Die ungarische Freistadt Eisenstadt (ungarisch Kis Márton, d.i. Klein-Martin) diente Haydn in den Jahren 1761–66 ausschließlich zum Aufenthalt. Bis zum Jahre 1790 wohnte er dort nur in den Wintermonaten und nach der ersten und zweiten Londoner Reise besuchte er die königl. Stadt bis zum Jahre 1803 jährlich wenigstens in der Sommer- oder Herbstzeit. Wir wollen sie uns in Kürze vergegenwärtigen.
Eisenstadt liegt in Nieder-Ungarn, 6 Meilen von Wien, 11/2 Meile von Oedenburg und ebenso weit von Wiener-Neustadt entfernt. Die gleichsam aus drei Theilen bestehende Stadt zählt gegen 500 Häuser mit über 5000 Einwohnern und zieht sich in fast gerade aufsteigender Richtung längs dem Leithagebirge hin, das sich hier in die Ebene abflacht. Ueber diese hinweg genießt der Blick in weitem Halbkreis nach der Richtung des Neusiedler Sees hin eine von Gebirgen begrenzte malerische Fernsicht, während sich in entgegengesetzter Richtung reizende, theilweise zu üppigem Rebenland umgewandelte Waldeshöhen anschließen. Von der Wiener Seite, auf der, die Dörfer Groß- und Kleinhöflein durchschneidenden und von alten Kastanienalleen beschatteten Landstraße kommend, passirt man an der Bergpfarrkirche und dem benachbarten weitläufigen Engel-Wirthshaus1[200] vorbei zunächst die hochgelegene, vorzugsweise von Juden bewohnte Bergstadt (Eisenstadt am Berge) mit dem im Jahre 1760 vom Fürsten Paul Anton gestifteten Kloster und Spital der Barmherzigen. An die Bergstadt reiht sich der Schloßgrund an; man betritt hier durch ein breites Eisengitter den weitläufigen fast regelmäßig vierseitigen Schloßplatz, zur Linken mit dem fürstlichen Schlosse begrenzt, dem gegenüber sich das säulengeschmückte Doppelgebäude für die Stallungen und für die seinerzeit hier paradirende fürstl. Grenadier-Hauptwache befindet. Die vierte Seite des Platzes ist durch einige Gebäude abgeschlossen und von hier gelangt man auf drei fast gleichlaufenden Straßen in die untere Stadt. Am Ende derselben, nahe dem hier noch unlängst bestandenen letzten Stadtthore steht die Pfarrkirche und außerhalb der hier erhaltenen Ringmauer zieht sich endlich noch die Vorstadt, Brandstatt genannt, hin. Die beiden großen Brände, die Eisenstadt heimsuchten, ereigneten sich bald nach der hier berührten Zeit in den Jahren 1768 und 1776; vor dieser Zeit bot somit die Stadt mit ihren damaligen Gebäuden und Befestigungswerken einen, im Gegensatz zu ihren heutigen schmucken Straßen ungleich alterthümlicheren Anblick. Hat nun auch die Stadt selbst und ihr geselliger Verkehr seitdem in verschiedener Beziehung so manche Veränderung erfahren: die Reize der umgebenden ewig reichen Natur sind dieselben geblieben. Auch damals genügte ein Gang in die gesegneten Weingärten, durch die saatenreichen Felder, der baumreichen Landstraße entlang, oder den Bergesgipfeln hinan in zauberische Waldeskühle, um Geist und Herz zu laben. Wer obendrein, wie später auch Haydn, ein Haus in der Klostergasse besaß, dem trugen zahllose im angrenzenden Park nistende Singvögel in lautem Chor den fröhlichen Morgengruß selbst zum Arbeitstische zu.
Unser Ziel ist das fürstliche Schloß, ein stattlicher Palast, der, so hoch gelegen, gleich einer Warte die Gegend weithin beherrscht. Im Jahre 1683 vom Fürsten Paul neu geschaffen, spricht auch dieses, in seinen Grundformen massive und doch auch edel gehaltene Gebäude für die Energie seines genialen Erbauers. Mit seinen vier großen Eckthürmen mit Kupferdach und drei kleineren mit weißem Blech gedeckt, nach allen vier Seiten eine langgestreckte Reihe von Fenstern bildend, mit tiefem Graben umgeben, über den eine Zugbrücke zum Haupteingang[201] führte, imponirte es gleich anfangs nicht blos dem eigenen Lande, denn wir finden eine sorgfältige in Kupfer radirte Abbildung schon in einem im Jahre 1697 in Augsburg erschienenen Werk.2 Die Veränderungen datiren aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts; der Graben wurde ausgefüllt, die Front nach dem Hauptplatz mit einem Balcon und mit Statuen und Reliefs aus rothem Marmor, die Ahnen des fürstlichen Hauses darstellend, geschmückt und die Parkseite mit einem doppelten Säulengang und Balcon verbreitert; gleichzeitig wurde auch der Schloßplatz abgegraben und geebnet. Das Schloß enthält einen großen, mit schönen Frescomalereien gezierten Saal, dessen Vertiefung seinerzeit als Theaterbühne und zur Aufstellung des großen Orchesters diente; ein kleinerer, nicht minder kostbarer Saal war zur Zeit für die Kammermusik und die gewöhnlichen Productionen der Musikkapelle bestimmt. In der schön decorirten Hauskapelle, die zugleich als Schloßpfarrkirche dient, war der Chor, so geräumig er ist, in der Blüthezeit der Kapelle doch nicht im Stande, das ganze Musikpersonal aufzunehmen, das außerdem an bestimmten Tagen auch den musikalischen Gottesdienst in der Bergkirche besorgte.
Der, dem Schlosse unmittelbar sich anschließende, im englischen Stil angelegte herrliche Park mit dem auf korinthischen Säulen ruhenden Leopoldinentempel (die von Canova gemeißelte Statue der Fürstin Leopoldine bergend), mit schattigen Laubgängen und Alleen, Teichen, Wasserfällen, künstlichen Felsen und großartigen Treibhäusern geschmückt, breitet sich auf sanft emporsteigender Anhöhe aus, auf deren Gipfel man in entzückender Rundschau den Park selbst, den weithin sich erstreckenden fürstl. Thiergarten, ganz Eisenstadt, und in weiter Ferne die auf hohen Felsen thronende Burg Forchtenstein, die Umgegend der Stadt Oedenburg und die größere Hälfte des Neusiedlersees überblickt.
Die erwähnte Bergkirche am Eingang der Bergstadt besteht eigentlich aus einer Kapelle und einer unausgebauten Kuppelkirche, beide vom Fürsten Paul gegen Ende des 17. Jahrhunderts errichtet. Die auf künstlicher Anhöhe seltsam postirte Kapelle ist[202] wegen ihres daselbst aufgestellten Gnadenbildes der h. Maria das Ziel zahlreicher Processionen. Dieser Calvarienberg bildet mit der eigentlichen Bergkirche gewissermaßen ein Ganzes. Wie großartig Letztere ursprünglich angelegt war, ersieht man aus der gegenwärtig als Kirche benutzten Rotunde, die eigentlich als Sanctuarium der projectirten Kuppelkirche bestimmt war. Bei ihrem Besuche im August 1797 nannte sie die Kaiserin Maria Therese das Eisenstädter Pantheon. Haydn hat auch hier, gleichwie in der Schloßkapelle seine Messen dirigirt und sein Leichnam ruht nun in der Gruft dieses Gotteshauses. (Die Stelle bezeichnet an der Innenwand der Kirche ein einfacher Stein mit lateinischer Inschrift und verhüllter Lyra.) Der Ausbau der Kuppelkirche wurde wiederholt in Aussicht genommen und dabei auch der riesige erste Plan modificirt. So finden wir im Jahre 1798, nachdem die Kirche eben erst neu hergerichtet worden war, vom Theatermaler Peter Travaglio ein »Modell zur Bergpfarrkirche« eingereicht, wofür ihm aus der fürstl. Kasse 147 Fl. angewiesen wurden. Man erzählt sich noch heute, daß der Nachfolger des Fürsten Paul, im Hinblick auf die enormen Auslagen, die bei einem etwaigen Ausbau bevorstanden, denselben unmöglich zu machen suchte, indem er dicht vor dem bereits fertigen Theil der Kirche das noch bestehende Gebäude aufführen ließ. Anfangs diente dasselbe als Gasthaus, später als Musikgebäude. Zahlreichen Mitgliedern der Kapelle waren hier Freiquartiere angewiesen. Haydn's Bruder verlebte daselbst die letzten Jahre seines Lebens; Michael Prinster, der tüchtige Waldhornist, der die glänzendste Zeit der Kapelle miterlebte, starb hier am 5. Aug. 1869, 86 Jahre alt, und hier wurde auch am 8. Dec. 18103 der nachmals weltberühmte Anatom Joseph Hyrtl geboren, dessen Vater, Jakob Hyrtl, von Krems gebürtig und am 11. Nov. 1794 in der Bergkirche mit Theresia Zöger getraut, als Oboist in der fürstl. Musikkapelle angestellt war. Gegenwärtig wohnen in diesem Musikgebäude der jetzige fürstl. Musikdirector Karl Zagitz und der im Jahre 1816 als Violinist in die Musikkapelle eingetretene, nun 78jährige und noch immer[203] active Joh. Lorenz, Sohn des am 12. Oct. 1817 verstorbenen vorzüglichen Contrabassisten Joseph Lorenz.
Eisenstadt hat alle Wandlungen der fürstlichen Musikkapelle an sich vorübergehen sehen, ihr allmähliches Entstehen und Wachsen, ihre Tage des höchsten Glanzes und ihren Verfall. An der Hand der für Kunst und Wissenschaft begeisterten Fürsten des Hauses Esterházy4 sind wir hier im Stande, die so reiche Geschichte der Musikkapelle, die bis auf Paul, den eigentlichen Begründer des Fürstenhauses zurückreicht, in allen Stadien zu verfolgen.
Schon Paul's Vorgänger, Graf Nicolaus, hielt sich an seinem Hofe einen Harfenspieler. Nicolaus war Obergespan mehrerer Comitate, wurde 1625 zum Palatin erwählt und starb, 63 Jahre alt, am 11. Sept. 1645 auf seinem Lieblingssitze Großhöflein.
Paul, geboren am 8. Sept. 1635, empfing am 8. Dec. 1687 von Kaiser Leopold I. das Fürstendiplom5 und nächstfolgenden Tages setzten er (als Palatin) und der Graner Erzbischof Georg Széchenyi dem Erzherzog Joseph als erstem erblichen Könige von Ungarn die Krone des heiligen Stephan aufs Haupt. Fürst Paul war ein hochbegabter Mann, erfüllt von tiefer Religiosität, ein Tröster der Armen, gleich ausgezeichnet als Kriegsheld wie als Diplomat und beseelt von Liebe zur Kunst und Wissenschaft. Nebst seiner schriftstellerischen Thätigkeit in religiöser Richtung pflegte er mit besonderer Vorliebe auch die Tonkunst. Er befestigte die von seinem Vater erbaute Burg Forchtenstein in Ungarn, legte daselbst die berühmte Schatzkammer an und schuf eine weitläufige Bildergalerie, die Porträts aller Ahnen des Hauses umfassend. Des von ihm erbauten Schlosses und der projectirten Kuppelkirche in Eisenstadt[204] wurde schon gedacht. Mit welcher Begeisterung dieser große Fürst seiner Kirche huldigte, zeigt eine im Jahre 1692 unternommene wahrhaft großartige Procession nach der schon früher erwähnten Wallfahrtskirche Mariazell6, die ihres Gleichen sucht. Es sind dabei auch Trompeter und Paukenschläger genannt, ferner die Musiker paarweise einherschreitend und die Litaneien singend. Im Fall diese Musiker nicht schon damals einen selbständigen Kirchenchor des fürstl. Hausstaates bildeten, datirt dessen Bestehen doch aus dem ersten Jahre des nächstfolgenden Jahrhunderts, da ihn der rituale Gottesdienst der im Jahre 1701 mit den beiden Beneficien der Probsteien zu Groß- und Kleinhöflein incorporirten Schloßpfarrkirche bedingte. Einen schlagenden Beweis, daß der Fürst jedenfalls auf Bildung eines Vocalchores bedacht war, liefert ein im Original erhaltener[205] Contract zwischen Fürst Paul und Johann Joseph Fux, k.k. Musikcompositor, nachmaligem Hofkapellmeister. Dieses mehrfach interessante Document, von beiden Parteien unterzeichnet, ist ausgefertigt zu Wien am 1. Juni 1707 und besagt, daß sich Fux verbindlich macht, zwei castrirte Knaben »in der Singerkunst« zu informiren, wofür er monatlich ein Honorar von 10 Fl. für jeden Knaben erhält. Da Fux ferner verspricht, beide Knaben der besseren Bequemlichkeit halber gemeinschaftlich mit den in seinem Hause befindlichen Sängerknaben (also jenen von St. Stephan, wo Fux zur Zeit als Kapellmeister beim Gnadenbild fungirte) auch in litteris informiren lassen zu wollen, so legt der Fürst den Präceptoren für ihre Mühe weitere 20 Fl. jährlich bei. Einem zweiten Contract zufolge, datirt 9. Nov., erhielt Michael Hämmerl, der Grundschreiber der Kirche St. Dorothee zu Wien, auf ein halbes Jahr 100 Fl. baar und hatte dafür den Knaben »guette Kost, beeden täglich ein Maß Wein« zu verabfolgen, wie auch »die weiße Wesch waschen zu lassen«. – Fürst Paul nahm aber auch selbst Einsehen in das Wesen der Tonkunst, und daß er die Composition mit Ernst betrieb, bezeugen die von ihm in Musik gesetzten ein- und mehrstimmigen Kirchenlieder auf alle Festtage im Jahr; als Begleitung dienen abwechselnd Orgel, Violinen, Violen und Baß, Fagott, Trompeten und Pauken. Die Melodien sind wahrhaft kirchlich, fließend und leicht sangbar und Harmonie und Stimmführung zeigen eine gewandte Handhabung des mehrstimmigen Satzes. Diese Kirchenlieder erschienen in einem Bande, groß Format, mit luxuriösem Titelblatt und jede Stimme für sich, sauber in Kupfer gestochen, im Jahre 1711.7 Der Fürst hatte schon im Jahre 1701 wegen Stich der Platten mit den in der Chronik erwähnten Universitäts-Kupferstechern Jakob Hoffmann und Joh. Jakob Freundt in Wien unterhandelt. Die Genannten[206] verpflichteten sich damals, das ganze Werk, 300 Seiten (ohne Titelblatt) auf 150 Kupferplatten bis Januar 1702 abzuliefern. Die Arbeit verzögerte sich aber, wie der Titel zeigt, bis zum Jahre 1711. Für Stich und für Platten erhielten Hoffmann und Freundt zusammen 550 Fl. nebst drei Eimer Ungarwein. Fürst Paul verschied am 26. März 1713 zu Eisenstadt und wurde daselbst in der von ihm gestifteten Familiengruft beigesetzt.
Unter Michael, Paul's ältestem Sohn und Nachfolger, lassen sich schon, wenn auch vorerst nur mit Hülfe der Pfarr-Register und Rechnungs-Vorlagen, einzelne Musiker nachweisen, unter ihnen namentlich der fürstl. Hofmusikus Ferdinand Andreas Lindt, der im Jahre 1720 als 78jähriger Greis starb. Seine sechs Kinder wurden sämmtlich in die Kapelle aufgenommen und reicht einer seiner Söhne sogar noch in die Zeit Haydn's. Außer den Hof- und Feldtrompetern und Paukern, die, wie die andern Musici, verpflichtet waren, zu jeder Zeit in Eisenstadt und auf Reisen auf dem Kirchenchor und bei der Tafelmusik mitzuwirken, sind seit dem Jahre 1715 mehrere Hofmusici namhaft gemacht, unter ihnen der Lautenmeister und nachherige Tenorist Anton Aloys Durant und bereits auch ein Kapellmeister, Wenzel Zivilhofer. Der Name des Letzteren erscheint zum erstenmal im Jahre 1715 bei einem Taufact; zwei Jahre später versehen Fürst Michael und die Fürstin Anna Margarethe bei seinem Kinde Pathenstelle; Zivilhofer stand somit beim Fürstenhaus in Gnaden.
Mit dem 1. Jan. 1720 gewinnen wir endlich festen Boden. Fürst Michael scheint mit diesem Tage die Kapelle neu geregelt zu haben. Elf Decrete liegen vor; von den 6 Hof- und Feldtrompetern haben einige schon vordem gedient und müssen nun zum Theil auch auf dem Chor als Sänger mitwirken; den 6 Lindt'schen Kindern ist eine Beihülfe an Geld ausgeworfen; Antonie Lindt wird als Hof-Discantistin angestellt; der Lautenmeister Durant erscheint abermals; in dem Castraten (Altist) Hans Paulus Kniebandt, der später die beste Convention bezog, ließe sich etwa einer der früher genannten, im Jahre 1707 nach Wien gesandten Sängerknaben vermuthen, wenn dem nicht das Taufbuch der Stadtpfarre widerspräche, das schon 1688 diesen Paulus als Sohn des Andreas Kniebandt[207] Inwohner von Eisenstadt, aufweist; es wäre demnach ein sehr alter Knabe gewesen, mit dem sich wiederum »täglich ein Maß Wein« eher vereinbaren ließe. Als Schlußstein reiht sich das Decret des genannten Kapellmeisters (Capellae Magister) Wenzel Zivilhofer an; er bezog einen Jahresgehalt von 320 Fl. sammt Quartiergeld, täglich ein Maß Wein, ein Paar Semmeln, jährl. 4 Klafter Holz und das übliche sonstige Deputat. Sie Alle sind wie vordem verpflichtet, mit ihrem Talent dem Fürsten aller Orten, in der Kirche und bei der Tafel zu dienen, der Kapellmeister überdies als Componist und ausübender Musiker. Die jährliche Ausgabe für diese Musikkapelle (die Naturalien in Geldeswerth berechnet und die Gehalte des Probst und zweier Kapläne inbegriffen) betrug 3058 Fl. 14 Kr. rhn.
Fürst Michael starb zu Wien am 24. März 1721 und wurde am 28. in Eisenstadt in der Gruft seiner Väter beigesetzt. In Ermangelung eines männlichen Erben folgte ihm in der Regierung des Majorats sein Bruder Joseph, geb. am 12. Mai 1687, vermählt am 22. Mai 1707 mit Maria Octavia, Tochter des Reichsfürsten Georg Julius von Gilleis. Joseph's Regierung zählte nur nach Wochen; er starb schon am 7. Juni desselben Jahres.
Das Majorat kam nun an seinen Sohn Paul Anton, geb. am 22. April 1711. Da derselbe aber noch als unmündig unter Vormundschaft stand, regierte seine Mutter, der wir in Wien im Michaelerhause begegnet sind, wo sie gleichzeitig mit Haydn unter demselben Dache wohnte und auch daselbst am 24. April 1762 im 76. Lebensjahre starb.
Unter der Fürstin Maria Octavia wurde das früheste Conventional der fürstl. Musikkapelle angelegt und dieselbe reorganisirt; die jährlichen Ausgaben an Geld und Geldeswerth wurden zugleich auf 1479 Fl. 55 Kr., also unter die Hälfte des frühern Betrags, herabgedrückt. Der Stand der Kapelle war nun folgender: 1 Discantistin (Antonie Lindt), 1 Discantist (Paul Huszár, später Tenorist), 1 Altist (der Castrat Kniebandt), 2 Bassisten (Franz Payr, später Organist, und Joh. Georg Thonner). Des früheren Kapellmeisters geschieht keiner weiteren Erwähnung; auch kein Chorregent ist genannt, doch vertrat diesen Posten 7 Jahre lang aushülfsweise der erwähnte Bassist Thonner, der auch bei der Buchhalterei verwendet wurde und[208] erst 1761, 66 Jahre alt, starb. Das Orchester (2 Violinen, 1 Violon, 1 Fagott sammt Orgel) war ausschließlich durch die Brüder Lindt vertreten. Die Genannten bezogen reichliches Deputat, das ihren Gehalt in Geld häufig überstieg.8
Die wichtigste Ernennung unter der Fürstin war die eines Kapellmeisters, dessen Name vorerst nur aus den Quittungen ersichtlich ist. Die Nachrichten über diesen höchst eigenthümlichen Mann sind so spärlich, daß wir hier auch auf anscheinend geringfügige Einzelheiten Rücksicht nehmen müssen. Die Anstellung des Gregorius Josephus Werner als Kapellmeister datirt vom 10. Mai 1728; sein Gehalt betrug jährlich 400 Fl., nebst 28 Fl. Quartiergeld, nur zweimal während seiner langen Dienstzeit durch kleine Deputate ergänzt. Das Vorleben Werner's ist in tiefes Dunkel gehüllt; nichts deutet darauf hin, wo und wann er geboren und wo er seine Ausbildung genoß. Am nächsten liegt noch die Vermuthung, daß er, wenn auch nicht in Wien geboren9, sich doch daselbst nicht blos vorübergehend aufgehalten hat. Dafür spricht zunächst seine Burleske »Der Wiener Tandelmarkt«. Daß er etwa ein Schüler von Fux gewesen, dafür zeugen seine contrapunktischen Compositionen. Jedenfalls hat Werner diesen Meister hoch geschätzt, denn er schrieb sich dessen Missa canonica vollständig ab, wie er auch Messen von Caldara, Reutter u.A. copirte. Wie sehr sich Werner zu der strengen Schreibart hingezogen fühlte und sie mit seltener Ausdauer sich zu eigen zu machen bemühte, beweist seine noch vorhandene Abschrift eines im Jahre 1643 in Nürnberg erschienenen geschätzten Lehrbuchs der Tonkunst von J.A. Herbst.10 Laut Quittung des fürstl. Hausmeisters in Wien wurden Werner am 15. Juni[209] 1728 zwei Wagen für ihn und für sein Gepäck zur Fahrt nach Eisenstadt gestellt. Vorher aber besorgte er noch den Ankauf eines Violoncells für den jungen Fürsten beim kais. Hof-Lautenmacher Anton Posch und einige Instrumente für den Kirchenchor, wie auch die Copiatur verschiedener Kirchenmusikalien von Schmidt, Fux, Oettl, Reinhard, Ziani, Paumann und Caldara, deren Anschaffung nahezu 400 Fl. betrug. (Auch hier deuten die Namen auf genaues Vertrautsein mit Wiener Verhältnissen.) Werner war ein fleißiger Mann; kaum in Eisenstadt angekommen, fing er an für Kirche und Kammer zu componiren und jedes Jahr vermehrte die Zahl seiner Arbeiten, die er sogar selbst in die einzelnen Stimmen auszog und das grobe Papier dazu aus freier Hand selbst rastrirte. Bald nach seiner Anstellung muß Werner geheirathet haben; auch hierüber führten die Nachforschungen nicht zum gewünschten Resultat. Seine Frau, Elisabeth, war so weit musikalisch gebildet, daß sie im Stande war, selbst zu unterrichten. Bei der Taufe des ersten Sohnes, geb. 11. Jan. 1731, vertrat der Fürst Pathenstelle; beim nächsten Knaben ließen sich Philipp Werner und seine Frau, Anna Maria, (möglicherweise die Eltern Werner's) in absentia durch Einwohner von Eisenstadt vertreten. Es folgten noch mehrere Kinder, von denen aber nebst den genannten keines die Eltern überlebte. Die Frau starb am 22. Sept. 1753, alt 48 Jahre. Nach dem Tode der Sängerin Antonie Lindt (1736) hatte Werner auf kurze Zeit zur Haltung eines Discant-Jungen nebst 24 Fl. Lehrgeld ein ansehnliches Deputat; nachdem dieses entfiel, bezog Werner von Nov. 1738 angefangen für beständig an Naturalien jährlich 15 Eimer Wein (à 3 Fl.) und 15 Metzen Korn (à 1 Fl.), ferner seit 1740 für seinen Knaben Paul Anton, der in der Kirche den Alt sang, 50 Fl. Nach dem Tode desselben sang Werner selbst den Alt11 und bezog den genannten Extra-Gehalt fort. Im Jahre 1759 aber versagte seine Stimme gänzlich, nachdem schon vorher ihre Gebrechlichkeit die[210] Anstellung einer Sängerin erheischte. In der Mitte der 40er Jahre wurden Werner jährlich vier Kremnitzer Ducaten (= 16 Fl. 80 d.) bewilligt zum Druck der Textbücher seiner Charfreitags-Oratorien, die seit 1729 alljährlich in der Schloßcapelle, beim h. Grabe in der Capelle der hochadeligen Chorfrauen bei St. Joseph (das spätere sogenannte Darmstädtische Haus) und auch in der Spitalscapelle abgesungen wurden. (Die letzte Quittung datirt Febr. 1761.) Im Jahre 1735 widmet Werner dem aus Frankreich zurückgekehrten Fürsten, der sich am 26. Dec. 1734 zu Luneville mit Maria Anna Louise, Marchesa von Lunati Visconti, vermählt hatte, ein größeres Werk, 6 Symphonien und 6 Sonaten für 2 Violinen und Baß umfassend; die umständliche und unterwürfige Dedication giebt zugleich in dem damals unvermeidlichen Chronogramm die genannte Jahreszahl. Im Nov. 1738 bittet Werner, der Fürst wolle »einige neue musikalische Stücke, 5 Symphonien und 1 Imitations-Concert aus denen ital. Sing-Arien« in Gnaden annehmen. Ihre Vorlage hatte noch einen besondern Grund: Werner unterbreitet zugleich die Klage, daß die ihm gnädigst bewilligten 15 Eimer Wein (Eisenstädter Hamb, d.i. Ausmaß) ihm, »aber gewiß nicht absichtlich, sondern aus Versehen«, in heurigem (diesjährigem) Bergrecht-Wein ausgeliefert wurden, während doch alle andern Hofmusici einen dergleichen alten Wein beziehen; er bittet daher demüthig um Abhülfe, da ihm »wegen vielfältig sitzender Arbeit ein dergleichen junger unverjährter Wein an der Gesundheit höchst schädlich seye«; solcher Gnade sich würdig zu zeigen, werde mit unermüdetem Fleiße bemüht sein Sr. hochfürstl. Durchlaucht »unwürdiger Capellmaister«. Da wir diesem wunderlichen Manne mit seiner anspruchslosen Treue und seinem derbbiedern Wesen nochmals begegnen werden, nehmen wir für diesmal von ihm Abschied. Der Ausspruch Lessing's: »Viele sind berühmt, viele verdienen es zu sein«, trifft bei Werner insofern zu, als er jedenfalls das Zeug dazu hatte, unter andern Verhältnissen eine hervorragendere musikalische Stellung einzunehmen, als ihm beschieden war. Haydn war hierin glücklicher; die Zeiten hatten sich geändert, er konnte sich mit tüchtigen Musikern umgeben und sein Fürst lebte sozusagen nur für die Kunst und ließ es nicht an Anregung fehlen. Wie sehr Haydn seinen Vorfahr im Amte schätzte, obwohl ihn Werner einen »Modehansl«[211] und »G'sanglmacher« nannte, werden wir noch erfahren.12 –
