[756] J.P. Lyser erzählt (N. Ztschr. f. Mus. XXI S. 174f.), daß ihm Mozarts Sohn Wolfgang bei ihrem Zusammensein in Dresden im Jahr 1834 unter anderen Reliquien seines Vaters auch ein Fragment einer deutschen Uebersetzung des Textes vom Don Giovanni von Mozart selbst verfaßt und eigenhändig geschrieben gezeigt habe. Er habe sich einige ihn besonders daraus interessirende Nummern abschreiben dürfen, ja der junge Mozart habe ihn aufgefordert die Uebersetzung in gleichem Sinne zu vollenden, was aber, weil kein Musikverleger sich dafür habe interessiren mögen, nicht zur Ausführung gekommen sei.
Später (N. Ztschr. f. Mus. XXII S. 133ff.) veröffentlichte er die Uebersetzung dieser beiden Scenen bis auf einige Abänderungen in der Orthographie genau nach dem Original; aus seinen einleitenden Bemerkungen genüge es Folgendes hier mitzutheilen.
»Wie ich schon in jenem erwähnten Aufsatz berichtete, ist Mozart's Original selbst nur Fragment – und ich konnte mir leider daraus wegen Mozart's beschleunigter Abreise von Dresden nur einige, für mich zumeist interessante Nummern copiren.«
»Daß diese Uebersetzung von Mozart selber herrührt, ist ganz unzweifelhaft und zeigt sich bei dem ersten Blick ins Originalmanuscript; denn Mozart, der in seinen schwierigsten voluminösesten Partituren höchst selten eine Stelle ausstrich oder verbesserte, hat hier auf jeder Seite ausgestrichen, geändert und durch untergesetzte Puncte wieder hergestellt.«
»Eben so ist es unzweifelhaft, daß diese Uebersetzung früher Mehreren bekannt gewesen sein muß, denn in einigen älteren Clavierauszügen finden sich ganze Verse daraus. Ja, ich entsinne mich, in der Theaterbibliothek des ehemaligen Hoftheaters zu Schleswig eine alte geschriebene Partitur des Don Juan gesehen zu haben, in welcher noch z.B. das große Recitativ Donna Anna's: ›Don Ottavio, son morta!‹ fehlte, wo aber namentlich [756] das ganze vie Finale, was den Text betrifft, mit Mozart's Verdeutschung fast Wort für Wort übereinstimmt.«
»Mozart's Originalmanuscript ist auf derbem, starkem Papier in groß Quartformat geschrieben, die Blätter sind in der Mitte gebrochen, links ist immer der Text, die rechte Seite ist für die Anmerkungen bestimmt.«
Das Originalmanuscript ist nicht, wie Lyser vermuthete, aus dem Nachlaß Wolfg. Mozarts nach Salzburg ins Mozarteum gelangt und nichts hat wieder davon verlautet. Lyser, der gegen jeden Verdacht einer Mystification entschieden protestirt, berichtet nachträglich (Mozart-Album S. 86) noch, daß auf dem Titelblatt des merkwürdigen Manuscripts sich »ein höchst muthwilliger Notenwechsel des Hrn. Wolferl und der Frau Stanzerls in Wort und Bild« von Mozarts Hand befand.
Die von Lyser mitgetheilten Scenen, welche der Kritik des Lesers übergeben werden, folgen hier in getreuem Abdruck.
Atto 1.
Das Theater zeiget einen Garten, an der Hinterwand das Haus des Gouverneurs Dom Pedro Gussmann, zur Seite eine Gartenmauer mit einem Gitterthor; zur andern Seite eine Gartenbanqûe, darauf Leporello beim Aufrollen der Courtine sitzet
Es ist finstre Nacht.
NB. Die Garten-Mauer muß dergestalt vorgerichtet sein, daß Don Juan und Leporello später darüber wegkommen können.
Introduzione.
Leporello.
NB. (Leporello sitzet auf der Gartenbanqûe und nickt im Schlafe; nach einer Weile wachet er auf, schüttelt sich, als fröre ihm, steht auf und trabet auf und ab.)
Nacht und Tag im ganzen Jahr,
Keine Ruhe, meist Gefahr!
Schlechten Lohn und Prügel gar!
Wohl bekomm' es Dir, Hanns-Narr!
Nein, so kann es nicht mehr gehen!
