[Biographie]

In weite Ferne gerückt ist uns Gegenwärtigen das goldene Zeitalter der Musik. Ein volles Jahrzehnt hat sich erfüllt, seit wir den hundertjährigen Geburtstag seines letzten und vornehmsten Repräsentanten, Ludwig van Beethoven, des größten Tonschöpfers nicht allein unsers Volkes, sondern aller Völker und Zeiten, festlich begingen. Nicht wie Mozart, in der Blüte der Jahre, schied er aus diesem Leben. Doch noch in voller Manneskraft, neue kühne Entwürfe planend, ward er vom Tod hinweggerafft, zu früh für den überquellenden Reichthum seines Genius, zu früh auch für die Welt, die er mit königlicheren Gaben beschenkte als je ein Anderer. Und dennoch hatte sie ihm selten ein lächelndes Antlitz gezeigt, so lange er hienieden weilte. Hart und rauh gebettet hatte ihn das Schicksal von Kindheit an, gleichsam zur Buße dafür, daß es ihn mit seiner höchsten Weihegabe, dem Genie, überschwänglich gesegnet. Frohsinn und Jugendglück, Liebe und ebenbürtige Freundschaft, Ehe- und Familienleben, eine nach außen fest begründete, sorglose Existenz blieben ihm Zeit seines Lebens fremde, nie besessene Güter; nur kalten Ruhm – und selbst den nicht sonderlich freigebig – bot die Welt seinem großen Herzen, das mit all' seinem Liebesverlangen tief einsam blieb. Auch das, was Anderen[321] zur Befreiung und Erlösung, zum lauteren Segensquell wird: das Glück des Schaffens, ward ihm vergällt durch jenes tragische Geschick, das ihn, den überschwänglich Tönereichen, zugleich zum Bettlerfremdling im Reich der Töne machte. Daß er das Göttlichste, was er uns geoffenbart, niemals mit seinem eigenen Ohr vernommen, daß er sich inmitten einer für ihn verstummenden Welt begnügen mußte mit dem lautlosen Tonspiel seiner Phantasie: das ist's, was seine Gestalt, die heroischste, zugleich zur tragischsten macht, welche die Geschichte der Tonkunst kennt. Aber gerade in der tiefsten Vereinsamung gelangte er zur Vollendung seiner selbst. Ungestört vom Geräusch des Lebens, einzig noch den Harmonien seines Innern lauschend, erlebte er seine eigensten Erfahrungen und sprach sie in höchsten, ewig gültigen Offenbarungen aus, wie sie seine letzten und größten Werke enthalten. So liegt in der Tragik seiner Erscheinung zugleich die eigenthümliche Größe derselben begründet, auf die, treffender als auf irgend eine andere, der Ausspruch Richard Wagner's Anwendung findet: »Glücklich das Genie, dem nie das Glück lächelte! Es ist sich selbst so ungeheuer viel; was soll ihm das Glück noch sein?«

Und welch' ein Vermächtniß hinterließ uns der Meister, ob es ihm auch nicht beschieden war, sein Dasein ganz und voll bis an die dem Menschen gemeinhin gesteckte Grenze auszuleben! Wo begegnen wir einem gigantischeren Künstlertagewerk als dem seinen? Zu höchsten Höhen empor führte er seine Kunst, der Vollender der erhabensten Formen, die das Gebiet der Töne umfaßt. Die kirchliche und die dramatische, die Orchester-, die Kammer- und die Vocalmusik haben keine höheren Muster ihrer Gattung aufzuweisen als die, welche seine Meisterhand gebildet. Noch keinem Sterblichen ward[322] es gegeben, in erschütternderer Sprache zu unserm Herzen zu reden, Keinem, von Freude und Schmerz in verklärteren Hymnen zu singen; Keinem, hinabsteigend in die Tiefen der Menschenbrust, die unaussprechlichsten Geheimnisse derselben, ihr heiligstes Empfinden also zu künden. So erlauchte Namen auch die Geschichte der Tonkunst vor und nach ihm nennt, es ist keiner unter ihnen allen, der hinanreichte an seinen Glanz, seine Hoheit; keiner, der sich nicht demuthsvoll neigen müßte vor seiner Universalität. So Herrliches uns auch die Unsterblichen Händel und Bach, Gluck und Haydn verliehen, Natur und Verhältnisse wiesen jeden von ihnen doch in bestimmte Schranken, Neigung und Begabung ließen jeden nur in bestimmter Richtung Vollkommenes erzeugen. Beethoven aber umfaßte, wie gleich ihm nur Mozart, das All der Töne; er gab uns in jeder Richtung Vollkommenstes, Vollkommeneres auch als jener, weil sein Geist gewaltiger, weitschauender angelegt, seine Seele mehr erfüllt war von heiligem Ernst, erhabenem Kampfesmuth und weltverachtender Resignation, die ihn ganz Künstler sein und seines Menschseins nahezu vergessen ließ.

Sehen wir seine Werke an, wie sie ihn in steter Steigerung und Vollendung seines Künstlerthums, in unablässigem Ringen und Fortschreiten nach letzten und höchsten Zielen uns vor Augen stellen, bis er, seine hohe Mission vollendend, ganz in sich gekehrt, die volle Erkenntniß seiner selbst und des inneren Wesens aller Dinge findet und das Geheimniß des Welträthsels in höchsten Offenbarungen kundthut! Wo bietet die Kunstgeschichte das Beispiel eines ähnlichen Fortschritts in der Entwickelung eines Einzelnen? Ist es nicht vielmehr, als hätte dieser wunderbar erleuchtete Geist die Entwickelung von Generationen beschleunigt in sich durchlebt? Weit, weit voran schritt er dem Vermögen seiner Zeit, mit[323] prophetischem Blick kommende Bedürfnisse und Wandlungen voraus erkennend. Formell und ideell erweiterte er die Sphäre seiner Kunst. Dem neuen Geistesgehalt gemäß mußte auch die Form sich erneuen und verjüngen.

So erscheint, wenn in seinen früheren Werken noch beide sich gleichmäßig decken, in seinen späteren Gestaltungen die Form der Idee untergeordnet, derart, daß diese die bestimmende, jene die bestimmte wird. Musik und Leben, Kunstwerk und künstlerische Persönlichkeit brachte er in ein bezügliches Verhältniß; er eroberte der instrumentalen Kunst das Gebiet des Gedankens, zog die Unendlichkeit in ihr Bereich. Solchergestalt ward er, das gekrönte Haupt der mit ihm abschließenden glorreichen classischen Musikepoche, zugleich der Mittel- und Ausgangspunkt der neueren romantischen Richtung, die, in Nachfolge auf der von ihm eröffneten Bahn, in Vergeistigung der Tonkunst ihre Aufgabe erblickt. Er bleibt auch der eigentliche Lehrer und Meister der Zukunft. In einsamer Größe Alle überragend, die vor und nach ihm kamen, so sah ihn die Vergangenheit, so sieht ihn die Gegenwart und werden ihn auch kommende Geschlechter sehen. Vom Zeitenwandel bleibt er unberührt, denn er sprach das Ewige der Menschheit aus.

Nirgendwo finden wir den Geburtstag Ludwig van Beethoven's genannt; erwiesen ist nur, daß er am 17. December des Jahres 1770 die Taufe empfing. Obwol einer aus Belgien in den Niederlanden eingewanderten Familie entstammend, stand seine Wiege doch in Bonn, am deutschen Strom. Sein Großvater, mit dessen Namen Ludwig zugleich die in der Familie erbliche musikalische Begabung auf ihn übergegangen war, hatte, noch jung an Jahren, seine und der Seinen Heimat, Antwerpen, verlassen und sich am Rheine angesiedelt, woselbst er das[324] Amt eines kurfürstlich cölnischen Capellmeisters bekleidete. Auch dessen Sohn, Johann van Beethoven, der Vater des großen Ludwig, war, wie viele seiner Vorfahren, Musiker seines Zeichens; auch er stand, und zwar als Hoftenorist, in Diensten des geistlichen Fürsten, der zu jener Zeit zu Bonn residirte. Das dürftige Einkommen, das er in dieser Eigenschaft genoß – es betrug nicht mehr als 200 Reichsthaler jährlich – bedingte von Anbeginn eine um so größere Einschränkung seines Haushaltes, als auch seine Frau, Maria Magdalena Laym, geborene Kewerich aus Ehrenbreitstein, die er als junge Wittwe eines kurtrier'schen Leibkammerdieners heimgeführt hatte, bescheidenen Verhältnissen entstammte. Während uns diese aber, ob der Vorzüge ihres Herzens und sanften Wesens, allseitig gerühmt wird, schildern ihn seine Zeitgenossen wol als »guten Musiker«, aber als »geistig und sittlich wenig ausgezeichnet« und überdem mit dem Laster der Trunksucht behaftet, das ihm von seiner Mutter überkommen war. Hatte die Letztgenannte dieser unseligen Leidenschaft in einer Weise gefrönt, die sie ihre häuslichen und mütterlichen Pflichten gänzlich verabsäumen und schließlich in ein Kloster gesperrt enden ließ, so war auch bei ihrem Sohn völlige Zerrüttung seines Wohlstandes die unausbleibliche Folge.

So kam es, daß nach dem Tode des alten, allgemein geachteten Capellmeisters, an dem sein dreijähriger Enkel schon mit inniger Liebe hing, Noth und Bedrängniß immer gebieterischer Einkehr hielten im Hause des Sängers. Außer Stande, der wachsenden Verkommenheit seiner Lage aus eigner Kraft zu steuern, mußte es ihm um so willkommener sein, in seinem Sohn Ludwig schon in frühester Jugend die unzweideutigen Spuren eines auffallenden Talentes wahrzunehmen. Eigennützig beschloß er, dasselbe für seine Zwecke auszubeuten.[325]

Beethoven selbst hat es ausgesprochen, wie »mit seinem vierten Jahre die Musik die erste seiner jugendlichen Beschäftigungen zu werden begann«, und Schlosser1, der früheste, wenn auch keineswegs immer zuverlässige Biograph des Meisters, erzählt, es sei des vierjährigen Knaben größtes Vergnügen gewesen, dem Vater zuzuhören, wenn er sich zu einem Vortrag am Clavier vorbereitete. »Er eilte dann von seinen Gespielen weg, hörte unter Freudenbezeugungen zu, und bat den Vater immer noch länger fortzufahren, wenn er endigen wollte. Die höchste Lust wurde ihm aber gewährt, wenn ihn der Vater auf den Schos nahm und durch seine kleinen Finger den Gesang eines Liedes auf dem Clavier begleiten ließ. Bald begann der Knabe eine Wiederholung dieses Spiels allein zu versuchen, und dieses glückte ihm im Anfange des fünften Jahres so gut, daß nun auf ernstlichen Unterricht gedacht werden mußte.« So begann er erst spielend das Clavier- und Geigenspiel unter Leitung des Vaters. So lange es eben beim Spiel blieb, gefiel es dem Knaben gar wohl; bald aber sollte sich der Scherz in bitteren Ernst verwandeln. Als mit der Geburt zweier Söhne, Carl und Johann, die väterlichen Sorgen sich mehrten, strebte der Vater schneller zum Ziele zu kommen, um, nach dem Vorbild Mozart's, seinen Sohn als Wunderkind der Welt zu präsentiren. Mit Härte und Strenge, unter Schelten und Schlägen trieb er nun den Knaben vom Spiel der Gefährten hinweg zu seinen Aufgaben, die er oft unter hellen Thränen lernte. Erfolglos blieben die Versuche der Freunde und der sanften Mutter, ihn zu größerer Milde gegen sein Kind zu bewegen. Er beharrte bei seinem rauhen System, indeß die nur zu empfindliche Kindesseele sich[326] mehr und mehr in sich selbst zurückzog bei der unsanften Berührung, und sich nach außen hin verschloß, um jene früh empfangenen, gewaltsamen Eindrücke in unverwischbaren Spuren ein ganzes Leben hindurch an sich zu tragen.

Seinen Zwecken freilich brachte ihn ein solches Verfahren augenscheinlich näher. Die zunehmende Fertigkeit des kleinen Ludwig erregte das Staunen seiner Umgebung, und seiner Vaterstadt galt er in der That bald als Wunderkind. Bereits in seinem neunten Jahre wußte er Compositionen Haydn's, Mozart's und Clementi's auf einem alten Federflügel sehr gut vorzutragen. Allmälig drängte sich inzwischen Johann van Beethoven die Erkenntniß auf, daß sein talentvoller Sohn zur weiteren Schulung einer entsprechenderen Lehrkraft bedürfe, als der seinen, und so gewann er, da ein anderer Lehrer seinen Mitteln unerreichbar blieb, den Tenoristen Pfeiffer für den Unterricht desselben. Sehr pädagogisch freilich verfuhr derselbe nicht. Oft wenn er in später Nacht mit Ludwig's Vater aus dem Weinhaus kam, wurde der Knabe aus dem Bette geholt und bis zum Morgen am Clavier festgehalten. Nichtsdestoweniger wird er als »höchst genial« und »ein trefflicher Künstler« bezeichnet, und gewiß ist, daß sein Schüler ihm Manches, wenn auch sicherlich nicht »das Meiste« verdankt, wie Wegeler, einer seiner ersten Biographen2, meint. Daß Beethoven ihm wenigstens auch in der Folge dankbar geblieben, bezeugt, daß er ihn, als er im Alter in Dürftigkeit kam, durch eine Geldsendung unterstützte. Nach Pfeiffer's Weggange von Bonn übernahm der Hoforganist van den Eeden die Leitung Ludwig's[327] und zwar zuerst unentgeltlich. Später mußte er, auf besonderen Befehl des musikliebenden Kurfürsten Maximilian Friedrich, der sich für den genialen Knaben interessirte und sich öfters von ihm vorspielen ließ, ihm täglich eine Lehrstunde ertheilen, und neben dem Clavier zugleich im Orgelspiel unterweisen. In noch fürsorglichere Hände aber ging Ludwig's musikalische Erziehung nach Eeden's Tode über, indem dessen Nachfolger, der bisherige Musikdirector des kurfürstlichen Theaters, Hoforganist Neefe, ein geborener Sachse und eifriger Zögling der Bach'schen Schule, seine weitere Ausbildung übernahm.

Mit ihm ward der hervorragendste Musiker der Stadt, der sich als Componist und trefflicher Orgel-, Clavier- und Violinspieler allgemeinster Anerkennung erfreute und von einer ebenso tief wissenschaftlichen, als allgemein menschlichen Bildung unterstützt wurde, Ludwig's Lehrer. Seines Zöglings technische Fertigkeit, vornehmlich mit Hülfe von Bach's wohltemperirtem Clavier, emsig fördernd, führte er ihn auch in die Geheimnisse des Generalbasses und der Compositionslehre ein, und wenn auch ein von Seyfried mitgetheiltes Autograph Beethoven's die selbstbewußten Worte enthält: »Ich brauchte wegen mir selbst beinahe dieses nie zu lernen, ich hatte von Kindheit an ein solch zartes Gefühl, daß ich es ausübte, ohne zu wissen, daß es so sein müsse oder anders sein könne«, so bekundet doch andererseits ein von Wien datirter Brief an seinen Lehrer die dankbare Erkenntlichkeit, die ihm die Worte dictirte: »Ich danke Ihnen für Ihren Rath, den Sie mir sehr oft bei dem Weiterkommen in meiner göttlichen Kunst ertheilten. Werde ich einst ein großer Mann, so haben auch Sie Theil daran.«

Im Jahre 1781 konnte er bereits sein Licht in der Fremde leuchten lassen. Auf einer Reise nach Holland, die er, wie Thayer, Beethoven's neuester verdienter[328] Biograph, uns unterrichtet3, in Begleitung seiner Mutter unternahm, spielte er in »großen Häusern und setzte die Leute durch seine Fertigkeit in Erstaunen.« Beredt genug zeugt überdies für seine Fortschritte unter Neefe's Leitung, daß dieser, als eine längere Abwesenheit ihn von Bonn fern hielt, den elfjährigen Knaben zu seinem Vicar im Orgeldienst bestellte, wie er ihm auch schon im nächstfolgenden Jahre (1783) eine Anstellung als Cembalist im Orchester vermittelte.

Als Resultat der Compositionsstudien seines Schülers veröffentlichte Neefe 1783 »zur Ermunterung« desselben neun Variationen über einen Marsch, denen bald drei Claviersonaten (Es-dur, F-moll, D-dur, ohne Opuszahl), ein Rondo und einige Lieder folgten. Auch die als op. 33 herausgegebenen Bagatellen, eine zweistimmige Fuge, ein Clavierconcert (1784), drei Clavierquartette (1785), die später zu den Sonatenop. 2 benutzt wurden, Präludien, ein Ritterballet für Graf Waldstein (1789), das Es-dur-Trio op. 3 und zwei Cantaten (auf den Tod Kaiser Joseph's und auf Leopold II.) gehören in die Bonner Zeit. Die Sonaten sind seinem hohen Protector, dem Kurfürsten, gewidmet und stehen an Bedeutung den gleichzeitigen Erzeugnissen ihres jugendlichen Schöpfers entschieden voran. Nicht nur, daß in ihnen schon eigene Ideen Gestalt gewinnen – bei einem Genie wie Beethoven möchte uns das kaum Wunder nehmen –, mehr noch überrascht die Sicherheit der Formbeherrschung, die Klarheit und Ebenmäßigkeit, mit der die Gedanken zur Erscheinung kommen: ein Verdienst, das freilich wol in erster Linie auf Neefe's kundige Leitung zurückzuführen ist. Hören wir doch der »hohen Excentricität« und Originalität des Kunstjüngers[329] zu nachdrücklich Erwähnung thun, als daß wir eine derartige Entwickelung seines Formensinns lediglich als natürliche Gabe voraussetzen dürften.

Von der früh ausgebildeten Eigenart seines Wesens wird uns durch die Feder seiner Freunde, unter denen die vornehmste Stelle Wegeler gebührt, Mancherlei berichtet. Still, in sich gekehrt, trotzig, stolz und ungefüg, war schon der Charakter des Kindes nicht das, was man liebenswerth nennt. Wie seiner Jugend eben der Sonnenschein gemangelt, so entbehrte auch sein Wesen der sonnigen Eigenschaften, die berufen sind, Licht und Heiterkeit um sich her zu verbreiten. In ihrem Keime ertödtet durch die Härte des Vaters und die trübseligen Verhältnisse des Hauses wurden der Frohmuth und die kindliche Unbefangenheit seiner Natur, und mit Bitterkeit und Menschenverachtung füllte sich das junge Herz. Selbst seiner milden, sanften Mutter, an der er voll Zärtlichkeit hing, gebrach zugleich mit dem Fundament tieferer Geistesbildung die Macht, die finsteren Eindrücke aus seiner Seele zu bannen und ihn mit den Widerwärtigkeiten seiner Umgebung zu versöhnen. So fand sich Beethoven schon in erster Jugendfrühe darauf angewiesen, in der eignen Innenwelt Ersatz zu suchen für das, was ihm die Außenwelt versagte, und sich in seiner Phantasie ein Reich zu bauen, das nichts wußte von den beengenden Fesseln und Kümmernissen seines äußeren Daseins. Schon der Knabe gewöhnte sich an das, wozu den Mann die harte Noth des Schicksals zwang: sich mehr in sich hineinzuleben und mit den Gestalten seiner Träume zu verkehren, mehr als mit den lebendigen Menschen um ihn her.

