratorien abschreiben lassen, wofür der Preis 62 fl. betrug. Statt dessen gab van Swieten dem Kopisten, angeblich aus Zerstreutheit, nur 6 fl. Der arme Mensch wagte nicht zu remonstriren; Haydn ersetzte ihm als er es erfuhr den Verlust ohne van Swieten etwas zu sagen: er kannte seinen Mann. Dabei leugnete er nicht, daß van Swieten ihn früher mitunter mit ein Paar Ducaten unterstützt und ihm einen bequemen Wagen zur Reise nach England geschenkt habe (Griesinger biogr. Not. S. 66).
73 Niemtschek S. 31: »Dieser vortreffliche, über alles Lob erhabene Mann blieb stets ein wahrer Freund Mozarts und ist nun Vater seiner hinterlassenen Waisen.« In der musikalischen Correspondenz (1792 S. 4) heißt es: »Siebenfaches Heil dem großen Menschenfreund, dem edlen van Swieten, der gleich nach dem Tode seines Freundes Mozart sich erklärte, aus Achtung gegen seine Verdienste sich desselben hinterlassener beider Kinder, die aus Mangel des väterlichen Vermögens höchst kümmerlich und elend unterbracht und erzogen werden können, anzunehmen, Vatersstelle bei ihnen zu vertreten und für das künftige Glück derselben zu sorgen.« Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß von allem dem nichts geschehen ist.
74 Dies biogr. Nachr. S. 180f.
75 Sie sind bereits I S. 433f. angeführt worden. »Die Fuge In te domine speravi hat allen Beyfall erhalten«, meldet Mozart (12. März 1783) »wie auch das Ave Maria und Tenebrae. Ich bitte Sie, erfreuen Sie unsere sonntägliche musikalische Uebung bald mit etwas. – Das Lauda Sion möchte gar zu gern hören lassen.«
76 Vgl. S. 10f. Er musicirte mit dem berühmten Lautenisten Kohaut oft bei van Swieten (Griesinger biogr. Not. S. 66).
77 Ich kann nicht sagen, ob Anton Teyber (geb. 1754), welchen Mozart im Jahr 1789 in Dresden antraf (Beil. XIX, 3), oder Franz Teyber (geb. 1756) gemeint ist. Beide waren geborne Wiener, wahrscheinlich Brüder der beiden Sängerinnen dieses Namens (I S. 87. III S. 38), und starben in Wien, Anton als k. Kammercompositor 1822, Franz als Kapellmeister und Hoforganist 1810.
78 Damit stimmt Nicolais Urtheil überein, der im Jahr 1781 weder die Ausführung der Kirchenmusik in Wien vorzüglich fand, noch die Musik selbst. »In Absicht auf Composition« sagt er (Reise IV S. 544f.) »hatte die katholische Kirchenmusik bis vor einigen Jahren noch immer viel von einem eigenthümlichen Charakter. Aber nunmehr drängt sich allenthalben die Opernmusik auch in die Kirche, und was noch schlimmer ist die fade neumodische italiänische Opernmusik. Dies fand ich auch in Wien nur allzusehr. Ich wußte wirklich bei manchem Credo oder Benedictus zuweilen nicht, ob ich auch etwa Musik aus einer italiänischen Opera buffa hörte. Das beste war immer noch, wenn die Musik in dem Tone des Angenehmen und Lieblichen blieb, so daß sie nicht zu sehr heruntersank; das war denn wenigstens erträglich. Selten hörte ich etwas Herzrührendes oder Erhabenes; was prächtig sein sollte, war meist nur rauschend.«
79 In Mainz bei Zulehner sind Neuf Toccates et Fugues pour le Pfte ou l'Orgue par G.E. Eberlin erschienen, welche das Urtheil Mozarts vollständig rechtfertigen.
