§. 2.

[252] Der gute Vortrag einer Composition nach dem heutigen Geschmacke ist nicht so leicht als sichs manche einbilden, die sehr wohl zu thun glauben, wenn sie ein Stück nach ihrem Kopfe recht närrisch verzieren und verkräuseln; und die von demjenigen Affecte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stücke soll ausgedrücket werden. Und wer sind diese Leute? Es sind meistens solche, die, da sie kaum im Tacte ein wenig gut fortkommen, sich gleich an Concerte und Solo machen, um (nach ihrer dummen Meinung) sich nur fein bald in die Zahl der Virtuosen einzudringen. Manche bringen es auch dahin, daß sie in etlichen Concerten oder Solo, die sie rechtschaffen geübet haben, die schweresten Passagen ungemein fertig wegspielen. Diese wissen sie nun auswendig. Sollen sie aber nur ein paar Menuete nach der Vorschrift des Componisten singbar vortragen; so sind sie es nicht im Stande: ja man sieht es in ihren studierten[252] Concerten schon. Denn so lang sie ein Allegro spielen, so gehet es noch gut: wenn es aber zum Adagio kömmt; da verrathen sie ihre grosse Unwissenheit und ihre schlechte Beurtheilungskraft in allen Tacten des ganzen Stücks. Sie spielen ohne Ordnung, und ohne Ausdruck; das Schwache und Starcke wird nicht unterschieden; die Auszierungen sind am unrechten Orte, zu überhäuft, und meistens verwirret angebracht; manchmal aber sind die Noten gar zu leer, und man merket daß der Spielende nicht weiß, was er thun solle. Von solchen Leuten läßt sich auch selten mehr eine Besserung hoffen: denn sie sind mehr als iemand von der Eigenliebe eingenommen; und der würde sich in ihre größte Ungnad setzen, welcher sie aus redlichem Herzen ihrer Fehler überzeugen wollte.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 252-253.
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