Vierzehn Jahre zählte Beethoven, als er das schon zeitweise von ihm verwaltete Amt eines zweiten Hoforganisten officiell antrat. Bald darauf, im April 1784,[330] segnete Kurfürst Max Friedrich das Zeitliche, und dem jüngsten Sohn und Liebling Maria Theresia's, Maximilian Franz von Oesterreich, fiel die erzbischöfliche Würde der cölnischen Lande zu. Unter seinem Scepter, dem sie mit Eröffnung der Bonner Universität und Gründung eines eigenen Nationaltheaters einen erneuten Aufschwung von Kunst und Wissenschaft dankten, sahen dieselben ihr goldenstes Zeitalter, und die rheinische Residenz blühte zu einem Hauptsitz höfischer Sitte und Geistescultur empor. Für Beethoven hatte der Regierungswechsel zunächst den Vortheil, daß er ihm die nöthige Muße zur gründlicheren, systematischeren Verfolgung seiner Studien unter Neefe gewährte. Hatte Letzterer schon im Jahre 1783 in einer Correspondenz in »Cramer's Magazin« gesagt: »Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte; er würde gewiß ein zweiter Mozart werden«, so erwachte in diesem selbst immer lebendiger das Verlangen, in eigner Person aus dem Born der Tonkunst zu schöpfen, der lauterer denn irgendwo zu jener Zeit in Wien, der geweihten Schaffensstätte eines Gluck, Haydn, Mozart, strömte. Heraus aus der ihn umgebenden Enge, aus dem Jammer und Druck seines häuslichen Lebens sehnte sich seine Seele nach Luft, Licht und Freiheit, nach Vollendung seiner Künstlerschaft und Bezeugung derselben auf einem weiteren Schauplatz, angesichts der Allergrößesten seiner Kunst. Wie und durch wen er die erforderlichen Mittel empfing, wird uns nicht erzählt. Genug, mit den Empfehlungen des Kurfürsten an Joseph II., seinen kaiserlichen Bruder, und Mozart, seinen einstigen Gespielen und unvergessenen Liebling, ausgestattet, trat Beethoven im Frühjahre 1787 die Reise nach Wien, den ersten weiteren Ausflug in die Welt, an. Von dem Verlauf derselben können uns die Biographen des[331] Meisters, wie Lenz4, Marx5, Nohl6, Thayer, nur Karges berichten. Wir erfahren wenig mehr, als daß schon nach kurzen Wochen bei Mozart empfangenen Unterrichts häusliches Leid ihn wieder heimberief, hinweg aus einer Umgebung, die, trotz manchem seiner Individualität Widerstrebenden, ihn dergestalt fesselte, daß er sie später zu seiner zweiten Heimat wählte. Der kranken Mutter zu Liebe, die kurz darauf ganz von ihm genommen werden sollte, kehrte er zurück. Am 17. Juli 1787 verlor er sie, nach seinen eigenen Worten »die zärtlichste Mutter und die beste Freundin.« »O!« so schreibt er zwei Monate später einem Augsburger Freund, »o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen? den stummen ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt?« »Das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig«, fügt er hinzu, und in der That häufte sich das Maß seines häuslichen Elends mehr und mehr. Durch die lange Krankheit der Mutter und den ungeordneten Lebenswandel des Vaters war die Familie in immer größere Armuth und eine peinliche Schuldenlast gerathen, die sogar den hülfreichen Beistand der Freunde nöthig machte. Besonders der Musikdirector Franz Ries, seit Langem ein Freund Ludwig's und sein Lehrer im Violinspiel, nahm sich der Seinen thätig an, und in so dankbarem Herzen bewahrte dieser die Erinnerung daran, daß, als dreizehn Jahre später Ferdinand Ries, der Sohn von Jenem, musikalischer Studien halber nach Wien kam, der inzwischen hochberühmt gewordene Meister[332] ihn das vielbeneidete Vorrecht seines einzigen Schülers jahrelang genießen ließ.

Im Uebrigen lag die Sorge für den Haushalt der Familie fast allein auf Ludwigs jungen Schultern, und keinen gewöhnlichen Grad von Willensstärke fürwahr bezeugt es, wenn er – und zwar mit Hülfe des ihm so widerwärtigen zahlreichen Lectionenertheilens – solchen Anforderungen gerecht zu werden vermochte. Auch die Erziehung seiner beiden jüngeren Brüder fiel bei der überhandnehmenden physischen und moralischen Versunkenheit des Vaters vorzugsweise ihm anheim. So glauben wir's ihm gern, wenn er schreibt: »So lange ich hier bin, habe ich noch wenig vergnügte Stunden genossen.« Gleichzeitig wird schon damals, inmitten der Vollkraft der Jugend, die erste Klage über körperliches Uebelbefinden bei ihm laut. »Die ganze Zeit hindurch bin ich mit der Engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine Schwindsucht daraus entstehet. Dazu kommt noch Melancholie, welche für mich ein fast ebenso großes Uebel als meine Krankheit selbst ist!« Einem Wort der Anklage gegen den Vater, der all dies Leid über ihn gebracht, aber begegnen wir nirgends. Wir wissen im Gegentheil, wie jede lieblose Aeußerung über den selben ihn stets in Aufregung und Zorn zu versetzen im Stande war. Die Schwermuth und wachsende Umdüsterung seines Gemüths freilich kann uns in Anbetracht alles dessen nicht Wunder nehmen, und so war es in der That eine nicht genug zu preisende Fügung des Schicksals, daß sich ihm die Thüre eines Hauses gastlich aufthat, darin sich ihm eine seinen Bedürfnissen angemessenere zweite Heimat erschloß.

Frau von Breuning, eine ebenso hochgebildete als hochangesehene Frau, die Wittwe eines kurcölnischen Hofraths, war es, die ihm im Schos ihrer Familie, in welche[333] er zunächst als Clavierlehrer eintrat, die liebe-und verständnißvollste Aufnahme bereitete. Durch gleichen Reichthum des Geistes wie des Herzens ausgezeichnet, gelang es ihr, einen mächtigen Einfluß auf den sonst nicht eben leicht zugänglichen Kunstjünger zu gewinnen und seinen wenig lenksamen Sinn mit sanfter Hand zu leiten. Was die mangelhafte, lediglich auf seine musikalische Vervollkommnung gerichtete Erziehung im Elternhause an ihm gefehlt, das suchte sie mit seinem Takte auszugleichen, indem sie ihn, gemeinsam mit ihren vier, ihm im Alter nahestehenden Kindern, die Vortheile einer höheren Bildung angedeihen ließ. Von systematischem Verfahren freilich war Beethoven niemals ein Freund. Wie ihm die Pflichten eines Lehrers schon zu Anbeginn schwer, späterhin aber geradezu unerträglich waren, so suchte er sich auch seine Kenntnisse mehr in genialisch regelloser, denn in schulgerechter Weise anzueignen. Zur fertigen Erlernung einer Sprache z.B. hat er es nie gebracht. Wir wissen, daß er zur Composition seiner ersten lateinischen Messe der Unterlage einer wörtlichen Uebertragung und der Vorzeichnung des Silbenmaßes und Accentes bedurfte, und ebenso war es um sein Französisch ziemlich mangelhaft bestellt. Von der einseitigen Ausbildung der Musiker seiner Zeit aber war er gleichwol weit entfernt. Seine Vorliebe für die vaterländischen und englischen Dichter, für die Werke der Alten, von denen er namentlich Homer, Plato und Plutarch in Uebersetzungen las, für Geschichte und Politik hatte seinen Gesichtskreis weit über den Horizont seiner zeitgenössischen Kunstbrüder hinaus erweitert und geklärt, und zwar waren es unter den einheimischen Poeten vor allem ein Klopstock, Goethe und Schiller und später auch Matthison, denen sich seine Seele am verwandtesten zuneigte. Des Erstgenannten insbesondere gedachte er (wie Rochlitz erzählt) noch spät,[334] als des Lieblings seiner Jugend. »Ich habe mich Jahre lang mit ihm getragen, wenn ich spazieren ging und sonst. Ei nun, verstanden hab ich ihn freilich nicht überall. Er springt so herum; er fängt auch immer gar zu weit von oben herunter an; immer Maestoso! Des dur! Nicht? Aber er ist doch groß und hebt die Seele. Wo ich ihn nicht verstand, da rieth ich doch.« »Er hat den Klopstock bei mir todt gemacht«, fügte er freilich im Gedanken an Goethe hinzu, und in der That, nur zu begreiflich scheint es, wenn die Ueberschwänglichkeit und Gefühlsseligkeit des Ersteren dem dunklen Drang seiner Jugend näher stand, als seiner reisen Meisterschaft.

Seiner natürlichen Neigung zur Poesie war es ohne Zweifel förderlich, daß die treffliche, vom Kurfürsten subventionirte Großmann'sche Schauspielergesellschaft ihm die Gelegenheit zuführte, die besten dramatischen Erzeugnisse der Neuzeit vermittels lebendiger Anschauung kennen zu lernen. Das Verdienst jedoch, ihn zuerst mit den Schätzen deutscher Literatur und den Werken der zu jener Zeit großgewordenen und großwerdenden Dichter bekannt gemacht zu haben, gebührt in erster Linie Frau von Breuning. Selbst noch in der Blüte der Jahre stehend, war diese seltene Frau sorglich bemüht, die Jugend ihrer Kinder in edelster Weise zu schmücken und zu verschönen, und während sie sie jedem harmlosen Genuß ihres Alters bereitwillig offen hielt, zugleich die Lust an ernster Geistes- und Kunstübung in ihnen zu wecken und zu pflegen. So wuchsen in ihnen, deren zwei gleichzeitig seine musikalischen Zöglinge waren, die Genossen Ludwig van Beethoven's heran, mit denen vereint er den größten Theil des Tages, oft selbst die Nächte zubrachte; ja sogar die Reisen der Familie durfte er nicht selten theilen. Vorzugsweise an Eleonore und Stephan von Breuning schloß er sich mit Innigkeit an, und bis an sein Lebensende[335] blieb er zu ihnen und dem späteren Gemahl der Ersteren, seinem Freund und Biographen Wegeler, in nahen Beziehungen. In ihrer Mitte verlebte er seine wolkenlosesten Jugendtage, und was seinem Leben überhaupt an Sonnenschein verliehen, das concentrirt sich zum nicht geringsten Theile auf die Freuden, die ihm die Freundschaft dieses Hauses bot. Selbst die ersten Liebesregungen und Schwärmereien, die sein Herz für eine junge Cölnerin, Jeannette d'Honrath, und bald darauf – vorübergehend, wie sie waren – für ein Fräulein von Westerhold erfüllten, entkeimten diesem befreundeten Boden. Zwar das Glück der Erwiderung blieb seinen jugendlichen Empfindungen vorenthalten; aber sie riefen doch ein neues, unbekanntes Leben, eine ihm bisher fremde Quelle von Lust und Leid in ihm wach, dessen Stern es nun einmal fügte, daß er frühzeitig die schwere Kunst der Entsagung üben mußte. Auch die Wohlthat edler Sitte und feinerer Lebensführung ward ihm hier zuerst fühlbar, wo der Wohlstand der Familie jene äußere Behaglichkeit erzeugte, welche der Pflege von Kunst und Wissenschaft so glücklich zu Statten kommt, und wenn er sich selber auch mit der dem Künstler häufig gewährten Freiheit der geselligen Rücksichten und Formen meist leichthin entschlug, so erstarkte doch unter dem Einfluß solch edler Sitte das ihm eingeborene strenge Sittlichkeitsgefühl, das ihn siegreich machte gegen alle Versuchungen des Lebens und ihm jene Keuschheit des Empfindens verlieh, die seine große Seele zierte.

Erwies sich die Einwirkung des Breuning'schen Hauses namentlich für die Entwickelung seines Wesens und Charakters förderlich, insofern sie sein Gemüth freundlicher und zugänglicher stimmte und seine bis dahin wenig freudengesegnete Jugend mit lichteren Bildern füllte, so erwarben seine musikalischen Leistungen ihm auch die[336] Gunst und Freundschaft des musiksinnigen Grafen Waldstein, der als Liebling des Kurfürsten besonderen Einfluß genoß. Auch der Bedrängniß seiner äußeren Lage kam derselbe durch häufige Unterstützungen zu Hülfe, die er, mit seiner Schonung des künstlerischen Zartgefühls, ihm unter dem Schein kurfürstlicher Gaben zukommen ließ. Durch Widmung seiner großen C-dur-Sonate op. 53 brachte Beethoven ihm später noch eine dankbare Huldigung dar.

Im November 1789 sah sich der Letztere endlich zu dem schweren Schritt gezwungen, seinen kurfürstlichen Gönner selbst um die Entlassung seines Vaters aus dessen Diensten anzugehen: ein Gesuch, das sofort und in einer den Bittsteller ehrenden Weise willfährig beschieden ward. Als drei Jahre später (am 18. December 1792) der Tod das unglückliche Dasein Johann van Beethoven's endete, war sein Sohn kurz zuvor zum anderen Male gen Wien gezogen, um, was er wol selbst nicht ahnte, seine Vaterstadt und den heimatlichen Strom nimmer wiederzusehen. Wahrscheinlich durch Graf Waldstein, den Oesterreicher, ward der Sinn des jungen Musikers immer entschiedener auf Wien, den damaligen Mittelpunkt des musikalischen Lebens, gelenkt. Mochte auch das durch Max Franz zu hoher Blüte gebrachte Bonner Kunstleben, der Verkehr mit einer Reihe trefflicher Musiker – wie Reicha und die beiden Romberge – sowie seine eigene Thätigkeit als Bratschist in Capelle und Theaterorchester, ihm vielseitige Anregung und künstlerischen Bildungsstoff gewähren: den Bedürfnissen und Bestrebungen seines feurigen Geistes that selbst eine solche Mannigfaltigkeit des Gebotenen nicht dauernd Genüge. Die gelungene Wiedergabe der Schöpfungen Gluck's und Mozart's auf der Bonner Bühne erhöhte nur seine Sehnsucht nach ihrer Geburtsstätte, deren großartigeres Kunsttreiben seinen Neigungen[337] völliger entsprach. Auch die ihn beseelende Liebe zur Natur und Heimat, die durch öftere Ausflüge fortwährend Nahrung erhielt, vermochte diesem Streben in die Ferne nicht Schweigen zu gebieten. Schrieb er doch noch zehn Jahre später aus Wien: »Jene schönen vaterländischen Gegenden, was war mir in ihnen beschieden? Nichts als die Hoffnung auf einen besseren Zustand!« Ein Aufenthalt des kurfürstlichen Hofes und der Capelle in Mergentheim, der Beethoven Gelegenheit gab, dem zu seiner Zeit berühmten Clavierspieler und Componisten Sterkel gegenüber seine junge Künstlerschaft zu zeigen, that wol gleichfalls das Seine, um ihn in der Erkenntniß der Nothwendigkeit immer erneuter Wechselwirkung mit künstlerischen Elementen zu bestärken. Ein entscheidendes Wort ward vermuthlich endlich durch Joseph Haydn gesprochen. Als dieser nämlich auf seiner Hin- und Rückreise nach und von England (1790 und 92) Bonn berührte, da versäumte auch Max Franz nicht, ihm durch die Seinen eine musikalische Huldigung darbringen zu lassen. Bei Gelegenheit eines ihm zu Ehren veranstalteten Festmahls in Godesberg legte ihm Beethoven eine eigene Composition, eine Cantate, vor, deren Aufführung leider an der schwierigen Behandlung der Blasinstrumente scheiterte. Das beifällige Urtheil des großen Meisters erregte in dem jungen Künstler den Wunsch, seines Unterrichtes theilhaftig zu werden. War doch die Hoffnung, von Mozart's Hand zum Gipfel der Künstlerschaft emporgeführt zu werden, mit Jenem selber in's Grab gesunken, als ein vorzeitiger Tod ihn inmitten üppigster Lebens-und Schaffensfülle dahingerafft. Nicht der unschätzbare Gewinn einer näheren Beziehung zu seinem großen Vorgänger sollte ihm beschieden sein, und auf den kurzen Unterricht, den er während seines ersten Aufenthaltes in Wien bei ihm[338] genossen, blieb nun für immer der persönlich unmittelbare Antheil beschränkt, den der Schöpfer des Don Juan an Beethoven's Entwickelung genommen. Dennoch war es Mozart's klarem Blick schon damals vergönnt, den leuchtenden Glanz seines aufgehenden Gestirns vorahnend zu erkennen, und schon die erste Begegnung hatte ihn, nachdem er ihn phantasiren gehört, zu den Worten veranlaßt: »Auf den gebt Acht! der wird einmal in der Welt von sich reden machen!«

So sollte nun Haydn – nachdem Graf Waldstein den Kurfürsten den Wünschen seines Schützlings geneigt gemacht – als Lehrer Beethoven's die Hinterlassenschaft Mozart's antreten, und was dem frühverklärten Meister zu vollenden hienieden vorenthalten blieb: die schöne Aufgabe der letzten Ausbildung eines Beethoven'schen Genius, das ward nun ihm, dem schon Alternden, von der Vorsehung auferlegt, ohne daß er, so scheint es, dieser Aufgabe jemals recht froh geworden wäre.

»Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie Mozart's Geist aus Haydn's Hand«, so lauten die Schlußworte des Briefes, mit dem Beethoven's »wahrer Freund Waldstein« am 29. October 1792 von Ludwig Abschied nahm, der nun dem Ziel seiner Wünsche, der heiteren, klangreichen Stadt an der Donau, entgegenpilgerte. So große Hoffnungen setzte man auf ihn, den 22jährigen Jüngling; so reiche Zinsen versprach sich sein fürstlicher Gönner, dessen Unterstützung ihm allein die Reise ermöglicht, von den ihm gespendeten Gutthaten! Daß er selber indessen auch nicht gering von sich dachte und sich der Größe des ihm innewohnenden Genies vollbewußt war, beweist ein Brief, den er im Juni 1800 an seinen Freund Wegeler schrieb. »So viel will ich Euch sagen«, heißt es darin, »daß Ihr mich nur recht groß wiedersehen werdet; nicht als Künstler sollt Ihr mich[339] größer, sondern auch als Menschen sollt Ihr mich besser, vollkommener finden, und ist dann der Wohlstand etwas besser in unserm Vaterlande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen. O glückseliger Augenblick! wie glücklich halte ich mich, daß ich dich herbeischaffen, dich selbst schaffen kann!«

Unmittelbar nach Beethoven's Ankunft in Wien (November 1792) ward der Unterricht bei Haydn begonnen. Ueber die Gegenstände desselben berichtet G. Nottebohm7 nach den noch erhaltenen Studienheften des Schülers aus jener Zeit. Wir erfahren durch ihn, daß »Uebungen im einfachen Contrapunkt über sechs feste Gesänge in den alten Tonarten« Beethoven zunächst beschäftigten. Es war ihm darum zu thun, einen vollständigen Cursus im Contrapunkt durchzumachen, um in die Menge der bisher erworbenen theoretischen Kenntnisse Ordnung und System zu bringen. So viel es ihm, dem nach Freiheit und Kraftbethätigung Dürstenden, auch kosten mochte, er drängte mit der ihm eigenen starken Willenskraft den mehr und mehr hervorquellenden Ideenreichthum zurück und vertauschte die Lust des Schaffens mit theoretischen Studien. Nicht an den Rechten freilich war er bei Haydn gekommen. Der große Meister war, so scheint es, kein pädagogisches Genie, wie er ein schöpferisches war, und minder glücklich als das Schaffen ging ihm das Lehren, mindestens Beethoven gegenüber, von der Hand. Dazu war er eben jetzt, von der englischen Reise zurückkehrend und für eine zweite sich vorbereitend, viel beschäftigt; er hatte vollauf mit sich selbst zu thun. Zum Verständniß der großartig angelegten Individualität seines Jüngers aber fehlte ihm der Schlüssel. Stand er doch dessen hoher, tiefernster Geistesrichtung so fremd gegenüber wie der Geist des Jahrhunderts, das Jenes[340] wahre Größe zeitigte, dem Zeitalter, das ihn, den Mann mit Zopf und Perrücke und dem steten Sonnenschein im frommen Gemüthe, groß gezogen. Ein kühner Neuerer war er selbst gewesen, und doch blickte er, der auf den Höhen des Lebens stehende, vollendete Meister, kopfschüttelnd herab auf den werdenden, deß eigenwilliger, hochfliegender Geist jeglicher Fessel zu spotten schien und in dem eine Welt neuer revolutionärer Gedanken sich regte. Ueberdem fühlte sein schlicht bürgerlicher, demuthsvoller Sinn sich verletzt von dem hohen Selbstgefühl, der stolzen Selbständigkeit des Jüngeren, und ob er ihm auch scherzend den Beinamen des »Großmogul« gab, die wachsende Größe und Eigenart desselben entfernte ihn doch immer weiter von den eigenen künstlerischen Idealen. Nur zu bald sah er seinen genialen Zögling seiner Schule entwachsen, und schon nach kaum begonnenem Unterricht, im Januar 1793, berichtete er nach Bonn, er werde ihm »große Opern aufgeben und selber bald aufhören müssen zu componiren.« Vergeblich suchte er ihn in zahmere Bahnen zu leiten. Ja, als er, da Beethoven seine drei Trios op. 1 zum ersten Mal unter lebhaftem Beifall zur Aufführung brachte, ihm die Herausgabe des dritten in C-moll in bester Meinung widerrieth, erblickte Beethoven, der in demselben mit Recht gerade das hervorragendste und eigenartigste von allen erkannte, hierin mißgünstige Absichten, und war nicht zu bewegen, bei der Veröffentlichung seiner drei Claviersonaten op. 2, die er Haydn widmete, sich auf dessen Wunsch seinen Schüler zu nennen; denn, so erklärte er Jahre nachher noch im Unmuth gegen Ferdinand Ries: »er habe nichts von ihm gelernt.« Gewiß ist, daß er dem stets nach Gebühr von ihm geschätzten Componisten Haydn ungleich mehr verdankte als dem Lehrer, daß er aus dessen Werken mehr Belehrung[341] schöpfte als aus seinem Unterricht. Wenigstens wird uns erzählt, daß er, nachdem Johann Schenk, der Componist des Dorfbarbiers, ihn eines Tages auf allerlei Fehler aufmerksam gemacht, welche Haydn in seinen Arbeiten unverbessert gelassen haben sollte, zu diesem im Geheimen seine Zuflucht nahm, seine Studien bei Haydn nur pro forma fortsetzend, bis dessen abermalige Reise nach England (im Januar 1794) einen schicklichen Anlaß zur Beendigung derselben gab.