80 Man könnte vermuthen, daß diese Fuge die in jenem Brief erwähnte sei, um so mehr als sie aus derselben Tonart geht und ebenso mit Andante maestoso überschrieben ist, aber ich habe sonst keinen bestimmten Grund dafür. Dann müßte man annehmen, daß Mozart ein anderes Präludium zu der Fuge später componirt habe, oder daß dieses erst bei der Herausgabe dazu gesetzt sei. – Von einer anderen Klavierfuge findet sich unter den Skizzen im Salzburger Mozarteum nur das Thema mit dem ersten Eintritt
niedergeschrieben. Etwas weiter ausgeführt ist eine dritte Fuge, deren sehr eigenthümliches Thema eine interessante Ausführung verspricht
und umsomehr bedauern läßt daß sie in den ersten Anfängen stehen geblieben ist. Aber auch diese Entwürfe zeugen für das Interesse, mit welchem Mozart diese Studien ergriff.
81 Von einer zweiten vierstimmigen Fuge für zwei Klaviere in G-dur, die einen ganz verschiedenen Charakter verräth,
ist der Anfang unter den Skizzen im Salzburger Mozarteum enthalten, der nach der ersten Durchführung abbricht.
82 Dies Datum trägt das Autograph, welches aus Andrés Besitz an Spohr übergegangen ist. Die Fuge ist in ihrer ursprünglichen Gestalt gedruckt (Oeuvres VIII, 6 S. 62).
83 Im thematischen Verzeichniß ist notirt »ein kurzes Adagio à 2 Violini Viola e Basso zu einer Fuge, welche ich schon lange für 2 Claviere geschrieben habe.« In dieser Gestalt ist beides in Partitur gedruckt bei Heckel in Mannheim (Mozart Quart. S. 499ff.).
84 André Verz. 188. Es sind die Fugen aus dem ersten Theil der Breitkopf u. Härtelschen Ausgabe N. 2 in C-moll; N. 7 in Es-dur; N. 9 in E-dur; N. 8 ausDis-dur nach D-dur transponirt; N. 5 in D-dur. Mit Absicht offenbar sind einige für diese Vortragsweise geeignete Fugen ausgewählt worden.
85 Die eine vierstimmige (André Verz. 189)
ist von Mozart vollendet. André bemerkt über dieselbe (handschr. Verz. V): »Der eigentliche Anfang des ersten Wiederschlages tritt erst beim Alt ein, und der Baß trägt das Thema nur als Einleitung vor, sofern man diese Composition wirklich als Fuge betrachten will.« Von der zweiten dreistimmigen Fuge (André handschr. Verz. a)
hat Mozart nur 37 Takte niedergeschrieben; später ist sie vom Abbé Stadler ergänzt.
86 Nach André (handschr. Verz. b) sind nur die letzten acht Takte von Stadler hinzugefügt. Diese Fuge ist, zur bequemeren Ausführung vierhändig, gedruckt (Oeuvres VIII, 5 S. 58).
87 Vgl. I S. 558f. Becker Hausmusik S. 29ff.
88 Diese Angaben verdanke ich Andrés handschriftlichem Verzeichniß (J). Die drei von Mozart vollendeten Sätze sind veröffentlicht (Oeuvres VI, 14), aber ohne Angabe daß sie zusammengehören und was sie bedeuten. Der Ouverture ist der überflüssige Zusatz,dans le style de G.F. Haendel gegeben, die beiden anderen Sätze sind als Andante und Allegretto statt des charakteristischen Allemande und Courante bezeichnet. Der Anfang der Sarabande lautet
89 Eine Freiheit, welche Mozart sich genommen hat, ist der Wechsel der Tonarten, während früher alle Sätze einer Suite in derselben Tonart waren.
90 Sie ist gedruckt Oeuvres VI, 6.
91 Eigentlich technische Studien in verschiedenen Formen der strengen Schreibart hat Mozart um sich fest in der Uebung zu erhalten natürlich in früheren und späteren Zeiten auch gemacht; in diese Kategorie gehört der zweistimmige Canon in der Umkehrung (Oeuvr. XVI, 16.) Andere Proben solcher Uebungen sind von Rochlitz mitgetheilt (A. M. Z. XXII, Beil. I, S. 299), unter welche auch die Aufgabe der philharmonischen Gesellschaft in Bologna (I S. 659ff.) gerathen ist, über die Rochlitz damals nicht unterrichtet war.