Paul Anton wurde im Jahre 1734 großjährig und trat somit das fürstliche Majorat an. Für unsere Aufgabe gewinnt seine Person eine besondere Bedeutung. Seine Mutter hatte in ihm unleugbar Sinn und Liebe für die Tonkunst genährt; er spielte auch selbst Violine und Violoncell und scheint er einen der genannten Brüder, den Violinisten Joseph Lindt, von dem eine Rechnung für Instrumenten-Zurichtung vorliegt13, zum Lehrer gehabt zu haben. Sein Interesse für Musik bezeugen vornehmlich noch vorhandene zahlreiche, von ihm in Wien, Dresden, Mailand, Rom und Neapel gesammelte Partituren von Opern, Serenaten, Pastoralen und Instrumentalwerken, über welche ein von Champée, Violinisten im Orchester der franz. Komödie im Theater nächst der Burg (siehe die Chronik) im Jahre 1759 verfaßter, kalligraphisch ausgearbeiteter und dem[212] kunstsinnigen Fürsten gewidmeter Katalog in franz. Sprache ebenfalls sich erhalten hat. Der Vermählung des Fürsten mit der Marchesa von Lunati Visconti aus Lothringen wurde schon gedacht. Die Ehe blieb kinderlos; die Fürstin starb zu Eisenstadt am 4. Juli 1782. Im Jahre 1750 übernahm der Fürst den Gesandtschaftsposten am neapolitanischen Hofe; vor und nach dieser Zeit hatte er sich im Erbfolge- und im siebenjährigen Kriege hervorgethan und stieg bis zur Würde eines Feldmarschalls. Zweimal stellte er seiner Monarchin ein ganzes wohlausgerüstetes Husarenregiment unentgeltlich zur Verfügung. In der reichverzierten Uniform seines Regiments, im blauen Dolman und geschmückt mit dem Ritterorden des goldenen Vließes sehen wir ihn denn auch im Schlosse zu Forchtenstein abgebildet, umgeben von 80 Offizieren seines Regiments in ebenso viel einzelnen nach dem Leben porträtirten Oelgemälden. Nahezu drei Jahrzehnte stand die Musikkapelle unter der Obhut dieses Fürsten; wir sehen sie in diesem Zeitraume stetig, wenn auch langsam vorwärts schreiten, doch bewegte sie sich immer noch in bescheidenen Dimensionen, eben groß genug, um den Kirchendienst und die Tafelmusik zu versehen und etwa mit Beiziehung von italienischen Sängern aus Wien ein Familienfest im fürstl. Hause mit einem größeren dramatischen Werk zu verherrlichen. So wurde im Jahre 1755 zum Geburtstag des Fürsten im Schlosse eine Ecloga Pastorale von Abbate Giov. Claudio Pasquini, Musik von Francesco Maggiore, aufgeführt, von der noch Textbuch und Partitur vorhanden sind. Daß diese kleine Kapelle im Stande war, auch Werner's Oratorien und Messen auszuführen, zeugt von der Tüchtigkeit jedes Einzelnen.
Kurz nach des Fürsten Regierungsantritt wurde das Orchester zum erstenmale mit Flöte, Oboe, Posaune und Pauke verstärkt und wer außerdem im Haushalt des Fürsten zu singen oder ein Instrument zu spielen verstand, sah sich, mit oder ohne seinen Willen, nach Bedarf in die Kapelle eingereiht.14 So[213] finden wir namentlich in den 50er Jahren mehrere Kanzleibeamte gleichzeitig als Musiker genannt. Bei der Tafelmusik und auf dem Chor halfen auch die Schullehrer der benachbarten Oerter Groß- und Klein-Höflein als Fagottisten aus; der Schloß-Schulmeister Jos. Diezl sang im Chor als Tenorist und war auch bei der Feldmusik eingereiht, und sein Weib war zugleich gehalten, den Kapellenchor zu frequentiren. Im Jahre 1754 war der Unterhalt der Kapelle (incl. Naturalien in Geld berechnet)15 auf 2723 Fl. gestiegen. Den höchsten Gehalt bezog merkwürdigerweise der Pauker Adamus Sturm (sammt Naturalien 285 Fl.); ihm zunächst die beiden Oboisten Karl Braun und Anton Kreibig (200 und 227 Fl.). Durchschnittlich bezog jeder Musiker damals jährlich außer dem Gehalt in Geld an Naturalien 300 Pfd. Rindfleisch, 1 Stück Schwein, 9 Eimer Wein, 30 Pfd. Schmalz, 12 Metzen Korn und Weizen, 40 Pfd. Salz, 30 Pfd. Kerzen, 6 Klafter Holz und die übliche Aushülfe für die Küche. Der genannte Adamus Sturm (gest. 1771) diente dem Fürstenhause bei 30 Jahren und war, wie noch die erhaltene, obwohl stark verwitterte Grabschrift zeigt16, einer jener wunderlichen Käuze, deren die Kapelle zu jeder Zeit Mehrere aufzuweisen hatte.
Am 1. Jan. 1759 erhielt das Sängerpersonal der Kapelle den bis dahin bedeutsamsten Zuwachs: Der bereits in der Chronik genannte Karl Friberth wurde als »Tenorist und Hofstaat-Musikus« angestellt; genau ein Jahr später, am 1. Jan. 1760, fand die Aufnahme der ihm ebenbürtigen Discantistin, Anna Maria Scheffstos als »Chor- und Cameral-Singerin« statt.[214] Der Fürst, erst jetzt stätig sich in Eisenstadt aufhaltend, war offenbar im besten Zuge, seine Kapelle zu verbessern. Der früher erwähnte Besuch beim Grafen Morzin und die Bekanntschaft mit Haydn's Compositionen mochte ihn vollends darauf aufmerksam gemacht haben, daß sein bereits alternder und kränkelnder Kapellmeister nicht mehr im Stande war, erhöhten Anforderungen zu genügen. Ein Ersatz war dringend geboten. Und wie im Leben die Umstände oft wunderbar ineinander greifen, so traf es sich auch hier, daß in eben diese Zeit die Auflösung der Morzin'schen Kapelle fiel. Der Fürst griff rasch zu und versicherte sich der Person des frei gewordenen gräfl. Musikdirectors, dem das dargebotene neue Asyl um so erwünschter sein mußte, als es ihn so unerwartet von der Sorge um den kaum erst errichteten eigenen Hausstand befreite.17[215]
Ueber die vorausgegangenen Verhandlungen liegt zwar nichts Näheres vor, doch hat sich uns die in Wien am ersten Mai 1761 ausgefertigte »Convention und Verhaltungs-Norma« (Beil. V.) erhalten, die uns mit ihren vierzehn Paragraphen einen reichen Ersatz bietet. Demnach (§. 1) wurde »Er Joseph Heyden« als Vice-Kapellmeister in die Dienste des Fürsten Esterhazy dergestalt aufgenommen, daß, während der bisherige Kapellmeister Gregorius Werner, »obwohl er hohen Alters und Kränklichkeit halber nicht wohl im Stande ist, seiner Pflicht gehörig nachzukommen, er dennoch in Ansehung seiner langjährigen, treu und emsig geleisteten Dienste als Ober-Kapellmeister verbleibt« und Joseph Haydn ihm, was die Kirchenmusik betrifft, subordinirt sein wird. In allen andern Fällen aber, wo immer Musikaufführungen stattfinden, werden sämmtliche Musiker an ihren Vice-Kapellmeister angewiesen. (Diese Ordnung zielt bereits auf eine vermehrte Thätigkeit der Kapelle, auf dramatische und auf Orchester- und Kammermusik-Aufführungen.) §. 2. Von dem nunmehr als Hausofficier angesehenen und gehaltenen Vice-Kapellmeister wird erwartet, daß er sich nüchtern und mit den ihm untergebenen Musikern nicht brutal, sondern bescheiden, ruhig und ehrlich aufzuführen wissen wird, wie es dem ehrliebenden Hausofficier eines fürstl. Hofstaates wohl ansteht. Daß ferner bei Productionen vor der hohen Herrschaft Er Vice-Kapellmeister sammt den Musikern allezeit in Uniform und nicht nur Er Joseph Heyden selbst sauber erscheine, sondern daß er auch seine Untergebenen dazu anhalte, daß sie ihrer ertheilten Vorschrift gemäß in weißen Strümpfen, weißer Wäsche, eingepudert und entweder in Zopf oder Haarbeutel, jedoch Alle durchaus gleich, sich sehen lassen. §. 3. Da die Musiker an ihn als ihren Vice-Kapellmeister angewiesen sind, wird Er Joseph Heyden sich um so exemplarischer aufführen, damit dieselben an seinen guten Eigenschaften ein Beispiel nehmen können, daher er auch jede Familiarität, Gemeinschaft in Essen, Trinken und andern Umgang zu vermeiden hat, um den ihm gebührenden Respect[216] nicht zu vergeben, sondern aufrecht zu erhalten und die Untergebenen zur schuldigen Parition um so eher zu vermögen, je unangenehmer etwaige Uneinigkeiten die Herrschaft berühren müßten. §. 4. Solle Er jede anbefohlene Composition sofort ausführen, jedoch Niemanden mittheilen, noch weniger abschreiben lassen, auch ohne eingeholte Erlaubniß für Andere nichts componiren. §. 5. Hat Er Joseph Heyden alltäglich in Wien oder auf den Herrschaften Vor- und Nachmittags im Antichambre zu erscheinen und abzuwarten, ob eine Musik anbefohlen sei und dafür zu sorgen, daß alle Musiker zu rechter Zeit erscheinen und zu spät Kommende oder gar Abwesende zu notiren. §. 6. Wird Er etwaige Uneinigkeiten und Beschwerden unter den Musikern nach Möglichkeit zu schlichten trachten, um der hohen Herrschaft in unbedeutenden Fällen keine Ungelegenheit zu verursachen, und nur dann, wann etwas besonderes vorfalle, welches Er Joseph Heyden nicht selbst im Stande sei, auszugleichen oder zu vermitteln, darüber an die hochfürstl. Durchlaucht berichten. §. 7. Hat Er Vice-Kapellmeister auf Erhaltung der Musikalien und musikalischen Instrumente zu achten und für dieselben zu haften. §. 8. Wird Er Joseph Heyden gehalten, die Sängerinnen zu instruiren, damit sie das in Wien mit Mühe und Unkosten von vornehmen Meistern Erlernte auf dem Lande nicht wieder vergessen; auch habe er sich selber in unterschiedlichen Instrumenten, deren er kundig ist, brauchen zu lassen. §. 9. Wird ihm eine Abschrift der Convention und Verhaltungs-Norma zugestellt, damit er seine ihm Untergebenen darnach anzuhalten wisse. §. 10. Uebrigens lasse man all' seine schuldigen Dienste seiner Geschicklichkeit und seinem Eifer über und erachte es um so weniger nöthig, jene zu Papier zu setzen, als die durchlauchtige Herrschaft ohnedem gnädigst hoffet, daß Er Joseph Heyden jederzeit und aus eigenem Antrieb nicht nur obenerwähnte Dienste, sondern auch alle sonstigen Befehle, die ihm nach Erforderniß in Zukunft aufgetragen werden sollten, aufs genaueste beobachte, wie auch das Orchester auf solchem Fuß und in so guter Ordnung erhalte, daß es ihm zur Ehre gereiche und er sich der fernern fürstlichen Gnade würdig machen werde. In Voraussetzung dessen werden ihm (§. 11) jährlich 400 Fl. rhn. von der hohen Herrschaft hiermit accordiret und solle (§. 12) Er Joseph Heyden überdies auf denen Herrschaften den Officierstisch[217] oder einen halben Gulden tägliches Kostgeld erhalten. (Im Conventional ist auch »jährlich eine Uniform« verzeichnet.) Ist (§. 13) diese Convention mit ihm Vice-Kapellmeister vom 1. Mai 1761 angefangen wenigstens auf drei Jahre dergestalt beschlossen worden, daß, im Fall Er Joseph Heyden nach dieser Zeit sein Glück weiters machen wolle, er seine diesfällige Intention ein halbes Jahr voraus kund zu machen schuldig sei. Ingleichen verspricht die Herrschaft (§. 14) ihn Joseph Heyden nicht nur in der gegebenen Frist in Dienst zu behalten, sondern solle ihm auch nach geleisteter vollkommener Satisfaction die Exspectanz auf die Ober-Kapellmeisterstelle zu Theil werden, widrigenfalls es aber der hohen Herrschaft allezeit frei steht, ihn auch während der Dienstzeit zu entlassen. –
Dieses Document bedarf keines Commentars; es gewährt uns einen gründlichen Einblick in die Hausordnung dieser, später so berühmt gewordenen Musikkapelle. Viel wird von Haydn verlangt: er soll Dirigent, Componist, Schiedsrichter, Aufseher und Instructor zugleich sein; im Uebrigen erwartet man von seinem Eifer, daß er die Kapelle auf eine Höhe bringe, die ihm zur Ehre gereiche. Nun! diese Erwartung hat der »ehrliebende Hausofficier« in glänzender Weise erfüllt. Das Fürstenhaus bot ihm ein Gastgeschenk – Er ließ dafür ein schöneres zurück. Mit seinem Eintritt war auch die Stätte geweiht, und nun: »Nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine That dem Enkel wieder.« Wohl selten hat sich das Wort des Dichters so glänzend bewahrheitet.
Das stete Er, womit der neue Kapellmeister apostrophirt wird, hatte zu jener Zeit durchaus nicht das Abstoßende und Verletzende18, das unsere Zeit demselben beilegt. Auch Friedrich der Große bediente sich desselben seinem neuen Kapellmeister Reichardt gegenüber, den er anfangs sogar mit »Ihr« (das dem Unterthan galt) anredete. Mit seinen Musikern, selbst mit denen, die ihm täglich accompagnirten und zu denen die vorzüglichsten Künstler zählten, machte der König wenig Federlesens. »Laßt die Musikanten herein!« herrschte er die dienenden[218] Kammerhusaren an.19 Gleich diesem »Er« heißt es jahrelang in den Amtsberichten des fürstl. Wirthschaftsrathes und in den Verordnungen des Fürsten kurzweg »der Hayden«. Es bedurfte des Anstoßes von außen, um hier eine Aenderung zu erzielen, denn als nach seiner Rückkehr von London dem ruhmgekrönten Manne diese Mißachtung von Seite des damaligen Fürsten denn doch zu viel wurde und er sich darüber bei seiner hohen Gönnerin, der Fürstin Maria Josepha Hermenegild bitter beklagte, hieß es von da an in Dienstangelegenheiten immer: »Herr von Haydn« und öfters auch »Wohledelgeborner« oder »Lieber Kapellmeister von Haydn«.
Haydn's körperliche Erscheinung können wir uns schon jetzt gegenwärtig halten. Wir haben ihn uns in Uniform zu denken, im lichtblauem Frack mit silbernen Schnüren und Knöpfen, Weste ebenfalls hellblau und mit Silberborden besetzt, nebst gestickter Halskrause und weißer Halsbinde. So stellt ihn ein, etwa gegen Ende der 60er Jahre verfertigtes Oelgemälde (wahrscheinlich von Grundmann) in Esterház dar, in dem ihm jedoch stark geschmeichelt ist. Der überlieferten Beschreibung entspricht zunächst weit eher ein ums Jahr 1770 auf Holz gemaltes Bild von J.A. Gutenbrunn, das in einem vorzüglichen Kupferstiche (in Punktirmanier) von Luigi Schiavonetti in London, und einer lithographirten Nachbildung bei Paterno in Wien erschien. (Ein Nachstich von J. Jenkins, bei Thomas Kelly in London, hat keinen künstlerischen Werth.) Haydn erscheint hier im Civilanzuge etwas vorwärts gebeugt vor einem Clavier sitzend; seine Linke ruht auf den Tasten des Instrumentes, während die leicht erhobene Rechte eine Feder hält und er träumerisch ernst seinen Ideen nachzusinnen scheint. Wie immer, auch außer Dienst, trägt sich Haydn hier einfach und reinlich; also gekleidet, war er zu jeder Minute vorbereitet, Gäste zu empfangen oder vor seinem Fürsten erscheinen zu können.
Die besten Porträts von Haydn bestätigen, was Dies und Griesinger und Andere über Haydn's Erscheinung berichten. Seine Statur war etwas unter mittelmäßiger Größe, stämmig und von derbem Knochenbau; auch schien die untere Hälfte der Figur[219] zu kurz gegen die obere, wozu seine Art sich zu kleiden beitragen mochte. Seine Gesichtszüge waren ziemlich regelmäßig, voll und stark gezeichnet und hatten etwas Energisches, fast Herbes, konnten aber im Gespräch durch den Blick und ein anmuthiges Lächeln einen überaus milden und lieblichen Ausdruck gewinnen. Im gewöhnlichen Umgang sprach aus der ganzen Physiognomie und Haltung Bedächtlichkeit und ein sanfter Ernst, der eher zur Würde hinneigte. Laut lachen hörte man ihn nie. Der Blick war beredt, lebhaft, doch mäßig, gütig und einladend; aus diesen dunkelgrauen Augen sprach die reinste Herzensgüte, die nur Wohlwollen kannte. »Man mag mir's ansehen, daß ich's mit Jedermann gut meine«, sagte Haydn von sich selber. Die Stirne war breit und schön gewölbt, erhielt aber ein sehr kurzes Verhältniß durch die Art, wie Haydn seine Perücke trug, welche, nur zwei Finger breit über den Augenbraunen entfernt, den obern Theil der Stirne verdeckte. Dieser Perücke mit Zopf und einigen Seitenbuckeln bediente sich Haydn Zeitlebens; die Mode hatte keinen Einfluß auf die Form, Haydn blieb ihr treu bis in den Tod. Da der Meister an einem Polypen litt (wie wir gesehen haben, ein Erbtheil seiner Mutter), so war der untere Theil der Nase unförmlich aufgetrieben und obendrein, wie alle übrigen stark gebräunten Gesichtstheile, mit Pockennarben bedeckt. Dazu trat noch eine derbsinnliche, vorragende Unterlippe und ein massiv breiter Unterkiefer. Haydn's Kopf bot somit ein wunderliches Gemisch von Anziehendem und Abstoßendem, Genialem und Trivialem, welches Lavater, der in seiner Porträtsammlung auch Haydn's Schattenriß besaß, zu der Charakteristik veranlaßte:
»Etwas mehr als Gemeines erblick' ich im Aug' und der Nase
Auch die Stirne ist gut; im Mundo 'was vom Philister.«
Haydn hielt sich selbst für häßlich und begriff es daher um so weniger, daß er in seinem Leben von so manchem schönen Weibe geliebt worden sei. »Meine Schönheit konnte sie doch nicht verleiten?!« So äußerte er schalkhaft, er, der gleichzeitig freimüthig eingestand, daß er hübsche Frauen immer gern gesehen habe und der ihnen auch immer etwas Artiges zu sagen wußte.
Haydn sprach im breiten österreichischen Dialekt; die Stimme[220] klang mehr hoch als tief und näselte etwas in Folge des erwähnten Uebels. In der französischen Sprache hatte er wenig Fertigkeit, dafür aber sprach er italienisch geläufig und gerne. Bereits ein Sechziger, veranlaßte ihn der Aufenthalt in London, sich auch mit der englischen Sprache vertraut zu machen. Latein hatte er soweit inne, um seinen Fux'schen Gradus ad Parnassum im Original studiren und die Meßtexte seiner Kirche musikalisch bearbeiten zu können. Der ungarischen Sprache war Haydn trotz seines langjährigen Aufenthalts im Lande der Magyaren nicht mächtig, da in jenen Orten, wo er lebte, vorwiegend deutsch gesprochen wurde; im fürstlichen Hause war ebenfalls deutsch die Hofsprache und nur die Dienerschaft sprach unter sich in der Landessprache.
Obwohl mehr ernster, ruhiger Gemüthsart, liebte es Haydn, dem Gespräch eine launige Wendung zu geben und gelegentlich auch eine heitere Anekdote einzuflechten. Seine natürliche Bescheidenheit ließ es nicht zu, daß die mächtigsten Triebfedern, die ihn beseelten, Ehre und Ruhm, bei ihm in Ehrsucht ausarteten. Er betrachtete sein Talent nicht als sein eigenes Werk, sondern als ein Geschenk des Himmels, dem er sich dankbar bezeigen zu müssen glaubte, womit auch seine Religiosität im Einklange stand. Den Kindern war Haydn von Herzen zugethan und diese wieder hingen an ihrem »Haydn-Papa« (wie sie ihn nannten) mit ganzer Seele. Haydn hatte auch immer in seinen Taschen Süßigkeiten in Bereitschaft und jeder Gang ins Freie bot ihm Gelegenheit zu neuen Eroberungen unter der dankbaren Kinderschaar. Von Haydn's glücklicher Gabe, seine Schalksnatur, seine humoristische Laune auf seine Compositionen zu übertragen, werden wir zahlreiche Beispiele kennen lernen. Seines eigenen Werthes war er sich wohl bewußt und freute ihn ein aufrichtiges Lob, doch vertrug er keine Schmeichelei und zeigte sich in solchen Fällen selbst schroff. Wohlwollend gegen Jedermann, war er wohl auch empfindlich, wenn er merkte, daß man seine Güte mißbrauchen wollte; er wurde dann selbst reizbar und ließ seiner Ironie freien Lauf.
Soviel einstweilen im Allgemeinen über Haydn's Persönlichkeit, wie sie uns in den mittlern Jahren seines Lebens entgegentritt.
Am 18. März 1762 starb Paul Anton. In Ermangelung[221] leiblicher Erben folgte ihm in der Regierung sein Bruder Nicolaus Joseph (gewöhnlich nur mit dem ersten Taufnamen genannt). Dieser Fürst, dem man wegen seiner vorherrschenden Liebe zu Pracht- und Glanzentfaltung, gleich Lorenzo di Medici. den Beinamen »der Prächtige« gab, war am 18. Dec. 1714 geboren und seit 4. März 1737 vermählt mit der Freiin Marie Elisabeth, Tochter des Reichsgrafen Ferdinand von Weißenwolf. Haydn versah sein Amt nahezu drei Jahrzehnte unter Nicolaus, der ihm der sympathischste der vier Fürsten war, denen er im Verlauf von fast einem halben Jahrhundert diente. Wir müssen ihm daher ganz besondere Aufmerksamkeit schenken.
Fürst Nicolaus, der unter Maria Theresia im Jahre 1770 den Marschallsstab empfing, war ein leidenschaftlicher Freund der Kunst und Wissenschaft auf fast allen Gebieten derselben. Edelmuth, Herzensgüte und Wohlwollen waren die hervorragendsten Eigenschaften seines Charakters. Auch wenn wir diese Vorzüge nicht schon durch seine Handlungen bestätigt fänden, müßten wir ihn im Bilde lieb gewinnen, das ihn, in der Inhaber-Uniform seines Infanterie-Regiments, geschmückt mit dem Commandeurkreuz des Maria-Theresia-Ordens und dem goldenen Vlies-Orden, als einen Mann von zierlichem Wuchs und edler Haltung, von frischer Gesichtsfarbe und freundlichem mildem Ausdruck in den sein geschnittenen Zügen so anziehend darstellt.20 Des Fürsten Erscheinen bei Hoffestlichkeiten war glänzend; der Reichthum an Juwelen, mit denen seine Uniform bedeckt war, wurde sprichwörtlich. Seine Besuche in Wien aber wurden später immer seltener; der Aufenthalt daselbst wurde ihm nachgerade verhaßt. Rasch und oft unerwartet verließ er die Stadt und zog sich auf eines seiner Schlösser, am liebsten nach Esterház zurück, wo er der Kunst lebte und zur Erholung der Jagd und dem Fischfang nachging.
Seine Kapelle fand in ihm einen gerechten und zur Unterstützung[222] stets bereiten Herrn. Während der ganzen Dauer seiner Regierung bilden die Protokolle, meistens mit dem Wahlspruch beginnend: »Gott mit Uns!« eine fortgesetzte Kette von Erledigungen, auf Geld- und Naturalien-Anweisungen Bezug nehmend; nur selten findet sich ein abschlägiger Bescheid. Doch wußte der Fürst nöthigenfalls auch Strenge zu üben und einzelne Mitglieder wegen Dienstvergehungen oder respectwidrigen Betragens halber selbst mit Arrest zu bestrafen. Seine Güte jedoch kannte keinen andauernden Groll; der Bestrafte war bald wieder der Beschenkte. Sein persönliches Interesse an den Musikproductionen war von wesentlichem Einfluß auf deren Vorzüglichkeit. Die schon von seinem Vorgänger angestrebten erhöhten Ansprüche auf die Leistungen seiner Kapelle fanden in regelmäßigen Gesammtproben, in Kammermusik-Uebungen und bald auch in der Lösung dramatischer Aufgaben ihren Ausdruck. Der Fürst selber spielte mit Vorliebe das Baryton, ein nun längst verschollenes, durch das praktischere Violoncell verdrängtes Saiteninstrument, für das bekanntlich Haydn eine Reihe Compositionen schrieb und das wir eingehender noch werden kennen lernen.
Das Verhältniß Haydn's zu diesem Fürsten, der, kaum zur Regierung gelangt, seinen Gehalt um die Hälfte erhöhte und den Meister noch im Tode großmüthig mit einer Pension bedachte, war ein ungetrübt herzliches. Der Fürst gab seinem Kapellmeister wiederholte Beweise seiner Werthschätzung und Zufriedenheit und seine Theilnahme ermunterte ihn zu immer größeren Schöpfungen. Wohl entschlüpften dem Meister hin und wieder Klagen über seine Abgeschiedenheit und sehnsüchtig waren seine Blicke immer wieder auf Italien gerichtet, doch ein Wort, ein gelegentliches in zarter Weise ertheiltes Geschenk beschwichtigte ihn rasch und fester wie zuvor hielt er fest zu seinem Herrn, bei dem er, wie er ja selbst sagte, »zu leben und zu sterben« wünschte. Und diese Worte des Mannes hallten noch in der Brust des Greises wieder, der in den letzten Lebenstagen mit dankbarem Herzen des »gütigen und großmüthigen« Fürsten Nicolaus gedachte.
Wie sehr wurde Haydn von seinem Bruder Michael um diese fürstliche Huld und anregende Theilnahme beneidet. »Gebt mir Texte (sagte er oft) und verschafft mir die ermunternde[223] Hand, wie sie über meinem Bruder waltet, und ich will nicht hinter ihm zurück bleiben.« – Man hat es versucht, das Verdienst des fürstlichen Hauses um das geistige und leibliche Wohl Haydn's abzuschwächen: Haydn sei ausgenutzt wor den, er habe seine Kraft bei Ueberbürdung von Aufgaben, die weit öfter den Stempel von Gelegenheits- als von Compositionen tieferen Gehaltes annehmen mußten, nutzlos verschwendet; er habe durch seine Abgeschiedenheit jeden Maßstab verloren, sein Talent zu messen und sei seine Anstellung überhaupt ihm eher hinderlich als fördernd gewesen. Manches trifft allerdings zu und ist zu beklagen. Dennoch aber muß man es dem fürstlichen Hause Dank wissen, daß es dem Meister einen entsprechenden Wirkungskreis bot, obendrein zu einer Zeit, da sein Name noch keineswegs bekannt war. Die angeführten Schattenseiten boten auch ihre Vortheile. Eben diese Abgeschlossenheit trug zur Originalität des Meisters bei. Neue Erscheinungen in seiner Kunst blieben ihm trotzdem nicht fremd; sie fanden ihren Weg nach Ungarn oder der Meister lernte sie bei seinen Besuchen in Wien kennen. Keinem andern Kapellmeister stand so unumschränkt zu jeder Stunde sein Orchester zu Gebote, um eben fertig gewordene Compositionen zu probiren und sich ihrer Wirkung zu versichern. Haydn selber war weit davon entfernt, jeder Arbeit eine Bedeutung beimessen zu wollen; was er für werth hielt, das fand seinen Weg auch ins ferne Ausland. Es ist eine grundfalsche, noch in neuester Zeit immer wieder ausgesprochene Ansicht, als habe erst die Reise nach London die Welt auf ihn aufmerksam gemacht. Haydn's Name war im Gegentheil schon im 70. und 80. Jahrzehnt allüberall bekannt und geschätzt. Von allen Seiten kamen ihm Aufträge von Verlegern zu und war er es, der ihnen Bedingungen vorschrieb. Allerdings konnte er nicht von Ueberfluß reden, aber an der Seite einer weniger verschwenderischen Frau wäre seine pekuniäre Lage noch immer eine mehr zufriedenstellende gewesen. Wo war der Fürst, der, gleich Nicolaus, dem von Haydn so hoch verehrten Mozart ein Haus aufgebaut, der ihn der jammervollen Nothwendigkeit des Lectionengebens enthoben hätte? Haydn selber war mit seiner äußern Lage zufrieden und obwohl sein eigener Ausspruch über dieselbe mehr der Zeit angehört, die er erst später vorzugsweise in Esterház verlebte, dürfen wir denselben[224] doch auch auf die erst verlebten Jahre in Eisenstadt und auf seine Stellung überhaupt beziehen, über die er sich zu Griesinger (S. 24) äußert: »Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden.«
Längst schon, nachdem Haydn's Name weltberühmt war, blendeten ihn die genossenen Ehren so wenig, daß er nach wie vor im persönlichen Verkehr mit Fürsten und mit dem höchsten Adel stets eine gewisse Grenze inne zu halten wußte. Auch hierüber äußerte er sich zu Griesinger (S. 103): »Ich bin mit Kaisern, Königen und vielen großen Herren umgegangen und habe manches Schmeichelhafte von ihnen gehört: aber auf einem vertraulichen Fuße will ich mit solchen Personen nicht leben und ich halte mich lieber zu Leuten von meinem Stande.« Man hat noch in jüngster Zeit Haydn einen »fürstlichen Bedienten« genannt. Diese Bezeichnung ist ungerecht; soll man darunter eine Creatur verstehen, die sich vor ihrem Vorgesetzten nur zu krümmen weiß, so war Haydn das grade Gegentheil. Er war sich seines Werthes sehr wohl bewußt und hatte nicht nöthig, im Umgang mit Hochgestellten sich etwas zu vergeben. Von zahlreichen Beispielen, die das Gehässige des angeführten Ausdrucks widerlegen können, diene hier zum Beleg eine Anekdote aus dem spätern Leben Haydn's, die mehrere, seither verstorbene Mitglieder der Kapelle miterlebten und übereinstimmend erzählten. Bei einer Generalprobe, der Fürst Nicolaus (d.h. der im Jahre 1794 zur Regierung gelangte) beiwohnte, machte derselbe einige tadelnde Bemerkungen. Gereizt erwiderte Haydn: »Fürstliche Durchlaucht! dies zu verstehen, ist meine Sache.« Da erhob sich der Fürst und, seinem Kapellmeister einen ungnädigen Blick zuwerfend, verließ er den Saal zum Schrecken der Musiker, die alle mit begeisterter Liebe an Haydn hingen.21[225]
Der Stand der fürstl. Musikkapelle war zur Zeit, als sie Haydn übernahm, nichts weniger als bedeutend. Wenn Carpani von einem »großen« oder »auserlesenen und zahlreichen Orchester« spricht22, so hat er dabei die später selbst erlebte glänzendste Periode der Kapelle vor Augen. Sie zählte beim Eintritte Haydn's 3 Violinisten und je 1 Cellisten und Contrabassisten; die Bläser wurden von der Feldmusik herübergeholt. Der Chor (wenn man ihn bei diesem so geringen Zahlenstand überhaupt so nennen darf) war aus 2 Sopran, 1 Alt, 2 Tenor und 1 Baß zusammengestellt. Dieses Gesangspersonal bildete zugleich (mit Ausnahme des Tenoristen Friberth) den Kirchenchor, der zur Begleitung außer dem Organisten nur 2 Violinen, 1 Violoncell und 1 Violon hatte. In demselben Monat, in dem Haydn eintrat, wurden als »neue Musici« 2 Oboisten und 2 Fagottisten und bald darauf auch 1 Flötist und 2 Waldhornisten neu aufgenommen; außerdem noch ein Violinist23 und der einzige Cellist Sig. Gstettner durch neue Mitglieder ersetzt und die Kapelle mit zwei weiteren Violinspielern vermehrt.
Bei Uebernahme der Kapelle durch Fürst Nicolaus wurde dieselbe am 1. Juli 1762 regulirt und zugleich die von Paul Anton hinausgegebene Vorschrift und Verhaltungs-Norma (wie sie auch Haydn's Decret um faßt) bestätigt und auf sie hingewiesen. Es begann nun für die Kapelle gleichsam eine neue Epoche; bisher fast nur auf den Kirchendienst und auf die Tafelmusik beschränkt, traten, wie oben erwähnt, größere Orchester-, Kammer- und Theatermusik in den Vordergrund. Die Kapelle zählte nun folgende Mitglieder:
[226] Violinisten:
Luìgi (Aloysius) Tomasini. Franz Guarnier.
Joh. Georg Heger. Franz Nigst (zugleich Kastner, d.i. Rentmeister). Joh. Adam Sturm.
Violoncellist:
Joseph Weigl.
Contrabassist:
Anton Kühnel.
Flötist:
Franz Sigl.
Oboisten:
Joh. Michael Kapfer. Joh. Georg Kapfer.
Fagottisten:
Joh. Hinterberger. Joh. Georg Schwenda (zugleich Violonist).
Waldhornisten;
Joh. Knoblauch. Thadäus Steinmüller.
(Die 6 Letztgenannten bildeten zugleich die Feldmusik.)
Discantistinnen:
Anna Maria Scheffstos (nachmals verehelichte Weigl). Barbara Fux (nachmals verehelichte Dichtler).
Altistin:
Eleonore Jäger.
Tenoristen:
Karl Friberth. Jos. Diezl.
Bassist:
Melchior Grießler (zugleich Violinist).
Organist:
Johann Novotny.
Tomasini und Heger ausgenommen, die anfangs nur 260 und 150 Fl. bezogen, hatte jedes Orchestermitglied 240 Fl. Jahresgehalt und alle Jahre eine Uniform nach Vorschrift oder 60 Fl., nebst Naturalien, jedoch mit dem ausdrücklichen Zusatz: »daß dieselben sich mit solchem Gehalt begnügen und Uns nicht mehr beunruhigen sollen«. Jedes der Feldmusik zugetheilte Mitglied hatte endlich noch zur Zeit der Anwesenheit zu Eisenstadt, Kitsee oder auf andern fürstlichen Herrschaften täglich 17 Kr. Kostgeld.
Haydn hatte nun alle Hände voll zu thun; Instrumente wurden nachgeschafft und ausgebessert, Musikalien und Kästen zu deren Aufbewahrung angeschafft, eine provisorische Bühne errichtet, Compositionen geliefert, Proben abgehalten, Streitigkeiten geschlichtet und Bittgesuche an den Fürsten begutachtet und befürwortet. Und wie bescheiden und zaghaft wagt der junge Kapellmeister die fürstliche Kasse in Anspruch zu nehmen, wie winzig nimmt sich, im Vergleich zu den horrenden Rechnungen, die später der Concertmeister Hummel zu stellen wußte,[227] solch' eine Specification über gemachte Auslagen aus.24 Ja noch mehr: allem Anschein nach hatte es Haydn bei seiner umfangreichen und wie zu vermuthen ersten für das fürstl. Haus componirten Symphonie nicht gewagt, deren vollständige Copiatur-Unkosten auf Rechnung des Fürsten zu setzen, denn er half selbst mit, wie er überhaupt auch später es nicht unter seiner Würde hielt, Stimmen zu ergänzen und zu revidiren. – Am meisten machten dem Meister die Dienstvergehungen seiner lebenslustigen Untergebenen zu schaffen; Manche wurden abgesetzt, auf Bitten Haydn's wieder angenommen, abermals entlassen und endlich doch wieder und häufig selbst mit erhöhtem Gehalt angestellt. Die Nachsicht und Milde des Fürsten machte die Mitglieder leichtsinnig; sie blieben über die Urlaubszeit aus oder entfernten sich überhaupt ohne Erlaubniß und ließen sich selbst in ihrem Betragen Verstöße zu Schulden kommen. Da gab es denn Strafen, Abzüge am Monatsgehalt, Einsperrungen und augenblickliches Ausstoßen aus der Kapelle. Wahrhaft rührend und herzgewinnend sind dann die Gesuche Haydn's, wenn er um Nachlaß der Strafe für solche bittet, die eben nur der Leichtsinn zum Ungehorsam verleitete. In langer Bittschrift wendet sich der Meister hier an das Herz des Fürsten, weiß alle möglichen Entschuldigungen zu Gunsten seines Clienten vorzubringen und sucht, wenn er schon alle Gegengründe erschöpft hat, dem Fürsten selbst von der schwächsten Seite beizukommen. So baut er einmal, um recht sicher zu gehen, geradezu auf dessen unersättliche Liebe zu immer neuen Musikstücken für das Baryton, des Fürsten Lieblingsinstrument; schickt ein mit Wärme geführtes Wort für drei mit empfindlichen Strafen bedrohte Musiker voraus und, indem er sich des Fürsten »unterthänigst gehorsamster Haydn« unterzeichnet, fügt er, dem Fürsten gar nicht Zeit zur Ueberlegung lassend, unmittelbar die Schmeichelworte bei: »so nach denen Feyertägen sich unterfangen wird,[228] Euer hochfürstlichen Durchlaucht neue Trio auf den Baridon einzuhändigen«.
Oben erwähnte fünfsätzige Symphonie C-dur, von der nebst den Orchesterstimmen auch die autographe Partitur vorhanden ist, zeigt augenfällig, wie Haydn damit gleich etwas Rechtes und Ungewöhnliches bieten wollte, denn der Fall, ein selbstständiges dramatisch gehaltenes Recitativ für zwei Principal-Violinen einzuschalten, steht ganz vereinzelt da. Unzweifelhaft hat dazu das Engagement Tomasini's Veranlassung gegeben und wir sehen zugleich, was er diesem kaum 20jährigen Künstler bieten durfte. Diese Symphonie ist sonderbarerweise in Breitkopf's Katalog nie angezeigt, wohl aber bei Westphal in Hamburg (1782) und Joh. Traeg in Wien (1799), bei beiden in Abschrift zu haben. Haydn gab derselben die Benennung »Le Midi« und schrieb dann auch eine Symphonie »Le Matin« betitelt und ein Concertino »Le Soir«. Erstere, »Le Matin«, D-dur, für 12 concertirende Stimmen, erschien ebenfalls bei den Genannten; Letzteres, G-dur 3/8, gleichfalls für zwei obligate Violinstimmen, ist im Jahre 1767 bei Breitkopf in Abschrift erschienen und trägt der letzte Satz die Aufschrift »la tempesta«. Dies sagt (S. 44), Haydn sei vom Fürsten beauftragt worden, »die vier Tageszeiten« zum Vorwurf einer Composition zu wählen und er habe sie in Form von Quartetten gesetzt, die sehr wenig bekannt seien. Vielleicht sind damit die erwähnten drei Orchesterstücke gemeint.
Le Midi, das wahrscheinlich älteste noch erhaltene Autograph einer Haydn'schen Symphonie, trägt bereits, wie auch einige aus dem Jahre 1760 noch vorhandene autographe Musikstücke die Ueberschrift »In Nomine Domini« und schließt mit »Laus Deo«. Auch hier offenbart sich Haydn's frommer Sinn, der, gleich Sebastian Bach's J.J. (Jesu juva), jedes Werk unter dem Schutze seines Schöpfers unternahm. Er behielt diese Bezeichnung für immer bei, selbst bei weltlichen Arien und Opernpartituren. Manchmal bedient er sich nur der Initialen L. D. oder auch S.D.G. (Soli Deo Gloria), auch Laus Deo et B.V.M. (Beatae Virgini Mariae), dem einigemal noch »et oms sis(et omnibus sanctis)« beigefügt ist. Den bekräftigtsten Schluß führt u.a. seine Oper »L'infedelta delusa«:Laus omnipotenti Deo et Beatissimae Virgini Maria.[229]
Es sind ferner noch einige Symphonien (oder richtiger Cassationen) nachweisbar aus den Jahren 1761–62, die in Paris unter den Opuszahlen IV und VII, jedes zu 6 Nummern, erschienen und noch in den 60er Jahren von Breitkopf angezeigt sind; eine, C-dur 2/4 war früher in Autograph bei Artaria; zwei andere,G-dur 3/4 und A-dur 3/4 wurden im Jahre 1762 im Stifte Göttweig aufgeführt und erschien letztere mit umstelltem 1. und 2. Satz zweimal, wie dies in Haydn's Symphonien öfters geschieht und ihre Zahl glücklicherweise in etwas vermindert. Auch fallen in diese Jahre 6 Streich-Trios oder Divertimenti, von denen sich eines (A-dur 3/4, Violine, Viola, Baß) in Autograph bei Artaria erhalten hat; dieselben erschienen in Amsterdam als opus XI für 2 Flöten und Baß, sind aber auch, zum Theil in andere Tonarten übersetzt, für Flöte, Violine und Baß, oder Violoncell, Viola und Baß mit andern Trios untermischt in den 60er und 70er Jahren bei Breitkopf erschienen. Ein Waldhornconcert (Concerto per il corno di caccia),D-dur, aus dem Jahre 1762, verdankt sein Entstehen wahrscheinlich dem Eintritt der genannten Waldhornisten. Diese Composition gehört wohl unter die frühesten Concerte für dieses Instrument. Später ließ Haydn noch einige folgen, da dies Instrument in der Kapelle stets ausgezeichnet vertreten war. Zwei Concerte hat Haydn in seinem Katalog angeführt (eines für 2 Hörner), dagegen fehlt das eben genannte. Ein anderes kündigte Breitkopf im Jahre 1781 an. Das aus drei knapp gehaltenen Sätzen bestehende Concert (erster und letzter Satz Allegro, Mittelsatz Adagio) ist in Sonatenform gehalten und bürdet dem Soloinstrument nichts wesentlich Schweres auf, doch tritt es immer deutlich hervor; zur Begleitung dienen Streichinstrumente und 2 Oboen. Die Handschrift Haydn's ist reinlich, doch ziemlich flüchtig; auf den zwei letzten Seiten verwechselt Haydn aus Versehen das für Oboe und für Violinen bestimmte System und tummelt sich, zu Ende zu kommen. »Im Schlaff geschrieben« notirt er, wie zu seiner eigenen Entschuldigung, am Kopf der letzten Seite.
Haydn sollte nun zum zweitenmal in seinem Leben Gelegenheit finden, für die Bühne zu schreiben. Diesmal hatte er[230] es mit italienischen Sängern zu thun, die nach Eisenstadt berufen wurden. Nach den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Fürsten Paul Anton und für dessen Mutter Maria Octavia, die am 24. April 1762 im 76. Lebensjahre gestorben war, folgten Tage der Freude. Fürst Nicolaus hielt am 17. Mai seinen feierlichen Einzug in Eisenstadt; im Schlosse saßen zahlreiche Gäste bei der Festtafel und bei der Parismühle wurde ein Feuerwerk abgebrannt; hier wie dort mußte auch die Kapelle den Tag mit verherrlichen helfen und waren für Trompeten und Pauken der städtische Thurnermeister und seine Gesellen beigestellt. »Welsche Komödianten« waren schon seit 12. Mai beim Greisenwirth in Wohnung und Verpflegung, wo sie bis Ende Juni verblieben; im Glashause des Schloßhofgartens wurde ein Theater hergerichtet und ein Maler, Le Bon25 »besonders für das Theater zu malen« aufgenommen, der dann vom 1. Juli an fix angestellt wurde, d.h. mit der Clausel, daß seine Frau und Tochter sich verpflichteten, den Chor- und Kammergesang zu frequentiren. In die Monate Mai und Juni fallen nun die Aufführungen von italienischen Singspielen, von denen Haydn in seinem ersten Entwurfs-Katalog wenigstens den Anfang thematisch angegeben hat. Eines: La Marchesa Nepola ist noch in autographer Partitur, wenn auch unvollständig, erhalten; die andern drei sind betitelt: La Vèdova, Il Dottòre, Il Sganarello. In seinen großen Katalog hat sie Haydn nicht aufgenommen; »5 kleine Operetta von Herrn Hayden«, die der[231] Copist Simon Haschka im Jahre 1774 im Wien. Diarium ankündigte, dürften etwa hierher gehören. Von den in Haydn's Handschrift noch vorhandenen Nummern, 4 Arien und 1 Recitativ zur erstgenannten »Comedia« ist wenig zu sagen. Der Text bietet so wenig Halt, daß sich unmöglich ein Ganzes damit combiniren läßt; die Composition bewegt sich (zumal die mit Läufen überladene Singstimme) im damaligen Geschmack der Zeit und Haydn scheint auch nicht mit besonderer Lust an die Arbeit gegangen zu sein, denn die Schrift ist so flüchtig, wie dies kaum bei irgend einer Symphonie, geschweige denn bei einem Quartett Haydn's je vorkommt.
Das erste größere dramatische Werk schrieb Haydn zu Ende des Jahres 1762; es war ein Pastorale zur Vermählungsfeierlichkeit Anton's, des ältesten Sohnes des Fürsten Nicolaus, mit der Comtesse Marie Therese, Tochter des Grafen Nicolaus Erdödy. Den Vermählungsact vollzog der Erzbischof von Kalocsa, Graf Bathiany, am 10. Jan. 1763 zu Wien in der kais. Burg im großen Spiegelsaale. Das Brautpaar und deren Eltern wurden sodann zur kais. Tafel geladen und fuhren noch denselben Tag nach Eisenstadt, wo ihrer große Feste warteten, deren ausführliche Beschreibung das Wien. Diarium (Nr. 9, dat. 20. Jan. aus Eisenstadt) mit den Worten einkleidet: »Wir haben noch niemals so viele vornehme Gäste und so herrliche Freuden-Feste bey uns gesehen, als die vorige Woche.« Bei der Ankunft des Hochzeitszuges war die Straße von Wimpassing bis Eisenstadt, eine Strecke von 3 Stunden Weges, beleuchtet, desgleichen die Hauptstraße der Bergstadt, welche die Wägen passirten. Das fürstl. Schloß prangte im Festschmuck und vor demselben paradirte eine Compagnie fürstl. Grenadiere und mitten auf dem Platz war eine Ehrenpforte errichtet, auf der ein Chor Trompeter und Pauker die Gäste empfing. Nach Ankunft der Gesellschaft wurde in der Schloßkapelle ein Te Deum gehalten und sodann die Hochzeitstafel servirt, an der über 120 Personen Platz nahmen. Am folgenden Tage nach dem feierl. Gottesdienst wurden dem Volk im Freien allerlei Belustigungen geboten und nach der Mittagstafel eine italienische Oper »Acide« von den fürstl. Virtuosen aufgeführt, wobei das Orchester in dunkelrother mit Gold verbrämter Gala-Uniform erschien. Ein glänzender Festball in dem reizenden und prachtvoll decorirten[232] großen Saale beschloß diesen Tag. Tafel, Belustigungen und Maskenball füllten auch den zweiten Festtag aus. Am dritten Tage wurde eine Opera buffa aufgeführt, der ganze Schloßgarten glänzend beleuchtet und abermals ein Maskenball abgehalten, dem über 660 Personen beiwohnten, von denen viele im Laufe des Abends die Maske wechselten. Allgemein wurde der auserlesene Geschmack, die Pracht und die freigebige Bewirthung, sowie die ungemein leutselige und verbindliche Art, mit welcher der Festgeber seinen Gästen begegnete, gerühmt.
Das Schäferspiel »Acis und Galatea« wurde diesmal von dem Mailänder Dichter Giovanni Battista Migliavacca in italienische Verse gebracht. Das bei Ghelen in Wien gedruckte Textbuch zu »Acide« (Festa teatrale) eröffnet eine Huldigungs-Ansprache an das Brautpaar, von den unterthänigsten Dienern »Hayden con la musica« und »Friberth e gli altri Attori« unterzeichnet und besteht aus dreizehn Scenen, zu denen Haydn außer der Ouverture und einem Quartett-Finale 4 Sopran- und 2 Tenor-Arien und je eine Alt- und Baß-Arie componirte.
Die schöne Fabel ist bekannt: Wir befinden uns in einem lieblichen Thale Siciliens am Fuße des Aetna, nahe dem Meere. Frieden spricht aus Blumen und Blüthen, auf balsamischen Lüften wiegt er sich träumerisch und blicket sinnend in die Bläue des Himmels. Da theilt sich die Meereswoge und entsendet die schöne Nymphe Galatea, die aus Liebe zu dem Hirten Acis ihr Element verläßt. Der schöne Jüngling lebt nur in ihr. Doch Beider Glück wendet sich: Polyphemos, der Sohn des mächtigen Meergottes Poseidon und der Thoosa, entbrennt in ungestümer Liebe zu der reizenden Nereide; er verfolgt sie mit Anträgen, wird aber schnöde zurückgewiesen. Wuthentbrannt lauert er dem glücklicheren Nebenbuhler auf – ein Wurf, und Acis liegt zerschmettert unter gewaltigem Felsblock. Der verzweifelten Galatea deutet die Freundin auf den, im Augenblick dem Felsen entspringenden Quell; er gleitet als befruchtendes Bächlein dem Thal entlang und soll fortan den Namen Acis führen. Galatea lächelt durch Thränen; ihre Trauer wird zur sanften Schwermuth und sie kehrt wieder in ihr feuchtes Element zurück.
Händel hat die Sage wunderbar in Musik gekleidet.26[233] Die Personen sind bei Haydn dieselben bis auf Damon, der hier als die Freundin Glance erscheint. Aber bei Haydn fehlt ein Wesentliches: der bei Händel so mächtig eingreifende Chor. Als einziger schwacher Ersatz erscheint in letzter Stunde die Meergöttin Thetis, Galatea damit tröstend, daß ihr Geliebter nun in anderer Gestalt auf ewige Zeiten der Gegend ein Wohlthäter geworden. Um aber doch zum Schlusse ein Quartett zu ermöglichen, taucht Acis am benachbarten Ufer, in die Attribute seines nunmehrigen Elementes gehüllt, wieder auf und unter Gelöbnissen ewiger Treue schließt das Pastorale ab. Der Gang der Handlung in der ital. Version zeigt uns noch eine andere Abweichung: die Freundin Glance ist tollkühn genug, dem Kyklopen weis zu machen, sie selbst schwärme für ihn; schließlich kehrt auch sie ihm den Rücken. Ein kurzes Exposé der ital. Bearbeitung, wie sie Haydn vorgelegen, wird den Vergleich mit Händel's Serenata »Acis and Galatea« (vom engl. Dichter John Gay bearbeitet) erleichtern.
Scene I. Die Freundin Glance beschwört Acis, sich vor Polyphem, der ihm nach dem Leben trachtet, durch die Flucht zu retten. – Acis entgegnet, daß ihn die Liebe der schönen Galatea stähle, er kenne keine Furcht und werde sie nicht verlassen. (Arie.)
Scene II. Galatea tritt auf und verlangt den Rath der Freundin, auf welche Art sie ihren Geliebten vor dem Kyklopen schützen könne. – Glance räth ihr, die Gegend zu verlassen und Acis und ihrer Liebe zu vergessen. – Nimmermehr! Galatea betet ihren Acis an, wenn auch Gefahren ihrer Liebe drohen; zu glücklich wäre das Herz, wenn es keine Leiden kennen sollte. (Arie.)
Scene III. Polyphem sucht Glance nach Galatea auszuforschen; diese foppt ihn mit seiner Liebe; er solle sie sich aus dem Sinne schlagen, sie selbst sei in ihn verliebt. Sei doch sein Antlitz voll Zauber, dem kein Herz widerstehen könne. Sie werde weniger grausam sein und ihm Treue geloben. (Arie.)
Scene IV. Polyphem ist allein und weiß sich nicht zu rathen und zu helfen. Seiner Häßlichkeit ist er sich wohl bewußt, doch sei auch sein Antlitz weniger hold, habe er dafür ein männlich' Herz; er prunke mit Muth und nicht mit Schönheit. (Arie.)[234]
Scene V. Acis und Galatea wandeln am Meeresufer in traulichem Gekose. Galatea fordert den Geliebten zur Flucht auf. Meine Muschel ist bereit, der Wind ist günstig; das salz'ge Naß wird unsrer brennenden Liebe eine ruhige Stätte bereiten. – Er ist zu Allem bereit. Geleite mich, wohin du willst, sei es im Sturm oder in Mitten der Klippen, ich folge dir nach. – Glance kommt. Der Riese weile nicht fern in seiner Höhle; sobald die Nacht hereingebrochen und er im Schlafe liege, dann – möge der Himmel euch geleiten. Doch jetzt müßt ihr euch auf kurze Zeit trennen; du, Acis, kehre zurück in dein Versteck – du, Galatea, unter die Wellen. – Acis ist untröstlich, doch er will gehorchen, nur möge ihm Galatea die Treue bewahren. (Arie.)
Scene VI. Polyphem erscheint unerwartet; Glance überredet Galatea, sich zu verstellen.
Scene VII. Polyphem erschöpft sich in Betheuerungen seiner Liebe. Reizende Galatea! weißer wie die Lilie, lebhafter als Purpur, leichter und flüchtiger als der Wind, erhöre mich. – Glance macht ihn aufmerksam, daß Galatea ihren Sinn geändert, daß ihre Verachtung in Liebe sich verwandelt habe. Sie allein habe Ursache, dabei betrübt zu sein. – Polyphem glaubt sich wirklich geliebt; Galatea solle sich in seinen Schutz begeben, er werde ihren Schlaf mit Gesang schmeicheln. Er bietet ihr Früchte an – sie zeigt sich noch immer zurückhaltend. Er will Antwort haben, ob sie ihn liebe. – Du bist mein Haß! (ruft sie aus), was soll ich an dir finden mit deinem ungeschlachten Gesicht, deinem struppigen Haar, mit deiner häßlichen Stimme. Du Schreckniß der Wälder, teuflisches Gemüth, das kein Recht kennt, das Menschen und Götter, Himmel und Erde beleidigt. – Du weißt wohl (ruft Polyphem), daß ich den rauchenden Aetna umzustürzen vermag, daß ich in den tiefsten Gründen Tethis und Doris und so viele Gottheiten das Meer birgt, vernichten kann. Zittre, Undankbare, für dich und für deinen Acis, zittre vor meiner Wuth. – Ich lache deiner Wuth (antwortete unerschrocken Galatea); an der Seite meines Liebsten bin ich unter den Wellen gesichert und spotte deiner vom Meere aus. (Arie.)
Scene VIII. Polyphem wendet sich an Glance und bietet ihr die verschmähten Früchte an; sie solle zur Stunde seine Braut werden, den Hochmuth zu bestrafen. – Glance aber[235] erklärt ihm rundweg, daß auch sie ihn hasse. Nie habe sie ein ärgeres Ungeheuer gesehen; er sei die Plage der Gegend, eine grausame Qual jedem Herzen. (Arie.)
Scene IX. Wie! ich, der Sohn Neptun's, der stärkere Bruder des Steropes und Brontes, bei deren Drohen selbst die Gestirne zittern, soll solche Verhöhnung erdulden?! Das Blut des Nebenbuhlers soll dafür büßen. (Er sieht Acis sich nahen und verbirgt sich zwischen Klippen.)
Scene X. Acis kommt und nach ihm Glance, die ihn ersucht, einen Moment zu verziehen, sie werde Galatea benachrichtigen und dann – eilet rasch von dannen. Ich warne dich aber, die Wuth des Barbaren nicht zu reizen. – Gehe! (ruft Acis) nicht fürchte ich den Grausamen ..... Es waren seine letzten Worte ..... Zittre und stirb! ruft Polyphem, indem er einen mächtigen Felsen auf Acis schleudert ..... (Die hier einfallende Trauer-Symphonie drückt den Schmerz der Nereiden aus.) Glance eilt herzu, ahnet Alles und bricht in Wehklagen aus.
Scene XI. Galatea stürzt athemlos herbei. Wo ist Acis? Du weinst? – Sie erfährt das Schreckliche ... Mit jenem Felsen, den er mit der Schnelligkeit des Blitzes vom Berge riß, tödtete er deinen Geliebten. – Ach Glance! ich sterbe! (Ohnmächtig sinkt Galatea nieder.) – Götter! helft! (ruft Glance). Thetis taucht aus den Wellen. (Die wieder beginnende Symphonie nimmt einen heitern Charakter an.)
Scene XII. Thetis ruft Galatea ins Leben zurück. Trockne die reizenden Augen; nach Tagen der Qual warten deiner fortan nur Freuden. (Arie.)
Aber mein Acis?! .... Ich gebe ihn dir zurück. Sieh' jenen Quell, der im Moment aus dem Felsen hervorquillt und der Wiese entlang als Bächlein dahineilt, er führt dir deinen Acis zu.
Schluß-Scene. Galatea erblickt ihren Abgott mit Meergras bedeckt, das wasserblaue Haar mit Schilf durchflochten. Gegenseitiges Entzücken und glühende Versicherung ewiger Liebe .... Eher soll der Bach zum Ursprung zurückkehren, eher sollen Tag und Nacht ineinander aufgehen, als unsere Seelen treulos werden. – Und Thetis und Glance vereinen ihre Stimmen mit dem Liebespaar, indem sie die Handlung beschließen:[236] Möge das Schicksal uns (euch) so hold sein, als es bis jetzt grausam gewesen!
Die Besetzung dieses Festspiels war folgende:
AcideCarlo Friberth (Tenore).
GalateaAnna Scheffstos (Soprano).
PolifemoMelchiore Grießler (Basso).
GlanceBarbara Fux (Soprano).
TetideEleonora Jäger (Alto).
Von Haydn's Musik, die Carpani (S. 133) für verloren hielt, haben sich noch folgende Nummern in Partitur und in Haydn's Handschrift erhalten: Die Ouverture (die ersten 32 Takte fehlen)27, 4 Arien (von einer fünften fehlt der Anfang) und das Quartett-Finale. – Die Ouverture, D-dur, besteht aus drei Sätzen, jeder Satz geht ununterbrochen in einem Zuge fort, der erste und letzte, durch je 2 Oboen und Hörner gehoben, eilt lebhaft und frisch vorüber ohne Bemerkenswerthes zu bieten; der zweite Satz, zart und sein, mehr anmuthig als innig, ist nur für Streichinstrumente geschrieben. Es ist das echt Haydn'sche Element, das sich in jedem Satze ausspricht. In Breitkopf's themat. Katalog geschriebener Musikalien ist das Werk im Jahre 1766 unter 6 Haydn'schen Symphonien angezeigt. Es erschienen später wiederholt Ouverturen Haydn'scher Opern als Symphonien, zu jener Zeit nichts Ungewöhnliches, da der Zusammenhang mit der Oper ein sehr lockerer war. – Nebst dem Finale (Quartett) sind noch folgende Arien vorhanden:28 Scene I, Arie des Acis; Scene II, Arie der Galatea (fehlt der Anfang); Scene III, Arie der Glance; Scene IV, Arie des Polyphem; Scene XII, Arie der Thetis. – Der Zuschnitt der Arien ist der gewöhnliche italienische: zwei in Tempo, Tact und Tonart verschiedene Sätze, von denen der erste wiederholt wird. Die Melodien sind einfach aber conventionell, weit entfernt von der Händel'schen, gerade in diesem Pastorale so wunderbar getroffenen[237] Innigkeit; es fehlt nicht an Coloraturen und Passagen; wo sie dem Sänger nicht genügen, bietet ihm die Cadenz Gelegenheit sich auszubreiten. Die jeweilige Empfindung ist wohl leicht, doch genügend angedeutet; Acis' erste Arie spricht Entschlossenheit aus, Glance versichert in neckischem Ausdruck Polyphem ihrer Liebe und dieser (es ist freilich kein Händel'scher Polyphem) versteht es, in gefälliger Weise seine Vorzüge anzupreisen; seine Arie(Allegro molto) hat zudem den rechten Baß-Charakter und drückt die gewünschte Derbheit aus. Im Quartett sucht man vergebens kunstvolle Verschlingungen der Stimmen; erst singt der Sopran, dann wiederholt ihn der Tenor; dann gehen sie zusammen weiter, zum Theil imitirend; endlich treten die Mittelstimmen hinzu und führen nun alle Vier das leicht gehaltene Tonstück zu Ende. Zur Begleitung dienen außer den Saiteninstrumenten je zwei Oboen und Waldhörner, nur bei der Arie der Glance sind die Oboen durch Flöten ersetzt, die schon etwas reicher bedacht sind, doch treten die Blasinstrumente hier und überall meist nur bei den Tutti und Verbindungssätzen hinzu. Als Haydn zum zweitenmale London besuchte, hörte er (März 1795) im King's-Theater die Oper »Acis è Galatea« von Bianchi. »Die Musik (schreibt er in sein Tagebuch) ist sehr reich an Blasinstrumenten; doch mich däucht, wenn es weniger wären, man die Hauptmelodien besser verstehen würde.«
Inmitten seiner Amtsthätigkeit wurde Haydn von zwei Familien-Ereignissen überrascht. Das erste und freudige Ereigniß betraf seinen Bruder Michael, der im Jahre 1762 als Concertmeister des Erzbischofs Sigismund (Schrattenbach) nach Salzburg berufen wurde; er bezog daselbst vorderhand 300 Fl. Jahresgehalt nebst freiem Tisch, eine allerdings bescheidene Verbesserung seiner bisherigen Einnahme, die später mit der Dom-Organistenstelle auf 400 Fl. und beim Regierungsantritt des Erzherzogs Ferdinand von Oesterreich auf 600 Fl. erhöht wurde (1777 wurde er auch Organist in der h. Dreifaltigkeitskirche). Wir können hier gleich anfügen, daß Michael am 17. Aug. 1768 die erzbischöfliche Hofsängerin Maria Magdalena, Tochter des erzh. Kammerdieners und Hoforganisten Franz Ignaz Lipp, heirathete, welcher Ehe ein einziges Kind, Aloysia Josepha, entsproß, geb. 31. Jan. 1770, das aber schon ein Jahr darauf, am 27. Jan. 1771, den Eltern durch den Tod entrissen[238] wurde. M. Magdalena Lipp wurde vom Erzbischof nach Italien geschickt, um sich im Gesange auszubilden, nach ihrer Rückkehr im Jahre 1762 wurde sie als Hofsängerin angestellt. Obgleich der persönliche Verkehr beider Ehegatten mit dem Hause Mozart nicht lebhaft war, so kamen doch beide auf dem Lebenswege des jungen Wolfgang in eigenthümliche Berührung. Michael Haydn hatte im Auftrag des Fürst-Erzbischofs zu einem geistlichen Singspiel, »die Schuldigkeit des ersten Gebothes«29, den zweiten Theil zu componiren, während dem hochfürstl. Kammercomponisten und Organisten Anton Cajetan Adlgasser der dritte, und »Herrn Wolfgang Motzard« der erste Theil zugewiesen wurde.30 Michael hatte also mit dem damals (1766) 10jährigen Mozart einen Wettlauf zu bestehen. Auch des Liebesdienstes ist hier zu gedenken, den Mozart 17 Jahre später dem damals (1783) kranken Michael Haydn damit erwies, daß er für ihn zwei vom Erzbischof bestellte Duo für Violine und Viola31 componirte und ihm damit aus arger Verlegenheit half. Michael's Frau wiederum sang in Salzburg im Jahre 1769 die Baronesse Rosina in Mozart's Oper »La finta semplice«32, deren Aufführung in Wien trotz des Interesses, das selbst Kaiser Joseph für sie nahm, durch Intriguen hintertrieben worden war. Mozart war auf die Frau Haydn's schlecht zu sprechen. »Es ist wahr (schreibt er am 7. Aug. 1778 von Paris aus an den Hausfreund Bullinger), die Haydn ist kränklich; sie hat ihre strenge Lebensart gar zu sehr übertrieben. Es giebt aber wenige so! – Mich wundert, daß sie durch ihr beständiges Geißeln, Peitschen, Cilicia-Tragen, übernatürliches Fasten, nächtliches Beten ihre Stimme nicht längst verloren hat.«33 M. Magdalena Haydn starb als pens. erzbischöfl. Hofsängerin und Concertmeisterswitwe[239] am 10. Juni 1827 im 82. Lebensjahre. Michael Haydn's Verdienste als Kirchencomponist werden noch heutzutage ebenso oft gepriesen als angefeindet. Es wird sich seinerzeit Gelegenheit finden, darüber eingehender zu sprechen. Für jetzt müssen wir auf lange Zeit von ihm Abschied nehmen.