Albrechtsberger, der auch als Kirchencomponist und Domcapellmeister zu St. Stephan thätige, berühmteste Theoretiker seiner Zeit, übernahm nun die Weiterführung Beethoven's in Contrapunkt und Fuge, und haben uns die Mittheilungen Nottebohm's auch mit dem Gang dieses Unterrichts zur Genüge bekannt gemacht. Sie belehren uns, wie emsig er beflissen war, sich mit den grammatischen Kenntnissen seiner Kunst die Herrschaft über all' ihre Mittel zu eigen zu machen; so unverholen manche seiner Aeußerungen andererseits andeuten, wie wenig auch die pedantische Weise dieses Lehrers seinem genialen Sinn entsprach. Denn wie er seinen freieren Kunstprincipien in seinem Schaffen zu energischem Ausdruck verhalf, so wollte er dieselben auch auf das Lehren angewendet wissen. Ferdinand Ries, wenn er in seinen Mittheilungen die Geduld und Milde des sonst so reizbaren Meisters als Lehrer rühmend hervorhebt, giebt uns ein schönes Zeugniß von Beethoven's hoher Auffassung des künstlerischen Lehrberufs, und ein Brief, den Letzterer gelegentlich des Unterrichts seines Neffen an Czerny geschrieben, bekundet, wie er in die geistige Durchdringung des Stoffs vor allem das Wesen echter und wahrer Kunstbildung setzt. Das rein Technische, die leere Form an und für sich war ihm werthlos; nicht in die Knechtschaft des Handwerks sollte der Geist sich[342] dahingeben, sondern freiwaltend dieses beherrschen. Die Idee allein sollte die Form bedingen und beseelen, ihr Leben und Bedeutung leihen, und weil der Geist der Zeit ein sich verjüngender, befreiender und erneuernder geworden, sollten die durch die Arbeit von Jahrhunderten geheiligten Schranken wol nicht zerbrochen, aber erweitert werden, dem veränderten Inhalt gemäß, der sich in ihnen offenbarte. Denn: »Freiheit, Weitergehen ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck«, sagt er selbst.

Das waren, auf das Gebiet der Kunst übertragen, die ersten Lebensregungen einer neuen, hochbewegten Zeit, wie sie emporstieg an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, die Welt mit Thatverlangen und Freiheitsdrang erfüllend, nach einem lichteren, goldneren Morgen, einem sonnigeren Völkerfrühling ringend. Beethoven war der erste, ruhmreichste Repräsentant dieser großen Bewegung auf tonkünstlerischem Gebiet, der erhabenste Freiheitsverkündiger, den das Reich der Töne nennt. Die Musik, so wie sie ihm von seinen Vorgängern Haydn und Mozart überkommen, als Weltsprache in echt classischer Weise weiterbildend, ward er zugleich zum Neubildner eines subjectiven Elementes, das dem allgemein menschlichen Empfinden ein besonderes, der universalen Weltanschauung eine individuelle entgegensetzt. Der poetische Gehalt von Leben, Natur und Geschichte, das Endliche und Unendliche, was den Menschengeist Höchstes und Tiefstes bewegt, wird nun, nachdem die Bildungsarbeit des Tonelementes allseitig vollbracht ist und dasselbe zur Aufnahme der mannigfaltigsten Aufgaben geschmeidigt erscheint, der Inhalt des Kunstwerks. Die Individualität, die persönliche Lebensäußerung machen ihr Recht geltend. Kein früherer Meister zeigt in seinem Schaffen das eigene Spiegelbild so klar und scharf gezeichnet als Beethoven.[343]

Jenes große starke Ich, das, seine eigenen Bahnen zu gehen berufen, die stolze Eigenart nicht verleugnen kann und mag, schaut es uns nicht schon aus dem Haydn so bedenklich erscheinenden Trio in C-moll entgegen, das der Schüler Beethoven schrieb? Ein bequemer, fügsamer Schüler freilich mag er nicht gewesen sein, und gern glauben wir's, wenn wir hören, daß seine Lehrer einstimmig in die Klage ausbrachen, er sei »eigensinnig und selbstwollend«. Auch Salieri schloß sich dieser Meinung an, als er ihm über dramatische Composition und Behandlung der Singstimmen Anweisung ertheilte, und Schindler erzählt, wie dieser sich zu Cherubini bei dessen Anwesenheit in Wien, über seinen einstmaligen Schüler noch beklagt habe. Zwar, daß er, der echt deutsche, von Anbeginn dem Wahren, Charaktervollen zugewandte Künstler, der oberflächlichen italienischen Schule wenig Sympathien abgewann, begreift sich leicht. Aber auch Salieri's Lehren über Stimmbehandlung schenkte er nur geringe Beachtung, so wie er später ähnliche Wünsche und Bemerkungen der Sänger fast spurlos an sich vorübergehen ließ. Um so eifriger war er dagegen bestrebt, sich mit dem Mechanismus der verschiedenen Instrumente immer vertrauter zu machen; wie er sich namentlich über die Leistungsfähigkeit des Horns durch Punto, über die des Contrabasses durch Dragonetti später unterrichten ließ und unter Leitung von Krumpholz auch seine Studien auf der Violine, unter Förster im Quartettsatz wieder aufnahm.

Aeußerst fruchtbringend neben dem eigentlichen Unterricht war für ihn auch das Lesen und Abschreiben und besonders das häufige Anhören von Meisterwerken, an deren Aufführung er vielfach Antheil nahm. Wol durch die Empfehlungen seines Gönners Graf Waldstein insbesondere ward Beethoven in den im zwiefachen Sinne tonangebenden[344] Kreisen des musikliebenden Wiener Adels eingeführt. Es war ja zu jener Zeit das schöne Vorrecht der Aristokratie des Landes, im Anschluß an die kaiserliche Familie, Allen voranzugehen in der Pflege der Tonkunst und ihr in ihrer Mitte eine gedeihliche Stätte zu bereiten; wie denn der Berliner Capellmeister Reichardt den österreichischen Adel geradezu als den »allermusikalischsten, den es vielleicht je gegeben«, bezeichnet. Einige der reicheren Fürsten unterhielten vollständige musikalische Institute, wie eine italienische Oper. Andere, wie Fürst Lobkowitz, gewährten sich den edlen Luxus einer kleineren oder größeren Privat-Capelle, einer Harmoniemusik oder eines Streichquartetts. Daß man die Künstler als Virtuosen wie als Componisten reichlich lohnte, gereichte der Kunst selbst zum Heile, und so geschah es, daß die Kammer- und Orchestermusik im österreichischen Lande dazumal einer Blüte entgegentrieb, die zu keiner Zeit noch übertroffen worden ist. So war durch Mozart's und Haydn's directen Einfluß namentlich die musikalische Bildung der fürstlichen Häuser Lichnowsky und Rasumowsky wesentlich gefördert worden. Neben ihnen nahm Baron van Swieten, der Gründer und Secretär eines hochadeligen Musikvereins, eine bevorzugte Rolle in den tonkundigen Kreisen der Kaiserstadt ein. Ein eifriger Anhänger Sebastian und Philipp Emanuel Bach's wie Händel's, wird er als so unersättlicher Musikenthusiast geschildert, daß er Beethoven »mit der Schlafhaube im Sack« zu sich bestellte, und ihn selten entließ, ohne daß dieser ihm erst ein halb Dutzend Bach'scher Fugen »zum Abendsegen« vorspielen mußte.

Alle Salons der Metropole waren dem genialen Rheinländer alsbald geöffnet. Kam ihm doch überdies das holländische Wörtchen van vor seinem Namen zu statten, das ihn in den Augen des Adels auch als von[345] gleichberechtigter gesellschaftlicher Stellung erscheinen ließ. Begreiflicherweise freilich fanden seine Virtuosität und sein eminentes Improvisationsgenie selbst in diesen kunstverständigen Kreisen schnelleren Eingang als die Kundgebungen seiner schöpferischen Muse. Zweifellos war es bald anerkannt, daß er als Virtuos Alle hinter sich zurückließ. Nur Wölffl und Hummel haben ihm eine Zeit lang den Rang streitig gemacht, und Czerny erzählt in seiner Autobiographie, wie Letzterer und Beethoven »Parteien bildeten, welche einander mit aller Macht anfeindeten.« Während die Anhänger Hummel's Beethoven vorwarfen, daß er »das Fortepiano malträtire und ihm alle Reinheit und Deutlichkeit mangele, daß er durch den Gebrauch des Pedals nur confusen Lärm hervorbringe und seine Compositionen gesucht, unnatürlich, melodielos und überdem unregelmäßig seien«, behaupteten die Anderen dagegen, Hummel ermangele aller Phantasie, sein Spiel sei monoton wie ein Leierkasten u. dergl. m. Den Kennern natürlich blieb es nicht verborgen, wie das Talent eines Hummel himmelweit überragt wurde von Beethoven's Genie, wie die anmuthig eleganten, nur auf den Effect berechneten Leistungen des Jüngers der Mozart-Clementi'schen Schule weit in Schatten gestellt wurden von der zündenden Gewalt, mit der Jenes Spiel sich alle Geister und Herzen unterwarf. Was schon die Zeugen seiner Kindheit an Ludwig, dem Knaben, gerügt, eine durch die Beschäftigung mit dem Orgelspiel verursachte gewisse Härte der Technik, das trat jetzt hinter dem Feuer, der Begeisterung und Phantasiefülle seines Spiels weit zurück. »Auch im Clavierspielen habe ich mich sehr vervollkommnet,« schreibt er im Juni 1800, und in der That sind uns zahlreiche Anecdoten aufbewahrt, die seine seltene Geläufigkeit und die unfehlbare Sicherheit seines musikalischen Gefühls übereinstimmend[346] schildern. So spielt er einst ein ihm unbekanntes Quartett eines Wiener Autors aus der Handschrift vom Blatt. Im zweiten Theil des ersten Satzes kommt das Violoncell heraus und schweigt; da erhebt sich Beethoven und singt, seine Partie gleichzeitig immer fortspielend, die fehlende Stimme hinein. Gegenüber den Ausdrücken lauter Bewunderung, wie er die ausbleibende Stimme des ihm völlig unbekannten Werkes also zu ergänzen vermöge, erwiderte er lächelnd: »So mußte die Baßstimme sein; sonst hätte der Autor ja keine Composition verstanden.« Auf eine andere Bemerkung: er habe ja das niegesehene Presto so schnell gespielt, daß es schlechterdings unmöglich gewesen, die einzelnen Noten zu erkennen, entgegnete er: »Das ist auch keineswegs nöthig; wenn du schnell liesest, so mögen eine Menge Druckfehler vorkommen, du siehst oder achtest sie nicht, wenn nur die Sprache dir bekannt ist.« Von einer gewissen zunehmenden Undeutlichkeit seines Spiels freilich berichten uns auch Ries, Schindler und Andere und zwar in dem Maße, als er an der Feinheit seines Gehörs, dieses dem Musiker unentbehrlichsten Sinnes, Einbuße erlitt. Begeistert aber zeugen Alle, die sie je vernommen, von dem Zauber seiner Improvisationen, deren Reichthum an Erfindung und Vielgestaltigkeit der Durchführung selbst die gleichartigen Hervorbringungen des phantasiereichen Mozart (nach dem Urtheil von Ohrenzeugen) hinter sich zurückließ. Wie jedoch die Tonfülle, die er hervorrief, oftmals in heißen Schmerzen den Tiefen seiner Brust entquollen, das verrieth sich – so wird uns von einem Zeitgenossen geschildert – auf dem Angesicht des sonst so verschlossenen Meisters. »Seine Gesichtsmuskeln schwollen an und seine Adern traten hervor, das ohne hin wilde Auge rollte noch einmal so heftig, der Mund zuckte und Beethoven hatte[347] das Aussehen eines Zauberers, der sich von den Geistern überwältigt fühlt, die er selbst beschwor.«

Die bevorzugte Stätte, wo solche Darbietungen des Künstlers zumeist angeregt und genossen wurden, war das Haus des Fürsten Lichnowsky, dasselbe, das ihn jahrelang beherbergte und ihm eine gastliche Zuflucht bot. Von hier aus auch begannen einige seiner Compositionen zuerst ihren Weg in die Oeffentlichkeit. So die Trios op. 1, deren letztes hier, wie schon erwähnt, Haydn's Bedenken erregte; so auch die diesem gewidmeten Claviersonaten op. 2. Auch das Quintett op. 4, das eine Bonner Arbeit, nur in veränderter Gestalt zeigt, empfing hier durch Graf Apponyi den Anlaß zu seiner Entstehung. Als es galt, dem jungen noch unbekannten Tonsetzer für sein op. 1 einen Verleger zu gewinnen, war es die Vermittelung des Fürsten Lichnowsky, der zufolge sich Artaria in Wien bereit fand, ihm dasselbe mit einer Summe von 212 Fl. zu honoriren, die er freilich ohne Wissen Beethoven's vom Fürsten ausgezahlt erhielt. Später (seit dem Jahre 1799) setzte der Letztere seinem Schützling sogar ein Jahrgeld von 600 Fl. aus, eine um so willkommenere Gabe, als er von Seiten des cölnischen Kurfürsten keinerlei Unterstützung mehr empfing. Unermüdlich, wie sich der Fürst in Beweisen seiner Freundschaft und Hochachtung zeigte, bezeichnet ihn Beethoven selbst, »als den von Allen erprobtesten« und »seinen wärmsten Freund«, und seiner Gemahlin, die all seinen Absonderlichkeiten sanfte Duldung und entschuldigende Milde gegenübersetzte, gedenkt er in Dankbarkeit in den Worten: »Mit großmütterlicher Liebe hat man mich dort erziehen wollen, und die Fürstin Christiane hätte eine Glasglocke über mich machen mögen, damit kein Unwürdiger mich berühre.« Auch der Bruder des Fürsten, Graf Lichnowsky,[348] ein Schüler Mozart's und ausgezeichneter Clavierspieler, »überhäufte ihn völlig mit Gefälligkeiten.«

Leider vermochte das freiheitliebende Naturell unsers Künstlers der Vortheile seines Aufenthaltes inmitten der fürstlichen Freunde nicht dauernd froh zu werden. Ihn beschwerten die leichten Fesseln, die ihm die Ordnung des Hauses auferlegte, und wenig zeigte er sich geneigt, Rücksichten zu gewähren. Vielleicht auch kränkte es seinen Stolz, immerdar nur empfangen zu sollen, wo er sich selber reich zum Geben fühlte, sich abhängig zu wissen, voll des lebendigsten Unabhängigkeitsdranges. Den Mangel einer frühen Welterziehung empfindend, ohne ihn gleichwol überwinden zu können, fühlte er sich beengt von den Formen und Schranken, wie die Gesellschaft sie zwischen sich aufgerichtet, und voll des Bewußtseins der ihm eingeborenen Gotteskraft, die ihn emporhob über Millionen Andere, lehnte er sich auf gegen die Macht des Standesunterschiedes. »Demuth des Menschen gegen den Menschen, sie schmerzt mich«, sagt er einmal, und Bettina schreibt von ihm: »O Goethe! kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven!« Seinem hohen Selbstgefühl giebt er einen schneidigen Ausdruck. »Ich darf das, Sie nicht!« sagt er einem jungen Componisten, und einem Anderen: »Sie müssen noch lange spielen, ehe Sie einsehen lernen, daß Sie nichts können!« Jede Nichtachtung seines Künstlerthums, mehr wie seiner Person, berührt ihn empfindlich. Als man z.B. einst bei einer die Anwesenheit des Prinzen Louis Ferdinand feiernden Assemblée für den fürstlichen Gast und Einige vom hohen Adel eine besondere Tafel servirte, ohne Beethoven dabei zu bedenken, verließ er unter ziemlich derben Ausfällen gegen die Wirthin sofort das Haus. Glücklicherweise verstand es der Prinz, dem[349] von ihm hochverehrten Künstler Genugthuung zu geben, indem er bei einem Mittagsmahl, das er wenige Tage später veranstaltete, der betreffenden Dame den einen, ihm aber den anderen Platz an seiner Seite anwies.

Sich der Etikette der Großen zu fügen, kam ihm allezeit sauer an, und sein Erscheinen bei Hofe erregte gar mancherlei Aergerniß. Nur widerstrebend unterzog er sich dem Unterricht des Erzherzogs Rudolph, den er seufzend seinen »Hofdienst« nannte. Immer von Neuem mußte die Umgebung seines hohen Schülers ihn an die Beobachtung der höfischen Bräuche erinnern, bis er endlich, der fortgesetzten Mahnungen müde, diesem voll Entrüstung erklärte, er hege für ihn selber allen nur möglichen Respect; den leeren Aeußerlichkeiten, von denen er umgeben sei, gerecht zu werden aber vermöge er nun und nimmer. Der Erzherzog lächelte darauf und befahl, den Meister künftighin unbehindert seine Wege gehen zu lassen – da er nun einmal nicht zu ändern sei.

Die Veröffentlichung der ersten, Lichnowsky gewidmeten Trios, die nach dem Zeugniß des Verlegers »mit so vielem Beifall aufgenommen worden«, blieb nicht das einzige wichtige Ereigniß des Jahres 1795; am 29. März desselben Jahres erschien Beethoven, den man bisher nur in den Privatconcerten des Adels bewundert hatte, zum ersten Male in einer Academie der Tonkünstler-Gesellschaft als Virtuos und Componist vor dem großen Wiener Publicum. Er spielte sein erstes Pianoforteconcert in C-dur (op. 15), das frisch aus seiner Feder kam und dessen Hauptpartie er, wie er dies auch später zu thun pflegte, aus leeren Stimmblättern vortrug. Von dem Erfolg dieses ersten Auftretens wird uns nichts berichtet. Auf die wachsende Verbreitung seines Namens aber deutet eine Anzeige der »Wiener Zeitung« hin, darin die Gesellschaft der bildenden[350] Künstler zu ihrem alljährlich stattfindenden Maskenball mit der Bemerkung einladet, daß »die Musik zu den Menuetten und deutschen Tänzen für den kleinen Redoutensaal von der Meisterhand des Herrn Ludwig van Beethoven, aus Liebe zur Kunstverwandtschaft, verfertigt« sei. So mußte, nach dem Vorgange Haydn's, Mozart's und anderer berühmter Namen, nun auch der ernstere Beethoven dem tanzlustigen, lebensfrohen Wien seinen heiteren Zoll entrichten. Wunderbar mag ihn, den »leisegestimmten«, in sich gekehrten Mann, die Art der Lebensführung angemuthet haben, wie sie der Wiener liebt. Unterhaltung, flüchtige Sinneserregung nur forderte man von der Musik; nur als die gefällige Muse, mit lächelndem Angesicht wollte man sie sehen, nicht ernst beschaulich oder gar schmerzenkündend, mit gedankenvoller Stirn und thränendem Auge. Genuß war das Losungswort im Leben wie in der Kunst. Vermochte doch selbst Mozart, das echte Oesterreicher Kind, voll unbewölkter Seelenheiterkeit und Lebensfreudigkeit, nicht rasch und allseitig durchzudringen mit seinen Werken, die doch dem Verständniß freundlich entgegenkommen und deutsche Gemüthstiefe mit italienischem Liebreiz vermitteln. Um wie viel schwerer mußte es Beethoven, dem der realen Welt fast Entfremdeten, ganz dem Idealen Zugeneigten, gelingen, Boden zu fassen. Gleichwol eroberte er sich binnen wenigen Jahren eine Stellung in der Gesellschaft, wie sie die zu europäischem Ruf gelangten Gluck und Haydn vor ihm nicht bevorzugter einnahmen. Den Erben Mozart's ahnte man in ihm, und trotz aller Widersacher und Neider, die ihm sein überragender Genius und wol auch seine stolze, nicht eben nachsichtige Art erweckte, schritt er immer unaufhaltsamer zur Höhe seiner Meisterschaft empor.