92 Rochlitz berichtet (A. M. Z. I S. 115f.): »Mozarts Liebe zu Händel ging so weit, daß er Vieles – was er aber nicht bekannt werden ließ – in dessen Manier schrieb. Es befinden sich unter seinen nachgelassenen Papieren gewiß noch dergleichen Arbeiten.« Wahrscheinlich werden die Ouverture »dans le style de Haendel« und die übrigen oben genannten Compositionen Mozarts gemeint sein. Wenn Rochlitz aber fortfährt: »er hatte sogar die Grille eine Aria in seinem Don Giovanni in Händels Manier zu setzen und seiner Partitur dies offenherzig beizuschreiben«, so ist die letzte Angabe falsch: Mozart hat in seiner Partitur nichts der Art beigeschrieben.
93 In Reichardts musik. Zeitg. I S. 200 wird bemerkt, daß Joh. Seb. Bach seine Zeit überflügelt und lange Zeit nach seinem Tode vielleicht erst in Mozart den verwandten Geist gefunden habe, der seine tiefe Kunst aus Einsicht und Gefühl ganz zu bewundern und zu ehren, ihren Geist selbst in seine eigenen Schöpfungen aufzunehmen und in die Kunstwelt von Neuem einzuführen gewußt habe. Auch Zelter äußert sich dahin daß Mozart viel naher an Seb. Bach stehe als dessen Sohn Philipp Emanuel und Joseph Haydn (Briefw. IV S. 188f.); er erinnert sich daß die Musik von Seb. und Eman. Bach ihm anfangs unverständlich vorkam, daß Haydn dann als einer der den bittern Ernst jener gewissermaßen travestirt habe getadelt worden sei, bis Mozart erschienen sei, durch den man alle drei habe erklären können (Briefw. II S. 103).
94 Rochlitz behauptet freilich sogar (A. M. Z. II S. 642f.), Mozart sei in dem Bestreben Bachs düstere, doch sehr besonnene Weise mit seiner jugendlich feurigen Natur zu vereinigen rauh, abenteuerlich, bizarr und verworren geworden, wovon er in Concerten und Messen, die noch in Salzburg oder bald darauf geschrieben wären, noch Spuren findet. Man sieht aber, daß er einen zu frühen Einfluß Bachs annimmt.
95 Bekannt ist Mozarts große Phantasie in C-moll (comp. 20. Mai 1785), welche von ihm selbst als Einleitung mit der früher (14. Oct. 1784) componirten Sonate in C-moll (Oeuvr. VI, 1. 2) veröffentlicht worden ist. Zwei kleinere Phantasien in C-moll undD-moll (Oeuvr. XVII S. 20. 26) sind ohne Zweifel für einen ähnlichen Gebrauch componirt. Alle drei aber haben einen mehr selbständigen, in sich abgeschlossenen Charakter als die der Fuge vorgesetzte, welche auch dadurch sich als ein unmittelbar einleitender Satz ankündigt, daß sie in der Dominante schließt.
96 Der erste Satz für das Klavier allein in Beethovens Phantasie mit Chor ist ebenfalls ein solches ausgeführtes Präludium (die eigentliche Phantasie), das man mit Interesse mit dem Mozartschen und ähnlichen früherer Zeit vergleichen wird.
97 Beides gilt nicht in der Art von der G-moll-Fuge, welche zwar kunstvoll gearbeitet ist, aber weder auf die Natur des Instruments in gleicher Weise berechnet noch im Ausdruck der Stimmung jener Fuge vergleichbar, sondern vielmehr eine rein formelle, so zu sagen abstracte Fuge ist. Vielleicht hat Mozart auch deshalb den Schluß nicht ausgeführt, weil die Arbeit ihn nur als eine Studie interessirte.
