Pianofortespiel.

[134] Die Clavierstücke Mozart's enthalten einen solchen Reichthum der Ideen und sind so fein gebildet in ihren kleinsten Nüancen, dass der darin herrschende Charakter stets genug interessirt ist, um das Gemüth des Spielers und des Hörers anzuziehen. Sie sind zugleich von so zweckmässiger Natur, dass die wahre Bildung des Clavierspielers dadurch erreicht und die Ableitung nach schiefen Richtungen vermieden wird. Dieschöne Haltung der Hand ist durch die abwechselnden Figuren und besonders die ordentliche Bewegung des Basses möglich gemacht, und dadurch wird theils die Beweglichkeit der linken Hand sehr befördert, theils die Ausbildung des Vortrags in Rundung und Schönheit nicht gehindert; denn seine Claviersachen enthalten keine Figuren, die durch unablässige Fortsetzung die Steifheit der Hand herbeyführen – oder durch eine Bewegung, der Behandlung des Claviers zuwider, die Ausführung mit Nettigkeit unmöglich machen – oder überhaupt, die nicht singen, ausgenommen die Arpeggio's welche dem Bau des Hammers und seinem Anschlage[134] nicht angemessen sind. Mozart's Clavierwerke enthalten Tiefe und Klarheit, Einfachheit und Kunst, Reichthum der Ideen und Adel des Styls, Kraft und Lieblichkeit. Durch ihren geistreichen Styl erheben seine Sonaten das Gemüth und erfüllen das Herz mit starken oder sanften Empfindungen.

Die Anhänger des neuen Systems, wonach nur Schwierigkeiten geschätzt werden, behaupten: man könne durch die Ausführung Mozart'scher Claviersachen seine Fähigkeit nicht hinlänglich zeigen; indess weiss doch jeder, der eine gesunde Beurtheilung hat, dass man bloss mit Zeit, Geduld und Mühe anfangs unmöglich scheinende Schwierigkeiten zuletzt über winden könne; dass aber weder Zeit noch Geduld genügen, Werke vorzutragen, die geläuterten Geschmack, tiefes Gefühl und richtigen Ausdruck verlangen.

Mozart schrieb, unbekümmert um den Schüler: Clementi's Schüler behalten nur das Instrument und den Spieler im Auge. – In wie vielen Arietten Mozart's ist edle Schwermuth des Künstlers, der aber nicht abgespannt ist, sondern dessen Geist wie mit erschwerten Flügeln in den trüberen Regionen der Dissonanzen verweilt. Welche Andante- und Adagio-Stellen Mozart's wären in jedem Betracht nicht himmlisch zu nennen. Alles, Alles ist schön, und Alles gleich schön. Die meisten seiner Claviersachen sind die vollendet'sten Arbeiten seines unerschöpflichen Genie's.

Obgleich sich Mozart's Phantasie in einigen Claviersachen vielleicht bisweilen etwas zu eingeschränkt fühlte, so haben sie doch einen ungeheuern Reichthum[135] an neuen Gedanken, an glücklichen Melodieen, an beständig abwechselnden harmonischen Wendungen, und sein unermessliches Genie – wenn man gleich öfters in seinen Opern Fehler in der Declamation und Recitation, wohl nicht immer ohne Grund, rügt – bleibt ein Gegenstand der grössten Bewunderung selbst der Nachwelt.

Mozart's ehrwürdigster Zeitgenosse Jos. Haydn ist wohl auch hier ein competenter Richter. Dieser gemüthliche und herzliche Mann sagte einst einem seiner Freunde mit tiefer Rührung und thränenden Augen: »Mozart's Verlust ist unersetzlich, sein Spiel am Clavier vergesse ich in meinem Leben nicht: das ging an's Herz.«

Mozart's Clavierconcerte sind voll blühender Composition und sie fliessen so leicht dahin, als hätte es gar keine Kunst erfordert, sie zu schaffen. Das ist aber eben die Kunst, das Werk zu zeigen ohne die Mittel sehen zu lassen. – In allen diesen schönen Werken herrscht eine richtige Applicatur in schwierigen Figuren, wie schwerlich bey neueren Clavier-Compositionen eine vorkommen wird, die sich nicht bey Mozart fände. – Aber es gehört zum richtigen und genauen Vortrage Mozart'scher Concerte mehr als richtige Fingersetzung, und die Folge davon, rundes und präcises Herauskommen der Passagen.