Eine Kunstreise, die er im Jahre 1796 nach Prag[351] und Berlin unternahm – die erste und einzige seines Lebens, wenn wir von der Reise des Knaben nach Holland und einem späteren kurzen Auftreten in Prag absehen –, war nicht eben glänzend an Erfolgen; obschon Schindler erzählt, daß er durch sein Clavierspiel und besonders »seine geistvollen Improvisationen Theilnahme und Aufsehen« erregt habe. Während seines Prager Aufenthaltes entstand die Scene und Arie für Sopran und Orchester »Ah perfido!« (op. 65), seine erste große, noch sehr im Mozart'schen Geiste gehaltene Gesangcomposition, die von der Sängerin, für die er sie schrieb, Madame Duschek, bereits im November desselben Jahres in einem Leipziger Concert gesungen ward. In Berlin, wo er mit Fasch und Hummel, Zelter und dem genialen Prinzen Louis Ferdinand bekannt wurde, empfing er durch Duport, den berühmten Cellisten und Günstling König Friedrich Wilhelm's II., die Anregung zu den schönen zwei Sonaten für Piano und Violoncell op. 5, die er gemeinsam mit diesem bei Hofe vortrug und dem König dedicirte. Eine goldne Dose mit Louisdoren gefüllt, sprach ihm dafür den Dank des Letzteren aus. Im Ganzen fühlte sich Beethoven von der preußischen Hauptstadt wenig angezogen und hielt diesen Eindruck, wie es scheint, sein ganzes Leben hindurch fest. Auch wenn ihm der ernstere norddeutsche Charakter mehr zusagen mochte als die leichtlebige südliche Weise, so floß doch, von den Meistern der Classicität geweckt, der Strom des musikalischen Lebens hier um vieles reicher und voller. Genug, er kehrte nach Wien zurück, dahin die beiden Brüder, die er in Bonn zurückgelassen, ihm inzwischen nachgefolgt waren. Brüderlich nahm er sich auch jetzt wieder ihrer an, ob sie ihm seine Güte auch nur mit Undank lohnen sollten. Glücklicherweise wenigstens verbesserten sich indeß seine äußeren[352] Verhältnisse in einem Grade, daß er im Juni 1800 an Wegeler schreiben konnte: »Meine Compositionen tragen mir viel ein, und ich kann sagen, daß ich mehr Bestellungen habe, als fast möglich ist, daß ich befriedigen kann. Auch habe ich auf jede Sache sechs, sieben Verleger, und noch mehr, wenn ich mir's angelegen sein lassen will; man accordirt nicht mehr mit mir, ich fordere und man zahlt.«

Das mit seinem Pfunde Wuchern kam ihm dessen ungeachtet sauer an. »Ich wünschte«, schreibt er seinem Verleger Hofmeister, »daß es anders in der Welt sein könnte. Es sollte nur ein Magazin der Kunst in der Welt sein, wo der Künstler seine Kunstwerke nur hinzugeben hätte, um zu nehmen, was er brauchte: so muß man noch ein halber Handelsmann dabei sein.«

Der steigende Werth und die sich mehrende Zahl seiner Compositionen bestätigen thatsächlich, was er selber ausspricht: »Ich lebe nur in meinen Noten, und ist das Eine kaum da, so ist das Andere schon angefangen.« So sehen wir vom Jahre 1796 bis 1800 neben minder Bedeutendem seine »Adelaide«, die Claviersonaten op. 7, op. 10, 13 und 14, die Violinsonaten op. 12, die Trios op. 9 und 11 und das zweite Pianoforteconcert op. 19, B-dur, theils entstehen, theils vor die Oeffentlichkeit treten.

Das Letztgenannte, das, Beethoven's eigenen Mittheilungen zu Folge, noch vor dem ersten Concert geschrieben ward, führte er zuerst dem Prager Publicum vor, als er, »der Riese unter den Clavierspielern«, wie ihn der dortige Berichterstatter nennt, 1798 Prag besuchte. Nach Form und Tendenz schließt sich dasselbe, gleich dem ersten und dem darauffolgenden dritten Concert (C-moll, op. 37), Mozart'schen Vorbildern an; weit aber werden sie alle von seinen letzten beiden Werken dieser Gattung, dem G- und dem Es-dur-Concert, an[353] Bedeutung überragt. War vorher die Passage im Concert eine losgerissene Phrase, die der Virtuosität des Spielers einen an Schwierigkeiten möglichst reich bedachten Tummelplatz bot, so tritt sie bei Beethoven in enger Beziehung zu den Hauptgedanken, als freiere Figurirung des Materials charakteristisch hervor. Statt der früher beliebten langen Tutti-Einleitung, bei denen der Solist ein müßiger Zuhörer blieb, erhält nun die Solostimme gleich von Anfang an das Wort, das Ganze gewinnt einen unendlich vertieften, mehr symphonischen Charakter.

Auch die Sonate ist bei ihm symphonisch gedacht; in ihrem engen Rahmen schließt sie eine ganze Tragödie ein. Sie entwickelt sich, wie Beethoven's gesammte Kunst, unmittelbar aus derjenigen Haydn's und Mozart's heraus; aber sie wird, kraft der Alles bezwingenden Uebermacht seines Genies, bald eine wesentlich andere. Das neue große Ideenleben, das seine Zeit ihm entgegenbringt, gewinnt in seinem Kunstschaffen Gestalt. Er vergeistigt die gesammte Instrumentalmusik und führt sie in ihren mannigfaltigen Formen zu ungeahnten Höhen empor. Beredter und bedeutsamer erscheinen die Motive. Die Formen dehnen sich, oder schließen sich auch enger aneinander, je nach dem Inhalt, den sie tönend zum Ausdruck bringen. Zunächst gesellt sich den üblichen drei Sätzen ein vierter, dann rücken sie wieder oft zu zweien zusammen und erweitern sich wiederum in der Riesensonate in B-dur, op. 106, bis zu den denkbarsten Grenzen. Mannigfaltiger, klang- und wirkungsreicher gestalten sich die Darstellungsmittel. Das Clavier ist mehr als irgend eines anderen Künstlers vor ihm das Instrument Beethovens. Wie weiß er seine verborgenen Kräfte zu entfesseln und seine Ausdrucksfähigkeit an's Licht zu bringen! Immer kühner greift er über die technischen Mittel seiner Zeit hinaus, um endlich mit der erhöhten Leistungskraft[354] des Instrumentes eine völlig neue Musikepoche hervorzurufen. Dabei aber gilt es ihm einzig den Ausdruck der Idee. Denn die Idee, die Intention ist jetzt das Wesentliche, Bestimmende, dem die Form sich fügen muß. Bald macht der Tonsetzer in recitativisch freier Rede dem Drang, über unbestimmte Regungen hinaus zu bewußterem Ausdruck zu gelangen, Luft. Bestimmte Bilder und Vorstellungen füllen statt dunkler Gefühle sein Schaffen. Aus seiner Jugend schon wird uns erzählt, daß ihm die Begabung eigen gewesen, den Charakter bekannter Personen in Tönen zu schildern. Jetzt regt ihn Shakespeare's »Sturm« zu den Sonaten in D-moll (op. 31) und F-moll (op. 57), die Grabesscene aus »Romeo und Julie« zum Adagio des F-dur-Quartetts (op. 18), der Anblick des gestirnten Himmels zum Adagio des gleichartigen Werkes in E-moll (op. 59) an. Einen anderen Quartettsatz (op. 18, B-dur) bezeichnet er als »la malinconia«. So wird statt des bis herigen allgemeinen Inhalts allenthalben ein individuellerer erkennbar, obwol Beethoven's Absicht, bei der im Jahre 1816 in Frage kommenden Gesammtausgabe seiner Clavierwerke die verschiedenen derselben innewohnende »poetische Idee« anzugeben, unausgeführt blieb. Statt Haydn's naiven Frohmuths und Mozart's unbefangener Lebens- und Liebeslust spiegeln uns seine groß stilisirten, pathetischen Sonatendichtungen ernste Seelenerlebnisse wieder; das Gemüthsleben vertieft sich in seine innere Unendlichkeit. Schmerz und Kampf, das Unbefriedigtsein der Seele, ihr Ringen nach übersinnlichem Ausdruck begehren und finden nun ihr Recht in der reinen Instrumentalmusik. Innerstempfundenes, Eigenstdurchlebtes wird nun in plastischer Anschaulichkeit Inhalt und Gegenstand des Kunstwerks; aber daß es zugleich Empfindungen und Erlebnisse der ganzen Menschheit sind, die[355] der Künstler in sich erfährt, giebt dem Subjectiven objective, dem Individuellen universale Bedeutung. Ihre letzte und höchste Bestimmung hat die Sonate mit Beethoven erreicht. Er ist ihr Vollender. Nach Berlioz' Worten lassen diese Clavierschöpfungen »Alles hinter sich, was unsere Kunst von hervorragendster Bedeutung aufzuweisen hat, und dienen als Maßstab für den Entwickelungsgrad unserer musikalischen Intelligenz.« Sollen wir diese letztere allerdings an den letzten fünf Sonaten messen, so ist das Resultat auch heute noch ein ziemlich niederschlagendes. Dem weltentrückten Tondichter in sein Allerheiligstes zu folgen, in das er sich, seine tiefsten Kunstgeheimnisse offenbarend, hier zurückzieht, sind trotz Hans von Bülow's verdienstvollen Bemühungen noch immer nicht Viele im Stande. Ein ungeheurer Weg ist es, der von op. 2, den ersten Sonaten, bis zu op. 101, 106, 109, 110, 111 führt. Nur ein Beethoven konnte eine solche Entwickelung in sich durchleben, und Wenige nur vermögen ihn bei derselben verständnißvoll zu begleiten. Zur Pathétique, der As-dur und Cis-moll, auch D-moll gehen wol alle unsere Dilettanten mit; auch zur großen C-dur (op. 53), der Appassionata (op. 57), der Fis-dur (op. 78) – beide Beethoven's Lieblinge – und der E-moll (op. 90) greifen Viele. Vor den über die Hundertzahl hinausgehenden opera aber hält man sich in scheuer Ferne. Selten erklangen sie im Concertsaal bis Bülow, Liszt's, des größten Beethoven-Interpreten, großer Schüler, mit Vorführung derselben die höchste aller dem Clavierspieler wol zu stellenden Aufgaben löste. Alltagsmusik kann das freilich nie werden – es ist das Höchste und Weihevollste, was je dem Clavier anvertraut ward.

Die beliebteste der Sonaten ist, wie schon Beethoven sich beklagte, auch heute noch die Cis-moll, die »Mondschein-Sonate«,[356] geblieben; nicht zum geringsten Theil vielleicht weil sich an sie eine romantische Sage knüpfte. Gräfin Giulietta Guicciardi, der sie gewidmet ward, galt bis vor Kurzem für die Heldin einer Liebestragödie, die in Beethoven's Leben spielte; für die »unsterbliche Geliebte«, an die ein Brief gerichtet war, den man nach des Meisters Tode, sorgfältigst verwahrt, mit anderen wichtigen Papieren in einem geheimen Fach vorfand. Erst Thayer's Forschungen ergaben das Irrige der bisherigen Annahme. Beethoven, der, laut dem Zeugniß seiner Freunde, entzündlichen, feurigen Herzens und »nie ohne Liebe« war, liebte die schöne, begabte Giulia, »ein liebes zauberisches Mädchen, das mich liebt«, wie er schreibt. »Es ist das erste Mal, daß ich fühle, daß Heiraten glücklich machen könnte.« Einer Verbindung mit ihr aber stand, wie es scheint, der Wille des Vaters entgegen. Sie vermählte sich 1803 mit einem Grafen Gallenberg, einem Balletcomponisten, dem sie nach Neapel folgte, wo er lange Jahre als Bühnenleiter thätig war. Erst 1821 kehrte sie mit ihm nach Wien zurück, und Beethoven erzählte Schindler zwei Jahre später – wie wir noch heute in einem auf der Berliner Bibliothek von ihm aufbewahrten Conversationsheft lesen können –: »J'étais bien aimé d'elle et plus que jamais son époux. Arrivé à Vienne elle cherchait moi pleurant, mais je la méprisait. Und« – damit schloß der Künstler die schriftlich geführte Unterredung – »wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem Leben so hingeben wollen, was wäre für das Edle, Bessere geblieben?«

Das ist Alles, was wir von seinen Beziehungen zu Giulia wissen. Jener Brief vom Jahre 1806, das ist erwiesen, gehörte ihr nicht. Wem aber galt und wie lautet er?
[357]

Am 6. Juli Morgens.


»Mein Engel, mein Alles, mein Ich! – nur einige Worte heute, und zwar mit Bleistift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher nichtswürdige Zeitvertreib in d.g. – Warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht – kann unsere Liebe anders bestehen als durch Aufopferungen, durch nicht Alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin. – Ach Gott, blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das Müssende – die Liebe fordert Alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir – nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß – wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses Schmerzliche eben so wenig als ich empfinden. – Meine Reise war schrecklich. Ich kam erst Morgens vier Uhr gestern hier an; da es an Pferden mangelte, wählte die Post eine andere Reiseroute, aber welch schrecklicher Weg; auf der letzten Station warnte man mich, bei Nacht zu fahren – machte mich einen Wald fürchten, aber das reizte mich nur und ich hatte Unrecht; der Wagen mußte bei dem schrecklichen Wege brechen, grundlos, bloßer Landweg – ohne solche Postillone, wie ich hatte, wäre ich liegen geblieben unterwegs. Esterhazy hatte auf dem andern gewöhnlichen Wege hierhin dasselbe Schicksal mit acht Pferden, was ich mit vier, – jedoch hatte ich zum Theil wieder Vergnügen, wie immer, wenn ich was glücklich überstehe. – Nun geschwind zum innern vom äußern. Wir werden uns wohl bald sehen, auch heute kann ich dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser einigen Tage über mein Leben machte – wären unsere Herzen immer dicht an einander, ich machte wohl keine d.g. Die Brust[358] ist voll, dir viel zu sagen – ach – es gibt Momente, wo ich finde, daß die Sprache noch gar nichts ist. – Erheitere dich – bleibe mein treuer, einziger Schatz, mein Alles, wie ich dir; das Uebrige müssen die Götter schicken, was für uns sein muß und sein soll.

Dein treuer Ludwig.


Abends Montags am 6. Juli.


Du leidest, Du mein theuerstes Wesen – eben jetzt nehme ich wahr, daß die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müssen. Montags – Donnerstags – die einzigen Tage, wo die Post von hier nach K. geht. – Du leidest – ach, wo ich bin, bist auch du mit mir, mit mir und dir werde ich machen, daß ich mit dir leben kann, welches Leben!!!! so!!!! ohne dich – verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich meine ebenso wenig verdienen zu wollen, als sie zu verdienen – Demuth des Menschen gegen den Menschen – sie schmerzt mich – und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der – den man den Größten nennt – und doch – ist wieder hierin das Göttliche des Menschen – ich weine, wenn ich denke, daß du erst wahrscheinlich Sonnabends die erste Nachricht von mir erhältst – wie du mich auch liebst – stärker liebe ich dich doch – doch nie verberge dich vor mir – gute Nacht – als Badender muß ich schlafen gehen. Ach Gott – so nah'! so weit! Ist es nicht ein wahres Himmelsgebäude, unsre Liebe – aber auch so fest, wie die Veste des Himmels. –


Guten Morgen am 7. Juli


Schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir, meine unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann[359] wieder traurig, vom Schicksal abwartend, ob es uns erhört – Leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen, in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in deine Arme fliegen kann und mich ganz heimathlich bei dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben in's Reich der Geister schicken kann. – Ja leider muß es sein – du wirst dich fassen, um so mehr, da du meine Treue gegen dich kennst, nie kann eine andre mein Herz besitzen, nie – nie – o Gott, warum sich entfernen müssen, was man so liebt, und doch ist mein Leben in W. so wie jetzt ein kümmerliches Leben – deine Liebe machte mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten zugleich – in meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit, Gleichheit des Lebens – kann diese bei unserm Verhältnisse bestehn? – Engel, eben erfahre ich, daß die Post alle Tage abgeht – und ich muß daher schließen, damit du den B. gleich erhältst. – Sei ruhig, nur durch ruhiges Beschauen unsers Daseins können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen – sei ruhig – liebe mich – heute – gestern – welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – – dir – dir – mein Leben – mein alles – leb wol – o liebe mich fort – verkenne nie das treuste Herz deines geliebten L.

ewig dein, ewig mein, ewig uns.«


Zu wem die Sprache seines Herzens so glühend geredet, wer sie war, deren Liebe er so »fest wie die Veste des Himmels« glaubte, das bleibt auch heute noch unserm Blick verborgen. Beethoven nahm sein Geheimniß mit ins Grab. Mannigfache Anzeichen aber lassen in Gräfin Therese Brunswick, der Schwester seines Freundes Franz, und der Cousine von Giulia Guicciardi, die Empfängerin des Briefes vermuthen. In seinem Nachlaß fand sich ihr Olbild mit der Inschrift: »Dem[360] seltenen Genie, dem großen Künstler, dem guten Menschen von T.B.« Ihr wurde das Lied: »Ich denke dein« und die Beethoven besonders liebe Fis-dur-Sonate gewidmet. Die Appassionata componirte er in ihrem Hause und widmete sie ihrem Bruder, und unmittelbar nach seiner Trennung von ihr – sie gehörte einer ungarischen Familie an – schrieb er von einem ungarischen Badeort aus den leidenschaftlichen Liebesbrief. Jahrelang, so scheint es, hoffte und erstrebte er eine Verbindung mit der Geliebten. Im Mai 1810 giebt er Wegeler den Auftrag, ihm eilends seinen Taufschein zu besorgen. »Ich wäre vielleicht einer der glücklichsten Menschen, wenn nicht der Dämon in meinen Ohren seine Wohnung aufgeschlagen hätte«, schreibt er dem alten Freund. Bald darauf aber verräth Breuning: »Ich glaube seine Heiratspartie hat sich zerschlagen.« Fortan schweigt alles Hoffen still. Er entsagte.8

»Beethoven lebte für die Menschheit im Großen, nicht für den Einzelnen«, sagt Schlosser; auch nicht für sich selber, dürfen wir hinzufügen. Er lebte in ausschließlicher Hingabe an die Mission, die ihm auferlegt war und deren ganzer Größe und Verantwortlichkeit er beständig eingedenk blieb. Die Qualen des Zweifels an der Echtheit des inneren Berufs, wie sie die Künstlerbrust nicht selten beirren, haben seine Seele niemals belastet; fest und zuversichtlich glaubte er an sich, erfüllt von der Gewißheit der eigenen Größe. Was in den Entwickelungsgang geringerer Geister oft hindernd eingreift, die tausenderlei kleinen und großen Hemmnisse und Feindseligkeiten des äußeren Lebens, das hat seine Laufbahn nimmer zu stören vermocht, und zum Segen[361] ist ihm geworden, was jenen zum Schaden gereicht. Aller Kampf stählte nur seine Kraft, und wo Andere unterliegen, ging er als Sieger hervor. Ein anderer Antäus, entriß er dem Riesen Schmerz seine Gewalt, indem er ihn emporhob über die Erde und sich selber, in eine reinere Region, wo er in eine läuternde und erlösende Macht sich wandelt. Nicht glücklich zu sein, war seine Aufgabe, auch nicht glücklich zu machen im menschlichen Sinne, das Beides hat er entbehren müssen. Er erfüllte die Welt mit reinstem Entzücken und dennoch ließ sie ihn einsam, er erschloß ihr ein erhöhtes Dasein – sie gab ihm nur kalten Ruhm dafür; liebespendend, liebedürstend, hat er gleichwol an Liebe gedarbt. Fragen wir noch, warum er sich endlich von ihr abwandte, immer noch spendend aus seiner unerschöpflichen Besitzesfülle, aber ein ernstes, verschlossenes Antlitz nach außen gekehrt, als ein Fremdling umherirrend unter den Menschen? Fragen wir, warum er sich immer tiefer hineinversenkte in die stille unsichtbare Welt seiner eigenen Gedanken, die sich immer wunderbarer belebte und vertiefte, je mehr er den Beziehungen zur Außenwelt entsagte und diese für ihn verstummte?

Auch er sang einst harmlos in die Welt hinaus. Die Erzeugnisse der Bonner Jugendzeit, heiter und unbefangen, ein absichtsloses Tonspiel, scheinen in sich selber Genüge zu finden; nirgend noch verräth sich ein Keim zu jenen großen Gestaltungen, die er später an's Licht rief. Erst in den Werken der Wiener Früh-Epoche, seit seinem opus 1, finden wir, wenn auch zuweilen mehr vorahnend als deutlich verfolgbar, die Spur Beethoven'schen Geistes. Aber auch sie zeigen noch vorwiegend ein helles Jugendgesicht, trotz einer unverkennbar ernsteren Richtung noch nichts von jenem Zug innerster Resignation und weltverachtenden Humors, nichts von dem tiefdunklen Grund[362] tragischer Seelenstimmung, den überwältigenden Stürmen der Leidenschaft, des Kampfes und der Verzweiflung, die das Leben später in sie hineinbildete.

Lehrreich und interessant ist es, an der Hand der Werke Beethoven's seiner künstlerischen Entwickelung nachzugehen. Zwar ist die Opuszahl bei ihm nicht immer ein sicherer Führer; manche der frühesten Zeit entstammende Compositionen reihten sich erst spät der Folge seiner Werke ein. Auch ist dem Eifer der Forscher zum Trotz bis heute manch dunkler Punkt im Leben und Schaffen des Meisters unaufgehellt geblieben. So hat der augenscheinliche Mangel an Productivität von seinem 12. bis zu seinem 22. Jahre, im Gegensatz zu der auffallenden Ergiebigkeit des nächstfolgenden Jahrzehnts, begreifliche Verwunderung erregt. Doch löst Thayer in gewiß berechtigter Weise das Räthsel dahin, daß er manche der in den ersten zwölf Jahren des Wiener Lebens herausgegebenen Werke als von Bonn dorthin mitgebracht und nur mehr oder weniger verändert, vermehrt und vervollkommnet annimmt. Die Forschungen von Thayer und Nottebohm namentlich (die verdienstvollen Herausgeber des chronologischen9 und thematischen10 Werkverzeichnisses des Meisters) haben uns auch für die wichtige Frage der Entstehungszeit der einzelnen Arbeiten mannigfache Aufklärung gebracht. Als wesentlichstes Hülfsmittel zur Feststellung der Chronologie haben sich Beethoven's Skizzenbücher erwiesen. Er pflegte auf zusammengeheftete Blätter nicht allein Einfälle, wie sie ihm eben durch den Sinn gingen, zu notiren, sondern die verschiedenen Motive, Passagen, Wendungen derjenigen Compositionen, die ihn gerade beschäftigten, im Einzelnen[363] auf das Sorgfältigste durchzuarbeiten und umzubilden. Da er sich in der Regel mit mehreren Werken gleichzeitig trug, so laufen die immer wiederholten Versuche der verschiedenen Compositionen vielfach durcheinander. Trotz solchen Durcheinanderarbeitens zeigt sich, daß der Componist in der Regel von Anfang an über das zu erreichende Ziel klar war und die einmal erfaßte Form bis an's Ende durchführte. Auch das Gegentheil läßt sich bemerken. Er ging eben auf die verschiedenste Weise zu Werke. Jeder zweite Entwurf aber ist eine höhere Entwickelungsstufe des ersten. Nicht als das fertige Geschenk einer verschwenderischen Eingebung empfing er seine Gedanken; in ernster, mühevoller Arbeit mußten sie reisen, bevor er ihnen die vollendete Gestalt gab, wie wir sie in seinen Werken sehen. Unablässig geschäftig erscheint die künstlerische Selbstkritik in dem langen Processe des Schaffens. Wir sehen bei Beethoven fort und fort auch die Reflexion lebendig; aber im Gegensatz zu Andern, bei denen die Phantasie während der Arbeit erschlafft, arbeitet sie bei ihm vielmehr ungeschwächt fort und »erhebt sich oft erst im letzten Augenblick zu ihrem höchsten Fluge.« »Diese Geschmeidigkeit der Phantasie«, sagt Nottebohm »dem wir die Herausgabe zweier solcher Skizzenbücher11 wie der erwähnten Beethoveniana danken, »und der Rigorismus, die Kälte, Besonnenheit und ausdauernde Geduld beim Arbeiten bilden einen Theil der Eigenschaften, auf denen die Größe Beethoven's beruht und ohne welche Beethoven nicht Beethoven geworden wäre.« Er selbst scheint offenbar Werth auf diese Skizzen gelegt zu haben. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Manuscripten, die er, sobald sie gedruckt waren, achtlos verloren gehen ließ, bewahrte er sie auf und[364] ließ sie in ihrer ursprünglichen Ordnung zusammenbinden. Leider sind diese Skizzenbücher, die den lebendigsten Einblick in die Werkstätte des arbeitenden Künstlers eröffnen, und, eine Fülle nie benutzter Themen und Motive enthaltend, erst eine richtige Vorstellung von der Fruchtbarkeit seines Genius gewähren, im Laufe der Zeit zerstreut, zum Theil selbst blattweis verzettelt worden. Nur zwei derselben wurden, wie erwähnt, von Nottebohm beschrieben und veröffentlicht.

Das Jahr 1800, dem das beliebte Septett op. 20, das dritte Clavierconcert, die Streichquartette op. 18, die Sonaten op. 17 und 22 ihre Entstehung danken, brachte auch die erste Symphonie des Meisters an die Oeffentlichkeit. In einem Concerte im Kärnthnerthor-Theater führte er sie gemeinsam mit dem Septett und dem C-dur Concert zum ersten Male auf. Die Mozart'sche Verwandtschaft, die Einfachheit der Form, der Instrumentation und des harmonischen Gewebes, die dieselbe von den späteren gleichartigen Schöpfungen des Künstlers unterscheiden, gewannen ihr beim Publicum schnellen Eingang und die Stimme der Kritik lautete günstig: »Viel Kunst, Neuheit und Reich thum an Ideen.« Ein anderer Recensent freilich bezeichnet die Symphonie sammt den ersten Trios als »confuse Explosionen dreisten Uebermuths eines jungen Mannes von Talent«, und gleicherweise hatte die Kritik seine früheren Werke angegriffen. Bei Besprechung einer Variationencomposition z.B. zog man die Frage ernstlich in Zweifel, ob Beethoven »ein ebenso glücklicher Tonsetzer als fertiger Clavierspieler« sei; bezüglich seiner jugendlich frischen Violinsonatenop. 12 aber bezüchtigte man ihn der »Bizarrerie und Unnatur, des Mangels an Gesang und guter Methode« u.s.w., um ihm schließlich den Rath zu geben, »sich mehr selbst zu verleugnen und den Gang[365] der Natur einzuschlagen, damit er bei seinem Talent und Fleiß uns recht viel Gutes für sein Instrument liefere.«

Mit kühner Hand bemächtigt sich Beethoven nun wie in Sonate, Quartett und Concert, so auch in der großen orchestralen Form der Erbschaft Haydn's und Mozart's, um in der Symphonie die Kunstform auszubilden, welche an die Spitze der gesammten musikalischen Entwickelung treten sollte. An die Stelle reinen Tonspiels, allgemeinerer, unbestimmterer Gefühle und Stimmungen ziehen nun auch hier bestimmte Gedanken ein; zur Darstellung des poetischen Inhaltes von Natur und Leben befähigt er die Instrumente, deren Chor er entsprechend erweitert. So dehnt und vertieft sich die Architectur des Ganzen. Die thematische Arbeit im Durchführungstheil des ersten Satzes stellt wesentlich erhöhte Ansprüche; unerschöpflich reiche Seelenergüsse werden im Adagio laut, die Menuett wird zum ungleich bedeutsameren Scherzo, das leichtgeschürzte Rondo-Finale gestaltet sich zum Schwerpunkt des Werkes, in ihm steigert und gipfelt sich der gesammte Gedankenproceß. Erscheinen die Vor-Beethoven'schen Symphonien nach Louis Köhler's Ausdruck nur wie »Gattungs-Symphonien, aus denen die sechs großen Mozart's allerdings als Charaktere von besonderer Physiognomiehervortreten«, so sind Beethoven's Werke dieser Art »Individuen, deren jede sozusagen auf einem eigenen Postament steht und eine Entwickelungsphase personificirt.« Er wird zum Vollender der Symphonie, wie er zum Vollender von Quartett und Sonate wird.

Seine erste Symphonie zeigt im Bund mit der zweiten (sammt den Geigensonaten op. 23, 24 und 30, den Claviersonaten op. 26, 27, 28 und 31, dem Quintettop. 29, der Serenade op. 25, den Variationen op.[366] 34 und 35, dem Ballet »Die Geschöpfe des Prometheus« und dem wenig belangreichen Oratorium »Christus am Oelberg« dem Resultat der Jahre 1801 und 2) erst den Anfang dessen. Hier, wo der junge Meister sich schon auf die Höhe Mozart's gestellt, waltet noch die reine Schaffenslust. Sein Genius lächelt, während sein Herz in Thränen steht. Denn wie es gerade zur Zeit, als er die D-dur-Symphonie schrieb und ein seit dem Jahre 1796 fühlbar werdendes Gehörleiden seine sich immer steigernde Besorgniß erregte, um seinen Gemüthszustand bestellt war, das offenbart uns ein Schriftstück, das man, vom 6. October 1802 aus Heiligenstadt datirt, nach seinem Tode vorfand: sein für seine Brüder Carl und Johann bestimmtes Testament. Es lautet also:

»O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenkt nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen. Mit einem feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen; wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war's mir noch nicht[367] möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub! Ach wie wäre es möglich, daß ich die Schwäche eines Sinnes zugeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade als bei Andern sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben, noch gehabt haben! – O ich kann es nicht! – Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte. Doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muß. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statt haben. Ganz allein fast, nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen. Wie ein Verbannter muß ich leben. Nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Aengstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. – So war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte. Von meinem vernünftigen Arzte aufgefordert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen Disposition entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ. Aber welche Demüthigung, wenn Jemand neben mir stand, und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder Jemand den Hirten singen hörte und ich auch nichts hörte! Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück! Ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte. Und so fristete ich dieses elende Leben wahrhaft elend, einen so reizbaren[368] Körper, daß eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zustande in den schlechtesten versetzen kann. – Geduld – so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen! Ich habe es. – Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht geht's besser, vielleicht nicht. Ich bin gefaßt. – Schon in meinem 28. Jahre gezwungen Philosoph zu werden. Es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend Jemand. – Gottheit, du siehst herab auf mein Inneres, du kennst es, du weißt, daß Menschenliebe und Neigung zum Wohlthun drin hausen! O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir Unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seines Gleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch noch Alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden. – Ihr meine Brüder Carl und .... –12 sobald ich todt bin, und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bei, damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde. – Zugleich erkläre ich euch Beide hier für die Erben des kleinen Vermögens (wenn man es so nennen kann) von mir. Theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander. Was ihr mir zuwider gethan, das wißt ihr, war euch schon längst verziehen. Dir Bruder Carl danke ich noch insbesondere für deine in dieser letztern spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, daß euch ein besseres,[369] sorgenloseres Leben als mir werde. Empfehlt euren Kindern Tugend; sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld. Ich spreche aus Erfahrung. Sie war es, die mich selbst im Elende gehoben; ihr danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. – Lebt wohl und liebt euch! – Allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnosky und Professor Schmidt. – Die Instrumente von Fürst L. wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bei einem von euch; doch entstehe deswegen kein Streit unter euch. Sobald sie euch aber zu etwas Nützlicherem dienen können, so verkauft sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich auch noch im Grabe euch nützen kann. So wär's geschehen. – Mit Freude eile ich dem Tode entgegen. Kommt er früher, als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu entfalten, so wird er mir, trotz meinem harten Schicksale doch noch zu früh kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen; – doch auch dann bin ich zufrieden, befreit er mich nicht von einem endlosen leidenden Zustande? – Komm', wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen. Lebt wohl, und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen; seid es!«

Darauf folgt die Nachschrift:

»So nehme ich denn Abschied von dir – und zwar traurig. – Ja die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt geheilet zu sein, sie muß mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist auch sie für mich dürr geworden. Fast wie ich hierher kam, gehe ich fort; selbst der hohe Muth, der mich oft in den schönen Sommertagen beseelte, er ist verschwunden. O Vorsehung, laß einmal einen reinen[370] Tag der Freude mir erscheinen! So lange schon ist der wahren Freude innigerer Widerhall mir fremd. O wann, o wann, o Gottheit! kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen? – Nie? nein – o es wäre zu hart!«

Nicht zum ersten Mal ringt sich die Klage über die schwindende Gehörkraft aus dem gepreßten Herzen los, und nicht zum ersten Mal giebt er der peinvollen Furcht vor dem drohenden Gespenst der Taubheit Ausdruck. Vertrauten Freunden hat er's bekannt, was er sich selber kaum zu gestehen wagt: das Gebrechen, dessen er sich schämt und das ihm, dem Musiker, zum zwiefachen Unheil wird. Jahrelang hat er's schweigend getragen. Erst im Juni 1800 entdeckt er sich Wegeler, nicht ohne ihm strengste Geheimhaltung zur Pflicht zu machen. »Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu«, heißt es in dem betreffenden Briefe. »Um Dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, daß ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muß, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im Sprechen ist es zu verwundern, daß es Leute giebt, die es niemals merkten; da ich meistens Zerstreuungen hatte, so hält man es dafür. ... Ich habe schon oft – mein Dasein verflucht: Plutarch hat mich zu der Resignation geführt. Ich will, wenn's anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde. ... Resignation! welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzig übrige!«

Im November desselben Jahres schreibt er demselben Freund etwas trostreicher; die aufkeimende Liebe zu Giulietta erfüllt ihn mit Muth und frischem Hoffen.[371] »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen; ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. – O es ist so schön, das Leben tausendmal leben! – Für ein stilles Leben, nein, ich fühl's, ich bin nicht mehr dafür gemacht! – ... Nichts von Ruhe! – ich weiß von keiner andern als dem Schlaf, und wehe genug thut mir's, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst«. ... »Für mich«, sagt er an selber Stelle, »giebt es kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen.« Und: »Jeden Tag gelange ich mehr zum Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben.«

In seiner Kunst also suchte er Vergessen für das, was sein Gemüth beschwerte, Ersatz für die wachsende Vereinsamung seines äußeren Lebens. Und wol ward es still und stiller um ihn, bis endlich die ganze Welt für ihn verstummte und die Kunst, klanglos, körperlos, nur noch als Gewißheit in seiner Seele lebte. An die Stelle mündlichen Gedankenaustausches trat nun, wie die uns aufbewahrten Conversationshefte nachweisen, allmälig schriftliche Unterhaltung. Mißtrauen und Argwohn, der Taubheit traurige Gefährten, ergriffen das sonst so edle Gemüth und machten ihn ungleich in seinen Stimmungen, ungerecht gegen seine Freunde, heftig bis zur Raserei. Häufige Zerwürfnisse und ein gleiches Uebermaß von Reue seinerseits waren das Ergebniß dessen; mangelte ihm doch in Folge vernachlässigter Erziehung die Gewohnheit der Selbstbeherrschung, und bei seinem natürlichen Hang zu Extremen nahm Alles, was er empfand, Hoffnung wie Verzweiflung, einen leidenschaftlichen Ausdruck an. »Sie glauben nicht«, schreibt sein Jugendfreund Stephan von Breuning, der sich nach Wien gewandt hatte, im November 1806 an Wegeler, »welchen unbeschreiblichen Eindruck die Abnahme seines[372] Gehörs auf Beethoven gemacht hat. Denken Sie sich das Gefühl, unglücklich zu sein, bei seinem heftigen Charakter; dabei Verschlossenheit, Mißtrauen oft gegen seine besten Freunde, in vielen Dingen Unentschlossenheit. Größtentheils nur mit wenig Ausnahmen, wo sich sein ursprüngliches Gefühl ganz frei äußert, ist der Umgang mit ihm eine wirkliche Anstrengung, da man sich nie sich selbst überlassen kann.«

Ost faßt ihn Verzweiflung an und führt ihm mehr denn einmal den Gedanken zurück, sein qualvolles Leben eigenmächtig zu enden. »Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch eine gute That verrichten kann, längst wär ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst. – O so schön ist das Leben, aber bei mir ist es für immer vergiftet.« – So klagt er dem Freunde, dem er sein Herz am rückhaltlosesten öffnete. Doch die Hoffnung läßt ihn nicht. »Die Hoffnung nährt mich«, schreibt er später Bettinen, »sie nährt ja die halbe Welt, und ich habe sie mein Lebtag zur Nachbarin gehabt, was wäre sonst mit mir geworden!«

Mit heroischer Kraft kämpft er gegen das Verhängniß und seine Kunst bleibt die milde Trösterin, die ihn mit dem Schwersten versöhnt. So schafft er seine frommen Gellert'schen Lieder, seine berühmte »Kreuzer-Sonate« op. 47, die Pianoforte-Sonaten C- undF-dur (op. 53 und 54), das Tripelconcert und – dieEroica. Mit Letzterer gedachte er, Napoleon Buonaparte eine musikalische Huldigung darzubringen. Die Heldengestalt des ersten Consuls erfüllte ihn, der den Erscheinungen und Bewegungen seiner Zeit voll regen Antheils folgte, mit enthusiastischer Bewunderung. Lebte er doch in seiner Weltunkunde des festen Glaubens, daß Napoleon nach platonischen Grundsätzen Frankreich republikanisiren[373] und somit eine allgemeine Weltbeglückung anbahnen werde.

Im Mai 1804 war das Werk beendet. Auf das Titelblatt der Partitur schrieb der Componist mit eigner Hand das Wort: Buonaparte, darunter seinen Namen. Kein Wort mehr, erzählt Ries. Eben sollte das Werk durch Vermittelung der französischen Gesandtschaft nach Paris abgehen, als in Wien die Botschaft eintraf, Napoleon habe sich zum Kaiser erklärt. Ries selbst überbrachte seinem Meister die Nachricht, worauf er, wie er schreibt, »in Wuth gerieth« und das Titelblatt zerriß. Lange währte es, ehe er sich dazu bewegen ließ, dem Fürsten Lobkowitz die Composition auf einige Jahre zur Benutzung zu überlassen; sie ward in dessen Palast auch mehrmals aufgeführt und endlich herausgegeben. Unter dem Titel: »Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand'uomo« gelangte sie an die Oeffentlichkeit. Von Napoleon war keine Rede mehr; er gehörte für Beethoven eben nur noch der »Erinnerung« an. Verzeihen konnte er ihm nie, daß auch er »nichts anders gewesen war, wie ein gewöhnlicher Mensch!« Selbst die Nachricht von dem Tode des Gefangenen auf St. Helena entlockte ihm nur die sarkastische Aeußerung: er habe zu dieser Katastrophe bereits die passende Musik componirt, damit auf den Trauermarsch in der Symphonie hindeutend.

Bestimmte Situationen, ein poetischer Vorwurf treten hier zum ersten Mal in einem symphonischen Kunstwerke in's Leben. Aus der Lyrik der ersten Symphonien gehen wir in das Epos, oder vielmehr das instrumentale Drama über. Jetzt sehen wir dem echtesten Beethoven in's Angesicht. Wir stehen – wenn wir an der hergebrachten Dreitheilung seines Schaffens festhalten – seiner zweiten Periode gegenüber. »Die Beethoven'sche[374] Symphonie«, sagt Schuré13, »bezeichnet den Rückweg des Musikers zur Dichtkunst. Ihre Geschichte von der Eroica bis zur Neunten ist aufzufassen als eine Neugeburt der Poesie aus den Tiefen der Harmonie.« An die Stelle des alten fröhlichen Spiels mit Tönen setzt sich nun ein ernstes Dichten in Tönen, und die bisherige Naivetät des Schaffens wandelt sich in bewußte Gedankenarbeit. Beethoven ist der erste eigentliche Tondichter und -Denker. Eine bewundernswerthe Mannigfaltigkeit offenbart er in Behandlung der Rhythmik, die vornehmlich vermittelst Anwendung von Syncopen und Betonung der schlechten Tacttheile in der Eroica von frappan er Wirkung ist. Nicht minder zeigt sich die Harmonik von bisher noch nicht dagewesener Kühnheit. Wir erinnern nur an die bekannte Dissonanz im Durchführungstheil vom ersten Satz, oder an den Horneintritt mit dem Hauptthema auf dem Geigentremolo b-as, der Ries bei der ersten Probe zu der Aeußerung verleitete: »Das klingt ja infam falsch!« und ihm dafür beinah »eine Ohrfeige« vom Meister eingetragen hätte. Auch die Instrumentation ist reicher und farbenprächtiger denn bisher; die Blasinstrumente namentlich werden in größere Mitwirkung gezogen und die ganze Klangfülle erscheint mächtig gesteigert. Und dieses Wunder von Neuheit und Genialität bezeichnete Carl Maria von Weber als »ein musikalisches Ungeheuer und verworrenes Chaos«!

Beethoven ging indessen unbekümmert seinen Weg, einzig der Stimme des Genius in ihm Gehör gebend. »Ich kann meine Werke nicht nach der Mode meißeln und zuschneiden, wie sie's haben wollen; das Neue und Originelle gebiert sich selbst, ohne daß man dran denkt«,[375] lautet ein Ausspruch in seinen Conversationsbüchern. Dennoch liegt die Vermuthung nahe, daß der Mangel an Verständniß, dem er begegnete, ihn zurückhielt wenigstens ein Gebiet seiner Kunst weiter zu verfolgen, das er nur einmal und nicht wieder betrat: wir meinen die Oper und seinen »Fidelio«.

Es war im Jahre 1804, als Beethoven von dem Eigenthümer des Theaters an der Wien den Antrag erhielt, eine Oper für diese Bühne zu schreiben. Sein unlängst veröffentlichtes Oratorium hatte – so erzählt der Theaterdichter und Regisseur Treitschke – die Erwartungen erweckt, daß er, wie in der instrumentalen, so auch in der darstellenden Kunst, Großes zu leisten im Stande sei. Man wählte ein französisches Libretto, das unter dem Titel »Léonore ou l'amour conjugal« von Gaveaux und nach erfolgter italienischer Uebertragung auch von Paer in Musik gesetzt worden war, und das nun von Sonnleithner in's Deutsche übertragen wurde. »Mit Luft und Liebe« ging Beethoven an das Werk, das er im Sommer 1805 beendete. Es ging am 20. November dieses Jahres in Scene; zum Verdruß des Componisten unter dem Namen »Fidelio«, statt des von ihm gewünschen ursprünglichen Titels »Leonore«. Leider nur unter den ungünstigsten Verhältnissen. Wenige Tage zuvor waren die Franzosen in Wien eingerückt, und bildeten nun zum großen Theil das Auditorium. Der Beethoven so wohlgesinnte Adel und andere seiner Freunde hatten die Stadt verlassen. Die Darstellung war mangelhaft; die Gesangkräfte, mit Ausnahme der Milder als Leonore nur mäßig; das Orchester, in Folge der Schwierigkeiten, die die Ouverture namentlich den Bläsern bot, mißgestimmt. So war denn auch die Aufnahme eine eiskalte und nach drei Vorstellungen zog der Künstler sein Werk zurück. Die Ouverture hauptsächlich[376] (die unter dem Namen der zweiten bekannt gewordene) begegnete lebhaftestem Widerstand. Man verurtheilte sie als unmäßig lang und verworren, und empörte sich am meisten gegen das Trompetensolo, das man für ein »Posthorn« nahm. Auch Cherubini, der den ersten Aufführungen der Oper beiwohnte, behauptete, daß er »wegen Bunterlei an Modulationen darin die Haupttonart nicht zu erkennen vermocht.« Beethoven's Freunde dagegen, denen der hohe Werth dieser Schöpfung einleuchtete, bestanden, nachdem sie den widerstrebenden Tondichter zu allerhand Abänderungen und Kürzungen bewogen, auf einer Wiederholung derselben. Mit einer neuen (der sogenannten dritten, großen) Ouverture versehen, zu zwei Acten, statt der bisherigen drei Acte, eingerichtet und mannigfach verändert, ging nun die Oper im März des darauffolgenden Jahres (1806) abermals über die Bühne. Diesmal ward ihr ein besserer Empfang zu Theil; aber Beethoven überwarf sich mit dem Eigenthümer des Theaters und forderte, wie Röckel, der Sänger des Florestan, erzählt, seine Partitur zurück. Einige gleichzeitige Versuche auf Provinzialbühnen aber scheiterten ebenso wie die wohlmeinende Absicht des Fürsten Lichnowsky, die Königin von Preußen für das Werk seines Schützlings zu interessiren.

Der »Fidelio« verschwand nun nach diesem Wiederbelebungsversuch. Und er ruhte lange. Erst acht volle Jahre später war er bestimmt von Neuem an's Licht zu treten. Als man 1814 dem Inspicienten der Wiener Hofoper ein Benefiz zugestand, fiel die Wahl auf Beethoven's Oper. Er überließ sie zur Aufführung, nicht ohne sie zuvor einer nochmaligen Ueberarbeitung zu unterwerfen. Auf seinen Wunsch übernahm der genannte Treitschke die nöthigen Verbesserungen des mangelhaften Textbuchs. Er selbst schrieb – obwol er inzwischen[377] (1807–8) laut Nottebohm's Nachweis, die früher als erste betrachtete Ouverture (op. 138) componirt hatte – eine vierte Ouverture (E-dur), das Melodram in der Kerkerscene, das Recitativ zu Leonorens, das Allegro zu Florestan's Arie und die beiden Finale zum großen Theil neu; unbedeutenderer Umwandlungen ganz zu geschweigen. In dieser neuen Gestalt war es dem herrlichen Werk bei seinem Erscheinen im Kärthnerthor-Theater, im Mai 1814, endlich vergönnt, sich dauernd den Beifall des Publicums zu gewinnen. Jetzt endlich ward es nach seinem Werth gewürdigt und begann nun seinen Ruhmeslauf über alle Bühnen Deutschlands, bis nach London und Paris. Die einst kühl zurückgewiesene Tonschöpfung entzündete nun tausend und abertausend Herzen; sie ward zum Lieblinge der deutschen Nation, bestimmt eine der obersten Stellen in der Reihe ihrer unsterblichen Meisterwerke einzunehmen. Deutscher als der »Fidelio« ist keine Oper von allen, die wir besitzen. Mögen Mozart's Opern universeller sein, mit südlicherer Grazie, blühenderer Lebensheiterkeit, sinnlicheren Reizen ausgestattet: deutscher bleibt der »Fidelio«. Schon der Stoff, der ernstsittliche Vorgang, den dieser behandelt, steht unsern Sympathien näher als die Gestalten des »Don Juan«, von dem Beethoven sagte: »nie sollte sich die heilige Kunst zur Folie eines so scandalösen Sujets entwürdigen lassen«; näher auch als die naive Märchenwelt der »Zauberflöte«, die er als Mozart's größtes Werk erklärte, weil er sich hier als »deutscher Meister« zeige. Die Apotheose der Weiblichkeit, wie sie der »Fidelio« in unvergänglicher Schönheit repräsentirt und wie sie gerade von Beethoven's Hand gezeichnet unendlich rührend zu unserm Herzen spricht, sie ist eben ein urdeutscher Gedanke; sie bildet auch die Grundidee der Schöpfungen des deutschesten Meisters der Gegenwart.[378]

Ob Beethoven aber auch, seiner Art und Natur getreu, anderen Idealen als sein großer Vorgänger folgte, in seinen dramatischen Principien steht er doch mit ihm auf gleichem Boden. Auch ihm steht die Musik in erster, das Drama erst in zweiter Linie, und nicht wie Gluck, und vielleicht heutigen Tags Richard Wagner, bittet er die Vorsehung: »Laß mich vergessen, daß ich Musiker bin!« Darum blieb in dramatischer Beziehung allerdings ein Schritt über den »Fidelio«, die »Symphonie mit Gesang«, wie man ihn genannt hat, offen. Ob er aber, wäre ihm ein Operngedicht in die Hand gekommen, das seinen Inspirationen entsprach, diesen letzten Schritt mm Musikdrama nicht gethan hätte, wer sagt es? Doch es blieb für ihn bei dieser einzigen dramatischen That. Zwar wollte er sich einmal verbindlich machen, der Theaterdirection jährlich eine große Oper zu schreiben; auch vom Generalintendanten des Berliner Hoftheaters, Graf Brühl, und Barbaja, dem italienischen Impresario, erhielt er noch später Anträge; mit Collin, Theodor Körner, Treitschke und Grillparzer trat er bezüglich der Textbücher auch schon in Unterhandlung: doch keiner von all diesen Plänen kam jemals zur Ausführung.

Otto Jahn erzählt, daß Beethoven auch einmal auf den Gedanken gekommen sei, eine italienische Oper zu schreiben. Zur Vorbereitung auf dieselbe wollte er sich in Geist und Art italienischer Kunst einleben und zugleich »eine Schule der Beschränkung auf die harmloseste Einfachheit des musikalischen Ausdrucks und leichte Sangbarkeit durchmachen.« Zu diesem Zweck lieh er sich (1814) Metastasio's Werke und componirte eine Anzahl seiner anmuthigen Strophen für zwei, drei oder vier Stimmen ohne Begleitung. Nach dem Urtheil Jahn's, der in diese ungedruckten kleinen Lieder Einblick genommen, zeigen dieselben »eine durchgehende Einfalt und[379] Einfachheit, wie man sie Beethoven gar nicht zutrauen möchte; auch würde man trotz mancher eigenthümlicher und reizender Wendungen, welche in diesen vorzugsweise auf Wohlklang berechneten Gesängen hervortreten, schwerlich Beethoven in ihnen erkennen.« Wol trat unser Künstler auch später noch mit seiner Musik zu Goethe's »Egmont« (op. 84), den »Ruinen von Athen« (op. 113) und »König Stephan« (op. 117) – welche letztere beide mit Kotzebue'schem Text zur Eröffnung des neuen Theaters in Pest 1812 aufgeführt wurden – mit der Bühne in Verbindung; doch geschah dies, der Natur seiner Aufgabe nach, mehr in der Rolle eines musikalischen Illustrators als eines Dramatikers.

Eine Reihe von Meisterthaten obersten Ranges folgte dem »Fidelio«. Mit ihm zugleich wurden dieAppassionata op. 57, das G-dur-Concert op. 58, die Quartette op. 59, sowie die Symphonien in B-dur, op. 60, in C-moll, op. 67, und Pastorale op. 68. skizzirt. Nennen wir außerdem noch das einzige Violinconcertop. 61, die C-dur-Messe und die Ouverturen zu »Coriolan« und »Leonore« (die sogenannte erste), so empfangen wir ein Bild der rastlosen Thätigkeit Beethoven's bis zum Jahre 1808. Die B-dur-Symphonie, von Robert Schumann ob ihrer vollendeten Formverhältnisse die »griechisch schlanke« genannt, hat mit der später geschriebenen F-dur den Licht und Freude athmenden Grundzug gemein. Zu ihr tritt der pathetisch erhabene Charakter der C-moll-Symphonie in Gegensatz. »So klopft das Schicksal an die Pforte«, erklärte Beethoven selbst das Eingangs-Motiv des ersten Satzes. Der Kampf mit dem Schicksal und der endliche Sieg ist der Inhalt dieser grandiosen Tonschöpfung. Vom leidenschaftlich bewegten ersten Satz, dem frommen Andante, dem Scherzo und seiner geheimnißvollen Ueberleitung in den lichtstrahlenden[380] Triumphgesang des Finale entwickelt sich eine Steigerung, wie sie nur von derjenigen der neunten Symphonie überboten werden konnte. Berlioz meint, »nur wenige Werke dürften neben diesem Finale erscheinen ohne zermalmt zu werden.« Durste er, der solches schuf, nicht in Wahrheit sagen: »Kraft ist die Moral der Menschen, die sich auszeichnen, und sie ist auch die meinige«?

Wesentlich verschiedene Stimmungen und Anlässe gaben dem Werk die Entstehung, welches im December 1808 unter persönlicher Leitung des Componisten den Wienern zum ersten Mal vorgeführt ward: der Pastoral-Symphonie. Landleben, Naturfrieden ist ihr Inhalt, und seiner innigen Liebe zur Natur giebt dieselbe Ausdruck. Die Bilder und Vorstellungen, die ihn beim Schaffen geleitet, bezeichnet er hier, wie bekannt, durch Ueberschriften (»Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande«, »Scene am Bach« etc.), die er den einzelnen Sätzen gab, um damit dem schnelleren Verständniß des Hörers zu Hülfe zu kommen. Er begnügte sich hier nicht, wie bei der Eroica, nur mit Andeutung des Inhalts durch eine allgemeine Aufschrift; sondern er zog es vor, denselben Satz für Satz zu specialisiren, und gab uns somit eine orchestrale »Programmmusik«, wie sie in neuerer Zeit in Berlioz und Liszt ihre vornehmsten Vertreter fand. Mit blos äußerlicher Schilderei, leerer Nachahmung der Natur hat selbstverständlich der innerlichste aller Musiker nichts zu schaffen, der selber gegenüber der Malerei Haydn's in der »Schöpfung« und den »Jahreszeiten« sich eines leisen Spottes nicht enthalten konnte. Auch verwahrt er sich selbst gegen etwaigen Mißverstand, indem er auf dem Concert programm unter der Ueberschrift der Symphonie bemerkt: »Mehr Ausdruck der Empfindung, als Malerei.« Dessenungeachtet mußte er, besonders um des zweiten Satzes willen,[381] dem Vorwurf der »Spielerei« nicht selten begegnen; in Leipzig schlug man sogar die Benennung: »Phantasien eines Tonkünstlers« anstatt Symphonie als die passendere vor.

Durch Schindler erfahren wir, daß dies herrliche Naturgedicht während des Meisters Sommeraufenthalt (1808) in Heiligenstadt geboren ward. Dort zeigte ihm Beethoven fünfzehn Jahre später noch die Stelle, wo die »Scene am Bach« entstanden und »die Goldammern da oben, die Wachteln, Nachtigallen und Kukucke ringsum«, nach seinen Worten, »mit componirten.« Er componirte vorzugsweise gern im Freien. Die Natur bot ihm unerschöpfliche Anregung; darum brachte er auch den Sommer stets auf dem Lande zu, in einem der freundlichen, reizend gelegenen Dörfer, die Wien nach allen Himmelsgegenden umgeben. »Kein Mensch«, so hören wir ihn selbst, »kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht.« Das weite Stromthal der Donau, die gesegneten Fluren und Weingärten, die schattigen Höhen und Thäler des Wiener Waldes haben ihn oft umherstreifen sehen und belauschen können, wie er über seinen unsterblichen Melodien sann. Lange trug er meist seine Gedanken mit sich herum und ließ sie erst zur völligen Reife kommen, ehe die dann um so raschere Aufzeichnung derselben erfolgte. Selbst im Winter versäumte er nie den täglichen, mehrstündigen Spaziergang; weder Frost noch Hitze, weder Sturm noch Regen mochten ihn davon zurückhalten. Vom Tagesanbruch bis zum Nachmittag war er zu jeder Jahreszeit ununterbrochen thätig. »Nulla dies sine linea« war sein Wahlspruch. Mitten im Arbeiten aber trieb es ihn oft hinaus, um seine Gedanken fortzuspinnen und innerlich weiter zu schaffen. Eine seltsame Ruhelosigkeit war ihm eigen und steht mit der Plastik seines Gestaltens in wunderlichem Widerspruch.[382] Nie litt es ihn lange in einer Wohnung. Er wechselte häufig und suchte nicht selten dasselbe Quartier wieder auf, das er kurz zuvor verlassen. Wiederholt geschah es sogar, daß er drei Wohnungen zu gleicher Zeit inne hatte und bezahlte. Seinen finanziellen Verhältnissen frommte solche Gewohnheit freilich wenig. Haushälterische Talente waren ihm ohnehin gänzlich versagt; drum war seine Junggesellenwirthschaft nicht eben wohlbestellt. »In seinem Haushalt dominirte eine wahrhaft admirable Confusion«, erzählt Seyfried14, indem er ein anschauliches Bild des chaotischen Bunterleis von Beethoven's Umgebung entwirft. Auch als seine Brüder die Fürsorge für seine Geschäfte übernahmen, kam der Vortheil wol mehr ihnen als ihm zu Gute. So kam es, daß er, trotz keineswegs karger Einnahmen, nimmer Schätze sammelte, daß er selbst zuweilen in peinliche Verlegenheit und äußere Bedrängniß gerieth. Stets bewahrheitete er, was er einmal an Ries geschrieben: »Keiner meiner Freunde darf darben, so lange ich etwas hab«, und höchste Freude war es ihm, »seine Kunst zum Besten der Armen zu zeigen.« »Wie groß auch Beethoven's Kunst war, so übertraf sie doch sein Herz«; mit diesen Worten charakterisirt Schlosser den Menschen Beethoven.

Als ein glückliches Ereigniß durfte der Künstler es unter solchen Umständen betrachten, als im Jahre 1809 der König von Westphalen den Ruf an ihn ergehen ließ, als Capellmeister in seine Dienste zu treten. Für einen damals ziemlich ansehnlichen jährlichen Gehalt von 600 Ducaten sollte er sich einzig zur Direction der Kammerconcerte verpflichten, seine Thätigkeit im Uebrigen völlig unbeschränkt bleiben. Beethoven schien nicht abgeneigt, einer Berufung zu folgen, die ihm eine gesicherte Existenz[383] und hinreichende Muße bot, »dem wichtigsten Zweck seiner Kunst, große Werke zu schreiben, ganz obzuliegen.« Berichtet doch Schindler, daß er, der Anfeindungen müde, wie er sie besonders seit dem Erscheinen seiner C-moll-Symphonie, als »Neuerer« und Republikaner«, von Seiten seiner Kunstgenossen erdulden mußte, ohnehin zu jener Zeit mit dem Entschlusse umging, sich einen anderen Wohnsitz zu suchen und eine längere Reise nach Italien (Röckel sagt vielmehr nach Deutschland, England und Spanien) zu unternehmen. Seine Freunde freilich waren von dem möglichen Verluste des Tonmeisters, dem die erste Stelle unter den Mitlebenden, volle Ebenbürtigkeit mit seinen großen Vorgängern immer zweifelloser zugesprochen werden mußte, schwer betroffen; sie wollten ihn nicht lassen, dessen Besitz Wien zur höchsten Zierde gereichte. So vereinigten sich denn drei seiner Gönner: Erzherzog Rudolph, der seit 1808 Beethoven's Schüler geworden war, und die Fürsten Lobkowitz und Kinsky, »um allein zu thun, was die Ehre der Kaiserstadt erheischte«: sie sicherten ihm, so lange er keine feste Anstellung im Lande habe, einen Jahrgehalt von 4000 Gulden, unter der einzigen Bedingung, daß er die österreichischen Lande nicht verlasse.