Ja, ich laufe gleich davon!
Gute Nacht, mein Herr Patron!
Ja ja ja ja ja! Ja!
Ich laufe gleich davon.
NB. Leporello kukt noch einmal nach dem Fenster, wo sein Patron ist.
[757] O, daß ihm der Spaß bekomme!
Drinnen koset mein Geselle
Und ich friere auf der Schwelle.
Nein, so soll es nicht mehr gehen!–
:||: Ja ich laufe gleich davon :||:
Ja ja ja ja ja ja!
Ich laufe gleich davon. –
NB. Leporello will fortlaufen, im Hause entsteht ein großes Gepolter. Leporello erschrickt und siehet sich nach einem guten Versteck um.
:||: Aber he! – beim Elemente! :||:
:||: Lärmen giebt es wieder hier :||:
:||: Leporello sieh Dich für! :||:
Salviret sich.
Donna Anna.
Nein fürwahr! vergebens ringst Du,
Nimmermehr lass ich Dich frei!
NB. Don Juan springet aus dem Hause und will davon. Donna Anna hält ihn beim Mantel fest, sie hat ihm seine Masque abgerissen. Don Juan hat einen weißen Mantel umgehangen und einen großen Hut auf, daß man sein Gesicht fast nicht sieht.
Don Juan.
Tolles Mädchen, vergebens schrei'st Du!
Niemand höret Dein Geschrei!
Leporello.
Leporello, wohin kriechst Du?
Bringt ihr Rufen Hülfe herbei?
O, welch' Geschrei!
Donna Anna.
Leute, Diener! – Verschließt die Thore!
Don Juan.
Anna, schweige! – Du bist verloren!
D. A. schreit noch lauter.
Greift den Räuber –!
D. J.
– »Diese Furie«
D. A. zu Don Juan.
Du sollst sterben!
[758] D. J.
– »ist mein Verderben«.
NB. a Tempo 1 mal rept.
Leporello.
Rufe nur, du armes Mädchen!
Weit ist gut von der Gefahr!
Meinen Herren, ohne Zweifel!
Holt der Teufel endlich gar–
Mit Haut und Haar!
Donna Anna.
Deine Rachefurie, Teufel!
Folge ich Dir immerdar!
Don Juan.
Dieses Mädchen ist ein Teufel!
Wie entkomm' ich der Gefahr? –
NB. Don Juan reißet sich von Annen los, sie läuft durch das Gitterthor nach Hülfe fort und schlägt das Thor hinter sich zu; Don Juan ist gefangen. Er machet sich daran, das Thor mit Gewalt zu öffnen, indem kommt Dom Pedro mit den blanken Degen aus dem Hause.
Pedro.
Halt! gieb mir Antwort
Mit dem Degen!
Don Juan.
Lass' nur in Frieden meinen Degen.
Pedro.
Trägst Du den Degen und brauchst ihn nicht?
Don Juan.
Väterchen weiß nicht was es spricht!
Pedro.
Bube! zieh!
Don Juan.
Narr! entflieh!
Pedro schlagt D.J. mit dem Degen.
Schurke! zieh! – – –
NB. Don Juan zieht seinen Degen und battirt mit Don Pedro. Nach einigen Gängen stößt er den Alten nieder.
Don Juan.
Es ist vorbei mit Dir.
[759] Leporello.
Wär' ich doch tausend Meilen
Weit von hier.
NB. Andante. Che Don Pedro verscheidet, hebt er die Hand gegen Don Juan und drohet ihm.
Leporello.
Ach zu Hülfe! ach zu Hülfe!
Weh! das Herz ist mir getroffen!
Keine Rettung mehr zu hoffen. –
Mörder! bald auch endigst du.
Leporello.
Ach, der Alte schreit um Hülfe! –
Hat mein Herr ihn getroffen,
Hat er hier nichts mehr zu hoffen
Und der Peter muß zur Ruh!
Armer Alter! keine Hülfe! –
Ach, zu gut bist du getroffen.
Nun, dir steht der Himmel offen!
Sterbe wohl und gute Ruh!
NB. Oboii solo.
Fine.
Finale II.
NB. Das Theater zeigt einen schönen Saal in Don Juans Hause, es ist eine große Tafel mit vielen Lichtern vorgerichtet; wenn Don Juan hereintritt, blaset das Orchester hinter einem Aufzug.
Don Juan.
Ha! zum reichbestellten Mahle
Jubelnd die Musik erschalle!
Heut will ich für meine Münze
Fröhlich wie ein König sein. –
Leporello! lustig mir zu dienen!
Leporello.
O, Sie soll'n zufrieden sein!
Hier sind Speisen! hier ist Wein!
NB. oder:
O, das ist Vergnügen mir!
Weine, Speisen locken hier.
Don Juan.
Heut will ich für meine Münze
Fröhlich wie ein König sein.
[760] Zu dem reichbestellten Mahle
Jubelnde Musik erschalle!
Hoch der Frohsinn! – gieb mir Wein!
Laß die Mädchen auch herein.
NB. Die Musikanten blasen das Stück No. 1 (Cosa rara). Leporello läßt die Mädchen herein, welche Tänze aufführen, zu jedem Stücke einen neuen Tanz auch streuen sie Blumen vor Don Juan hin. Don Juan ißt und trinkt tapfer Leporello sieht hungerig zu.
* *
Leporello.
Musik.
– – O Jerum! Cosa rara! –
Don Juan.
Herrlich spielen diese Leute!
Leporello.
Es sind Prager Musikanten!
Don Juan.
Dies Gericht scheint mir das Beste! –
Doch wo bleiben meine Gäste?
Pah! wer zaudert, nagt am Reste
Leporello.
Gerne nagte ich am Reste,
Doch er giebt mir keinen 'raus!
Wie der frißt! O das ist ein Graus! –
Don Juan.
Gerne nagte der am Reste,
Doch ich geb' ihm keinen 'raus! Nein!
NB. D. C. a dur.
Er trinkt und ruft.
Vivat!
Leporello.
Prosit!
Er sauft auch heimlich ein Glas.
NB. Die Musikanten blasen No. 2 »Gut fischen im Trüben«.
Wie heißt doch die alte Oper?
D. Juan.
Gieb Champagner!
Leporello bringt Champagner, D.J. trinkt.
Leporello hat sich auf die Arie besonnen.
Recht! »im Trüben ist gut fischen!«
:||: Fisch' ich :||: den Kapaunerl mir!
[761] NB. Leporello stiehlt einen Kapaunen und frißt ihn. D.J. merkt es und lacht heimlich.
D. J. für sich.
Schlingel! Dich werd' ich erwischen!
Aber gerne gönn ich's Dir.
Leporello.
Diese Aria sollte ich kennen!
NB. Die Musikanten spielen No. 3 Aria Figarostransp, in B, Moderato Leporello spitzt die Ohren.
D. Juan.
Leporello.
Leporello.
He! Sie befehlen?
NB. Leporello hat eben das Maul voll und kann nicht reden, als er schnell hinunterschlucken will, fangt er zu husten an.
D. Juan.
Ei! was steckt Dir denn in Deiner Kehlen?
Leporello.
Ach! ich glaube: ich hab' die Schwindsucht,
Denn ich huste lange schon! –
D. Juan.
Und da stiehlt er mir Kapaunen?A1
Wart' ich will den Doctor machen!
Geh daher, mein frommer Sohn!
Geh her! –
Leporello.
Sie seind selbsten ein guter Schmecker!
Der Kapaunerl war mir zu lecker!
Wie der Herr, so auch der Diener:
Und da hab' ich ihn erwischt.
D. Juan lacht.
Meiner Treu! ein saub'rer Diener!
Der mir stiehlt, was er erwischt.
[762] Elvira kommt.
NB. Wenn Elvira hereinkommt, winket Leporello den andern Mädchen, und dieselben entfernen sich, die Tafelmusik höret auf.
All' meine Schmerzen,
Die ich erduldet,
Die Du verschuldet,
Vergeß' ich bei Dir! –
:||: Nur Dich zu retten:||:
Aus dem Verderben
:||: Siehst Du mich hier. :||:
D. J. für sich.
O weh ! – o weh!
Leporello lacht heimlich.
He he! – He he!
Elvira.
Alles, ach, alles will ich vergeben!
Denk' an die Zukunft, ich flehe Dich an!
Don Juan.
Ei, in der Gegenwart :||: fröhlich zu leben:||:
Halt' ich für klüger: Lebe, wer's kann!
Lebe, wer's kann!
NB. Don Juan schenkt sich fleißig ein und trinkt. Es ziehet ein Gewitter herauf und blitzt durch das Fenster.
Elvira weinet.
:||: An meinen Leiden
:||: Willst Du Dich weiden? :||:
Leporello.
Der Meister Liederlich!
An ihren Leiden kann er sich noch weiden!
Das ist nicht sein.
Don Juan.
Nur nicht so weinerlich! –.
An Deinen Leiden
Sollt' ich mich weiden?
O wahrlich: nein!
Er faßt Elvira um den Leib und will sie küssen.
Ich will Dich lieben!
[763] Elvira.
Liebe nicht will ich!
NB. Elvira macht sich von D. J. los.
D. Juan lacht.
Bravo!
Elvira.
O höre mich!
Don Juan.
Ich höre.
Elvira.
Bereue – beß're Dich!
NB. Elvira fällt vor D. J. auf die Knie. Er hebt sie wieder auf und thut galant mit ihr.
D. Juan.
Laß uns doch essen!
Grillen vergessen!
Mich zu bekehren
Ist Zeit genug da.
NB. Don Juan setzt sich wieder zum Speisen hin und nöthigt Elvira, daß sie neben ihn sitzen soll; sie schlägt ihm es zornig ab.
Elvira.
Wohl dann, beharre, grausam vermessen!
Gottes Gerichte verkünd ich Dir nah!
Leporello.
Arme Elvira! lange vergessen
Hat er den Himmel, der kommt ihm nicht nah.
D. Juan trinkt.
Vivat! der beste Wein! –
Vivat! das schönste Weib! –
Nur diesem Zeitvertreib lebe ich ja!
NB. Elvira geht hinaus, gleich darauf hört man sie schreien; sie kommt voller Angst zurücke gelaufen und fliehet durch eine andere Thüre davon.
Elvira.
Ach! – –
Don Juan.
·|. Was schreit ·|. die Närrin? ·|.
·|. Geh und sieh ·|. was ihr geschah ·|.
NB. Leporello nimmt ein Licht und geht ebenfalls hinaus, kommt aber auch gleich wieder zurücke gelaufen und schreit noch ärger als Elvira.
[764] Leporello.
Ach! –
D. J. hält sich die Ohren zu.
Schrei' alle Teufel aus der Hölle!
Rede, Schlingel ·|. wer ist da? ·|.
Leporello.
Ah! ah! ah! mein guter Herr!
Das zu sagen, fällt mir schwer!
Draußen, vor der Thüre, steht er,
Der Mann von Stein, der todte Peter!
Hu! ich hab' ihn ja gesehn!
Hu! ich hab' ihn hören gehn:
Ta! ta! ta! ta!
D. Juan.
He! wie soll ich das verstehn?
Leporello.
Ta! ta! ta! ta!
D. Juan.
Wie? der Gast von Stein wär' da?
Er wär wirklich da?
NB. Es klopft zu drei unterschschiedlichen Malen an die Thüre.
Leporello.
Weh! da klopt er!
D. Juan lacht.
Schön! thu auf denn.
NB. Es klopft wieder.
Leporello.
Ach! schon wieder!
D. Juan.
Geh und öffne!
NB. Es klopft immer stärker.
Leporello.
Ach! –
D. Juan.
Oeffne!
Leporello.
Oh!
[765] D. J. giebt den Leporello einen Fußtritt.
Hund Du!
Für sich.
·|. Ich will die Müh ihm sparen ·|.
Durch's Schlüsselloch zu gehn.
NB. Don Juan nimmt in der einen Hand seinen Degen, in der andern Hand einen Leuchter mit Lichtern und geht kecklich hinaus.
Leporello.
·|. Da soll mich doch Gott bewahren ·|.
·|. Ihn noch einmal zu sehn ·|.
Er verkriecht sich unterm Tisch.
NB. Don Juan kommt mit der Statue zurück, die Lichter verlöschen alle.
Die Statue.A2
A1 Anmerk. des Herausgebers: Diese Zeile hat Mozart erst ausgestrichen, dann wieder durch darunter gesetzte Puncte hergestellt, bei Parlandostellen hat er dieses oft gethan.
A2 Hier endet Mozart's Manuscript.
Buchempfehlung
Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.
70 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro