105. Mozarteum.

[158] Paris 12. Juni 1778.

Nun muß ich Ihnen doch auch von unserm Raaff etwas schreiben.42 Sie werden sich ohne Zweifel erinnern, daß ich[158] von Mannheim aus nicht gar zu gut von ihm geschrieben habe, daß ich mit seinem Singen nicht zufrieden warenfin daß er mir halt gar nicht gefallen hat. Das war aber die Ursache weil ich ihn zu Mannheim so zu sagen gar nicht gehört habe, ich hörte ihn das erstemal in der Probe von Holzbauers »Günther«. Da war er nun in seinen eigenen Kleidern, den Hut auf dem Kopf und einen Stock in der Hand. Wenn er nicht sang, so stund er da wie das Kind beim D –. Wie er das erste Recitativ zu singen anfing, so gings ganz passable, aber dann und wann that er einen Schrei der mir nicht gefiel. Die Arien sang er so gewiß faul – und oft einige Töne mit zu viel Geist – das war meine Sache nicht. Das ist eine Gewohnheit die er allzeit gehabt hat, die vielleicht die Bernacchische Schule mit sich bringt. Denn er ist ein Schüler von Bernacchi. Bei Hof hat er allzeit Arien gesungen, die ihm meiner Meinung nach gar nicht angestanden, weil er mir gar nicht gefallen hat. Hier endlich als er im Concert spirituel debutirte, sang er die Scene von Bach Non sò d'onde viene, welches ohnedem meine Faroritsache ist, und da hab ich ihn das erstemal singen gehört – er hat mir gefallen – das ist in dieser Art zu singen, aber die Art an sich selbst – die Bernacchische Schule – die ist nicht nach meinem Gusto. Er macht mir zu viel ins Cantabile. Ich lasse zu, daß er, als er jünger und in seinem Flor war, seinen Effect wird gemacht haben, daß er wird surprenirt haben – mir gefällts auch, aber mir ists zu viel, mir kommts oft lächerlich vor. Was mir an ihm gefällt, ist wenn er so kleine Sachen singt, so gewisse Andantino – wie er auch so gewisse Arien hat, da hat er so seine eigene Art. Jeder an seinem Ort. Ich stelle mir vor daß seine Hauptforce war die Bravura – welches man auch noch an ihm bemerkt, sowie es sein Alter zuläßt, eine gute Brust und langen Athem, und dann diese Andantino. Seine Stimme ist schön und sehr angenehm; wenn ich so die Augen zumache wenn ich ihn höre, so finde ich an ihm viel Gleiches mit dem Meißner, nur daß mir Raaff's Stimme noch angenehmer vorkommt – ich rede von jetzt, denn ich habe beide nicht in ihrer guten Zeit gehört – ich kann also von nichts als von[159] der Art oder Methode zu singen reden, denn diese bleibt bei den Sängern. Meißner hat wie Sie wissen die üble Gewohnheit, daß er oft mit Fleiß mit der Stimme zittert – ganze Viertel, ja oft gar Achtel in aushaltender Note markirt – und das habe ich an ihm nie leiden können. Das ist auch wirklich abscheulich, das ist völlig ganz wider die Natur zu singen. Die Menschenstimme zittert schon selbst, aber in einem solchen Grade daß es schön ist, das ist die Natur der Stimme. Man macht ihrs auch nicht allein auf den Blasinstrumenten sondern auch auf den Geiginstrumenten nach, ja sogar auf dem Claviere. Sobald man aber über die Schranken geht, so ist es nicht mehr schön, weil es wider die Natur ist. Da kömmts mir just vor wie auf der Orgel, wenn der Blasbalg stößt. – Nun das hat der Raaff nicht, das kann er auch nicht leiden. Was aber das rechte Cantabile anbelangt, so gefällt mir der Meißner (obwohl er mir auch nicht ganz gefällt, denn er macht mir auch zuviel) aber doch besser als der Raaff. Was aber die Bravura, die Passagen und Rouladen betrifft, da ist der Raaff Meister – und dann seine gute und deutliche Aussprache – das ist schön; und dann wie ich oben gesagt habe Andantino oder kleine Canzonetti. Er hat vier deutsche Lieder gemacht, die sind recht herzig. Er hat mich sehr lieb, wir sind sehr gute Freunde zusammen, er kommt fast alle Tage zu uns. Ich habe nun schon gewiß 6 Mal bei Graf Sickingen Pfälzischem Gesandten gespeist, da bleibt man allezeit von 1 Uhr bis 10. Die Zeit geht aber bei ihm so geschwind herum, daß man es gar nicht merkt. Er hat mich sehr lieb, ich bin aber auch sehr gerne bei ihm. Das ist so ein freundlicher und vernünftiger Herr und der so eine gesunde Vernunft und so eine wahre Einsicht in die Musik hat. Heute war ich abermal mit Raaff dort, ich brachte ihm weil er mich darum gebeten hat (schon längst), etliche Sachen von mir hin. Heut nahm ich die neue Sinfonie mit, die ich just fertig hatte und durch welche am Frohleichnamstag das Concert spirituel wird eröffnet werden, diese hat allen beiden überaus wohl gefallen, ich bin auch sehr wohl damit zufrieden. Ob es aber gefällt, das weiß ich nicht – und die Wahrheit zu sagen, liegt mir[160] sehr wenig daran. Denn wem wird sie gefallen? – Den wenigen gescheiten Franzosen die da sind, stehe ich gut dafür daß sie gefällt; den dummen – da sehe ich kein großes Unglück wenn sie ihnen nicht gefällt. Ich habe aber doch Hoffnung daß die Esel auch etwas darin finden das ihnen gefallen kann. Und dann habe ich ja den Premier coup d'archet nicht verfehlt! – und das ist ja genug. Da machen die Ochsen hier ein Wesen daraus! – Was Teufel! ich merke keinen Unterschied – sie fangen halt auch zugleich an wie in andern Orten. Das ist zum Lachen. Raaff hat mir eine Historie von Abaco darüber erzählt. Er ist von einem Franzosen in München oder wo befragt worden: Mr. vous avez été à Paris? – Oui. – Est-ce que vous étiez au Concert spirituel? – Oui. – Que dites-vous du Premier coup d'archet? Avez-vous entendu le premier coup d'archet? – Oui, j'ai entendu le premier et le dernier. – Comment le dernier? que veut dire cela? – Mais oui, le premier et le dernier – et le dernier même m'a donné plus de plaisir.43

Wenige Tage darauf ward die gute Mutter krank. Schon in ihren Briefen aus Mannheim klagt sie über mancherlei Übelbefinden, und da sich auch in Paris der Mißstand von kalten dunklen Wohnungen, mit denen sie sich der Billigkeit wegen behelfen mußten, nicht hob, so nahm die Krankheit rasch den schlimmsten Verlauf und Mozart erfuhr die erste schwere Prüfung in seinem Leben. Der folgende Brief ist an den geliebten treuen Abbé Bullinger, Gouverneur im gräflich Lodronschen Hause in Salzburg.

42

Für Raaff hat Mozart im Jahre 1781 die Partie des Idomeneo geschrieben.

43

Der imposante Eindruck, den das präcise Einsetzen eines starken Orchesters im Tutti machte, hatte dieses Stichwort veranlaßt. O. Jahn II, 283. Vgl. unten S. 164 und Köchel Nr. 297.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 158-161.
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