Auf diese Weise blieb er Wien erhalten. Vorübergehend zwar schien mehrere Jahre später nach dem plötzlichen Tod des Fürsten Kinsky und dem ausbrechenden Bankerott des Fürsten Lobkowitz sein Einkommen gefährdet; doch bezog er dasselbe, von einer geringen Schmälerung abgesehen, bis an's Ende seines Lebens. Daneben flossen ihm auch ansehnliche Honorare zu. Der Strom schöpferischer Kraft aber quoll ihm besonders reichlich in diesen Jahren, und der in seinem Tagebuch ausgesprochene Wunsch: »wenn der Herbst seines Lebens gekommen, einem fruchtbaren Baume gleich zu sein,[384] welcher reiche Früchte in unsern Schos herabschüttelt«, kam zur Erfüllung. Indeß sein äußeres Leben von keinerlei bedeutenderem Ereignisse unterbrochen erscheint, zeigt sich sein inneres um so ereignißvoller. In ununterbrochenem Zuge folgen der Pastoral-Symphonie die Cello-Sonate op. 69, die Trios op. 70, die Phantasie für Pianoforte, Chor und Orchester op. 80 (1808), die Sonaten op. 78 und 81, das »Harfen«-Quartett op. 74 und das fünfte Clavierconcert in Es-dur (1809), das Sextett op. 81, das F-moll-Quartett op. 95, die Musik zu »Egmont« (1810), »König Stephan«, die »Ruinen von Athen« und das B-dur-Trio op. 97 (1811). Daneben eine ungezählte Liederfülle.

Wie das B-dur-Trio als unereichtes Muster seiner Gattung, stellt sich das Es-dur-Concert als die Krone aller Concerte dar. Rein und völlig geht hier das virtuose Element in der künstlerisch-poetischen Idee auf. Ganz Neues in ihrer Art bringt die Chorphantasie – eine Vorstudie zur neunten Symphonie – bei deren erster Aufführung (1808) Beethoven selbst den Clavierpart übernahm und es zu einem glänzenden Umwerfen des Orchesters brachte.

Die erwähnten Quartette schließen sich den Werken gleicher Gattung (op. 59) an, die Beethoven für Graf Rasumowsky schrieb. Wie unter diesen dem inC-dur, gebührt hier dem in F-moll der höchste Preis. Immer geistiger wird die Sprache, die ihr Schöpfer redet. In wunderbarer Polyphonie schlingen sich die Stimmen durcheinander; hier und dort sich zu beinahe orchestraler Wirkung vereinend, an anderer Stelle wiederum wie aus einem Munde redend. Jede geht ihren eigenen selbständigen Gang, jede lebt ihr besonderes Leben und hört doch nie auf, die Trägerin eines höheren Gedankens zu sein. Das Technische der Aufgabe verliert der Tondichter mehr und mehr aus dem[385] Sinn über dem geistigen Wesen seiner Kunst. »Glaubt Er«, – so erwidert er dem trefflichen Geiger Schuppanzigh (der sich um die Interpretation seiner Kammermusik-Werke von Anbeginn verdient gemacht), als dieser einen Gang in einem der Quartette als unbequem oder unausführbar bezeichnete, – »glaubt Er, daß ich an eine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht, und ich es aufschreibe?«

Auch da, wo er für die menschliche Stimme schreibt, schwindet ihm die Rücksicht auf die ihr gesteckten Grenzen nicht selten aus den Augen. Die Sänger des »Fidelio« klagten über die Unsangbarkeit ihrer Aufgaben, und Cherubini war der Meinung, daß dem Herrscher im Reich der Instrumentalmusik wol ein Cursus in der Gesangskunst nichts schaden könne, und machte ihm daher ein Exemplar der Gesangschule des Pariser Conservatoire zum Geschenk. Auch seine größten Schöpfungen, die Missa solemnis und die neunte Symphonie, erlitten von Seiten der Sänger lebhaften Widerstand, und ihre Aufführung scheiterte in früheren Jahren vielfach an den zu hohen Anforderungen, die sie an dieselben stellen. Keine Spur davon findet sich in seinen Werken für Sologesang. Die Scene Ah perfido, die Gellert'schen Lieder, »Adelaide« und viele kleinere Gesänge, unter denen sich besonders die Goethe'schen »Mignon«, »Wonne der Wehmuth«, »Neue Liebe, neues Leben« einen weiten Freundeskreis erwarben, lassen an Sanglichkeit nichts zu wünschen übrig. Wie weit Beethoven übrigens auch auf dem Gebiet des Liedes über den von ihm vorgefundenen Standpunkt hinausschritt, das bekundet schon die von Anbeginn als geniale Schöpfung anerkannte »Adelaide«; das bekundet mehr noch als alle seine bisher erwähnten Lieder der Liederkreis »An die entfernte Geliebte«: die schönsten Liebessänge, die je gesungen wurden und die[386] zuerst jene dem Charakterisirenden zugewandte Bahn eröffneten, auf der Franz Schubert und mehr noch Robert Schumann weiterschritten.

Das Lied »Neue Liebe, neues Leben« wurde, laut »Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde«, für Bettina von Arnim geschrieben, die im Frühling 1810 mit Beethoven verkehrte und ihn durch die Originalität ihres Geistes zu fesseln wußte. Natürlich bekennt auch sie, gleich allen bedeutenderen Frauen, die in seine Nähe kamen, sich, trotz seiner äußeren Unschönheit, in der alle Schilderungen übereinstimmen, völlig bezwungen von der Macht dieser überwältigenden Natur. »Er schreitet weit der Bildung der ganzen Menschheit voran, und ob wir ihn je einholen? – ich zweifle«, schreibt sie von ihm. Sie veröffentlichte später (1857) drei von ihm empfangene Briefe, deren Echtheit jedoch viel bezweifelt und bis heute nur zum Theil (bezüglich zweier) erwiesen ist. Der dritte derselben erwähnt eines Zusammentreffens mit Goethe, das im August 1812 in Teplitz herbeigeführt wurde. Die Verehrung, die der Musiker dem Dichter entgegenbrachte, dessen »Egmont« er in Musik gesetzt, und zwar, wie er geäußert: »blos aus Liebe zu seinen Dichtungen, die ihn glücklich machten«, blieb nur leider ziemlich einseitiger Natur, und die wahre Größe seines Zeitgenossen von Jenem unverstanden. »Sein Talent«, schreibt er an Zelter, »hat mich in Erstaunen gesetzt; allein es ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für Andere genußreicher macht.«

Sein leidender Gesundheitszustand, der wol hauptsächlich durch seine angestrengte Beschäftigung mit der A-dur-Symphonie verursacht und verschlimmert worden, war die Veranlassung, die ihn zum Gebrauch der Badecur[387] nach Teplitz und auf Geheiß seines Arztes noch nach Carlsbad trieb. Auch in Linz, wo sein Bruder Johann inzwischen seinen Wohnsitz aufgeschlagen, nahm er einen längeren Aufenthalt und brachte daselbst die achte Symphonie (F-dur) zur Vollendung. Wie trüb und entsagungsvoll seine Stimmung selbst inmitten der Thätigkeit an jener sonnenhellen Schöpfung war, das bekundet eine Stelle aus seinem Tagebuch. »Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für Andre, für dich giebt's kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst – o Gott! gieb mir Kraft, mich zu besiegen, mich darf ja nichts an das Leben fesseln.«

Im Mai 1813, als seine Leiden wieder den Gebrauch einer Cur in Baden bei Wien nöthig machen, schreibt er in sein Tagebuch: »O Gott, Gott, sieh auf den unglücklichen Beethoven herab, laß es nicht länger so dauern.«Herbe Klagen erpreßt ihm der verwahrloste Zustand seines Hauswesens, bis eine Freundin, die Gattin des bekannten Pianofortebauers Streicher, es endlich unternimmt, einige Ordnung und Behaglichkeit in dasselbe zu bringen, indem sie ihm, dem auf die Vermittelung Anderer Angewiesenen, wenigstens einen zuverlässigen Diener verschafft. Die zarte Fürsorge und Pflege einer weiblichen Hand gehörte leider zu den Gütern, die ihm versagt blieben, seines heißen Begehrens ungeachtet. Darum berührt uns der Ausbruch seiner Sehnsucht so ergreifend, der sich in seinem Tagebuch findet: »Nur Liebe – ja nur sie vermag dir ein glückliches Leben zu geben! O Gott – laß mich sie, jene endlich finden, die mich in Tugend bestärkt – die erlaubt mein ist!« Er fand sie nimmer, und tröstet sich an anderer Stelle mit dem Trost der Resignation: »Nur in der idealen Welt findest du Freude« – »Nichts als Wunden hat die Freundschaft oder ihr ähnliche Gefühle für mich.«[388]

Wol schien es, als ob das Schicksal ihm an Ruhm und äußeren Ehren wenigstens vergelten wolle, was es ihm im Uebrigen schuldig blieb: denn noch am Ende dieses leidenvollen Jahres 1813 war ihm ein hoher Triumph beschieden. Als nämlich Mälzel, der Erfinder des Metronoms, »zum Besten der in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen österreichischen und bayrischen Krieger« am 8. und 12. December 1813 zwei große Academien im Universitätssaal veranstaltete, da producirte auch Beethoven zwei seiner neuesten Arbeiten: die A-dur-Symphonie und das symphonische Orchestergemälde: »Wellington's Sieg, oder die Schlacht bei Vittoria«, welches Letztere zunächst für Mälzel's Panharmonicon, einen mechanischen Trompeter, componirt worden war. Die vorzüglichsten Künstler Wiens, wie Schuppanzigh, Spohr, Mayseder, Salieri, Siboni, Giuliani, Meyerbeer, Romberg, Hummel, Moscheles, vereinigten sich, um, zum Theil in ganz untergeordneten Partien, unter seiner Leitung mitzuwirken. Die Theilnahme des Publicums war eine außerordentliche und das Resultat ein glänzendes. Die Opposition, die seinen bisherigen symphonischen Arbeiten gegenüber ihr Wesengetrieben und selbst seine Concerte erst spät zu rechter Würdigung gelangen ließ: sie verstummte vor diesen neuesten Werken, und die Schlacht bei Vittoria, eins seiner untergeordnetsten Producte, ward für ihn zum glorreichen Sieg über das Heer von Zweiflern und Gegnern, das um ihn her seine Stimme erhoben hatte. Selbst für die tiefe Bedeutung der A-dur-Symphonie, der sammt der Eroica und C-moll der nächste Platz neben der neunten gebührt, schien, trotz der harmonischen Kühnheiten des letzten Satzes insbesondere, der Zuhörerschaft das Verständniß aufzugehen. Wenigstens berichtet die Kritik, daß das zart elegische Allegretto »wiederholt werden mußte und Kenner und Nichtkenner entzückte.«[389]

Jenen ersten Aufführungen beider symphonischer Werke mußten bald – schon im Januar und Februar 1814 – Wiederholungen folgen, die einen nur noch gesteigerten Enthusiasmus und Jubelausbrüche hervorriefen, wie man sie bis dahin im Concertsaal noch nicht erlebt haben wollte. Bei dieser Gelegenheit brachte er auch seine lebensfrohe achte Symphonie zum ersten Mal zu Gehör, deren reizend graziösesAlegretto scherzando seinen ersten Keim in einem Canon, das Beethoven für Mälzel schrieb, fand.

Im April desselben Jahres wirkte er wieder in einem Wohlthätigkeitsconcerte mit. Er spielte mit Schuppanzigh und Linke gemeinsam sein großesB-dur-Trio und wiederholte dies noch einmal bald darauf in einer Matinée im Prater. Das war sein letztes öffentliches Auftreten als Clavierspieler. Sein zunehmendes Gehörübelverbot ihm fortan die öffentliche Ausübung seiner Virtuosität, wiewol er noch 1819 im Stande war, den Claviermeister Carl Czerny, der drei Winter hindurch einen Kreis von Künstlern und Kunstfreunden zum Vortrag Beethoven'scher Compositionen um sich versammelte, mit Rath und Anleitung zu unterstützen, und noch im Jahre 1822 in geselligen Kreisen meisterlich phantasirt haben soll.

Einen höchsten Ehrentag noch feierte er, ehe dies weltgeschichtliche Jahr 1814, das glanzvollste seines Lebens, zur Rüste ging. Es sollte die Sonne seines Glücks im Zenith sehen. Das bei Gelegenheit des Wiener Congresses, am 29. November von ihm veranstaltete Concert vereinigte in den beiden Redoutensälen das glänzendste Publicum Europas. Nahe an sechstausend Zuhörer, sämmtliche Monarchen, die in Wien anwesend und von Beethoven persönlich eingeladen worden waren, befanden sich gegenwärtig. Ihnen widmete er auch die Festcantate: »Der glorreiche Augenblick«, die eigens für[390] diesen Zweck von ihm componirt und sammt der A-dur-Symphonie und der »Schlacht bei Vittoria« aufgeführt wurde. Der Erfolg war bedeutend, und wenige Tage darauf schon fand eine Wiederholung statt. Für die Cantate, deren Werth den einer Gelegenheitscomposition nicht übersteigt, deren »barbarischer« Text aber später durch ein Gedicht von Rochlitz: »Preis der Tonkunst« ersetzt ward, ertheilte ihm der Magistrat das Wiener Ehrenbürgerrecht. Vielfache Auszeichnung auch erwiesen ihm die vornehmen Gäste, die zum Congreß zusammengeströmt waren; denn Jeder bemühte sich, ihm seine Huldigung darzubringen. Besonders in den Gesellschaften des russischen Gesandten, seines Gönners, des jetzt gefürsteten Rasumowsky, und beim Erzherzog Rudolph sah er sich den höchsten Häuptern gegenüber und von diesen – namentlich von der russischen Kaiserin – durch die schmeichelhaftesten Ausdrücke ihrer Bewunderung geehrt. Noch später pflegte er gern zu erzählen, wie er sich von all den fürstlichen Personen habe »die Cour machen« lassen.

In grellem Widerspruch zu den ermuthigenden Ereignissen dieses Jahres standen leider schon die Erlebnisse der nächsten Zeit. Im November 1815 starb Beethoven's Bruder Carl, und dessen Testament übertrug ihm die Vormundschaft über seinen hinterlassenen Sohn. Er trat in der That eine Erbschaft an, die eine Quelle der bittersten Erfahrungen für ihn werden sollte. Nicht allein, daß dieses neue Amt ihm, dem von den praktischen Dingen des Lebens Abgekehrten, ganz nur seiner Kunst Dahingegebenen, vielfältige Opfer auferlegte, es verwickelte ihn auch – da er den ihm anvertrauten Knaben dem schädlichen Einfluß seiner verderbten Mutter zu entziehen genöthigt war – in unerquickliche Streitigkeiten und einen langwierigen Proceß, der erst nach vier Jahren zu[391] seinen Gunsten entschieden ward. Aber auch der seiner Liebe und Großmuth sich wenig werth erweisende Neffe selber that das Seine, um Kummer und Aergerniß aller Art auf das Haupt seines Wohlthäters zu häufen und die letzten kostbaren Jahre seines Lebens zu umdüstern und abzukürzen. Dazu bedrängten körperliche Leiden, häusliche Widerwärtigkeiten, ja materielle Sorgen den Künstler von allen Seiten und entpreßten seinem gequälten Gemüth manche verzweifelte Klage. »Gott, helfe! Du siehst mich von der ganzen Mensch heit verlassen«, heißt es im Tagebuche von 1816, und in einem Briefe an Ries vom Mai 1819 schreibt er: »Ich war derweilen mit solchen Sorgen behaftet, wie noch mein Leben nicht, und zwar durch übertriebene Wohlthaten gegen andere Menschen.«

Im August 1820 geschieht es sogar, daß er »vier böse Tage« hindurch »mit einem Glas Bier und einigen Semmeln« als Mittagsmahl fürlieb nehmen muß, da ihm die Mittel fehlen, etwas Anderes zu genießen. Zwar ist er im Besitz eines kleinen Capitals, das er sich dank der Concerterträgnisse des Jahres 1814 zurückgelegt, allein er betrachtete dasselbe als Erbtheil seines Neffen und als solches als unangreifbar. Und auch das Componiren ging ihm gerade zu dieser Zeit langsamer denn sonst von der Hand; obgleich er bereits seine zwei gewaltigsten Schöpfungen: die Missa solemnis und die neunte Symphonie, im Geiste mit sich herumtrug und gestaltete. Von vollendeten Arbeiten aber umschließt der Zeitraum von 1815–1822, mit dem wir in die letzte Periode Beethoven's eintreten, als Werthvollstes nur die letzten Sonaten op. 101–111, die Ouverturen op. 115 und 124 (zur »Namensfeier« und zur »Weihe des Hauses«), den »elegischen Gesang«, »Meeresstille und glückliche Fahrt«, den Liederkreis: »An die entfernte Geliebte« und die Quartettfuge op. 133.[392]

Die Sonate op. 101 war die einzige, die bei Lebzeiten des Componisten öffentlich vorgetragen ward. Immer tiefer in sich gekehrt giebt er sich in ihr und den letzten vier Sonaten; immer losgelöster von der Außenwelt. Ihre Stimmen erreichen nicht mehr seinen Sinn, berühren sein Ohr nicht mehr. Er lauscht nur noch nach innen und hält mit seiner Seele Zwiesprache und singt jene tiefsinnigen Dichtungen, die uns das Geheimniß eines höheren Daseins enthüllen. Oder kommt uns im Adagio der B-dur-Sonate, im ersten und dritten Satz der in As-dur nicht eine Vorempfindung der Verklärungswelt, wie sie die neunte Symphonie uns offenbart? Von diesen letzten Schöpfungen des Meisters und mit noch größerem Rechte ließe sich sagen, was Berlioz von der F-dur-Symphonie gemeint, sie sei ohne Vorbild vom Himmel gefallen.

Was der Componist selber von der B-dur-Sonate geäußert, daß sie in »drangvollen Umständen geschrieben« sei, das findet mehr oder weniger auf jedes seiner späteren Werke Anwendung. Herbes Leid brach nach den vorangegangenen Prüfungen noch im Jahre 1822 über unsern Meister herein. Es war nur die Vollendung dessen, was sich seit Langem vorbereitet, und dennoch traf es ihn mit so schwerer Gewalt, daß er sich, wie Schindler berichtet, nie wieder von diesem Schlage ganz erholte. Er sollte, so wünschte man, die Aufführung seines nach achtjähriger Pause, als Benefiz der Wilhelmine Schröder wiederaufgenommenen »Fidelio« leiten, und trotz der Warnungen seiner Freunde erklärte er sich dazu bereit. Die Erfahrungen bei einem Concert im Universitätssaale 1819 und bei der jüngst erlebten Eröffnungsfeier des Josephstädter Theaters – wo Beethoven seine Ouverture »im Händel'schen Style« (op. 124) und ein Festspiel mit der Musik zu den Ruinen von[393] Athen dirigirte – hatten erwiesen, daß ihn sein Gehörleiden zur Leitung großer Massen unfähig machte. Er selber nur täuschte sich noch über den vollen Umfang seines Uebels. Die Hauptprobe begann; doch schon in der ersten Nummer nach der Ouverture zeigte es sich, daß der Dirigent von dem, was auf der Bühne vorging, nichts hörte. Das Orchester folgte ihm, während die Sänger ihre eigenen Wege gingen. Man brach ab und begann von Neuem. Derselbe Vorfall wiederholte sich, ohne daß Beethoven die Ursache dessen gewahr geworden wäre. Es ging nicht weiter, das sahen sie Alle; doch keiner wagte es dem Meister auszusprechen. Da bat ihn Schindler, der ihn begleitet hatte, schriftlich, nicht weiter fortzufahren: nun wußte er Alles. Unaufhaltsam eilte er in seine Wohnung zurück; dort warf er sich auf das Sopha und bedeckte sein Angesicht mit beiden Händen. Kein Laut kam über seine Lippen; aber »die ganze Gestalt war das Bild der tiefsten Schwermuth und Niedergeschlagenheit.« Endlich bat er Schindler, ihn am anderen Tag zu seinem Arzt zu begleiten. Das geschah. Doch geholfen werden konnte ihm nicht mehr: es war zu spät. Vielleicht wäre das Uebel früher zu heben gewesen, hätte er den Rathschlägen der Aerzte willigeres Gehör geschenkt. So aber dünkte ihn jede Vorschrift, jede Art von Beschränkung eine lästige Fessel, die er rücksichtslos von sich warf. So viele Aerzte er auch um Beistand anrief, keiner vermochte ihn dazu, sich seinen Verfügungen unterzuordnen. So wurde es schlimmer und schlimmer, bis das Uebel unheilbar ward. Er klagte nun nicht mehr; schweigend ertrug er sein hartes Geschick.

