Nachdem die Zauberflöte zur Aufführung gebracht worden war machte Mozart sich mit allem Eifer an die Vollendung des Requiem1. Sein Freund Jos. v. Jacquin kam zu ihm um ihn zu bitten einer Dame die bereits eine treffliche Klavierspielerin war Unterricht zu geben und fand ihn am Schreibtisch mit dem Requiem beschäftigt. Mozart erklärte sich bereit, wenn man ihm noch einige Zeit Frist lasse, denn er habe eine Arbeit unter Händen die dringend sei und ihm sehr am Herzen liege; bis diese vollendet sei, könne er durchaus an nichts anderes denken2. Auch andere Freunde erinnerten sich später gar wohl, wie sie Mozart bei dieser Arbeit angetroffen hatten, die ihn bis kurz vor seinem Tode ausschließlich [679] beschäftigte3. Die rastlose Anstrengung, mit welcher er auch nachts daran arbeitete, vermehrte das Unwohlsein, an welchem er schon in Prag gelitten hatte. Schon während er mit der Vollendung der Zauberflöte beschäftigt war, halten ihn mitunter Ohnmachten befallen, dieser Zustand der Erschöpfung nahm zu, und mit ihm eine trübe Stimmung, welche ihn immer mehr beherrschte. Vergebens bot seine Frau, die dem mit Sorge zusah, alles auf ihn von der Arbeit wegzubringen und durch Gesellschaft zu erheitern, er blieb zerstreut und schwermüthig4. Als sie an einem schönen Tage mit ihm in den Prater gefahren war und sie einsam da saßen, fing Mozart an vom Tode zu sprechen und sagte ihr mit Thränen in den Augen, daß er das Requiem für sich schriebe. »Ich fühle mich zu sehr,« fuhr er fort »mit mir dauert es nicht mehr lange; gewiß man hat mir Gift gegeben – ich kann mich von diesem Gedanken nicht losmachen«5. Aufs [680] äußerste erschreckt durch diese Aeußerung gab sie sich die ersinnlichste Mühe ihm solche Gedanken auszureden und ihn wieder aufzurichten6. In der Ueberzeugung, daß die Beschäftigung mit dem Requiem seinen krankhaften Zustand erhöhe, nahm sie ihm die Partitur weg und zog den Dr. Closset als Arzt zu Rath.
Wirklich erholte er sich etwas und es wurde ihm möglich für ein Fest in der Loge eine Cantate zu componiren welche am 15 Nov. vollendet wurde, und deren Aufführung er selbst leitete7. Die gute Ausführung und der Beifall, welchen dieselbe fand, erfreute ihn und gab ihm wieder Muth und Luft zur Arbeit; er erklärte selbst seine Gedanken von Vergiftung für eine Folge seines Unwohlseins, das aber jetzt gehoben sei – nun verlangte er von seiner Frau wieder das Requiem, die es ihm auch ohne Bedenken gab, und schrieb daran weiter.
Allein diese Besserung war nur von kurzer Dauer, nach wenigen Tagen befiel ihn wieder die trübe Stimmung, er sprach wieder von Vergiftung, seine Kräfte nahmen mehr und mehr ab, es trat Geschwulst an Händen und Füßen und eine [681] fast völlige Unbeweglichkeit ein, worauf später plötzliches Erbrechen folgte. Während der vierzehn Tage, welche er bettlägerig war8, verließ ihn die Besinnung nicht; er hatte den Tod beständig vor Augen9 und sah ihm gefaßt entgegen, aber nicht ohne Schmerz trennte er sich vom Leben. Der Erfolg der Zauberflöte eröffnete ihm die Aussicht auf reichere Anerkennung und Belohnung als er bis dahin gefunden, in den letzten Tagen war die von einem Theil des ungarischen Adels ausgestellte Zusicherung einer Subscription von jährlich 1000 fl., und von Amsterdam die Anweisung eines noch höheren jährlichen Betrages gegen die Verpflichtung wenige Stücke ausschließlich für die Subscribenten zu componiren bei ihm eingegangen10: jetzt, wo er seine Existenz gesichert sah um ganz seiner Kunst leben zu können, sollte er fort und seine Frau mit den beiden kleinen Kindern einer sorgenvollen Zukunft überlassen11. Aber auch auf dem Schmerzenslager[682] blieb er sich gleich in seiner Herzensgüte und Freundlichkeit und verrieth nie die geringste Ungeduld12.
»Als er erkrankte,« so erzählt Sophie Haibl »machten wir ihm Nachtleibel um sie vorwärts anzuziehen, weil er wegen Geschwulst sich nicht drehen konnte, und weil wir nicht wußten, wie schwer krank er war, machten wir ihm auch einen wattirten Schlafrock für die Zeit daß er wieder aufstände; er bezeugte über denselben eine herzliche Freude. Ich besuchte ihn alle Tage. Einmal sagte er zu mir: ›Vermelden Sie der Mama, daß es mir recht sehr gut geht, und daß ich noch in der Octave kommen werde ihr zum Namenstage Glück zu wünschen‹«13.
Mit lebhafter Theilnahme hörte er von den Wiederholungen der Zauberflöte und abends legte er wohl die Uhr neben sich und verfolgte im Geist die Aufführung: »jetzt ist der erste Akt aus – jetzt ist die Stelle, dir große Königin der Nacht«14. Noch am Tage vor seinem Tode sagte er zu seiner Frau: »einmal möchte ich doch noch meine Zauberflöte hören,« und summte mit kaum vernehmbarer Stimme »der Vogelfänger bin ich ja«. Kapellmeister Roser, der an seinem Bett saß, stand auf, ging zum Klavier und sang das Lied, was Mozart sehr zu erheitern schien15. Auch das Requiem beschäftigte ihn fortwährend. Während er noch daran arbeitete, pflegte er jede vollendete Nummer gleich singen zu lassen und spielte die Instrumentation auf dem Piano. Am Tage vor [683] seinem Tode ließ er sich die Partitur aufs Bett bringen – es war nachmittags um 2 Uhr – und sang selbst noch die Altstimme16, Schack sang wie er es immer pflegte den Sopran, Hofer, Mozarts Schwager, Tenor und Gerl Baß. Sie waren bei den ersten Takten des Lacrimosa, als Mozart heftig zu weinen anfing17 und die Partitur bei Seite legte18
Als gegen Abend die Schwägerin kam, trat ihre Schwester, die sich sonst so wohl zu beherrschen wußte, ihr voller Verzweiflung in der Thür mit den Worten entgegen: »Gottlob daß du da bist! Heute nachts ist er so krank gewesen daß ich schon dachte, er erlebe diesen Tag nicht; wenn er heute wieder so wild, so stirbt er die Nacht«. Als sie sich dem Bette näherte, rief Mozart ihr zu: »Gut daß Sie da sind, heute Nacht bleiben Sie bei mir, Sie müssen mich sterben sehen«. Da sie sich zusammennahm und ihm solche Gedanken auszureden suchte, antwortete er ihr: »Ich habe ja schon den Todtengeruch auf der Zunge – ich rieche den Tod; und wer wird meiner Constanze beistehen, wenn Sie nicht bleiben?« Sie bat nur auf einen Augenblick zu ihrer Mutter gehen zu dürfen, der sie Nachricht versprochen habe; als sie zurückkam, fand sie Süßmayr neben Mozart am Bett in eifriger Unterhaltung über das Requiem. »Habe ich es nicht gesagt, [684] daß ich dies Requiem für mich schreibe?« sagte er, während er mit nassen Augen dasselbe durchsah. Und so sicher war er seines nahen Todes daß er seiner Frau auftrug, sie solle ehe sonst etwas davon verlaute Albrechtsberger von seinem Tode benachrichtigen, denn diesem gehöre vor Gott und der Welt seine Stelle an der Stephanskirche (III S. 191).
Spät abends kam noch der Arzt und erklärte Süßmayr im Vertrauen daß keine Hülfe mehr sei; er verordnete aber noch kalte Umschläge auf den Kopf, welche Mozart so erschütterten daß er bald darauf das Bewußtsein verlor, das sich nicht wieder einstellte. Noch in seinen letzten Phantasien schien ihn das Requiem zu beschäftigen, er blies die Backen auf und suchte mit dem Munde die Pauken nachzuahmen. Gegen Mittelnacht richtete er sich auf, seine Augen waren starr, dann neigte er sein Haupt gegen die Wand und schien einzuschlummern; um ein Uhr (5 Dec.) war er verschieden19.
[685] Frühmorgens wurde der ehrliche Deiner von der Magd herbeigerufen »um den Herren anzuziehen«; er leistete Mozart die Dienste, welche man Verstorbenen zu erweisen pflegt20. Die Leiche wurde mit einem Todten-Bruderschaftsgewande von schwarzem Tuch bekleidet auf eine Bahre gelegt, welche man ins Arbeitszimmer brachte und in der Nähe des Klaviers aufstellte. Schaarenweis strömten über Tag die Menschen herbei, welche um ihn weinten und klagten; wer ihm nahe getreten war, hatte ihn lieb gewonnen und die Bewunderung des Künstlers war jetzt eben eine allgemeine geworden, sein plötzliches Hinscheiden brachte allen die Große des Verlustes zum Bewußtsein21.
[686] Die Frau, welche schon am Tage vorher so unwohl gewesen war, daß der Arzt auch ihr Arznei verordnet hatte, war ganz gebrochen von Schmerz und Leiden und konnte sich kaum aufrecht erhalten. In ihrer Verzweiflung legte sie sich in das Bett ihres Mannes um von derselben Krankheit ergriffen zu werden und mit ihm zu sterben. Van Swieten, der sogleich zu ihr geeilt war, suchte sie zu trösten und veranlaßte daß man sie aus der traurigen Umgebung fort und zu befreundeten Familien ins Haus brachte. Er übernahm auch die Sorge für das Begräbniß und in Berücksichtigung der dürftigen Verhältnisse, in welchen die Wittwe sich nunmehr befand, war er bedacht die Beeidigung so einfach und billig als möglich einzurichten22. Daß er, der reiche Mann und vornehme Gönner, außer der Sorge auch die Kosten für eine anständige Bestattung des großen Künstlers hätte übernehmen können – der Gedanke scheint ihm gar nicht eingefallen zu sein.
Am 6 December23 Nachmittags 3 Uhr wurde die Leiche Mozarts bei St. Stephan eingesegnet; nicht im Innern der Kirche, sondern an der Nordseite derselben in der Kreuzkapelle, an der die Capistranskanzel sich befindet. Es war ein heftiges Regen- und Schneewetter und die wenigen Freunde, welche sich zum Leichenbegängniß eingefunden hatten, standen mit Regenschirmen um die Bahre, die dann durch die große[687] Schulerstraße dem Friedhof von St. Marx zugeführt wurde. Da das Unwetter immer mehr zunahm, entschlossen sich die Leidtragenden beim Stubenthor umzukehren24; kein Freund stand an der Gruft, als man die Leiche hinabsenkte. Aus Sparsamkeit war kein eigenes Grab angekauft, der Sarg wurde in einer allgemeinen Grube beigesetzt, welche gewöhnlich fünfzehn bis zwanzig Särge aufnehmen und alle zehn Jahr neu ausgegraben und neu besetzt werden; kein Mal bezeichnete Mozarts letzte Ruhestätte. Der treue Deiner, welcher der Einsegnung beigewohnt hatte, fragte bei der Wittwe an, ob sie nicht dem Verstorbenen ein Kreuz wolle setzen lassen; sie erwiederte ihm, er bekomme so eins. Sie war nämlich der Meinung, wie sie später wiederholt erklärt hat, daß die Pfarre wo die Einsegnung Statt finde auch für das Kreuz sorge. Als sie später, nachdem ihr Unwohlsein gehoben und der erste Schmerz gemildert war, mit mehreren Freunden den Kirchhof besuchte, fand sie einen neuen Todtengräber vor, der ihr das Grab Mozarts nicht zeigen konnte, alles Suchen war vergebens. So ist denn trotz oft wiederholter Bemühungen die Grabstätte Mozarts nicht mit Sicherheit ermittelt worden25.
[688] Die arme Constanze sah sich mit ihren beiden Kindern in der traurigsten Lage. An baarem Geld waren bei Mozarts Tode 60 fl. vorhanden, und an rückständiger Besoldung hatte sie 133 fl. 20 kr. zu fordern, der ganze Hausrath, die Garderobe und die kleine Bibliothek Mozarts eingerechnet, ward auf noch nicht 400 fl. geschätzt. Aber Schulden waren zu bezahlen, nicht bloß an edelmüthige Gläubiger wie Puchberg, der ihr bei der Ordnung der Verlassenschaft treulich beistand und an seine Forderung nicht dachte, sondern an Handwerker und Kaufleute, die bezahlt sein wollten – allein die Apothekerrechnungen betrugen mehr als 250 fl.26 In dieser Noth wandte sie sich zuerst an die Großmuth des Kaisers. Eine dankbare Schülerin Mozarts benachrichtigte sie daß dieser durch verläumderische Zuträgereien von den Ausschweifungen denen Mozart ergeben gewesen sei, die ihn in eine Schuldenlast von nicht weniger als 30000 fl. gestürzt hätten, sehr ungünstig gegen ihn gestimmt sei, und rieth ihr dem [689] Kaiser ihr Gesuch um Pension persönlich zu überreichen und ihn über den Ungrund jener Gerüchte aufzuklären. In der Audienz erklärte sie freimüthig, das große Talent Mozarts sei es, welches ihm Feinde zugezogen habe, von denen er unausgesetzt durch Cabalen und Verläumdungen verfolgt worden sei. So habe man die Summe seiner Schulden verzehnfacht, mit 3000 fl. wolle sie allen Ansprüchen gerecht werden. Auch seien diese Schulden nicht leichtsinnig gemacht, sie wären ohne sicheres Einkommen gewesen, häufige Kindbetten und eine schwere Krankheit von anderthalb Jahren hätten übermäßige Ausgaben veranlaßt. Zufriedengestellt durch diese Mittheilungen verlieh Leopold II ihr eine Pension von 260 fl. und forderte sie auf ein Concert zu geben, an welchem er sich so großmüthig betheiligte daß sie ihre Schulden bezahlen konnte.
Eine ihrer nächsten Sorgen war das Requiem27. Mozart hatte das Requiem unvollendet hinterlassen, sie mußte erwarten daß der Besteller desselben die Annahme verweigern, nicht nur das rückständige Honorar nicht zahlen sondern Erstattung des gezahlten verlangen würde. In dieser Verlegenheit entstand ihr und berathenden Freunden der Gedanke, ob nicht aus dem was Mozart hinterlassen habe das Requiem mit einiger Nachhülfe vollendet und damit der Besteller zufrieden [690] gestellt werden könne28. Die Beendigung desselben wurde mehreren Musikern angetragen, sie lehnten die bedenkliche Unternehmung ab, einige weil es ihre Zeit ihnen nicht erlaubte, andere weil sie »ihr Talent nicht mit dem Talent Mozarts compromittiren« wollten; leicht möglich daß auch noch andere Bedenken sie bestimmten. So kam die Sache an Süßmayr, der dazu besonders geeignet schien; er war damals Mozarts Schüler in der Composition, war ihm schon beim Titus zur Hand gegangen (S. 568f.) und hatte, während Mozart am Requiem componirte, die fertigen Stücke mehrmals mit ihm durchgesungen und durchgespielt, dieser hatte sich über die Ausarbeitung des Werks oft mit ihm besprochen und über den Gang und die Gründe der Instrumentation ihm Auskunft ertheilt. »Als Mozart sich schwach fühlte«, berichtete später die Wittwe an Stadler (Nachtr. S. 40) »mußte Süßmayr öfter mit ihm und mir das was geschrieben war durchsingen, und so bekam er förmlichen Unterricht von Mozart. Und ich höre noch Mozart, wie oft er zu Süßmayr sagte: Ei, da stehen die Ochsen wieder am Berge, das verstehst du noch lange nicht!« – eine Aeußerung, welche auch ihrer Schwester Sophie lebhaft im Gedächtniß geblieben war. Dies wird vollkommen klar, wenn man sich an die Art erinnert, wie Mozart seine Compositionen aufschrieb und ausarbeitete (III S. 443ff.), die uns hier vor Augen liegt.
Die beiden ersten Sätze Requiem und Kyrie hatte Mozart [691] ganz beendigt und in vollständiger Partitur niedergeschrieben, hieran war nichts mehr zu thun29. Aber vom Dies irae hatte er nur in seiner bekannten Weise die Partitur entworfen, die Singstimmen vollständig ausgeschrieben mit dem mitunter bezifferten Baß, und von den Instrumenten bei den Ritornellen und Zwischenspielen und wo sie sonst bei der Begleitung in eigenthümlicher Weise hervortreten die Motive angedeutet, als Merkzeichen für die Ausführung, die einer späteren Zeit vorbehalten blieb. Auf solche Weise war die Partitur angelegt bis zum letzten Verse des Dies irae; mit den Worten
qua resurget ex favilla
iudicandus homo reus
hatte Mozart aufgehört.