98 Ganz anders verhält es sich mit der Einleitung, welche ursprünglich für Saiteninstrumente geschrieben auch auf die eigenthümlichen Klangwirkungen derselben durchaus berechnet ist. Die harmonische Behandlung, namentlich durch die enharmonischen Verwechslungen, ist von außerordentlicher Schönheit und Tiefe, und bringt eine merkwürdige Spannung und Steigerung durch stets sich überbietende Ueberraschungen hervor. Bewundernswürdig ist es, wie bestimmt ihr Charakter als Einleitung zu der folgenden Fuge heraustritt, deren trotziges Wesen einerseits angedeutet wird, während im Gegensatz dazu ein ahnungsvolles Suchen und Sehnen auf eine Weise die Seele in Spannung setzt, daß der Eintritt der kategorischen Fuge eine wahre Beruhigung und zugleich den kräftigsten Aufschwung giebt. – Eine Fuge für vier Saiteninstrumente in D-moll, von welcher die erste Durchführung in den Skizzen des Salzburger Mozarteums sich aufgezeichnet findet
scheint ganz auf den Charakter dieser Instrumente berechnet zu sein; ob sie einen Satz in einem Quartett bilden sollte, oder auf ein selbständiges Musikstück angelegt war ist mir nicht bekannt.
99 Es ist componirt im December 1790, gedrucktOeuvr. VII, 1. Das Autograph, welches einst Beethoven gehörte, besitzt Hr. Generalconsul Clauß in Leipzig.
100 Componirt 3. März 1791, gedruckt Oeuvr. VIII, 2.
101 Ungemein ausdrucksvoll durch ihre harmonische Bewegung ist noch die lebhafte Figur im viert- und drittletzten Takt.
102 Das am 4. Mai 1791 »für eine Walze in eine kleine Orgel« componirte Andante ist ein kleines anmuthiges Musikstück ohne Ansprüche auf tiefere Bedeutung sowohl der Ausführung als dem Ausdruck nach. Es ist als Rondo für Klavier (Oeuvr. VI, 3) gedruckt.
103 Daß Beethoven in späteren Jahren mit bewußter Einsicht dies Ziel der Durchdringung und Beseelung der contrapunktischen Darstellungsform durch die individuelle Schöpferkraft des Künstlers als das höchste und wahre Ziel der künstlerischen Leistung verfolgte ist bekannt; auch Schumann – in dessen künstlerischer Thätigkeit das subjective Element so entschieden vorherrscht – suchte auf demselben Wege künstlerische Vollendung zu erreichen. Es ist Mendelssohns großes Verdienst mit klarem Urtheil und edlem Sinn diese Aufgabe erfaßt und durch seine Leistungen seiner Zeit das Ziel vor Augen gestellt zu haben, das stets und ganz zu erreichen auch seine Kraft nicht ausreichte.
104 Nicolai, der über diese Reformation berichtet (Reise IV S. 550ff.), hat auch Proben mitgetheilt (Beil. X, 1. 2).
105 Vgl. den Bericht aus Wien in Forkels musik. Alman. 1784 S. 187ff.
106 Von der Messe ist das Kyrie, Gloria, Sanctus und Benedictus ganz von Mozart vollendet und André fand eine Abschrift dieser Sätze in einem Kloster in Bayern. Vom Credo ist der erste Satz in den Chore stimmen nebst dem Baß ganz vollendet, die Begleitung in den wesentlichsten Punkten angedeutet; in gleicher Weise ist vom Incarnatus die Singstimme mit den obligaten Blasinstrumenten und dem Baß vollständig ausgeschrieben, die übrige Begleitung nur angedeutet. Das Ganze ist aus Mozarts Handschrift unter dem Titel Missa in C-moll von Mozart here ausgegeben von André in Offenbach.
107 Das Orchester ist daher freilich keineswegs mit dem Glanz und der Mannigfaltigkeit des Colorits ausgestattet, wie dies in andern gleichzeitigen Werken Mozarts der Fall ist, im Ganzen herrscht eine gleichmäßige Tonfarbe; doch fehlt es nicht an eigenthümlichen Instrumentaleffecten, namentlich durch die Blasinstrumente, wie denn die Posaunen, welche meistens die Singstimmen unterstützen, doch an manchen Stellen z.B. im Kyrie und Sanctus sehr wirksam selbständig verwandt sind. Hauptsächlich aber ist die Wirkung der Begleitung in die Selbständigkeit gesetzt, mit welcher sie, theils durch effectvolle Figuren, theils durch contrapunktische Bearbeitung den Singstimmen gegenüber tritt.
108 Ich möchte glauben daß der Einfluß der Berliner Geschmacksrichtung auf van Swieten wiederum hierauf eingewirkt habe.
109 Bemerkenswerth ist das vierstimmige, lang ausgeführte Benedictus wegen seiner ernsten, fast etwas trocknen Haltung, durch die es sich von dem weichen und lieblichen Charakter, welcher diesem Satz gegeben zu werden pflegt, wesentlich unterscheidet. – Der erste fünfstimmige Chorsatz des Credo stimmt seiner Anlage nach mit der Weise der früheren Mese sen am meisten überein. Ein lebhaftes Motiv, welches zwischen die Saiten- und Blasinstrumente vertheilt ist, bildet in seiner Durchführung den Faden, an welchen die Chorsätze sich anreihen; diese sind aber ohne eigentliche thematische Verarbeitung doch contrapunktischer behandelt und das Ganze hat einen mehr feierlichen Charakter als es früher gewöhnlich der Fall ist.
110 Das Concert fand am 13. März 1785 Statt, in der zweiten Abtheilung wurde Dittersdorfs Esther – componirt im Jahr 1773 (Dittersdorf Selbstbiogr. S. 203ff.) – von Neuem aufgeführt; dazwischen spielte Mozart ein Concert. Die beiden neuen Arien wurden von ihm am 6. und 11. März componirt. Die Stücke der Messe sind in folgender Weise angewendet
Davidde 1 Chor Alzai le flebili voci – Kyrie.
2 Chor Cantiam le lodi – Gloria.
2 Sopranarie Lungi le
cure ingrate – Laudamus
(mit der
Bemerkung:
»Dies singt
die zweite
Sängerin«).
3 Chor Sii pur sempre – Gratias.
5 Duett Sorgi o Signore – Domine Deus.
6 Tenorarie A te fra tanti
affanni
7 Chor Se vuoi puniscimi– Qui tollis.
8 Sopranarie Era le oscure
ombre
9 Terzett Tutte le mie
speranze– Quoniam
tu solus.
10 Chor Chi in Dio sol – Jesu Christe,
cum sancto
spiritu
amen.
Von der Partitur ist nur der erste Theil erschienen (Leipzig, Kühnel), der vollständige Klavierauszug Leipzig bei Breitkopf u. Härtel.
111 Die Entstehungsgeschichte des Oratoriums ist von Rochlitz ganz richtig mitgetheilt (A. M. Z. III S. 238f. vgl. XXVII S. 447).
112 Reichardt urtheilt im Ganzen treffend über die von Hiller zu einer Cantate zusammengestellten letzten Nummern (8. 9. 10) des Oratoriums (musik. Zeitg. I S. 368f. vgl. 382 f) Auch eine andere daraus entlehnte Cantate wird erwähnt A. M Z. IX S. 479.
113 Was Gerber (im alten Tonkünstlerlexicon I S. 976) äußerte – und nach ihm andere: »Ein Gluck für ihn daß er noch jung unter den gefälligen und tändelnden Wienschen Musen seine Vollendung erhalten hat; es könnte ihn sonst leicht das Schicksal des großen Friedemann Bach treffen, dessen Fluge nur wenige Augen der übrigen Sterblichen noch nachsetzen konnten« ist nur halbwahr, denn die tiefsten Studien hat Mozart nicht in Salzburg, sondern in Wien gemacht.
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