I.

[132] Wolfgang Mozarts Schwester, Maria Anna Walburga Ignatia, in der Familie und unter den Bekannten Nannerl genannt, war am 30. Juli 1751 geboren und also fünf Jahr älter als er. Sie zeigte schon frühzeitig ein so entschiedenes Talent zur Musik, daß sie unter der Anweisung des Vaters die außerordentlichsten Fortschritte machte und bei den ersten Kunstreisen der Familie Mozart in den Jahren 1762, 1763–1766, und 1767 als eine Klavierspielerin auftrat, welche sich mit den ersten Meistern messen konnte, und nur gegen die unerhörten Leistungen ihres jüngeren Bruders zurücktrat. Nicht allein der Vater schreibt (London 8. Juni 1764): »Genug ist es, daß mein Mädel eine der geschicktesten Spielerinnen in Europa ist, wenn sie gleich nur zwölf Jahre hat«; sondern die Berichte Anderer stimmen damit vollständig überein (Beil. III. 1, 2). Während des Aufenthaltes im Haag im October 1765, wurde sie von einer heftigen Krankheit ergriffen, welche sie an den Rand des Grabes brachte; zur großen Freude der Aeltern welche an ihrem Aufkommen verzweifelten, erholte sie sich wieder1. Im Nov. 1767 wurde sie in Olmütz mit Wolfgang zugleich von den Blattern befallen, die sie ebenfalls glücklich überstand.

[133] Bei den späteren Kunstreisen nach Italien begleitete sie den Vater und Bruder nicht mehr, sondern blieb bei der Mutter daheim. [134] Indessen fuhr sie fort als Klavierspielerin sich auszubilden2 und konnte auch später mit Recht darauf Anspruch machen als eine Virtuosin zu gelten. Dem Beispiel und Unterricht des Bruders, mit dem sie, wenn er in Salzburg war, fortwährend musicirte, verdankte sie, wie sie das gern und bereitwillig eingestand, das Beste was sie leistete. Leopold theilt seinem Sohne mit (26. Jan. 1778), daß der Violinist Janitsch und der Violoncellist Knese aus der Capelle von Wallerstein, welche zum Besuch in Salzburg waren, »absolute die Nannerl spielen hören wollten. Sie ließen es sich entwischen, daß es ihnen nur darum zu thun war, aus ihrem gusto auf Deine Spielart zu schlüßen, so wie sie sehr darauf drangen etwas von Deiner Composition zu hören. Sie spielte Deine Sonate von Manheim recht treflich mit aller expression. Sie waren über ihr Spielen und über die Composition sehr verwundert. – Sie accompagnirten der Nannerl auch Dein Trio ex B und recht vortrefflich.« Er berichtet ihm dann weiter, wie diese Herren vor seinen Leistungen sowohl durch diese Compositionen als durch die Spielart der Nannerl, die immer sagte: »Ich bin nur die Schülerin meines Bruders« die größte Hochachtung bekommen hätten3. Wolfgang pflegte ihr auch in späteren Jahren, wenn er abwesend war, seine Klaviereompositionen zu schicken und legte auf ihr Urtheil Werth4, daher er auch [135] Berichte und Kritiken, namentlich über Klavierspieler an sie richtete5.

Auch im Componiren versuchte sie sich; ein Lied, das sie ihrem Bruder nach Rom schickte, setzte diesen in Verwunderung (Beil. V, 19), und Uebungen im Generalbaß machte sie fehlerfrei und zu seiner völligen Zufriedenheit (Beil. VI, 4). Später berichtete der Vater (25. Febr. 1778), daß sie trefflich Generalbaß spielen und Präambuliren gelernt habe, daß sie einsehe, daß sie nach dem Tode des Vaters für sich und die Mutter werde sorgen müssen. Als ihr Wolfgang von Paris aus ein Präludium schickte6, stellte sie ihren Vater zum Scherz auf die Probe. Sie hatte es Nachmittags um 4 Uhr bekommen und übte es gleich ein, daß sie es auswendig spielen konnte. Als der Vater um fünf nach Hause kam, sagte sie ihm sie hätte sich etwas ausgedacht, das sie, wenn es ihm gefiele, aufschreiben wolle, und fing das Präludium an. »Ich riß die Augen auf« berichtet Leop. Mozart und sagte: »Wo Teufel hast du diese Gedanken her? Sie lachte und zog die Briefe aus dem Sack.«

Schon frühzeitig fing sie an auf dem Klavier Unterricht zu [136] geben: von Mailand aus schrieb ihr Vater (12. Dec. 1772): »Ich lasse der Nannerl sagen, daß sie ihre kleine Schülerin mit Fleiß und Geduld lehren soll; ich weiß daß es zu ihrem eigenen Nutzen ist, wenn sie sich gewöhnt Jemand etwas gründlich und mit Geduld zu zeigen, ich schreibe es nicht umsonst.« Später wurde dieser Unterricht eine Erwerbsquelle, die bei den beschränkten Verhältnissen der Familie Mozart sehr erwünscht war; sie war dadurch im Stande für ihre persönlichen Bedürfnisse selbst zu sorgen, und erleichterte auf diese Weise solange sie im Hause des Vaters lebte diesem die Sorgen für ein leidliches Auskommen. Sie galt sogar bei ihrer eigenen Familie für interessirt, und der Vater war freudig überrascht, da sie bei der Nachricht, daß Wolfgang auf seiner Pariser Reise in unerwartete Verlegenheit gekommen sei, ausrief: Gottlob, daß es nichts Schlimmeres ist! obgleich sie wußte, daß um dem Bruder fortzuhelfen ihr eigner Schuldbrief eingesetzt werden mußte. Aber auch sonst zeigt sie sich als ein Mädchen von leicht erregtem, weichem Gefühl, das nicht allein den Verlust der Mutter tief empfand, sondern auch an dem Schicksal des Bruders innigen Antheil nahm, mitunter lebhafteren als ihm gerade bequem war, so daß er ihr einmal unmuthig sagen ließ (Manheim 19. Febr. 1778): »Meine Schwester umarme ich von ganzem Herzen, und sie soll nicht gleich über jeden Dreck weinen, sonst komme ich mein Lebtag nimmer zurück« – wofür die gebührende Zurechtweisung von Seiten des Vaters nicht ausblieb.

Uebrigens war das Verhältniß der beiden Geschwister zu einander von Kindheit an das innigste und anhänglichste. Da die übrigen Geschwister frühzeitig gestorben waren, wuchsen sie auf einander allein angewiesen auf; die strenge häusliche Zucht wie die gemeinsamen Reisen, und vor allem die durch Anlage und Erziehung bei beiden gleichmäßig hervortretende Richtung auf die Musik mußten die natürliche Anhänglichkeit der Geschwister erhöhen, da von Eifersucht und Neid in beiden keine Spur war. Wolfgang ließ seine Neigung zu Scherz und Neckerei besonders an der »Schwester Canaglie« aus und die Briefe, welche er auf seinen italiänischen Reisen an sie schrieb (Beil. V) geben reichliche Proben sowohl von der Behaglichkeit, mit welcher er seine Possen mit ihr trieb, als auch von der Harmlosigkeit mit der er sie aufzog, weil sie so gar klug und witzig sei (Beil. V, 31. 50). Auch später hörte dieser Ton einer ausgelassenen, selbst kindischen [137] Spaßmacherei nicht auf. So schickte er aus Manheim (20. Dec. 1777) folgende Knittelverse:


Meine liebste Sallerl, mein Schatzerl!

Meine liebste Nannerl, mein Schwesterl!

Ich thu mich halt bedanken für deinen Glückwunsch, Engel,

und hier hast ein von Mozart, von den grobeinzign Bengel.

Ich wünsch dir Glück und Freude, wenns doch die Sachen giebt,

und hoff', du wirst mich lieben, wie dich der Woferl liebt;

ich kann dir wahrlich sagen, daß er dich thut verehren,

er luf dir ja in Four, wenns dus thatst a begehren:

ich mein, ich muß so schreiben, wie er zu reden pflegt,

mir ist so frisch vor Augen die Liebe die er hegt

für seine jolie Sallerl, für seine Schwester Nanzerl!

ach, kommt gschwind her ihr Lieben, wir machen geschwind ein Tanzerl!

Es sollen leben alle, der Papa und d' Mama,

die Schwester und der Bruder, huisasa, hupsasa!

und auch d' Maitreß vom Woferl und auch der Woferl selbst,

und das so lange, lange – so lang als er noch krelbst;

so lang als er noch br–zen und wacker sch–en kann,

so lang bleibt er und d' Sallerl und 's Schwesterle voran.7

Ein sauberes G'findet – – an weh! ich muß gschwind noch schlarassen,

und das itzt gleich um 12 Uhr; dann dort thut man schon schlaffen.


Ja, noch von Wien aus bittet er (10. Dec. 1783) in seinem und seiner Frau Namen der Nannerl ein Paar Ohrfeigen, ein Paar [138] Maulschellen, ein Paar Wachteln, ein Paar Watschen, ein Paar Faunzen und ein Paar Maultaschen zu geben!

Allein nicht bloß in diesen Scherzen spricht sich das gute Verhältniß der Geschwister aus, sie theilten auch den Ernst des Lebens redlich mit einander. Wenn Wolfgang, seitdem er erwachsen war, das Leben in Salzburg bis zum Unerträglichen schwer gemacht wurde, so war ihre Lage auch nicht eben erfreulich. Als die Mutter mit Wolfgang die Reise nach Paris angetreten hatte, übernahm sie die Haushaltung und der Vater lobt sie, daß sie im Hauswesen in Allem erstaunlich fleißig, arbeitsam und aufmerksam auf Alles und mit der Magd, die unreinlich und lügenhaft war, genau und resolut sei. Nach dem Tode der Mutter führte sie dem Vater den Haushalt fort, der zu Zeiten durch Kostgänger vermehrt wurde8. Uebungen im Klavierspiel – in der Regel Abends mit dem Vater mehrere Stunden – und Unterricht, den sie jungen Damen ertheilte, füllten ihre Zeit aus. Sie war beliebt als Lehrerin und ihre Schülerinnen zeichneten sich durch Präcision und Nettigkeit des Spiels aus. War der Bruder da, so war das Haus belebt, der Vater heiteren Sinnes, und sie hatte jemand mit dem sie Freud und Leid theilen konnte; war er fort, so war der Vater, der ohne seinen Wolfgang kaum leben konnte, meist sorgenvoll und gedrückt, die Verdrießlichkeiten, welche ihm dort widerfuhren, konnte sie nicht von ihm abwehren, den Sohn ihm nicht ersetzen. Die Zerstreuungen des gesellschaftlichen Lebens in Salzburg konnten ihr für die Einsamkeit ihres häuslichen Lebens nur geringen Ersatz bieten, obgleich sie sich denselben keineswegs entzog und, ebenso wie Wolfgang noch lange nachdem er von Salzburg fort war, an den einzelnen Personen [139] und den kleinen Begebenheiten ihres Freundeskreises ein lebhaftes Interesse nahm9.

Gegen Ende des Jahres 1780, während Wolfgang in München mit dem Idomeneo beschäftigt war, wurde Marianne von einer Krankheit befallen, welche eine Zeitlang zur Brustabzehrung zu werden drohte; es bedurfte einer längeren Schonung ehe sie wieder hergestellt wurde. Wie es scheint, war eine Neigung, die mit ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen hatte, an diesem Kränkeln mit Schuld. Marianne, welche schon in ihren Kinderjahren durch ein angenehmes Aeußere anziehend war, war, wie das Familienbild im Mozarteum in Salzburg ausweist, zu einer stattlichen Schönheit entwickelt, es konnte ihr an Bewerbern wohl nicht fehlen. Die Vertraulichkeit zwischen den beiden Geschwistern zeigt sich auch darin, daß sie ihre unschuldigen Herzensangelegenheiten einander mittheilen10; dieses Vertrauen hielt aber auch für ernste Verhältnisse aus. Als Mozart in Wien festen Fuß gefaßt hatte, suchte er seiner Schwester nicht allein durch mancherlei Dienstleistungen gefällig zu sein11, er schreibt ihr auch (4. Juli [140] 1781): »Nun möchte ich auch gerne wissen, wie es mit dir und dem bewußten guten Freunde steht? schreibe mir doch darüber! oder habe ich dein Vertrauen in dieser Sache verloren?« Aus späteren Briefen geht hervor, daß dieser gute Freund ein gewisser, uns nicht näher bekannter Herr d'Yppold war, welcher für Marianne eine von ihr erwiederte Neigung hegte, aber in Verhältnissen lebte, welche ihm nicht gestatteten sie zu heirathen, und keine Aussicht hatte seine Lage in Salzburg zu verbessern. Mozart, welcher sah, daß die Ruhe und Gesundheit seiner Schwester auf dem Spiele stand, schlug ihr vor, da es in Salzburg nie etwas werden würde, d'Yppold solle nach Wien kommen und dort sein Glück versuchen, er, Wolfgang, werde alles aufbieten ihm durch seine Bekanntschaften dort fortzuhelfen. Sie werde in Wien durch Unterricht ungleich mehr verdienen als in Salzburg, es könne nicht fehlen, daß sie dort bald einander heirathen würden; dann müsse auch der Vater seinen Dienst in Salzburg verlassen und zu seinen Kindern nach Wien ziehen. Leider scheint dieser schöne Plan doch unausführbar gewesen zu sein, und da sich gar keine Aussichten auf eine Verbindung der Liebenden zeigten, so löste sich das Verhältniß wieder auf12.

Im Jahr 1784 heirathete sie Johann Baptist Reichsfreiherrn v. Berchthold zu Sonnenburg, Salzburgischen Hofrath und Pfleger zu St. Gilgen. Er war bereits vermählt gewesen und brachte ihr mehrere Stiefkinder zu. Wie weit sie durch Neigung [141] oder Ueberlegung zu dieser Ehe bestimmt worden sei, ist nicht zu sagen; es wird versichert, daß sie in dieser Verbindung mit einem Gatten, der sie zwar hochgeschätzt, aber nicht eigentlich verstanden haben soll, nicht unzufrieden gelebt habe13.

[142] Der briefliche Verkehr mit ihrem Bruder war seit seinem Aufenthalt in Wien, wo ein bewegtes Leben und vielfache Beschäftigungen ihm zu ausführlicher und regelmäßiger Correspondenz keine Zeit ließen, weniger lebhaft geworden. Er rechtfertigt sich gegen Vorwürfe die sie ihm deshalb gemacht hatte (13. Febr. 1782): »Du darfst aus dem, daß ich dir nicht antworte, nicht schlüßen, daß du mir mit deinem Schreiben beschwerlich fällst. Ich werde die Ehre von dir, liebe Schwester, einen Brief zu erhalten allezeit mit dem größten Vergnügen aufnehmen; wenn es meine (für meinen Lebensunterhalt) nothwendigen Geschäfte zuließen, so weiß es Gott ob ich dir nicht antworten würde! Habe ich dir denn gar niemalen geantwortet? Also Vergessung kann es nicht sein, Nachlässigkeit auch nicht, mithin ist es nichts als unmittelbare Hindernisse, wahre Ohnmöglichkeiten! Schlecht genug, wirst du sagen! – aber um Gotteswillen! schreibe ich nicht auch meinem Vater wenig genug? Sie kennen doch beyde Wien! hat ein Mensch (der keinen Kreuzer sicheres Einkommen hat) an einem solchen Orte nicht Tag und Nacht zu denken und zu arbeiten genug? Unser Vater, wenn er seinen Kirchendienst und du deine paar Scolaren abgefertigt hast, so können Sie beyde den ganzen Tag thun, was Sie wollen und Briefe schreiben die ganze Lytancien enthalten; aber ich nicht. – – – Liebste Schwester! wenn du glaubst, daß ich jemals meinen liebsten, besten Vater und dich vergessen könne, so ... doch still! Gott weiß es, und das ist mir Beruhigung genug – der soll mich strafen, wenn ich es kann.«

Nach dem Tode des Vaters schrieb er an Marianne (16. Juni 1787):


»Liebste, beste Schwester!«


»Daß du mir den traurigen und mir ganz unvermutheten Todesfall unseres liebsten Vaters nicht selbst berichtet hast, fiel mir gar nicht auf, da ich die Ursache leicht errathen konnte. – Gott habe ihn bey sich! – Sey versichert, meine Liebe, daß, wenn du dir einen guten, dich liebenden und schützenden Bruder [143] wünschest, du ihn gewiß bei jeder Gelegenheit in mir finden wirst. – Meine liebste, beste Schwester! wenn du noch unversorgt wärest, so brauchte es dieses Alles nicht. Ich würde, was ich schon tausendmal gedacht und gesagt habe, dir Alles mit wahrem Vergnügen überlassen; da es Dir aber nun, so zu sagen unnütz ist, mir aber im Gegentheil es zu eigenem Vortheil ist, so halte ich es für Pflicht auf mein Weib und Kind zu denken.«

Es läßt sich aus diesem Brief – von dem ich nicht weiß, ob Nissen ihn vollständig hat abdrucken lassen – nicht entnehmen, was Mozart bei der Erbtheilung in Anspruch nahm und ebensowenig ist es bekannt, wie es mit derselben gehalten worden ist14. Spätere Briefe sind mir nicht zur Kunde gekommen. Mit der Wittwe ihres Bruders stand Marianne ebenfalls in keinem näheren brieflichen Verkehr; aus einem Briefe von ihr an Regierungsrath von Sonnleithner (2. Juli 1819) geht hervor, daß sie seit dem Jahr 1801 keinen Brief von ihrer Schwägerin erhalten hatte, von deren Kindern gar nichts wußte und ihre Wiederverheirathung nur durch Fremde erfahren hatte.

Im Jahr 1801 nämlich starb Freiherr von Sonnenburg und seine Wittwe zog darauf mit ihren Kindern nach Salzburg, wo sie ein, wenn auch nicht reichliches, doch bequemes Auskommen hatte. Sie kehrte nun zu ihrer alten Beschäftigung zurück und gab Unterricht im Klavierspiel, zwar für Geld, aber nicht aus Noth, da sie bei ihrer einfachen aber sparsamen Lebensweise eher auflegte als daß sie zurückgekommen wäre. Man hatte in Salzburg große Anhänglichkeit für sie, sie war angesehen und allgemein beliebt. Im Jahr 1820 traf sie das Unglück zu erblinden, welches sie mit Kraft und Fassung, ja mit Heiterkeit ertrug, wie ein Zug beweisen [144] mag. Als sie einen Besuch von einer Dame erhielt, die ihr sehr unangenehm war – denn da man sie gern hatte, suchte man ihr durch zahlreiche Besuche Unterhaltung zu verschaffen –, sagte sie, nachdem dieselbe endlich fortgegangen war: »Welche Qual sich mit der Person zu unterhalten! es ist doch ein wahres Glück, daß ich sie nicht sehen kann«15!

Sie starb in ihrem Geburtsort hochbetagt am 29. Oct. 1829.

Fußnoten

1 Der Brief L. Mozarts (Haag 5. Nov. 1765) ist zu charakteristisch um ihn hier nicht mitzutheilen.

»Ich mußte wider meine Neigung nach Holland gehen, um da, wo nicht gar meine arme Tochter zu verlieren, doch schon fast in den letzten Zügen liegen zu sehen. So weit war es mit ihr gediehen. Ich bereitete sie zur Resignation in den göttlichen Willen. Sie erhielt nicht nur das heilige Abendmahl, sondern auch das heilige Sakrament der letzten Oelung. Hätte Jemand die Unterredungen gehört, die ich, Frau und Tochter hatten, und wie wir letztere von der Eitelkeit der Welt, von dem glückseligen Tode der Kinder überzeugten, so würde er nicht ohne nasse Augen geblieben seyn, da inzwischen Wolfgang sich in einem anderen Zimmer mit seiner Musik unterhielt.«

»Zuletzt sandte mir die Prinzessin von Weilburg den ehrlichen alten Professor Schwenkel zu, der die Krankheit auf eine neue Art behandelt. Sehr oft war meine Tochter nicht bey sich, weder schlafend, noch wachend, und sprach immer im Schlafe bald die eine, bald die andere Sprache, so daß wir bey aller Betrübniß manchmal lachen mußten. Dies brachte auch den Wolfgang etwas aus seiner Traurigkeit. Nun kömmt es darauf an, ob Gott meiner Tochter die Gnade giebt, daß sie wieder zu Kräften gelangt, oder ob ein Zufall kömmt, der sie in die Ewigkeit schickt. Wir haben uns jederzeit dem göttlichen Willen überlassen, und schon ehe wir von Salzburg abgereist sind, haben wir Gott inständigst gebeten, unsere vorhabende Reise zu verhindern oder zu segnen. Stirbt meine Tochter, so stirbt sie glückselig. Schenkt ihr Gott das Leben, so bitten wir ihn, daß er ihr seiner Zeit einen ebenso unschuldigen seligen Tod verleihen möge, als sie jetzt nehmen würde. Ich hoffe das Letztere, indem, da sie sehr schlecht war, am nämlichen Sonntage ich mit dem Evangelium sagte: ›Domine descende, bevor meine Tochter stirbt‹, und diesen Sonntag hieß es: ›die Tochter schlief, dein Glaube hat dir geholfen.‹ Suchen Sie nur im Evangelium, Sie werden es finden.«

»Nun bitte ich wegen meiner Tochter eine heilige Messe zu Maria Plain, eine heil. Messe bei dem heil. Kindel zu Loretto, eine zu Ehren der heil. Walpurgis und zwey zu Passau auf dem Mariahilf-Berge lesen zu lassen. Nun hat mein Mädel auch an die fromme Crescentia gedacht und auch ihr zu Ehren wollen wir eine heilige Messe lesen lassen. Allein da wir noch nicht dergleichen zu thun befugt sind bevor unsere Kirche in Betreff dieser frommen Person etwas decidirt hat, so überlasse ich Ihrer Frau, mit etlichen Patribus Franziscanern ein Consistorium darüber zu halten und die Sache so einzurichten, daß meine Tochter zufriedengestellt, die Satzungen Gottes und unserer Kirche aber nicht beleidigt werden.«


2 Als sie nach München reisen sollte um die finta giardiniera ihres Bruders zu hören, schrieb L. Mozart (16. Dec. 1774): »Ich habe nun eine Wohnung für die Nannerl bei Frau v. Durst. Diese ist 28 Jahr alt, sehr eingezogen und voller Belesenheit und Vernunft: sie leidet keinen Umgang von Schmirbern um sich und ist sehr höflich und angenehm. Nannerl findet da einen eigenen Flügel zu eigenem Gebrauch, auf diesem muß sie fleißig die Sonaten von Paradies und Bach und das Concert von Lucchesi spielen.«


3 Auch der Berichterstatter Burneys (Reise III S. 262) rühmt (im Jahr 1772) das Klavierspiel von Marianne Mozart.


4 So schickte er ihr von Manheim eine Sonate, die er für Rosa Cannabich componirt hatte und die ihm sehr lieb war; von Wien aus ein Präludium und eine Fuge, und war, als er seine drei Concerte aus B D und G dur ihr geschickt hatte, sehr begierig zu hören, welches ihr und dem Vater am besten gefalle. – Auch fremde Compositionen schickte er ihr gelegentlich zu. So schreibt er von München (6. Oct. 1777): »Ich schicke meiner Schwester 6 Duetti a Clavicembalo e Violino von Schuster; ich habe sie hier schon oft gespielt, sie sind nicht übel. Wenn ich hier bleibe, so werde ich auch 6 machen auf diesen gusto, denn sie gefallen hier sehr.«


5 Aus früherer Zeit finden sich hinreichende Beispiele in Beilage V; der Bericht über Clementi wird später besprochen werden; hier führe ich nur an, daß Mozart auf Veranlassung der Clementischen Sonaten ihr räth, sich mit den Sexten- und Octavenpassagen nicht gar zu viel abzugeben, damit sie sich dadurch nicht ihre ruhige und stete Hand verderbe, und die Hand ihre natürliche Leichtigkeit, Gelenkigkeit und fließende Geschwindigkeit nicht verliere (Wien 7. Juni 1783).


6 »Ich bitte um Verzeihung, daß ich so spät mit meinem Glückwunsch komme, allein ich habe meiner Schwester doch mit einem kleinen Präambulum aufwarten wollen – die Spielart lasse ich ihrer eigenen Empfindung übrig – dies ist kein Präludium, um von einem Ton in den anderen zu gehen, sondern nur so ein Capriccio, um das Clavier zu probiren« (Paris 20. Juli 1779).


7 Diese derben, selbst unflätigen Späße, die uns bei Mozart öfter begegnen, waren in damaliger Zeit selbst im Verkehr mit Frauen häufig und dürfen, wie unangenehm sie uns jetzt auch berühren, nicht ohne Weiteres als ein Zeichen von Rohheit und Mangel an Bildung angesehen werden. Wenn man sich an die ähnlichen Derbheiten Luthers im Scherz wie in der Polemik, an den Ton der Fastnachtpredigten und Fastnachtspiele, endlich der Hanswurstiaden erinnert, so wird man zugestehen müssen daß diese Art des Lächerlichen – die übrigens nichts mit geschlechtlichen Zweideutigkeiten zu thun hat – damals allgemein recipirt war und nicht den Anstoß gab wie heutzutage. Damit soll nicht etwa behauptet werden, daß dergleichen Späße damals für sein gegolten hätten – nur verpönt waren sie nicht –, und es ist sicher charakteristisch, daß, während Mozarts Mutter und Schwester sich vor einer solchen Derbheit gelegentlich nicht scheuen, der Vater sich derselben enthält.


8 In einem Briefe an Breitkopf (29. April 1782) schreibt L. Mozart: »Mein Sohn ist und bleibt in Wien. Unterdessen habe ich eine Unterhaltung mit zwey Schülern, dem zwölfjährigen Sohne und dem vierzehnjährigen Töchterchen des Herrn Marchand Theaterdirectors in München, die bey mir in der Erziehung sind und ich Hoffnung habe aus dem Knaben einen großen Violin- und Clavierspieler, und aus dem Mädchen eine gute Sängerin und vortreffliche Clavierspielerin zu bilden.« Bekanntlich haben Heinrich Marchand und Margarethe Marchand-Danzi die Erwartungen L. Mozarts gerechtfertigt.


9 Wolfgang schreibt ihr von Wien (4. Juli 1781): »Schreibe mir öfters, versteht sich, wenn du nichts besseres zu thunweißt, denn ich möchte gar zu gern bisweilen Neuigkeiten lesen, und du bist ja das lebendige Salzburger Protokoll, denn du schreibst ja alles auf, was sich immer ereignet, und mithin schreib es halt mir zu Gefallen zweimal auf.« – Der Vater hatte ihnen zur Pflicht gemacht regelmäßig ein genaues Tagebuch zu führen, was auch Wolfgang in seinen jüngeren Jahren gethan hatte; Marianne hielt noch später an dieser Gewohnheit fest. Im städtischen Museum zu Salzburg wird ein Bruchstück von einem ihrer Tagebücher aufbewahrt; unter ihren Briefen an den Bruder enthalten zwei (Nov. und Dec. 1780) einen sehr ausführlichen Bericht über die Darstellungen der Schikanederschen Schauspielergesellschaft in Salzburg.


10 Vgl. die Scherze über Herrn v. Mölk, einen unglücklichen Liebhaber Mariannes Beil. V, 2; die geheimnißvollen Winke Beil. V, 36. 37. 45. 47. 48. 53. 54.


11 »Ma très chère soeur! Mich freut es sehr, wenn die Bänder nach deinem Geschmack waren, was den Preis der gemalten und ungemalten Bänder anbelangt, werde ich mich erkundigen, denn dermalen weis ich es nicht, weil Fr. v. Auerhammer, welche die Güte hatte mir selbe zu verschaffen, keine Bezahlung annahm, sondern mich gebeten, ich möchte dir von ihr unbekannterweis alles Schöne entrichten, mit der Versicherung, daß es ihr allezeit sehr angenehm sein wird, dir etwas Gefälliges erweisen zu können; ich habe ihr auch schon eine Gegenempfehlung von dir entrichtet. Liebste Schwester! ich habe letzthin schon unserm lieben Vater geschrieben, daß – wenn du etwas gerne von Wien hättest, es sei was es wolle, ich dich gewiß mit wahrem Vergnügen damit bedienen werde; und nun wiederhole ich es mit dem Beisatze, daß es mich sehr verdrüßen würde, wenn ich hören müßte, daß du jemand andern in Wien Commission gäbest« (Wien 4. Juli 1781).


12 Wie hier Mozart seiner Schwester zur Seite stand, so nahm sie an seiner Liebe für seine nachherige Frau Theil. Ihr konnte er klagen, wie schwer es ihm und seiner Constanze gemacht würde, und sie knüpfte mit ihr eine Correspondenz an, als der Vater noch sehr unzufrieden mit dieser Verbindung war.


13 Wolfgang schrieb zu ihrer Hochzeit (18. Aug. 1784):


»Ma très chère soeur!


Potz Sapperment! – Jetzt ist es Zeit, daß ich schreibe, wenn ich will, daß dich mein Brief noch als eine Vestalin antreffen soll! – Ein paar Tage später, und – weg ist's! – Meine Frau und ich wünschen dir alles Glück und Vergnügen zu deiner Standesveränderung und bedauern nur von Herzen, daß wir nicht so glücklich seyn können bey deiner Vermählung gegenwärtig zu seyn; wir hoffen aber dich künftiges Frühjahr ganz gewiß in Salzburg sowohl als in St. Gilgen als Frau von Sonnenburg sammt deinem Herrn Gemahl zu umarmen. Wir bedauern nun nichts als unsern lieben Vater, welcher nun so ganz allein leben soll! – Freylich bist du nicht weit von ihm entfernt und er kann öfters zu Dir spatzieren fahren – allein jetzt ist er wieder an das verfluchte Kapellhaus gebunden! – Wenn ich aber an meines Vaters Stelle wäre, so würde ich vermöge der schon so langen Dienstzeit bitten in Ruhestand gesetzt zu werden, und nach erhaltener Pension ginge ich zu meiner Tochter und lebte dort ruhig. – Wollte der Erzbischof meine Bitte nicht eingehen, so begehrte ich meine Entlassung und ginge zu meinem Sohne nach Wien – und das ists, was ich hauptsächlich dich bitte, daß du dir Mühe geben möchtest ihn dazu zu bereden. – Und nun lebet beyde so gut zusammen, als wie – wir zwey. – Drum nimm von meinem poetischen Hirnkasten einen kleinen Rath an; denn höre nur:


Du wirst im Ehstand viel erfahren,

was dir ein halbes Räthsel war;

bald wirst du aus Erfahrung wissen,

wie Eva einst hat handeln müssen,

daß sie hernach den Kain gebar.

Doch, Schwester, diese Ehstandspflichten

wirst du von Herzen gern verrichten,

Doch jede Sache hat zwo Seiten:

der Ehstand bringt zwar viele Freuden,

allein auch Kummer bringet er.

Drum wenn dein Mann dir finstre Mienen,

die du nicht glaubest zu verdienen,

in seiner übeln Laune macht:

so denke, das ist Männergrille,

und sag: Herr, es gescheh dein Wille

– – – – – – – – – – – – – – – – – –


Dein aufrichtiger Bruder

W.A. Mozart.«


14 Es ist wohl nicht zufällig, daß ein bald nachher (Aug. 1787) geschriebener Brief an die Schwester von Mozarts pecuniärer Stellung handelt. »Um dir über den Punkt in Betreff meines Dienstes zu antworten«, heißt es »so hat mich der Kaiser zu sich in die Kammer genommen, folglich förmlich decretirt, einstweilen aber nur mit 800 Fl.: es ist aber Keiner in der Kammer, der soviel hat. – Auf dem Anschlagzettel, da meine Prager Oper Don Giovanni (welche eben heute wieder gegeben wird) aufgeführt wurde, auf welchem gewiß nicht zu viel steht, da ihn die k.k. Theaterdirection herausgiebt, stand: Die Musik ist von Herrn Mozart, Kapellmeister in wirklichen Diensten Sr. k.k. Majestät.«


15 Ich entnehme dieses aus einem Briefe Nissens an den Hofrath André, der durch ein Gerücht von der Dürftigkeit in welcher sie lebe getäuscht, eine Aufführung des Requiem zu ihrem Besten veranstalten wollte; was sie, als sie davon hörte, durch Nissen dankend ablehnte.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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