Er hatte aber die verschiedenen Theile des Requiem nicht hinter einander fort componirt, sondern einzelne Stücke, wie es die Stimmung gab, concipirt. So hatte er, bevor das Dies irae völlig beendigt war, schon das Offertorium componirt, welches in den beiden Sätzen Domine Jesu Christe und Hostias im vollständigen Partiturentwurf in derselben Weise von ihm beendigt war.
Man begreift nun wie Mozart, während er diesen Partiturentwurf mit seinem Schüler Süßmayr am Klavier oder Pulte durchging, mit ihm über die Ausführung der Instrumentation eine belehrende Unterhaltung führen konnte, wie er ihn sich versuchen ließ und dann über die Art, wie es zu machen sei und wie er es sich gedacht habe, nähere Aufklärung [692] gab, so daß Süßmayr in der That in vieler Hinsicht ein lebendiges Bild von der vollständigen Partitur wie sie werden sollte im Kopfe tragen und vielfach Mozarts Hand getreu herzustellen im Stande war. Und davon legt die Ausführung selbst Zeugniß ab. Von den übrigen Sätzen Sanctus, Benedictus und Agnus Dei waren solche Partituranlagen nicht vorhanden.
Süßmayr copirte nun zunächst alles was Mozart so angelegt hatte, »damit nicht zweierlei Handschriften in einander wären« wie die Wittwe an André schrieb (Cäcilia VI S. 202), und trug dann in diese seine Copie die fehlende Instrumentation so ein wie es ihm der Absicht Mozarts am meisten zu entsprechen schien. Die Originalentwürfe Mozarts kamen in anderen Besitz; die Blätter (11–32) welche das Dies irae bis Confutatis einschließlich enthalten, erhielt später von ihrem unbekannten Eigenthümer der Abbé Stadler und überließ sie der k.k. Hofbibliothek in Wien; die übrigen Blätter (33–45) Lacrimosa, Domine undHostias enthaltend, erwarb Kapellmeister Eybler und schenkte sie derselben Bibliothek30. Daß sie von Mozart bestimmt waren ausgeführt und mit dem Requiem und Kyrie zu einer Partitur vereinigt zu werden, beweist schon die von seiner Hand herrührende fortgehende Foliirung; auch ist kein Beispiel bekannt daß er eine so angelegte [693] Partitur je wieder abgeschrieben habe um sie ganz auszuführen31.
Süßmayrs bestimmter Angabe zufolge hatte er dann den Schluß des Lacrimosa, das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei »ganz neu« verfertigt, nur habe er »um dem Werk mehr Einheit zu geben« die Fuge des Kyrie mit den Worten cum sanctis wiederholt.
Das so vervollständigte Requiem wurde nun, die ersten beiden Sätze in Mozarts Original, die übrigen in Süßmayrs Handschrift, wie Stadler (Verth. S. 13) berichtet, dem Besteller übergeben. Sollte dieser aber das Ganze für Mozarts Werk annehmen, so mußte auch der Augenschein diese Vorstellung ihm bestätigen. In welchem Grade dieser vorhanden war zeigt die demselben eingehändigte Partitur, welche im Jahr 1838 Eigenthum der k.k. Hofbibliothek wurde32. Der erste Eindruck war und ist für Jeden der sie sieht und Mozarts Handschrift kennt daß das [694] Ganze von ihm geschrieben sei und so wurde denn in der ersten Freude verkündigt daß man Mozarts Originalpartitur des ganzen Requiems aufgefunden habe33. Genauere Prüfung und Ueberlegung rief allerdings Bedenken hervor, man fand Abweichungen, wenn auch geringfügige, in manchen Zügen und auf eine an sie gestellte Anfrage erwiederte die Wittwe Mozarts (10 Febr. 1839), eine vollständige Partitur von Mozarts Hand könne es nicht geben, denn er habe das Requiem nicht beendigt, sondern Süßmayr. Die Vergleichung mit mehreren von Süßmayr unzweifelhaft geschriebenen Partituren – einem Terzett und einer Baßarie, welche er als Einlagstücke zur Serva padrona im Jahr 1793 componirt hatte – löste das Räthsel. Hier fand sich genau dieselbe Handschrift, dieselbe frappante Aehnlichkeit mit der Mozartschen, dieselben abweichenden kleinen Züge, welche dort befremdet hatten, kurz, es konnte nicht zweifelhaft bleiben, daß Süßmayr die Partitur vom Dies irae geschrieben hatte, welche auch eine neue von Fol. 1 anfangende Foliirung erhalten hat, die mit dem Sanctus von Neuem beginnt. An einer Stelle verräth sich auch der Abschreiber durch ein Versehen. Die Schlußtakte des Tuba mirum sind von Mozart in den Saiteninstrumenten so notirt
[695] Beim Uebertragen in seine Copie übersah Süßmayr dies, den Octavengang der Violinen, die charakteristische Bewegung der Bratsche zum Schluß; was er statt dessen schrieb sind keine Verbesserungen des Erfinders34.
Süßmayr hatte also im Verkehr mit Mozart absichtlich oder unbewußt seine Handschrift so nach der seines Meisters gebildet daß sie derselben bis auf kleine Abweichungen zum Verwechseln ähnlich war; solche Erscheinungen kommen wohl vor, Joh. Seb. Bachs zweite Frau schrieb ihrem Manne so gleich daß nur ein Geübter ihre Handschriften unterscheiden kann, Joachims Notenschrift war früher wenigstens der von Mendelssohn täuschend ähnlich. Diesmal kam diese Gewohnheit oder Fertigkeit für den Wunsch dem Besteller des Requiems die Vorstellung einer Mozartschen Handschrift zu geben nur zu gelegen. Es ist kein Zweifel, daß Graf Walsegg die Partitur als eine von Mozart vollendete und geschriebene [696] erhielt und annahm – ob es ausdrücklich ausgesprochen wurde oder als natürliche Voraussetzung galt muß dahin gestellt bleiben –; daß dieser eine Täuschung ganz anderer Art damit vorzunehmen beabsichtigte ist eigenthümlich genug, macht aber die mit ihm vorgenommene nicht besser35.
Unter diesen Umständen lag der Wittwe allerdings daran daß das Geheimniß bewahrt bliebe und das Requiem als von Mozart vollendet gelte36, allein dies war kaum möglich, da verschiedene darum wußten. Sie hatte eine Copie für sich zurückbehalten, nach welcher bald eine Aufführung in Wien im Jahnschen Saal unter großem Zudrang veranstaltet wurde. Bei dieser war Sängern und Instrumentisten, wie Stadler versichert (Nachtr. S. 6), wohl bekannt, was von Mozart und was von Süßmayr herrührte und durch Tradition pflanzte sich diese Kunde fort37. Die Wittwe überreichte einzelne Copien vornehmen Herren – Friedrich Wilhelm II honorirte ihr dieselbe mit 100 Dukaten (Cäcilia VI S. 211) – und gestattete daß auch andere sich Abschriften [697] nahmen38; Hiller schrieb sich mit eigener Hand die Partitur ab und setzte auf dem Titel dazu Opus summum viri summi, führte das Requiem dann auch auf39 – dabei war nicht die Rede davon daß es nicht ganz von Mozart sei40. Sie wünschte nun das Requiem, das soviel Aufsehen machte, zu ihrem Vortheil zu publiciren und dachte daran, da dies bei der Bestellung ausdrücklich untersagt war, durch die Zeitung den Anonymus um seine Einwilligung zu ersuchen41, indessen gab sie diesem Gedanken keine Folge. Inzwischen [698] theilte die Breitkopf und Härtelsche Handlung, welche keine Rücksicht auf den Besteller zu nehmen hatte, ihr die Abficht mit das Requiem nach mehreren Copien, welche sie an sich gebracht hatte, herauszugeben und ersuchte sie der größeren Correctheit wegen um Mittheilung der ihrigen; da sie die Herausgabe doch nicht hindern konnte, glaubte sie dieses gewähren zu dürfen. Auf näheres Befragen, das durch jene Gerüchte veranlaßt war, ob es mehr als ein Requiem von Mozart gebe, ob dieses ganz von ihm herrühre, gab sie nun die summarische Auskunft (27 März 1799): »Was das Requiem betrifft, so habe ich freilich das berühmte, was er kurz vor seinem Tode geschrieben hat. Ich weiß nur von diesem einzigen Requiem, alle übrigen darf ich für unecht erklären42. Wie weit es von ihm selbst ist – es ist so bis nahe aus Ende – werde ich Ihnen sagen, wenn Sie es von mir erhalten. Folgende Bewandniß hat es damit. Als er seinen Tod vorhersah, sprach er mit Hrn. Süßmayr, jetzigem k.k. Kapellmeister, bat ihn, wenn er wirklich stürbe ohne es zu endigen, die erste Fuge, wie ohnehin gebräuchlich ist, im letzten Stück zu repetiren und sagte ihm ferner, wie er das Ende ausführen sollte, wovon aber die Hauptsache hie und da in Stimmen schon ausgeführt war. Und dieses ist denn auch durch Hrn. Süßmayr wirklich geschehen.« Später verwies sie die Verleger wegen des Näheren an Süßmayr selbst und dieser gab nun die gewünschte Auskunft in dem oben erwähnten Briefe (8 Febr. 1800). Einen bestimmten Auftrag von Mozart überhaupt und wegen der Schlußfuge erhalten zu haben behauptet er selbst nicht, und man sieht wohl daß die [699] Wittwe ihre überhaupt nicht sehr klare Vorstellung von dem ganzen Hergang möglichst zu Gunsten der Integrität des Requiems gewendet hat.
Graf Walsegg, der für sich schon eine Aufführung des Requiems veranstaltet und Abschriften gemacht hatte, die seinen Namen als Componisten trugen43, konnte mit den Aufführungen desselben, der Verbreitung von Copien, welche Mozart als wahren Urheber bekannt machten, nicht zufrieden sein, indessen verhielt er sich doch dabei ruhig. Als aber die Verlagshandlung im Jahr 1799 bekannt machte (A. M. Z. I Int. Bl. S. 97f.), sie werde Mozarts Requiem, seine letzte und vollendetste Musik, nach dem von Mozarts Wittwe hiezu mitgetheilten »Manuscript« veröffentlichen, als andere Blätter berichteten, Mozarts »Original« sei von seiner Wittwe dazu hergegeben, als von der anderen Seite die Gerüchte zu ihm drangen, das Requiem sei nur theilweise von Mozart, glaubte er sein Recht wahren zu müssen. Er sandte die ihm eingehändigte Partitur seinem Advokaten Dr. Sortschen in Wien und ließ durch diesen von der Wittwe Mozart Aufklärung und Entschädigung verlangen. In ihrem Namen verhandelten Stadler und Nissen mit dem Advokaten. Stadler [700] gab Bericht über die Art der Vollendung, bezeichnete genau was von Mozart und was von Süßmayr herrührte, jener schrieb alles auf um es dem Grafen, der seine Partitur zurückerhielt, mitzutheilen44. Was die Entschädigungsfrage anlangte, so schrieb die Wittwe an Härtel (30 Jan. 1800), – dem sie meldete, er habe ein Wunderwerk gethan, einen Todten erweckt, indem auf seine Anzeige sich der Besteller des Requiems eingefunden habe, der von sehr hohem Range sei – er spreche von Rückerstattung von 50 Dukaten, habe sich aber verlauten lassen, er werde sich vielleicht mit einer Anzahl von Exemplaren begnügen. Bei der von Nissen geführten Unterhandlung ließ sich der Graf »nach ernsten Beschwerden und Drohungen« endlich durch die Mittheilung von Abschriften mehrerer ungedruckter Mozartscher Compositionen zufrieden stellen45, erlaubte auch daß die Wittwe die gedruckte Partitur nach der seinigen noch einmal durch Stadler genau revidiren ließ46.
[701] Aus diesem nicht durchaus erfreulichen Bericht ergiebt sich als das Thatsächliche daß Requiem undKyrie so wie es uns vorliegt vollständig von Mozart ausgearbeitet ist, daß die Sätze vom Dies irae bis zu den ersten acht Takten des Lacrimosa so wie Domine Jesu und Hostias in den Singe stimmen und dem Baß von Mozart vollendet sind, der auch von der Instrumentation die Hauptpunkte angedeutet hat, so daß es sich hier nur um Einzelheiten der Ausführung handeln kann, die allerdings nicht so gleichgültig und rein handwerksmäßig ist, wie man es wohl dargestellt hat, bei der aber die mündliche Unterweisung Mozarts auch nicht zu gering angeschlagen werden darf. Was die letzten drei Stücke anlangt, so steht Süßmayrs Behauptung daß sie »ganz neu von ihm verfertigt« seien, kein bestimmtes Zeugniß, keine sichere Thatsache entgegen. Die Angabe Stadlers (Vertheidigung S. 46): »die Wittwe sagte mir, es hätten sich auf Mozarts Schreibpulte nach seinem Tode einige wenige Zettelchen mit Musik vorgefunden, die sie Hrn. Süßmayr übergeben habe; was dieselben enthielten und welchen Gebrauch Süßmayr davon gemacht habe wußte sie nicht« – läßt die Möglichkeit zu daß diese Zettelchen vorläufige Skizzen zu den letzten Sätzen enthielten, aber auch nur die Möglichkeit47. Die [702] wiederholt geäußerten Bedenken ob »diese Blumen wirklich in Süßmayrs Garten gewachsen seien« können mithin allein auf innere Gründe gestützt werden.
Von dem Ernst, mit welchem Mozart die Aufgabe der Seelenmesse ergriff, von der Innigkeit, mit welcher er sich in dieselbe versenkte, von der künstlerischen Arbeit, welche er an dieselbe setzte, legt das Werk selbst das beste Zeugniß ab48. Es ist merkwürdig, wie er in der letzten Zeit seines Lebens, wo ihn zunehmende Kränklichkeit ernster stimmte, durch seine künstlerischen Aufgaben zur Betrachtung des Todes und der Vorstellungen welche die menschliche Seele über das Grab hinaustragen geführt wurde. Von der einen Seite waren es die freimaurerischen, von ihm tief ergriffenen, Anschauungen, welche in der Zauberflöte ihren Ausdruck erhielten, von der anderen die religiösen Vorstellungen des Cultus, welcher die Macht über sein Gefühl keineswegs verloren hatte (I S. 491)49. Die Anregungen, welche von beiden Seiten kamen, widersprachen sich nicht etwa, sie ergänzten sich vielmehr, und aus dem Mittelpunkt, in welchem sie in seiner Seele sich begegneten, gingen die kräftigsten und bedeutendsten künstlerischen Impulse hervor. Die Verwandtschaft der Stimmung, aus welcher beide Kunstwerke hervorgingen, zeigt sich zunächst schon in der Uebereinstimmung der äußern Mittel, welche für die Darstellung der entsprechenden Partien der Zauberflöte und des Requiems gewählt sind. Die Zusammenstellung von [703] Bassethörnern, Fagotts und Posaunen neben den Saiteninstrumenten, zu welchen an geeigneter Stelle Trompeten und Pauken hinzutreten, welche dem mysteriösen Element der Zauberflöte schon durch die Klangfarbe einen so eigenthümlichen Ausdruck ernster Feierlichkeit und erhabener Pracht geben, ist auch im Requiem wieder angewandt. Aber hier ist um den Ton ernster und einheitlicher zu halten die Farbenmischung noch beschränkt, die helleren Blasinstrumente Flöten, Oboen, Clarinetten, auch die weichen Hörner werden gar nicht gebraucht; und auf der verschiedenen Combination der oben genannten Instrumente allein beruht die dennoch mannigfaltige Charakteristik durch das Orchester.
Wenn schon in der Oper die Ansicht zur Geltung gebracht wird daß dem Ernst des Gedankens auch die Strenge in der Behandlung der Form entspreche, so tritt dieselbe im Requiem noch bestimmter hervor, so fern Mozart auch von dem Vorurtheil sein mußte, daß der musikalische Ausdruck der Andacht, der religiösen Empfindung dadurch daß er mit dem Cultus in Verbindung tritt ausschließlich an gewisse Formen gebunden sei. Auch das ehrenwerthe Gefühl des Künstlers, der, wo er mit seiner Kunst dem Höchsten dient, nicht allein seine besten Empfindungen sondern auch seine beste Arbeit darzubringen wünscht, mag seinen Einfluß geübt haben, und daß Mozart durch das Studium der Händelschen Oratorien, durch den mächtigen Eindruck der Bachschen Motetten neu angeregt an der strengen contrapunktischen Schreibweise besondere Freude hatte, das beweisen außer der Zauberflöte schon die beiden Stücke für die Orgel, welche im Dec. 1790 und März 1791 componirt sind. Wesentlich bestimmend aber mußte die Einsicht sein daß die streng geschlossene, einheitliche Form der contrapunktischen Behandlung der gehaltenen, ernst zusammengenommenen Stimmung entspreche, ohne dem [704] lebendigen und charakteristischen Ausdruck Fesseln anzulegen. Darin beruht auch zum guten Theil die Bedeutung des Requiem daß es erweist, wie diese nach festen Gesetzen bestimmt ausgeprägten strengen Formen weder eine bloß abstracte noch allein historische Geltung haben, sondern künstlerisch empfunden und meisterlich geübt dem tiefsten Gefühl, wie es unserer Zeit eigen ist und in einer bedeutenden Individualität sich ausspricht, seinen eigenthümlichen Ausdruck verleihen.
Bei der Betrachtung des Requiem sind die verschiedenen Theile der Seelenmesse ihrer verschiedenen Bedeutung nach, welche ihnen die Beziehung zum Cultus giebt, wohl zu unterscheiden, indem dadurch auch der musikalische Charakter bestimmt wird50.
Dem Kyrie51 geht der Introitus voran, welcher mit einem Gebet für die ewige Ruhe der Entschlafenen beginnt. Von einer einfachen Begleitung der Saiteninstrumente unterstützt lassen die Fagotts und Bassethörner, welche imitirend nach einander eintreten, die getragene sanfte Melodie dieser Bitte hören; sie wird durch vier erschütternde Accorde der Posaunen unterbrochen, die mit ernster Mahnung auf das kommende Gericht hinweisen und dann nicht wieder vernommen werden, bis dasselbe hereingebrochen ist. Unmittelbar darauf setzen die Singstimmen ein, vom Baß aufwärts nach [705] einander einfallend; aber durch das Hinzutreten der mächtigen syncopirten Figur in den Violinen
erhält die flehentliche Bitte zugleich den Ausdruck einer schmerzlichen Unruhe, welche der Gedanke an den Tod und das bevorstehende Gericht hervorruft, bis die Vorstellung des himmlischen Lichts das ihnen leuchten soll zu einem Ausruf voll Kraft und Klarheit drängt, den das Orchester wiedergiebt und zu einem beruhigenden Abschluß führt. Nach einem kurzen Uebergang treten darauf die Worte des Psalms ein: »Gott man lobt dich in der Stille zu Zion und dir bezahlet man Gelübde.« Um sie als die Schriftworte hervorzuheben hat Mozart sie einer alten Choralmelodie52 untergelegt, welche eine Sopranstimme, von einer sanften figurirten Begleitung der Saiteninstrumente umspielt, hell und klar, wie einen von oben kommenden Trost verkündet. Und während der Chorsopran dieselbe Melodie fest und kräftig aufnimmt mit den Worten »Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu dir!« fallen die anderen Stimmen in lebhafterer Bewegung ein und eine energische Figur der Violinen steigert die Kraft des Ausdrucks. Nun erhebt sich auch die erneuerte Bitte um Ruhe zu kräftigerem Ausdruck der Zuversicht [706] ohne doch den Grundcharakter der schmerzlichen Erregung aufzugeben. Dies wird dadurch erreicht daß mit dem ersten Motiv ein zweites von lebhafterer Bewegung aber festem Gang vereinigt und durchgeführt wird, welches schon angedeutet war, indem es den Uebergang zu den Psalmworten bildet, wie denn auch die jene Worte begleitende Figur aus demselben abgeleitet ist; hier kommt sie nun zur vollen Geltung und so fällt die psychologische Motivirung mit der musikalischen Steigerung zusammen. Diese erreicht ihre Spitze in dem verlangenden Wunsch nach dem ewigen Licht, den die getheilten Stimmen einander entgegenrufen, um ihn gemeinsam in inbrünstiger Bitte leise zu wiederholen.
Die Anrufe Kyrie eleison! und Christe eleison! sind mit einander verbunden, als die beiden Themata einer Doppelfuge, welche in unauflöslicher Verschlingung, das erste in festem kräftigem Schritt, das zweite in unruhig treibender Bewegung, deren Ausdruck durch die chromatische Gestaltung gegen den Schluß noch sehr erhöht wird, mit einander fortschreiten, bis sie in stets wachsender Steigerung auf einem herb dissonirenden Accord zusammen aushalten und sich dann zu ruhiger Fassung sammeln. Diese von Vielen hochbewunderte Fuge hat dagegen auch den schärfsten Tadel in den verschiedensten Rücksichten erfahren. Man hat sie aus technischen Gründen gar nicht für eine Fuge gelten lassen wollen53; [707] G. Weber that es weh zu glauben daß Mozart den Chorstimmen »wilde Gurgeleien«, wie die »krausverbrämten chromatischen Schlangengänge« des Christe eleison hätte aufbürden können (Cäcil. III S. 216ff.); man hat sie der in den Worten enthaltenen feierlichen Bitte, dem Ausdruck frommen demüthigen vor dem Mittler inbrünstigen Flehens nicht genügend gefunden54.
Ob die Behandlung der Tonarten diesem Musikstück die Bezeichnung einer strengen Fuge entziehe mögen die Meister der Schule entscheiden, unleugbar beruht auf derselben der Charakter und die Wirkung desselben, und daß die wesentlichen Gesetze der contrapunktischen Schreibart, auf denen die Fuge beruht, hier mit tiefem Sinn aufgefaßt und angewendet sind wird kein Vorurtheilsfreier leugnen55. Die Ausführung der [708] chromatischen Passagen ist allerdings schwierig, allein – ganz abgesehen davon daß ältere und gleichzeitige Meister die für geschulte Singchöre schrieben, daß z.B. Bach, Händel, Haydn ganz ähnliche Anforderungen stellten – bei richtigem Tempo sehr wohl möglich und die Wirkung bedeutend und offenbar die von Mozart beabsichtigte. Denn was die Auffassung anlangt, so bedarf es keiner Entschuldigung56, sie ist deutlich ausgesprochen und wohl berechtigt. Der Anruf »Herr erbarme Dich!« ist eines sehr verschiedenen Ausdruckes fähig, es ist nicht nothwendig die feierliche Bitte, das innig fromme Flehen; wer in Todesangst ist, wer von großer Schuld belastet vor den ewigen Richter tritt, in dessen Munde wird er zum schmerzlichen Nothschrei. Schon im ersten Satz hat Mozart, wie wir sahen, deutlich diese Stimmung des durch den Gedanken an den Tod und das Gericht beim Bewußtsein seiner Schuld innerlich aufgeregten Menschen ausgedrückt, sie steigert sich zum Schluß des Requiem in der heiß verlangenden Sehnsucht nach dem ewigen Licht auf eine Weise, daß die angstvolle, wenn auch des Vertrauens nicht baare Bitte des Kyrie vollkommen vorbereitet ist. Beides drückt sich in den beiden Motiven der Fuge aus, obgleich dem Charakter der Seelenmesse ganz entsprechend auch die [709] Zuversicht von dem Gefühle des Schmerzes durchdrungen ist. In dieser von Schmerz und Angst erregten Stimmung drängt sich natürlich das aufregende Element immer stärker hervor, die ängstliche Spannung des Gemüths steigert sich höher und höher, bis sie endlich in den herzzerreißenden Nothruf ausbricht, der wiederum zur Besinnung und Sammlung führt. Diese Stimmung, die nicht von der wehmüthigen Erinnerung an theure Entschlafene zu sanfter Rührung bewegt wird, sondern tief aus dem Gemüthe des von dem Donnerwort der Ewigkeit ergriffenen sündenbewußten Menschen hervorgeht, ist nicht bloß berechtigt sondern bedeutender als jene weichere, sie ist echt kirchlich, und mit ergreifender psychologischer Wahrheit, mit richtiger Wahl der künstlerischen Mittel dargestellt. Aus ihr heraus sind die beiden Sätze des Requiem und Kyrie zu einem Ganzen von harmonischer Einheit gestaltet, welche zugleich durch diese ihre Haltung das Dies irae vorbereiten.
Dieser unverkennbaren Einheit der Stimmung und künstlerischen Darstellung gegenüber erscheint die Thatsache um so befremdlicher, daß in Hauptmotiven derselben ein bestimmender Einfluß Händels sich geltend macht. Stadler machte darauf aufmerksam (Vertheidigg. S. 17) daß das Motiv des Requiem dem ersten Motiv in Händels Trauermusik auf den Tod der Königin Karoline57 entsprechend sei. »Er fand in diesem Anthem eine sehr geeignete Idee zu einem Requiem, benützte sie, wie es einige Blätter seines Nachlasses bezeugten, und führte sie nach seiner eigenen Art aus.« Die Erwähnung [710] dieser Blätter ist von Interesse, es können damit wohl nur die vorläufigen Skizzen dieser Partie des Requiem gemeint sein, wie sie Mozart bei allen seinen Werken da wo es auf contrapunktische Arbeit ankam zu machen pflegte, ehe er die Partitur niederschrieb (III S. 452), und wie er sie bei der Ausarbeitung des Requiem in großer Anzahl gemacht haben muß, bevor er an die in einem Zuge fortgeschriebene Partitur gehen konnte. Daß diese Blätter aus Mozarts Jugendzeit herrührten ist eine schwerlich gegründete Meinung Stadlers; wir wissen daß Mozart in seiner Jugend Händel nicht studirt hat, daß er ihn erst durch van Swieten seit 1782 recht kennen lernte (III S. 372ff.) und daß seine Studien neu angeregt wurden durch den Auftrag Händelsche Oratorien zu bearbeiten in den Jahren 1788–1790 (S. 456ff.). Früher ist ihm auch wohl das Anthem nicht bekannt geworden, auch hat er sich schwerlich das Motiv herausgezogen um es anders zu bearbeiten; es hatte sich ihm eingeprägt, bot sich ihm, als er die Worte des Requiem erwog, von selbst dar und ist, vielleicht unbewußt, selbständig ausgebildet worden. Denn ein Blick auf die in der Notenbeilage (X, 1 a. b) gegebene Zusammenstellung beider Motive wild leicht überzeugen, daß zwar ein ganz bestimmter Einfluß Händels wirksam war, daß aber, wenn Mozart mit dessen Capital wirthschaftete, Arbeit und Ertrag ihm angehören, und dies wird eine Vergleichung der vollständigen Musikstücke noch mehr bestätigen.
Dazu kommt aber daß Mozart nach Stadler auch zu dem Kyrie das Motiv aus einem Händelschen Oratorium genommen hat. In Händels Joseph sind dem Chor Halleluja! we will rejoice in the salvation, beide Themata des Mozartschen Kyrie, wie die Notenbeilage (X, 2 a. b vgl. c) zeigt, aber in Dur zu Grunde gelegt; auch ist das Hauptmotiv des Kyrie eleison und zwar in Moll in dem bekannten herrlichen [711] Chor des Messias »Durch seine Wunden« (Notenbeil. X. 3) zu einer Fuge verarbeitet worden. Eine Vergleichung dieser Fuge mit der des Requiem wild auf den ersten Blick zeigen daß es mit der Versetzung des Themas aus einer Dur- in eine Molltonart noch nicht gethan ist, denn die Verschiedenheit beider in jeder Hinsicht ist so groß daß jeder sich überzeugen muß, daß das für contrapunktische Behandlung über aus günstige Motiv
– das deshalb fast wie ein Gemeinplatz in fugirten Sätzen aller Zeiten wiederkehrt – nur als ein fruchttragender Keim anzusehen ist, und daß der Meister sich erst in dem bekundet, was er daraus zu entwickeln versteht. Bei einer Doppelfuge aber ist die wesentliche Grundlage ihrer Gestaltung die Combination der beiden Themata, die einander nothwendig bedingen. Nun sind allerdings in dem Chor aus Joseph zwei ganz entsprechende Motive mit einander verbunden, und es ist kaum zu bezweifeln daß Mozart grade durch diese Combination angeregt worden sei, allein schon aus den beigebrachten Proben sieht man daß die Ausführung eine wesentlich verschiedene ist. Händel verarbeitet eigentlich nur das zweite Motiv – das übrigens in ähnlicher Weise öfter bei ihm wiederkehrt – und auch dieses in ganz freier Behandlung, das erste taucht nur mitunter wie ein mächtiger Fels von Wogen umschäumt aus dem lebhaften Figurenspiel hervor; bei Mozart ist die fugirte Durchführung beider Motive die Aufgabe, deren Lösung eine gründlich verschiedene Behandlung voraussetzt, und wer nur einigermaßen mit der Natur künstlerischer und speciell musikalischer Arbeit bekannt ist der weiß, daß ohne eine geistige Wiedergeburt die neu gestellte Aufgabe nicht ausgeführt werden kann. Noch einleuchtender wird dies, wenn man sich die innerliche Umbildung vergegenwärtigt, welche erforderlich [712] war um aus Motiven einer kräftigen, fröhlich bewegten Lobpreisung die flehentliche Bitte eines Schuldbewußten um Erbarmen zu gestalten. Die Versetzung in die Molltonart, welche als das äußerliche Mittel sich darbietet, zieht schon ganz äußerlich gefaßt eine so vollständige Umgestaltung der harmonischen Behandlung nach sich – und wir haben gesehen wie ganz neu und eigenthümlich dieselbe bei Mozart ist – daß von Uebertragen und Nachbilden nicht mehr die Rede sein darf, sondern nur von einem neuen Schaffen, und dieses konnte ja nur aus der durch die eigenthümliche Aufgabe eines solchen Kyrie eleison! angeregten künstlerischen Stimmung hervorgehen, welche in dem Nachklingen jenes Händelschen Chors einen schon mehr äußerlichen Impuls fand. Wir stehen hier vor einem tiefen Geheimniß der Musik, wie es möglich ist daß ein und derselbe schon in bestimmter Form ausgeprägte musikalische Gedanke durch die künstlerische Darstellung verschiedene, ja entgegengesetzte Empfindungen auszudrücken fähig wird; wir ahnen daß ihre Macht bis in die dunkle Tiefe des menschlichen Gemüthes hinabreicht, welche wie in einem einigen Keim alles umschlossen hält was in steigender Entwickelung zu verschiedenen Empfindungen und Vorstellungen gebildet auseinander geht. Die wunderbarsten und ergreifendsten Wirkungen übt die Musik, oft in kleinen Zügen, durch diese Macht aus; hier liegt ein merkwürdiges Beispiel vor, wie verschiedene Individualitäten verschiedene Aufgaben von denselben Grundmotiven ausgehend, jede in ihrer Art meisterlich gelöst haben, was im Einzelnen zu verfolgen anziehend und belehrend ist und ein ungleich höheres Interesse hat als die Entscheidung eines Prioritätsstreits. Wenn die Erfindung mit Recht als die das künstlerische Genie charakterisirende Gabe angesehen und vor allem betont wird, so fällt damit die Forderung absoluter Neuheit nicht gänzlich [713] zusammen. Wie in aller Kunst wird auch in der Musik Vieles was ein Einzelner selbständig geschaffen zum Gemeingut für alle, welche nach ihm kommen, deren Aufgabe es ist fortzubilden und von dem Ueberkommenen aus Neues zu schaffen und zu gestalten. Reiche und bedeutende Naturen sind in dem Bewußtsein durch die Kraft ihrer Individualität auch von einem gegebenen Punkt aus ein Eigenthümliches hervorzubringen oft am unbefangensten einer solchen Anregung durch fremde Erfindung gefolgt58. Einen schlagenden Beweis kann grade hier J. Haydn geben, der als letzten Satz seines Quartetts in F-moll eine Doppelfuge geschrieben hat, welche (wie die Notenbeilage X, 4 zeigt) aus bewußter Rivalität hervorgegangen scheinen könnte und gewiß allen Anspruch auf Selbständigkeit hat. In welchem Umfange Händel nicht bloß eigene, sondern auch fremde Motive wieder aufgenommen, umgebildet und ausgearbeitet hat, ist neuerdings durch Chrysander bekannt geworden, und eins der merkwürdigsten Beispiele ist Glucks ausdrucksvolle Arie aus der Johlgenie in Tauris Je t'implore et je tremble (A. IV Sc. 1), zu welcher ganz unverkennbar die schöne Gigue in Seb. [714] Bachs Klavierübung (I Part. 1) den Impuls gegeben hat59. Bei diesen Meistern wird Niemand an Diebstahl aus Erfindungsnoth denken60.