Als die unvergängliche Frucht still getragener Schmerzen, ernstester Selbsteinkehr und Weltentsagung aber brachte das Jahr 1823 seine Missa solemnis an's Licht. Ursprünglich für die Installation seines Schülers, des[394] Erzherzogs Rudolph, als Erzbischof von Olmütz bestimmt, war diese seine zweite Messe in D bereits im Spätherbst 1818 von Beethoven begonnen worden. Schon beim ersten Satze indeß wuchs das Werk zu so mächtigen Verhältnissen an, daß die Vollendung desselben bis zu dem festgestellten Zeitpunkt (März 1820) sich als unmöglich herausstellte. Weit über jede äußerliche Rücksichtnahme, über das Bereich des für die Kirche praktisch Brauchbaren ward er vom Geist hinausgeführt, um ein Gebäude aufzurichten, wie es seinen innersten Bedürfnissen und Anschauungen entsprach. Wer nennt ein Menschenwerk, das mit größerer Freiheit auferbaut ward, das gleicherweise aller irdischen Fesseln spottet? Himmelweit steht diese zweite Messe über der ersten, die er für Esterhazy schrieb, über allen gleichartigen Erzeugnissen früherer Meister – die eine Bach'sche Messe nur ausgenommen – dem Geist und der Fassung nach. Mit gigantischer Hand rüttelt er, der sie schuf, an den alten, gewohnten Formen. Er dictirt sich selbst sein Gesetz; mag dasselbe immerhin die Grenzen des Möglichen hinsichtlich der Ausführbarkeit berühren. Mit gewaltigerer Stimme hat noch kein Sterblicher zu seinem Gott geredet und, von der Last unaussprechlichen Leides darniedergebeugt, ihm ein herrlicheres Preislied gesungen. Jedes einzelne Wort füllt sich ihm mit Geist und Leben, mit einer Art dramatischer Wahrheit. So fleht er im Staube liegend sein Kyrie eleison und jubelt weltüberwindend seinGloria. Fest und unerschütterlich ruht sein »Ich glaube!« und wie aus himmlischen Höhen trägt er im Benedictus die frohe Botschaft hernieder. Im Agnus zieht er das weltliche Element heran, von der Sphäre des Göttlichen steigt er zum Menschlichen herab. »Vom Herzen kam's, zum Herzen soll es dringen«, setzt er als Motto über sein Werk. Alles, was[395] von Frömmigkeit und Andacht, von Glaube, Liebe und Hoffnung in ihm war, das legte er in diesem seinem Glaubensbekenntniß nieder. Nicht vom Standpunkte des Katholiken, des streng confessionellen Christen aus: das war er bei allem tief religiösen Empfinden nicht. Galten ihm doch die Inschriften eines ägyptischen Tempels, die er eigenhändig abgeschrieben, unter Glas und Rahmen auf seinem Schreibtisch verwahrte, als Inbegriff reinster Religion: »Ich bin, was da ist.« »Ich bin Alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« »Er ist einzig von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.« Der Idee der zu einer Gemeinde verbrüderten Menschheit vielmehr giebt diese Messe Ausdruck. In diesem Sinne ist sie dem Werk verwandt, das der Meister nächst ihr geschrieben und das mit ihr gemeinsam die Spitze seines gesammten Schaffens bildet: der Symphonie mit Schlußchor über Schiller's Ode »an die Freude«; nur faßt diese weltlich, was jene kirchlich ausspricht.

Höchste, göttliche Begeisterung, wunderbarste Seherkraft nur vermochte diesen beiden Werken den Ursprung zu geben. In der That erzählt uns Schindler, daß er den Meister niemals vor und nach jener Zeit in einem ähnlichen Zustande geistiger Aufgeregtheit und völliger Erden-Entrücktheit gesehen habe, als während der Beschäftigung mit dieser Messe. Beispielsweise erwähnt er eines Vorfalls in Mödling, wo Beethoven im Sommer 1819 seinen Aufenthalt genommen, wie folgt: »In einem der Wohnzimmer bei verschlossener Thür hörten wir den Meister über der Fuge zum Credo »Et vitam venturi« singen, heulen, stampfen. Nachdem wir dieser nahezu schauerlichen Scene lange schon zugehorcht und uns eben entfernen wollten, öffnete sich die Thür und[396] Beethoven stand vor uns mit verstörten Gesichtszügen, die Beängstigung einflößen konnten. Er sah aus, als habe er soeben einen Kampf auf Tod und Leben mit der ganzen Schar der Contrapunktisten, seinen immer währenden Widersachern, bestanden. Seine ersten Aeußerungen waren confus« u.s.w. ... »Niemals wol«, fügt er hinzu, »dürfte ein so großes Kunstwerk unter widerwärtigeren Lebensverhältnissen entstanden sein als dieseMissa solemnis!« So ward dies Werk zum Triumph über die Noth des Lebens in der Hingebung an den »Allmächtigen, Ewigen, Unendlichen«, zu dessen Ehre zu schaffen ihn innerster Beruf getrieben.

Doch er that sich selbst nicht genug mit diesem einen Siege; nicht allein in der Hingabe an den Höchsten, sondern auch in der Liebe zur Menschheit, zu den Brüdern, wollte er das Schicksal überwinden. Das sagt die neunte Symphonie. Sie ist der eigenthümlichste Ausdruck seiner Individualität, das Resultat eines leidensvollen Lebens, in unablässigem Ringen nach dem Edelsten, Höchsten hingebracht: sie ist selbst ein höchstes Erlebniß. Den Kampf mit den Schicksalsmächten, den nicht eigene Kraft, nicht Humor, noch fromme Ergebung zu besiegen vermag, überwindet die Liebe, die sich selbst verliert, beseligt in der Menschheit heiliger Verbrüderung.

Die äußere Gestalt des colossalen Werkes schon überragt alle übrigen symphonischen Schöpfungen des Künstlers: er hatte mit Recht etwas völlig Anderes, Neues zu schaffen verheißen. Zu einem gigantischen Bau wuchs die Form empor, in unerhörter Weise entwickelt sich der polyphone Reichthum, der Wunder der Instrumentation, der rhythmischen und harmonischen Kühnheiten finden sich mehr denn sonst. Und wer will die Fülle himmlischen Gesanges im Adagio schildern, dieser Glorie der Instrumentalmusik? Der Schwerpunkt[397] des Ganzen aber liegt in der Combination des Instrumentalen mit dem Vocalen, in der Herzuziehung der Menschenstimme und der damit erzielten überwältigenden Steigerung im Schlußsatz. Töne allein sagen es nicht mehr aus, was er zu sagen begehrt – er ruft das Wort zu Hülfe. Der Tonkunst vermählt sich in dithyrambischer Feier die Poesie. Was er uns hier gegeben, ist unerreicht geblieben und bleibt es wol auch. Ob er selber in jener zehnten Symphonie, die er bereits zu skizziren begann, darüber noch hinausgeschritten wäre, ob dies überhaupt möglich – wer sagt es? Wagner nennt die Neunte die »letzte Symphonie«.

Die beiden Werke wurden beendigt, während Wien in den Banden des Schwans von Pesaro und seineropera italiana lag. Im Wonnetaumel über Rossini's holde Melodien vergaß man Beethoven's und seiner ernsten Gedanken. Da wandte sich im Februar 1824 eine Anzahl seiner Verehrer an ihn mit der Bitte, seine jüngsten Schöpfungen nicht länger der Oeffentlichkeit vorzuenthalten. Eine große Academie im Kärthnerthor-Theater, deren Programm aus der letzten Ouverture, dem Kyrie, Credo, Agnus und Dona aus der Missa solemnis (unter dem Titel: Drei große Hymnen) und der neuen Symphonie bestand, war das endliche Resultat dieses Gesuchs. Der Meister selbst nahm an der Leitung des Ganzen Theil, wiewol er dieselbe natürlich nicht selbständig mehr übernehmen konnte.

Groß war der künstlerische Erfolg dieses Abends, der Neuheit der dargebotenen Werke ungeachtet. Nur blieben leider die Jubelausbrüche der begeisterten Menge dem Ohre dessen unvernehmbar, der sie hervorgerufen, und die Sängerin Unger mußte ihm ein Zeichen geben, damit er die Theilnahme desselben wenigstens sah. Dagegen blieb das materielle Ergebniß hinter den Erwartungen[398] Beethoven's zurück und ein zweites Concert zeigte ein noch ungünstigeres Resultat. Wie sehr aber hätte er gerade damals eines besseren bedurft! Von drückender Schuldenlast umgeben, mit der Sorge für den Neffen beschwert, wußte er kaum aus noch ein. Auch die Hoffnung, durch seineMissa solemnis eine ansehnlichere Einnahme zu erzielen, erfüllte sich nicht, und von allen Höfen Europas, die er zur Subscription auf »sein gelungenstes Werk« eingeladen, hatten sich nur fünf dazu bereit gefunden. Zwar boten sich ihm mannigfache Anträge, die seine Lage wol zu verbessern im Stande gewesen wären, wie die Composition eines Oratoriums für die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, und ein Gleiches für die philharmonische Gesellschaft in Boston. Auch die Composition einer Messe für den Kaiser wurde angeregt; Opernpläne tauchten wieder auf, und das alte, schon seit Jahren gepflegte Lieblings-Project einer Reise nach England erhielt durch eine wiederholte Einladung der philharmonischen Gesellschaft in London neue Nahrung. Aber auch diese letzte lucrative Aussicht, die all seinen Nöthen mit einem Male ein Ende zu machen versprach, blieb unverwirklicht, aus Rücksicht für den Neffen, den Beethoven gerade zu dieser Zeit nicht verlassen zu dürfen meinte. Und ebenso seine eigenen Ideen einer zehnten Symphonie und einer Musik zum Faust, der ihm als »Höchstes« galt, sie kamen nimmer zur Ausführung.

Schon 1822 hatte er zu Rochlitz, der ihn besuchte, geäußert: »Seit einiger Zeit bring' ich mich nicht mehr leicht zum Schreiben. Ich sitze und sinne und sinne; ich hab's lange, aber es will nicht auf's Papier. Es grauet mir vor'm Anfang so großer Werke.« So fehlt ihm selbst Muth und Kraft zu Kleinerem, wie er noch unlängst die genialen 33 Variationen über einen Diabellischen Walzer (op. 120) veröffentlicht hatte: dies[399] neue glänzende Zeugniß des Reichthums, der ihm an verändernder Kraft zu Gebote stand.

Nur eine Aufgabe noch vermochte ihm Theilnahme und Thätigkeit abzugewinnen: eine Reihe von Quartett-Compositionen, die er für den russischen Fürsten Galitzin liefern sollte. Ihr widmete er seine Kräfte in den Jahren 1824–26, und so entstanden denn jene wunderbaren fünf letzten Quartettdichtungen, mit denen er sein Tagewerk hienieden beschloß.

Ungleich schwerer noch als die zweite Messe und die neunte Symphonie haben sie den Weg zum allgemeinen Verständniß gefunden, und hartnäckiger als um diese ist der Kampf für und wider sie durchfochten worden. Des strahlenden Glanzes freilich, der überwältigenden Macht jener erhabensten Werke entbehren sie; sie führen uns in eine stille einsame Welt düsterer Gedanken und Phantasien ein. Nichts von der Plastik der Darstellung, die den früheren Ergüssen ihres Schöpfers eigen, lassen sie gewahren, mehr angedeutete als klar erkennbar ausgeführte Bilder, mehr Stimmungen und Träume als ausgeprägte Gedanken: Träume eines Riesengeistes freilich. Dazwischen Züge entschlossener Kraft und tiefsinnigen Gefühls, ein leises Echo verklungenen Humors. Es fallen auch Sonnenstrahlen mitunter und hellere Lichter; aber den Grundton bildet doch eine tief tragische Stimmung. Der Dichter, der solches schuf, schaut in sich selbst hinein. Wollen wir uns wundern, daß der Reflex dieses Spiegels so dunkel? Dabei spielt auch die Außenwelt mit ihren wechselnden Bildern in die Quartette hinein und läßt unbestimmte Empfindungen sich zu bestimmten Vorstellungen verdichten, worauf hier und dort ausdrücklich Worte hinweisen. So im A-moll-Quartett op. 132, das er nach schwerer Krankheit schrieb, der »Dankgesang« in lydischer Tonart, oder in dem in F-dur[400] op. 135: »Der schwergefaßte Entschluß«, wo man das »Muß es sein?« – »Es muß sein!« mit der Deutlichkeit der Wortsprache zu vernehmen glaubt. Enger als vielleicht irgend ein anderes seiner Werke knüpft sich zumal das ergreifende Cis-moll-Quartett an die Persönlichkeit des Tondichters, das unter seinen Streichquartetten etwa den gleichen Rang behauptet, wie die große B-dur-Sonate unter den Pianoforte-Werken, die Neunte unter den Symphonien, die Missa solemnis unter seinen Chor-Compositionen, ja unter allen Werken ihrer Gattung überhaupt. Es ist wahr, die Hand des Componisten hat in diesen Quartetten über der üblichen Architectonik der Instrumentalform mit vollkommener Souveränetät geschaltet und in dem von Alters her geltenden Maß keine Schranke erblickt für den Reichthum seines Empfindens. Auch der Vorwurf harmonischer Härten, wie sie sich durch eine gewisse Rücksichtslosigkeit in selbständiger Führung der Stimmen ergeben, ist kein müßiger. Aber es ist eben das charakteristische Wahrzeichen der ltzeten Entwickelungsstufe Beethoven's, daß er die Idee ausbreitet über die Form, sie ihr überordnet, statt, wie bisher geschehen, beide einander nebenzuordnen. Das ist der geistige Standpunkt, den er seiner Kunst gewonnen. Mit ihm ging das Andere Hand in Hand, daß er Musik und Leben, Kunstwerk und künstlerische Persönlichkeit in ein bezügliches Verhältniß gebracht, daß er die Wirklichkeit in ihren Kreis aufgenommen und ihr gleicherweise die Unendlichkeit erschlossen; daß er das Ewige der Menschheit aussprach in einer allen Völkern und Zeiten verständlichen Sprache. Die Vergeistigung der Musik war sein Beruf; die Nachfolge auf dieser Bahn aber ist die große Erbschaft, die das ihm nachgeborene Kunstgeschlecht von ihm überkommen.

Ein trübes, freudloses Bild, im Gegensatze zu der[401] verklärten Welt seines Schaffens, gewähren des Meisters letzte Lebensjahre. Schwere Kränkung brachten sie ihm gerade von Seiten dessen, für den er so treue Sorge getragen, so viele Opfer gebracht: von seinem Neffen. Denn all seine treue Fürsorge vermochte den auf Abwege Gerathenen vor den Folgen gewissenlosesten Leichtsinns nicht zu schützen. Kaum ein Jahr, nachdem der im Uebrigen talentvolle Jüngling, um Philologie zu studiren, die Universität bezogen, mußte er dieselbe wiederum verlassen. Nicht besser erging es, als er im polytechnischen Institute Aufnahme gefunden. Genug, er kam im August 1826 dahin, durch Selbstmord sein Leben enden zu wollen. Hierauf, den Landesgesetzen gemäß, behufs »religiöser Erziehung«, von Obrigkeits wegen in Gewahrsam gebracht, ward er zu Ende September der Obhut seines Pflegevaters mit der Weisung zurückgegeben, ihn nicht länger als 24 Stunden in Wien zu belassen. Indeß Stephan von Breuning es übernahm, für ein geeignetes Unterkommen im Militär Sorge zu tragen, fand Beethoven sich nun genöthigt, gemeinsam mit dem ungerathenen Neffen auf dem Landgute seines Bruders, Gneixendorf bei Krems, eine Zuflucht zu suchen.

Die Ungunst der Jahreszeit und die »unglaubliche Rücksichtslosigkeit«, die er daselbst namentlich in Bezug auf seine Gesundheit erdulden mußte, zwang ihn jedoch vor der beabsichtigten Zeit zur Rückkehr nach Wien. Er mußte, da sein Bruder ihm seinen geschlossenen Wagen verweigerte, die Reise im offenen Gefährt zurücklegen und langte in Folge dessen an einer Lungenentzündung, wie es heißt, erkrankt, am 2. December daheim an. Zwei Aerzte, die man herbeirief, versagten, da sie den Eigenwillen des Kranken kannten, ihren Beistand. So sollte der Neffe bei einem dritten Hülfe suchen. Er zog vor, sich mit Billardspiel zu unterhalten und die Sorge[402] für den Arzt einem Kellner zu überlassen. Dieser vergaß es jedoch. Erst als er mehrere Tage später selber erkrankte und in die Klinik geschafft wurde, erinnerte er sich des empfangenen Auftrags und theilte ihn dem Arzte mit, der sofort zu dem verlassenen Meister eilte. Er tam zu spät. Die vernachlässigte Krankheit ging in Wassersucht über. Wiederholte Operationen wurden nöthig: doch verlor Beethoven nicht die Hoffnung und beschäftigte sich sogar auf's Neue mit Compositionsgedanken. Das Letzte, was er vollendete, blieb jedoch der in Gneixendorf geschriebene Schlußsatz des B-dur-Quartettsop. 130.

Nur die Sorge für den Neffen, der mittlerweile als Cadett in ein Regiment in Mähren eingetreten war, ließ ihn auch jetzt nicht ruhen. Er fürchtete, daß dieser, nun er selbst nichts mehr verdiene, gleichzeitig mit ihm Mangel leiden müsse, und so entschloß er sich endlich, wenn auch nach langem Bedenken, den ihm befreundeten Moscheles um Veranstaltung eines ihm von der philharmonischen Gesellschaft in London früher offerirten Benefiz-Concertes anzugehen.

Wirklich erhielt er alsbald hundert Pfund Sterling und die Versicherung, daß man zu weiteren Diensten gern bereit sei. Am Tage nach Empfang dieser Sendung, den 18. März 1827, dictirte er noch einen Brief voll warmer Dankesäußerungen. Es war sein letzter. Er fühlte nun selbst sein nahes Ende und sah mit Seelenruhe dem Tode in's Angesicht. In seinem letzten Willen setzte er den Neffen zum Universalerben ein. Am Mittag des 24. März wurden ihm auf sein Begehren die heiligen Sterbesacramente gereicht, die er mit tiefer Andacht entgegennahm. Den Freunden, die sein Lager umstanden, rief er sodann noch zu: »Plaudite amici! Comoedia finita est.« Darauf begann der Todeskampf. Er währte lange; erst in der sechsten Abendstunde[403] des 26. März war er vollbracht. Unter Sturm und Gewitter schied Beethoven's große Seele.

Anselm Hüttenbrenner, ein Musiker und Verehrer des Meisters, der, um ihn noch einmal zu sehen, aus Gratz herbeigeeilt war, drückte ihm die Augen zu.

Auf dem Währinger Friedhofe ward ihm seine letzte Ruhestätte bereitet, und unermeßliche Theilnahme gab ihm, in dem man Unermeßliches verloren, am Nachmittag des 29. März dahin das Geleite.

Schlichte Denksteine bezeichnen sein Grab und eine Stelle im nahen Heiligenstadt, wo er vor anderen Orten gern geweilt. Ein stattlich Monument – zum vollen Dritttheil eine Stiftung Franz Liszt's – aber zeugt von ihm in Bonn am Rhein, der Stätte seiner Geburt, und auch in Wien, wo er gewirkt und vollendet, erhebt sich seit dem Mai 1880 das Standbild des Meisters aller Meister, dessen Besitz unser höchster Stolz. Denn wie uns Musik der Inbegriff allen Wohlklangs, so bleibt uns der Name Beethoven der Inbegriff von Musik. Was die Tonkunst vor ihm hervorgebracht, ist ein Hinstreben zu ihm, was sie nach ihm erzeugt, ein Hervorgehen aus ihm. Der universellste und der individuellste Tonmeister, der Vollender 'der Classicität und aller Thaten, welche die Größten vor ihm gewirkt, ward er zugleich das Fundament, der Mittel- und Ausgangspunkt der modernen romantischen Musikrichtung. So, einem Janus gleich, sein Doppelantlitz Vergangenheit und Gegenwart zukehrend, erfüllt und beherrscht er beide, als ein Prophet des Ewigen der Menschheit, der in Wahrheit sagen durfte: »Höheres giebt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten!«[404]

Quelle:
La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe: Vierter Band: Classiker. Mit einer Lichtdruck-Tafel, Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1880., S. 319,405.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Gespenstersonate

Gespenstersonate

Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon