[Biographie]

Ein lauteres Echo der Klage hat wohl selten oder nie eine Trauerbotschaft entfesselt, als die ungeahnte Kunde, die am 13. Februar 1883 durch die Lande klang, und allseitigere Theilnahme umdrängte wohl nie eines Großen Sarg, als sie Richard Wagner das Geleite gab auf seinem letzten Wege. Der Größten Einer unter den Großen, der Deutscheste unter den Deutschen, der erste Genius der Zeit und einer der ersten aller Zeiten, der eine neue Welt in die Welt gebracht und aus Noth, Neid und Dunkelheit unter Kampf um Kampf emporstieg auf einen Königsthron im Reiche der Kunst, er ging dahin, da wir ihn noch auf der Höhe der Thatkraft meinten. Ihn, den keine Menschenkraft besiegte, der den härtesten Anfeindungen des Geschickes von je eine eherne Stirn bot, nahm der Überwinder Tod in seine gewaltigen Arme und trug ihn dahin, »wo sein Wähnen Frieden fand«.

Nie ist ein Künstler erbitterter umstritten, feindseliger verspottet, consequenter bezweifelt und bekämpft worden als er, der jetzt im stillen Garten seines »Wahnfried« den letzten Schlummer schläft, und doch hat Keiner wiederum im Leben und im Tode größere Triumphe gefeiert hienieden denn dieser Eine. Ein Triumph des deutschen Idealismus war seine im[339] unverrückbaren Glauben an seine Mission vollbrachte That von Bayreuth; ein Triumph des deutschen Idealismus nicht minder die Heimfahrt des Todten von der Lagunenstadt nach seiner letzten Ruhestätte. Zum Bewußtsein dessen gekommen, was es Richard Wagner dankte, reichte ihm sein Volk nun mit verschwenderischer Hand den Liebeszoll, den es ihm lange schuldig geblieben.

Und warum so lange? Das Geschenk eines durch und durch nationalen, aus dem Geist der deutschen Sprache, aus deutschem Wesen und deutscher Poesie herausgeborenen Musikdramas, wie wir es in dieser Weise nie zuvor besessen; das Geschenk eines Festspielhauses und einer nationalen Stilschule, wie kein anderes Volk sie zu eigen hat, ward uns durch Wagner zu Theil. War der Werth dieser Gaben so schwer zu erkennen, daß der Dank dafür dem damit beschenkten Volk erst geläufig von den Lippen ging, als die Lebenssonne dessen, deß' Besitz es sich jetzt mit gerechtem Stolze rühmt, sich bereits zum Untergange neigte? Bis an seinen Lebensabend wenigstens nahm man den Meister bei seinem eignen Wort, wenn er einst sagte: »Glücklich das Genie, dem nie das Glück lächelte. Es ist sich selbst so ungeheuer viel – was soll ihm das Glück noch sein?« –

Fragmentarisch hat Richard Wagner selber, bis seine, wie es heißt, in Venedig vollendeten Memoiren uns einen allseitigen Einblick in sein Leben eröffnen, uns vorläufig durch zwei autobiographische Veröffentlichungen1 in dasselbe eingeführt2. Folgen wir in Kürze seiner Schilderung![340]

In einem bescheidenen Hause im Brühl zu Leipzig wurde Wagner am 22. Mai 1813 geboren. Sein Vater – Polizeiactuar daselbst und leidenschaftlicher Theaterfreund – starb bereits ein halbes Jahr nach der Geburt des Sohnes; doch gab die Mutter, Johanna geb. Beetz, diesem Letzteren durch ihre Wiederverheiratung mit dem Schauspieler Ludwig Geyer (1815) einen zweiten Vater. Mit ihm, der zugleich als Porträtmaler Tüchtiges leistete, auch einige Lustspiele geschrieben hatte, deren eines, »Der Bethlehemitische Kindermord«, Glück machte, siedelte die Familie, als sich ihm ein Engagement als Hofschauspieler bot, nach Dresden über. Sein Wunsch bestimmte den seiner Leitung anvertrauten Knaben für den Malerberuf, ohne daß jedoch die begonnenen Zeichnenstudien ihm irgend welches Interesse und Zeichen der Begabung abzugewinnen vermochten. Sieben Jahre alt, ward Richard auch dieses väterlichen Führers wiederum beraubt. Kurz vor dem Tode desselben hatte er: »Ueb' immer Treu und Redlichkeit« und den damals ganz neuen »Jungfernkranz« auf dem Clavier spielen gelernt. Noch Tags zuvor, ehe der Stiefvater starb, mußte er ihm beides im Nebenzimmer vorspielen. Mit schwacher Stimme hörte er ihn da zu seiner Mutter sagen: »Sollte er vielleicht Talent zur Musik haben?« – »Aus dir hat er etwas machen wollen!« sagte ihm die Mutter am andern Morgen, nachdem sie den Gatten verloren. »Ich entsinne mich«, schreibt Wagner, »daß ich mir lange Zeit eingebildet habe, es würde etwas aus mir werden.«

Seiner eigenen Neigung freier überlassen, beschloß er nun zu studiren, zu welchem Zwecke er mit seinem neunten Jahre die Kreuzschule zu Dresden bezog. (1823–28.) Mit Eifer trieb er, der als ein guter Kopfin litteris galt, Griechisch und Latein, alte Geschichte und Mythologie. Auch dichterischer[341] Sinn und Lust am Komödienspiele erwachte in ihm – kein Wunder, da er sich schon von frühester Jugend an in Berührung mit dem Theater fand und obendrein, gleich mehreren seiner Geschwister, die sich später der Bühne widmeten, die Passion seines Vaters als Erbtheil überkommen hatte. Als einmal beim Tode eines Mitschülers ihm und seinen Genossen die Aufgabe gestellt ward, denselben in einem Gedicht zu feiern, wurden Wagners Verse, als die besten, zum Druck bestimmt. Der elfjährige Knabe wollte nun Dichter werden. »Der nie zufried'ne Geist, der stets auf Neues sinnt,« war ja seine natürliche Mitgabe; »das Leben, die Kunst und er selbst blieben seine einzigen Erzieher.« – Er entwarf Trauerspiele nach griechischem Muster, übersetzte schon in Tertia die ersten zwölf Bücher der Odyssee und wagte sich selbst an Shakespeare'sche Uebertragungen, nachdem er, nur um des vollkommeneren Verständnisses dieses Dichters willen, die englische Sprache erlernt hatte. »Nach Shakespeare's Vorbild« auch schrieb er ein ziemlich ungeheuerliches Trauerspiel, in dessen Verlaufe nicht weniger als zweiundvierzig Personen starben, die großentheils während der letzten Acte als Geister wiederkehrten.

Seine ersten musikalischen Eindrücke empfing er von Weber, dessen Weisen ihn mit schwärmerischem Ernst erfüllten, dessen Persönlichkeit ihn enthusiastisch fascinirte. Sein Tod im fernen Lande erfüllte sein kindliches Herz mit Grauen. Von Beethoven erfuhr er zuerst, als man ihm zugleich von seinem Tod erzählte. Dann lernte er auch seine Musik kennen, gleichsam angezogen von der räthselhaften Nachricht seines Sterbens. Von so ernsten Eindrücken angeregt, bildete sich in ihm immer stärker der Hang zur Musik aus. Gleichwohl zeigte der begonnene Clavierunterricht so geringe Ergebnisse, und die Claviertechnik, mit der er Zeit seines Lebens auf gespanntem Fuße[342] blieb, flößte ihm eine so entschiedene Abneigung ein, daß der Lehrer ihm das übelste Prognostikon stellte. Richard verzichtete in Folge dessen auf die weitere Führung des Letzteren und setzte seine Studien selbständig fort, dieselben hauptsächlich auf das Einüben von Ouvertüren beschränkend, die er, seinen eigenen Worten zufolge, »mit gräulichstem Fingersatz spielte.«

War ihm Weber's »Freischütz« bisher als die herrlichste musikalische Offenbarung erschienen, so erschloß sich ihm in Beethoven's Symphonien eine neue Welt, als er dieselben in den Gewandhausconcerten zu Leipzig, dahin sich seine Familie mit ihm wieder zurückgewandt hatte, zum ersten Mal hörte. Auch mit Mozart befreundet er sich, zumal durch sein Requiem und die »Zauberflöte«, die immer eine seiner Lieblingsopern blieb. Eine Vorstellung des »Egmont« lehrt ihm die Gewalt fassen, durch welche Musik den dramatischen Ausdruck erhöht, und er beschließt nun sein erwähntes großes Trauerspiel mit einer ähnlichen Musik zu begleiten, sich zugleich als Dichter und Musiker zu bethätigen. Ohne alles Bedenken traut er sich die nöthige Fähigkeit zu. Um sich auch die erforderlichen Kenntnisse anzueignen, leiht er sich für acht Tage Logier's Methode des Generalbasses und studirt dieselbe eifrigst. Die Schwierigkeiten, denen er bei diesen Studien begegnet, reizen sein Interesse dergestalt, daß er beschließt, Musiker zu werden.

Hatte seine Familie indeß schon seine dichterischen Versuche, als eine Ursache der Vernachlässigung seiner Schulstudien, mißliebig betrachtet, so galt es harte Kämpfe, als der geniale sechzehnjährige Knabe nach längeren geheimen Uebungen, als Componist einer Sonate, eines Quartetts und einer Arie, plötzlich mit seinen musikalischen Wünschen und Bestrebungen hervortrat. Für eine flüchtig vorübergehende Leidenschaft mußten die Seinen auch diese neue Neigung umsomehr halten, als auch[343] ein begonnener theoretischer Unterricht (bei Gottl. Müller) die unbefriedigendsten Resultate ergab. Durch die Lectüre E.T.A. Hoffmann'scher Schriften phantastisch aufgeregt, aller ernsten Luft am Studium entbehrend, zog er vor, Ouvertüren für großes Orchester zu schreiben, deren eine einmal im Leipziger Theater zur Aufführung kam, ob ihrer Absonderlichkeit aber einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch des Publikums erregte. Wagner selbst bezeichnet sie als »den Culminationspunkt seiner Unsinnigkeiten«. Beethoven's neunte Symphonie sollte eine Pleyel'sche Sonate gegen diese wunderbar combinirte Ouvertüre sein. Nie verließ ihn übrigens bei seinen tonkünstlerischen Versuchen der dichterische Nachahmungstrieb; derselbe ordnete sich jedoch dem musikalischen unter, dessen Befriedigung er allein diente. So schrieb er, durch die Pastoralsymphonie angeregt, ein Schäferspiel, das in dramatischer Beziehung wieder durch Goethe's »Laune der Verliebten« in ihm angeregt worden war. Ohne einen bestimmten dichterischen Entwurf entstand dasselbe gleichzeitig in Wort und Ton.

Kurze Zeit nach der Julirevolution, die nach Wagner's eigenen Worten »heftig und vielfach anregend« auf ihn wirkte, hatte der achtzehnjährige Jüngling seinen Cursus auf den Leipziger Gymnasien beendet. (Er hatte seit seiner Uebersiedelung von Dresden erst die Nicolai-, dann die Thomasschule besucht.) Nun bezog er 1831 die Universität, nicht um sich einem Fachstudium zu widmen, denn für den Musikerberuf war er entschieden, sondern um daselbst philosophische und ästhetische Collegia zu hören. Doch profitirte er von denselben nicht viel. Er genoß vielmehr das Studentenleben in so wilder Weise, daß er sich bald davon angewidert fühlte und zur Besinnung kam. Er empfand selber nun die Nothwendigkeit eines neu zu beginnenden, streng geregelten Studiums der Musik,[344] und die Vorsehung ließ ihn in Theodor Weinlig, dem Cantor der Leipziger Thomasschule, den rechten Mann finden, der ihm »neue Liebe zur Sache einflößte und sie durch den gründlichsten Unterricht läuterte.« Nach einem nur halbjährigen Studium des Contrapunktes erklärte ihn Weinlig bereits für »selbstständig« geworden. »Wahrscheinlich,« sagte er, »werden Sie nie in den Fall kommen, eine Fuge zu schreiben; allein, daß Sie sie schreiben können, wird Ihnen technische Selbständigkeit geben und alles Uebrige leicht machen!«

Die Früchte dieser Studien treten schon in den zu jener Zeit entstandenen Compositionen zu Tage. Im Gegensatz zu seiner früheren schwülstigen Schreibweise erscheint jetzt sein Satz einfach-natürlich, wie eine 1831 veröffentlichte Sonate in B-dur, sein op. 1, beweist. Auch ernten eine im Gewandhausconcert (1833) aufgeführte Ouvertüre und eine später vollendete Symphonie (beide in C-dur) aufmunternden Beifall.3 Beethoven war dabei sein Hauptvorbild; »Klarheit und Kraft, bei manchen sonderbaren Abirrungen«, sein Bestreben. »Ich zweifle,« schrieb Heinrich Dorn (in der Schumann'schen Musikzeitung 1837), »daß es zu irgend einer Zeit einen jungen Musiker gegeben hat, der mit Beethoven's Werken vertrauter war, als der achtzehnjährige Wagner. Des Meisters Ouvertüren und größere Instrumentalcompositionen besitzt er größtentheils in eigenhändig geschriebenen Partituren; mit den Sonaten geht er schlafen, mit den Quartetten steht er auf, die Lieder singt er, die Concerte pfeift er, denn mit dem Spielen will es nicht recht vorwärts[345] gehen; kurz es war ein furor teutonicus, der, gepaart mit höherer wissenschaftlicher Bildung und eigenthümlich geistvoller Regsamkeit, kraftvolle Schößlinge zu treiben versprach.« Der erwähnten mühevollen Copistenarbeit opferte er seine nächtliche Ruhe; ihr aber und namentlich dem hierdurch erzielten volleren Verständniß der »Neunten« verdankt er, wie seine eigenen Aeußerungen bestätigen, »das, was er bei keinem Lehrer hätte erlernen können: das praktische Verständniß und das gründliche Eindringen in Beethoven's heilige Mysterien.«

Mit der fertigen Symphonie machte er sich im Sommer 1832 auf die Reise nach Wien, um die alte Metropole der Tonkunst kennen zu lernen. Was er dort hörte, erbaute ihn jedoch wenig und die herrschende »Zampa«-Manie vertrieb ihn bald. In Prag ließ Dionys Weber mehrere seiner Compositionen, darunter die neue Symphonie, im Conservatorium spielen. Hier auch dichtete Wagner einen Operntext tragischen Inhalts: »Die Hochzeit«. Er hatte, in seine Vaterstadt heimgekehrt, bereits zu Weinlig's Freude mit der Composition desselben begonnen, als ein abfälliges Urtheil seiner Schwester ihn zur Vernichtung des Textbuches veranlaßte.

Doch entschädigte er sich bald dafür durch eine andere Opernarbeit, zu der er durch seinen älteren Bruder Albert die Anregung empfing. Bei diesem (dem Vater von Johanna Jachmann), der als Opernsänger und Regisseur in Würzburg lebte, brachte er, inzwischen Chordirigenten-Dienste beim dortigen Theater verrichtend, das Jahr 1833 zu. Den Text zu der während dieser Zeit componirten romantischen Oper »Die Feen« hatte er nach Gozzi's Märchen »Die Frau als Schlange« wieder selbst verfaßt. Die Musik entstand unter den Einflüssen Beethoven's und Weber's. Charakteristisch für Wagner enthält schon dieser Stoff den bei ihm immer wiederkehrenden[346] Grundgedanken: das sich aufopfernde, liebende Weib. Einzelne Bruchstücke des Werkes, die er in Würzburger Concerten zur Aufführung brachte, gefielen; doch die Hoffnung des jungen Componisten, sie in Leipzig, wohin er sich zu Beginn des Jahres 1834 zurück wandte, in Scene gesetzt zu sehen, blieb trotz ihm eröffneter Aussichten unerfüllt.

Diese erste herbe Erfahrung in Verbindung mit dem überwältigenden Eindruck, den die zu jener Zeit in Leipzig gastirende Schröder-Devrient auf ihn ausübte, bewirkte eine wunderliche Wandlung in ihm. In der Vereinigung »der glücklicher gewählten und ausgebildeten Mittel« der Italiener und Franzosen glaubte er plötzlich den Schlüssel zum Geheimniß des Opernerfolgs gefunden zu haben, wie er später im »Rienzi« gleicherweise vorübergehend in den Bahnen der Pariser großen Oper steuerte. Italienische und französische Vorbilder drängten seine ernsten deutschen Ideale Beethoven, Mozart und Weber eine Zeitlang bei ihm in den Schatten, und der Verkehr mit dem die Berechtigung der Materie proclamirenden »jungen Deutschland« trug in einer zweiten Oper: »Das Liebesverbot, oder die Novize von Palermo«, die er nach Shakespeare's »Maß für Maß« auf einer Reise in die böhmischen Bäder entwarf, seine Früchte.

So trat er im Sommer 1834 als Musikdirector des Magdeburger Theaters in eine erste amtliche Thätigkeit ein. »Das Einstudiren und Dirigiren jener leichtgelenkigen französischen Modeopern machte mir oft kindische Freude, wenn ich vom Dirigirpulte aus links und rechts das Zeug loslassen durfte,« schreibt er selbst über seine damalige Wirksamkeit. Die Berührung mit der pikanten Welt hinter den Coulissen entsprach seiner Stimmung und Zerstreuungslust. Componirt wurde unter diesen Verhältnissen wenig. Nur ein Neujahrsfestspiel und[347] eine Columbus-Ouvertüre kamen außer der erwähnten Oper: »Das Liebesverbot« in Magdeburg zur Reise. Im Frühjahr 1836 ward dieselbe beendet und unmittelbar darauf, nach nur zehntägiger Vorbereitung, am 29. März, eine Aufführung durchgesetzt, ohne daß das hastig einstudirte und mangelhaft dargestellte Werk irgend welchen Eindruck zu üben vermochte. Eine zweite Vorstellung kam nicht zu Stande. Tags darauf schon löste sich, in Folge Zahlungsunfähigkeit des Directors, die Magdeburger Schauspielergesellschaft auf, und Wagner trat, nachdem er lange vergeblich auf Annahme seiner Oper in Leipzig und Berlin gehofft hatte, im Januar 1837 die Musikdirectorstelle am Theater zu Königsberg an. Noch in Magdeburg hatte er sich mit Minna Planer, einer schönen jungen Schauspielerin, verlobt und am 24. November 1836 in Königsberg, wie er selbst sagt, unter den mißlichsten Verhältnissen, in »heftigem Eigensinn eine übereilte Ehe« geschlossen. »Unter dem widerlichen Eindruck einer besitzlosen Häuslichkeit quälte er sich und Andere und gerieth so in das Elend, dessen Natur es ist, Tausende und aber Tausende zu Grunde zu richten.« Das Jahr, das Wagner in Königsberg zubrachte, ging unter Sorgen kleinlichster Art, im steten Kampf mit materieller Noth für seine Kunst verloren. Eine Ouvertüre »Rule Britannia«, der in Riga noch eine »Polonia« folgte, ist uns als einzige Frucht jener Zeit verblieben. Uebrigens setzte der Bankerott der Theaterdirection seiner Thätigkeit schon nach Jahresfrist ein Ziel.

In der heißempfindenden Seele Wagner's entwickelte sich inzwischen bis zur verzehrenden Sehnsucht der Drang, »aus der Kleinheit und Erbärmlichkeit der ihn beherrschenden Verhältnisse herauszukommen«; der Mensch und der Künstler in ihm seufzten nach Erlösung. Voll des brennenden Verlangens, sich dem kleinen deutschen Theaterleben zu entziehen und einen[348] weiteren Wirkungskreis für sein Schaffen zu gewinnen, richtete er sein Auge auf Paris. Ein nach Heinrich König's Roman »Die hohe Braut« bearbeiteter Entwurf zu einer großen fünfactigen Oper sollte, an Scribe geschickt, ihm den Weg dahin bahnen; doch blieb jener Schritt ohne jeglichen Erfolg. Da führte ein kurzer Aufenthalt in Dresden (im Sommer 1837) ihm eine schon früher gehegte Lieblingsidee zurück, den Helden des Bulwer'schen Romans »Rienzi« zu einem Opernhelden umzugestalten, und inmitten des Jammers seines häuslichen Lebens erfüllte ihn die Vorstellung eines großen historisch-politischen Ereignisses mit Begeisterung. Doch erst nachdem er im Herbst 1837 die Stelle eines ersten Musikdirectors bei dem unter Holtei's Leitung neueröffneten Theater zu Riga angetreten und für dortige Zwecke das Project einer komischen Oper (»Die glückliche Bärenfamilie« nach 1001 Nacht) entworfen und wieder verworfen hatte, ward »Rienzi« ernstlich in Angriff genommen. Wagner bekennt, auch bei Verfertigung dieses Textes im Wesentlichen noch an nichts Anderes, als an ein »wirkungsvolles Opernbuch« gedacht zu haben. Die Eindrücke der heroischen Oper Spontini's, des glänzenden, von Paris ausgehenden Genres der »großen Oper« Auber's, Meyerbeer's und Halévy's forderten ihn zur Nacheiferung auf. »Die ›große Oper‹, mit all' ihrer scenischen und musikalischen Pracht, ihrer effectreichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit«, stand vor ihm, und »sie nicht blos nachzuahmen, sondern mit rückhaltsloser Verschwendung nach allen ihren bisherigen Erscheinungen zu überbieten«, erstrebte sein künstlerischer Ehrgeiz. Auf Sprache und Vers wurde noch keine übergroße Sorgfalt verwandt; »Duette und Terzette, fünf glänzende Finales fanden sich von selbst« im Anschluß an die hergebrachten Formen. »Meine künstlerische Individualität,« sagt er, »war den Eindrücken des Lebens[349] gegenüber noch in der Wirkung rein künstlerischer, oder vielmehr kunstförmlicher, mechanisch bedingender Eindrücke durchaus befangen.« Nichtsdestoweniger erklärte Meyerbeer später das Textbuch des »Rienzi« für die beste aller ihm bekannten Operndichtungen und bestellte sich bei Scribe ein ähnliches, als welches ihm dieser nachmals den »Propheten« lieferte. –

Ohne bestimmte Aussicht, sein Werk auf irgend einer Bühne zur Aufführung zu bringen, ja mit dem Vorsatz, es von vorn herein für die engen Rigaer Verhältnisse unmöglich zu machen, hatte Wagner dasselbe im Sommer 1838 begonnen. Mit immer tieferem Ekel erfüllte ihn das ihn umgebende Komödiantenthum. Das Bedürfniß, mit seinen bisherigen Verhältnissen vollkommen zu brechen, ward in ihm übermächtig. Seit Jahren schon lockte ihn Paris, das damalige Centrum aller geistigen Bewegung. Obwohl ganz mittel- und aussichtslos, bestieg er, schnell entschlossen, mit seiner Frau und seinem Neufundländer Hunde – eine ausgesprochene Thier- und Naturliebe charakterisirte Wagner Zeitlebens – ein Segelschiff, um über London nach Paris zu reisen.

Vier Wochen fast dauerte die an Unfällen und Abenteuern reiche Seefahrt. Stürme verfolgen sie und verschlagen sie in einen norwegischen Hafen. Bei der Durchfahrt durch die Scheeren taucht ein den Künstler schon früher zur Theilnahme stimmendes Bild: der »fliegende Holländer«, mit erneuter Macht aus seiner aufgeregten Phantasie empor. »An meiner eigenen Lage – sagt Wagner – gewann er Seelenkraft, an den Stürmen, den Wasserwogen, dem nordischen Felsenstrande und dem Schiffsgetreibe Physiognomie und Farbe.« Das erste Werk, welches das volle Gepräge seiner künstlerischen Eigenart trägt, wird während jener stürmereichen Fahrt von ihm empfangen.

In London angekommen, gönnt er sich nur kurze Ruhe.[350] Er besucht keins der berühmten Theater; nur die Stadt selbst und die Parlamentshäuser interessiren ihn. Einen längeren Aufenthalt nimmt er in Boulogne sur mer. Dort begegnet er Meyerbeer, dem er seinen »Rienzi« vorlegt, und von dessen Empfehlungen begleitet er im September 1839 in Paris eintrifft.

Er sieht sich bei seinem Eintritt in die Weltstadt einzig und allein auf dieselben angewiesen. Bleibt doch die Bekanntschaft mit seinen übrigen Kunstgenossen Berlioz, Halévy, Habeneck, selbst mit dem ihm später so innig befreundeten Liszt auf der Oberfläche; »denn kein Musiker hat dort für den andern Zeit.« Gelehrte und Maler, auch Heinrich Heine bilden vorzugsweise seinen Umgang. Der Einfluß Meyerbeer's bahnt ihm unter andern den Weg zum Theater de la Renaissance. Seine Oper »Das Liebesverbot« wird hier zur Aufführung angenommen, ein neuer französischer Text dazu geschaffen, und alles verspricht den günstigsten Erfolg, als der plötzliche Bankerott des Theaters alle Hoffnungen Wagner's wieder vernichtet. Auch der Versuch, durch Composition französischer Romanzen (»Mignonne«, »Dors mon enfant«, »Attente«, Heine's »beide Grenadiere«) in die Salonwelt einzudringen, mißlingt. Zwar setzt ihn Meyerbeer mit dem Director der großen Oper, Leon Pillet, in Verbindung, und man spricht schon von einem Auftrag, der ihm für Frankreichs erste Opernbühne anvertraut werden soll. Er reicht das schnell entworfene Textbuch zum »Fliegenden Holländer« auch bereits dem Director ein; doch dieser zieht vor, es ihm für 500 Francs abzukaufen, die Composition dagegen einem unbedeutenden Musiker, Dietzsch, zu übertragen, dessen Machwerk erfolglos debütirte und verschwand. In der Verzweiflung bewarb der in all seinem Hoffen Betrogene sich endlich um eine Chordirigentenstelle im Théâtre des Variétés. Aber auch sie blieb ihm versagt – da[351] man aus einer von ihm gelieferten »Probecomposition« den Schluß zog, »daß er nichts von Musik verstehe«.

So mußte der Hartbedrängte, der oft selbst am täglichen Brode Mangel litt, es in der That als eine »Erlösung« betrachten, als sich ihm mit der Anfertigung von Melodienarrangements aus beliebten Opern für alle möglichen Instrumente, selbst für Cornet à piston ein kümmerlicher Verdienst bot. Die karg zugemessene freie Zeit, die ihm diese musikalische Tagelöhnerarbeit übrig ließ, verwendete er, nachdem er mit der ursprünglich als erster Satz einer Faust-Symphonie intentionirten Faust-Ouvertüre das weitaus bedeutendste und eigenthümlichste seiner bisherigen Werke geschaffen hatte, auf seinen »Rienzi«. Im November 1840 war derselbe vollendet. Die Idee, ihn in Paris zur Aufführung zu bringen, hatte er inzwischen längst aufgegeben. Die Kunstzustände daselbst hatten – mit einziger Ausnahme der Conservatoire-Concerte – seinen Erwartungen nur wenig entsprochen. Aller Glanz der äußeren Erscheinung täuschte ihn nicht über das Seichte, Inhaltlose. Er richtete vielmehr sein Augenmerk auf ein deutsches Hoftheater und entschied sich für Dresden, wo er in Tichatschek und der von ihm begeistert verehrten Schröder-Devrient die geeignetsten Kräfte vereint wußte und dahin er denn auch die Partitur unverzüglich sandte.

Nach Beendigung des »Rienzi« und bei fortwährender Beschäftigung mit »musikhändlerischer Lohnarbeit« gerieth Wagner auf einen neuen Ausweg, seinem gepreßten Innern Luft zu machen. »Mit der Faust-Ouvertüre« – so schreibt er – »hatte ich es zuvor rein musikalisch versucht; mit der musikalischen Ausführung eines älteren dramatischen Planes, des ›Rienzi‹, suchte ich die Richtung, die mich eigentlich nach Paris geführt hatte und für die ich mir nun alles verschlossen sah, ihr[352] künstlerisches Recht angedeihen zu lassen, indem ich sie für mich abschloß. Mit dieser Vollendung stand ich jetzt gänzlich außerhalb des Bodens meiner bisherigen Vergangenheit. Ich betrat nun eine neue Bahn, die der Revolution gegen die künstlerische Oeffentlichkeit der Gegenwart, mit deren Zuständen ich mich bisher zu befreunden gesucht hatte, als ich in Paris deren glänzendste Spitze aufsuchte.« »Das Gefühl der Nothwendigkeit seiner Empörung« machte Wagner zunächst zum Schriftsteller. Der Verleger der »Gazette musicale«, Schlesinger, bestellte neben den erwähnten Melodienarrangements auch Journalartikel. Ihm galt beides gleich – dem ausführenden Künstler nicht. Hatte er die eine Arbeit als tiefste Demüthigung empfunden, so ergriff er diese andere, um sich für die erlittene Demüthigung zu rächen. Auf diese Weise entstanden die Aufsätze: »Ueber deutsche Musik«, »Virtuosenthum«, »Ueber die Ouvertüre«, »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven«, »Das Ende eines Musikers in Paris« (Ges. Schriften Bd. 1), welcher letztere seine eigene Leidensgeschichte schilderte. »Die Verzweiflung war die Muse derselben;« – das Publikum amüsirten sie nur; doch trugen sie wenigstens dazu bei, ihren Autor, der auch für deutsche Blätter: für Lewald's »Europa«, Laube's »Zeitung für die elegante Welt« u.a. thätig war, bekannt zu machen.

Für alle Ironie, allen bitteren Sarkasmus, der seine Seele erfüllte, hatte Wagner in seinen literarischen Ergüssen Ausfluß gesucht; nun trieb es ihn zu neuen künstlerischen Thaten. Und die Tonkunst ward sein »guter Engel«. »Sie bewahrte mich als Künstler« – sagt er selbst – »ja sie machte mich in Wahrheit erst zum Künstler von einer Zeit an, wo mein empörtes Gefühl mit immer größerer Bestimmtheit gegen unsere ganzen Kunstzustände sich auflehnte. – Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen, als in der Liebe. Nur wer das[353] Bedürfniß der Liebe fühlt, erkennt dasselbe Bedürfniß in Anderen: mein von der Musik erfülltes künstlerisches Empfängnißvermögen gab mir die Fähigkeit, dieses Bedürfniß auch in der Kunstwelt überall da zu erkennen, wo ich durch die abstoßende Berührung mit ihrem äußerlichen Formalismus mein eigenes Liebesvermögen verletzt, und aus dieser Verletzung gerade mein eigenes Liebesbedürfniß thätig erwacht fühlte. So empörte ich mich aus Liebe, nicht aus Neid und Aerger; und so ward ich daher Künstler, nicht kritischer Literat.«

Eine Dichtung der Liebe auch ist der »fliegende Holländer«. Ein uralter Zug des menschlichen Wesens, der uns schon in der »Odyssee«, in der Geschichte vom Ahasver entgegentritt, liegt in diesem mittelalterlichen Mythos mit ergreifender Gewalt ausgesprochen: die Sehnsucht nach Ruhe aus den Stürmen des Lebens. Die Erlösung aber bringt dem Ruhelosen das Weib, das sich aus Liebe opfert. Wagner sagt von sich selbst, daß er höher als je irgend ein Poet oder Künstler die Frauen verherrlicht habe, und Liszt fügt hinzu: »Wenn man auf die Grundlage der Wagner'schen Fictionen näher eingeht, so möchte man sie eine Dramatisirung des Cultus jenes ›Ewig Weiblichen‹ in allen seinen Formen nennen, mit welchem Goethe, wie mit einem Schlußstein, den gigantischen Bau seines Faust endete.«

Mit dem »fliegenden Holländer« hatte Wagner die erste Volkssage künstlerisch gestaltet; hier zuerst trat er, die Bahn der historischen, sogenannten »großen Oper« und eines Textverfertigers im herkömmlichen Sinn verlassend, als Dichter auf. Der Glanz des Pariser Ideals war vor ihm erblichen. Vom blosen »musikalischen Theaterstück«, wie es der »Rienzi« repräsentirt, war er zur Idee und Ausführung eines wahrhaft deutschen musikalisch-dramatischen Kunstwerks fortgeschritten.[354] Von nun an war er in Bezug auf alle seine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward er wieder Musiker. In der Vereinigung dieser zwiefachen Fähigkeit liegt die Größe und Eigenartigkeit Wagner's begründet. Mag er sich, wie Brendel sagt, »als specifischer Musiker nicht mit Mozart, als Dichter nicht mit Goethe messen können,« die Verbindung des Dichters und Musikers in ihm, sein Auftreten als »Dichtercomponist« stempelt ihn zu einer in ihrer Art einzigen Erscheinung. Dabei leitete ihn nicht Reflexion; zwingende, nicht bewußte, aber empfundene Nothwendigkeit vielmehr, so erzählt er, führte ihn auf den neuen Weg.

Im Frühjahr 1841 hatte er sich von Paris nach Meudon auf das Land zurückgezogen. Dort wollte er die musikalische Ausführung seiner Dichtung in Angriff nehmen. Aber nach dreivierteljähriger Unterbrechung alles musikalischen Producirens fürchtete er mit innerster Seelenangst die Entdeckung machen zu müssen, daß seine tonkünstlerische Schöpferkraft versiegt sei. Mit dem Matrosenchor und Spinnerliede begann er zuerst; es ging im Fluge von Statten, und laut auf jauchzte er vor Freude bei der Wahrnehmung, »daß er noch Musiker sei.« Binnen sieben Wochen war die ganze Oper beendet. Am Ende dieser Zeit überhäuften ihn wieder die niedrigsten äußeren Sorgen: zwei volle Monate währte es, bevor er die nöthige Muße fand, die Ouvertüre, die er fast fertig im Kopfe mit sich herumtrug, auf das Papier zu werfen.

Eine schnelle Aufführung des neuen Werkes in Deutschland lag ihm nun vor allem am Herzen. Von München und Leipzig erhielt er abschlägigen Bescheid: »die Oper eigne sich nicht für Deutschland«, beschied ihn »Intendanten-Weisheit« an ersterem Ort. »Ich Thor hatte geglaubt, sie eigne sich nur[355] für Deutschland«, rief er aus, »da sie Saiten berührt, die nur bei dem Deutschen zu erklingen im Stande sind.« Der Vermittelung Meyerbeer's inzwischen gelang es, die Annahme am Berliner Hoftheater zu bewirken. Da auch die Aufführung des »Rienzi« von Seiten der Dresdner Bühne, in Folge der lebhaften Fürsprache des Chordirector Fischer, Tichatschek's und der Schröder-Devrient, zugesichert worden war, die Pariser Weltlust Wagner aber »mit immer eisigerer Kälte anwehte,« rüstete er sich im Frühjahr 1842 zur Heimkehr. Das Gefühl der Heimatlosigkeit in dem fremden Lande erweckte in ihm die Sehnsucht nach der deutschen Heimat. Mit all' seinem Dichten und Trachten war er schon ganz nur in Deutschland – da fiel ihm das deutsche Volksbuch vom »Tannhäuser« in die Hände, das, als geeigneter Opernstoff, schon Carl Maria von Weber's Interesse einst erweckt hatte. Auf das heftigste ergriff ihn sogleich diese wunderbare Gestalt der Volksdichtung; die Verbindung derselben mit dem »Sängerkrieg« veranlaßte ihn zu dem Studium des mittelhochdeutschen Gedichtes dieses Namens, und jenes wiederum führte ihn weiter zu »Lohengrin«. Mit Begeisterung schöpfte er nun aus dem frischen Born der deutschen Heldensage, und mit einem Schlage war ihm eine neue Welt dichterischen Stoffes erschlossen. »Die Sage«, schreibt er selbst, »in welche Zeit und welche Nation sie auch fällt, hat den Vorzug, von dieser Zeit und dieser Nation nur den rein menschlichen Inhalt aufzufassen und diesen Inhalt in einer nur ihm eigenthümlichen, äußerst prägnanten und deshalb schnell verständlichen Form zu geben. – Durch den sagenhaften Ton wird der Geist sofort in denjenigen träumerischen Zustand versetzt, in welchem er bald bis zu dem völligen Hellsehen gelangen soll, wo er dann einen neuen Zusammenhang der Phänomene der Welt gewahrt, und zwar einen solchen, den[356] er mit dem Auge des gewöhnlichen Wachens nicht gewahren konnte. – Diesen hellsehend machenden Zauber soll die Musik vollständig ausführen.«

Endlich nach fast dreijährigem Aufenthalt verließ Wagner, neunundzwanzig Jahre alt, am 7. April 1842 Paris. Zum ersten Mal sah er den Rhein. »Mit hellen Thränen,« sagt er, »schwur ich armer Künstler meinem deutschen Vaterlande ewige Treue.« Er reiste direct nach Dresden. Der Weg dahin führte ihn an der Wartburg vorüber. »Wie unsäglich heimisch und anregend« – so hören wir ihn – »wirkte auf mich der Anblick dieser mir bereits gefeiten Burg, die ich – wunderlich genug! – nicht eher wirklich besuchen sollte, als sieben Jahre nachher, wo ich, bereits verfolgt, von ihr aus den letzten Blick auf das Deutschland warf, das ich damals mit so warmer Heimatsfreude betrat und nun, als Geächteter, landesflüchtig verlassen mußte!«

In Dresden angekommen, betrieb er sofort die Aufführung seines »Rienzi«. Vor Beginn der Proben noch ward, während eines Sommerausfluges nach Teplitz, der vollständige scenische Entwurf des »Tannhäuser« verfaßt, dem bald auch die Ausarbeitung eines andern Opernentwurfs: »Die hohe Braut«4 für Wagner's nachmaligen Collegen Reißiger folgte. Was läßt sich dem Wohlgefühl des Künstlers vergleichen, der nach langem Ringen in kleinlichsten Verhältnissen, nach härtesten Entbehrungen und Kämpfen sich endlich in eine anerkennende fördernde Umgebung versetzt, von Künstlern umringt sah, die ihm und seinem Werke warme Theilnahme, ja Begeisterung entgegenbrachten? Und die Begeisterung der Ausführenden theilte sich dem Publikum mit, als »Rienzi« am 20. October[357] 1842 seine Bühnenlaufbahn begann. Völlig berauschend wirkte der jugendliche, heroisch gestimmte Enthusiasmus, der denselben durchweht, auf die Hörer; dazu der Reichthum der Ausstattung, die vollendete Leistung Tichatschek's, des Trägers der Hauptrolle; genug der Erfolg war, obwohl die Aufführung sechs Stunden währte, ein glänzender. Der Componist war der Held des Tages in der sächsischen Residenz; wie mit einem Schlag verbreitete sich sein Name durch ganz Deutschland. Er, der Verlassene, Heimatlose, sah sich plötzlich inmitten eines Publikums, das seinem innersten Wesen Verständniß entgegenzutragen schien, sah sich geliebt und bewundert und – er selber kaum wußte wie ihm geschah – zum Capellmeister der königlich sächsischen Hofcapelle ernannt.

Nichtsdestoweniger zauderte er mit Annahme der ehrenvollen Stellung. Seine Abneigung gegen das Bühnenleben mit seiner oberflächlichen Scheinkunst, der gebieterische Drang in ihm, ungehindert dem eigenen Schaffen zu leben, sträubten sich gegen die neue Fessel. Dagegen lockte ihn die Sicherheit der Stellung, die Gelegenheit, für die Kunst Ersprießliches zu wirken – kurz, er ward am Ende im Februar 1843 »froh und freudig« Capellmeister des Königs von Sachsen, der Nachfolger seines schwärmerisch von ihm verehrten Vorbildes Carl Maria von Weber.

Leider nur währte sein Wohlgefühl nicht lange.

Unmittelbar nach dem sensationellen Erfolge des »Rienzi« begann man am Hoftheater auch mit Einstudiren des »fliegenden Holländer«, und bereits am 2. Januar 1843 ging derselbe, obgleich ein wenig eilfertig und mit nicht genügender Sorgfalt vorbereitet, in Scene. Die Aufführung mißglückte in der Hauptsache. Nur die Schröder-Devrient riß mit ihrer genialen Wiedergabe der Senta zu lebhafter Begeisterung hin[358] und rettete die Oper vor völligem Unverständnisse der Zuhörerschaft. Im Uebrigen fühlte sich die letztere in ihren Voraussetzungen getäuscht. Etwas dem »Rienzi« Aehnliches hatte sie erwartet, und fand nun etwas demselben geradewegs Entgegengesetztes. Statt des üppigen Pompes äußerer Mittel fand man ein tiefergreifendes Seelengemälde, statt des strahlenden südlichen Colorits ein düsteres nordisches Stimmungsbild, statt des gewohnten Glanzes der Massenwirkung einige wenige ernste Gestalten, die sich, zu Charakteren verdichtet, aus dem Halbdunkel einer mysteriösen Beleuchtung abhoben; statt der üblichen Reihe in buntem Wechsel aufeinander folgender Gesangstücke erweiterte, in engem Zusammenhang mit dem Inhalt stehende Formen. Statt an die Sinne wandte sich dies poetische Werk an das Gemüth; es wollte empfunden und – wie alle nachfolgenden Schöpfungen Wagner's – mit Hingebung empfangen, nicht nur gehört und gesehen sein.

In allen diesen Beziehungen steht der »fliegende Holländer« dem »Rienzi« und den Erscheinungen der großen Oper überhaupt als ein Neues, Ungewohntes gegenüber. Dennoch erhebt er sich noch nicht auf völlig neuem Boden, bezeichnet er erst den Beginn der von Wagner eingeschlagenen neuen Bahn. Noch ist der in seiner Entwickelung begriffene Stil des Meisters nicht durchaus frei geworden von dem Bann der überlieferten Formen; nur allmälig beginnt sich der Componist denselben zu entziehen, sie noch nicht systematisch verwerfend, wie er später gethan. Wohl kommt die ihm eigenthümliche Kraft der Charakteristik, der Stimmung und Tonmalerei schon hier zu voller Geltung, und in harmonischer Beziehung zeigt er sich schon als der kühne Chromatiker von später. Auch bedient er sich hier bereits zur Charakterisirung hervortretender Personen und Situationen der sogenannten Leitmotive, d.i. kurzer melodischer[359] Phrasen, welche wiederkehren so oft die betreffenden Personen oder Vorgänge vorgeführt oder berührt werden. Die musikalische Conception aber ist noch nicht so markig, der Faden der dramatischen Handlung weniger fest geknüpft, als in seinen späteren Werken. Viel stärker findet sich schon im »Tannhäuser« die Handlung aus ihren inneren Motiven entwickelt. Der Verlauf des Ganzen ist im »Holländer« mehr balladenmäßig als eigentlich dramatisch; scenisch wirksame Situationen, dramatische Motive erscheinen nur sparsam in Anwendung gebracht. Wir sehen Wagner erst instinktiv die Form ergreifen, die er später bewußt gestaltet und deren Theorie und Praxis er mit der ihm eigenen Ueberzeugungsgewalt festgestellt hat. Denn nicht willkürlich, das heißt mit reflectirter Absichtlichkeit, ward Wagner zum Reformator. Er folgte nur der inneren Nothwendigkeit. Schritt für Schritt ging er weiter auf dem Weg, den sein Genius ihn gehen hieß. Ein durchdringender Scharfblick für das dramatisch Wirksame und Gesetzmäßige, eine geniale Hand im Erfassen und Anordnen des Stoffes bei hervorragendem dichterischen Talent kamen dem Musiker in ihm als mächtige Bundesgenossen zu Hülfe und führten ihn naturgemäß und mit historischer Nothwendigkeit dahin, der in der ganzen Nach-Beethoven'schen Musikepoche sich aussprechenden poetisirenden Richtung auf dramatischem Gebiet energischsten Ausdruck zu geben und das seit Entstehung der Oper angestrebte Ideal der modernen Wiedergeburt der classischen Tragödie im Geiste unsrer Musik zu verwirklichen.

»Meine Richtung« – sprach er sich 1849 brieflich aus5 – »habe ich eingeschlagen als Musiker, der, von der Ueberzeugung des unerschöpflichsten Reichthums der Musik ausgehend,[360] das höchste Kunstwerk, nämlich: das Drama will. Ich sage will, um mein Streben zugleich mit anzudeuten; ob ich es kann, das vermag ich allerdings nicht zu beurtheilen, und wenn ich mich irre, kann dies nur in Folge meiner schwachen Befähigung, nicht aber meines richtigen Willens sein.«

Im »Holländer« zuerst sehen wir Wagner, wie erwähnt, seine Doppelbegabung als Dichtercomponist bezeugen. Der musikalische Geist vermählt sich nicht allein in ebenbürtiger Ehe dem dichterischen, eine leidige Mesalliance zwischen Wort- und Tondichtung vermeidend, wie sie die meisten älteren Opern darbieten; die Musik geht, wie Louis Köhler sagt, bei Wagner »aus dem tiefen Naturgrund selbst hervor, wo Poesie- und Musik-Stoff Eins sind.« Eben hierin, in der Verbindung einer enormen elementaren Naturkraft mit der entsprechenden künstlerischen Gestaltungskraft, beruht die Macht des unwiderstehlichen Eindruckes seiner Schöpfungen und ihre über alle musikalisch-dramatischen Hervorbringungen seit Beethoven und Weber riesengroß hervorragende Bedeutung. Wagner selbst legt auf die Dichtung seiner Werke nicht minderen Werth als auf die Partitur und umgekehrt. Nur als Ganzes und zwar von der Bühne herab wirksam, will er dieselben beurtheilt wissen. Ein Anspruch, dem nachzukommen sich freilich selbst seine Freunde nur allmälig gewöhnten, den aber die ihm feindliche Kritik dreist ignorirte, indem sie aus mancherlei, namentlich sprachlichen Eigenthümlichkeiten seiner Operngedichte begierig Angriffswaffen gegen ihn schmiedete.

Noch ein neues größeres Werk Richard Wagner's brachte das Jahr 1843, gelegentlich des sächsischen Männergesangfestes im Juli zur Aufführung: die für Männerstimmen und Orchester componirte biblische Scene »Das Liebesmahl der Apostel.« Auch dies Unicum in der Männergesang-Literatur, das gewisse verwandtschaftliche[361] Züge mit dem vierzig Jahre später vollendeten »Parsifal« aufweist, mußte lange auf Anerkennung und Beachtung warten. Nebenher entstanden noch mehrere Gelegenheitscompositionen, die des Künstlers Amt als sächsischer Hofcapellmeister ihm abforderte, um diese Zeit. Zwei andere, einen Trauermarsch über Motive aus »Euryanthe« und einen Grabgesang, widmete er dem Gedächtniß Carl Maria von Weber's, als dessen Asche nach ihrer Ueberführung von London nach Dresden daselbst im December 1844 feierlich empfangen und beigesetzt wurde.

Auf rasche Verbreitung seiner Opern auf den deutschen Bühnen hoffte Wagner inzwischen vergebens. Von allen Seiten wurden ihm seine Partituren, oft sogar uneröffnet, zurückgesandt. Nur in Hamburg erlebte der »Rienzi« eine ziemlich resultatlose Aufführung; nur in Cassel und Berlin ging endlich auch der »fliegende Holländer« in Scene, und zwar an ersterem Orte dank der Bemühung Spohrs, des einzigen deutschen Capellmeisters, der den jungen Tondichter mit Liebe aufnahm und ihm in einem Briefe seine volle Sympathie kundthat, diese einfach durch die Freude erklärend, einem Künstler zu begegnen, dem man es in allem ansähe, daß es ihm um die Kunst Ernst sei. In Berlin war die Aufnahme der Oper eine günstige; dennoch verschwand sie sehr bald wieder vom Repertoire, vielleicht weil sie, wie der Componist meint, von zu bestimmter individueller Stimmung war, um dem großen Publikum bequem und sympathisch zu sein. Hohe Genugthuung gewährte ihm dagegen wenigstens die Wahrnehmung, welch' tiefen Eindruck sein Werk auf Einzelne ausgeübt hatte; in ihr erkannte er eine Aufforderung zum Weiterverfolgen der von ihm eingeschlagenen eigenthümlichen Richtung. Von der unmittelbaren Wirkung auf das Publikum, mit dem[362] er bereits in seiner ersten eigensten That, dem »Holländer«, den Zusammenhang verloren hatte, sah er fortan völlig ab, einzig nur die Gestaltung eines Kunstwerks nach dem ihm aufgegangenen Ideal erstrebend. Indem er sich der Rücksichten auf die traditionelle Oper mehr und mehr entschlug, ergab sich ihm von selbst der neue Stil, und so gelangte denn zuerst in dem im Winter von 1844–45 vollendeten »Tannhäuser« seine eigenste Künstlernatur zum Durchbruch. »Mit diesem Werk schrieb ich mir mein Todesurtheil,« sagt er selbst; »vor der modernen Kunstwelt konnte ich nun nicht mehr auf Leben hoffen.« In so verzehrender Weise war sein ganzes Wesen bei dieser neuen Schöpfung thätig, daß er sich häufig von der quälenden Angst überkommen fühlte, ein schneller Tod könne ihn an der Vollendung hindern. Bei der Aufzeichnung der letzten Note fühlte er sich froh, als ob er einer Lebensgefahr entgangen wäre.

Nach beendigter Arbeit suchte er in Marienbad Erholung. Hier überkam ihn bald eine so leichte und fröhliche Stimmung, daß er die Idee zu einer komischen Oper faßte, die, wie das Satyrspiel bei den Athenern an die Tragödie, sich als beziehungsvolles Satyrspiel an den »Sängerkrieg auf der Wartburg« anschließen konnte. Der Entwurf zu den »Meistersingern von Nürnberg« entstand. Unmittelbar darauf ward während desselben kurzen Badeaufenthaltes auch die poetische Skizze zu »Lohengrin« entworfen, wie ja immer mehrere Pläne gleichzeitig in dem rastlos thätigen Geiste reisten.

Am 10. October 1845 hörte Dresden den »Tannhäuser« zum ersten Male. Er ging mit der Schröder-Devrient (Venus), Johanna Wagner (Elisabeth), Tichatschek (Tannhäuser), Mitterwurzer (Wolfram) glanzvoll in Scene. Nichtsdestoweniger verließ das Publikum »verwirrt und unbefriedigt« die erste Vorstellung.[363]

»Die philisterhafte Dresdener Kritik« – berichtet Richard Pohl, einer der ältesten und treuesten Anhänger Wagner's, in seiner nach des Meisters Tod veröffentlichten, hier mannigfach benutzten Brochüre6 – »leistete ihr Möglichstes, um das Publikum, anstatt zu orientiren, noch mehr zu verwirren; auch der Chef des Theaters, Geheimrath v. Lüttichau, ermangelte nicht, seinem Capellmeister zu bedeuten, daß Weber es doch viel besser verstanden habe, seine Opern ›befriedigend‹ zu schließen, während hier das Publikum unbefriedigt entlassen werde. Vom Verständniß des dichterischen Werthes, des ethischen Gehaltes keine Spur; vom Verständniß des neuen musikalischen Stils natürlich noch weniger. Selbst die von Wagner so hoch verehrte Schröder-Devrient soll nach der ersten Aufführung gesagt haben: ›Sie sind ein Genie, aber Sie schreiben doch zu tolles Zeug. Man kann's ja kaum singen!‹ Die Kritik fand, daß Wagner keine Melodie und keine Form habe; an der Handlung fand sie ebensoviel zu tadeln, wie an der Musik.« An die hervorragendsten Momente: den Sängerkrieg mit dem großen zweiten Finale und die als »das nichtssagende Recitativ Tannhäuser's« abgefertigte große Erzählung im dritten Act, die beide auf Wagners ganze weitere Entwicklung schon deutlich hinweisen, heftete sich der lebendigste Widerspruch. Mit dem über die Oper hinaus zum Drama strebenden Ganzen, das statt des Sängers den Darsteller, statt des specifisch musikalischen das dramatische Element in den Vordergrund stellte und mit dem leidenschaftlichen Charakter seiner Tonsprache zur geebneten Schönheit, die man bisher in der Oper zu finden gewöhnt war, in scharfen Gegensatz trat, wußte Keiner etwas anzufangen.[364]

Das war das erste, sich gleicherweise bei allen späteren Schöpfungen des Meisters wiederholende Debüt des »Tannhäuser«, der heute auf ungezählten deutschen und außerdeutschen Bühnen zum eisernen Repertoire-Bestand gehört.

»Das Gefühl der vollkommensten Einsamkeit übermannte mich«, bekennt Wagner nach der ersten Aufführung dieses seines Werkes. »Nicht verletzte Eitelkeit, sondern der Schlag einer gründlich vernichteten Täuschung betäubte mich nach innen. Nur eine Möglichkeit schien mir vorhanden zu sein, auch das Publikum mir zur Theilnahme zu gewinnen – wenn ihm das Verständniß meiner künstlerischen Absichten erschlossen würde. Bis dahin mußte ich mir wie ein Wahnsinniger erscheinen, der in die Luft hinein redet und von dieser verstanden zu werden vermeint.«

Der, dank der Bemühung der Direction und der Darsteller, sich allmälig steigernde Erfolg des »Tannhäuser« täuschte ihn nicht mehr; die Unmöglichkeit, dem letzteren einen populären Erfolg, oder überhaupt nur Verbreitung auf den deutschen Theatern zu verschaffen, trat ihm hell entgegen, und hiermit erkannte er zugleich den gänzlichen Verfall seiner äußeren Lage. Fast nur um sich vor diesem Verfall zu retten, that er noch Schritte für die Aufführung dieser Oper und richtete sein Augenmerk namentlich auf Berlin. Der Indendant des Theaters aber wies dieselbe als zu »episch« gehalten zurück, und auf die Bitte, dem König sein Werk widmen zu dürfen, erhielt er den Bescheid, er möchte, da der König nur Werke annähme, die er kenne, die Oper aber in der Hauptstadt nicht aufführbar sei, Einiges daraus für Militärmusik arrangiren, damit es auf der Wachtparade gespielt werden könne.

»Tiefer« – bekennt Wagner, – »konnte ich wohl nicht[365] gedemüthigt und bestimmter zur Erkenntniß meiner Stellung gebracht werden! Von nun an hörte unsere ganz moderne Kunstöffentlichkeit immer grundsätzlicher auf für mich zu existiren.« Inmitten dieses Einsamkeitsbewußtseins, ja durch dasselbe genährt, drängte ihn gleichwohl ein leidenschaftliches Bedürfniß zur Mittheilung, selbst ohne alle Aussicht auf wirkliche Ermöglichung derselben. Er griff zu »Lohengrin«, in innerster Wahlverwandtschaft mit dem Stoffe. Als »das unabwendbare natürliche Product seines Daseins, seiner Leidenschaften, Freuden und Schmerzen«, drängte sich derselbe, wie früher der »Holländer« und »Tannhäuser«, seinem Geiste auf.

»Das Tragische in der Situation des wahren Künstlers zum Leben der Gegenwart« – so sagt er – »gleicht der Situation, die im Stoffe des ›Lohengrin‹ von mir ihre künstlerische Gestalt erhielt. Das nothwendigste und natürlichste Verlangen dieses Künstlers ist, durch das Gefühl rückhaltslos aufgenommen und verstanden zu werden, und die durch das moderne Kunstleben bedingte Unmöglichkeit, dieses Gefühl in der Unbefangenheit und zweifellosen Bestimmtheit anzutreffen, als er es für sein Verstandenwerden bedarf, der Zwang, statt an das Gefühl sich fast einzig nur an den kritischen Verstand mittheilen zu dürfen: dies eben ist zunächst das Tragische seiner Situation, das ich als künstlerischer Mensch empfinden mußte und das mir auf dem Wege meiner weiteren Entwickelung so zum Bewußtsein kommen sollte, daß ich endlich in offene Empörung gegen den Druck dieser Situation ausbrach.«

So schrieb Wagner seinen »Lohengrin« mit seinem Herzblut, unter heiß ihm entströmenden Thränen. Und er gab der Welt in ihm nicht nur eins ihrer weihevollsten Tongedichte, sondern zugleich das populärste seiner Werke. Seinem Ideal schritt er mit ihm um mehrere wesentliche Schritte weiter entgegen.[366] Nur nach treuester Aussprache des Darzustellenden, nach höchster Deutlichkeit des Ausdrucks ringend, gab er die geschlossenen Formen im Einzelgesang hier bereits vollständig auf. Consequent führt er das Princip der Leitmotive durch, und ein blühendes instrumentales Leben macht er zum Träger des declamatorischen Stils. Liszt bezeichnet in seiner epochemachenden Schrift »Lohengrin und Tannhäuser«7 als Hauptcharakter der Musik dieser Oper die hohe Einheit der Conception und des Stils. »Alles verbindet, verkettet und steigert sich; alles ist mit dem Sujet auf's engste verwachsen und könnte nicht von demselben getrennt werden. Jeder Progression der Harmonie geht ein entsprechender Gedanke vorher oder folgt ihr. Man kann von diesem großen Werke sagen, daß es die durchdachteste aller Inspirationen ist.«

Während Wagner an der Ausführung des »Lohengrin« arbeitete (die Dichtung wurde im Winter 1845–46, die Composition bis März 1848 vollendet), auch seine Verdienste um das durch mustergültige Opern- und Concertaufführungen und Repertoire-Erweiterung durch ihn geförderte Dresdner Musikleben weiterhin durch eine jetzt allgemein benutzte Bearbeitung der Gluck'schen »Iphigenie in Aulis«, wie durch Einführung der Beethoven'schen neunten Symphonie vermehrte, welche letztere er mit einem genial geschriebenen Programm begleitete, trat seine äußere Lebensstellung in immer lebhafteren Zwiespalt zu seiner inneren Stimmung. Den Dresdner Verhältnissen mehr und mehr entfremdend, durch die Nichtannahme seines »Lohengrin« seitens der Intendanz gereizt, zog er sich in immer größere Einsamkeit zurück und lebte fast nur noch mit einem Freunde in innigem Umgang. »Ein widerliches[367] Band« nur fesselte ihn noch an die bestehenden öffentlichen Kunstzustände: die Verpflichtung, auf möglichen Gewinn aus seinen Arbeiten bedacht zu sein, um der bedrängten, materiellen Lage aufzuhelfen, in die ihn die Herausgabe seiner Werke auf eigene Kosten gestürzt hatte. Seinen für ihn längst abgethanen »Rienzi« brachte er endlich in Berlin zur Aufführung. Doch die böswillige Verbreitung einer Aeußerung des Componisten, die ihn als eine »künstlerische Jugendsünde« bezeichnet hatte, beraubte ihn von vornherein des Erfolgs. Gerade das augenscheinlich am meisten auf Popularität angelegte und in Dresden in der That im Umsehen populär gewordene Werk machte seltsamer Weise erst später als »Tannhäuser« und »Lohengrin«, ja erst mit deren Hülfe, seinen Bühnenweg. Tief deprimirt kehrte Wagner nach dem mißlungenen Versuch von Berlin zurück. Da traf ihn im Februar 1848 noch zu alledem der Verlust seiner Mutter, mit der ihn – wie ein unlängst veröffentlichter, den Menschen Wagner auf's schönste charakterisirender Brief8 bezeugt – das liebevollste Verhältniß verband.

Nur Eins noch hielt ihn aufrecht: seine Kunst, die »für ihn eben nicht ein Mittel zum Ruhm- und Gelderwerb, sondern zur Kundgebung seiner Anschauungen an fühlende Herzen war.« Es ward ihm klar, daß er für die Bildung des künstlerischen Organs sorgen müsse, durch das er sich in seinem Sinne mittheilen konnte. Dies Organ war das Theater. Seine künstlerischen Absichten durch dasselbe in Dresden, wo er lebte und wirkte, verwirklicht zu sehen, erschien ihm von jetzt an das nächste Erzielenswerthe. Hatten ihn allerlei trübe Erfahrungen während seiner sechsjährigen Thätigkeit am Dresdner Hoftheater[368] bereits mit einer »hoffnungslosen Gleichgültigkeit« gegen dasselbe erfüllt, so wandte er sich ihm nun in der Absicht wieder zu, eine völlige Umgestaltung desselben herbeizuführen. Während er aber über die Möglichkeit einer gänzlichen Reform der Theaterverhältnisse nachsann, ergab sich ihm die Erkenntniß: »daß die herrschenden politischen und socialen Zustände keine anderen öffentlichen Kunstzustände aus sich bedingen konnten, als eben die von ihm angegriffenen.« Diese Erkenntniß war für seine ganze weitere Lebensentwickelung entscheidend; sie führte ihn der Revolution zu.

Nie hatte sich Wagner bisher mit Politik beschäftigt; vom rein künstlerischen Standpunkte aus gelangte er zu der Ueberzeugung, daß eine Revolution nothwendig, daß eine Reform der Kunst nicht ohne eine Reform der Gesellschaft möglich sei. Als die Revolution im Jahre 1848 wirklich ausbrach, hielt er sich anfangs von jeder Betheiligung an derselben fern. Er arbeitete einen umfassenden Plan zur Reorganisation des Theaters aus9, um, sobald die revolutionäre Frage an dieses Institut gelangen würde, gut gerüstet hervortreten zu können. »Es geschah dies jedoch in der Voraussetzung einer friedlichen Lösung der obschwebenden, mehr reformatorischen als revolutionären Fragen, und des ernstlichen Willens von Oben herab, die wirkliche Reform selbst zu bewerkstelligen.« Der Gang der politischen Ereignisse sollte ihn bald eines Anderen belehren. Von Unwillen erfüllt über die Unklarheit der streitenden Parteien, trat er selbst in einer Flugschrift gegen die politisch formelle Auffassung der Revolution und für die Nothwendigkeit auf, daß der rein menschliche Kern derselben[369] deutlich in's Auge gefaßt werde. An dem Erfolge dieses Schrittes inzwischen gewahrte er, daß den Politikern das Verständniß seines Standpunktes völlig abging, daß man an die Verwirklichung der Ideale des Künstlers nicht dachte. Enttäuscht kehrte er in seine frühere Einsamkeit zurück.

Ausschließlich gab er sich nun wieder dichterischen Entwürfen hin, und während die Welt um ihn in Gährung lag, kam er, sich in sich selbst versenkend, zum vollen Bewußtsein seiner künstlerischen Richtung. Zwei Stoffe bemächtigten sich gleichzeitig seiner Phantasie: »Siegfried«, der Drachentödter, und »Friedrich der Rothbart«. Wie schon zur Zeit, als er seinen »Tannhäuser« schrieb, ihn der Gedanke beschäftigt hatte, Manfred, den Hohenstaufensohn, zum Helden einer beabsichtigten, aber wieder aufgegebenen Oper: »Die Sarazenin« zu machen, so stellten sich ihm auch jetzt noch einmal und zum letzten Male Mythos und Geschichte gegenüber und drängten ihn zur Entscheidung, ob er ein musikalisches Drama oder ein recitirendes Schauspiel schreiben solle. Seit seiner Rückkehr von Paris war das deutsche Alterthum sein Lieblingsstudium gewesen. Sich in den heimatlichen Sagenquell vertiefend, fand er den »jugendlich schönen Menschen in der üppigsten Frische seiner Kraft, als den der Deutsche seinen Siegfried kennt. Gleichzeitig aber auch suchte er diesen wahren Menschen in der Geschichte; traf jedoch hier nur Verhältnisse, die den Menschen bestimmen, anstatt von ihm bestimmt zu werden.« Friedrich der Rothbart erschien ihm allerdings als eine geschichtliche Wiedergeburt des altheidnischen Siegfried, und in den Tagen der Bewegung mußte es ihm dünken als ob dieser Stoff dem Verständniß des Volkes näher liege als jener. Schon war der Plan zu einem Drama entworfen, das in fünf Acten Friedrich vom ronkalischen[370] Reichstage bis zum Antritt seines Kreuzzuges darstellen sollte; doch wandte sich Wagner unbefriedigt wieder von demselben ab. Von der Masse des geschichtlichen Stoffes erdrückt, glaubte er nicht nur das Ungeeignete desselben für das Drama, sondern die Untauglichkeit der Geschichte für die Kunst überhaupt – als mit dem Reichthum äußerer Ereignisse den Menschen nicht zur Erscheinung kommen lassend – folgern zu müssen. Die Consequenz dieser Ansicht führte ihn endlich weiter zu der Ueberzeugung, daß das gesprochene Schauspiel, das bisherige reine Literatur-Drama, als eine den Bedürfnissen der Zukunft ungenügende Form verschwinden, an seiner Stelle aber das »musikalische Drama« mit seinem universell menschlichen Gehalt erstehen werde.

Mit dieser neugewonnenen Anschauung – die, Wagner's äußerem Bekenntniß zufolge, unter dem Einfluß des Geistes der Musik in ihm entstand – kehrte er nun zu »Siegfried«, zur Sagenwelt zurück. »Und damit« – ruft er aus – »hatte ich eine neue, die entscheidendste Periode meiner künstlerischen und menschlichen Entwickelung angetreten, die Periode des bewußten künstlerischen Wollens auf einer vollkommen neuen, mit unbewußter Nothwendigkeit von mir eingeschlagenen Bahn, auf der ich nun als Künstler und Mensch einer neuen Welt entgegenschreite.«

Erscheint auf diese Weise die Wahl des dichterischen Stoffes bei Wagner durch den Musiker in ihm beeinflußt, so wirkt hier wiederum auch der Dichter in ihm auf den musikalischen Ausdruck, und zwar wie er selbst bezeugt, in einem zweifachen Moment: in der dramatisch-musikalischen Form überhaupt und in der Melodie insbesondere. Indem Wagner den Stoff allein zu dem die Form bestimmenden Factor erhob, schritt er allmälig in der Gestaltung desselben[371] bis zur Aufhebung der überlieferten Opernform fort. Einzig die gefühlsverständliche Darstellung dieses Stoffes erstrebend, sucht er denselben dramatisch zu gestalten, befreit ihn von den herkömmlichen Zierrathen, gliedert ihn, statt wie bisher in einzelne Arien, Duette, Ensembles u.s.w., nur in die natürlich sich ergebenden Abschnitte der Scenen und Acte, die er wiederum in engen Zusammenhang untereinander stellt, und unterwirft mit einem Wort die musikalisch-dramatische Form den allgemeinen dramatischen Gesetzen. Sein Bühnenwerk ist ein in sich geschlossener Organismus, ein Ganzes, im Gegensatz zu dem Vieltheiligen der früheren Oper. Soll es sich doch über diese, wie über das recitirende Drama dadurch erheben, daß es, nach Wagner's eigenen Worten, die vorzüglichsten Tendenzen beider »einzig zum Ziele führt und in eine idealisch freie Einheit verbindet.« Die Einführung bestimmter, die verschiedenen Personen und Situationen charakterisirender thematischer Motive wurde bereits erwähnt, und zwar verbreiten sich dieselben nicht (wie früher im einzelnen Operngesangstücke) nur über eine Scene, sondern in eigenthümlicher Verbindung und Verzweigung über das ganze Drama, »in innigster Beziehung zur dichterischen Absicht,« und zugleich eine formelle Einheit des Ganzen erzielend. Aehnliches hatte schon Carl Maria von Weber versucht, nicht aber eine derartig beziehungsvolle Ausdehnung dieses Verfahrens über das ganze Drama angewandt; wie er ja überhaupt an der gewohnten Gliederung der Oper durchaus festhielt, mochte er immer durch Einführung der sogenannten Scenenform – die, aus der geschlossenen Gestalt der Arie heraustretend, dem Recitativ vermehrte Freiheit gestattet und auf dem Grenzgebiet zwischen Cantilene und Declamation ihre Heimat hat – einen Schritt nach vorwärts gethan haben, der Wagner zu immer weiteren Consequenzen führte.[372] Wagner erzählt, wie er auch zu dem erwähnten Motivenprincip nicht durch Reflexion, sondern durch praktische Erfahrung gelangt sei, indem er in der Ballade der Senta im »fliegenden Holländer« unbewußt den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper niederlegte.

Er bezeichnet uns auch noch den Einfluß seines dichterischen Verfahrens auf die Bildung seiner Themen selbst, auf die Melodie. Er erzählt uns, daß er in seiner Jugend oft nachgedacht habe, wie er es wohl anzufangen hätte, um recht originelle Melodien zu erfinden. Je mehr sich aber sein musikalisches Gestalten auf den dichterischen Stoff bezog, schwand diese Sorge um die Besonderheit derselben. Es war ihm nun nicht mehr um Opernmelodien zu thun, sondern um den entsprechendsten Ausdruck für seinen darzustellenden Gegenstand. Die Melodie an sich sollte nirgends Aufmerksamkeit erregen, sondern nur die in ihr sich aussprechende Empfindung; sie ist bei Wagner nicht Zweck sondern Mittel. Er läßt sie nicht um ihrer selbst willen, sondern allein aus der gefühlvoll vorgetragenen Rede, »als den in der Dichtung wurzelnden treuesten Ausdruck«, entstehen, und geht damit vollständig von dem üblichen Operncompositionsverfahren ab. Doch entzog er sich dem Einflusse dieses letzteren nur allmälig und zwar »ganz in dem Maße, als die im Sprachverse ausgedrückte Empfindung für ihren gesteigerten musikalischen Ausdruck ihn bestimmte.« Wagner's Melodie steht in innigster Verwandtschaft mit der Sprache. Sie geht aus dieser hervor und verbindet sich unauflöslich mit ihr. Sie schmiegt sich ihr nach Sinn, Tonfall und Accenten so selbstlos an, daß man gerade in Bezug hierauf gesagt hat, Wagner's Musikdrama sei im Grunde mehr ein erweitertes Melodrama, als eine Neugestaltung der Oper; nur daß er statt des gesprochenen Wortes das gesungene, durch[373] bestimmte Töne präcisirte Wort setze. So wird sein Gesang, dem dramatischen Ausdruck zu Liebe, zur idealen Declamation. Der alte Gegensatz zwischen Recitativ und Cantilene – welches erstere bisher ausschließlich die Handlung begleitete, während die letztere innerhalb geschlossener Nummern dem Ausleben der Empfindung Raum gewährte – besteht bei ihm nicht mehr. Das musikalische Zuwenig des Einen, wie das Zuviel des Andern glich er aus. Die geschlossene Form der Arie ist ihm flüssig geworden. Der im alten Stile ausgestalteten Melodie entsagt Wagner demgemäß. An ihrer Stelle giebt er uns die sogenannte »unendliche«. Sein Drama ist ein Strom ununterbrochener, unendlicher Melodie, die theils den Sängern, theils dem Orchester in den Mund gelegt wird. Als ein in sich geschlossenes Ganzes läßt sich seine Melodie, oder irgend ein Einzelstück nur in seltenen Fällen loslösen; hier flutet alles in Einem, und nur in seiner Beziehung zum Gesammtwerk beruht die Schönheit und Bedeutung jedes Einzelnen. Als nothwendige Consequenz seiner dramatischen Principien auch dominirt in seinen nun folgenden Schöpfungen, mit Ausnahme der »Meistersinger« und des »Parsifal«, der Einzelgesang. Nur mit äußerster Enthaltsamkeit verwendet er, so wunderbar er im Orchester die Kunst des Polyphonikers übt, einen vocalen Vollklang; nur wo es sich streng in den Rahmen des Dramas fügt, wo die Situation es nicht allein erlaubt, sondern bedingt, vernehmen wir ein Ensemble, einen Chor. Gleichzeitig mit der melodischen Neubildung erstrebt Wagner eine harmonische, charakteristische Belebung des dramatischen Ausdruckes und eine immer bezeichnendere Begleitung des Instrumentalorche sters, dem er in symphonischer Weise die Ausarbeitung der musikalischen Motive, die kunstvolle Detailmalerei überträgt, die uns das Stimmungsleben der[374] Dichtung bis in's Einzelnste veranschaulicht; und endlich noch eine rhythmische Reform, indem er an die Stelle des von ihm als unvollkommen erkannten modernen Reimverses die älteste deutsche dichterische Form: den Stabreim setzt.

»Wagner,« sagt Liszt, »fühlt, und mit Recht, daß er in der dramatischen Musik an dem Entwickelungsmomente angelangt ist, den Gluck und Weber vorbereiteten. Im Besitze unendlich mannigfaltigerer Mittel wie der Erste, als denkender und combinatorischer Kopf bedeutender wie der Letzte, Poet und Musiker zugleich, verfügt er noch dazu über die ganze Masse von Hülfsquellen, vermöge welcher der große declamatorische Stil in seiner höchsten Vollendung sich manifestiren kann. Aller Instrumentaleffecte, Stimmengruppirungen und Decorationspracht etc. seiner Vorgänger hat er sich bemächtigt, und alles dies auf tiefgehende Stoffe verwandt, deren Ausgiebigkeit er vollständig entwickelte. Wir glauben (Liszt schrieb dies vor mehr denn 30 Jahren!), daß Wagner's Werke das typische Monument des musikalischen Dramas unserer Epoche bleiben werden.«

Nachdem Richard Wagner im Herbst 1848 die Dichtung »Siegfried's Tod« vollendet, faßte er die Idee, »Jesus von Nazareth« zum Mittelpunkte eines Dramas zu machen; doch gab er dieselbe wieder auf, wie er überhaupt in jenen Tagen alles aufgab, was ihn mit Hoffnung erfüllt und so über die wahre Lage der Dinge um ihn her getäuscht hatte. Im Vorgefühl der unvermeidlichen Entscheidung, die auch ihn treffen mußte, sobald er seinem Wesen und seinen Gesinnungen treu blieb, floh er jetzt sein Zimmer und wanderte einsam hinaus in's Freie, »um sich im erwachenden Frühling zu sonnen und alle eigensüchtigen Wünsche von sich zu werfen, die ihn noch mit täuschenden Bildern an eine Welt von Zuständen[375] fesseln konnten, aus der all sein Verlangen mit Ungestüm ihn hinaustrieb.«

So traf ihn der Dresdner Aufstand im Mai 1849, den er mit Vielen für den Beginn einer allgemeinen Erhebung in Deutschland hielt. Er betheiligte sich an demselben mit aufreizenden Reden, leitete die Revolutionssignale, die Sturmglocken, und mußte, steckbrieflich verfolgt, gleich seinem Freund, dem berühmten Architecten Semper, die Flucht ergreifen. Mit Entschiedenheit kehrte er einer Welt den Rücken, der er seinem Wesen nach längst nicht mehr angehörte. Und er, der Geächtete und Verfolgte, »fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben durch und durch frei, als er der so scheinheilig um Kunst und Cultur besorgten Welt offen zurufen konnte, daß er sie aus tiefstem Grunde des Herzens verachte; er fühlte sich frei, heil und heiter, mochte er auch nicht wissen, wo er den nächsten Tag sich bergen sollte, um des Himmels Luft athmen zu dürfen.«

Sein ganzer Reichthum war die Partitur des »Lohengrin«. Sie schützte ihn, da er sie in Leipzig für einige hundert Thaler verkaufte, wenigstens vor der ersten Noth. Eine gütige Fügung der Vorsehung wollte es indessen, daß, gerade als Richard Wagner flüchtigen Fußes die Heimat verlassen mußte, seine Kunst die langersehnte Heimat im deutschen Vaterlande fand. Auf der Durchreise nach Paris Weimar berührend, sah er Franz Liszt eine Probe seines »Tannhäuser« dirigiren und erkannte durch diese Leistung in ihm, der sich als sein treuester Freund bewähren sollte, »sein zweites Ich«. »Was ich fühlte, als ich diese Musik erfand, fühlte er, als er sie aufführte; was ich sagen wollte, als ich sie niederschrieb, sagte er, als er sie ertönen ließ«, bezeugt er selbst. So durfte er leichteren Herzens hinaus in die Fremde wandern – er wußte, daß[376] seiner Kunst daheim ein großherziger Beschützer lebte. Und was ihm selber nicht gelungen, den energischen Bestrebungen Liszt's war es vorbehalten: die deutsche, die musikalische Welt erschloß sich endlich den Werken dieses urdeutschen Meisters, für welche alsbald auch die beste und einflußreichste Musikzeitung damaliger Zeit, die von Robert Schumann gegründete und von Franz Brendel fortgeführte »Neue Zeitschrift für Musik« energisch Partei ergriff.

Wagner hatte sich inzwischen nach nur kurzem Aufenthalte in Paris, das seiner Stimmung wenig zusagte, nach der Schweiz gewandt. In Zürich ließ er sich Anfang Juli 1849 nieder. Zu künstlerischer Production nicht aufgelegt, vertiefte er sich in philosophische Studien und Systematisirung der Kunsttheorie, und wie vor Jahren während seines ersten Pariser Aufenthaltes, so griff er auch jetzt wieder zur Feder des Schriftstellers, um seinem Herzen Luft zu machen. Schon wenige Monate nachdem er in das Exil gegangen, veröffentlichte er eine kleine Schrift: »Die Kunst und die Revolution«10, darin er eine Parallele zieht zwischen dem Kunstleben der Griechen und unserm heutigen, und die moderne Kunst – im Zusammenhang mit dem ganzen politisch-socialen Zustande der modernen Welt – als der Industrie verfallen und zum Handwerk herabgesunken bezeichnet. »Nur die große Menschheitsrevolution« – so meint er – »deren Beginn die griechische Tragödie (die Blüte einer conservativen Kunst) einst zertrümmerte, kann auch dies Kunstwerk (das wirkliche Drama, dieses eine untheilbare, größte Kunstwerk des menschlichen Geistes) uns gewinnen; denn nur die Revolution kann aus ihrem tiefsten Grunde das von neuem und schöner, edler,[377] allgemeiner gebären, was sie dem conservativen Geiste einer früheren Periode schöner, aber beschränkter Bildung entriß und verschlang.«

Bereits zu Beginn des nächstfolgenden Jahres (1850) ließ Wagner jener ersten Schrift eine umfangreichere folgen: »Das Kunstwerk der Zukunft«11, das er dem Philosophen Ludwig Feuerbach12 widmete. An philosophische und kunsthistorischkritische Betrachtungen anknüpfend, legt der Künstler hier das ihn erfüllende Ideal dar: »das Kunstwerk der Zukunft,« wie er es nennt; denn nicht von der Gegenwart, sondern von einer ferneren Zeit erst hofft er seine Gestaltung. Er legt seine eigentliche Theorie, sein künstlerisches Glaubensbekenntniß darin nieder. Wiederum von der Kunst des alten Griechenlands, von der einstmaligen Vereinigung der Künste im Drama ausgehend, begehrt er eine Wiedergeburt derselben, nur auf höherer Stufe und mit unendlich reicheren Mitteln. Die Einzelkünste – und zwar eben sowohl die »reinmenschlichen« Kunstarten: Tanzkunst, Tonkunst und Dichtkunst, als die aus der »Nachbildung der Natur hervorgegangenen«: Architectur, Sculptur und Malerei – deren bisherige Entwickelung ihm nur als Durchgangsmoment erscheint, sollen ihr »egoistisches« Sonderleben dahingeben und sich gemeinsam zu höchster, vollkommenster Leistung verbinden. »Das höchste gemeinsame Kunstwerk ist das Drama: nach seiner möglichen Fülle kann es nur vorhanden sein, wenn in ihm jede Kunstart in ihrer höchsten Fülle vorhanden ist. Nur aus gleichem gemeinschaftlichen Drange aller drei Kunstarten kann aber ihre[378] Erlösung in das wahre Kunstwerk, somit dies Kunstwerk selbst ermöglicht werden. Erst wenn der Trotz aller auf ihre Selbständigkeit sich bricht, um in der Liebe zu den andern aufzugehen; erst wenn jede sich selbst nur in der andern zu lieben vermag; erst wenn sie selbst als einzelne Künste aufhören, werden sie alle fähig, das vollendete Kunstwerk zu schaffen; ja ihr Aufhören in diesem Sinne ist ganz von selbst schon dieses Kunstwerk, ihr Tod unmittelbar sein Leben. Somit wird das Drama der Zukunft genau dann von selbst dastehen, wenn nicht Schauspiel, nicht Oper, nicht Pantomime mehr zu leben vermögen, wenn der Architect, der Bildhauer und der Maler ihren höchsten und wahren Beruf darin erkennen, dem Gesammtkunstwerk zu dienen. Die Bedingungen aber zur Gestaltung desselben können nicht vereinzelt entstehen, sondern nur im vollsten Zusammenhange mit den Bedingungen aller unserer Lebensverhältnisse. Wer also wird der Künstler der Zukunft sein? Ohne Zweifel der Dichter (Sprach- und Tondichter). Wer aber wird der Dichter sein? Nothwendig die Genossenschaft aller Künstler. Und woraus wird diese Genossenschaft bestehen? Aus dem Volke. ›Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt!‹ Dies Wort wird die Sprache des Kunstwerkes der Zukunft sein!«

Dies ungefähr der Gedankengang des in poetisch-philosophischem Stile geschriebenen Werkes. Er war zu neu, zu herausfordernd kühn, um mit der paradoxen Ausschließlichkeit seiner Theorie nicht tausendfacher Opposition zu begegnen, viel entschiedenerer Opposition noch, als schon Wagner der kühne Dramatiker und rücksichtslose Harmoniker hervorgerufen. Hatte man sich der vollen Erkenntniß seines Reformatorenthums auf praktischem Gebiete bisher noch verschließen können – seinen Theorien gegenüber war dies unmöglich. Mit unerbittlicher[379] Klarheit sprachen seine literarischen Werke seine Ideen und Forderungen aus. In der Natur der Sache gleichwohl lag es, daß das große Publikum der rein ästhetischen Frage ferner blieb, als der praktisch musikalischen. Auf beschränkterem Terrain wurde dieser Kampf ausgefochten. Ein dramatisches Kunstwerk unter Betheiligung aller Schwesterkünste zwar hatte schon Carl Maria von Weber erstrebt. Auch Goethe mochte etwas dem Aehnliches im Sinn haben, als er zu Eckermann sagte: »Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst, wenn alle diese Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abende und zwar auf bedeutender Stufe zusammenwirken, es giebt dann ein Fest, das mit keinem andern zu vergleichen ist.« Und Herder redet von »einem aufzurichtenden Odeum, einem zusammenhängenden lyrischen Gebäude, in welchem mit Umwerfung der ganzen Bude des zerschnittenen und zerfetzten Opernklingklangs Musik, Poesie, Action und Decoration Eins sind.« Das Ideal eines Gesammtkunstwerkes in ausgebildetster Form war indessen eine ureigene Schöpfung von Wagner's Geiste.

Der vielfach verbreiteten Annahme gegenüber, als glaube er in seinen eigenen bis dahin veröffentlichten Opern dies »Kunstwerk der Zukunft« bereits erreicht und hingestellt zu haben, verwahrt er sich auf das entschiedenste in seinem umfangreichsten schriftstellerischen (1852 erschienenen und 1869 neu aufgelegten) Werke: »Oper und Drama«.13 Hier arbeitet er auf ein noch bestimmteres Erfassen des durch die vorhergenannte Schrift erlangten Resultates hin. Er behandelt im ersten Theil »die Oper und das Wesen der Musik«, im zweiten »das Schauspiel und das Wesen der dramatischen Dichtkunst«;[380] im dritten »Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft«. Diesem ernsten kunstwissenschaftlichen, seine Theorie am eingehendsten wiedergebenden Werke schickte er neben einigen kleineren Arbeiten seine »Drei Operndichtungen« (1851) voran, in deren Vorwort, als »Mittheilung für seine Freunde« er uns jene Eingangs erwähnte, für sein Verständniß hochbedeutsame Autobiographie schenkte.

Mittlerweile war Wagner während seines Aufenthaltes in Zürich auch als Dirigent thätig. Seit dem Jahre 1850 leitete er den dasigen Musikverein, sowie das Theaterorchester und veranstaltete daneben zuweilen auch eigene Concerte. Die erklärenden Programme zu Beethoven's Eroica und »Coriolan«-Ouvertüre, desgleichen zur »Tannhäuser«- und »Holländer«-Ouvertüre und dem »Lohengrin«-Vorspiel14 schrieb er für dortige Zwecke. Auch die kleine Schrift »Ein Theater in Zürich« fällt in diese Zeit. Ein Versuch, durch einen möglichen Erfolg als Operncomponist in Paris seine Existenz dauernd zu sichern, scheiterte leider an der physischen und psychischen Unfähigkeit des Meisters, seinen Widerwillen gegen jede Berührung mit dem Pariser Opernwesen zu überwinden. Ein nervöses Leiden befiel ihn bei seinem Eintritt in die französische Hauptstadt (im Februar 1850) und zwang ihn, von jedem für sein Vorhaben nöthigen Schritte abzusehen. Der für Paris entworfene Plan: »Wieland der Schmied« blieb nun unausgeführt – Wagner kehrte nach einem Umweg über Bordeaux, im Juli nach Zürich zurück. Schon meinte er in gänzlicher Niedergeschlagenheit an das Ende seines Kunstschaffens glauben zu müssen, da erweckte die Kunde, daß sein bisher lebendig begraben liegender »Lohengrin«, dessen Bühnengeburt[381] er selbst als Dresdener Capellmeister nicht zu erzielen vermocht hatte, zum ersten Mal unter Liszt's Leitung in Scene gehen sollte, in ihm neuen Muth und frische Schaffensbegeisterung. Am 28. August 1850, bei Gelegenheit der Herder- und Goethefeste in Weimar, fand die erste Aufführung des Werkes statt, das Liszt als »eine der merkwürdigsten Schöpfungen der Poesie und der Musik der Gegenwart« bezeichnet. War nun der Erfolg zuvörderst auch nicht der erwartete, so legte Liszt, »um dem Verständnisse aufzuhelfen, dem Publikum seine eigene Anschauung und Empfindung von dem Werke in einer Weise dar, die an überzeugender Beredtheit und hinreißender Wirksamkeit ihres Gleichen noch nicht gehabt.« Offen und begeistert trat er, der Weltberühmte, anerkannt Geniale, für Wagner in die Schranken – und der Erfolg lohnte ihm. Seine glänzende Schrift15 in Verbindung mit seinem praktischen Vorgehen in Weimar erregte allgemeines Aufsehen und brach Wagner Bahn. Sie gab gleichzeitig das Signal zur Eröffnung der literarischen Wagner-Bewegung, die drei volle Jahrzehnte hindurch währte und bis auf den heutigen Tag nicht zur Ruhe kam.

Der Mahnruf Liszt's, des unermüdlich thätigen Freundes, ein neues Werk zu schaffen, ging nun nicht ungehört an Wagner vorüber: er griff zurück nach dem früher begonnenen Nibelungendrama. Der Stoff aber ergab sich als zu reich, um sich in den Rahmen eines Dramas zu fügen; so entstand, in umgekehrter Reihenfolge, noch ein zweites und drittes, dem sich endlich auch ein Vorspiel noch anschloß, und damit war der Plan zu einem in seiner Art einzigen Werke: einer musikalischen Tetralogie, geschaffen. Binnen kurzem ward die große Dichtung[382] vollendet und zunächst (1853) als Manuscript für seine Freunde gedruckt, zehn Jahre später aber erst unter dem Namen: »Der Ring des Nibelungen« veröffentlicht, deren einzelne Theile der Meister nun »Die Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung«, deren Vorspiel er »Das Rheingold« benannte. Die riesigen Dimensionen, in denen dieses Werk angelegt war, sollten von vornherein die Möglichkeit ausschließen, es unserm bestehenden Opernrepertoire einzuverleiben. Nur unter den außergewöhnlichsten Umständen sollte es zur Darstellung gebracht werden können. Wie einst im alten Athen das Theater seine Räume nur an besonderen heiligen Festtagen öffnete, so wollte auch Wagner sein Werk nur als Festspiel aufgeführt wissen. In Gegenwart eines einzuladenden deutschen Publikums und unter Mitwirkung der vorzüglichsten dramatischen Sänger Deutschlands sollte die Aufführung an vier auf einanderfolgenden Abenden und auf einer eigens zu errichtenden Bühne, deren Verwirklichung er von der Gunst eines Fürsten erhoffte, statt finden.

»Mit großer Freudigkeit« begann Wagner, von einem Ausflug nach Norditalien und Paris, wo er mit Liszt zusammentraf, zurückgekehrt, nach fünfjähriger Unterbrechung seines musikalischen Producirens, in der Jahreswende von 1853–54 die Ausführung der Composition seiner Dichtung. Schon im vorausgehenden Sommer war ihm, schlaflos in einem Gasthofe zu Spezzia liegend, die erste Eingebung seiner Musik zum »Rheingold« gekommen. Im Mai 1854 war die Partitur vollendet, im Winter des nächstfolgenden Jahres auch die »Walküre« bis auf die Instrumentation abgeschlossen. Im August 1857 lagen bereits die zwei ersten Acte des »Siegfried« fertig vor. Inzwischen trat der Dichtercomponist nach mehreren Jahren der Zurückgezogenheit zum ersten Male wieder[383] mit dem großen öffentlichen Kunstleben in Verbindung, als er, wiederholtem Drängen nachgebend, im Februar 1855 einer Einladung nach London zur Direction der philharmonischen Concerte folgte. Acht Concerte, vom März bis Ende Juli, leitete er daselbst. Obwohl von Vorurtheilen begrüßt und – wie in seinem deutschen Vaterland – von der Presse, der »Times« vor allem, vielfach angefeindet, gelang es ihm doch in immer höherem Grade, die Sympathien des Publikums zu erwecken, deren Kundgebung sich bei seinem endlichen Scheiden bis zum wahrhaften Enthusiasmus steigerte. Einem wiederholten Rufe nach London jedoch gab er ebensowenig als einer Einladung nach Boston und New-York und einer späteren nach Rio Janeiro Gehör. Er verweilte mit kleinen Unterbrechungen in Zürich, bis er im Spätsommer 1858 nach Venedig übersiedelte. Dort, sowie schließlich in Luzern, ward im August des darauffolgenden Jahres ein 1857 begonnenes Werk zur Vollendung gebracht: das nach Gottfried von Straßburg's glühender Liebesdichtung geschaffene musikalische Drama »Tristan und Isolde.« Der Wunsch, ein, bezüglich scenischer Anforderungen und geringeren Umfangs, wie er meinte, leichter aufführbares Werk zu liefern, hatte den Künstler zu einer Unterbrechung seiner Arbeit an den »Nibelungen« veranlaßt. Eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem Heldenpaar der letzteren und dem des »Tristan« hatte ihn zur Wahl eines Stoffes angereizt, den er als einen »Ergänzungsact des großen, ein ganzes Weltverhältniß umfassenden Nibelungenmythus« betrachtete. Das Bedürfniß aber, endlich wieder einmal etwas von sich selber zu hören und in lebendige Berührung mit seiner Kunst zu treten, drängte ihn, jetzt einen Versuch zur Rückkehr in sein deutsches Vaterland zu wagen. Ein im Sommer 1859 an den ihm wohlgeneigten Großherzog von[384] Baden gerichtetes Gesuch, ihm eine dauernde Niederlassung in seinem Lande zu erwirken, schlug jedoch fehl. Abermals wandte sich Wagner im September desselben Jahres nach Paris, um dort die Förderung seiner Pläne zu betreiben.

Gleich der Hoffnung, den »Tristan« in Carlsruhe zur Aufführung zu bringen, scheiterte zwar auch die Idee, mit einer deutschen Truppe im Saal der Pariser italienischen Oper eine Mustervorstellung seines neuesten Werkes zu veranstalten. Dagegen gewannen drei im italienischen Theater von Wagner gegebene Concerte (im Januar und Februar 1860) seiner Musik Freunde, ob auch die Kritik sich mit geringen Ausnahmen in mehr oder weniger feindseligen Auslassungen erging und selbst Berlioz, der doch in Frankreich verwandten Bestrebungen wie Wagner in Deutschland oblag, einen Protest gegen die mißverstandene »Schule der Zukunftsmusik« für nöthig erachtete.16 Da lenkte die Fürstin Metternich die Aufmerksamkeit des Hofes auf den deutschen Componisten, und Napoleon III. befahl die Aufführung des »Tannhäuser« in derAcadémie impériale de musique.

Was Richard Wagner zwanzig Jahre früher als Wunsch und Traum vor der Seele geschwebt: eins seiner Werke von den glänzenden Kräften der Pariser »großen Oper« wiedergegeben zu sehen, das bot sich ihm nun dar. Ueberdem noch gewährte ihm die Gunst des Kaisers unumschränkteste Freiheit der Disposition über die vorhandenen, oder noch zu erwerbenden Mittel. Mit Begeisterung und der Erwartung einer vollendeten Aufführung begann der Meister im September 1860 die Vorbereitungen. Um das Publikum über das Wesen seiner Kunst aufzuklären, fügte er der Herausgabe von vier seiner[385] Operndichtungen in französischer Prosaübertragung ein Vorwort bei, das später unter dem Titel »Zukunftsmusik« auch in deutscher Sprache erschien.17 Er arbeitete die Partitur noch einmal durch, gestaltete die Venusscene gleich dem vorangehenden Ballet seinen neueren Principien gemäß um, gewann Niemann, den besten Tannhäuser unter den deutschen Tenoristen, für die Titelrolle und fand auch für die übrigen Partien die geeigneten Kräfte. Nachdem er jedoch, zufolge der Intriguen gegnerisch gesinnter Recensenten, den Sänger der Hauptrolle wachsender Entmuthigung verfallen und sich selber die Leitung des Orchesters consequent versagt sah, verlangte er seine Partitur wieder zurückzuziehen. Vergebens. »Geist- und schwunglos« ging denn, laut Wagner's eignen Worten, der »Tannhäuser« am 13. März 1861 in Scene. Zwar waren einige Nummern der Oper, wie die Ouvertüre, das Septett, der Marsch u.a. von lebhaften Beifallsbezeigungen begleitet: eine durch den überwiegenden Theil der Presse und den sogenannten »Jokeyclub« repräsentirte Oppositionspartei aber, welche sich für das Ausbleiben des in der Mitte des zweiten Actes beliebten Ballets rächte, beraubte dieselbe so systematisch allen Erfolges, daß der Componist nach dreimaliger Wiederholung eines Scandals ohne Gleichen, trotz der Demonstrationen des Publikums und selbst des Kaiserpaares, sein Werk zurückzog.

Zur Wiederaufführung desselben war er nicht zu bestimmen. Er verließ Paris. Endlich hatte sich ihm Deutschland wieder erschlossen.

Nach einem festen Stützpunkt inmitten seines Vaterlandes sah er sich gleichwohl vergeblich um. Die Theaterleitungen und Intendanzen hielten sich sorglich von ihm fern. Um überhaupt[386] leben zu können, mußte der von Sorgen Gepeinigte in der Welt umherziehen und Concerte mit Fragmenten aus den »Nibelungen«, »Tristan« und den 1863 begonnenen »Meistersingern« veranstalten, da sich ihm keine Bühne für Erstere darbot. Er durchwanderte Deutschland nach Norden und Süden, dirigirte u. A., nun ihm seit dem März 1862 auch die Rückkehr nach Sachsen offen stand, in seiner Vaterstadt Leipzig im November dieses Jahres ein wenig besuchtes Concert, hörte in Wien am 15. Mai 1861 seinen »Lohengrin« zum ersten Male, erntete in Petersburg und Moskau Triumphe. Das Verlangen, seinen »Tristan« auf der Bühne lebendig zu sehen, aber schien ungestillt bleiben zu sollen. Die in Carlsruhe und Wien begonnenen Versuche zur Vorbereitung desselben hatte man wie der aufgegeben und das Werk, mit dessen neuem, während der Beschäftigung mit den»Nibelungen« in ihm zur Reise gekommenen Stil er sich von den Gewohnheiten der Opernbühne weit und weiter entfernt hatte, für unausführbar erklärt, dafern sich der Componist nicht zu Abänderungen verstehe. In schmerzlicher Erkenntniß, daß die Stunde für sein Drama noch nicht gekommen sei, hatte er dasselbe schweigend zurückgenommen, um, Wien im März 1864 kampfesmüde verlassend, sich über München und Stuttgart nach der Schweiz zu wenden.

»Ich war am Vergehen«, schreibt er selbst.18 »Jede Bemühung für mein Gedeihen war fehlgeschlagen; das sonderbarste, fast dämonische Mißgeschick vereitelte jeden meiner Schritte; ich war entschlossen, mich für alle Zeiten in eine Zuflucht zurückzuziehen und für immer jeder künstlerischen Unternehmung zu entsagen.« Da endlich ereignete sich das[387] »Wunder« seines Lebens, wie er selbst es nannte. Ein begeisterter Verehrer der Kunst Richard Wagner's, bestieg Ludwig II. den bayerischen Königsthron, und sein königliches Wort lud den Künstler ungesäumt (im Mai 1864) an seine Seite. Frei und sorglos sollte er fortan in München seinem Schaffen leben. So hatte sich in Wahrheit denn »der Fürst« gefunden, den Wagner einst aussichtslos für Vollendung und scenische Verwirklichung seiner »Nibelungen« herbeigesehnt hatte, – und »in dem sommerlichen Königreich der Gnade«, unter dem Schirm des jugendlichen Herrschers, der »sein Vaterland, seine Heimat, sein Glück« ward, fand er nach langer Irrfahrt ein neues Leben, fand seine Kunst ein gesichertes Gedeihen.

Für's Erste galt es nun »Tristan und Isolde« auf die Bühne zu rufen. Das lang vergebens gesuchte, zur Bewältigung der Titelrollen berufene Künstlerpaar war endlich in Ludwig Schnorr von Karolsfeld und seiner Gattin erstanden. Wagner selbst erzählt, wie er an den Studien des Ersteren begeisterten Antheil genommen, wie er in ihm sein höchstes Ideal erfüllt sah; ja, wie er, überwältigt von der grandiosen Auffassung dieses Künstlers, nach der vierten Aufführung seiner Oper jede fernere Wiederholung derselben verweigerte.

Die Wirkung des »Tristan« war in Wahrheit die gewaltigste, als er am 10. Juni 1865 unter des als Hofcapellmeister nach München berufenen Hans von Bülow genialer Leitung zum ersten Mal über die Bühne ging. Er erscheint als der höchste, der vielleicht auf die kühnste Spitze getriebene Ausdruck künstlerischer Individualität und Selbständigkeit; war er doch auch des Meisters Lieblingswerk. Was Wagner in seinen früheren künstlerischen Thaten vorbereitet, in seinen theoretischen Schriften als Forderung aufgestellt und als das eigne höchste Ziel bekannt: hier ist es voll erreicht. Darum,[388] während er sich einst sehr entschieden gegen die Annahme verwahrte, als glaube er mit seinen früheren dramatischen Arbeiten bereits seinem Ideale genügt zu haben, spricht er es nun offen aus, daß er an den »Tristan« die strengsten, aus seinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen erlaube. Er bezeichnet ihn (in dem Aufsatz »Zukunftsmusik«, 1861) als das wenn auch unbewußte Ergebniß seines Systems, im Gegensatz zu seinen übrigen Werken, die theils (»Holländer«, »Tannhäuser« und »Lohengrin«) vor der eigentlichen Entwickelung desselben, theils (die »Nibelungen«) gleichzeitig mit diesem entstanden. (Die »Meistersinger« wurden bekanntlich erst später, 1867, beendet). Ja er erklärt sogar, daß er, indem er sich hier »mit der vollsten Freiheit und gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken bewegte, sein System weit überflügelte.« Als einen Vorzug des Werkes auch erkennt er die gesteigerte Innerlichkeit desselben, derzufolge die Handlung sich nur aus ihren innern Motiven entwickelt. Die Menschenseele selbst ist hier gleichsam der Schauplatz der Tragödie. »Mit voller Zuversicht,« sagt er, »versenkte ich mich hier nur noch in die Tiefen der inneren Seelenvorgänge und gestaltete zaglos aus diesem innersten Centrum der Welt ihre äußere Form. Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt hängt hier allein von der inneren Seelenbewegung ab. Die ganze ergreifende Handlung kommt nur dadurch zum Vorschein, weil die innerste Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet ist.« – Keineswegs reich in äußeren Vorgängen und eigentlicher Handlung, wirkt das eine flammende Apotheose der Liebe vergegenwärtigende Ganze gleichwohl so hochdramatisch und voll leidenschaftlicher Allgemalt, daß wir ihm in dieser Beziehung die erste Stelle unter[389] Wagner's Tondichtungen zuerkennen müssen. Es ist ein exceptionelles, einziges Werk, dem wir hier gegenüberstehen, das empfinden wir bereits während der allerersten Scenen. (Wo gäbe es beispielsweise einen eigenthümlicheren Operneingang, als den a-capella-Gesang des Seemanns hinter der Scene, während dessen das Orchester schweigend verharrt?) Die Tonsprache ist von einer Freiheit und Kühnheit der Gestaltung, von einer Innerlichkeit und Macht des Ausdrucks, daß sie den Empfänglichen unwiderstehlich in regste Mitleidenschaft zieht. Die »Wirkung auf das menschliche Gemüth«, um die es Wagner in erster Linie zu thun ist, kann somit nicht ausbleiben, dafern ihr nur Unbefangenheit, nicht gegnerische Voreingenommenheit entgegentritt. Dazu spürt man zu sehr – welche Saiten der Componist auch anschlage – das Ausströmen der eigensten Seelenempfindung, fühlt sich zu unweigerlich unter der Wahrheit zwingendem Bann. Das Gefühl innerster Nothwendigkeit verläßt uns das ganze Stück hindurch nicht. Es ist als müsse Alles eben so und nicht anders sein, und ganz natürlich scheint es, wenn die geschlossene Kunstform zur offenen Scene sich erweitert, wenn die recitirt gesungene dramatische Wechselrede die Arie, das Duett, den Chor nach alter Art ersetzt.

Man denke jedoch nicht, daß mit den alten lyrischen Opernformen auch das lyrische Element aus Wagner's Drama ausgeschieden sei. Im Gegentheil. Dem Ausleben der musikalisch-poetischen Stimmung hat er nirgend, selbst auf Kosten einer schnelleren dramatischen Wirkung, breiteren Raum vergönnt, und der Gipfelpunkt des Werks, die fast den ganzen zweiten Act und den vollen vierten Theil der Partitur füllende Liebesscene, ist rein lyrischen Charakters. Aber das lyrische Element steht im engsten Zusammenhang mit der jeweiligen Situation; es schädigt nicht durch unmotivirtes, ungemäßes[390] Verweilen die dramatische Einheit, löst das Drama nicht in eine Folge zusammenhangloser Einzeltheile auf, sondern kommt nur da zu Worte, wo es die psychologische Treue, die innere Wahrheit gebietet. Trotz der unerhört sparsamen Verwendung des Chors, der fast durchgehends einstimmigen Gesangsführung, der vorwiegend nur den beiden Titelrollen übertragenen Handlung tritt nirgends Einförmigkeit hervor, und inmitten einer vom Anfang bis zu Ende festgehaltenen einheitlichen Grundstimmung entbehren wir nicht wohlthuenden Farbenwechsel und Mannigfaltigkeit. Höchstes Interesse namentlich erregt die ausgedehnte Anwendung des Motivenprincips, vermöge deren der Dichtercomponist alle Einzeltheile des mächtigen Baues zu einem einheitlichen symphonischen Ganzen verbindet. Die Erfindung der Motive ist hochgenial und charakteristisch; dabei von großer Einfachheit. So personificirt er Isolde, die Eignerin des Liebeszaubers, durch vier chromatisch aufsteigende Töne, und Tristan mittelst fünf kurzer Noten: einen aufsteigenden Ganzton und Halbton, welcher letztere, wiederholt angeschlagen, in die Septime zurücksinkt. Gleichzeitig mit der eigenthümlichen thematischen Arbeit bewundern wir in dieser Partitur die seine, den geheimnißvollen Verschlingungen und Wandlungen der Empfindung angepaßte Polyphonie. Von blosen Füllstimmen ist hier keine Rede, jede Orchesterstimme geht für sich in eigener Selbständigkeit und Freiheit. Die Harmonik ist kühn, wie wir sie bei Wagner kennen. Der leidenschaftlich unruhige verminderte Septimenaccord, Nonen- und Undecimenaccorde spielen eine hervorragende Rolle. Von der Chromatik und Enharmonik macht der Componist den freiesten Gebrauch. Und wie reden die Instrumente; wie versteht er sie zu wählen und zu mischen und auf das Charakteristischste zu verwerthen! Neue unbegreifliche Effecte weiß er zu erzielen, Klänge, die der[391] Natur abgelauscht scheinen, wie sphärenhafte, wahrhaft ätherische Tonverbindungen. Mit Recht hat man gesagt, seit Beethoven's Tode habe das Orchester nirgend hinreißender und geistvoller gesprochen als im »Tristan« und den folgenden Werken des Meisters; wie denn Wagner in der That das in den Beethoven'schen Symphonien zur höchsten Höhe entwickelte orchestrale Sprachorgan zuerst dramatisch verwendet und somit das Drama auf symphonischem Grunde auferbaut.

Nicht aber in Einzelheiten, in seiner Ganzheit vielmehr beruht der Werth und die Bedeutung eines Werkes, dessen überreiche Schönheiten erst sehr allmälig in weiteren Kreisen zur Würdigung gelangten. Ein volles Jahrzehnt fast blieb es ausschließlich das Eigenthum Münchens, und lange wollte es scheinen, als sei mit dem Heldensänger Schnorr, der leider bald nach jenen ersten Aufführungen starb, auch der »Tristan« selber zu Grabe getragen. Indessen erstand in dem Münchener Sängerpaar Vogl ein zweiter Tristan, eine zweite Isolde, deren allbewunderte Leistungen nicht allein München (1872, 1874, 1881, 1883) sondern später auch Weimar (bei wiederholtem Gastspiel 1874 und 1875) und Königsberg (1881 und 1883) zu Gute gekommen. Auch in Berlin, Leipzig, Hamburg und Wien19 überzeugte man sich seitdem, daß die Schwierigkeiten des verketzerten Dramas keine unüberwindlichen sind.

Der vorzeitige Tod Schnorr's raubte Wagner damals gleichzeitig eine zweite theure Hoffnung. Sein Plan einer in München zu errichtenden königlichen Schule für Musik und dramatische Kunst, wie er ihn in einem umfänglichen Bericht an den König20 niederlegte, knüpfte sich an den Gewinn[392] Schnorr's. Eine ihrer Hauptstützen sollte die Anstalt in ihm finden, und dem Streben des älteren Meisters sollte sich das seine vereinen. Er wollte als Gesanglehrer eintreten, jenem, sich aus der Eigenthümlichkeit unserer Sprache selbständig ergebenden, von Einflüssen der italienischen Schule sich frei erhaltenden Gesang, wie er Wagner's Intentionen entsprach, den Weg zu bahnen. »Die Begründung eines musikalischen deutschen Stils in dem Vortrag und der Darstellung der Werke des deutschen Geistes« war die gemeinsame Losung Beider. Was aber dem Einen nicht mehr zu erleben vergönnt blieb, dem Andern war es beschieden. Mit der unter Hans von Bülow's Direction am 14. October 1867 erfolgten Eröffnung des Münchener Conservatoriums trat Richard Wagner's Plan in's Leben. Der Meister selber nahm keinen unmittelbaren Antheil daran; blieb er doch, dank königlicher Vergünstigung, von jeder amtlichen Verpflichtung frei. Nur an der Einstudirung seiner Werke auf der Hofopernbühne betheiligte er sich persönlich. So an den Mustervorstellungen von »Holländer«, »Tannhäuser« und »Lohengrin« (1866 und 67), bei denen er zum ersten Mal seine Intentionen voll verwirklichen konnte, und mit denen er demgemäß auch die Norm für den Darstellungsstil seiner Werke feststellte. Im Uebrigen verwendete er seine ganze Kraft allein auf seine künstlerischen Arbeiten.

Von der unermüdeten Thätigkeit seines Geistes brachte das Jahr 1868 der Welt ein neues Zeugniß. Seiner Brochüre »Deutsche Kunst und deutsche Politik« – die den Culturberuf der deutschen Fürsten zum Gegenstand hat und es als Bayerns Aufgabe insbesondere betrachtet, die deutsche Kunst zu fördern und zu heben und damit Preußens praktischen Beruf zu ergänzen – folgte am 21. Juni die erste Aufführung seines 1867 beendeten Werkes: der mit dem »Lohengrin« gleichzeitig[393] entworfenen komischen Oper »Die Meistersinger von Nürnberg.«

Wer mit der Erwartung einer komischen Oper im herkömmlichen Sinne an dieselbe heranträte, würde allerdings fehl gehen. Nicht leichten, flüchtigen Genuß begehre man je von Wagner! Mehr Satyre als Komik findet sich drin, und auf sehr ernsthaftem Hintergrunde treibt der Humor sein Spiel. Der Kampf der Wahrheit gegen die Vorurtheile, die das einst nützlich Gewesene zum ewig gültigen Gesetz stempeln wollen, die Erlösung der Musik aus den Fesseln eines todten Formalismus ist die Grundidee des Ganzen, in dessen Helden Wagner's eigenes Künstlerthum repräsentirt erscheint. Schon die damit ausgesprochene Tendenz reichte, von ihrer musikalischen Ausführung ganz abgesehen, hin, die alte Opposition zu erwecken, die denn auch stürmischer denn je ihre Stimme erhob. Zur abgethanen Philisterschar der Meistersinger mochte eben Keiner gehören. So redete man dreist von gekünsteltem Schaffen, von Mangel an Maß und Form und Schönheit, ja man scheute sich nicht, dem Meister, der gerade in diesem Werk eine specifisch musikalische That von imponirendster Kunst und formell technischer Vollendung hingestellt hatte, »die geniale Begabung« streitig zu machen.

Gegenüber dem factischen Erfolg der recht aus dem deutschen Volkswesen geschöpften Oper auf allen Bühnen, wo sie erschien, – und keine der namhafteren unseres Vaterlandes fehlt in ihrem Kreise – mußte nichtsdestoweniger endlich jeder kritische Zweifel verstummen. Die Ereignisse des Jahres 1870 verhalfen uns Deutschen inzwischen dazu, unser eigenes Wesen, unsere nationale Besonderheit mit offenerem Blick anzuschauen, uns der Vorzüge unseres Besitzes bewußter zu werden. Auch die urdeutschen Thaten Wagner's lernte man dankbarer denn[394] zuvor schätzen. Was ehedem noch fraglich blieb, es ward bald eine nicht mehr zu leugnende Thatsache: im Herzen unsres Volkes hatten seine Werke ihren festen, weil grundnatürlichen Boden gefunden. So durfte er, der noch im Jahre 1862 trübe der Hoffnung entsagen zu müssen meinte, das Hauptwerk seines Lebens jemals auf der Bühne lebendig, ja überhaupt nur musikalisch beendet zu sehen, schon im April 1871 den Muth finden zu einer »Aufforderung an die Freunde seiner Kunst«, die Aufführung seines Bühnenfestspiels »Der Nibelungenring« zu ermöglichen und die nationale Wiedergeburt durch eine künstlerische große That zu feiern. Mochte auch seine Hoffnung, Kanzler und Oberhaupt des deutschen Reichs für das Nationale seines Unternehmens zu interessiren, sich als eine illusorische erweisen: sein Ruf fand ein Echo im ganzen deutschen Land und jenseits seiner Grenzen bis hinüber in die neue Welt. Alsbald constituirten sich aller Orten »Wagnervereine«, welche sich die Förderung des Zwecks, insbesondere durch Sammlung von Beiträgen, zur Aufgabe stellten, und dank deren eifrigem Wirken die Ausführung des großen Plans, der Gewinn der dazu erforderlichen Mittel – einer Summe von 900,000 Mark – wenigstens großentheils gesichert wurde.

In Bayreuth, der im Herzen Deutschlands gelegenen, ehemaligen Markgrafenstadt, hatte Wagner die geeignete Stätte gefunden. Hier erbaute er am Stuckberg, inmitten parkähnlicher Umgebung, das unter Benutzung eines früheren Planes von Semper entworfene Theater. Am 22. Mai 1872 fand, unter zahlreicher Betheiligung der Freunde Wagner's von nah und fern, die Grundsteinlegung daselbst statt. Eine ideale Aufführung der neunten Symphonie, von Wagner dirigirt, gab ihr die Weihe.

Der Meister selber verlegte seinen Wohnsitz nach Bayreuth[395] und gründete sich dort in seinem »Wahnfried« ein traulich schönes Heim für seinen Lebensabend. Hier lebte er ganz nur der Vollendung seiner »Nibelungen«. Theile derselben: »Rheingold« und »Walküre«, wurden, obwohl gegen seinen Wunsch, zu einzelnen Malen auf der Münchener Hofbühne gesehen. Sein hoher Gönner, König Ludwig, befahl im Sommer 1869 die Aufführung des »Rheingold«. Wagner hatte sich bereits, da Intriguen in Hofkreisen und Publikum ihm das Leben daselbst bald vergällten, vom Münchener Kunstleben zurückgezogen und seit dem Frühjahr 1866 in Triebschen bei Luzern seinen Aufenthalt genommen, wo er bis zur Uebersiedelung nach Bayreuth verweilte. Da auch Hans von Bülow 1869 München verlassen und seine Stelle niedergelegt hatte, ward Hofcapellmeister Hans Richter mit Einstudirung des »Nibelungen«-Vorspiels betraut. Als jedoch dasselbe noch nicht genügend vorbereitet, und demnach unfertig und unvollkommen, an's Licht treten sollte, verweigerte Richter, im Auftrag und Interesse Wagner's, seine Mitwirkung. Erst nach wiederholtem Aufschub kam es am 22. September 1869 unter Wüllner's Leitung zur Darstellung. Im Sommer 1870 und 72 erschien es abermals, nun die »Walküre« im Gefolge. Am 26. Juni 1870 ging Letztere zum ersten Mal in Scene, mit großartigem Erfolg; erfuhr doch mancher der abgeschworensten Gegner des Dichtercomponisten, kraft der Gewalt dieser Tonpoesie, eine niegeahnte Umwandelung.

Wagner nahm auch an diesen Aufführungen keinen Antheil. Jahrelang lebte er, kurze Ausflüge nach dem südlichen Frankreich, Genua und dem Lago maggiore abgerechnet, still in der Schweiz. Dort erfolgte, nachdem er im Januar 1866 seine erste Gattin – eine brave, ihm treu anhangende, aber schwunglose, in unversöhnlichem inneren Gegensatz zu ihm[396] stehende Natur – durch den Tod verloren hatte, am 25. August 1870 seine Vermählung mit der ihm congenialen Frau Cosima von Bülow, geb. Liszt. Im endlichen späten Vollbesitz ehelichen Glückes und einer harmonischen Häuslichkeit schuf er rastlos. »Siegfried« und »Götterdämmerung« wurden beendet und in Partitur veröffentlicht, worauf er unverzüglich an Ausführung eines neuen Bühnenwerks, des »Parsifal« ging. Zwischendurch wurden auch kleinere Gaben von ihm bekannt: der für den König von Bayern geschriebene »Huldigungsmarsch«, »Fünf Gedichte« für eine Frauenstimme mit Pianofortebegleitung, der kurz nach Beendigung des deutsch-französischen Kriegs dem deutschen Kaiser gewidmete »Kaisermarsch«, zwei Albumblätter für Clavier, ein Festmarsch, den er für Eröffnung der Ausstellung in Philadelphia componirte, eine Album-Sonate und das liebliche Siegfried-Idyll. Vielfältig auch beschäftigte er sich mit literarischen Veröffentlichungen, als deren hauptsächlichste, neben kleineren, im »Musikalischen Wochenblatt« und in den »Bayreuther Blättern« – dem officiellen Organ für die Wagnervereine – erschienenen Aufsätzen, eine erneute Ausgabe des schon 1850 entstandenen, viel Staub aufwirbelnden »Judenthums in der Musik«, sowie die Brochüren »Beethoven« (1870), »Ueber die Bestimmung der Oper« (1871), »Ueber Schauspieler und Sänger« (1872) und »Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth« (1873)21 zu erwähnen sind.

Mit dem Jahre 1871 begann Wagner die Herausgabe seiner: »Gesammelten Schriften und Dichtungen«, die in neun Bänden22 seit 1874 vorläufig abgeschlossen vorlagen, bis sich ihnen nach des Meisters Tode ein zehnter gesellte. Sie enthalten, sagt er selbst im Vorwort derselben, »die aufgezeichnete[397] Lebensthätigkeit eines Künstlers, der in seiner Kunst selbst, über das Schema hinweg, das Leben suchte. Dieses Leben aber heißt eben die wahre Musik, die ich als die einzige wirkliche Kunst der Gegenwart wie der Zukunft erkenne.« Als schöpferischer Tondichter wie als speculirender Aesthetiker, der die Welt über Wesen und Aufgabe der Kunst, der dramatischen insbesondere, belehrte, hielt er mit felsenfester Ueberzeugungstreue das Ideal eines specifisch deutschen Musikdramas fest, das seine ganze Seele erfüllte und das er mit der Sieghaftigkeit des Genies endlich zur Verlebendigung brachte.

Mittlerweile zogen »Lohengrin« und »Tannhäuser«, »Holländer«, »Rienzi« und »Meistersinger« immer siegreicher in's Weite. Nicht nur in allen Hauptstädten Europas, auch in Amerika und Australien bürgerten sie sich ein, während von Wagner geleitete Concerte in deutschen Städten (1871–1873), die Direction von »Tannhäuser« und »Lohengrin« in Wien (December 1875 und März 1876), wie die Aufführung des »Tristan« in Berlin (März 1876) zu glänzenden Ovationen für ihn wurden. Ihren höchsten Gipfel erreichten dieselben mit den Bühnenfestspielen von Bayreuth, die sich endlich, nach drei Jahrzehntelanger Arbeit, nach ungeheueren, in dieser Weise nie dagewesenen Vorbereitungen im August 1876 verwirklichten. Was Wagner, wie der Titel seiner »Nibelungen«-Partitur besagt, »im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen und zum Ruhme seines erhabenen Wohlthäters, König Ludwig II. vollendet« und was doch als das Hirngespinst eines Träumers von je bezweifelt und verspottet worden war, ward Leben und Wahrheit in Gegenwart von Kaiser und König, zahlreichen gefürsteten Häuptern, der gesammten geistigen Blüte unsres Volkes und anderer Nationen. Gewiß, glorreicher ward nie ein Kunstwerk aus der Taufe gehoben, und wo hat je eine[398] glänzendere Versammlung den Darbietungen eines Künstlers gelauscht? Mit überraschend glücklichem Erfolg hatten sich alle Vorbedingungen – auch die schwierigsten, für unmöglich erklärten – erfüllt. Das Theater, ein im Aeußeren architectonisch dürftiger, im Innern aber musterhaft zweckentsprechender und akustisch unübertrefflicher Bau, stand vollendet; die besten deutschen Künstler: Sänger und Sängerinnen, als auserlesenste Vertreter ihrer Rollen, Choristen und Instrumentalisten, an ihrer Spitze »der Siegfried der Violinisten« Wilhelmj, und Hans Richter, der bewährte einstige Münchner Hofcapellmeister – sie Alle vereinigten sich in hingebendster Begeisterung, ihr Bestes zu geben. Decorationen, Scenerie, Costüme und Geräthschaften waren auf's stilvollste von Künstlerhänden gefertigt; die complicirteste Maschinerie, selbst Naturkräfte: elektrisches Licht und Wasserdämpfe, die bei Verwandlungen und Wundern auf der Scene treffliche Dienste leisteten-, standen dem Meister zu Gebote, dem eben alle Künste gehorchten und der in eigner Person die Regie des Ganzen leitete; der, wie der geistige, so auch der scenische Urheber seines Kunstwerks, die belebende und beseelende Kraft bei dessen Verlebendigung war.

Dreimal, in drei aufeinander folgenden Wochen ward der je vier Tage umfassende Cyclus wiederholt, und diese ganze Zeit hindurch war das Glück dem Unternehmen Wagner's hold; der stolze Glaube an seinen Stern hatte ihn nicht betrogen. Mit dem »Rheingold« begann am Nachmittag des 13. August die Reihe der Vorstellungen, die Tags darauf durch die »Walküre«, am 16. durch »Siegfried« fortgesetzt, am 17. mit der »Götterdämmerung« abgeschlossen ward. Schon das erste, scenisch zauberhafteste und dabei musikalisch überaus frische und reizvolle Stück hinterließ einen tiefgehenden poetischen Eindruck;[399] dennoch steigerte sich die Wirkung mit jedem folgenden Abend. Die Art, wie Wagner dem Gesetz der musikalischen Steigerung allenthalben Rechnung trägt und selbst innerhalb der colossalsten Verhältnisse maßvoll gestaltet, zeigt ihn gerade in seiner ganzen Größe.

Ein enger Zusammenhang verbindet alle vier Dramen untereinander; gleichwohl behauptet jedes einzelne für sich volle Selbständigkeit, bleibt sehr wohl an und für sich verständlich und allein aufführbar. Das »Rheingold« enthält, poetisch wie musikalisch betrachtet, die Grundlage und Exposition des Ganzen; hier werden, in den bereits zahlreich auftretenden Hauptmotiven, die Fäden angelegt, aus denen sich das unbeschreiblich kunstvolle Gewebe symphonisch zusammensetzt. Je ihrer Art und Bedeutung nach, nur für ein einzelnes Drama oder die ganze weitere Folge festgehalten, mit jedem neuen Stück um neu hinzukommende vermehrt, bis sie dann im letzten fast sämmtlich wiederkehren, ergeben diese Themen eine Fülle unendlich seiner, geist- und poesievoller Bezüge, lebendige Rückblicke auf eben empfundene Eindrücke, die Vergangenes und Gegenwärtiges in steter Wechselwirkung erhalten. Sie sind die zarten, oft kaum wahrnehmbaren Fäden, aus denen sich die Einheit des wundersamen Werkes zusammenknüpft; jene neue Einheit nämlich, die Wagner uns an Stelle der alten, in geschlossenen Formen bestehenden, giebt. Die Erfindung dieser Themen ist von blühendem Reichthum; nicht minder ihre Verwandlung und Verwerthung meisterlich. Es ist erstaunlich, wie Wagner mittelst einem oder weniger Tacte den Charakter einer Person oder Situation oder Idee zu zeichnen weiß. So bilden drei ab- und wieder aufsteigende Terzen das Ring-, ein einfacher gebrochener Accord das Schwertmotiv. Das Stolz-Majestätische beispielsweise ist in den breiten Accorden[400] des Walhallthemas, das Schwerfällig-Plumpe im Tritonus der Riesen, das unheimlich Flackernde, Irrlichterirende im chromatischen Motiv des Feuergottes Loge auf das Prägnanteste ausgesprochen. Hammerschläge auf den Ambos kennzeichnen das rhythmisch bedeutsame und in mannigfaltigster Weise verwerthete Thema Mime's, des Schmieds. Von hohem melodischem Reiz wiederum sind namentlich einige breiter gestaltete Phrasen, wie die der Entsagung, der Aepfel Freia's, des Sterbegesangs, der Liebeserlösung, der Wälsungen, Siegfrieds u. A. Um zu beobachten, wie fein Wagner individualisirt, vergleiche man nur die beiden letztgenannten mit einander. An der düsteren Mollfärbung des einen haftet die ganze Tragik des fluchgeweihten Geschlechts, während das im hellen Glanz der Trompeten ertönende Siegfrieds-Motiv uns die sonnigste Heldengestalt des Dramas malt. Einen ähnlichen charakteristischen Gegensatz gewahren wir auch in den Liebesmotiven Sieglinde's und der Götterjungfrau Brünnhild. Die Letztere ist der idealste, dichterisch wie musikalisch mit größter Liebe ausgeführte Charakter der gesammten Tetralogie. Inniger als irgend eine andere erregt diese hehre Gestalt unser innerstes Mitgefühl; bleibt sie doch auch in den heroischsten, sich zu tragischster Größe erhebenden Momenten – wie da, wo sie am Schlusse der »Götterdämmerung« mit Rückgabe des Rings an die Rheintöchter und dem eigenen Liebesopfer die sühnende und erlösende That vollbringt – ganz Weib. Aber auch die übrigen Träger der Handlung, Allen voran Siegmund, Sieglinde, Siegfried, sind mit seiner psychologischer Wahrheit gezeichnet. Da ist von Typen keine Rede; selbst die Götter, Riesen, Zwerge und Nixen, die uns der Dichtercomponist neben seinen Heroen und Heroinen vorführt und die er ohne jegliches Vorbild schaffen mußte – denn er zuerst rief sie auf die Bühne – erkennen[401] wir als lebendige Individualitäten, deren Freuden und Leiden uns zur Theilnahme zwingen. Man vergegenwärtige sich einzig die Fluchscene Alberich's, den Abschied Wotan's von Brünnhild, um dessen inne zu werden! Wir glauben an sie; denn was wir sehen und erleben, dünkt uns nicht Schein, sondern Wahrheit, wirkliches Leben.

Die gleiche Wahrheit und innerste Nothwendigkeit, die aus der Zeichnung der Charaktere spricht, waltet auch beim Aufbau der Handlung. Zufall und Willkür haben keinen Platz, wo alles sich mit strenger Folgerichtigkeit aus dem einen bewegenden Grundmotiv: dem Raube des machtverleihenden Goldes, entwickelt. Dem auf diesem lastenden Fluche verfällt Jeder, der den unheilvollen Ring, den Alberich, der Nibelunge, sich daraus geschmiedet, trägt; bis endlich mit der Rückgabe desselben durch Brünnhild's allen Egoismus besiegende Liebe die Sühne und damit zugleich der Untergang der alten germanischen Götterwelt sich vollzieht.

Die Bewältigung und Vertheilung des Stoffes erscheint in dieser gewaltigsten Arbeit Wagner's überaus bewundernswerth. Nicht um eine einfache Dramatisirung unseres alten Nibelungenepos war es ihm bekanntlich zu thun. Alles Historische, seinen Principien gemäß, ausscheidend, löste er nur den mythischen Theil desselben für seine Zwecke ab und griff dafür weiter als irgend einer seiner Vorgänger in Behandlung des Nibelungenstoffes zu den Urquellen deutscher Sage: der älteren und jüngeren Edda und Völsungasaga, zurück, den ganzen, weithin zerstreuten Sagenstoff in das Bereich seiner dichterischen Anschauung ziehend. Mit dem Göttermythus des germanischen Heidenthums brachte er die Siegfriedsage in Verbindung, indem er aus dem Schicksal der Götter Siegfried's Ursprung herleitete und an dessen Ende wiederum[402] das Ende der Götter, die »Götterdämmerung« knüpft. Eine That von entschieden nationaler Bedeutung vollbrachte Wagner, als er die ältesten Denkmale deutscher Volkspoesie für das künstlerische Genießen der Gegenwart solchergestalt wieder lebendig machte und das moderne Bewußtsein mit einer unserem Volke eingebornen Mythologie in Zusammenhang setzte. Das vielfach lautwerdende Bedenken, als ob dies jetzt, nach Verlauf mehr als eines Jahrtausends, und in Betracht der durch das Christenthum gewonnenen veränderten Anschauungen, ein müßiges Beginnen sei, hat in den Bayreuther Aufführungen eine glänzende Widerlegung gefunden. Dem Genie des Dichtercomponisten ist es gelungen, auch jene uns völlig entfremdeten vorchristlichen Phantasiegestalten uns menschlich nahe zu rücken, ja den alten Sagenstoff durch Herausgreifen und Ausbilden des rein menschlichen Gehaltes, durch Aufstellung und Lösung weltbewegender Probleme über das Maß des nur zeitweise Gültigen zum unwandelbar Dauernden, Gemeingültigen zu erheben.

Aber nicht nur dem Stoff und der Idee, sondern auch dem Stile nach bezeugt sich Wagner's Nibelungenwerk als ein echt nationales. Die Umwandlung der fremdländischen, in Italien geborenen und in Frankreich groß gezogenen Kunstform der Oper zum musikalischen Drama, als einem von jeder Nachahmung freien, eigenthümlich deutschen Kunstwerk, wie sie sich Wagner zur Aufgabe gestellt, ist hier erreicht; das Einswerden von Rede und Gesang, die Vermählung von Poesie und Musik, unter hülfreicher Betheiligung aller Schwesterkünste – also das Gesammtkunstwerk, wie Wagner es will – ist Wahrheit, und somit die Unabhängigkeit unsrer vaterländischen Kunst auch auf musikalisch-dramatischem Gebiet zur glorreichen Gewißheit geworden. Ob aber auch ihre Herrschaft treulich mit Schwester Poesie theilend, hört darum die Musik doch[403] nicht auf, ihre eigensten, holdesten Reize zu entfalten. Schon während der ersten Tacte des »Rheingold«-Vorspiels – darin sich, wie hier überhaupt vielfältig, die starke malerische Kraft des Tonmeisters offenbart – nimmt sie uns völlig in Bann und giebt uns erst uns selbst zurück, nachdem am letzten Abend die letzten Töne des eben so complicirt als einheitlich gestalteten Werkes verklangen. Eine elementare Urgewalt entfesselte diese Tonsprache; mag immer, um mit Wagner's eigenen Worten zu reden, das Kunstwerk der höchsten Bildungsperiode nicht anders als im Bewußtsein producirt werden können. Von Reflexion und grauen Theorien spüren wir nichts, »grün ist des Lebens goldner Baum« hier allenthalben. Tiefere Eindrücke, als wir sie beispielsweise im Schlußact der »Götterdämmerung«, wo eine Schönheit der andern die Hand reicht, empfangen, giebt es wohl nicht im Reiche der Kunst. Um ihrer gewiß zu werden und das Ganze, wie Wagner will, »gefühlsverständlich« zu genießen, bedarf es keiner umständlichen musikalischen oder literarischen Vorbereitungen. Aus sich selber heraus und für sich allein wirkt das von hohem Idealismus durchwehte Kunstwerk, wenn sich auch bei vorherigem Vertrautsein mit demselben eine unendlich erhöhte Wirkung und ein vertiefteres Verständniß für sein äußerst sein geartetes, an dichterischen Bezügen überreiches Wesen ergiebt; wie sich dies bei jedem rechten Kunstwerk, wie vielmehr bei einem derartig complicirten, von selbst versteht. Eine vollständige Wirkung desselben wird allerdings durch eine entsprechende Aufführung bedingt. Nicht als ob – wie Manche im schlimmen Mißverstande dessen, um was es sich in Bayreuth handelte, meinten – etwa der Schwerpunkt in der Scenerie liege! Wer lediglich um mechanische Theater-Wunder zu schauen, die Wallfahrt nach Bayreuth unternahm, wird sich vielleicht trotz der bisher nirgendwo[404] noch übertroffenen Gesammtleistung der Scenerie, in seinen Erwartungen getäuscht und auf mancher großstädtischen Vorstadtsbühne seinen Bedürfnissen Zusagenderes gefunden haben; wie denn viele der Gegner Wagner's in der That ihr Verdammungsurtheil von einigen Kleinigkeiten ableiteten, die in scenischer Beziehung mißglückten, und demzufolge das Gelingen des Ganzen nicht allein in Zweifel stellten, sondern geradewegs ableugnen wollten. Für die Bayreuther Festaufführungen den Anspruch als »Mustervorstellungen« zu erheben, ist übrigens dem Meister selber nicht in den Sinn gekommen. Ein Mißgriff vorschneller Freunde vielmehr war es, die äußere Seite der Darstellungen zu betonen, die doch dem Dichtercomponisten nirgend als Selbstzweck, sondern allenthalben nur als Mittel zur Erzielung jener von ihm erstrebten »vollkommenen Täuschung« gilt, die uns die Bühne zur wirklichen Welt, das Geschaute und Gehörte zum inneren Erlebniß werden läßt. Daß diese Absicht in Wahrheit erreicht worden ist, steht außer Frage. Wir haben in Bayreuth eine, wenn auch nicht nach allen Seiten, so doch dem Geist und Stil nach vollendete, durch Wagner selbst durch und durch inspirirte Wiedergabe der »Nibelungen« empfangen und sahen damit eine neue idealere Kunst der Darstellung lebendig werden. »Gewiß«, bezeugt er selber, »hat nie einer künstlerischen Genossenschaft ein so wahrhaft für die Gesammtausgabe eingenommener und ihrer Lösung mit vollendeter Hingebung zugewendeter Geist innegewohnt, als er hier sich kundgab.« Die Mehrzahl der dramatischen Darsteller, der »einzigen Ermöglicher seines Werkes«, als welche der Autor sie dankbar rühmte, leistete Vorzügliches; sie hatte, unter lebendiger Einwirkung des Componisten, sich in die neue Sprach-Gesangweise zwanglos hineingelebt. Sollen wir Einzelne hervorheben, so sind neben Niemann, dem »eigentlichen Enthusiasmus[405] treibenden Elemente«, vor Allen Vogl als Loge und Amalie Materna als Brünnhild zu nennen.

Völlig unvergleichlich waren die Leistungen des Orchesters unter Führung seines Mustercapellmeisters Richter. Vermöge Tieferlegung und theilweiser Ueberdeckung des Orchester-Podiums durch eine mächtige Schallwand wird im Bayreuther Theater eine instrumentale Klangschönheit erzielt, wie sie sich nirgend in gleicher Vollkommenheit wiederfindet, wie sie aber sicherlich allerwärts angestrebt werden würde, hinge der Orchesterbau nicht mit dem gesammten Theaterbau zusammen. Nicht unwesentlich wirkt dabei ohne Zweifel die veränderte Anordnung mit, welche die Instrumente, statt wie gewohnt in compacte Einzelgruppen, vielmehr in parallellaufenden Linien, und zwar je nach dem Grad ihrer Verwandtschaft und ihres Stärkemaßes, vertheilt; sodaß die zartklingenden Saiten- und Holzblasinstrumente auf der obersten, dem Publikum zunächst liegenden Stufe, das Blech und die Schlaginstrumente aber zu unterst, nämlich noch unterhalb der Bühne, aufgestellt sind. Die Klangwirkung der 116 Instrumente (allein 32 erste und zweite Geigen, 12 Violen, 12 Celli, 8 Contrabässe, 8 Harfen etc., auch eigens nach Wagner's Angabe construirte Contrabaßtuben und Contrafagotts, wie denn zur Verstärkung der Baßthemen sogar ein 16füßiger Orgelbaß angewandt wurde,) war eine ideale, wunderbar einheitliche. Frei und unbeeinträchtigt schwebten die Stimmen der Sänger auch über dem reichsten instrumentalen Untergrund. Und was dieser letztere bei Wagner bedeutet, weiß man. Auf seinem im symphonischen Stile behandelten Orchester beruhen nicht zum geringsten Theile die bestrickenden Zauber und Wirkungen des Ganzen; gehören ja auch die Instrumental-Vor- und Zwischenspiele, die Begleitung stummer mimischer Scenen, wie zumal der Trauermarsch nach Siegfried's[406] Tod, zu den kostbarsten Perlen des »Nibelungenrings«.

Hatte sich das unsichtbare Orchester mithin als eine überaus geniale Eingebung Wagner's bewährt, so erwiesen sich auch andere Neuerungen, die er mit seinem Festspiel einführte, als nicht minder glücklich. Der amphitheatralische Aufbau des Zuschauerraums, der, den Begriff einer idealen Einheit verkörpernd, bis zu der ihn im Hintergrunde abschließenden Fürstengallerie hinansteigt und der gewohnten, das Auge zerstreuenden Abwechselung von Logen und Gallerien entbehrt; die, an Stelle des üblichen Glockensignals, den Beginn des Spiels vorbereitende Fanfare, die ein Hauptmotiv des aufzuführenden Dramas markirt; die gleichzeitig eintretende Verfinsterung des Zuhörerraums, die alles Licht auf die Bühne concentrirt; das Hinwegbleiben von Souffleurkasten und Rampenlampen; der sich nach rechts und links theilende, statt nach oben aufrollende Vorhang – Alles das dient Wagner als Mittel, den Zuhörer zu isoliren, seine Aufmerksamkeit von allem Aeußeren ab-, einzig auf das zu schauende Kunstwerk hinzulenken, das in dem geschlossenen Rahmen eines Bildes vor ihn hintritt. Nicht von ungefähr auch hat der Dichtercomponist sich eine kleine Landstadt von 19000 Einwohnern zum Festort erwählt, statt seine Freunde nach einer unserer großen Städte zu berufen, die den Bedürfnissen einer so zahlreichen und glänzenden Versammlung ohne Zweifel Entsprechenderes dargeboten hätte. Allen anderen Zerstreuungen als denen, welche die Natur gewährt, entrückt, sollten seine Festgenossen eine ganz nur seinem Kunstwerk angehörende Gemeinde bilden. Ihm selber war ja der Kunstgenuß gleichsam ein religiöser Act, und, wie er selber es ausgesprochen, hat er, im Gegensatz zu unserem Dichter, »das Leben immer heiter, die Kunst dagegen immer sehr ernst genommen.«[407] Erbaut und erhoben in Wahrheit durften sich Alle fühlen, die Wagner's Ladung nach Bayreuth folgten. Wer nicht die Empfindung, Einziges, in seiner Weise Höchstgeartetes erlebt und eine Bereicherung seines inwendigen Menschen erfahren zu haben, aus jener Festzeit mit sich hinausnahm in das Alltagsleben, hat mindestens nicht Wagner, sondern sich selber allein dafür verantwortlich zu machen. Der ungeheure, bei einem dergestalt auserlesenen Publikum doppelt schwerwiegende Erfolg stellte es hinlänglich außer Zweifel, daß des Meisters Absicht, sein Werk »zu wirklichem Gefühls-(nicht kritischem) Verständniß mitzutheilen«, sich verwirklicht hatte. Sein Ideal sah er erfüllt, indem er zugleich den höchsten Triumph seines Lebens feierte. Weiter gingen nun seine Wünsche dahin, die periodische, womöglich alljährliche Wiederkehr solcher Festspiele zu einer bleibenden Institution zu machen.

Zu dem Ende trug er sich mit dem Plan, eine unter seiner Leitung stehende »Hochschule für musikalisch-dramatische Darstellungen« zu gründen, deren Aufgabe es sein sollte, ihm »nicht nur ein Personal für die Darstellung seiner dramatischmusikalischen Werke auszubilden, sondern überhaupt Sänger, Musiker und Dirigenten zur richtigen Ausführung ähnlicher Werke wahrhaft deutschen Stiles (also keineswegs nur ausschließlich der seinigen, sondern der Instrumental-und Opernwerke aller großen deutschen Meister) verständnißvoll zu befähigen.« Zu schwach jedoch war leider nach wie vor der Glaube an Wagner, zu spärlich flossen die Mittel des sich auf seine Aufforderung vom 15. September 1877 constituirenden Bayreuther Patronat-Vereins, um die Ausführung dieses großartigen Projektes, eines in seiner Art völlig neuen Nationalinstitutes, das für unser gesammtes Bühnenwesen, ja für die ganze fernere Kunstentwickelung von größter Tragweite gewesen[408] sein würde, zu ermöglichen. Aus Mangel an Mitteln kam die Pflanzstätte eines neuen Kunststils nicht zu Stande. Blieb doch überdies von den Aufführungen des Sommers 1876 her noch ein beträchtliches geschäftliches Deficit zu tilgen, um dessentwillen der Meister, nachdem der Versuch, es durch ein großes, in London (März 1877) von ihm geleitetes Festival zu decken, mißglückt war, nicht allein die thätige Hülfe seines königlichen Freundes wiederum in Anspruch zu nehmen, sondern auch die »Nibelungen«, die er Bayreuth ausschließlich vorzubehalten gedachte, an andere Bühnen frei zu geben sich genöthigt fand. München, Leipzig und Wien erlebten bereits 1878 und 79 das sensationelle, für unsre gewöhnlichen Theaterverhältnisse für nahezu unmöglich gehaltene Ereigniß der Inscenirung der vollständigen Tetralogie. Nach ihrem kühnen Vorgange wagten sich alsbald auch andere Städte: Schwerin, Hamburg, Braunschweig, Weimar, Cöln, Frankfurt a.M., Mannheim an die hohe Aufgabe heran und versuchten, das »Wunderwerk«, das nach Liszt's Worten, »unsere ganze Kunstepoche überragt und beherrscht, wie der Montblanc die übrigen Gebirge«, auch mit ihren bescheideneren Kräften zu bewältigen. Selbst außerhalb ihrer deutschen Heimat, in Rotterdam und New-York, begann zunächst die »Walküre« ihren Siegeslauf; dann brachte der kühne Unternehmergeist Angelo Neumann's den vollständigen »Nibelungenring« wie zuvor (1881) nach der deutschen Reichshauptstadt, so auch nach London (1882). Der glänzende Erfolg dieser ersten Versuche forderte zu weiteren auf. Neumann erwarb Decorationen und Costüme von Bayreuth und gründete unter Mitwirkung hervorragender Künstler eine Wanderbühne, ein »Wagner- Theater«, um die Tetralogie weithin durch die civilisirte Welt zu tragen. Das Unglaubliche geschieht. Wagner's, laut seinen Worten »so maßlos anforderungsvolles, vom Gewohnten[409] so merklich abweichendes« Werk, das, zunächst nur dem engeren Kreis seiner Freunde und Gesinnungsgenossen gewidmet, aller Popularität zu widerstreben scheint, findet Andrang, Anerkennung und Begeisterung, wo man es hört. Nicht Deutschland nur, auch Belgien, Holland, die Schweiz, Italien, Oesterreich heißen es willkommen auf seinem Siegeszug, der in der Geschichte der Oper nicht seines Gleichen hat. Voll und ganz ergreift die Gegenwart von dem »Kunstwerk der Zukunft« Besitz.

Mehr und mehr in den Geist desselben hinein wachsend, bereitete sie auch dem letzten großen Werke, das Wagner hienieden vollenden durfte, einen harmonischeren, dankbareren Empfang, als er seinen früheren Gaben gelohnt hatte. Als der Dichtercomponist, nachdem es in seinem Festspielhaus sechs Jahre lang still geblieben war, seine Freunde von nah und fern zum zweiten Male festlich zu Bayreuth um sich versammelte, als das Bühnenweihfestspiel »Parsifal« am 26. Juli 1883 zum ersten Mal vor uns lebendig ward, da fiel zum ersten Male in Wagner's Leben der volle Erfolg einer seiner Bühnenschöpfungen mit der ersten Aufführung derselben zusammen. Was seit dem »Rienzi« – und auch bei diesem blieb der erste Erfolg auf Dresden beschränkt – keinem seiner Werke beschieden war, dessen durfte er sich wenigstens bei seinem letzten erfreuen: es wurde zugleich gehört und verstanden. Nicht ganz, das ist gewiß, fehlte es auch diesmal an gegnerischen, an mißwollenden Stimmen, aber sie übertönte laut der helle Ruf der Begeisterung, der jetzt fast einmüthig über Bayreuth in die Lande drang. Freilich, es war der letzte große Sieg seines Lebens, den der Meister mit diesem dem Stoff nach exceptionellsten seiner Werke feierte.

Ein »Bühnenweihfestspiel« hat Wagner den »Parsifal« genannt,[410] schon mit dieser Bezeichnung dessen Sonderstellung inmitten seiner eigenen und Anderer Bühnenthaten andeutend. Nicht eine Oper, auch nicht ein musikalisches Drama, sondern vielmehr ein christliches Mysterium, dessen geweihter religiöser Charakter es über unsere Profanbühnen, über die Wochenrepertoire unserer Hof- und Stadttheater weit hinaushob, galt es ihm hier zu gestalten. Zum mystischen Gralsmythus, den er schon im »Lohengrin« behandelt, griff er, nachdem er im »Nibelungenring« die altgermanische heidnische Sage, den Untergang der heidnischen Götterwelt auf die Bühne geführt, zurück; er wählte Parsifal, den Helden Wolfram von Eschenbach's und dessen französischen Vorgängers Chrétien de Troyes, zum Träger und Mittelpunkt seines letzten Tonvermächtnisses, das in seinem Grundgedanken: der Erlösung durch Mitleiden, wie in einzelnen Zügen (namentlich des dritten Actes), an eine frühere, wieder von ihm aufgegebene Idee »Jesus von Nazareth«, anklingt und die große Reihe seiner Werke in erhabenster Weise abschließt. Predigen nach Wagner's eigenen Worten23 alle diese Werke vom »fliegenden Holländer« an »die Urwahrheit der Schuld und Erlösung der Menschheit durch die Liebe, die fluchtragende menschliche und die fluchsühnende göttliche Liebe«, so ist im »Parsifal« »das Leiden des Erlösers selbst die erlösende Macht, die Verkörperung gleichsam jenes Ideals, die den Liebesfluch von den Heiligen des Gralstempels nimmt, indem Parsifal zur Erkenntniß des Opferwunders Christi gelangt, im dämonischen Liebeswerben des »Weibes« seine Reinheit durch diese Erkenntniß wahrt, den Todesspeer des Heilandes aus der Gewalt der heidnischen Weltmacht wieder gewinnt[411] und im »wissenden Mitleiden« damit die ewig offene Wunde aus der Liebesschuld des verführten Gralskönigs heilt. Der »Parsifal« sollte anfänglich mit den Worten endigen:


Groß ist der Zauber des Begehrens,

Größer ist die Kraft des Entsagens!


Mit so tiefernsten Worten dem Idealen durch die Kunst wieder zugewandt zu werden, scheint ein Hauptbedingniß mit zu sein, um unsere Volksseele ebenso den tiefernsten religiösen Empfindungen wiederum zu öffnen.«

Die Wiedergeburt der antiken classischen Tragödie im Geist der modernen Kunst, Wagner's Endziel und Ideal, für das er sein Lebenlang gekämpft und gerungen, war erreicht, ein neues Olympia hatte er seinem Volk in Bayreuth gegeben – und mit dieser That schied er von hinnen.

Mit dem Ruf »Auf Wiedersehen im nächsten Jahr!« verabschiedete er sich, nachdem er am 29. August den letzten Act der sechzehnten und letzten »Parsifal«-Aufführung dirigirt hatte, von seinen Künstlern, die in Wiedergabe dieses seines Werks das Vollkommenste leisteten, was deutsche Darstellungskunst je auf der Gesangsbühne hervorgebracht. Er hatte wohl keine Ahnung, daß er zum letzten Mal in ihrer Mitte weilte. Wenige Wochen später verließ er mit den Seinen Bayreuth, um dem nordischen Winter zu entfliehen, dem seine durch die ungeheueren Anstrengungen und Erregungen erschütterte Gesundheit seit den letzten Jahren nicht mehr Stand halten wollte. Den vorausgehenden Winter hatte er in Palermo zugebracht, woselbst er (im Januar 1882) auch die letzte Hand an den »Parsifal« legte. Diesmal wählte er Venedig und einen seiner stolzesten Paläste, den Palazzo Vendramin am Canale grande, zum Aufenthalt. Genußvoller Muße gab er sich auch hier, wo er sich mehrere Monate lang des Besuchs von Liszt[412] erfreute, nicht hin. Wann hätte der Rastlose, dessen eiserner Wille der widerstrebenden Natur das scheinbar Unmögliche abzwang, je geruht? Er schrieb an seinen seit langem begonnenen Memoiren; auch von einem musik-philosophischen Werk und musikalischen Plänen wurde das und jenes laut, und für die »Parsifal«-Vorstellungen im Juli 1883 traf er alle Vorbereitungen und Bestimmungen. Und dennoch überkam ihn bisweilen eine Mahnung, daß er bald zur Ruhe gehen werde. Als er am 23. December den Geburtstag seiner Gattin mit Aufführung seiner Jugendsymphonie im Liceo Marcello feierte, sagte er, den Tactstock aus der Hand legend: »Ich werde nie mehr dirigiren – weil ich bald sterben werde!«

Und nur zu bald erfüllte sich seine Ahnung. Rasch und unerbittlich trat am 13. Februar der Tod an den, trotz seiner fast vollendeten siebzig Jahre, noch lebensmuthigen, schaffensfreudigen Mann heran und machte durch einen Herzschlag seinem Leben ein jähes Ende. In freundlicher Gestalt wenigstens nahte er ihm: in den Armen der über Alles geliebten Frau, seiner treuen Helferin und Genossin, durchkämpfte er den letzten Kampf. Was sterblich an Richard Wagner war, das wurde nach erfolgter Ueberführung nach Bayreuth, unter Antheilnahme ungezählter Freunde und Verehrer des Heimgegangenen, am 18. Februar 1883 im lauschigen Schatten des Wahnfried-Gartens der Erde wiedergegeben.

Unter den letzten Aufzeichnungen von Wagner's Hand fand man nach seinem Tode die Worte: »Durch Aufführung seiner Werke ehrt man einen verstorbenen Künstler weit höher und in einem edleren Sinne, als durch Niederlegen von Lorbeerkränzen auf seinem Sarge.« Nun, der Mahnung, des Meisters Gedächtniß durch Aufführung seiner Werke in uns lebendig zu erhalten, bedarf es nicht mehr. Seit langem schon vermag[413] die Bühne der Gegenwart derselben, die sie beherrschen, nicht mehr zu entrathen, und der empfängliche Sinn für die ihnen innewohnende ideale Macht wird unserem Volk, so Gott will, nicht mehr abhanden kommen. Nur darum handelt es sich gegenwärtig, den Festspielen überhaupt und dem »Parsifal«, Wagner's letztem Vermächtniß, im Besonderen, in Bayreuth zu periodischer Wiederkehr, auch über das Jahr 1884, für das er uns bereits versichert ist, hinaus, eine bleibende Stätte zu sichern. Nicht auf unsern Alltagsbühnen ist sein Platz, auf geweihterem Boden muß er leben und wirken, soll er nicht seiner eigensten Wirkung verlustig gehen. Wer hätte das nicht, da er ihn hörte, empfunden? Wenn uns Alle wohl aber inmitten dieses realen Lebens nach einem zeitweisen Flug zur Höhe, nach einem Ort der Sammlung und Erbauung verlangt, wo wir uns dem Werkeltag und seiner Arbeit, der ganzen nüchternen Wirklichkeit, die uns umgiebt, vorübergehend entrückt fühlen, so könnte uns eine solche Stätte idealer künstlerischer Erhebung, wie sie Wagner während der glorreichen Festspielzeit in Bayreuth zu wiederholten Malen verwirklichte und wie wir sie auch in den weihevollen »Parsifal«-Aufführungen im Juli 1883 nach seinem Tode wiedergefunden, dort dauernd erhalten bleiben. So unablässig und nimmer müde regen sich allzeit die Hände, wo es dem Gewinn materieller Güter gilt – sollte es nur den auf Höheres gerichteten Zielen an fördernden Kräften fehlen? Wie wäre es dann um unser altes Erbgut, die deutsche Idealität bestellt?

Wohlan denn, halten wir das Lebenswerk Richard Wagner's fest mit entschlossener Hand! Helfen wir Alle, ein Jeder nach seinem Theile dazu mit, daß es uns nicht wieder verloren gehe, daß, zum Besten unsres gesammten Musiklebens, Wagner's Kunstgeist, wie er noch gegenwärtig in Bayreuth lebendig blieb,[414] auch in Zukunft seine reinigende und erhebende Wirkung übe! Und ob wir auch heute noch vergebens nach Antwort suchen auf die Frage: wer wird das künstlerische Erbe dieses Reichen antreten, wer wird nach ihm im Bereich des musikalischen Dramas gebieten? – die rechtmäßigen Erben seiner nationalen Thaten sind wir Alle. Nun wohl, erweisen wir uns solchen Erbes würdig![415]

Quelle:
La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe, Erster Band: Romantiker, sechste umgearbeitete Auflage, Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1883., S. 337,416.
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