Nachdem wir Mozart in seiner Wirksamkeit als Instrumentalcomponist gewürdigt haben, können wir ihn wieder auf dem Gebiet aufsuchen, welchem er von jeher mit der größten Vorliebe seine Thätigkeit zugewendet hatte, dem dramatischen1. Der beispiellose Erfolg der Entführung, welche der Theaterkasse ungewöhnliche Einnahmen, dem Componisten ungetheilten Beifall gebracht hatte, berechtigte ihn zu der Erwartung daß der Kaiser, welcher die deutsche Oper ins Leben gerufen hatte, ihm durch weitere Aufträge eine ehrenvolle Laufbahn eröffnen werde. Er war aber entschlossen nicht wieder unter so ungünstigen Bedingungen eine Oper zu schreiben und dachte wie wir sahen (III S. 76) sogar daran eine Oper zu componiren, sie selbst einigemal aufführen zu lassen und dann der Theaterdirection [144] zu überlassen – ein unpraktischer Einfall, den ihm sein Vater, wenn es nöthig war, gewiß ausgeredet hat. Es wurde ihm auch noch einmal der Antrag zu einer Oper gemacht, aber das Buch welches man ihm anbot – »Welches ist die beste Nation?« – war so elend daß er seine Musik nicht daran verschwenden mochte. Nun componirte sie Umlauf, aber sie wurde vom Publicum ausgezischt, und Mozart schreibt seinem Vater (21 Dec. 1782) er wisse nicht, »ob der Poet oder der Componist den Preis des Elends davon tragen wird.«
Allein die deussche Oper ging, als sie den schönsten Aufschwung zu nehmen schien, bereits ihrer Auflösung entgegen. Stephanie d. j.2 hatte es durch Intriguen dahin gebracht daß die Leitung der Oper Müller entzogen und einem Ausschuß übergeben wurde, in welchem er Streit und Parteiungen so geschickt zu unterhalten wußte, daß man zuletzt zufrieden war, als er allein die Leitung übernahm. Die unausgesetzten Verdrießlichkeiten, welche davon die Folge waren, die Zerwürfnisse der Operisten mit den Schauspielern, verstimmten ebensowohl Kienmayer und Rosenberg,[145] welche die Direction führten, als den Kaiser selbst gegen die Oper. Dam kam daß die wiederholten Versuche, welche man mit neuen Opern mittelmäßiger Componinsten machte – über die auch Mozart so entrüstet war, daß er Luft hatte eine kleine musikalische Kritik mit Exempeln zu schreiben (III S. 299) – den Kaiser nicht befriedigen konnten und sein Interesse für die ganze Unternehmung schwächen mußten. Nimmt man hinzu, daß die nächste Umgebung welche musikalisch auf ihn Einfluß übte, Salieri an der Spitze, der deutschen Oper im Allgemeinen nicht geneigt war, und noch viel weniger Trieb fühlte sie durch Mozart und dadurch diesen auf die Höbe zu bringen, so muß man es begreiflich finden, daß Joseph ungeduldig und unzufrieden die deutsche Oper aufgab und der eigentlichen Richtung seines Geschmacks folgend daran dachte, wieder die italiänische Oper einzuführen.
Ein Zufall brachte diesen Entschluß zur Ausführung. Im Kärnthnerthortheater spielte eine französische Gesellschaft, welche im Schauspiel wie in der Oper nicht Unbedeutendes leistete und vom Kaiser begünstigt wurde3. Im Sommer 1782 ließ er sie nach Schönbrunn kommen um dort zu spielen; die Mitglieder erhielten im Schloß ihre Wohnung und Verpflegung. Mit dieser waren sie nicht zufrieden, und einer der Schauspieler hatte die Dreistigkeit dem Kaiser, als er in den Gartensaal kam in welchem sie speisten, ein Glas Wein mit der Bitte zu präsentiren, er möge doch prüfen ob dieser angebliche Burgunder wohl gut genug für sie sei. Joseph trank und erwiederte, für noch finde er ihn gut genug, er zweifle aber nicht, daß sie in Frankreich besseren Wein finden würden4. Mit der Entlassung dieser Gesellschaft erhielt Graf [146] Rosenberg den Auftrag in Italien die besten Sänger und Sängerinnen für eine opera buffa zu engagiren, denn auf diese wollte man sich beschränken; auch die deutsche Oper sollte mit dem Ende des Carnevals 1783 aufgelöst werden, man behielt sich indessen vor, die besten Mitglieder derselben mit der dann eintretenden italiänischen zu vereinigen5.
Unter solchen Umständen war für die Aufführungen der deutschen Oper von keiner Seite mehr große Aufmerksamkeit zu erwarten; außer Wiederholungen früherer Stücke kamen im Jahre 1783 noch drei neue Opern auf die Bühne, welche alle keinen Erfolg hatten6. Mozart schrieb seinem Vater (5 Febr. 1783): »Gestern ist meine Oper zum 17 mal mit gewöhnlichem Beyfall und vollem Theater wieder aufgeführt worden. – Künftigen Freytag wird eine neue Oper gegeben, die Musique ein Galimathias von einem jungen Schüler Wagenseils, welcher heißt Gallus cantans in arbore sedens gigirigi faciens7. Sie wird vermuthlich nicht viel gefallen, aber doch besser als ihre Vorfahrin, eine alte Opera von Gaßmann La notte critica, die unruhige Nacht, die mit Mühe drei Vorstellungen erhalten. Vorher war die [147] execrable Oper von Umlauf, die sich nicht auf die dritte Vorstellung hinaufarbeiten konnte. – Es ist als wenn sie, da die teutsche Oper ohnedies nach Ostern stirbt, sie noch vor der Zeit umbringen wollten; und das thun selbst Teutsche – pfui Teufel! – Ich glaube nicht daß sich die welsche Oper lange souteniren wird, und ich – ich halte es auch mit den Teutschen – wenn es mir schon mehr Mühe kostet, so ist es mir doch lieber. Jede Nation hat ihre Oper, warum sollen wir Teutiche sie nicht haben? Ist die teutsche Sprache nicht so gut singbar, wie die französische und englische? nicht singbarer als die russische? Nun, ich schreibe izt eine teutsche Oper für mich. Ich hab die Comödie vom Goldoni Il servitore di due padroni dazu gewählt, und der erste Act ist schon ganz übersetzt – der Uebersetzer ist Baron Binder! Es ist aber alles ein Geheimniß bis alles fertig ist. Nun, was halten Sie davon? glauben Sie nicht daß ich meine Sache gut dabey werde machen können?« Daran wird der Vater schwerlich gezweifelt haben, wahrscheinlich aber gar sehr, ob eine solche Unternehmung unter diesen Umständen rathsam sei, wo für die Aufführung die allerungünstigsten Aussichten waren. An praktischen Erwägungen der Art scheint denn auch die Verwirklichung dieses Plans gescheitert zu sein8.
Die Composition einer deutschen Oper, welche ihm etwas später angetragen wurde kam ebenfalls nicht zu Stande. Von Mannheim aus, wo man durch die Entführung wieder auf Mozart aufmerksam geworden war (III S. 75) schickte ihm Klein (III S. 81) einen von ihm geschriebenen neuen [148] Operntext – ohne Zweifel Rudolf von Habsburg9 – mit der Aufforderung denselben in Musik zu setzen. Nach einigem Zögern antwortete ihm Mozart (21 März 1785)10: »Hochschätzbarster Herr geheimer Rath! Ich habe sehr gefehlt, ich muß es bekennen, daß ich Ihnen nicht gleich den richtigen Empfang Ihres Briefes und mitgetheilten Pacquets gemeldet habe; – daß ich in der Zwischenzeit 2 Briefe von Ihnen noch sollte erhalten haben – ist nicht deme also; ich würde auf den ersten sogleich aus dem Schlaf geweckt worden seyn, und Ihnen geantwortet haben, wie es izt thue. – Ich bekamm Ihre 2 Briefe letzten Posttage mit einander – ich habe schon selbst bekennt, daß ich hierein gefehlt habe, daß ich Ihnen nicht gleich geantwortet habe. – Was aber die Oper anbelanget, würde ich Ihnen damals eben so wenig darüber haben schreiben können, als izt. – Lieber Hr. gehr. Rath! – ich habe die Hände so voll zu thun, daß ich fast keine Minute finde, die ich für mich anwenden könnte. Als ein Mann von so grosser Einsicht und Erfahrung wissen Sie selbst besser als ich, daß man so was mit aller möglichen Aufmerksamkeit und Ueberlegung – nicht einmal – sondern vielmal überlesen muß. – Bisher hatte noch nicht Zeit es einmal ohne Unterbrechung zu lesen. – Alles was ich dermalen sagen kann, ist, daß – ich es noch nicht aus Händen [149] geben möchte; – ich bitte Sie also mir dies Stück noch auf einige Zeit anzuvertrauen. – Im Falle es mir Luft machen sollte es in Musik zu setzen, so wünschte doch vorher zu wissen, ob es eigentlich an einem Orte zur Aufführung bestimmt seye? – denn so ein Werk verdiente so wohl von Seiten der Poesie als Musik nicht umsonst gemacht zu seyn. – Ich hoffe mir über diesen Punkt eine Erläuterung von Ihnen.«
Welche Gründe schließlich die Composition dieser Oper verhinderten ist unbekannt. Sehr charakteristisch aber sind die Aeußerungen Mozarts über den damaligen Zustand der deutschen Oper in Wien. Im Jahr 1784 war dieselbe ganz verstummt; nur gab Mad. Lange am 25 Jan. zu ihrem Benefiz die Entführung, welche Mozart nach der Anzeige (Wiener Ztg. 1784 N. 7) selbst dirigirte, und Adamberger am 15 Febr. Glucks Pilgrimme von Mecca zu seinem Vortheil; außerdem wurden Bendas Melodramen Ariadne und Medea, Hauptrollen der Jacquet, einigemal aufgeführt. Im folgenden Jahr aber machte sich doch das Verlangen nach einer deutschen Oper wiederum geltend; es wurde beschlossen, da das Kärnthnerthortheater nun auch von dem Hof mitübernommen war, dasselbe neu herzustellen und der deutschen Oper neben der italiänischen einzuräumen, während das Nationaltheater (Burgtheater) für das Schauspiel verblieb. Mit Beziehung hierauf schreibt nun Mozart an Klein: »Nachrichten, die zukünftige teutsche Singbühne betreffend kann ich Ihnen noch dermalen keine geben, da es dermalen noch (das Bauen in dem dazu bestimmten Kärntnerthor-Theater ausgenommen) sehr stille hergehet. – Sie soll mit anfangs October eröfnet werden. Ich meinestheils, verspreche ihr nicht viel Glück. – Nach den bereits gemachten Anstalten sucht man in der That mehr die bereits vielleicht [150] nur auf einige Zeit gefallene teutsche Oper gänzlich zu stürzen, als ihr wieder empor zu helfen und sie zu erhalten. Meine Schwägerin Lange nur allein darf zum teutschen Singspiele. – Die Cavallieri, Adamberger, Teuber, lauter Teutsche, worauf Teutschland stolz seyn darf, müssen beym welschen Theater bleiben – müssen gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen! – – – Die teutschen Sänger und Sängerinnen dermalen und leicht zu zählen! – und sollte es auch wirklich so gute als die benannten, ja, auch noch bessere geben, daran ich doch sehr zweifle, so schein: mir die hiesige Theaterdirection zu öconomisch und zu wenig patriotisch zu denken um mit schwerem Geld Fremde kommen zu lassen, die sie hier am Orte besser – wenigstens gleich gut – und umsonst hat. – Denn die welsche Trupp braucht ihrer nicht – was die Anzahl betrift; sie kann für sich alleine spielen. – Die Idee dermalen ist, sich bei der teutschen Oper mit Acteurs und Actricen zu behelfen, die nur zur Noth singen; – zum größten Unglück und dieDirecteurs des Theaters sowohl als des Orchesters beybehalten worden, welche sowohl durch ihre Unwissenheit und Unthätigkeit das meiste dazu beigetragen haben, ihr eigenes Werk fallen zu machen. Wäre nur ein einziger Patriot mit am Brette – es sollte ein anderes Gesicht bekommen! – Doch da würde viel leicht das so schön aufkeimende National-Theater zur Blüthe gedeihen, und das wäre ja ein ewiger Schandfleck für Teutschland, wenn wir Teutsche einmal mit Ernst anfiengen teutsch zu denken – teutsch zu handeln – teutsch zu reden und gar teutsch – zu singen!!! – Nehmen Sie nur nicht übel, mein bester Hr. geh. Rath, wenn ich in meinem Eifer vielleicht zu weit gegangen bin. Gänzlich überzeugt mit einem teutschen Manne zu reden ließ ich meiner Zunge freyen Lauf, welches dermalen leider so selten geschehen darf, [151] daß man sich nach solch einer Herzensergießung kecklich einen Rausch trinken dörfte ohne Gefahr zu laufen seine Gesundheit zu verderben.«
Die Aufführungen der neuen deutschen Oper, welche am 16 Oct. 1785 mit Monsignys »Felix« eröffnet wurden, konnten sich mit denen der italiänischen Oper in keiner Weise messen. Mozart, dessen Entführung bis zum März 1788, wo die deutsche Oper wieder geschlossen wurde, beständig auf dem Repertoire derselben blieb, wurde als Componist nicht wieder beschäftigt11. Nur einmal schien Joseph sich zu erinnern, daß Mozart der einzige sei, welchen er als deutschen Operncomponisten Salieri als italiänischem gegenüberstellen könne. Die näheren Umstände bei Aufführung des Schauspieldirectos sind mitgetheilt von R. Hirsch, Mozarts Schauspieldirector, musikalische Reminiscenzen. Leipz. 1859.
Zur Verherrlichung eines großen Gartenfestes am 7 Februar 1786 hatte der Kaiser eine dramatische Aufführung in der Orangerie zu Schönbrunn befohlen, bei welcher die ausgezeichnetsten Mitglieder des Schauspiels wie der deutschen und italiänischen Oper thätig sein sollten12. Stephanie d.j. bekam den Auftrag das deutsche Gelegenheitsstück zu schreiben; es war Der Schauspieldirector13. [152] Frank, ein Schauspieldirector, hat die Erlaubniß erhalten in Salzburg eine Bühne zu eröffnen, und befindet sich in großer Verlegenheit eine Gesellschaft ohne die nöthigen Mittel rasch zu engagiren; dies giebt die Veranlassung daß mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler, welche ihre Dienste anbieten, aus beliebten Stücken einzelne Scenen zur Probe darstellen, woran sich dann eine ähnliche Prüfung für die Oper anschließt. Das locker zusammengesetzte Stück sollte durch Anspielungen auf die damaligen Bühnenzustände noch ein Interesse außer dem, welches auf den Leistungen der bedeutenden Darsteller beruhte, erhalten; sie sind ziemlich derb und handgreiflich ausgefallen14. Dagegen ist die kleine Oper von Casti Prima la musica e poi le parole wirklich witzig und unterhaltend und giebt dem Componisten zu sehr wirksamen Musikstücken Veranlassung. Salieri, dem die Composition aufgetragen war, befand sich hier sehr im Vortheil gegen Mozart15, welcher den musikalischen Theil des deutschen Stücks auszuführen hatte16.
[153] Von dramatischem Interesse und individueller Charakteristik kann hier nicht die Rede sein, da keine derartigen Situationen vorkommen. Beide Sängerinnen singen ihre Arien nicht aus der Situation heraus, sondern es sind fertige, mitgebrachte Probestücke; die Aufgabe war daher beide einander in der Anlage so ähnlich zu machen, daß die Vergleichung der beiden Sängerinnen erleichtert wurde und die Modificationen, welche die Verschiedenartigkeit ihrer Gesangsweise herbeiführte, um so schärfer hervortraten. Beide Arien sind von gleicher Form, aus einem langsamen und einem bewegten Satz bestehend, auch der Grundton ist ähnlich, eine Mischung von sentimentaler Empfindung und ruhiger Heiterkeit, selbst die Bravurpassagen, die tüchtig in die Höhe gehen, sind beiden ziemlich in gleichem Maaße zugetheilt. Im Einzelnen ist denn freilich alles bis auf die Instrumentation herab ganz verschieden, und so werden jene beiden Bedingungen einer Probe glücklich erfüllt17. Lebendige Bewegung tritt erst ein, als die beiden Sängerinnen, weil der Director wegen der Wahl in Verlegenheit geräth, mit einander in Zank kommen, indem jede von ihnen behauptet: »Ich bin die erste Sängerin.« Da der Tenorist sich ins Mittel zu legen und die eifernden Damen zu begütigen sucht, so kommt hier ein komisches Terzett voll Leben und Laune zu Stande, das auch in seiner Ausführung bedeutender ist als jene kurz gehaltenen Arien. Ist gleich die Situation an sich nicht von [154] der Art daß sie ein höheres Interesse in Anspruch nehmen könnte, so liegt darin ein eigenthümlicher Reiz daß die Elemente derselben musikalischer Natur sind; und die Formen, welchen gewöhnlich allein eine künstlerische Bedeutung zukommt, haben hier auch eine materielle Grundlage, wodurch die komische Wirkung wesentlich erhöhet wird. Die Imitationen, mit welchen die Sängerinnen gegenseitig ihre Ansprüche geltend machen und einander wie auf den Fersen sind, die Steigerungen bis zu einer fabelhaften Tonhöhe, der Wechsel des raschen Parlando mit affectvollem Vortrag und kunstreichen Passagen – das alles wirkt nicht bloß als ein Mittel dramatischer Charakteristik, sondern der Zuhörer hat zugleich das Vergnügen den Wettstreit, wer denn nun die größte Sängerin sei, mit eigenen Ohren zu entscheiden. Der ruhige und begütigende Tenor, der bald der einen bald der anderen Sopranstimme sich anschließt, dann wieder beiden gegenübertritt, trägt durch diesen Contrast musikalisch und dramatisch wesentlich bei der Zankscene eine gewisse Haltung und Mäßigung zu geben. Ueberhaupt ist die Darstellung so lebendig, so heiter, so frei von aller Karikatur und so durchaus wohlklingend, daß man diesem Terzet: mit Recht einen nicht geringen Werth beilegt. Der Schlußgesang ist ein Vaudeville. Jede Solostimme trägt eine Strophe des Liedes vor, die zwar jedesmal charakteristisch modificirt ist, aber wieder in das sehr hübsche Hauptmotiv einlenkt, an welches sich ein chorartiger Refrain anschließt. Zum Schluß tritt noch eine Baßstimme hinzu: der Schauspieler Buf erklärt sich für den ersten Buffo; es war Lange, der selbst erzählt daß er nur in der Noth einen Sänger abgeben könne (Selbstbiogr. S. 126) und sich hier scherzhaft selbst ironisirte.
Mozart hat aber zu dem Stuck auch eine Ouverture geschrieben, in welcher er nicht unmittelbar an den trivialen [155] Text gebunden sich freier bewegen konnte. Freilich durfte er, wenn es die Einleitung zum Schauspieldirector bleiben sollte, ihr weder hohen Schwung geben noch tiefe edle Empfindung hineinlegen, aber er konnte den Charakter eines heitern leicht bewegten Spiels frisch und lebendig ausdrücken. Sie besteht aus einem einzigen rasch verlaufenden Satz18. Die ersten Takte
führen unmittelbar in die Stimmung ein, und bilden in den verschiedenen contrastirenden Elementen die Motive, welche später in der Bearbeitung durcheinander gewürfelt werden. Auch die beiden, mehr gehaltenen Melodien, welche später eingeführt werden, erhalten durch leichte imitatorische Behandlung den Reiz einer angeregten lebhaften Unterhaltung; die Uebergangsmotive bilden dagegen einen pikanten Contrast: kurz das Ganze macht schon an sich den Eindruck eines Lustspiels, in welchem verschiedene Charaktere und Intriguen sich kreuzen bis sich schließlich alles in Wohlgefallen auflöst.
Das ganze Festspiel wurde kurz nach dem Gartenfeste in Schönbrunn auch auf dem Kärnthnerthortheater (zuerst am 11 Febr.) aufgeführt; begreiflicherweise interessirte sich das Publicum wenig für dies Pasticcio, welches man nur dreimal wiederholte. Später ist mehrmals der Versuch gemacht [156] worden Mozarts Musik auf der Bühne zu erhalten und um dies zu erreichen suchte man dem Stück mehr Handlung und mehr Musik zu geben.
Als Goethe im Jahr 1791 die Leitung des Hoftheaters in Weimar übernahm, wandte er auch der Oper seine Aufmerksamkeit zu. »Ein unermüdlicher Concertmeister Kranz und ein immer thätiger Theaterdichter Vulpius griffen lebhaft mit ein; einer Unzahl italiänischer und französischer Opern eilte man deutschen Text unterzulegen«19. Nun war Goethe bei seinem Aufenthalt in Rom im Sommer 1787 ganz besonders durch ein Intermezzo L'impresario in angostie unterhalten worden, welches Cimarosa im Carneval des vorigen Jahrs – zu gleicher Zeit mit Mozarts Schauspieldirector – für das Teatro nuovo in Neapel componirt hatte20. Dieses wurde sogleich als komische Oper unter dem Titel Theatralische Abenteuer bearbeitet und in dieselbe die sämmtlichen Musikstücke aus Mozarts Schauspieldirector aufgenommen21. Sie wurde zuerst in Weimar am 24 October 1791 mit Beifall aufgeführt, ging dann auch auf andere Bühnen über und hat sich eine geraume Zeit auf denselben erhalten.
Neuerdings hat L. Schneider im Schauspieldirector [157] oder Mozart und Schikaneder einen anderen Weg eingeschlagen. Da er Mozarts Musik von fremder Zuthat frei halten wollte, wählte er, weil die ursprünglichen Stücke für eine selbständige Operette nicht ausreichen, einige Lieder aus, welche angemessen instrumentirt nicht übel zu den andern Stücken passen22. Um der Handlung mehr Interesse zu geben kam er auf den bedenklichen Einfall Mozart selbst zum Helden der Oper zu machen, wie er unter Schikaneders Eingebung die Zauberflöte componirt. Es ist unglaublich daß der Meister, dessen Andenken durch die Wiederbelebung seiner Musik geehrt werden soll, hier gegen alle Wahrheit als ein unbesonnener verliebter Fant, unwürdig in seiner Abhängigkeit von Schikaneder wie in seinem Verhältniß zur Schwägerin Aloysia Lange lächerlich gemacht wird vor dem Publicum, das sich an der Musik erfreuet und dabei solche Sottisen geduldig erträgt. Im Jahr 1856 ist Mozarts Operette in Paris bei den Bouffes Parisiens mit größtem Beifall gegeben worden; ob und wie weit man dieselbe bearbeitet habe ist mir nicht bekannt.
Mozart sah seine Erwartung daß die italiänische Oper beim Publicum keinen Beifall finden werde vollständig getäuscht. Joseph hatte sich von Salieri genauen Bericht über alle ausgezeichneten Künstler erstatten lassen, welche dieser bei seinem Aufenthalt in Italien gehört hatte (Mosel Salieri S. 75), und gab demgemäß seinen Bevollmächtigten Aufträge zu Engagements, sowie er selbst bei seiner italiänischen Reise auch hierauf ein besonderes Augenmerk richtete. [158] So gelang es das Personal für eine Opera buffa zusammen zu bringen, welche eine Reihe von Jahren hindurch bei manchem Wechsel im Einzelnen, nach dem einstimmigen Urtheil des Publicums und der Kenner, unübertroffen war23. Von den bereits in Wien vorhandenen Sängerinnen gingen außer der schon gealterten Bernasconi24 die Lange, Cavalieri, Teyber zu der italiänischen Oper über, aus Italien kamen Nancy Storace, die Mandini, später [159] Celestine Coltellini. Von den deutschen Sängern hatte man freilich den ausgezeichnetsten, Fischer, welchen Mozart mit Recht unersetzlich nennt, entlassen, allein in Benucci war ein Baßbuffo ersten Ranges gewonnen25, außer ihm der Bariton Mandini, die Tenoristen Bussani, Okelly, Pugnetti und von den Deutschen Adamberger, Saal, Ruprecht. Am 22 April 1783 wurde die italiänische Oper mit Salieris neu bearbeiteter Oper La scuola dei gelosi eröffnet26; sie fand großen Beifall, der Erfolg war entschieden27. Denn obgleich die nächste Oper von Cimarosa L'italiana in Londra (5 Mai) nicht gleich günstig aufgenommen wurde, so erregte dagegen Sartis Oper Frà due litiganti il terzo gode (25 Mai) einen ungeheuren Enthusiasmus28. Schröder schrieb am 26 Juli 1783: »die welsche Oper hat großen Zulauf, und das deutsche Schauspiel bleibt leer« (Meyer I S. 385).
So lebhaft auch Mozart wünschte für die deutsche Oper thätig zu sein, so regten ihn doch die Leistungen und Erfolge [160] der italiänischen Oper gewaltig an und er fand sich bald durch seine übermächtige Neigung für das Theater auf das Gebiet gedrängt, wo er für jetzt allein seine Kräfte geltend machen konnte. Welche Schwierigkeiten es für ihn haben würde mit einer italiänischen Oper anzukommen, das entging ihm freilich auch nicht, aber es zog ihn unwiderstehlich dahin: so suchte er denn auf alle Weise dies Ziel zu erreichen.
»Nun hat die italiänische opera buffa wieder hier angefangen« schreibt er dem Vater (7 Mai 1783) »und gefällt sehr. Der Buffo ist besonders gut, er heißt Benucci. Ich habe leicht 100 – ja wohl mehr Büchel durchgesehen – allein ich habe fast kein einziges gefunden, mit welchem ich zufrieden seyn konnte – wenigstens müßte da und dort vieles verändert werden. Und wenn sich schon ein Dichter mit diesem abgeben will, so wild er vielleicht leichter ein ganz neues machen – und neu, ist es halt doch immer besser. Wir haben hier einen gewissen Abbate da Ponte als Poeten – dieser hat nunmehr mit der Correctur im Theater rasend zu thun, er muß per obligo ein ganz neues Buch für den Salieri machen, das wird vor 2 Monaten nicht fertig29 – dann hat er mir ein neues zu machen versprochen. Wer weiß nun, ob er dann auch sein Wort halten kann oder will! – Sie wissen wohl, die Herren Italiäner sind ins Gesicht sehr artig – genug, wir kennen sie! Ist er mit Salieri verstanden, so bekomme ich mein Lebtage keins – und ich möchte gar so gern mich auch in einer welschen Oper zeigen. Mithin dächte ich, wenn nicht Varesco wegen der Münchner opera noch böse ist, so könnte er mir ein neues Buch auf 7 Personen schreiben – basta, Sie werden am besten wissen, ob [161] das zu machen ist. Er könnte unterdessen seine Gedanken hinschreiben und in Salzburg dann wollten wir sie zusammen ausarbeiten. Das Nothwendigste aber dabey ist, recht komisch im Ganzen – und wenn es dann möglich wäre zwei gleich gute Frauenzimmer-Rollen hineinzubringen – die eine müßte seria, die andere aber mezzo carattere seyn, aber an Güte müßten beide Rollen ganz gleich seyn. Das dritte Frauenzimmer kann aber ganz buffa seyn, wie auch alle Männer, wenn es nöthig ist. Glauben Sie daß mit dem Varesco was zu machen ist, so bitte ich Sie bald mit ihm zu sprechen.« Um Varesco geneigt zu machen ließ er ihn noch wissen daß er auf 400 bis 500 Gulden Honorar rechnen könne, weil der Poet in Wien den Ertrag der dritten Vorstellung bekomme. Nach einiger Zeit fragte er wieder an (7 Juni 1783): »Wegen dem Varesco wissen Sie noch nichts? ich bitte Sie, vergessen Sie nicht – dieweil ich in Salzburg wäre, könnten wir so schön daran arbeiten, wenn wir unterdessen einen Plan haben.«
Ehe Mozart nach Salzburg reiste, erfuhr er im Juni noch die Bestätigung seiner Furcht, daß er wie die deutschen Künstler überhaupt bei der italiänischen Oper nicht auf förderndes Entgegenkommen zu rechnen hätten. Adamberger und die Lange traten am 30 Juni zueist in Anfossis Curioso indiscreto auf und Mozart hatte für beide dankbare Arien zum Einlegen geschrieben; wir haben schon gesehen (III S. 274ff.), wie Salieri durch Intriguen zu verhindern suchte daß dieselben gesungen würden, obwohl ihm dies nur zum Theil gelang. Als Mozart Ende Juli nach Salzburg kam, fand er Varesco bereit zu dem Unternehmen, das sofort begonnen und noch in Salzburg gefördert wurde.
Im Nachlasse Mozarts findet sich von Varescos Hand geschrieben der erste vollständig ausgeführte Act und die [162] ausführliche prosaische Inhaltsangabe des zweiten und dritten Acts der Oper L'oca del Cairo (die Gans aus Cairo). Der Inhalt derselben ist in der Kürze dieser30.
Don Pippo, Marchese di Ripasecca, ein hochmüthiger und eitler Narr, hat seine Gemahlin Donna Pantea durch schlechte Behandlung gezwungen sich von ihm zu entfernen; er hält sie für todt, sie lebt aber verborgen an einem Ort jenseits des Meers. Biondello, den er haßt, liebt seine Tochter Celidora, welche er mit dem Grafen Lionetto di Casavuota vermählen will; er selbst hat sich in deren Gesellschafterin Lavina verliebt und beabsichtigt sie zu heirathen, während Calandrino, der Freund Biondellos und Verwandte Panteas mit ihr einverstanden ist. Beide Mädchen werden von ihm in einem befestigten Thurm, der mit Mauer und Graben umschlossen ist, sorgfältig gehütet. Im Gefühl seiner Sicherheit hat Don Pippo sich verleiten lassen Biondello zu versprechen, wenn er binnen Jahresfrist in den Thurm zu seiner Tochter gelangte, wolle er ihm dieselbe zur Gemahlin geben. Darauf hat Calandrino, der ein geschickter Mechanicus ist, eine künstliche Gans gemacht, groß genug daß sich ein Mann im Innern [163] verbergen und den Mechanismus in Bewegung setzen kann; diese ist zu Pantea geschafft, welche als Mohrin verkleidet dieselbe als ein Wunderwerk zur Schau stellen soll, Pippo hofft man zu veranlassen sie den Mädchen zu zeigen damit auf diese Weise Biondello in den Thurm gelange. Dafür bedingt Calandrino sich aus, daß ihm der Freund Lavinas Hand verschaffe.
Die Oper beginnt am Morgen des Jahrestags der Wette; Don Pippo will Lavina heirathen und erwartet die Ankunft des Grafen Lionetto, sein Haus ist erfüllt mit den Vorbereitungen zum Fest: wie der Vorhang aufgeht, läßt die gesammte Dienerschaft während eines Chores sich frisiren. Zunächst lernt man das kokette Kammermädchen Auretta und ihren Liebhaber, den Haushofmeister Chichibio, in verschiedenen Situationen kennen. Calandrino kommt in großer Verlegenheit, Pantea ist nicht gekommen, ein heftiger Sturm läßt fürchten daß sie ganz ausbleiben werde, es muß auf ein Auskunftsmittel gedacht werden; er verspricht den beiden die Hochzeit, wenn sie Don Pippo die Kleider wegnehmen und ihn verhindern auszugehen, was sie übernehmen. – Die Scene verwandelt sich. Celidora und Lavina unterhalten sich auf einer Terrasse vor dem vierten Stockwerk des Thurms, zu welcher sie steh heimlich einen Zugang verschafft haben; dann treten die Liebhaber unten, jenseits des Grabens auf, es entspinnt sich ein zärtliches Gespräch im Quartett. Der neue Plan ist nun rasch eine Brücke über den Graben zu schlagen und den Thurm zu erklimmen. Im Finale kommen Zimmerleute, es wird eifrig gearbeitet; allein Chichibio und Auretta haben über dem Plaudern von der Hochzeit nicht Acht gegeben, sie melden nun daß Don Pippo dennoch ausgegangen sei, gleich darauf kommt er selbst, ruft die Wache [164] herbei, die Arbeit muß aufhören, die Liebhaber sind geschlagen.
Im zweiten Act landet Pantea mit der Gans bei starkem Unwetter; es ist Jahrmarkt, viel Volk versammelt, das die Gans, angeblich aus Cairo, und ihre natürlichen und verständigen Bewegungen anstaunt, darunter auch Auretta und Chichibio, der darüber vergißt daß er Einkäufe für die Mahlzeit machen soll und Don Pippo das Wunder berichtet. Dieser läßt Pantea mit der Gans kommen und bedauert nur daß die Gans nicht auch sprechen könne; als Pantea ihm versichert, sie habe nur aus Schrecken beim Sturm die Sprache verloren und werde sie wieder erhalten, wenn sie in einem einsamen Garten ein gewisses Kraut zu sich nehmen könne, befiehlt Don Pippo erfreut Calandrino Pantea mit der Gans in den Festungsgarten zu führen, damit auch die beiden Mädchen sich daran ergötzen. Das Finale stellt den Jahrmarkt vor, der in der Nähe des Thurms gehalten wird, mit mancherlei Festlichkeiten; die Mädchen sehen vom Fenster aus zu. Es entspinnt sich ein Streit, an dem auch Biondello Theil nimmt, Don Pippo als Gerichtsherr muß Recht sprechen; ein lächerlicher Handel wird vor ihm geführt und endigt mit einem allgemeinen Tumult.
Während Pantea in einem Wirthshaus in der Nähe der Festung Biondello sich in der Gans verbergen läßt und dann sich in den Thurm begiebt, meldet Calandrino Don Pippo daß Biondello aus Verzweiflung in einem Kahn allein auf die stürmische See gefahren sei, was Auretta weinend bestätigt. Höchst erfreut darüber begiebt sich Don Pippo in einem lächerlichen Hochzeitszuge nach dem Thurm, an dessen Fenster Celidora und Lavina mit der Gans stehen und Scherz machen zur großen Unterhaltung der versammelten Menge. Endlich erscheint in dem großen Saal des Thurms Don [165] Pippo mit seiner Begleitung vor den beiden Mädchen und der Gans, seines Siegs gewiß, um die Vermählung zu feiern, sobald Graf Lionetto sich einstellen wird. Da bringt Chichibio einen groben Absagebrief desselben. Als Don Pippo darauf Lavina die Hand reichen will, tritt ihm Pantea in ihrer wahren Gestalt entgegen, die Gans fängt an zu reden, öffnet sich und Biondello tritt hervor: Don Pippo ist außer sich, wird von allen verlacht, schließlich verspricht er sich zu bessern – alle Liebenden werden glücklich.
Wenn bei dieser summarischen Inhaltsangabe auch manche einzelne komische und wirksame Züge unterdrückt sind, so sind noch mehr Albernheiten übergangen: der Totaleindruck einer abenteuerlichen und witzlosen Handlung wird durch die Behandlung des Einzelnen nicht aufgehoben. In der ersten Freude ein neues Libretto zu haben, machte Mozart sich gleich in Salzburg ans Componiren und nahm auch nach seiner Rückkehr in Wien einzelne Scenen vor, die ihn ansprachen; aber bald kamen ihm gewichtige Bedenken, daß die Oper ohne bedeutende Veränderungen nicht auf die Bühne gebracht werden könne. »Es fehlen nur noch drei Arien«, schreibt er seinem Vater (6 Dec. 1783)31 »so ist der erste Act von meiner Opera fertig. Die Aria buffa, das Quartett und das Finale kann ich sagen, daß ich ganz vollkommen damit zufrieden bin und mich in der That darauf freue. Darum wäre mir leid, wenn ich eine solche Musique müßte umsonst gemacht haben, das heißt, wenn nicht das geschieht, was unumgänglich nöthig ist. Weder Sie, noch der Abbate Varesco, noch ich haben die Reflexion gemacht daß es sehr übel lassen wird, ja die Opera würklich fallen muß, wenn keine von den zwey Haupt-Frauenzimmern eher [166] als bis auf den letzten Augenblick auf das Theater kommen, sondern immer in der Festung auf der Bastei oder Rempart herumspazieren müssen. Einen Act durch traue ich den Zusehern noch so viel Geduld zu, aber den zweyten können sie ohnmöglich aushalten, das kann nicht seyn. Diese Reflexion machte ich erst in Linz, – und da ist kein ander Mittel, als man läßt im zweyten Act etwelche Scenen in der Festung vorgehen – ea niera della fortezza. Man kann die Scene machen, wie Don Pippo Befehle giebt die Gans in die Festung zu bringen, daß dann das Zimmer in der Festung vorgestellt wird, worin Celidora und Lavina sind. Pantea kömmt mit der Gans herein – Biondello schießt heraus – man hört Don Pippo kommen, Biondello ist nun wieder Gans. Da läßt sich nun ein gutes Quintett anbringen, welches desto komischer seyn wied, weil die Gans auch mitsingt. – Uebrigens muß ich Ihnen sagen, daß ich über die ganze Ganshistorie nur deswegen nichts einzuwenden hatte, weil zwey Männer von mehr Einsicht und Ueberlegung als ich sich nichts dagegen einfallen ließen, und das sind Sie und Varesco. Izt ist es aber noch Zeit auf andere Sachen zu denken. Biondello hat einmal versprochen daß er in den Thurm hineinkommt; wie er es nun anfängt, ob er durch eine gemachte Gans oder durch eine andere List hineinkömmt, ist nun einerley. Ich dächte, man könnte viele komischere und natürlichere Sachen vorbringen, wenn auch Biondello in Menschengestalt bliebe. Zum Beyspiel könnte die Nachricht, daß sich Biondello aus Verzweiflung daß es ihm nicht möglich wäre in die Festung zu kommen den Wellen übergeben habe, gleich am Anfange des zweiten Acts geschehen, er könnte steh dann als ein Türk, oder was weiß ich verkleiden und Pantea als eine Sklavin (versteht sich als eine Mohrin) vorführen. Don Pippo ist Willens die Sklavin für seine [167] Braut zu kaufen; dadurch darf der Sklavenhändler und die Mohrin in die Festung um sich beschauen zu lassen. Dadurch hat Pantea Gelegenheit ihren Mann zu cujoniren und ihm tausend Impertinenzen anzuthun, und bekommt eine bessere Rolle, denn je komischer die welsche Opera ist, desto besser. – Nun bitte ich Sie dem Herrn Abbate Varesco meine Meynung recht begreiflich zu machen, und ich ließe ihn bitten fleißig zu seyn – ich habe auf die kurze Zeit geschwind genug gearbeitet. Ja, ich hätte den ganzen ersten Act fertig, wenn ich nicht noch in einigen Arien in den Wörtern Veränderungen brauchte, welches ich aber bitte ihm izt noch nicht zu sagen.«
In der Nachschrift bittet er noch einmal den Varesco recht zu bereden und zu pressiren. Bei näherer Ueberlegung aber fand er daß er noch zu viel zugestanden habe, und schon nach wenigen Tagen schrieb er (10 Dec. 1783): »Thun Sie Ihr Möglichstes daß mein Buch gut ausfällt. Ich wollte wünschen, ich könnte die zwey Frauenzimmer auch im ersten Act, wenn sie die Arien singen, von der Bastey herabbringen, will ihnen gern erlauben, daß sie das ganze Finale oben singen.« Zu dieser Aenderung war Varesco gleich bereit, sie war durch einen Scenenwechsel leicht zu bewerkstelligen – die Umarbeitung liegt dem ursprünglichen Text bei –, aber auf Weiteres scheint er sich nicht haben einlassen zu wollen. Ob er von seiner »Ganshistorie« so eingenommen war daß er sie nicht aufgeben mochte, ob er sich vor ferneren endlosen Zumuthungen fürchtete, oder was er sonst für Gründe hatte – wer kann das wissen? kurz, eine Radicalcur wurde mit dem Text nicht vorgenommen, und Mozart ließ, so leid es ihm thun mochte, die Oper liegen.
Außer einem Recitativ und der flüchtigen Skizze einer Tenorarie sind sechs Stücke des ersten Acts im Partiturentwurf erhalten, in dem wie gewöhnlich die Singstimmen mit [168] dem Baß vollständig ausgeschrieben, die Ritornells wie die Begleitung in einzelnen Instrumenten mehr oder weniger genau angedeutet sind32. Vier Stücke gehören Auretta und Chichibio an; der Vergleich mit Figaro liegt nahe, und wenn auch Chichibio bei weitem kein Figaro ist, so kommt Auretta der Susanne doch schon um vieles näher. Die Situation ihrer Arie (2) ist nicht übel ausgedacht. Calandrino, der von Auretta gehört hat, daß Chichibio sehr eifersüchtig sei, umarmt sie zum Scherz und fragt: »Was würde Chichibio sagen, wenn er dies sähe?« Indem kommt dieser wirklich und Auretta, welche thut als ob sie ihn nicht bemerkt, singt nun
Se fosse qui nascoso
Quell' Argo mio geloso,
O, poverina me!
Direbbe: »O maledetta,
Pettegola, fraschetta!
La fedeltà dov' è?«
Pur sono innocente,
Se fosse presente,
Direbbe tra se:
»O qui non c'è pericolo,
Un caso si ridicolo
Goder si deve affè.«
Die musikalische Auffassung der Gegensätze, welche in diesem Text liegen, ist ungemein launig und graziös, und namentlich die Spitze, in die das Ganze ausläuft: O qui non c'è pericolo ist so reizend schalkhaft, wie nur etwas im Figaro. Die komische Arie des Chichibio (3) ist im echt italiänischen Buffostil gehalten, und auf ein geläufiges Parlando berechnet; nach den Andeutungen im Ritornell zu schließen sollte sie ein eigenthümliches Colorit auch durch die Instrumentation erhalten. Auch in dem kürzeren der beiden Duetts zwischen Auretta und Chichibio (4) war dem Orchester, wie die einzelnen Notirungen erkennen lassen, eine [169] bedeutende Rolle zugedacht. Bedeutender aber, und auch breiter angelegt ist das erste Duett (1), in welchem Auretta den eifersüchtigen Chichibio hergebrachtermaßen zu hänseln und dann auch wieder zu versöhnen weiß. Das Ganze ist in der abwechselndsten Laune bewegt und unterhaltend, aber in dem Motiv
das vom Orchester ausgeführt und von den Singstimmen umspielt wird ist Innigkeit und Grazie auf so eigenthümlich schöne Weise gemischt, wie es wohl nur Mozart gelungen ist.
Dann sind noch zwei größere Ensembles im Entwurf da. Das Quartett (6), in welchem die Liebenden sich aus der Ferne unterhalten, tritt mehr aus dem Buffocharakter heraus, die zartere Empfindung waltet vor; obgleich sie der Situation gemäß als eine gemeinsame dargestellt ist, werden doch die einzelnen Liebespaare merklich unterschieden und die Grundzüge einer Charakteristik, welche im Verlauf der Oper schärfer hervorgetreten wäre, sind schon hier unverkennbar. Dagegen ist das Finale (7) ganz und gar im lebhaftesten Buffoton gehalten. Anfangs sind die Liebenden mit vollem Eifer beim Bau der Brücke und geben sich den heitersten Hoffnungen hin, dann tritt die Aufregung der gespannten Erwartung ein und als Don Pippo wirklich erscheint, bricht ein allgemeiner Tumult aus. Es liegt in der Natur dieser Situation daß weder die reiche Abwechslung noch der Adel tieferer Empfindung, die wir in anderen Finales bewundern, hier zu Tage kommen, es ist vielmehr zum Erstaunen daß in dieser lang andauernden Bewegung der frische Zug und die wachsende Steigerung nicht aufhört. Die letztere ist namentlich [170] in dem letzten Presto ganz außerordentlich; hier tritt auch – gegen die Gewohnheit der komischen Oper – der Chor selbständig und zwar sehr wirkungsvoll hinzu, der Vocaleffect ist wahrhaft grandios und der Schlußsatz steht keinem der späteren nach. In diesem Finale erhält man auch eine Probe des Stils, in welchem die Figur Don Pippos gehalten werden sollte. Schon das kleine Andante maestoso: Io sono offeso! La mia eccellenza, la prepotenza soffrir non de zeigt die Anlage zu einer der großartigsten Buffopartien, wie sie in dieser Art in keiner der anderen Opern vorkommt.
Von allen diesen Sätzen haben wir freilich nur einen schwachen Schattenriß. Man versuche sich in entsprechenden Stücken aus Figaro und Don Giovanni das Orchester bis auf den Baß und Andeutungen einzelner Motive in wenigen Takten wegzudenken – wie viel schwächer, farbloser wird das Bild welches zurückbleibt. So kann man auch hier kaum annähernd eine Vorstellung gewinnen, welches Leben Mozart bei der vollständigen Ausführung diesen Skizzen durch seine Detailzüge und glänzendes Colorit verliehen hätte. Die sichere Meisterhand verrathen sie, wie sich bei einem Werk dieser Zeit von selbst versteht, durchgängig und für das Studium gewähren sie allerdings grade so wie sie sind ein eigenthümliches Interesse.
Wer kann sagen, ob es nicht Mozart, wenn er die Oper vollendet hätte, gelungen wäre, die großen Schwächen des Textes vergessen zu machen? Indessen scheint er das selbst nicht gehofft zu haben, da er sie liegen ließ, nachdem sie, mit solchem Eifer begonnen, schon so weit vorgerückt war. Aber seinen Plan gab er deshalb keineswegs auf und da er zunächst auf ein neues Textbuch keine Aussicht hatte, wählte er unter den vielen Textbüchern, welche er sich verschafft hatte, [171] eins aus, das er allenfalls auf die Bühne zu bringen hoffen konnte. Es war Lo sposo deluso (der gefoppte Bräutigam) von einem mir unbekannten Verfasser33. Daß es ein bereits benutzter Text war geht auch daraus hervor, daß Mozart in der Abschrift, welche ihm ein des Italiänischen unkundiger Copist gemacht hatte, die ursprünglichen Namen der Personen zum Theil geändert hat. Es ist für das Verständniß der von Mozart componirten Stücke34 nicht nöthig den ziemlich complicirten und wenig ansprechenden Inhalt der ganzen Oper darzulegen; das ausführliche Verzeichniß der Personen, welchen Mozart die Namen der Sänger beigeschrieben hat, denen er die Rollen zudachte, wird zur Orientirung genügen35. Es treten also auf
Prinio Buffo caricato. Bocconio [Sempronio] Papparelli, uomo sciocco e facoltoso, promesso in marito ad Eugenia.
Sigre. Benucci.
Primia Buffa. Eugenia [Emilia], giovane Romana di nobili natali, alquanto capricciosa e promessa in consorte a Bocconio, ma fida amante di Don Asdrubale
Sgra. Fischer.
Primo mezzo carattere. Don Asdrubale [Annibale], uffiziale Toscano, molto coraggioso ed amante di Eugenia.
Sigre. Mandini.
[172] Seconda Buffa. Bettina [Laurina], nipote di Bocconio, ragazza vana ed inamorata di Don Asdrubale.
Sgra. Cavalieri.
Secondo Buffo caricato. Pulcherio [Fernando], sprezzator delle donne, ed amico di Bocconio.
Sgre. Bussani.
Secondo Buffo mezzo carattere. Gervasio, tutore di Eugenia, che poi inamorasi di Metilde.
Sgre. Pugnetti.
Terza Buffa. Metilde, virtuosa di canto e ballo, anch' essa inamorata di Don Asdrubale, finta amica di Bettina.
Sgra. Teiber.
Die Zeit, in welcher Mozart sich mit diesem Text beschäftigte, ergiebt sich etwas genauer aus dem Umstande daß Nancy Storace, welcher die Rolle der Eugenia zugedacht war, als Signora Fischer aufgeführt ist. Kelly erzählt (Remin. I p. 231f.) daß die Storace sich verleiten ließ, einen englischen Violinvirtuosen, Dr. Fisher36, der auf einer Kunstreise nach Wien kam, zu heirathen; daß es aber bald nachher bekannt wurde, Fisher mißhandle seine Frau, die in Wien als Sängerin und ihres Charakters wegen allgemein beliebt war, worauf der Kaiser den gewaltthätigen Ehemann aus Wien entfernte. Dies war im Jahr 1784, [173] und da N. Storace später nie den Namen ihres Mannes geführt hat, konnte sie Mozart wohl nur kurze Zeit nach ihrer Verheirathung so nennen.
Beim Beginn der Oper ist Bocconio, der die Ankunft seiner Braut erwartet, noch bei der Toilette um sich glänzend herausputzen zu lassen; sein Freund Pulcherio, der Weiberfeind, ist zugegen und macht sich über ihn lustig, nicht minder Don Asdrubale und Bettina, welche ihrem Oheim erklärt daß sie, wenn er ihr nicht jetzt einen Mann zu verschaffen wisse, ihm und seiner Frau keine ruhige Stunde im Hause lassen werde. Während er sich ihrer zu erwehren sucht, wird gemeldet die Braut sei so eben angelangt, die Verwirrung steigert sich, da er noch nicht bereit ist sie zu empfangen und alle um so lebhafter ihn umdrängen. Mozart hat dieses Quartett mit der Ouverture zu einem Satz verbunden, so daß diese unmittelbar in die erste Scene einleitet. Eine lustige Fanfare von Trompeten und Pauken allein fängt an, die vom ganzen Orchester brillant wiederholt wird – wir sind gleich mitten im Jubel einer festlichen Hochzeit und so geht es in munterer Laune fort. Der Satz erinnert in seiner Anlage ohne bestimmte Reminiscenzen an die Ouvertüre zu Figaro, der er allerdings an Schwung und Feinheit nicht gleich kommt. Das geräuschvolle Treiben wird durch ein zartes Andante 3/8 unterbrochen, in welchem Saiten- und Blasinstrumente mit einander abwechseln, das leicht auf die zarteren Liebesempfindungen hindeutet, welche im Drama doch auch zur Geltung kommen. Die Fanfare ertönt wieder, der Vorhang geht auf und indem das Allegro im Wesentlichen wiederholt wird, dient der Instrumentalsatz nun als die Grundlage auf der die Singstimmen sich frei bewegen; er ist dadurch wie in eine höhere Sphäre gehoben, alle einzelnen Züge treten schärfer, lebendiger hervor und [174] der Zuhörer, der das Ganze seiner allgemeinen Bedeutung nach schon in sich aufgenommen hat, erfreuet sich des erhöheten Genusses, daß ihm dasselbe nicht blos reicher und glänzender bearbeitet sondern wie in neuer Beleuchtung vorübergeführt wird. Das ganze Ensemble ist nicht allein durch heitere Laune und charakteristische durchaus dramatische Lebendigkeit ausgezeichnet, sondern zeigt schon durch seine Anlage ganz besonders deutlich die eigenthümliche Kunst Mozarts Orchester und Singstimmen sich völlig frei und selbständig bewegen zu lassen, so daß sie doch in jedem Moment als unauflöslich mit einander verbundene Glieder eines Ganzen erscheinen. Der auch dem Umfang nach bedeutende Satz ist zwar nur im Entwurf vorhanden, aber dieser ist schon etwas über die erste Anlage hinaus bearbeitet, außer den Singstimmen sind die Saiteninstrumente fast überall vollständig ausgeschrieben und die hauptsächlichsten Eintritte der Blasinstrumente wenigstens angezeigt, so daß man sich nach diesen Andeutungen ein einigermaßen genügendes Bild von dem Satz machen kann, der in seiner Vollendung eine glänzende Einleitung zu der Oper abgegeben haben würde.
Zwei Arien sind nur in den gewöhnlichen Skizzen vorhanden, Singstimme und Baß vollständig mit einzelnen Andeutungen der Violine. Bei der Sopranarie (3) geben aber diese Umrisse eine so feste charakteristische Zeichnung, daß sie sich, wenn man den Blick darauf richtet, wie von selbst belebt und man sogar den bestimmten Eindruck einer vollen und glänzenden Instrumentation zu erhalten glaubt. Der karikirte Stolz der Römerin Eugenia ist gleich in den ersten Textworten hinreichend bezeichnet:
Nacqui all' aura trionfale
Del Romano Campidoglio,
E non trovo per le scale
Che mi venga ad incontrar?
[175] Der Contrast zwischen feierlicher Grandezza und zungengeläufigem Ereifern ist dadurch gegeben; die Hauptaufgabe ist beide so gegeneinander abzuwägen, daß sie nicht als absolute Gegensätze äußerlich nebeneinander gestellt erscheinen, sondern als naturgemäße Aeußerungen eines bestimmten Charakters begreiflich werden. Es ist also eine gewisse Mäßigung erforderlich, welche hier wie immer in einer größeren Vertiefung der künstlerischen Auffassung in das Wesen des darzustellenden Gegenstandes begründet ist; sie ist um so mehr erforderlich, da es um die Darstellung einer Frau sich handelt, welche auch durch karikirende Behandlung nicht in der Art häßlich werden darf, wie es beim Manne ertragen werden kann ohne die komische Wirkung zu beeinträchtigen. Das Wesen der Karikatur, welches in dem einseitigen Hervorheben einzelner charakteristischer Züge eines Individuums auf Kosten anderer, minder bezeichnender besteht, macht ihre Anwendung für die musikalische Darstellung überhaupt schwierig und bedenklich. Denn die äußerlichen Mittel der Darstellung, durch deren Uebertreibung der Musiker karikiren kann, sind ziemlich beschränkt und ihr Reiz ist leicht abgestumpft; der eigentliche Kern dessen was die Musik ausdrücken kann ist aber stets die Empfindung, und den Ausdruck derselben zu übertreiben, um dadurch eine komische Wirkung zu erzielen, ist sehr gefährlich, weil der Musik in den meisten Fällen die Mittel fehlen, durch welche Poesie und bildende Kunst das in der Karikatur hervortretende Mißverhältniß nicht als ein verkehrtes und häßliches, sondern als ein heiteres und komisches erscheinen lassen. In dem gegebenen Falle würde der bloße Contrast zwischen übertriebenen Aeußerungen stolzer Vornehmthuerei und scheltender Geschwätzigkeit keinen komischen, sondern einen widrigen Eindruck machen. Mozart hat mit dem tiefen [176] Gefühl für wahre Charakteristik, das ihn vor allen auszeichnet, auch hier die Empfindung eines wahren und echten Stolzes als das Grundelement der musikalischen Darstellung aufgefaßt, die daher auch einen durchaus würdigen und bedeutenden Charakter hat. Der an sich berechtigte Stolz wird nur durch zufällige Impulse verleitet sich in einer verkehrten Richtung und Weise zu äußern, und dieser vorübergehende Widerspruch mit sich selbst bringt eine komische Wirkung hervor. Mit richtigem Takt hat Mozart um dies auf musikalische Weise zu erreichen sich an die bestimmt überlieferten Formen der Opera seria für den Ausdruck des Heroischen gehalten; an diese klingt die Arie in charakteristischen Wendungen z.B. in den weiten Sprüngen der Melodien, in den bravurmäßigen Triolenpassagen u. dgl. m. ganz bestimmt an. Diese an sich wahre Ausdrucksweise tritt aber in Widerspruch theils mit der augenblicklichen Situation, wie das schon die Textworte ergeben, theils mit den nicht minder charakteristischen Aeußerungen des Scheltens, das sich für den Stolz nicht schickt; die widersprechenden Aeußerungen sind aber zusammengehalten durch den Grundcharakter des Ganzen, aus welchem beide naturgemäß hervorgehen, und so entspricht die musikalische Darstellung ohne über die Schranken des eigenen Gebietes hinauszugreifen vollkommen der ihr durch das Drama gebotenen Aufgabe. Umfang und Verwendung der Stimmmittel läßt übrigens deutlich erkennen, daß Mozart die Storace im Auge hatte, für welche später die Susanne geschrieben ist.
Bei der zweiten Arie (4) des Pulcherio läßt die skizzenhafte Ueberlieferung ungleich mehr zu wünschen übrig. Eugenia und Bocconio sind nach dem ersten Empfang ziemlich unfreundlich zusammengerathen, der dienstfertige Freund sucht zu versöhnen, er macht Bocconio auf Eugenias Schönheit, diese auf Bocconios Liebenswürdigkeit aufmerksam, [177] und während er von einem zum andern geht und vermittelt, schildert er für sich das glänzende Elend, welches er aus dieser Ehe hervorgehen sieht. Verschiedene contrastirende Motive sind durch die Situation geboten, welche in der Arie auf mannigfache Art in ein lebhaftes Wechselspiel gesetzt und. Die Skizze giebt aber nur die allgemeine Anlage zu erkennen, die eine der unterhaltendsten Buffoarien verspricht, allein ein sehr wesentlicher Theil der Ausführung fiel unverkennbar dem Orchester zu, und die äußerst knappen Andeutungen lassen von der seinen Detailmalerei, die man hier erwarten darf, keine auch nur annähernde Vorstellung fassen. Man kann sich an die Arie der Susanne, während sie den Pagen ankleidet (II, 3), oder des Don Giovanni während er Massetto und seine Begleiter instruirt (II, 4) erinnern um sich die Art zu vergegenwärtigen; hätten wir auch von diesen nur die Singstimme und den Baß, wer würde ahnen, was für ein reges Leben und Treiben sich jetzt im Orchester entfaltet?
Ganz vollständig ausgearbeitet ist ein Terzett (5) zwischen Eugenia, Don Asdrubale und Bocconio, von dem nur zu bedauern ist daß es nicht in eine der späteren Opern hat aufgenommen werden können, damit man es von der Bühne höre. Don Asdrubale kommt um Bocconios Braut zu begrüßen, mit Erstaunen erkennen sich die Liebenden. Eugenia, welche glaubte daß Asdrubale im Krieg getödtet sei, fällt vor Ueberraschung halbohnmächtig auf einen Sessel, worauf Bocconio davoneilt um Erfrischungen zu holen. Kaum ist er fort, so überhäuft Asdrubale, der auf dem Wege nach Rom ist um sich dort mit Eugenia zu vermählen, sie mit Vorwürfen, da er sie für treulos hält und wirst sich verzweiflungsvoll in einen Sessel. Eugenia hat sich soeben erhoben, da kommt, ehe sie sich dem Asdrubale [178] erklären kann, Bocconio wieder und findet nun zu seinem Staunen die Scene vollständig verändert. Mit diesem Moment beginnt das Terzett, welches die Verwirrung und Verlegenheit der drei Personen, die nicht wissen wie sie mit den anderen dran sind und in der äußersten Spannung doch an sich halten müssen, in der reizendsten Weise ausdrückt. Das Orchester führt auch hier in seiner durchaus selbständigen Haltung den Faden fort, an den die Singstimmen sich anschließen, bald einzeln, abgebrochen, wie die Situation es verlangt, bald zusammen; wo namentlich der scharf accentuirte Ausdruck des unwillkührlich hervorbrechenden Schmerzgefühls gegenüber der ängstlichen Zurückhaltung, die übrigens in dem Terzett vorherrscht, von vortrefflicher Wirkung ist. Meisterlich ist auch hier die Haltung des Ganzen, die, obwohl sie der tief bewegten Gemüthsstimmung der Hauptpersonen gemäß ernsthaft ist, doch nicht einen eigentlich tragischen Charakter annimmt und das Gebiet der komischen Oper nicht überschreitet; und zwar ist das nicht etwa durch die Beimischung eines komischen Elements in der Person Bocconios erreicht, der sich vielmehr ganz richtig der Stimmung der beiden anderen nähert, sondern durch den Ton des Ganzen, der bei voller Wahrheit im Ausdruck des Einzelnen von einer Heiterkeit durchdrungen ist, die den Zuhörer über das Gefühl der ängstlichen Verlegenheit, von dem die handelnden Personen befangen sind, völlig hinaushebt.
Auch diese Oper wurde nicht vollendet und mit einer dritten scheint es beim ersten Anlauf geblieben zu sein. Das Männerterzett, welches in doppeltem Entwurf erhalten und bereits (III S. 442ff.) besprochen worden ist, bildete die erste Scene einer komischen Oper. Da nun eine Oper von Accoromboni Il regno delle Amazoni nach Fetis zuerst im Jahr 1782 in Parma, dann auch auf anderen Bühnen [179] z.B. 1784 in Florenz37 mit Beifall aufgeführt worden ist, so kann man den Textworten nach wohl nicht zweifeln, daß unter den vielen »Bücheln« welche Mozart durchgesehen hatte sich auch dieses befand, das ihn wenigstens zu einem Versuch veranlaßte, der sicher in dieselbe Zeit mit den beiden eben erwähnten fällt.
Schwerlich war es die Beschaffenheit der Textbücher allein, welche Mozart abhielt eine Oper zu vollenden, sondern die Aussichtslosigkeit sie zur Aufführung zu bringen. Die glänzende Aufnahme, welche die italiänischen Maestri, namentlich Sarti und Paisiello fanden, ließen den deutschen Meister nur um so mehr zurücktreten; der außerordentliche Triumph, welchen Paisiello und Casti mit ihrem Re Teodoro feierten (III S. 303f.) – dessen erste Aufführung am 23 August 1784 Mozart eine Erkältung und in Folge davon eine gefährliche Krankheit (III S. 242) zuzog – schreckte sogar Salieri zurück. Er hatte schon eine Oper Il ricco d'un giorno begonnen, legte sie aber zurück, weil er sich nicht trauete dem Re Teodoro damit die Spitze zu bieten und zog es vor, von Gluck empfohlen und begünstigt in Paris die OperLes Danaides aufzuführen38. Durch die glänzende Aufnahme, welche sie dort gefunden hatte, mit neuem Ruhm gekrönt kehrte er nach Wien zurück und vollendete nun die italiänische Oper, nachdem der erste Enthusiasmus für die Rivalin verrauscht war. Sie wurde am 6 December 1784 [180] gegeben, gefiel aber durchaus nicht39. Für Mozart zeigte auch das Jahr 1785 noch keine günstigen Aspecten – da erschien Hülfe von einer Seite, woher er sie nicht erwartete.
Wir sahen bereits daß der Theatraldichter da Ponte Mozart schon im Mai 1783 ein Textbuch versprochen hatte und daß dieser zu einem Italiäner, zumal wenn er mit Salieri einverstanden wäre, nicht viel Zutrauen hatte (S. 161). Allerdings war da Ponte damals mit Salieri sehr vertraut40. Er war, nachdem er aus dem Gebiet der Republik Venedig, wo er als Lehrer an mehreren Schulen durch freie Grundsätze und Lebensweise Anstoß gegeben hatte, verbannt worden war, nach einem kurzen Aufenthalt in Görz und Dresden durch den Dichter Mazzola an den ihm befreundeten Salieri warm empfohlen nach Wien gekommen, als dort die italiänische Oper eingerichtet wurde. Durch Salieris Einfluß war [181] ihm von Joseph II, der ihn dann fortwährend protegirte, die Stelle eines Theatraldichters übertragen worden; er hatte also alle Ursache Salieri ergeben zu sein. Sein erster Versuch war eben die Oper Il ricco d'un giorno, die er selbst für keineswegs gelungen erklärte; Salieri schrieb den unglücklichen Erfolg derselben, der ihn Paisiellos glänzendem Auftreten gegenüber um so empfindlicher traf, einzig und allein dem Dichter zu und schwur, er wolle sich eher die Finger abhacken lassen als wieder einen Vers von da Ponte in Musik setzen. Es konnte ihm nicht schwer werden auch für sich von Casti einen Operntext zu erlangen, La Grotta di Trofonio; und mit dieser Oper, welche am 12 October 1785 zuerst gegeben wurde, machte er großes Glück41. Nun sah sich aber da Ponte in seiner Stellung bedroht, denn Casti war sein Nebenbuhler und erklärter Gegner. Als witziger und galanter Dichter längst in anerkanntem Ruf, mit den einflußreichsten Personen bekannt und namentlich vom Grafen Rosenberg seit langer Zeit aufs eifrigste begünstigt, suchte er an Metastasios Stelle poeta Cesareo zu werden. Da Ponte, der am Theater Metastasios Platz gewissermaßen einnahm, aufkommen zu lassen war daher nicht grade sein Interesse; er suchte ihn durch Lob und Tadel gleichmäßig zu discreditiren und persiflirte ihn persönlich in der Operette Prima la musica, indem er ihn als Theaterdichter kenntlich aber keineswegs schmeichelhaft porträtirte42. [182] Da Ponte mußte also vor allem fähige Componisten zu gewinnen suchen, welche seine Operntexte zu Ehren brachten.
Vincent Martin43, Lo Spagnuolo genannt, hatte in den letzten Jahren einige Opern geschrieben, welche in Italien mit Beifall gegeben waren, namentlich hatte die Storace, ehe sie nach Wien kam, in Venedig mit einer derselben Furore gemacht (KellyRemin. I p. 189f.). Dies mochte eine Veranlassung für ihn sein nach Wien zu gehen, wo ihn die Gemahlin des spanischen Gesandten unter ihren mächtigen Schutz nahm. Vom Kaiser aufgefordert bearbeitete da Ponte für ihn die Oper Il burbero di buon core nach Goldonis Lustspiel, welche am 4 Januar 1786 zum erstenmal aufgeführt vollständigen Succeß gewann. Auch für Gazzaniga schrieb er nun die Oper Il finto cieco (aufgeführt 20 Jan. 1786) und für Righini Il Demogorgone (aufgeführt 12 Juli 1786), welche beide keinen sonderlichen Erfolg hatten. Allein nicht zufrieden mit diesen Componisten, welchen er selbst weniger zutraute, warf er sein Auge auf Mozart. Mit der größten Bestimmtheit behauptet da Ponte (mem. II p. 68), es sei wesentlich das Verdienst seiner Entschlossenheit und Festigkeit daß Mozart trotz der Cabalen seiner Gegner seine großen Meisterwerke auf die Bühne gebracht habe, er spricht die Hoffnung aus, daß eine unparteiische und wahrheitsliebende Darstellung ihm diese Anerkennung werde zu Theil werden lassen. Wir folgen also zunächst seinem Bericht, obgleich die Controle anderer Nachrichten [183] bei manchen Umständen Berichtigungen und Zweifel ergeben wird44.
Baron Wezlar, ein großer Musikliebhaber, in dessen Hause Mozart eine Zeitlang gewohnt hatte (III S. 237), hatte die Bekanntschaft desselben mit da Ponte vermittelt und erwies sich auch bei dieser Gelegenheit als ein großmüthiger Gönner. Da Mozart auf da Pontes Befragen die größte Neigung bezeigte eine Oper zu schreiben aber auch die Furcht aussprach, sie werde nicht zugelassen werden, erbot sich Baron Wezlar für den Text dem Dichter ein angemessenes Honorar zu zahlen und die Aufführung der Oper, wenn die Schwierigkeiten in Wien unübersteiglich sein sollten, in London oder Paris zu erwirken. Im Vertrauen auf die Gunst und Einsicht des Kaisers indessen lehnte da Ponte dies Anerbieten ab. Als nun über das zu wählende Sujet verhandelt wurde, sprach Mozart den Wunsch aus, da Ponte möge das Lustspiel von Beaumarchais Le Mariage de Figaro – welches nach langwierigen Schwierigkeiten am 27 April 1784 zum erstenmal gegeben alle Welt beschäftigte – als Oper bearbeiten. Die Bearbeitung war diesem eine leichte Sache, aber eine große Schwierigkeit lag darin daß der Kaiser die Aufführung des Lustspiels seiner Anstößigkeit wegen auf dem Nationaltheater verboten hatte. Indessen auch diese hoffte da Ponte zu besiegen; er verabredete mit Mozart daß sie ihre Unternehmung geheim halten wollten, machte sich an den Text und allmählich, sowie er mit demselben vorrückte, schrieb Mozart die Musik dazu: in sechs Wochen war alles fertig. Glücklicherweise bedurfte man gerade neuer Opern; da Ponte ging ohne mit Jemand zu reden zum Kaiser und sagte ihm, was geschehen sei. Dieser [184] hatte Bedenken; Mozarts wegen, der zwar ein trefflicher Instrumentalcomponist sei, aber erst eine Oper geschrieben habe, an der nicht allzuviel sei (non era gran cosa), und des Stücks wegen, das er ja verboten habe. Da Ponte erklärte daß er für Mozart ebensowohl einstehe als für das Stück, welches durch die für die Oper nothwendigen Aenderungen und Abkürzungen aufführbar geworden sei; der Kaiser gab nach, ließ Mozart sogleich mit der Partitur zu sich bescheiden und befahl, nachdem er einige Stücke gehört hatte, daß die Oper aufgeführt und sogleich einstudirt werden solle. Damit waren nun außer den Gegnern Mozarts auch Casti und auf dessen Antrieb Graf Rosenberg, der auch diese Art von Musik nicht liebte45, sehr unzufrieden, und dieser machte Schwierigkeiten wo er nur konnte. Einen Zug der Art erzählt da Ponte. Der Regisseur Bussani (der Sänger, für welchen die Partie des Bartolo bestimmt war) meldete dem Grafen Rosenberg daß im Figaro – im dritten Act bei der Hochzeitsfeierlichkeit, während Susanna dem Grafen das Billet zusteckt – ein Ballet angebracht sei. Dieser ließ den Dichter kommen, erinnerte ihn daß der Kaiser kein Ballet wolle, und riß ohne auf die Einwendungen zu hören die Scene aus dem Textbuch heraus. Mozart war außer sich, als er diese Neuigkeit erfuhr, wollte den Grafen zur Rede stellen, Bussani prügeln, sich an den Kaiser wenden, die Partitur zurücknehmen – es kostete Mühe ihn zu beruhigen. In der Generalprobe war der Kaiser zugegen. Dem Befehl Rosenbergs gemäß blieb das Ballet fort, Susanna und der Graf machten während alles still war ihre nun unbegreiflichen Gesten; erstaunt fragte der Kaiser, [185] was denn das zu bedeuten habe, und befahl, als ihm da Ponte die nöthigen Aufklärungen gegeben hatte, sogleich für ein anständiges Ballet zu sorgen.
Diese Erzählung giebt, wenn auch da Ponte seine eigene Rolle etwas wichtiger gemacht hat, im Ganzen gewiß ein richtiges Bild der Verhältnisse, unter denen Mozarts Figaro zur Aufführung kam; denn wenn Kelly erzählt Mozart sei durch Spezialbefehl des Kaisers berufen worden eine Oper zu schreiben und habe den Figaro gewählt, so läßt sich das allenfalls mit da Pontes Darstellung in Einklang bringen. Mozart begann seine Arbeit im Herbst 1785, denn in einem Briefe des Vaters an die Tochter (11 Nov. 1785) heißt es: »Endlich [nach einem Stillschweigen von 6 Wochen] habe vom 2 Nov. einen Brief von Deinem Bruder erhalten und zwar in 12 Zeilen. Er bittet um Verzeihung, weil er über Hals und Kopf die Opera Le nozze di Figaro fertig machen muß. Er hat um den Vormittag zum Schreiben frey zu haben alle seine Scolaren auf den Nachmittag verlegt. An der Musik zweifle ich nicht. Das wird ihm aber vieles Laufen und Disputiren kosten, bis er das Buch so eingerichtet bekommt, wie er es zu seiner Absicht zu haben wünscht: und er wird immer daran geschoben und sich hübsch Zeit gelassen haben nach seiner schönen Gewohnheit, nun muß er auf einmal mit Ernst daran, weil er vom Grafen Rosenberg getrieben wird.« Das Drängen Rosenbergs stimmt nicht recht mit der heimlichen Vollendung der Oper von der da Ponte erzählt, man sieht wohl, er hat seine Geschichte dramatisirt. Ob die Oper wirklich in sechs Wochen geschrieben worden ist mag dahin gestellt bleiben; daß Mozart sie in seinem Verzeichniß unter dem 29 April 1786 eingeschrieben hat46 [186] beweist nur daß er sie damals unmittelbar vor der Aufführung (1 Mai) durch das Niederschreiben der Ouverture abschloß47. Bis zur Aufführung waren aber noch Schwierigkeiten zu überwinden, von denen da Ponte nichts meldet.
[187] »Es waren drei Opern auf dem Tapet«, erzählt Kelly, »eine von Righini (Il Demogorgone), eine von Salieri (La grotta di Trofonio) und eine von Mozart. Sie waren so ziemlich gleichzeitig zur Aufführung fertig und jeder Componist nahm das Recht für sich in Anspruch seine Oper zuerst aufzuführen, dadurch entstand große Uneinigkeit und es bildeten sich Parteien. Der Charakter der drei Männer war sehr verschieden. Mozart war auffahrend wie Schießpulver und schwur die Partitur seiner Oper ins Feuer zu werfen, wenn sie nicht zuerst auf die Bühne käme; seine Ansprüche wurden von einer eifrigen Partei unterstützt48. Im Gegentheil arbeitete Righini wie ein Maulwurf im Dunkeln um den Vorsprung zu gewinnen. Der dritte Candidat war Hofkapellmeister, ein schlauer, gewandter Mann, der besaß was Bakon crooked wisdom (die Weisheit der krummen Wege) nennt, und seine Ansprüche wurden von drei der Hauptsänger unterstützt, welche eine nicht leicht zu besiegende Cabale anzettelten. Jeder von den Operisten nahm an diesen Zwistigkeiten Antheil. Ich allein stand auf Mozarts Seite, natürlich genug, denn er hatte ein Recht auf meine wärmste Theilnahme durch meine Bewunderung seines mächtigen Talents und meine Dankbarkeit für manche persönliche Gefälligkeit49. Endlich wurde der Streit geschlichtet [188] durch den Befehl des Kaisers Mozarts Oper sogleich zu probiren«50.
Der Vater hatte also wohl Recht, als er der Tochter schrieb (18 April): »Am 28 geht le nozze di Figaro zum erstenmal in die scena. Es wird viel seyn, wenn er reussirt, denn ich weiß, daß er erstaunlich starke Kabalen wider sich hat. Salieri mit seinem ganzen Anhange wird wieder suchen Himmel und Erde in Bewegung zu setzen. Duschek sagte mir neulich51, daß Dein Bruder so viele Kabalen wider sich habe, weil er wegen seines besondern Talents und Geschicklichkeit in so großem Ansehen stehe.« In der That berichtet Niemtschek (S. 25), man erzähle allgemein als wahr, was sich bei so vielen glaubwürdigen Zeugen nicht in Zweifel ziehen lasse, daß welsche Sänger aus Haß, Neid und niedriger [189] Kabale bei der ersten Vorstellung durch vorsätzliche Fehler sich alle Mühe gegeben haben die Oper zu stürzen, so daß die Sänger durch eine ernste Warnung des Kaisers zu ihrer Pflicht gewiesen werden mußten, da Mozart voll Bestürzung nach dem ersten Akt in die Loge kam und ihn darauf aufmerksam machte. Indessen weiß Kelly hiervon nichts; er versichert vielmehr, die Oper sei damals so vorzüglich gegeben worden daß, wie oft und wie gut er sie auch später habe darstellen sehen, doch jene ersten Wiener Aufführungen davon so unterschieden gewesen seien wie das Licht von der Finsterniß. »Alle ersten Darsteller« sagt er »hatten den Vortheil durch den Componisten selbst unterwiesen zu werden, der seine Ansichten und seine Begeisterung auf sie übertrug. Nie werde ich sein kleines, belebtes Antlitz vergessen, wie es leuchtete, erglühend vom Feuer des Genius – es ist nicht möglich das zu beschreiben, so wenig als Sonnenstrahlen zu malen.«
»Ich erinnere mich«, fährt er fort »wie Mozart im rothen Pelz und Tressenhut bei der ersten Generalprobe auf der Bühne stand und das Tempo angab. Benucci sang Figaros Arie Non più andrai mit der größten Lebendigkeit und aller Kraft seiner Stimme. Ich stand dicht neben Mozart der sotto voce wiederholt rief:bravo, bravo Benucci; und als die schöne Stelle kam: Cherubino, alla vittoria, alla gloria militar! welche Benucci mit Stentorsstimme sang, war die Wirkung auf alle, die Sänger auf der Bühne wie die Musiker im Orchester, eine wahrhaft elektrische. Ganz außer sich vor Entzücken rief alles bravo! bravo maestro! viva! viva grande Mozart! Im Orchester konnten sie kein Ende finden mit Klatschen und die Geiger klopften mit dem Bogen auf die Notenpulte. Der kleine Mann sprach in wiederholten Verbeugungen seinen Dank für den enthusiastischen Beifall [190] aus, der ihm auf so außerordentliche Weise ausgedrückt wurde.«
Die Aufnahme von Seiten des Publicums als die Oper am 1 Mai 1786 zuerst aufgeführt wurde entsprach dieser günstigen Vorbedeutung52. »Nie hat man einen glänzenderen Triumph gefeiert« sagt Kelly »als Mozart mit seinen Nozze di Figaro.« Das Haus war gedrängt voll, fast jedes Stück mußte wiederholt werden, so daß die Oper beinahe die doppelte Zeit spielte, am Schluß aber wurde das Publicum nicht müde zu klatschen und Mozart herauszurufen. Und am 18 Mai konnte der Vater seiner Tochter schreiben: »Bei der zweyten Aufführung von der Opera Deines Bruders [3 Mai] sind fünf Stück und bey der dritten Aufführung [8 Mai] sieben Stück repetirt worden, worunter ein kleines Duetto dreimal hat müssen gesungen werden.«
Also gefallen hatte die Oper, nur zu sehr gefallen für die Zufriedenheit mancher Leute, und wer dem Kaiser den Rath gegeben hat nach den ersten Aufführungen des Figaro das Dacapo-Rufen zu verbieten, der hat sich selbst wahrscheinlich einen größeren Gefallen gethan als Mozart und den Sängern. Kelly erzählt daß Joseph nach dem Erlaß dieses Verbots in einer Probe zu Nancy Storace, Mandini und Benucci trat und sagte, er glaube ihnen dadurch eine Wohlthat erwiesen zu haben, denn das beständige Wiederholen müsse ja für sie ermüdend und höchst lästig sein. Ja, habe die [191] Storace erwiedert, es ist uns allerdings sehr lästig, und Benucci und Mandini haben durch eine Verbeugung ihre Zustimmung ausgedrückt; er aber habe dreist zum Kaiser gesagt: »Glauben Ew. Maj. ihnen das ja nicht, ne alle wünschen daß man ihnen Dacapo rufe, ich wenigstens kann es von mir bestimmt versichern« – worauf der Kaiser lachte.
Ganz von der Bühne verdrängen konnte man die Oper allerdings nicht gleich, aber man konnte dafür sorgen daß sie nicht zu oft, nicht zu rasch hinter einander gegeben wurde, damit sie sich in der Gunst des Publicums nicht zu fest setze, und das geschah. Figaro wurde im ersten Jahr neunmal gegeben53; soviele Aufführungen hatte allein noch Martins beliebter Burbero di buon core erlebt, allein sie wurden sparsam vertheilt. Als nun am 17 November Martins Cosa rara einen unglaublichen Erfolg errang54, der beim Publicum wie beim Kaiser55 den Figaro in Schatten stellte, konnte man ihn ganz beseitigen. Während der Jahre 1787 und 1788 wurde er in Wien gar nicht gegeben und erst am 29 August 1789 brachte man ihn wieder auf die Bühne.
1 Für die Geschichte der Oper in Wien sind mir außer einem mit Sachkenntniß geschriebenen Aufsatz (A. M. Z. XXIV S. 265ff.) vor allem die sorgfältigen und genauen Mittheilungen förderlich gewesen, welche ich der unermüdlichen Gefälligkeit meines Freundes Dr. Leop. v. Sonnleithner verdanke; beide liegen meinen Angaben auch wo sie nicht ausdrücklich angeführt werden, zu Grunde.
2 Müller (Abschied S. 263f.) nennt zwar in seinem Berichte Stephanie d.j. nicht, allein aus anderen Nachrichten werden seine Andeutungen leicht verständlich. Schröder schrieb an Dalberg (19 Jan. 1782): »Ich bestehe darauf daß der junge Stephanie von allen Geschäften ausgeschlossen wird, und Niemand wagt es dem Kayser vorzuschlagen daß er einen Mann abschaffe, den er eingesetzt, aber sicher der völlige Ruin des Theaters seyn wird. Ich habe in Wien von Seiten des Gehalts verloren, ich mag es nicht von Seiten der Zufriedenheit. Ueberdieß habe ich mir fest vorgesetzt einen Menschen zu bestrafen, der so vielen seiner Nebengeschöpfe geschadet hat. Auch empfindet er die Wirkungen vom Zorn des Publikums auf eine sehr harte Weise, und – ich mag weggehen oder bleiben – so wird er gewiß außer Stande gesetzt noch mehr Böses zu thun.« Schröder blieb damals; später waren es vorzugsweise Stephanies d.j. Cabalen, welche ihn von Wien forttrieben (Müller a. a. O. S. 271).
3 Meyer, Schröder I S. 358f. A. M. Z. XXIV S. 263. Hier hörte Nicolai 1781 Glucks Orpheus aufführen (Reise IV S. 537ff.).
4 Kelly Reminisc. I p. 194f.
5 A. M. Z. XXIV S. 269. Schröder schrieb an Dalberg (21 Oct. 1782): »Hier ist die deutsche Oper abgedankt, und die Komödie wird durch Reineke und Opiz verstärkt.«
6 Die neuen Opern waren
10 Jan. Gaßmann, Die unruhige Nacht (la notte critica) 3 mal.
9 Febr. Gallus, Rose oder Pflicht und Liebe im Streit 2 mal.
23 Febr. J. Weigl, Die betrogne Arglist 3 mal.
7 Joh. Mederitsch, genannt Gallus, geb. 1765 in Böhmen, bildete sich in Prag und Wien aus, und schrieb in allen Gattungen Vocal- und Instrumentalmusik. Im Jahr 1797 componirte er mit Winter gemeinsam die Ruinen von Babylon. Später privatisirte er in Lemberg und wurde dort der Lehrer und Freund W. A. Mozarts des Sohnes, dem er seine musikalische Sammlung vermachte, welche mit dessen Nachlaß ins Mozarteum zu Salzburg gekommen ist.
8 Goldonis »Diener zweier Herren« war später in Schröders Bearbeitung ein beliebtes Lustspiel. Es wäre möglich daß die beiden bereits erwähnten deutschen Arien (III S. 288) dieser Oper angehören, der Text läßt aber keine bestimmte Situation erkennen.
9 Am 20 Jan. 1781 legte Klein seine Oper »Kaiser Rudolf von Habsburg« der kurf. deutschen Gesellschaft in Mannheim vor; in einem kurzen Bericht (rhein. Beitr. z. Gelehrs. 1781 I S. 383f.) wird die selbe außerordentlich gelobt. Später bearbeitete er denselben Gegenstand zu einem Trauerspiel gleichen Titels, welches 1787 erschien.
10 Der Brief ist in einem lithographirten Facsimile mitgetheilt von Gaßner (Zeitschr. f. Deutschlands Musikvereine II S. 161); gedruckt in Maltens Weltkunde 1840 I S. 382f., im Inland 1856 N. 42 (das Original war damals im Besitz des Hrn. Koppelson in Reval), Hamb. litt. u. krit. Blätter 1857 N. 3 S. 19f.
11 Die neuen deutschen Originalopern, welche zur Darstellung kamen, waren
1785 Die Dorfhändel oder Bunt über Eck von Rupprecht.
Die Dorfdeputirten von Teyber.
1786 Die Glücklichen Jäger von Umlauf.
Der Alchymist von Schuster.
Doctor und Apotheker von Dittersdorf.
Robert und Hannchen von Hanke.
Betrug durch Aberglauben von Dittersdorf.
Zemirens und Azors Ehestand von Umlauf.
1787 Die Liebe im Narrenhause von Dittersdorf.
Das wüthende Heer von Rupprecht.
Im Finstern ist nicht gut tappen von Schenk.
Die Illumination von Kürtzinger.
12 L. Schneider hat hierüber Bericht gegeben Cäcilia XXIV S. 148ff.
13 Abgedruckt in Stephanies Singspielen.
14 Die Personen sind
Frank,
ein Schauspieldirector Hr. Stephanie d.j.
Eiler, ein Banquier Hr. Brockmann.
Buf Schauspieler Hr. Lange
Herz Schauspieler Hr. Weidmann
Mad. Pfeil
Schauspielerinnen Mad. Sacco
Mad. Krone
Schauspielerinnen Mad. Adamberger
Mad. Vogelsang
Schauspielerinnen Mad. Stephanie
Vogelsang, ein Sänger Hr. Adamberger
Mad. Herz
Sängerinnen Mad. Lange
Mad. Silberklang
Sängerinnen Mlle. Cavalieri
15 Salieris Musik ist mir unbekannt; Mosel sagt sie sei passend ohne ausgezeichnet zu sein; vergleiche man seine Partitur mit der Mozarts, so könne man nicht zweifelhaft sein, wer den Sieg davon trage (Salieris Leben u. Werke S. 90).
16 Im thematischen Verzeichniß ist »Der Schauspieldirector, eine Comödie mit Musik für Schönbrunn« unter dem 3 Febr. 1786 eingetragen; im Original (André Verz. 43) ist das Terzett bezeichnet Vienna li 18 Gennajo 1786. Die Partitur ist nicht gedruckt; der Klavierauszug ist bei Breitkopf u. Härtel, bei Simrock in Bonn, bei Heckel in Mannheim erschienen.
17 Die Ritornells, welche im Klavierauszug beide Arien einleiten, rühren nicht von Mozart her, sondern sind willkührlich zugesetzt.
18 Mozart hat das Tempo anfangs mit Allegro assai bezeichnet, dieses dann in Presto geändert.
19 Goethe Tag- und Jahresheft 1791 (Werke XXI S. 12).
20 Goethe ital. Reise (Werke XIX S. 360).
21 Der Text ist gedruckt in Diezmanns Göthe-Schiller-Museum S. 15ff. Goethe hat daran wohl schwerlich mehr Antheil als daß er die Lieder »An dem schönsten Frühlingsmorgen« und »Bei dem Glanz der Abend röthe« eingelegt hat. Der Text der Mozartschen Stücke ist nur in Kleinigkeiten etwas nachgebessert, das Ganze sehr unbedeutend und matt. Uebrigens sind einige Nummern aus Cimarosas Impresario weggelassen; dagegen noch ein Quartett – ich weiß nicht woher – und die damals unvermeidliche komische Arie des Kapellmeisters eingelegt.
22 Es sind außer dem Bandlterzett (III S. 332), und der Arie »Männer suchen stets zu naschen« (III S. 288) noch die beiden Lieder An Chloe (Oeuvr. V, 7) und Die betrogene Welt (Oeuvr. V, 3) eingelegt.
23 Richardt, der den lebhaften persönlichen Antheil schildert, welchen Kaiser Joseph an der italiänischen Oper nahm, berichtet von seinem Aufenthalt in Wien im Jahr 1783 (A. M. Z. XV S. 665f.): »So war dieOpera buffa dort damals wirklich weit besser zusammengesetzt und trieb ihre echten Kunstspäße weit ernstlicher und ganzer als irgend eine Truppe der Art in Italien. – Reichardt sah damals in Wien Così fan tutte von Mozart [dies ist ein starker Gedächtnißfehler], den Barbier von Sevilla von Paisiello und einige Opern von Cimaresa und Sarti mit vieler Kunst und sehr rühmlichem Ensemble darstellen und lernte das Genre danach gewissermaßen erst recht kennen und schätzen. Das Orchester, das damals mit Feuer und Discretion spielte, war auch vortrefflich.« Vgl. musik. Wochenbl. S. 66. Car. Pichler Denkw. I S. 78: »Unsere Bühne ward unter der Leitung des Monarchen in der italiänischen Oper vielleicht die erste damals existirende, Italien nicht ausgenommen; denn der Kaiser hatte auf seinen Reisen die Theater dieses Landes kennen gelernt, die besten Sänger und Sängerinnen selbst engagirt und von unserer Oper gingen die seconde und terze donne nach Italien zurück um als erste überall aufzutreten.«
24 Um sie zu Ehren kommen zu lassen wurde im December 1783 Glucks Iphigenie in Tauris in italiänischer Sprache aufgeführt, allein sie gefiel dem Publicum nicht mehr (Berl. Litt. u. Theat. Ztg. 1784 I S. 14). Nur ausnahmsweise wurde so eine Opera seria gegeben. Als der berühmte Castrat Luigi Marchesi (Cramer Magaz. f. Mus. I S. 559ff.) im August 1785 auf der Reise nach Petersburg in Wien war, veranlaßte ihn der Kaiser in Sartis Giulio Sabino aufzutreten, was sechsmal bei überfülltem Hause geschah. Marchesi erhielt 600 Dukaten und einen kostbaren Brillantring, die ganze Einnahme von 10171 Gulden wurde unter die mitwirkenden Sänger und Orchestermitglieder vertheilt (Müller Abschied S. 7f.).
25 Benucci verließ noch im selben Jahre Wien und an seine Stelle kam Marchesini, der aber bei weitem nicht so sehr gefiel (Berl. Litt. u. Theat. Ztg. I S. 14) so daß im folgenden Jahre Benucci wieder berufen wurde (ebend. S. 19).
26 Eine Uebersicht der in Wien in jenen Jahren aufgeführten italiänischen Opern s. Beilage XXIII.
27 Sie ward in diesem Jahr fünf und zwanzigmal wiederholt. In den etwas kühlen Berichten der Berliner Litt. u. Theat. Ztg. heißt es von der Eröffnung der italiänischen Oper (1783 S. 313): »Die erste Sängerin singt vortrefflich, dagegen ist ihre Gesticulation unausstehlich. Der Buffo wird in Ansehung des natürlichen Spiels für den besten gehalten, den man hier sah. Die übrigen sind nicht der Rede werth.«
28 In Cramers Mag. f. Mus. II S. 185 wird im Mai 1784 berichtet, Sarti sei noch immer der Lieblingscomponist und die Oper Fra due litiganti sei in Wien vier und funfzigmal aufgeführt und alle Kenner kämen überein daß es ein Meisterstück seiner Arbeit sei. Auch in deutscher Bearbeitung wurde sie unter dem Titel Im Trüben ist gut fischen viel gegeben.
29 Dies war die Oper Il ricco d'un giorno, welche am 6 Dec. 1784 mit geringem Beifall aufgeführt wurde (Mosel Salieri S. 86).
30 Das Personenverzeichniß ist folgendes:
Don Pippo Marchese di Ripasecca, innamorato di Lavina, credutosi vedovo di
Donna Pantea, sotto nome di Sandra, sua moglie.
Celidora, loro unica figlia, destinata sposa al Conte Lionetto di Casavuota, amante di
Biondello, gentiluomo ricco di Ripasecca.
Calandrino, nipote di Pantea, amico di Biondello ed amante corrisposto di
Lavina, compagna di Celidora.
Chichibio, maestro di casa di Don Pippo, amante di
Auretta, cameriera di Donna Pantea.
31 Der Brief ist im Besitz der Frau Baroni-Cavalcabo.
32 Nach den Originalskizzen (André Verz. 42) hat Julius André, einen Klavierauszug gearbeitet und veröffentlicht, der eine klare Einsicht von den ursprünglichen Entwürfen giebt.
33 Ich finde nur die Notiz, daß im Winter 1787 in Padua die Oper Lo sposo deluso vom Cav. Pado aufgeführt sei (mus. Realztg. 1789 S. 85), doch wohl eben dieselbe.
34 Die erhaltenen Nummern, Ouverture und Ouartett, zwei Arien und ein Terzett sind nach dem Autograph (André Verz. 41) in einem ergänzenden Klavierauszug von Jul. André herausgegeben.
35 Die ursprünglichen Namen sind in Klammern daneben gesetzt.
36 Joh. Abr. Fisher, geb. in London 1744, wurde in Oxford Doctor der Musik und genoß als Violinspieler und Componist einen nicht unbedeutenden Ruf. Er kam 1783 aus Rußland und hatte sich im Mai in Leipzig (Busby Gesch. d. Mus. II S. 667), im Herbst in Frankfurt hören lassen, von wo Neefe berichtete, über Lolli möchte er ihn zwar nicht stellen, aber er besitze große Fertigkeit; sein Vortrag sei rauschend wild, er ahme zu sehr den Gambenton nach (Cramer Magaz. I S. 1209f.).
37 Cramer Magaz. f. Mus. II S. 556.
38 Er wußte die Verhältnisse in dieser Art geschickt zu benutzen. Als er im Jahr 1781 mit seinem Rauchfangkehrer durchgefallen war und Mozarts Entführung große Erwartungen rege machte, kam zur rechten Zeit ein Auftrag von München für die dortige Bühne die Oper Semiramide zu schreiben, welche im Carneval aufgeführt wurde (Mosel, Salieri S. 74).
39 Mosel, Salieri S. 79. Da Ponte mem. II p. 51ff.
40 Lorenzo da Ponte hat sein Leben beschrieben in seinen Memorie, welche 1823 in Newyork in 4 Bändchen erschienen sind. Ich verdanke die Benutzung des seltnen Werkes der gefälligen Mittheilung des Herrn P. Scudo in Paris. Obgleich da Ponte versichert nur die volle Wahrheit zu erzählen, so sind nicht allein einzelne, leicht begreifliche Irrthümer, namentlich in den Zeitangaben, nachweislich, sondern es ist kaum zu bezweifeln daß er seine Person mitunter mehr als billig in den Vordergrund stellt und seine Erzählungen dafür pointirt und zustutzt. Nichts desto weniger sind seine Berichte lehrreich und der Hauptsache nach auch gewiß richtig. Sein Aufenthalt in Wien ist im zweiten Bande dargestellt, der für das Folgende eine, aber mit der nöthigen Vorsicht benutzte Hauptquelle ist. – Er war geboren in Ceneda, einem venetianischen Städtchen, im Jahr 1749, erhielt erst spät die nöthige Schulbildung und war an mehreren Orten professore di rettorica, bis er 1777 verbannt wurde. Nachdem er in Wien seit 1783 Theatraldichter gewesen war, fiel er unter Leopold in Ungnade, ging 1792 nach London, wo er anfangs bei der italiänischen Oper, später als Buchhändler lebte, und in Folge unglücklicher Geschäfte 1805 nach Amerika. Hier suchte er als Sprachlehrer, Kaufmann, Operndirigent vergebens sein Glück zu machen und starb 1838. Von da Pontes Memorie ist eine zweite Ausgabe New York 1829–30 in drei Bändchen (6 Abthlgn.) erschienen, die ich noch habe benutzen können.
41 Schick (Dramaturg. Monate II S. 539ff.) lobt die Composition als ein Meisterstück wahrer, lebendiger Theatermusik, welche durch die musterhafte Aufführung sowohl in Hinsicht des Gesanges als des raschen, jovialen Spiels das Publicum wie bezaubert habe.
42 Kelly erzählt daß da Ponte, den man für einen getauften Juden hielt, in seinem ganzen Wesen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit auffallend zur Schau trug, so daß er ihn zur großen Belustigung des Publicums in einer seiner eigenen Opern (Demogorgone) auf der Bühne copirte, was da Ponte gleichmüthig hinnahm (Rem. I p. 235f.).
43 Vincent Martin, geb. in Valencia 1754, war anfangs Organist in Alicante, lebte eine Zeitlang in Madrid, und ging 1781 nach Italien, 1784 nach Wien und 1788 als Director der Oper nach Petersburg, wo er 1810 starb.
44 Für die Geschichte des Figaro giebt namentlich Kelly (Rem. I p. 257ff.) einige interessante Notizen.
45 Er heißt »ein abgesagter Feind des Deutschen, der durchaus nichts hören kann, was nicht italiänisch ist« (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 141).
46 In Mozarts thematischem Verzeichniß ist nach dem Juli 1785 eine Lücke bis zum 5 Nov. Diese erklärt sich zum Theil durch die Krankheit, welche ihn im August und September befallen hatte; Anfang November finden wir ihn in voller Arbeit am Figaro, die also wohl schon im October begonnen hatte. Dann folgen
5. Nov. Quartett zur Villanella rapita (III S. 242ff.)
21 Nov. Terzett zur Villanella rapita (III S. 242ff.)
12 Dec. Sonate für Klavier und Violine (10)
16 Dec. Klavierconcert in Es-dur (12).
1786
3 Febr. Schauspieldirector (S. 152ff.).
2 März Klavierconcert in A-dur (13).
10 März Duett und Arie für die Privataufführung des Idomeneo (II S. 561ff.).
24 März Klavierconcert in C-moll (14).
29 April Le nozze di Figaro.
Man sieht, Mozart war während der Zeit nicht ohne Beschäftigung; von Mitte December bis Anfang Februar sind sieben Wochen frei, in denen er vorzugsweise mit der Oper beschäftigt gewesen sein mag, da das Einstudiren dann auch noch seine Zeit verlangte.
47 Ueber die Schicksale der Originalpartitur ist Nachricht gegeben N. Ztschr. f. Mus. XXXVI N. 23. Daß sie mit Mozarts Nachlaß 1791 öffentlich verkauft sei, wie dort angegeben ist, kann nicht richtig sein, denn seine Manuscripte blieben im Besitz der Wittwe, bis André sie kaufte. Wahrscheinlich hat Mozart die Partitur verschenkt, wie die zur Entführung (III S. 99) oder sie war ihm entfremdet; genug sie kam in den Besitz eines Schauspielers Schickedanz, von welchem sie im Jahr 1800 die Concertgesellschaft in Schneeberg kaufte. Nach Auflösung derselben erwarb sie Müller, Lehrer in Schneeberg, von diesem Cantor Schurig in Aue, der sie seinem Sohne, Musiklehrer V. Schurig in Dresden, übergab. Dieser hat mir mit zuvorkommender Güte die Benutzung derselben gestattet. Wie gewöhnlich sind die Nummern jede für sich geschrieben, später die Recitative eingeschaltet und das Ganze geheftet, dabei sind leider einige Extrablätter mit Blasinstrumenten verloren gegangen. Ueber eine Anzahl durch Aenderungen, welche Mozart vorgenommen hat, besonders interessante Stellen berichtete Uhlig (N. Ztschr. f. Mus. XXV S. 65ff. 77ff.), mehrere derselben sind bereits (III S. 446ff.) besprochen worden. Gedruckt ist die Partitur in Bonn bei Simrock, leider mit nicht wenigen, zum Theil recht erheblichen Abweichungen, und was das Detail der Ausführung, Vortragsbezeichnungen, Bogenstriche u.s.w. anlangt ganz ungenau.
48 Es war also gewiß nicht zufällig, daß die vornehme Dilettantengesellschaft, zu welcher Mozarts eifrigste Freunde gehörten, gerade um diese Zeit seinen Idomeneo aufführte (II S. 561).
49 Mit seiner gewöhnlichen Gutmüthigkeit half Mozart Kelly bei seinen kleinen Versuchen in der Composition und lobte sein Talent; dies brachte Kelly auf den Gedanken sich durch ernstliche theoretische Studien noch zum Componisten auszubilden. Er verlangte Mozarts Rath und dieser rieth ihm ab. »Hätten Sie« sagte er »in Neapel zur rechten Zeit Contrapunkt studirt, so hätten Sie wohlgethan; jetzt, wo Sie nur an ihr Ausbildung als Sänger denken können und dürfen, würden Sie nichts Rechtes erreichen. Bedenken Sie daß halbes Wissen ein gefährlich Ding ist. Sie haben ein hübsches Talent Melodien zu erfinden, mit ein wenig Theorie würden Sie dasselbe nur verderben, während Sie allenthalben Musiker finden die Ihnen die Fehler verbessern, die Sie etwa machen könnten. Melodie ist das Wesen der Musik. Wer Melodien erfindet den vergleiche ich mit einem edlen Racepferd, einen bloßen Contrapunktisten mit einem gemietheten Pestgaul. Darum lassen Sie es so gut sein und denken Sie an das italiänische Sprichwort: chi sa più, meno sa.« Mit wie feiner Schonung und wie treffend ist der Rath gegeben.
50 Hier ist ein kleiner Irrthum untergelaufen, denn Salieris Oper wurde schon am 12 Oct. 1785 gegeben; man sieht aber auch aus dieser Erzählung, daß schließlich der Kaiser durchgreifen mußte.
51 Duschek war mit seiner Frau aus Prag nach einem kurzen Aufenthalt in Wien Anfangs April nach Salzburg gekommen um dort eine Erbschaftsangelegenheit zu ordnen.
52 In der Wiener Zeitung (1786 N. 35) wurde nur die kurze Notiz gegeben: »Montag 1 Mai wurde im Nationaltheater zum erstenmale aufgeführt ein neues italiänisches Singspiel in 4 Aufzügen, genannt Le nozze di Figaro, nach dem französischen Lustspiel des Hrn. v. Beaumarchais bearbeitet von Hrn. Abb. da Ponte, Theatralpoeten; die Musik dazu ist von Hrn. Kapellmeister Mozart. La Sign. Laschi, welche seit kurzem hier wieder angekommen ist, und la Sign. Bussani, eine neue Sängerin, erschienen dabey das erstemal als Gräfin und Page.«
53 Die Aufführungen des Figaro fanden Statt 1. 3. 8. 24 Mai, 4 Juli, 28 August, 22 Sept., 15 Nov., 18 Dec.
54 Auch Martin hatte mit ernstlichen Cabalen der Sänger zu kämpfen, die sich weigerten, Benucci an der Spitze, seine Oper zu singen, bis der Kaiser es ausdrücklich befahl (da Ponte mem. II p. 90ff.).
55 Nach der Aufführung des Figaro äußerte Joseph gegen Dittersdorf (Selbstbiogr. S. 237), daß Mozart in seinen Theaterstücken die Sänger mit seinem vollen Accompagnement übertäube. Die leichten gefälligen Melodien Martins sagten seinem Geschmack ungleich mehr zu.
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