Ein eigenthümlicher Theil der Seelenmesse, besonders in der musikalischen Gestaltung hervorragend, ist das alte lateinische Gedicht Dies irae, welches meistens nicht ganz eigentlich als eine Sequenz bezeichnet wird61. Es hatte sich nämlich im Ritus der Messe die Sitte festgestellt daß bei dem Alleluja des Graduale in der feierlichen Messe, welches die [715] Gemeinde und später der Chor erwiederte, die letzte Silbe ja zu einem jubilus erweitert wurde, indem man auf derselben lang ausgedehnte melismatische Reihen (sequentiae) sang, welche bei den verschiedenen Festen verschieden gebildet waren. Nachdem diese allmählich so künstlich ausgebildet waren daß ihr Vortrag große Schwierigkeiten machte und eine besondere Uebung verlangte, kam man auf den Gedanken diesen bloß vocalisirten Melodien (Neumen) Texte unterzulegen, welche prosae genannt wurden, weil sie an kein bestimmtes Metrum oder Rhythmus gebunden waren, sondern, indem jeder Note eine Silbe zuertheilt wurde, der Melodie folgten. Das größte Verdienst um diese Prosen, welche nun ebenfalls Sequenzen genannt wurden, erwarb sich im neunten Jahrhundert Notker der Stammler mit seinen Schülern und Nachfolgern in der Sängerschule von St. Gallen62. Wenn er nicht der Erfinder ist, so hat er sie ausgebildet, indem er von den alten Allelujajubilationen ausgehend, diese theilweise benutzte aber eigenthümlich fortbildete, und eine feste Form begründete, theils durch regelmäßig wiederkehrende Schlüsse, theils durch die, wenn auch nicht ausnahmslos befolgte, Norm, jede melodische Reihe zweimal wiederkehren zu lassen, mit häufiger Anwendung einer Art von Refrain; wodurch auch die Texte eine gewisse Regelmäßigkeit erhielten, die freilich von metrischer oder rhythmischer Gesetzmäßigkeit noch weit entfernt war. Mit diesen Sequenzen trat ein frisches Element lebendiger Bewegung in das streng geschlossene Ritual und der Gemeinde wurde, da sie an die Stelle der Responsorien traten, eine kräftigere Betheiligung am Gottesdienst erwirkt. Daher traten sie in eine unmittelbare Wechselwirkung mit der volksmäßigen Poesie, und [716] indem die Texte der Sequenzen mehr und mehr eine feste, kunstgemäße Form annahmen, verfolgten sie den gleichen Entwickelungsgang mit jener. Zunächst wurde der Reim, der anfangs hie und da vereinzelt sich zeigte, regelmäßig eingeführt, die beiden Zeilen, welche der gleichen melodischen Choralreihe untergelegt waren, wurden durch Reime gebunden, die Refrainzeilen ebenfalls, sie wurden in verschiedene Strophen vereinigt, und allmählich auch die Gleichzahl der Silben hergestellt. Diese Sequenzen, die einer großen Mannigfaltigkeit fähig waren, fanden in Deutschland, Frankreich und England – weniger in Italien – außerordentlichen Beifall, man dichtete deren eine so große Anzahl, zum Theil auf schon bekannte Melodien, daß sie den fest geschlossenen Charakter des Ritus zu bedrohen schienen, und die Kirche sie bis auf drei noch übliche vom Gebrauch beim Gottesdienst ausschloß63.
Bei der Seelenmesse kann von einer Sequenz eigentlich nicht die Rede sein, weil in derselben kein Alleluja angestimmt wird, dem dieselbe angehört64, allein nach Analogie der Sequenzen hatte man in der Seelenmesse dem auf das Graduale folgenden Tractus, der die Vorbereitung zu der Verlesung des Evangelium bildet, ein Gedicht auf das jüngste Gericht angeschlossen. Wann dies geschehen sei ist unbekannt, bereits im Jahr 1385 erwähnt Barthol. Albizzi dasselbe [717] als Bestandtheil der Seelenmesse65, und als solcher ist sie auch neben jenen drei Sequenzen anerkannt und beibehalten worden. Mit völliger Sicherheit ist der Verfasser derselben nicht ausgemittelt, doch ist es am wahrscheinlichsten von dem Franziskaner Thomas von Celano, der 1255 noch lebte, gedichtet66.
Für die Bedeutung des Dies irae in dem musikalischen Theil der Seelenmesse ist schon der Umstand maaßgebend daß es gewissermaßen die Stelle desGloria und Credo vertritt, welche hier nicht gesungen werden. Statt der Freudigkeit und Zuversicht, welche jene Sätze als Hauptstimmung ausdrücken, sollen hier die Betrachtungen des sündigen Menschen der sich das Gericht des Herrn vergegenwärtigt ihren Ausdruck finden; es leuchtet ein, daß von hier aus der Ton des Ganzen bestimmt werden muß. Das Gedicht ist schon durch die wunderbare Kraft und Schönheit seines Wortklanges, welche keine der zahlreichen Uebersetzungen zu erreichen vermocht hat67, für die Musik wie gemacht; aber auch die Darstellung kommt der Composition entgegen. Ganz im strengen Sinn der Kirche, mit durchgängigen Beziehungen auf die Worte der Schrift, werden mit kräftigen Zügen und lebhaften Farben die Schrecken des Gerichts geschildert, aber ebenso eindringlich auch an die Barmherzigkeit und Güte des Mittlers gemahnt; neben die Furcht vor der Verdammniß tritt [718] die Hoffnung auf Erlösung, und aus der Zerknirschung eines reuigen Gemüths ringt sich die gläubige Bitte empor. Tief ergreifende Gefühle werden überall angeregt, starke Contraste sind scharf aneinander gerückt, kurze aber prägnante Andeutungen fordern die musikalische Darstellung zu energischer Charakteristik auf. Diese wurde noch begünstigt durch die freiere Stellung des Gedichtes im Ritus; wie der Prediger mit seiner Mahnung freier und individueller sich an die Gemeinde wendet als der Priester der das Meßopfer darbringt, so ist auch der Componist weniger gebunden, indem er das Gemälde des jüngsten Gerichts in seiner ganzen Furchtbarkeit enthüllt und seine eindringliche Mahnung predigt, als wenn seine Töne die einzelnen Acte der Messe begleiten. Daher findet man durchgängig eine freiere Haltung, lebhafteren Ausdruck im Dies irae, auch hat sich in der musikalischen Behandlung desselben keine so feste Tradition gebildet wie sie in den übrigen Theilen der Messe erkennbar ist, ob gleich im Allgemeinen eine gewisse Gliederung des Gedichtes in bestimmte Abschnitte ebensosehr durch den Verlauf der in demselbenausgedrückten Vorstellungen als durch das Bedürfniß musikalischer Gestaltung indicirt ist.
Die Vorstellung von dem Schrecken des der Erscheinung des Herrn vorangehenden Weltuntergangs, mit welcher das Gedicht beginnt, bedingt einen lebhaften, kräftigen, ja rauschenden Ausdruck. Daher tritt hier, und hier zuerst, der Chor als eine compakte Masse auf, die sich nur einmal trennt, wo der Baß ausruft: quantus tremor est futurus! – die einzige Stelle welche etwas von Malerei annimmt –, während die anderen Stimmen jammern: dies irae! dies illa!, bis alle sich zu dem Ausdruck der furchtbaren Majestät, in welcher der Richter erscheinen wird, einigen. Die Wirkung dieses Chors gegenüber dem was voranging beruht zum großen Theil auf [719] der hohen Lage, in welcher die Singstimmen gehalten werden, wodurch der Ton laut und grell wird, was durch die Begleitung der Saiteninstrumente, die entweder in Sechzehnteln hinrauschen oder in syncopirten Noten sich hastig treiben, unterstützt wird; so daß ohne Anwendung neuer Mittel – die Posaunen sind hier nicht einmal gebraucht, um den Klang schärfer zu halten – eine vollkommen veränderte Klangfarbe den Hörer wie in eine andere Region versetzt. Dazu wirkt besonders auch die Harmonie durch einzelne herbe und schroffe Accorde, namentlich durch das nach dem Abschluß inE-dur überraschend eintretende C-moll bei der Wiederholung des Quantus tremor und den Rückgang nach A-dur, anderer treffender Züge nicht zu gedenken, wie der Imitation des Tenor beim ersten Quantus tremor, die das Staunen ungemein lebendig ausdrückt.
Nachdem der Tumult und Schrecken des Weltuntergangs vor die Sinne gerückt ist, beginnt das Gericht, die Posaune ruft alle Creatur vor den Thron des Richters. Eine Tenorposaune verkündigt dasselbe durch einen einfachen Gang, der einen feierlichen Aufruf wiedergiebt, und von einer Baßstimme aufgenommen wird, mit welcher die Posaune sich gewissermaßen concertirend in ernster und würdiger Weise vereinigt68. Dann setzen nach einander eine Tenor-Alt- und Sopranstimme die Schilderung des Gerichts und seiner unerbittlichen Strenge fort und einigen sich zuletzt zaghaft [720] und flehend in den Worten cum vix iustus sit securus. Offenbar hat Mozart mit Absicht darauf verzichtet hier die Angst und den Schrecken vor dem Gericht hervorzuheben, er wollte dem Entsetzen gegenüber, welches der Weltenbrand hervorruft, den tiefen Eindruck, den die Vorstellung des Weltenrichters nicht sowohl auf die Sinne als auf das Gemüth macht, durch eine edle Ruhe bezeichnen; allein es ist nicht zu leugnen daß er hier hinter seiner Aufgabe zurückgeblieben ist. Jeder einzelne Abschnitt ist ausdrucksvoll, würdig, sehr schön und namentlich der Schluß von hinreißendem Wohllaut, aber das Einzelne wie das Ganze reicht nicht an die Höhe und Größe der Vorstellung, welche in uns lebendig werden soll69.
Der Gedanke daß vor dem Herrn niemand gerecht ist ruft die Vorstellung des in furchtbarer Herrlichkeit thronenden Richters wiederum hervor, die in dem nun folgenden Chor mit erschütternder Gewalt ausgedrückt wird. Die Anlage desselben läßt deutlich erkennen, wie der Wortklang auf die musikalische Conception Einfluß übt. Der dreimalige Ausruf rex! und dann rex tremendae majestatis macht schon gesprochen einen gewaltigen Eindruck; vom Chor den die Blasinstrumente unterstützen mit aller Kraft des Klanges in einfachen, aber mächtigen Accorden gesungen wirken sie fast überwältigend, und die energische punktirte Figur der Saiteninstrumente, welche die Pausen füllt um vor jenem Ausruf [721] wie erschrocken zurückzuweichen, läßt sie um so stärker hervortreten. Diesem Eindruck ordnet sich auch der Gedanke an die Gnade Gottes anfangs noch unter; während Sopran und Alt in strenger Imitation sich theilend das rex tremendae majestatis wiederholen, und die Saiteninstrumente ihre gewaltige Figur, aber nun ebenfalls in zweistimmiger Imitation, durchführen, rufen Tenor und Baß mit einem charakteristischen Motiv ebenfalls in strenger Imitation qui salvandos salvas gratis, was mit Vertauschung der oberen und unteren Stimme wiederholt wird, bis sich alle vier Stimmen in dem ganzen Anrufe vereinigen – ein Satz von der concisesten Strenge und Kraft. Aber der Gedanke an die Gnade ruft auch die Bitte hervor, aus den mehr und mehr verklingenden Figuren der Saiteninstrumente tönen erst einzelne Rufe salva me! hervor, dann sammeln sich alle wie in einem Ergusse innigsten Gefühls70 zu der Bitte: salva me fons pietatis!71
Und nun gewinnt der Gedanke an die Barmherzigkeit des Erlösers, an sein Werk die Menschheit mit Gott zu versöhnen Eingang, an ihn wendet sich nun die fromme Bitte daß er eingedenk seiner Mühen für den Schuldbewußten eintrete. Die Strophen welche diesen Kreis von Vorstellungen ausdrücken sind zu einem Quartett der Solostimmen zusammengefaßt,[722] wie denn der Sologesang hier sowohl durch den sanfteren Charakter als auch durch die mehr individuelle Haltung der Empfindung hervorgerufen wird. Dies Quartett ist das ausgedehnteste und ausgeführteste Musikstück des Requiem und durch seine Anlage und Durchführung, durch Reichthum und Bedeutung der einzelnen Motive, durch die Feinheit der Detailausführung und den Geist der das Ganze durchweht viel leicht das vorzüglichste von allen, jedenfalls eins der schönsten und edelsten Musikstücke dieser Gattung, welche je geschrieben worden sind. Mozart erkannte das selbst, denn er sagte seiner Frau, nachdem er dasRecordare niedergeschrieben hatte, wenn er vor der Vollendung des Requiem sterben solle, sei es ihm von der größten Wichtigkeit dieses Stück noch aufgesetzt zu haben72. Den Haupttheil des Satzes, welcher, nachdem ihn das Ritornell hervorgehoben hat, zu Anfang, in der Mitte und gegen den Schluß wiederkehrt, bildet ein von zwei Stimmen imitirend vorgetragenes Motiv, dessen inniger Ausdruck durch die Secundvorhalte eine schöne Beimischung von Strenge erhält; es wird durch einen figurirten Baß unterstützt, dessen erster Tact
den Keim enthält, aus welchem die meisten Motive der Begleitung und der Zwischenspiele entwickelt werden, wie sie denn in zweistimmiger canonischer Imitation der Geigen, mit einer Figur der Bratsche in Gegenbewegung auf einem Orgelpunkt im Baß das Ritornell abschließt. Nachdem dieser zweistimmige Satz von Alt und Baß, dann von Sopran und Tenor vorgetragen ist, vereinigen sich alle Stimmen in freier Bewegung mit der flehentlichen Bitte ne me perdas illa die! zu einem ausdrucksvollen Abschluß. In den ersten Zwischensatz [723] theilen sich anfangs die Stimmen in kurzen respondirenden Phrasen, die durch den figurirten Baß zusammengehalten werden, und schließen gemeinsam ab, worauf der erste Satz verkürzt sich wiederholt. Nun tritt ein neues Motiv ein, dessen Wirkung der bis dahin bewegten Stimmführung gegenüber wesentlich harmonisch ist und in dem durch den Contrast der hohen und tiefen Stimmlage hervor gehobenen dreifach gesteigerten Fortschritt der Accorde beruht, worauf sich die Stimmen von Neuem zertheilen und den letzten Eintritt des ersten Satzes vorbereiten, der mit einem kurzen Einschiebsel wiederholt wird, worauf der vollständige Abschluß auf eine ebenso spannende als befriedigende Weise durch einen schönen Gang der einander folgenden und begegnenden Stimmen herbeigeführt wird. Doch wie vermöchte ein solches Skelett eine Vorstellung von der Schönheit zu geben welche dieses wunderbare Quartett belebt, einer Schönheit, deren eigenthümlicher Reiz darin beruht daß die Blüthe lieblichster Anmuth durch strenge Keuschheit und tiefen Ernst verklärt erscheint. Und solchen Reiz verdankt es der Einfachheit und Wahrheit der Empfindung, für welche dem Meister auch der rechte Ausdruck und das rechte Mittel zu Gebote stand; denn nie ist durch irgendwelche Kunst das aus dem Bewußtsein eigener Schwäche aufkeimende trostreiche Gefühl frommen Vertrauens auf die Barmherzigkeit Gottes wahrer und schöner ausgedrückt worden als in diesem Recordare.
Die Strophe, welche abgelöst ist, thut der zum höllischen Feuer Verdammten im Gegensatz der Erlösten Erwähnung und diese Vorstellung paßte nicht zu dem Charakter ruhiger Fassung, welcher den ganzen vorigen Satz beherrscht. Es war vielmehr, wie in dem ganzen Dies irae die Contraste scharf betont werden, üblich geworden die Qual der Verdammten ebenso nachdrücklich hervorzuheben als den Frieden [724] der Erwählten. Demgemäß treten hier die Männerstimmen den Frauenstimmen gegenüber; jene vergegenwärtigen in imitirenden kurzen Phrasen, die bei der Wiederholung durch den raschen Wechsel von Dur und Moll und scharfe Vorhalte noch peinlicher und unruhiger werden, und denen eine rhythmisch prägnante von den Saiteninstrumenten unisono vorgetragene Figur etwas ungemein Heftiges giebt, die Pein der Hölle, während die Frauenstimmen, nur durch einen ruhigen Gang der Violinen unterstützt, das leise und innige Flehen um Erlösung aussprechen, das bei der Wiederholung ebenfalls durch einige Vorhalte einen schmerzlich gesteigerten Ausdruck erhält73. Alle diese Betrachtungen und Empfindungen haben den Blick auf das eigene Innere zurückgewendet, welches Buße und Reue umwandeln müssen, daß es der göttlichen Gnade theilhaftig werden könne, und mit dem Gefühl innerer Zerknitschung tritt der tiefste und bedeutsamste Moment ein. Und hier vereinigen sich die Singstimmen ganz leise in einer Folge von Harmonien, wie sie kein sterbliches Ohr gehört hatte
[725] Unwillkührlich beugt man sich tief ergriffen bei der Verkündigung eines Mysteriums, das der Mund nicht auszusprechen vermag; widerstandslos den ungeahnten Wandlungen des Harmonienstroms hingegeben, empfindet man, wie auch im Grunde des Gemüthes sich in leisen Schauern löst was gebunden war und umwandelt in innerer Wiedergeburt, man fühlt sich umwittert vom Hauch der Ewigkeit, deren Schwingen das Haupt des schon vom Tode berührten Meisters umrauschten.
Dem innig gerührten Gemüth wird der Tag des Zorns zum Tag der Thränen und so beginnt dasLacrimosa dies illa mit sanfter Klage, welche vor der furchtbar ergreifenden Vorstellung der aus den Gräbern aufsteigenden Todten zurücktritt, die in einem mächtigen durch den aufsteigenden Gang der Melodie, die vorwärts drängende Harmonie bedingten [726] Crescendo prachtvoll ausgedrückt ist. Und mit dem Angstruf homo reus entfiel dem Meister die Feder, er vermochte nicht mehr zu schreiben was sein Innerstes so tief erschütterte: huic ergo parce Deus, pie Jesu Domine!74
Das Offertorium gehört wieder dem Ritus an und verlangt daher einen etwas anderen Charakter, eine fester geschlossene Form der Darstellung als dasDies irae. Es zerfällt in zwei Haupttheile, von denen der erste Domine Jesu Christe die Bitte ausspricht daß die Seelen der Verstorbenen nicht zur Hölle fahren sondern vom Erzengel Michael zum Lichte geführt werden mögen. Dies bedingt für die musikalische Darstellung einen ernst bewegten Charakter, der durch die mehrfach wiederkehrende Erwähnung der Höllenstrafen etwas Herbes und Unruhiges erhält, das ihn vom Requiem unterscheidet, dem er sonst dem durchgehends schmerzlichen Ausdruck nach verwandt ist. Der Text stellt scharfe Gegensätze hart neben einander, die auch die Musik stark accentuirt, wodurch sich eine Gliederung von meist kurzen Sätzen ergiebt, die zu größern einander entsprechenden Gruppen zusammentreten. Erst die Worte ne absorbeat eas tartarus werden in einem kurzen Fugato durchgeführt, gegen dessen Herbigkeit, welche sowohl die charakteristischen Septimensprünge [727] des Themas als die von den Saiteninstrumenten im Unisono durchgeführte kräftige Sechzehntelfigur hervorbringen, die von den Solostimmen in canonischer Imitation vorgetragene sanfte Melodie sed sanctus signifer Michael, die einzige Stelle welche wie ein tröstliches Licht aus diesem überaus dunkel gefärbten Satze hervorschimmert – wohlthuend absticht. Der ganze Satz schließt mit den Worten quam (lucem sanctam) olim Abrahae promisisti in einer ausgeführten Fuge ab75, deren künstliche Arbeit noch durch die Begleitung gesteigert wird, welche ein eigenes Motiv in strenger Imitation selbständig durchführt, durch ihren energischen Charakter aber auch den Gesammteindruck der Fuge bedeutend erhöhet. In dieser hat jene eigenthümliche Mischung von Vertrauen auf die göttliche Verheißung und von quälender Unruhe beim Gedanken an Tod und Hölle, die schon den ersten Satz des Requiem obwohl viel milder charakterisirt, einen merkwürdig ergreifenden Ausdruck gefunden76.
Der zweite Theil Hostias et preces hat einen ungleich ruhigeren Charakter, wie denn Sammlung des Gemüths dem geziemt der mit seinem Opfer vor den Herrn tritt. Das [728] Moment der auch hier nicht völlig zurückgedrängten Unruhe ist daher wesentlich in die syncopirte Bewegung der Geigen gelegt, die Singstimmen gehen fast immer zusammen in ruhiger Bewegung, die meistens mit treffendem Ausdruck die Declamation der Worte wiedergiebt. Aber dieser einfache Satz verräth durch die eigenthümlichste harmonische Behandlung die Hand des Meisters, die ihm einen ganz fremdartigen Ausdruck giebt, welcher namentlich bei den Worten tu suscipe pro animabus illis quarum hodie memoriam facimus und zwar jedesmal in ganz neuer Weise durch Spannung und Lösung gleich wunderbar überrascht und befriedigt.
Bis hieher steht es durch Mozarts eigene Handschrift fest, was Süßmayrs Ausführung überlassen geblieben war, und obgleich selbst bei durchgeführter selbständiger Begleitung, wie im Recordare, Quam olim seine Aufzeichnungen für einen kundigen Musiker genügen um alles Wesentliche daraus abzuleiten, so zeigt doch schon das oben angeführte Beispiel, wieviel Spielraum im Einzelnen noch der Ausführung geblieben war, und einzelne Versehen nicht zu rechnen, so hätte Mozart selbst in der Behandlung der begleitenden Stimmen gewiß manche Feinheit offenbart, die man jetzt nicht ahnt. Von den Blasinstrumenten ist fast gar nichts angedeutet und wenn auch Mozarts mündliche Unterweisung hiebei eingetreten ist, so bleibt doch mancher Zweifel. Indessen ist die ganze Bearbeitung so ausgefallen daß sie nicht stört, die wesentlichen Intentionen hervortreten läßt und man kann sich überzeugen daß Süßmayr nirgend versucht hat zu ändern Eigenes einzuschwärzen.
Bei den letzten drei Sätzen steht man durchaus auf dem Boden der Vermuthung, wenn man der positiven Behauptung Süßmayrs, welche von der Wittwe Mozarts bestätigt wird, gegenüber die Frage aufwirft, ob und welchen Antheil [729] Mozart an denselben hatte. Sie gründet sich schließlich nur auf die Ansicht daß diese Sätze Mozarts würdig seien und daß man Süßmayr dieselben nicht zutrauen könne77; jedenfalls muß die ästhetische Kritik durch den Gedanken an den schweren sittlichen Vorwurf, den sie zu erheben gezwungen wird, sehr zur Vorsicht gemahnt werden. Wenn Seyfried berichtet (Cäcilia IV S. 307), nach der in Wien allgemein angenommenen Meinung habe Süßmayr diese Sätze aus vorgefundenem Brouillon vollendet, Mozart habe die Osanna-Fuge nach dem Benedictus groß ausführen wollen – was gegen den Ritus wäre, und auch zu der Schlußfuge cum sanctis ein neues Thema im Kopf gehabt, so sind die Gründe für diese Meinung schwerlich ernsthaft geprüft worden78.
Süßmayr79, der als ein junger Mann von 27 Jahren [730] damals Salieris80 und Mozarts Unterweisung genoß, hatte sich an den letzteren eng angeschlossen81, ging in seinem Hause aus und ein und war in jener Zeit wie Seyfried sich ausdrückt »des verewigten Amphion unzertrennlicher Gefährte«. Er benutzte diesen lebendigen Verkehr um sich ganz in Mozarts Weise hineinzuarbeiten, und es gelang ihm so gut sich die Factur desselben anzueignen, wobei es ihm denn auch nicht immer auf Aneignen der Gedanken ankam, daß Seyfried von mehreren seiner Werke ernsten Stils behauptet, man würde sie für Mozartsche halten, wenn es nicht feststände daß sie von Süßmayr wären (Cäcilia III S. 295); von Instrumentalcompositionen hat mir Hauptmann berichtet, die auch ganz Mozarts Technik zeigten und allenfalls für leichtere Arbeiten desselben gelten könnten. Sievers, der sich Süßmayrs lebhaft [731] angenommen hat, erinnert an dessen Oper »der Spiegel von Arkadien«, welche zuerst im Jahr 1794 gegeben allgemeinen Beifall gesunden und sich neben der Zauberflöte gehalten habe, an einzelne Stücke, welche als Muster ebensowohl des leichten, natürlichen, graziösen und doch charakteristischen als des tragisch-ernsten Stils galten, so daß man ihn nicht ohne Weiteres als unbedeutend verwerfen dürfe82. Die genauere Prüfung, welche ich mit dem Spiegel von Arkadien und Soliman II sowie einigen kleineren Kirchencompositionen Süßmayrs angestellt habe um mir von seinen Leistungen eine Vorstellung zu bilden, hat mich eine leichte, aber oberflächliche Erfindung, eine gewandte und glatte Factur und fast durchgehend die augenfällige Nachahmung Mozartscher Weise bei ihm finden lassen. Als man noch allgemein unter dem unmittelbaren Einfluß derselben stand, mochte eine gewisse Frische und Lebendigkeit darüber täuschen können daß hier nur von einer äußerlichen Aneignung dessen was sich absehen läßt die Rede sein kann, und daß bei guter Begabung doch Geist, Originalität, Kraft und Tiefe fehlen. Diesen Maaßstab wird man also an die letzten Sätze des Requiem anzulegen haben.
Das Sanctus und Osanna sind kaum von der Art daß sie eine ganz bestimmte Entscheidung zulassen. Daß das Sanctus sehr kurz und knapp gehalten ist würde nicht dagegen sprechen daß es von Mozart sei, denn alle Sätze des Requiem, soweit nicht die fugirte Behandlung sie ausgedehnt hat, sind in ähnlicher Weise gedrängt; ebensowenig dürfte man eine unangenehme Fortschreitung der Geigen geltend machen, da die Ausführung in keinem Falle von ihm herrührt. Auf der anderen Seite reicht es nicht hin daß der Satz den Charakter würdiger Pracht sehr gut ausdrückt, und der [732] Eintritt des Pleni sunt coeli von wahrhafter Majestät ist, um ihn Süßmayr bestimmt abzusprechen. Gewiß steht er nicht ganz auf gleicher Höhe mit den besten der früheren Sätze. Die kurze Fuge des Osanna ist lebendig, kräftig und in ihrer knappen Präcision tadellos; es ist nichts dagegen einzuwenden daß Mozart sie geschrieben haben könne, allein daß ein talentvoller, wohl geschulter Musiker wie Süßmayr sie nicht habe schreiben können, dafür werden schwerlich sichere Merkmale aufzuweisen sein.
Etwas anders verhält es sich mit dem Benedictus, bei welchem nach der üblichen Auffassung Solostimmen eintreten, in einem lang ausgesponnenen Quartett von weichem Charakter. Zelter sagt von demselben (Briefw. mit Goethe IV S. 353): »Das Benedictus ist so vortrefflich als möglich, und kann nicht von Mozart sein, die Schule entscheidet so etwas. Süßmayr kannte Mozarts Schule, aber er war nicht drinnen gewesen, hatte sie nicht in der Jugend gemacht und davon finden sich in dem schönen Benedictus hier und dort Spuren.« Er hat gewiß Recht. Das erste vom Alt vorgetragene Motiv, der Gedanke die einzelnen Stimmen einander zurufen zu lassen könnte sehr wohl von Mozart herrühren, aber die Ausführung sicherlich nicht. Offenbar stockt die Bewegung, als der Sopran nach dem Alt wieder in der Tonica einsetzt und die Hinüberleitung in die Dominante ist sehr lahm, noch lahmer nach dem Abschluß des ersten Theils das mühsame Festsetzen in F-dur und statt einer Durcharbeitung die man hier erwartet der unmittelbare Rückgang durch die Septime in den ersten Theil, der dann in seiner ganzen Ausführlichkeit wiederholt wird; weder die Anlage noch die Durchführung ist Mozarts würdig. Ferner ist es kaum glaublich daß er im Zwischenspiel das et lux perpetua aus dem Requiem in so auffallender Weise copirt haben würde, wie [733] es hier geschehen ist, ohne daß ein Grund vorliegt, der eine Anspielung auf jene Stelle veranlaßt hätte. Sodann kommt auch die ganz abweichende, dicke und volle Instrumentation in Betracht, die allerdings auch in den andern Sätzen nicht von Mozart ausgeführt ist, hier aber von der Anlage des Ganzen nicht wohl zu trennen ist, wie sie sich denn von der aller anderen Sätze unterscheidet, auch durch die Anwendung von zwei Posaunen, die Mozart sonst nie anwendet, und die hier wie zum Ersatz von Hörnern gebraucht sind. Endlich ist der Charakter des Ganzen nicht nur weich und zart, sondern an manchen Stellen weichlich und süß, und sticht in dieser Hinsicht gegen den Ernst der übrigen Sätze, auch gegen das Tuba mirum sehr merklich ab83. Das Osanna ist wie gewöhnlich eine stricte Wiederholung des ersten, nur sind wegen der veränderten Tonart die Stimmen versetzt.
Aber in eine ganz andere Region versetzt uns dasAgnus Dei. Hier ist die innige tiefe Empfindung, die edle Schönheit und die Eigenthümlichkeit der Erfindung, welche wir in den ersten Sätzen des Requiem bewundern. Die herrliche, ausdrucksvolle Figur der Violinen
welche der ersten Periode zu Grunde liegt ist schwungvoll und wird durch die harmonische Behandlung vortrefflich gesteigert, worauf durch das sanfte Gegenmotiv in seiner ruhigen Bewegung ein tröstlicher Abschluß herbeigeführt wird. Die zweimalige Wiederholung ist wirksam modificirt und gesteigert [734] und der Schluß durch eine neue schöne Wendung hervorgehoben, in allem ist sichere Meisterschaft und Vollendung. »Hat das Mozart nicht geschrieben«, sagt Marr (Berl. Mus. Ztg. 1825 S. 379) »nun wohlan! so ist der, der es geschrieben, Mozart«. Ich habe bei Süßmayr nichts gefunden, wodurch ich mich berechtigt fühlte ihm die Conception dieses Satzes zuzuschreiben und ich habe die Ueberzeugung fassen müssen, daß wenigstens die Hauptidee Mozart angehört, und Süßmayr kaum einen wesentlicheren Antheil an diesem Stück haben kann als an jenen früheren. Zwar verliert seine ganze Aussage ihre volle Glaubwürdigkeit, wenn gegen einen Punkt ein gegründeter Zweifel erhoben werden kann, doch wage ich nicht mit Sicherheit zu behaupten daß Süßmayr im Sanctus und Benedictus Mozartsche Skizzen benutzt haben müsse84.
Faßt man den Theil des Requiem ins Auge, welchen Mozart selbst vollendet oder so weit ausgeführt hat daß dem Kundigen das Kunstwerk seinem Wesen nach vollkommen klar entgegentritt, so wird man nicht anstehen diesem Werk dieselbe Höhe künstlerischer Vollendung zuzugestehen, welche Mozart in den größten Schöpfungen seiner letzten Jahre erreicht hat. Es offenbart uns dieselbe Tiefe der Empfindung, denselben Adel der Schönheit, dieselbe Meisterschaft der Form, welche durch die vollkommene gemüthliche und künstlerische Versenkung in die besondere Aufgabe eine eigenthümliche Schöpfung hervorgebracht haben. Besonders tritt dies hervor, wenn man das Requiem mit den verwandten Leistungen [735] sowohl Mozarts selbst als seiner Zeitgenossen vergleicht85; die Ueberlegenheit fällt um so mehr in die Augen, als Mozart auch hier die durch lange Tradition festgestellten Formen im Wesentlichen festhält, weil er innerhalb derselben das Eigenthümlichste zu leisten sich fähig fühlte. Ebensowenig tritt er den Anschauungen, welche die Seelenmesse in ihrer Stellung im katholischen Cultus ausdrückt, in irgend einer Weise entgegen, indem er über sie hinaus zu gehen oder etwas Fremdes, nur ihm Eigenes hineinzulegen sich bestrebte; die volle, unbefangene Hingebung, welche die unumgängliche Bedingung des wirklich künstlerischen Schaffens ist, wird nirgend getrübt, die menschliche Empfindung, die religiöse Anschauung, die künstlerische Auffassung sind mit einander in völliger Harmonie. Auf dieser Einheit beruht die Bedeutung[736] des Requiem, denn auf diesem Grunde allein konnte die Individualität Mozarts zur vollen Geltung gelangen, um in Freiheit und Sicherheit, ohne je Gefühl und Bewußtsein des Gebietes auf welchem sie wirkt zu verlieren, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln ein Kunstwerk zu schaffen, das in jedem Moment das innerste Leben seines Urhebers ausspricht. In diesem Sinne dürfen wir sein Wort wiederholen, daß er das Requiem für sich geschrieben habe: es ist der wahre, echte Ausdruck seiner auf das Höchste gerichteten künstlerischen Natur, sein unvergängliches Denkmal.
Theilnahme und Anerkennung fand das Requiem bald und allgemein. »Wenn Mozart nichts anders componirt hätte als seine Violinquintetten und für die Kirche sein Requiem«, pflegte J. Haydn zu sagen »wäre er schon dadurch unsterblich geworden«86. Besonders in Norddeutschland wurde es mit der lebhaftesten Bewunderung aufgenommen und bald heimisch, was um so begreiflicher ist, als dort die Kirchenmusik, uneingedenk J. S. Bachs, in immer größere Flachheit und Trivialität, der sogar die Strenge der Form abhanden kam, ausgeartet war. Zur freudigsten Ueberraschung fand man hier mit der Tüchtigkeit der strengsten Schule Tiefe der Empfindung und poetische Auffassung vereint – ein Labsal in der Wüste auch für den, der an ihren Sand sich gewöhnt hatte87. In Leipzig war es Hiller, der, in der Verehrung[737] Hasses und Grauns alt geworden, bewundernd die Hände faltete, als er das Requiem kennen lernte, es alsobald zur Aufführung brachte und in Leipzig heimisch machte88. In Berlin wählte die Singakademie bei ihrer ersten öffentlichen Aufführung zum Gedächtniß ihres kürzlich verstorbenen Stifters Fasch am 8 Oct. 1800 das Requiem89, welches seitdem dort90, wie an anderen Orten gewählt wurde, wenn es galt das Andenken großer Männer namentlich Musiker zu ehren91, und Zelter meinte noch später, das Requiem ließe sich gar nicht unter die Erde bringen, weder durch schlechte Kritik noch mittelmäßige Aufführungen92. In Paris [738] führte Cherubini93 im Jahr 1804 das Requiem in glänzender Weise auf94, und so hat das Requiem nicht allein im gesammten Europa sondern auch in der neuen Welt95 unzählige Menschen getröstet und erhoben96.
1 Die nachfolgende Darstellung beruht wesentlich auf den Berichten der Wittwe bei Niemtschek (S. 34ff. Nissen S. 563ff.) – womit die Nachrichten übereinstimmen, welche sie einer Engländerin bei einem Besuch in Salzburg 1829 gab (the musical World 1837 Aug. Sept. Hogarth mem. of the opera II p. 196ff.) – und der Schwägerin Sophie Haibl bei Nissen (S. 573ff.), die ich soweit es möglich war aus zuverlässigen Angaben Anderer ergänzt habe.
2 Mosel üb. d. Orig. Part. des Requiem S. 5.
3 Stadler Nachtr. S. 17.
4 A. M. Z. I S. 147f.
5 Dieser krankhafte Gedanke gab Veranlassung einen schmählichen Verdacht auf Salleri zu werfen, als ob er Mozart Gift beigebracht hätte, und nach seinem Tode erhob sich das Gerücht, als habe er auf dem Todbette in seinen Phantasien sich dieses Verbrechen selbst beschuldigt (vgl. A. M. Z. XXVII S. 413). Carpani hat in einem langen Aufsatz (Biblioteca Italiana 1824) Salieri gerechtfertigt; in diesem ist außer vielen Declamationen ein ärztliches Zeugniß beigebracht daß Mozart an einer Gehirnentzündung gestorben sei, und die Aussage der Krankenwärter Salieris, Rosenberg und Porsche, daß Salieri in seiner Krankheit gar nichts von Vergiftung geäußert habe. Auch Neukomm hat, gestützt auf seine genaue Bekanntschaft mit der Familie Mozart und mit Salieri, energisch gegen eine Verläumdung protestirt (Berl. allg. mus. Ztg. 1824 S. 172), der kein Besonnener Glauben schenken kann. Eigenthümlich ist der Grund, mit welchem der Kapellmeister Schwanenberg in Braunschweig, ein Freund Salieris, das Gerücht widerlegte. Als Sievers, damals sein Schüler, ihm aus einer Zeitung (mus. Wochenbl. S. 94) erzählte, man behaupte daß Mozart ein Opfer des Neides der Italiäner geworden sei, erwiederte er:Pazzi! non ha fatto niente per meritar un tal onore (A. M. Z. XXI S. 120. Sievers, Mozart u. Süßmaier S. 3f.). – Uebrigens hat auch das Gerede von Mozarts Vergiftung den Stoff zu einer traurigen Kunstnovelle »der Musikfeind« von Gustav Nicolai (Arabesken für Musikfreunde I. Lpz. 1825) hergeben müssen.
6 Wie tief diese Vorstellung, die auch Niemtschek nicht ganz zurückweist, indem er bei der Erwähnung seines frühen Todes bemerkt »wenn er ja nicht auch künstlich befördert war« (S. 44), doch auch bei ihr Wurzel gefaßt habe geht aus einem Briefe hervor, den sie am 25 Aug. 1837 an Reg. Rath Ziegler in München schrieb, in welchem sie von ihrem Sohne sagt, er wisse daß er nicht so groß werde wie sein Vater, deshalb aber auch keine Neider zu fürchten habe, die ihm nach dem Leben strebten.
7 III S. 412f. vgl. 407. Vorher war auch das Clarinett-Concert für Stadler geschrieben, das aber zum Theil wenigstens nur Umarbeitung eines Concerts für Bassethorn war (III S. 296).
8 Der brave Jos. Deiner (III S. 231) erzählte daß Mozart im November 1791 in die silberne Schlange gekommen sei, elenden Aussehens und über sein Befinden klagend; er habe ihn auf den anderen Morgen zu sich bestellt um mit der Frau Holz für den Winter einzukaufen. Er habe sich denn auch eingefunden, aber die Magd empfing ihn mit der Nachricht, in der Nacht sei der Herr so krank geworden daß sie den Doctor habe holen müssen. Von Mozarts Frau ins Zimmer gerufen fand er diesen im Bette liegend; als er Deiner reden hörte, schlug er die Augen auf und sagte kaum hörbar: »Joseph, heute ists nichts, wir haben heut zu thun mit Doctors und Apothekers« (Wiener Morgenpost 1856 N. 28).
9 Schon am 28 Nov. war der Zustand so bedenklich daß Dr. Closset den Dr. Sallaba, Primararzt des allgemeinen Krankenhauses, zu einer Consultation zuzog.
10 Dies geht aus einem an den Kaiser gerichteten Gnadengesuch der Wittwe vom 11 Dec. 1791 hervor, welches im Mozarteum in Salzburg aufbewahrt wird. Ueber die Anstellung am Dom s. III S. 189ff.
11 Von dem etwa vier Monate alten Wolfgang hatte er prophezeit, er würde ein echter Mozart werden, weil er im Weinen in den Ton einstimmte, aus dem der Vater grade spielte (Niemtschek S. 41).
12 Seinen Kanarienvogel, der ihm sehr lieb war, ließ er ungern erst ins Nebenzimmer bringen, weil ihm sein Schlagen empfindlich wurde, dann mußte er auch aus diesem entfernt werden.
13 Der Namenstag der Frau Cäcilie Weber war am 22 November.
14 A. M. Z. I S. 149.
15 Monatsschr. f. Theat. u. Mus. 1857 S. 446.
16 Er hatte eine Tenorstimme, die im Sprechen sein war, nur wenn er beim Dirigiren lebhaft wurde, sprach er kräftig und laut (Hogarth mem. of the opera II p. 198).
17 Mozart wurde leicht zu Thränen gerührt durch Musik (Niemtschek S. 57), auch durch seine eigene und nicht bloß beim Probiren des Requiem; seine Frau erzählte (Hogarth mem. of the opera II p. 198), daß er einst, als er in dem Quartett aus Idomeneo mitsang, von solcher Rührung ergriffen wurde daß er aufhören mußte und längere Zeit die Composition nicht ansah.
18 So lautet die unbedingt glaubwürdige Mittheilung Schacks (A. M. Z. XXIX S. 520f. Nissen, Nachtr. S. 169).
19 Protomedicus Dr. Güldner hat über die Krankheit Mozarts folgenden Bericht auf Carpanis Verlangen erstattet (10 Juni 1824) der auch von Nissen (S. 575) mitgetheilt ist.
»Mozart erkrankte im Herbst 1791 an einem rheumatischen Entzündungsfieber, welches damals fast allgemein herrschte und viele Menschen dahin raffte. Dr. Closset, der seine Krankheit behandelte, hielt sie für gefährlich und fürchtete gleich anfangs einen schlimmen Ausgang, nämlich eine Gehirnentzündung. Einige Tage vor Mozarts Tode sagte Dr. Sallaba: Mozarts Krankheit ist nicht mehr zu heilen, er ist verloren. Mozart starb hernach auch wirklich mit den gewöhnlichen Symptomen der Hirnentzündung. Die Krankheit nahm übrigens ihren gewöhnlichen Gang und unter denselben Symptomen sind mehrere Menschen gestorben. Bei der Untersuchung der Leiche hat sich nichts Ungewöhnliches gezeigt.«
Im »Verzeichniß der Verstorbenen in der Stadt 1791« ist unter dem 5 Dec. aufgeführt »der wohlgeborne Hr. Wolfgang Amadeus Mozart, kk. Kapellmeister und Kammer-Compositeur, im klein Kaiserhaus N. 970, in der Rauchsteingasse am hitzigen Frieselfieber, alt 36 Jahr«. Damit stimmt überein ein Auszug aus dem Sterberegister der Pfarre St. Stephan vom Jahr 1791 Fol. 173, sowie die Bescheinigung des Todtenbeschauers, welche Documente Al. Fuchs mir mittheilte. Im musik. Wochenblatt lautet die Todesanzeige (S. 87): »Am 5 Dec. starb zu Wien der berühmte Kapellmeister Mozart an einer Brustwassersucht im 35 Jahre seines Alters zum innigsten Leidwesen aller Kunstfreunde«. Das scheint Niemtscheks Angabe zu bestätigen, die Aerzte wären in der Bestimmung der Krankheit nicht einig gewesen.
20 Der Geistliche, welchen man aufgefordert hatte dem Kranken die letzte Oelung zu geben, weigerte sich zu kommen, weil nicht er selbst ihn rufen ließ.
21 Ein Brief aus Prag vom 12 Dec. 1791 berichtete (mus. Wochenbl. S. 94): »Mozart ist – todt. Er kam von Prag kränklich heim, siechte seitdem immer; man hielt ihn für wassersüchtig und er starb zu Wien Ende voriger Woche. Weil sein Körper nach dem Tode schwoll, glaubte man gar daß er vergiftet worden. Eine seiner letzten Arbeiten soll eine Todtenmesse gewesen sein, die man bei seinen Exequien aufgeführt hat. Nun er todt ist, werden wohl die Wiener erst wissen, was sie an ihm verloren haben. Im Leben hatte er immer viel mit der Kabale zu thun, die er indessen wohl zuweilen durch sein Wesen sans souci reizte. Weder sein Figaro, noch sein Don Juan machten in Wien Glück, doch desto mehr in Prag. Friede sei mit seiner Asche!« Ein Kunstgenosse – Salieri soll gemeint sein – scheute sich nicht zu Bekannten zu sagen: »Es ist zwar Schade um ein so großes Genie, aber wohl uns daß er todt ist. Denn hätte er länger gelebt, wahrlich man hätte uns kein Stück Brod für unsere Compositionen gegeben!« (Niemtschek S. 81 zw. A.)
22 Nach den oben erwähnten Documenten fand die Beerdigung mit dem Conduct dritter Classe statt, wofür 8 fl. 36 kr. bezahlt wurden; außerdem kostete der Todtenwagen 3 fl. – Merkwürdig ist die Aehnlichkeit der Umstande bei Mozarts und Schillers Begräbniß.
23 Dies Datum ergiebt das Sterberegister der Pfarre zu St. Stephan; mit Unrecht hat man den 7 Dec. genannt.
24 Wiener Morgen-Post 1856 N. 28. Bei der Einsegnung waren auch van Swieten und Salieri (III S. 62) zugegen gewesen, der Bahre folgten nach einer Angabe (Monatschr. 1857 S. 446) Süßmayr, Kapellmeister Roser und der Violoncellist Orsler vom Hoftheaterorchester. Schikaneder war nicht zugegen; die Todesnachricht hatte ihn aufs heftigste ergriffen, er ging umher und schrie laut auf: »Sein Geist verfolgt mich allenthalben, er steht immer vor meinen Augen!« (Nissen S. 572).
25 Al. Fuchs, der dieser Frage mit großer Sorgfalt nachgegangen war, besprach das negative Resultat seiner Forschungen in Gräffers kl. Wiener Memoiren (I S. 227f.). Eine trügerische Spur kam im Jahr 1845 zum Vorschein (illustr. Familienbuch 1852, II S. 117). Endlich hat Ritter v. Lucam durch Erkundigung bei zwei alten Musikern, die Mozart noch gekannt hatten, Freystädter und Scholl, ermittelt, daß das Grab rechts vom Friedhofskreuz in der dritten oder vierten Gräberreihe sich befunden hat – womit die Aussage des Todtengräbers bei Nissen (S. 576) übereinstimmt – und darüber des Breitesten in einer kleinen Schrift »Die Grabesfrage Mozarts« (Wien 1856) berichtet.
26 Durch die Güte meines Freundes Karajan und Hrn. Laimeggers sind mir Abschriften der Verlassenschaftsacten, die sich im Archiv des Landgerichts zu Wien befinden, mitgetheilt worden. Demnach bestand das Vermögen aus 592 fl. 9 kr., welches der Wittwe, die zufolge des Heirathsbriefes (Beil. XVIII) eine Forderung von 1500 fl. und für »Krankheits- und Leichkösten, dann andere berichtigte Schulden« 918 fl. 16 kr. bezahlt hatte, überantwortet wurde, nachdem sie noch für jedes der zwei Kinder 200 fl. erlegt hatte. Es macht einen rührenden Eindruck, wenn man aus dem Schätzungsprotocoll ersieht, wie einfach, ja wie dürftig die ganze Einrichtung war – die Sammlung von Büchern und Musikalien ist auf 23 fl. 41 kr. geschätzt –; und daneben sind als verlorne Schulden angemerkt 300 fl. an Frz. Gilowsky, 500 fl. an Ant. Stadler geliehen.
27 Die näheren Umstände der Abfassung und Vollendung des Requiems sind im Wesentlichen durch Süßmayrs Bericht (A. M. Z. IV S. 2f.) und Stadlers Angaben (Vertheidigung der Echtheit des Mozartschen Requiems Wien 1826 mit Nachtr.) bekannt geworden und durch die Wiederauffindung der dem Grafen Walsegg übergebenen Partitur bestätigt und aufgeklärt. Die Darstellung konnte daher auf die Staubwolken, welche ein mit so großer Animosität von allen Seiten geführter Streit um die sicher überlieferten Thatsachen aufgewirbelt hat, keine Rücksicht nehmen; die wesentlichen Punkte der Controverse, die so großes Interesse erregte, sind in der Beilage XXVII zusammengestellt.
28 »Die Wittwe Mozart konnte wohl voraussehen«, schreibt Süßmayr »die hinterlassenen Werke ihres Mannes würden gesucht werden; der Tod überraschte ihn, während er an diesem Werke arbeitete.« Süßmayr wußte besser für wen das Reguiem bestimmt war, allein das Incognito des Bestellers sollte respectirt werden, wie es Stadler noch nach 25 Jahren schonen zu müssen glaubte.
29 Dies beweist die nunmehr vorliegende Handschrift, und es ist ein, freilich wohl begreiflicher Irrthum Süßmayrs, wenn er angiebt er habe auch in diesen Sätzen die Instrumentation ausgeführt. Diese beiden Sätze sind auf 5 Bogen des zwölfzeiligen italiänischen Notenpapiers in Queerformat geschrieben, dessen Mozart sich zu bedienen pflegte, und von ihm seiner Sitte gemäß von 1 bis 10 foliirt (nicht paginirt), die letzten drei Seiten sind unbeschrieben geblieben.
30 In den Blättern des Dies irae ist von einer fremden Hand eine von der gedruckten Partitur abweichende Instrumentation in die von Mozart leer gelassenen Zeilen eingetragen, welche auch im Lacrimosa eine Fortsetzung von 2 Takten versucht hat. Von wem beides herrühre ist unbekannt. Dadurch erklärt sich was, ohne dies ganz unverständlich, die Wittwe Mozart, als sie im J. 1800 André die Blatter des Dies irae mittheilte, bemerkte (Cäcilia VI S. 202): »Hierzu kommt noch daß die Mittelstimmen dieser Sachen die ich Ihnen verschaffe anders sind als in Breitkopfs Ausgabe; sowie sie in dieser [der Ausgabe] sind, sind sie (mit Ausnahme der kleinen Verbesserungen) im Original des Anonymus. Der Ergänzer muß sie also zweimal gemacht haben und Sie können unter beiden wählen.« So wenig klare Vorstellung besaß sie von dem worauf es ankam.
31 Eine ganz genaue Copie dieser Mozartschen Blätter nach den Originalen hat André im Jahr 1829 unter dem Titel »Partitur des Dies irae, welche Abbé Stadler bald nach Mozarts Tode für sich copirt hatte, – Hostias von W. A. Mozarts Requiem, so wie solche Mozart eigenhändig geschrieben und Abbé Stadler in genauer Uebereinstimmung mit dem Mozartschen Original copirt hat, nebst Vorschrift und Anhang« herausgegeben. Der Anhang ist ein ähnlicher Partiturentwurf des Requiem und Kyrie, von André reconstruirt, ein wunderlicher Einfall, da ein solches Phantasiestück nichts nützen kann.
32 Die Schwester des Grafen Walsegg, Gräfin Sternberg, (welche eine Abschrift der Partitur in Hochfolio von der Hand des Grafen geschrieben und mit dem Titel Requiem composto dal Conte Walsegg in ihrem Besitz behielt) verkaufte als seine Erbin den musikalischen Nachlaß desselben an den Verwalter Leitner, von welchem der gräfl. Amtsschreiber Karl Haag die Partitur des Requiem an sich brachte, und von diesem erbte sie Katharina Adelpoller, Frau des Stuppacher Gerichtsdieners Joh. Adelpoller. Durch den Justizcommissar Novak zu Schottwien, der früher gräfl. Walseggscher Verwalter gewesen war, wurde Graf Moritz v. Dietrichstein, Präfect der k.k. Hofbibliothek, auf dieselbe aufmerksam gemacht und kaufte sie für 50 Dukaten für die Bibliothek.
33 A. M. Z. XLI S. 81. N. Ztschr. f. Mus. X S. 10. Cäcilia XX S. 279.
34 J.F. v. Mosel hat in der Schrift »über die Original-Partitur des Requiem von W. A. Mozart« (Wien 1839) – von welcher ein Auszug gegeben ist A. M. Z. XLI S. 317ff. – ausführlichen Bericht über die oben genannten Manuscripte und die durch sie hervorgerufenen Verhandlungen gegeben. Die Schrift ist ursprünglich unter dem Eindruck verfaßt daß Mozarts vollständige Originalpartitur gefunden sei, die Berichtigung kommt zwar hinterher, aber sie ist offenbar nicht recht durchgedrungen. Ich habe die Handschriften in Wien selbst untersucht und verglichen, die Angaben über das Factische in jener Schrift sind genau.
35 Es wird nun begreiflich daß auch die welche genau über den Verlauf unterrichtet waren, wie Stadler, um Graf Walsegg und die Wittwe Mozart zu schonen, nie die Sache völlig aufklärten, sondern gewisse Dinge im Dunkel ließen, andere wie Schack sich zurückhielten.
36 Daraus erklärt es sich daß Rochlitz, der nach seiner eigenen Angabe (Cäcilia IV S. 288) bei der Anwesenheit der Wittwe Mozart in Leipzig (im Jahr 1796) von ihr alles was die Entstehungsgeschichte des Requiems anging herausfragte, berichtete, Mozart habe das Requiem vor seinem Tode vollendet (A. M. Z. I S. 178).
37 Auch nach München (A. M. Z. XXIX S. 520) und Prag gelangte sie, wo man bei der ersten Aufführung des Requiem, die nicht lange nach dessen Tode nach einer Wiener Abschrift geschah, wußte daß die Sätze vom Sanctus an Süßmayrs Werk seien (Cäcilia IV S. 308). So erzählt denn Niemtschek, der ebenfalls von der Wittwe unterrichtet war, der Bote habe gleich nach Mozarts Tod das Werk unvollendet, wie es war, verlangt und erhalten; die Wittwe besitze aber die Partitur und verwahre sie wie eine Reliquie (S. 35).
38 Häser erzählt daß ein Thomaner Jost, der herrlich Noten schrieb, für die Wittwe Mozart bei ihrem Aufenthalt in Leipzig zweimal die Partitur copirte (Cäcilia IV S. 297).
39 Rochlitz für Freunde der Tonkunst I S. 25f.
40 Der Sänger Mariottini in Dresden hatte sich eine Copie verschafft, die wie einige kleine Abweichungen beweisen, nicht aus Leipzig herrührte, vermuthlich aus Prag oder Wien. Von dieser machte er sich eine Abschrift, aber nur vom Requiem, Kyrie und Dies irae, und fügte folgende Bemerkung hinzu:L'offertorio, il Sanctus et l'Agnus Dei non gl'ho transcritti, perche non mi anno parso essere del valore del precedente, ne credo ingannarmi nel crederli opera di un' altra penna (Cäcilia IV S. 303f. 310f.). Ohne dem kritischen Scharfblick Mariottinis Unrecht zu thun darf man hier wohl den Einfluß jenes Gerüchts erkennen.
41 In einem Briefe an Härtel (10 Oct. 1799) theilt sie ihm ihren Entwurf zu einer solchen Aufforderung mit: »Da der edle Anonym, welcher dem sel. Mozart wenige Monate vor seinem Tode den Auftrag gab ein Requiem zu componiren, solches nach Verlauf von mehr als 7 Jahren noch nicht hat öffentlich bekannt werden lassen, so sieht die Witwe dieses Verfahren mit Dankbarkeit für einen Beweis an, daß derselbe ihr noch einen etwaigen Vortheil von der Herausgabe gönnen wolle. Indeß hält sie es zu mehrerer Sicherheit für sich und als eine Folge der Empfindungen, die derselbe ihr eingeflößt hat, für ihre Pflicht, den edlen Mann in den Wiener, Hamburger und Frankfurter Zeitungen aufzufordern, ihr seine Gesinnungen innerhalb drei Monaten gefälligst zu erkennen zu geben, nach welcher Zeit sie es wagen wird, das Requiem in den sämmtlichen Werken ihres Verstorbenen herauszugeben.«
42 So ist auch das ohne äußere und innere Beglaubigung seines Ursprungs bei Simrock in Bonn unter Mozarts Namen gedruckte »Requiem brevis« inD-moll ohne Bedenken für unecht zu erklären.
43 Vgl. S. 567. 694 Daß die Angabe von Zawrzel, schon im Jahr 1790 habe er das Requiem beim Grafen Walsegg gesehen (Cäcilia VI S. 212) auf einem Gedächtnißfehler beruht, beweist er selbst indem er fortfährt: »im October kam ich nach Wien; Sie wissen selbst daß in dem Zwischenraume Mozart die Zauberflöte und Titus schrieb«, was bekanntlich im Jahr 1791 geschehen ist. Auch die Angabe Krüchtens (Cäcilia VI S. 222), der Graf habe das Requiem »noch vor Mozarts Tode«, im Jahre 1791, wenn er sich nicht irre im Spätherbst, aufführen lassen, hat kein Gewicht, da er selbst die irrige Meinung ausspricht, Mozart sei im Jahr 1792 gestorben; vor Ende des Jahres 1791 aber kann jene Aufführung sehr wohl Statt gefunden haben.
44 Stadler Vertheidigung S. 14f.
45 Nissen Nachtrag S. 169f.
46 Es ergaben sich nur wenige Berichtigungen der im Jahr 1800 im Druck bei Breitkopf u. Härtel erschienenen Partitur, welche die Wittwe nachträglich Härtel in Briefen (6. 10. Aug. 1800) mittheilte, was auch bei der Anzeige der Fehler in einer ausführlichen Besprechung dieser Ausgabe (A. M. Z. IV S. 30f.) benutzt worden ist; leider ist bei der neuen Ausgabe der Partitur im Stich darauf nicht gebührende Rücksicht genommen. Das revidirte Exemplar überließ die Wittwe an André, dem sie nun auch im Vertrauen Aufklärungen über die Vollendung des Requiems durch einen andern (Süßmayr wurde hier nicht genannt) gab (Cäcilia VI S. 201f.); es liegt dem von ihm veröffentlichten Klavierauszug und seiner Ausgabe der Partitur zu Grunde, welche er unter dem Titel »W. A. Mozarti Missa pro defunctis, W. A. Mozarts Requiem, neue nach Mozarts und Süßmayrs Handschriften berichtigte Ausgabe, nebst einem Vorbericht« im Jahr 1827 herausgab. Hier ist durch ein beigesetztes M und S unterschieden was von Mozart und was von Süßmayr herrührt. Der Vorbericht ist in der Cäcilia (VI S. 200ff.) wieder abgedruckt.
47 In Seyfrieds Aeußerung (Cäcilia IV S. 296): »Süßmayrs mir oft wiederholtem mündlichem Geständnisse zufolge hat er bis zum Hostias alles ausgearbeitet, das übrige – mehr als wahrscheinlich – im Entwurf vorgefunden und eben um so wenig als möglich vom Eignen dazuzuthun die beiden Fugen quam olim sammt dem ersten requiem aeternam auch wiederholt« zeigen die Worte »mehr als wahrscheinlich« daß das warum es sich hier handelt nur seine Vermuthung ist. Und die Wiederholung der Fuge quam olim hat Mozart selbst vorgeschrieben. Leider wissen so selten die welche Zeugniß ablegen sollen zwischen Factum und eigener Vorstellung zu unterscheiden.
48 Eine genau eingehende Anzeige, welche Schwencke geschrieben und Rochlitz überarbeitet hat, erschien nach Veröffentlichung der Partitur (A. M. Z. IV S. 1ff.). Sie wurde bald darauf französisch bearbeitet im Journal de Paris, und dann in deutschen Journalen als Muster französischer Kritik gepriesen (A. M. Z. XXX S. 209).
49 Auch die kleineren Compositionen des Ave verum corpus und der Freimaurercantate ergänzen diesen Parallelismus.
50 Der ganze Text ist mit den nöthigsten Bemerkungen Beilage IX, I, 2 mitgetheilt.
51 Mozarts Originalpartitur des Requiem und Kyrie hat oben die gewöhnliche Ueberschrift di me W. A. Mozart 792. Dies Versehen in der Jahrszahl muß noch zu so vielen anderen verwirrenden Umständen hinzukommen! Daß gar kein Gewicht darauf zu legen ist, bestätigt der sonderbare Zufall daß Mozart auf ein für Leitgeb componirtes Hornrondo (III S. 294) geschrieben hat Vienna Venerdì santo li 6 Aprile 792, da der Charfreitag im Jahr 1791 auf den 6 April fiel (Mosel Orig. Part. d. Req. S. 10. 16).
52 Es ist, wie schon bemerkt (I S. 336f.), der zweitheilige Tropus des neunten Kitchentons zum PsalmIn exitu Israel de Aegypto, den Mozart schon in derBetulia liberata als Cantus firmus benutzt hatte; aber welch ein Fortschritt von dem Jugendwerk zum Meisterstück! Mich. Haydn hat in seinem unvollendeten Requiem eben denselben bei den Worten te decet hymnus eingeführt; nach Rochlitz (A. M. Z. IV S. 7) und Zelter (Briefw. m. Goethe IV S. 353) wird nach dieser Melodie auch der Choral »Meine Seel erhebet den Herrn« gesungen. Die Behandlung dieser Stelle ist verschieden nach dem Ritual. In Jomellis Requiem werden beide Psalmverse intonirt, bei Hasse und Zelenka der erste (Te Jerusalem), bei Asola (in Proskes Musica divina) nur die Worte Te decet hymnus in Sion, bei Pitoni (ebend.) sind beide Verse frei componirt.
53 Im Widerspruche mit Rochlitz, der dieses Kyrie eine »strenge Fuge in größter Vollkommenheit« genannt hatte (für Freunde der Tonkunst I S. 159), sagt Nägeli (Vorlesungen üb. Musik S. 99ff.): »Diese Fuge ist 52 Takte lang; von diesen 52 Takten stehen 46 im Moll und nur 6 in Dur. Das Thema kommt in fünf verschiednen Molltonarten zu stehen. Dabei ist die Modulation unerhört. Die Fuge geht ausD-moll; das Thema kommt durch Versetzung insC-moll und F-moll zu stehen. Durch eine solche Verletzung der Verwandschaft der Tonarten und zugleich des Wechselverhältnisses zwischen Dur und Moll wird die Fuge zu einem barbarischen Tongewühl. Und auf solche Weise hört die Fugenkunst gradezu auf eine Kunst zu sein. Man kann statt die Repercussion, als das Hauptwirkungsmittel der Fuge, geltend zu machen, nur das Thema in so manche Tonarten versetzen als man zur hinlänglichen Länge des Tonstückes bedarf und so ist die Fuge fertig.« Den Eindruck welchen diese Fuge dennoch mache erklärt Nägeli aus der Macht der Rhythmik. »Hauptthema und Gegenthema bilden eine so schöne Polyrhythmie wie nur geistreiche Componisten sie zu erfinden vermögen. Beide Themas contrastiren sich gegenseitig gut und ziehen sich lebendig vermittelst der Repercussion durch das Ganze hindurch, und ob dieser polyrhythmischen Lebendigkeit der Tonreihen nimmt der Nichtkenner und Halbkenner auch die fehlerhafte Eurhythmie nicht wahr und wird nicht dadurch gestört.«
54 Schwencke (A. M. Z. IV S. 8) bekennt, da die Beweggründe Mozarts zu diesen Worten eine Fuge zu setzen unbekannt seien, so scheine dieselbe den vielleicht einzig möglichen Zweifel gegen die Vollkommenheit des einzigen Werks zu entschuldigen. Veranlassung aber war sicherlich die constant gewordene Tradition, Kyrie oder Christe als Fuge zu behandeln.
55 Das Thema steht mit seinem Gegenthema im doppelten Contrapunkt der Duodecime. Es ist vielleicht der Bemerkung werth, daß das Christe in den Mollsätzen eine Terz über dem Kyrie, bei den Dursätzen eine Terz unter dem Kyrie beginnt, was seine eigenthümliche Wirkung nicht verfehlt.
56 Marx, welcher diese Fuge als ein Beispiel anführt, daß es sogar nöthig werden könne daß die musikalische Fassung eines Textes dem Sinne desselben nicht völlig entspreche, billigt Webers Kritik insofern als sie den musikalischen Ausdruck dem Wortsinne nicht genügend findet, verwirst sie aber als eine irrige, weil einseitige. »Sie übersieht«, sagt er (Lehre v. d. mus. Compos. III S. 500) »daß es hier – nach dem ganzen Sinn des Werkes – nicht zunächst auf einen tiefgetreuen Ausdruck jener Worte, sondern auf eine befriedigende, kirchlich-feierliche Abrundung und Abschließung eines ganzen Abschnitts, des weitausgeführten Gebets für die Verstorbenen, ankam« (vgl. Berl. mus. Ztg. 1825 S. 381f.).
57 Händel hat das Anthem for the funeral of queen Caroline im Jahr 1737 am 24 Dec. beendigt, vier Tage nach dem Tode der Königin (Schölcher Life of Handel p. 192). Eine deutsche Bearbeitung unter dem Titel »Empfindungen am Grabe Jesu« ist in Partitur bei Breitkopf u. Härtel gedruckt.
58 Ich komme hier nachträglich auf Stadlers Bemerkung (Vertheidigg. S. 10) zurück daß Mozart in der Motette Misericordias domini (I S. 520ff. 686) ein Motiv von Eberlin benutzt habe. In der Notenbeilage X, 5 a. b ist der Anfang des mir erst später zugänglich gewordenen Eberlinschen Offertoriums Benedixisti domine – welches Mozart sich eigenhändig abgeschrieben hatte (I S. 433) – mit Mozarts Cantabo in aeternum zusammengestellt; auch an diesem Beispiel wird man erkennen, wie weit der äußere Impuls und die selbständige Ausführung reichen. Oulibicheff macht noch darauf aufmerksam (III p. 440) daß auch die Noten des Cantabo und des Requiem dieselben sind, ein neuer Beweis daß die Aufeinanderfolge der Noten in gleichen Intervallen nicht genüge um die Identität musikalischer Motive festzustellen.
59 Dies ist schon von Cramer (Anecd. sur Mozart p. 26f.), den J.A.P. Schulz aufmerksam gemacht hatte, nachgewiesen worden.
60 G. C. P. Sievers erzählt (Mozart u. Süßmaier S. 15ff.) daß ihm in Ferrara ein Capellmeister mittheilte, ihm sei eine Messe von Mozart vorgekommen, in welcher ein ganzes Stück eines älteren italiänischen Meisters copirt gewesen sei, er bezeichnete die Tonart der Messe und den Namen des Meisters, welche Sievers vergaß; in Rom bestätigte Santini ihm die Thatsache und gab wieder Tonart der Messe und Namen des bestohlnen Componisten an, welche Sievers wieder vergaß. Auf schriftliche Anfrage verweigerte später Santini mit italiänischer Vorsicht nähere Auskunft, da er nicht wünsche über dem Andenken zweier ausgezeichneter Männer Krieg anzufachen. Wir wissen daß Mozart seine Messen sämmtlich vor 1780 für den Salzburger Dom unter den Augen seines Vaters schrieb und wie undenkbar es ist daß er in irgend eine ein fremdes Stück einschob; möglich, daß eine Abschrift einer Messe nach Italien kam, in welcher von fremder Hand aus irgend welchem Grunde ein Mozartsches Stück mit einem fremden vertauscht worden war. – A. Schiffner berichtete (A. M. Z. XLV S. 581), Händel und Mattheson hätten Partituren Reinhard Keisers verbrannt, um ihren Diebstahl an Keiser zu verbergen, und solcher Plünderungen hatten noch Telemann und, wie man wissen wollte, Mozart sich nicht enthalten. Al. Fuchs forderte ihn auf (Cäcilia XXIII S. 95ff.) was Mozart anginge den Beweis zu liefern; Schiffner, der wahrscheinlich eine Keisersche Partitur sowenig als Mozart gesehen hatte, ist ihn schuldig geblieben.
61 Die folgende summarische Darstellung gründet sich auf die Untersuchungen Ferd. Wolfs (üb. die Lais, Sequenzen und Leiche S. 29ff. 76ff. 91ff.).
62 Schubiger, die Sängerschule St. Gallens S. 39ff.
63 Diese drei sind Victimae paschali, Veni sancte spiritus, Lauda Sion salvatorem, welche allein in die in Folge des Tridentinischen Decrets 1568 revidirte Ausgabe des Breviars aufgenommen sind.
64 Notat autem Petrus Cirvelus in expositione Missalis lib. II cap. 115 improprie dici sequentiam in missis defunctorum, quia hoc officium nec Alleluja nec sequentiam debet habere, quae sunt cantica laetitiae, – atque inde deducitur hanc nulli antiquorum tribuendam esse, sed alicui recentiori, cum ritus ecclesiastici immutari coeperunt (Ioa. Bona rer. liturgic. II, 7, 6).
65 Bartholomäus Pisanus liber conformitatum vitae P. Francisci ad vitam domini nostri Jesu Christi I fr. 2: locum habet Celani, de quo fuit frater Thomas, qui mandato Apostolico scripsit sermone polito legendam primam B. Francisci et prosam de mortuis, quae cantatur in missa s., »Dies irae dies illa« dicitur fecisse.
66 Nähere Nachweisungen findet man bei Mohnike Kirchen- u. litterar-histor. Studien u. Mittheilungen I S. 3ff.
67 Die Uebersetzungen sind gesammelt von F. G. Lisco, Dies irae, Hymnus auf das Weltgericht, Beitrag zur Hymnologie. Berl. 1840.
68 Bei der Aufführung in Leipzig hatte Hiller aus Rücksicht auf den ungenügenden Posaunisten das Solo vom fünften Takt an dem Fagott übertragen, was dann durch die Eigenmächtigkeit des Correctors A. E. Müller in die gedruckte Partitur überging (Cäcilia VIII S. 54f.) und, obwohl gleich gerügt (A. M. Z. IV S. 10), auch in der gestochenen geblieben ist. Alle Anklagen, die auf dies angebliche Fagottsolo gegründet wurden, sind dadurch zusammengefallen.
69 Hiermit stimmt ein sehr begeisterter Verehrer des Requiem (A. M. Z. XVI S. 617) und, was den Schluß anlangt, auch Oulibicheff überein (I p. 252). Ein Correspondent G. Webers aber, der weislich seinen Namen verschwiegen hat, schreibt (Cäcilia IV S. 292): »Als Verehrer Mozarts hätten Sie auch noch untersuchen sollen, ob das Tuba mirum spargens sonum an ein Haar mehr erinnert, als an das ›Kleine Nadel‹ im Figaro.« Es war ihm also noch nicht genug daß G. Weber gemeint hatte, der herrliche Mozart »drehe sich gewiß knirschend im Grabe herum« daß man solche Töne als die seinigen hinnehme.
70 Unbeschreiblich schön ist der Eintritt des kleinen Sextenaccordes auf g statt des Moll-Dreiklangs welchen man erwartet.
71 Der Schluß des in G-moll stehenden Satzes inD-moll, während Mozart eine fast ängstliche Gewissenhaftigkeit auf die Gleichförmigkeit der Tonart des Anfangs und Schlusses bei ganzen Opern, langen Finales, großen Symphonien zu wenden pflege, war Schwencke (A. M. Z. IV S. 11) so auffallend, daß sie ihn zu der Vermuthung veranlaßte, Mozart habe ursprünglich diesen Chor weiter auszuarbeiten beabsichtigt. Die Schwierigkeit schwindet, wenn man beachtet daß die einzelnen Sätze der Sequenz, wenn auch für sich abgeschlossen, doch unmittelbar mit einander zusammenhängen, ähnlich wie die Sätze eines Finales, und daß Mozart die Wendung nach D-moll macht, weil der folgende Satz aus F-dur geht.
72 Hogarth mem. of the opera II p 199.
73 G. Weber mochte sich nicht entschließen Mozart, »der so edel aufzufassen verstand, dessen Inneres so edel und groß war«, eine Behandlung zuzutrauen welche »die egoistische Niederträchtigkeit des Textescon amore heraushebe, und durch das wildhetzende Unisono der Saiteninstrumente den Weltenrichter recht ohrenbläserisch antreibe die vermaledeite Sündercanaille in den tiefsten Abgrund der Hölle zu schleudern, um dann den Sänger zu den lieben Gebenedeiten zu rufen« (Cäcilia III S. 220f.). Daß hier ein Mißverständniß der Textworte obwalte ist ebenso klar als das Verkennen der künstlerischen Intention den qualvollen Zustand der Verdammten, welcher für den kirchlichen Glauben ein Factum ist, der Phantasie lebendig vorzuführen, um daraus die Sehnsucht nach der Erlösung um so viel inniger hervorgehen zu lassen.
74 Wie weit Süßmayrs Ergänzung die Absicht Mozarts erreicht habe ist natürlich nicht zu entscheiden; mit Recht ist gewiß die Andeutung der ersten Takte wieder aufgenommen und ausgeführt, und der Schluß hat eine großartige Feierlichkeit. Auffallend ist es, wie von hier an die Posaunen viel reichlicher angewandt werden als zu Anfang. Sieht man, wie sparsam und eigenthümlich Mozart im Requiem und im Tuba mirum dieselben benutzt hat und vergegenwärtigt man sich die charakteristische Verwendung in der Zauberflöte, so kann es fraglich scheinen, ob er selbst sie so oft nur zur Unterstützung der Singstimmen gebraucht hätte; obwohl sich nicht läugnen läßt daß dies damals in der Kirchenmusik sehr gewöhnlich war.
75 G. Weber tadelte diese Fuge, welche einen Nebengedanken unverständig in zweckloser Breite ausführe und dieselben unbedeutenden Worte zum Ueberdruß wiederholen lasse (Cäcilia III S. 222ff.). Dar gegen hat schon Seyfried auf die Tradition hingewiesen, welche hier eine ausgeführte Fuge verlangte, und der Mozart sich nicht entziehen wollte (Cäcilia IV S. 296). Mit Recht, da es ein der Kirche bestimmtes Werk sein sollte und da die Fuge an sich hier nicht unpassend war. Denn der Gedanke ist kein Nebengedanke, er enthält die Begründung des Vertrauens mit welchem die Bitte ausgesprochen wird, er bildet das Fundament des ganzen Satzes; für solche kurze Sentenzen aber von eindringlicher Kraft und tiefgreifender Bedeutung ist grade die Fuge die geeignete Form.
76 Einzelne Stellen in diesem Satz sind von großer, obwohl herber Schönheit, wie sie diesem Satze geziemt, namentlich die abschließenden Stellen de profando laco, in obscurum, et semini eius.
77 Bekanntlich hat G. Weber, der in den ersten Sätzen vielfach Mozart nicht erkennen konnte, umgekehrt an den letzten Sätzen ihm einen bestimmten Antheil zugesprochen (Cäcilia III S. 226. IV 279). Bereits bei der Bekanntmachung des Süßmayrschen Briefes wurde bemerkt, »daß die bekannt gewordenen Kunstproducte des Hrn. Süßmayr die Behauptung eines wesentlichen Antheils an diesem großen Werke einer ziemlich strengen Kritik unterwerfen« (A. M. Z. IV S. 4); später äußerte Rochlitz seinen Verdacht bestimmter (Cäcilia IV S. 289. A. M. Z. XXV S. 687f.). Mit großer Lebhaftigkeit sprach auch Marx seine Ueberzeugung aus, daß der Hauptsache nach hier Mozarts Werk zu erkennen sei (Berl. Mus. Ztg. 1825 S. 378f.).
78 Ein Umstand ist meines Wissens nicht in Betracht gezogen worden. Wenn bei Mozarts Tode die letzten drei Sätze ganz fehlten, so lag es, sollte man denken, viel näher sie aus einer der handschriftlichen Messen zu ergänzen, die ja ganz unbekannt waren, als sie von Süßmayr neu schreiben zu lassen, und vor dem Besteller wäre dies Verfahren weit eher zu rechtfertigen gewesen. Aber die Verwirrung und Sorge, in welcher die Wittwe sich gleich nach Mozarts Tode befand, kann manches veranlaßt haben, was unter anderen Umständen nicht geschehen wäre.
79 Franz Xaver Süßmayr – die Orthographie des Namens wechselt durch die Scala von Sießmaier bis Süßmayer – geb. in Steyer 1766, wurde in Kremsmünster erzogen und in der Musik von Pasterwitz unterwiesen. In Wien that er sich unter den jüngeren Componisten bald hervor und wurde schon 1792 Hof-Theatral-Kapellmeister. Er schrieb zuerst ein »dramatisches Oratorium« Moses und darauf eine Reihe Opern für Schikaneder, von denen besonders der Spiegel von Arkadien (1794) und Soliman II (1800) weit verbreitet und beliebt waren (Berl. mus. Ztg. 1805 S. 128) auch später noch hie und da gegeben wurden. Ein Ballet von ihm Il noce di Benevento fand noch im Jahr 1825 in Mailand großen Beifall (A. M. Z. XXVII S. 694ff.). Durch das lustige Leben, in welches ihn Schikaneder hineingezogen hatte, wurde seine schwache Gesundheit gefährdet; er starb schon 1803.
80 In der Wiener Zeitung wird bei der Anzeige der am 8 Juli 1793 zuerst auf dem k.k. Nationaltheater aufgeführten Oper l'incanto superato angegeben, die Musik sei gesetzt von Hrn. Franz Sießmayr »Schüler des Hrn. Salieri«.
81 Im Jahrbuch der Tonkunst (1796 S. 61) heißt es: »Noch dient ihm zu nicht geringer Empfehlung, daß er ein Schüler Mozarts ist und von selbigem sehr geschätzt war. Auch hat er an einige unvollendete Werke dieses großen Genius die letzte Hand gelegt« – was nur auf das Requiem gehen kann.
82 G. L. P. Sievers Mozart u. Süßmaier S. 8ff.
83 Jener Correspondent G. Webers hatte von musikalischen Freunden gehört André besitze Handschriften, woraus er bis auf die letzte Note beweisen könne, daß das Benedictus nichts als die Umarbeitung einer viel früher verfaßten verliebten Arie Mozarts sei. Natürlich ist kein wahres Wort daran.
84 Die Wiederholung des ersten Satzes zum Schluß war damals nicht ungewöhnlich. Hasse läßt in seinem Requiem die Worte lux aeterna intoniren mit demselben Choralton wie Te decet und dann das Requiem wiederholen, ähnlich Zelenka; Jomelli wiederholt ebenfalls das Requiem, fügt aber einen eigenen Schluß hinzu.
85 A. M. Z. XVI S. 812 »Mag es unverholen gesagt werden daß selbst der in seiner Art so große unsterbliche Haydn, selbst der gewaltige Mozart sich nicht rein erhielten von dieser ansteckenden Seuche des weltlichen prunkenden Leichtsinns. Mozarts Messen, die er jedoch bekanntlich auf erhaltnen Auftrag nach der ihm vorgeschriebenen Norm componirte, sind bei nahe seine schwächsten Werke. Er hat indessen in einem einzigen Kirchenwerke sein Inneres aufgeschlossen, und wer wird nicht von der glühendsten Andacht, von der heiligsten Verzückung ergriffen, die daraus hervorstrahlt? Sein Requiem ist wohl das Höchste was die neueste Kunst für den kirchlichen Cultus aufzuweisen hat.« An entgegenstehenden Urtheilen fehlt es natürlich auch nicht. »Ich müßte ohne Gefühl sein«, sagt Ernst in Tiecks Phantasus (Schriften IV S. 426) »wenn ich den wundersamen, reichen und tiefen Geist Mozarts nicht ehren und lieben sollte, wenn ich mich nicht von seinen Werken hingerissen fühlte. Nur muß man mich kein Requiem von ihm wollen hören lassen oder mich zu überzeugen suchen, daß er sowie die meisten Neueren wirklich eine geistige Musik habe setzen können« (vgl. I S. 489). Und Krüger (Beiträge für Leben u. Wissensch. d. Tonkunst S. 199f.) meint: »Mozarts Requiem kann doch bei Katholiken und Evangelischen, sofern sie wirklich Erbauung suchen, kaum noch für echte heilige Musik gelten, da wenige weichere Sätze abgerechnet das Ganze seinen theatralischen Stil nirgend verleugnet.«
86 Stadler Vertheidigg. S. 27.
87 Der alte Organist Kittel in Erfurt, ein Schüler S. Bachs, erhielt eines Tags die Orgelstimme eines ihm unbekannten Requiem, das ihn sehr bald anzog und je länger je mehr fesselte, so daß er sich am Schluß nach dem Componisten erkundigte. Als ihm Mozart genannt wurde trauete er seinen Ohren nicht, denn von dem Componisten beliebter Opern, die er übrigens nicht kannte, erwartete er keine solche Kirchenmusik. Nun ließ er sich auch die Opern geben und war vorurtheilsfrei genug auch in ihnen den Componisten des Requiem zu erkennen und lieb zu gewinnen. So erzählte mir mein Lehrer Apel, Kittels Schüler.
88 Rochlitz für Freunde der Tonkunst I S. 25f. Häser Cäcilia IV S. 297.
89 Zur Geschichte der Singakademie S. XV f.
90 Zum Gedächtniß der verw. Königin wurde es 1805 aufgeführt (Berl. mus. Ztg. 1805 S. 85), des Akademiedirectors Frisch 1815 (Zelters Briefw. II S. 168f. 172f.), des Fürsten Radziwill 1833, des Grafen Brühl 1837, des Königs Friedrich Wilhelms III 1840.
91 In Leipzig zum Gedächtniß Schichts 1823 (A. M. Z. XXV S. 405), in Berlin 1821 zum Andenken Andr. Rombergs, in Wien zum Gedächtniß C. M. v. Webers (A. M. Z. XXVIII S. 734), Beethovens (A. M. Z. XXIX S. 367).
92 Zelter Briefw. m. Goethe VI S. 243. An einer andern Stelle (IV S. 353) erklärt er dasselbe für »brüchig, ungleich d. h. die Stücke sind sämmtlich so gut als eingelegt, und wer sie als Ganzes zusammen betrachten will der irrt; und das ist der Fall mit mehreren tüchtigen Componisten, und aus solchen Stücken besteht das ganze Requiem, und doch ist es das allerbeste was mir aus dem vorigen Jahrhundert bekannt ist.« Welchen Einfluß auf dieses Urtheil die Entstehungsgeschichte des Requiem gehabt habe mag dahin gestellt bleiben. Jean Paul schreibt an Herder (8 Oct. 1800) vom Requiem (Aus Herders Nachlaß I S. 313): »In manchen Stellen ziehen die Mozartischen Donnerwolken und in andern schlagen seine Nachtigallen; aber das Ganze wird nicht von seiner harmonischen, gewaltigen Weltseele getragen und verknüpft. In der letzten Fuge erinnert die Wiederholung einer nächsten rührend an seinen sterbenden Geist, der schon halb mit der Lippe unter dem Todesschleier die letzten Worte zweimal stammelt.«
93 Rochlitz hat nachzuweisen gesucht (A. M. Z. XXV S. 685ff.), wie Vogler bei der Composition seines Requiem das Mozartsche vor Augen gehabt habe, um es anders zu machen; ein ähnlicher negativer Einfluß läßt sich auch bei Cherubinis großartigem Requiem in C-moll erkennen, dem das zweite in D-moll ganz nachgebildet ist. Dagegen hatte E. T. A. Hoffmann ein Requiem geschrieben, in dem er das Mozartsche absichtlich nachbildete (Rochlitz Für Freunde der Tonk. II S. 15f.).
94 Berl. Mus. Ztg. 1805 S. 28.
95 Von einer vorzüglichen Aufführung in Rio Janeiro im Jahre 1819 berichtet Neukomm (A. M. Z. XXII S. 501ff.).
96 In Venedig setzte ein Musikliebhaber ein bedeutendes Legat aus, wofür jährlich drei Requiem, darunter das Mozartsche, aufgeführt werden sollten (A. M. Z. XLII S. 54). In Senftenberg in Böhmen wurde 1857 ein Verein gestiftet, um jährlich am 18 Juni Mozarts Requiem aufzuführen (niederrh. Mus. Ztg. 1857 S. 343f.).
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