So wie überhaupt, so auch hierin hatte Mozart vor allen Tondichtern im hohen Grade die schöne Gabe, einen einmal gefassten Gedanken nicht wieder zu verlassen, bis er ihn in allen Formen des Schönen entfaltet hatte.[136]

Mozart schrieb gewissermaassen zwey verschiedene Arten von Clavier-Concerten. Die eine dieser Arten ist von ihm selbst geschaffen; und wollte man einzig auf den Sinn sehen, so könnte man sagen, Hän del's Orgelconcerte wären Mozart'sche in der Kindheit. Diese Art bildete er aus und vervollkommnete sie dermaassen, dass kein Anderer, wer er auch sey, darin es ihm gleich gethan hat. Diese sind vollkommen ausgearbeitete Musikstücke für das Orchester mit obligaten Instrumenten, unter welchen nur das Pianoforte bey weitem am meisten vorherrschend auftritt. Dieses ist die edelste und kunstreichste Art. – Hiervon unterscheiden sich die Concerte Mozart's, mit welchen er seine letzten Reisen machte und die erst nach seinem Tode herausgekommen sind. Diese gehören zu der zweyten Art: zu der populärsten, brillantesten. Diese Art bedient sich des allgemeinen Concertstyls und der gewöhnlichen Formen für Concerte überhaupt und wendet Beydes nur auf diess Instrument in seinen Eigenheiten, besonders auch den ungeheuern Fortschritten gemäss, an, die in der neuesten Zeit auf dem Claviere gemacht sind. Das Orchester bleibt, ausser in den Ritornellen (die hier mehr oder weniger symphonieartig ausfallen), fast nur auf's eigentliche, doch darum nicht uninteressante Begleiten beschränkt.

Manches kam von der einen Art für die andere zu ihrer Bereicherung herüber genommen werden. Auch hierin ist Mozart mit herrlichen Beyspielen vorausgegangen: in seinen letzten Concerten hat er, ohne sich selbst und der erwählten Gattung untreu[137] zu werden, dem Pianofortespieler beträchtlich mehr und beträchtlich Glänzenderes zugetheilt, als vordem.

Mozart ging also von der bis auf ihn einzigen Form ab und schuf eine neue. Er erwählte das Gegentheil der bisherigen Theorie, nach welcher die Solostimme das einzige bedeutende – Alles war. Er nahm an, das Concert ist das höchste der Musik im Zartern (als Gegensatz der Symphonie, des Höchsten im Grossen): Alles, was zur Erreichung dieses Zweckes beyträgt, muss in höchstmögliche Bewegung gesetzt werden: mithin müssen alle Stimmen vollkommen gearbeitet seyn: der Solospieler muss nur die hervorstechendste unter diesen haben: die Ritornelle müssen grosse Erwartungen erregen, beflügeln: auch die natürlichen Reize aller Instrumente zum Accompagnement müssen in hervorstechendes, anmuthiges Spiel gesetzt werden. – Es ist bekannt, dass der für Wissenschaften und Kunstphilosophie so gar nicht gebildete Mozart diese Grundsätze nicht deducirte, die Pläne nicht entwickelte und berechnete, sondern ihm gab es in dämmernder Ahnung sein Gefühl – der Gott in ihm.

So wurden die in ihrer Art auch jetzt noch fast einzig dastehenden Werke geschaffen. In ihrem Charakter und ihrem Vollendetsten findet sich die grösste Aehnlichkeit in Geist, Tendenz und reinem Kunstwerthe mit den vollendetsten Quartetten Mozart's, so dass das, was dort als ganz vorzüglich und immer gelungen sich findet, auch hier ganz vorzüglich und immer gelungen erscheint.

Unser Meister hat den glücklichen Einfall gehabt, Fugen für zwey Claviere zu schreiben. Dabey[138] hat theils der Lernende Gelegenheit, sich desto mehr im Tacte und im Pausiren zu üben; theils wird er durch das Spiel derselben allmählig um so viel leichter mit dem Fugenstyle vertraut, weil er hier nicht mit so grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als bey den mehresten solcher Fugen, die bloss für einen Spieler bestimmt sind.

Das Eigenthümlichste und Individuellste in Mozart ist bekanntlich: Erfindung, poetischer und artistischer Reichthum, unerschöpflicher Reichthum und Glück. Daher steht er als dichtender Tonkünstler in seinem eigentlichen Fache nicht nur hoch, sondern einzig. Seine Compositionen haben auf den Gang und die weitere Ausbildung der Tonkunst den entschiedensten Einfluss gehabt – sie machen im reichsten Sinne des Wortes Epoche.

Wenn man die Menge derselben übersieht, so begreift man die Tiefe Vieler kaum; wenn man die Tiefe Vieler untersucht, begreift man die Menge kaum. So ist's natürlich, dass man viele vor genauerer Ansicht für untergeschoben halten, gegen die äusseren historischen Erweise der Aechtheit misstrauisch seyn kann. Aber nach genauerer Ansicht führen sie einen inneren Beweis, den es nicht schwerer ist zu fassen, als die Erkennung wahrhaft grosser Maler. Aber Bewunderung wird die Menge, bey der Verschiedenheit, immer erregen. Denn es giebt kein Fach, keine bisher entdeckte Form, in welcher Melodieen und Harmonieen gebildet werden können, worin er nicht – mit mehr oder weniger Glück gearbeitet hätte.[139]

In mehren Mozart'schen Sonaten ist gleichsam ein liebevolles Umschlingen zweyer schönen Gestalten sichtbar, die sich in holder Anmuth einander nähern, und wo der männliche Theil, der Bass, die graziösen Bewegungen des weiblichen, der Sopran-Melodie, mit aller Zartheit und dennoch mit anziehender Stärke unterstützt und auf seinen Armen huldvoll dahin trägt. Die verschiedenen Wendungen Beyder, die Frucht der keuschen und doch seligen Annäherung ihrer Seelen bringt mit sich das innige Spiel der Geberden und die Beredsamkeit ihrer Blicke. Sie wandeln daher, ihre Geister-Verwandtschaft ahnend, bald sich mit gleichen Gefühlen entgegen kommend, durch zarte Scheu wieder in ihr Inneres zurückgedrängt und die Sehnsucht zu wonniger Vereinigung verbergend, bis dem kühnen Muthe des Mannes (des Basses) es endlich gelingt, die Zweifel zu lösen und die Verschlingung zweyer Seelen in wonnevoller Eintracht zu bewerkstelligen. – Diesen Geistervertrag lässt der Tonkünstler seine in Töne gehauchten Gestalten gewöhnlich auf dem Uebergange zur ersten Hauptcadenz schliessen; denn von da an entfaltet nun erst die seelenvolle Innigkeit und Einigkeit die Ausdrücke des Entzückens über die freudige Annäherung und Ahnung ihrer Verwandtschaft in dem Mittelsatze, welcher desshalb auch gewöhnlich ganz den Charakter des Graziösen, Wonnevollen annimmt. Die Melodieen sind dann hier gewöhnlich zarter und blühender und umschlingen sich schon mehr mit liebevoller Ergebung, die durch zarte Spiele des Scherzes, der Weigerung, der scheinbaren Annäherung zu verzögert wird, dass[140] der poetische Musiker die zwey durch Liebe vereinigten Wesen oder Themata immer noch sich fliehen und in einem reizenden Kampfe begriffen sieht, bis endlich die Stärke den Reiz oder der Reiz die Stärke besiegt und Beyde durchdrungen und umschlungen nur dahin schweben in schöner schmiegsamer Vereinigung und ihre bewirkte Harmonie in triumphirender Wonne kund thun.

Hier ahmen sich Beyde oft schon scherzhaft, ja bisweilen ironisch mit naiver Laune einander in Gang und Bewegung nach, bis nach neuer Zögerung und sinnreichen Zweifeln sie endlich einander die Hände reichen zum festen Bunde in der Cadenz des ersten Theils. Mit anmuthigen Neckereyen, oft mit den Spuren einer schnell entstehenden Uneinigkeit, die sich in kurzen, geschwind beantworteten, doch leisen Vorwürfen ausspricht, beginnt der zweyte Theil. Plötzlich ergiesst sich der eine Theil in entflammtem Zorne in langen und schnellen Perioden, welche der andere mit Zwischenreden, die aus der ersten frühern Annäherung ihrer Geister hergenommen, also mit jenen analog sind, stellenweise nun unterbricht, um die Versöhnung zu bewirken. Kaum lässt der zürnende Theil ahnen, dass er besänftigt sich wieder nähern wolle, so verwechselt jener die Rolle und nimmt den Zorn des andern in sich auf und giebt dieselben Zweifel und Einwürfe nur in pikanterer Beziehung zurück, indessen jener das schöne Geschäft der Versöhnung übernimmt. Die mannigfaltigsten Gradationen der Empfindungen zeigen sich in den Perioden. Der eine Theil steigt in seiner Leidenschaftlichkeit, indess der andere mit scheinbarem[141] Phlegma sorglos und unbekümmert seinen Weg allein geht, aber doch einige Einwürfe macht, welche oft mit rhetorischer Kunst in kurze Absätze getrennt, nur nach und nach das Ganze aussprechen, oft nur einen Theil für das Ganze angeben, oft starke Zweifel erheben, plötzlich sich scheinbar zur Vereinigung nähern und doch wieder sich trennen, bis durch eine ganz unerwartete Wendung die Freyheit der Geister den Kampf zu beendigen und sich in schöner Eintracht einander zu nähern beschliesst, und Beyde nun im Hauptthema wieder harmonisch umher wandeln.

Hier nimmt der Mittelsatz schon eine weit beruhigendere Gestalt an, indem er in der Tonica des Stückes nun auftritt und die festeste Verbindung in der geahneten Conclusion kund thut.

Der wonnevolle Sieg über die gegenseitige Ergebung verkündigt sich hier in den brillantesten Figuren, in dem entzückungsvollsten Aufschwunge und der seligsten Umschlingung der Melodieen, in dem reichen und blühenden Schlusse der Tonstücke.

Auf diese Weise hat der Seelenmaler Mozart alle seine von seinem Geiste durch schöne Formen gezeichnete Tongebilde durch Mannigfaltigkeit der Bewegung, durch Reichthum an geistreichen Ideen und besonders durch ideale Schönheit und Einheit aller einzelnen Theile beurkundet.

Sehr viele andere seiner Claviersachen sind mit vieler Begeisterung erfunden und sehr sinnreich ausgeführt. Der Wechsel des Lebens in beyden Händen macht sie einem Dialoge ähnlich, worin immer Einer des Andern Wort nimmt, mit noch grösserer Beredsamkeit seinen Satz ausführt, und dann wird[142] das Nachäffen und Ausspotten dessen, was Einer sagte, durch den Andern sehr jovial durchgeführt. Die forte angeschlagenen Accorde treten wie heftige Verneinungen zu obiger Rede, weil sie keine Beruhigung herbeyführen, und plötzlich übernimmt die zweyte Parthie das Gespräch, indess die erstere nur mit ihren schnellen Einreden dazu tritt.

Solche Aehnlichkeiten kann man finden, wenn man auch keine Phantasie hat; denn womit hat denn überhaupt eine Clavier-Sonate (im Allgemeinen alle Instrumental-Musik) mehr Aehnlichkeit, als mit dem mimischen Tanze? Die Form der Melodie in der Rechten und die harpeggirte Bewegung der Harmonie in der Linken gleichen dem Duette zweyer Tänzer, wo ein Theil seine Triller mit abwechselnden Füssen schlägt, indess der Andere in ganzen und gebrochenen Zirkeln bald die Hälfte seines Raumes zierlich misst, bald mit Entrechats kühn hervortritt und nach mannigfaltiger Wendung des Körpers in höchster Schönheit plötzlich à plomb steht.

Die Imitation ist im Ballette ganz aufzufinden; eben so die contrapunctische Verkehrung. In solchen Stücken hebt sich Mozart auf der von göttlichem Hauche beflügelten Sohle fast mit spanischer Leidenschaft und Gluth, ja, seine Themata schwingen in der Rechten stets die Castagnetten, wie man in seinen Pralltrillern sieht.

Andere seiner Stücke sind wieder von anderer Art. Gleich einem Bache stürzt sein Thema herab von der Höhe und rieselt dann in der Ebene fort. Er lässt dann bisweilen die Leidenschaft in höchste Wirksamkeit treten und führt den Bass so schön,[143] dass er dem Wellenflusse gleichsam immer neue Hindernisse in den Weg schiebt, damit derselbe sie desto siegreicher zu überwinden in den Stand gesetzt werde. – Zur Wiedervereinigung des Thema's pflegte Mozart dann den Fluss in Achteln zu besänftigen, der nur durch Zögerung, Zweifel und allerhand künstliche Irrgewinde sich fortschlängelt, bis nach langem Zweifeln und Aufhalten er endlich seinen schnellen Strömen die Schleusen wieder öffnet und denselben in schöner Freyheit sich seiner Kraft entladen lässt.

So gross Mozart in Bearbeitung instrumentirter Singstücke war, wo ihm zum Ausdrucke der Gefühle jegliches Instrument zu Gebote stand, eben so gut verstand er, auch ohne das Rauschen derselben seinen Liedern mit Pianoforte-Begleitung Geist und Leben einzuhauchen. Manche von diesen sind ganz vorzüglich, und fast nie verfehlte er eins im Ganzen. Hierher gehören besonders: das Lied an Chloe; die Abend-Empfindung; das Veilchen; das Bändchen; der Abschied etc. Wie heisst der Talisman, der bey so geringen Mitteln so grosse Wunder wirkt, dass durch ein so einfaches Figurmanöuver der Finger durch überall angebrachte Harmonieenfolge das bey den Alltags-Erscheinungen der Zeit so verwöhnte Ohr noch den Klängen begierig lauschen kann, die, wie Urtöne der Kunst, in so schöner Einfachheit und doch mit so geistiger Kraft das Herz des Hörenden rühren? Wie heisst diese Wunderkraft? Etwa Genius?

Wie oft schrieb Mozart zum Abschiede eines Freundes oder einer Freundin ein Liedchen in ihr[144] Stammbuch! – Und trotz dieses fast immer schnellen Hinschreibens liegt in diesen kleinen Stücken so viel Ausdruck, Einfachheit, Anmuth und Empfindung, dass man behaupten kann, Mozart habe sich schon in diesem Fache unsterblichen Ruhm erworben. – In diesem Fache ist Zumsteeg mit Mozart classisch und Beyde verdanken nur ihrer edlen Einfachheit ihren Beyfall. Demnach: die höchste Einheit, die edelste Einfalt, ist die höchste Schönheit!

Man hört oft Zweckmässigkeits-Virtuosen Mozart tadeln, dass er so viele Sonatensätze nur zwey- oder dreystimmig geschrieben habe. Allein, wenn er z.B. den Faden der Melodie mit der Rechten in einer Linie fortspinnt, weil dadurch die Form entschiedener wird, indess die Linke arpeggirt und die Dreyklänge im Wechsel der Sechzehntheile harmonisch dazu anklingen lässt, ist das nicht voll genug? Ist es nicht vierstimmig? Soll etwa jede Mittelstimme singen? nur bisweilen, wo es der Ausdruck erfordert. Die Melodie ist ja aber der Contour, der durch den Bass als zweyte Linie geschlossen wird; die Mittelstimmen sind nur die Schattenfarben, Tinten. Sollen diese etwa, immer und gleich aufgetragen, neben einander hinfliessen? Müssen sie nicht gerade oft verschieden und einer scheinbaren Leere Platz machen, um den Contour (die Melodie) hervortreten zu lassen, die da gerade einen Glanzpunct haben soll?

An und für sich wäre es Thorheit, zu fordern, dass eine Sonate immer vierstimmig gehen soll, wenn man nicht gerade ein solches Kunstwerk beabsichtigt: sondern die Mittelstimmen sollen nur so hinzutreten,[145] wie bey einem Gemälde, wo der Schatten oder die Farbe erfordert wird, wo also hier die Periode durch eigene Biegungen einen neuen Charakter annimmt, den sie vielleicht absichtlich zuvor ein- oder zwey-stimmig erst andeutete.

Namentlich berühmte Orgelspieler, die immer vollgriffig Alles haben wollen, weil es auf der Orgel nöthig ist, gerathen darüber in Eifer, dass Mozart nicht in einem fort vierstimmig geschrieben habe. Ganz recht ist's, dass einer, der seine Hände gewöhnen will, immer recht vielstimmig zu greifen, Tonstücke wählt, welche so ersonnen sind. Allein diess ist ja nimmermehr der Zweck der Claviersonate als Kunstwerk, dass man darin nur spielen lernen solle. Vorher soll man spielen lernen an Uebungsstücken, die die Zweckmässigkeit als ihren höchsten Vorzug zum Unterricht an sich tragen, die, vielleicht ohne Begeisterung geschrieben, nur immer die Hammerbewegung der Finger vor Augen haben, statt des höchsten Gesetzes der Schönheit, was in jedem Kunstwerke das erste Augenmerk des Schöpfers desselben seyn soll.

Uebrigens kann man auch bey dem Studium Mozart'scher Sonaten spielen lernen. Aber Mozart schrieb sie nicht desshalb, sondern weil er ein Seelengespräch in diese Form goss, das, durch tausend verschiedene Nüancen geführt, in eigenem Wechsel der Gestalt und Farbenmischung fortlebt und durch Vereinigung der verschiedenen einzelnen Theile zum harmonischen Ganzen so das höchste Postulat der Kunst erfüllt – die Einheit.
[146]

In einer an productiven Geistern so fruchtbaren Zeit, wo immer neue musikalische Werke einander verdrängen, ist es wohl der Mühe werth, einmal einen Rückblick zu thun auf die Werke, welche über das Schicksal des Verdrängtwerdens erhaben sind.

Mozart's Genius, der in allen Fächern der musikalischen Setzkunst mit so grossem Glücke sich bewegte, dass er in einem jeden beynahe ein Muster aufstellte, wie es seine Zeit noch nicht gesehen hatte, Mozart's Genius ist's, der auch in der Claviermusik einen so wunderbaren Cyclus von Werken schuf, welche, obgleich unendlich verschieden an Charakter, dennoch alle den Stempel der höchsten Vollendung an ihrer Stirn tragen. Besonders aber treten dadurch diese Werke aus allen anderen hervor, dass eine Seele in ihnen wohnt, welche alle Ahnungen des höchsten Schönen, von denen sie durchdrungen war, durch ihre Zauberkraft in dem Gemüthe, das sich ihrem Kreise nähert, wieder zu erwecken im Stande ist.

Ja, so viel des Guten auch gleichzeitige Meister geliefert haben, Mozart's Clavierwerke stehen immer durch ihre gemüthvolle Tiefe, durch den vollendeten organischen Bau ihres Innern, durch die Harmonie aller einzelnen Theile zum Ganzen bey so grossem Reichthume der Phantasie, und ganz besonders durch die ideale Schönheit ihres Styls allen anderen voran, welche die damalige Welt oft mit Recht neben ihnen bewunderte. Denn selbst des grossen Jos. Haydn's Clavierwerke (wir reden jetzt nicht von neuerer Zeit), welche doch allein durch ihre Genialität sich auf eine gleich hohe Stufe der allgemeinen[147] Bewunderung zu schwingen wussten, tragen überall doch mehr Spuren des Humors, oft des ausgelassensten an sich, und bleiben öfter noch auf der Stufe der Zweckmässigkeit stehen, indess Mozart's Clavier-Compositionen wahre Seelengespräche sind, die in ihrer zaubervollen Form das Gemüth des Spielers und des Hörers auf die innigste und oft erhabenste Weise berühren und denselben einen Eindruck zurücklassen, den nur die Anschauung des höchsten Schönen, das, rein von allem Nebenzwecke, in seiner eigenen geistigen Natur verklärt wird, denselben rein zurückzulassen im Stande ist.

Wie viel der reinsten Genüsse, also auch wie viel an geistiger Bildung und Erhebung die Menschheit der Beschauung dieser schönen Kunstgebilde verdankt, deren Anschaffung durch die häufigste Vervielfältigung im Drucke mit wenig Kosten verbunden, und deren Aufführung nicht mit so grossen Schwierigkeiten verknüpft ist, als andere Instrumentalmusik, diess zu ermessen, sey das freudige Geschäft solcher, welche in den engen Schranken dieses irdischen Lebens sich ein zweytes unendliches, durch keinen irdischen Einfluss zu störendes Leben in der Kunst zu schaffen wussten.

Unser sey das schöne Vergnügen, den organischen Bau der Mozart'schen Clavierwerke in seinem Innern zu beschauen, die geistigen Fäden der Verbindung zu ahnen, und so die Werkstatt des Meisters mit dem frommen Sinne zu belauschen, welcher die Entweihung durch allzudreiste Voreiligkeit dem kritischen Bewunderer unmöglich macht.[148]

Desshalb fürchten wir auch nicht, dass diess Beginnen eine Blasphemie genannt werden dürfte, weil nur der Geist der Verehrung gegen diesen Genius uns in dieser nähern Beleuchtung seiner an wahrer Schönheit reichen Werke, einzig leiten und bestimmen wird. Auch ist das Jahrhundert so ziemlich inne geworden, was es an dem unter uns fortlebenden Geiste Mozart's besitzt, und daher erklärt sich das immerwährende Zurückkehren der Freunde an Claviermusik zu den Werken dieses Künstlers. Eine solche Analyse wird künftig Kanne uns schenken.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 134-149.
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