Das zweite Ereigniß, das Haydn anging, war ernst und kam unerwartet: Mathias Haydn, der Wagnermeister und Marktrichter in Rohrau, hatte seinen Sohn in Eisenstadt besucht und genoß noch die Freude, ihn in der schmucken fürstl. Hausuniform zu sehen und vom Fürsten viele Lobsprüche über das Talent des Sohnes zu hören. Kurze Zeit nach diesem Besuche, als er eben zu Hause sein Handwerk ausübte, stürzte ein Holzstoß neben ihm zusammen und zerbrach ihm mehrere Rippen. Mathias starb bald darauf am 12. Sept. 1763 (Beil. I, 14). Von seinen Kindern waren zu jener Zeit nur noch zwei aus erster Ehe im Elternhause: der jüngste Sohn Johann Evangelist und Anna Katharina, die zwei Monate später den herrschaftl. Büchsenmacher Christoph Näher heirathete. Außer ihnen lebte in Rohrau noch, wenige Häuser entfernt, die an den Schmiedemeister Philipp Fröhlich verheirathete Tochter Anna Maria. Haydn's Häuschen sammt Geräthschaften kaufte sein Schwiegersohn Fröhlich und den Kindern wurde in runder Summe ein Erbtheil von 600 Fl. ausbezahlt. Laut schriftl. Erklärung (dat. Esterház 29. Mai 1787) überließ Joseph Haydn den auf ihn entfallenen Theil (142 Fl. 26 Kr. 3 Pf.) seinem Bruder Johann. Mathias hatte bei Lebzeiten verschiedene kleine Legate für Messen, für die Bruderschaft Joh. Nepomuk, für Erhaltung der Heilands-Statue bei der mittleren Kirchenthüre auf dem Friedhof ausgesetzt; über letzteren Posten (30 Fl.) wurde im Jahre 1804 ein Stiftsbrief errichtet, wonach sich die Pfarre verpflichtet, für immerwährende Zeiten die Statue in gutem Stande zu halten. Auch Joseph Haydn hatte, wie wir (S. 12, Anm. 9) gesehen haben, in seinem Testamente (§. 35) 75 Fl. jährl. Interessen zu gleichem Zweck, wie auch zur Instandhaltung des, vom Grafen Harrach ihm im Fasangarten errichteten Monumentes bestimmt. (Haydn's Universalerbe, Mathias Fröhlich, hatte diesen Fond freiwillig auf 1300 Fl. in 21/2% Hofkammer-Obligationen erhöht.) Hierüber wurde ebenfalls im Jahre 1815 ein Stiftsbrief errichtet und verspricht abermals die Pfarre[240] »die fromme Stiftung nach dem Willen des Stifters für ewige Zeiten getreulich zu erfüllen«. Wann diese Pflicht das letztemal erfüllt wurde, ist bei dem gegenwärtigen Zustand beider Monumente schwer zu ersehen; hoffentlich läßt man dieselben nicht gänzlich zu Grunde gehen. Die Grabschrift der Eltern Haydn's (Beil. VI, 1) ließ sich vor einigen Jahren schon schwer mehr entziffern. Zwei Stücke aus Mathias Haydn's Besitz haben sich erhalten: ein Beil mit dem Zeichen M. H. 1727 benutzt noch heute der Wagnermeister Friedrich Handschuh in Rohrau; einen Fingerring von Messing mit M. H. und einem Rad gezeichnet, beim Umackern des Feldes gefunden, besitzt der gegenwärtige Eigenthümer des Haydn-Hauses, Georg Bruckner.
Im Jahre 1764 fand Fürst Nicolaus zum erstenmale seit seiner Regentschaft Gelegenheit, auch außerhalb Oesterreichs sich als prachtliebender Cavalier zu zeigen, da er in Frankfurt am Main bei der Wahl und Krönung des Erzherzogs Joseph zum römischen König die Stelle des ersten Churböhmischen Botschafters vertrat. Die Wahl fand Statt am 27. März, die Krönung am 3. April. Bei Letzterer erregte der wahrhaft blendend reiche Aufzug des Fürsten und die glänzenden und geschmackvoll decorirten Illuminations-Anstalten allgemeine Bewunderung. Wohl hatte darin ein Gesandter den andern zu überbieten sich bemüht, »die Anstalt des Fürsten Esterházy jedoch übertraf alle die übrigen« und immer wieder kehrte man am liebsten ins »Esterházy'sche Feenreich« zurück. »Dieser hohe Botschafter hatte, diesen Tag zu ehren, sein ungünstig gelegenes Quartier ganz übergangen und dafür die große Linden-Esplanade am Roßmarkt vorn mit einem seenartig erleuchteten Portal, im Hintergrund aber mit einem wohl noch prächtigeren Prospecte verzieren lassen. Die ganze Einfassung bezeichneten Lampen. Zwischen den Bäumen standen Lichtpyramiden und Kugeln auf durchscheinenden Piedestalen und von einem Baume zum andern zogen sich leuchtende Guirlanden, an welchen Hängeleuchten schwebten.«34[241] Der Fürst fand in Frankfurt auch Gluck, dessen intimen Freund, den Contraltisten Guadagni, der bei der ersten Aufführung des »Orfeo« in Wien die Titelrolle gesungen hatte, den Virtuosen Dittersdorf und zwanzig Mitglieder der Hofkapelle. So sehr übrigens diese glänzenden Festtage geeignet waren, dem Hang des prunk- und prachtliebenden Fürsten zu entsprechen, so bot doch schon vordem ein Besuch, den derselbe der französischen Hauptstadt im Februar abstattete, vollauf Gelegenheit, sich in allem, was Kunst und Reichthum zu bieten vermögen, förmlich zu berauschen. Fürst Nicolaus machte in Paris zahlreiche und kostspielige Einkäufe und es ist kaum zu bezweifeln, daß er bei dieser Gelegenheit auch in Versailles sich umsah und daß ihn dies, an Schätzen so reiche Schloß wohl zunächst anregte, sich auf einer seiner zahlreichen und weitläufigen Besitzungen einen ähnlichen Prachtbau zu errichten. Die Wirkung blieb nicht aus: schon nach zwei Jahren übersiedelte der Fürst, ein Mann von raschem und energischem Handeln, in das, mittlerweile von ihm geschaffene, dem reichen Versailles nachgebildete Sommerschloß am südlichen Ende des Neusiedler-Sees.
Die Abwesenheit des Fürsten benutzten seine Musiker, sich zu einem feierlichen Empfang desselben vorzubereiten. Und abermals wurde dabei Haydn's Talent in Anspruch genommen und zwar nach zwei Seiten hin: für die Kirche schrieb er ein Te Deum, für den Concertsaal eine Cantate. Die Aufführung der Cantate verzögerte sich aus unbekannten Gründen bis zum December. Was das Te Deum betrifft, sind wir hinsichtlich des angegebenen Zweckes allerdings nur auf eine Vermuthung angewiesen. Daß dieses Werk an einigen Orten, z.B. im Stifte Kremsmünster, Michael Haydn zugeschrieben wird, darf uns nicht irre führen, denn das erste, von Michael in Warasdin componirte Te Deum stimmt nicht mit dem seines Bruders überein.35 Dagegen trägt eine im Stifte Göttweig befindliche Abschrift von Joseph's Te Deum die Aufschrift: »cop. P. Josephus, dat. 28. Nov. 1765« (also ein Jahr nach der Eisenstädter[242] Aufführung).36 Wer übrigens dies Te Deum mit dem größeren im Jahre 1800 componirten vergleicht, wird trotz der größeren Anlage und reicheren Ausarbeitung des Letzteren ein- und dieselbe Hand nicht verkennen.
Die Cantate betreffend (die Worte sind italienisch) besitzt Göttweig aus der Sammlung des verstorbenen Aloys Fuchs in Wien ein Werk in 7 Heften mit der Aufschrift: »VII Musiknummern einer Gelegenheits-Cantate von Joseph Haydn zur Geburtsfeier Sr. Durchlaucht des Fürsten Nicolaus Esterházy, componirt in den Jahren 1763/64. Die übrigen dazu gehörigen Stücke sind leider verloren.« Der bekannte Autographen-Sammler hat den einzelnen Heften sein Aut. adest beigefügt und die letzte Nummer selbst vollständig copirt; überdies ist auch Haydn's »In Nomine Domini« in die Abschrift übertragen. Die Aechtheit der Composition steht somit außer Zweifel, nur ist die Bezeichnung »Geburtsfeier« insofern unrichtig, als im Text ausdrücklich auf den Namenstag des Fürsten angespielt ist; doch ist der Irrthum von wenig Belang, da Namens- und Geburtstag des Fürsten in denselben Monat (6. und 18. Dec.) fallen. Daß die Cantate aber ausdrücklich zur Feier der Rückkehr bestimmt war, bezeugen ebenfalls die Textworte, eine durchaus überschwengliche Lobsingung der Vorzüge des »von den Ufern des Main zurückkehrenden Heldenfürsten«. Die angebliche Unvollständigkeit der Cantate wäre noch zu beweisen; im Text macht sich keine Lücke fühlbar, selbst der Mangel einer selbstständigen Ouverture wird durch die längere Instrumental-Einleitung ersetzt.
Der Inhalt der Cantate ist in Kürze folgender:37 Tretet herzu! (fordert die Tonmuse ihre Getreuen auf) es gilt den schönen Namen des unbesiegten Fürsten zu feiern. Wem im Busen die Flamme der Dankbarkeit, Verehrung und Liebe brennt, der schmücke das Haupt mit Laub und Blumen und folge mir[243] und erflehe von den Göttern, daß sie seinen Wünschen Gehör geben. Er, der liebreiche Herrscher kehrt zurück; er, der ungeachtet des Neides zu hohen Ehren erhoben wurde. Dort an den Ufern, die der Main benetzt, wird sein Name ewig leben, die Väter werden noch den Kindern von den Wundern seiner Pracht und seines Ruhmes erzählen. So viel Schätze das Meer birgt, so viel das Glück auch bieten mag: es wird der Freude nicht gleichen, Dir dienen zu können. Ist es doch, als leuchte die Sonne heller an diesem Tage, als wolle sie Dich in höherem Glanze uns zeigen. Du folgtest den Fußstapfen deiner Ahnen und kehrtest, mit Ruhm bedeckt, zurück. Könige werden Deinem Verdienste Lorbeer winden und niemals wird Dein Name untergehn. Es lebe unser Fürst, der die Welt in Staunen versetzt. Nie möge ein feindlich Gestirn Deinen Himmel trüben, nur ein segenbringendes sei Dir beschieden. Du wirst zu noch größeren Ehren Dich erhoben sehen. Deine Kinder werden Deinem Beispiele folgen, sie werden die Freude der Sterblichen sein. Jupiter erhalte uns den erhabenen Fürsten; sei ihm jede Freude bescheert. Wir aber sind seiner Liebe gewiß, wir werden uns stets dessen freuen.
Zu der ziemlich umfangreichen Composition, bestehend aus einem großen Recitativ mit Orchesterbegleitung, je zwei Arien, Duetten und Chören sind außer den Streichinstrumenten Flöte, Oboe, Fagott und Hörner benutzt; einigemal tritt auch das Clavier obligat hinzu, aber nur um längere Zwischensätze mit Passagenwerk auszufüllen. Das Recitativ und darauf folgende Duett wurde mit unterlegtem lateinischen Text (Accurrite hunc mortales) als Offertorium verwendet. In gleicher Weise ist auch die Instrumental-Introduction von Nr. 2 und der Chor Nr. 4, zu einem Ganzen verschmolzen, als Offertorium (Plausus honores date) benutzt und bietet in dieser Fassung eine anregende frische Musiknummer. (Die Einleitung,C-dur 4/4, ist hier durchgehends auf 2/4 Tact reducirt und der ursprüngliche Chor abwechselnd[244] Solostimmen und Tutti zugetheilt.38 Ob das Arrangement dieser beiden Nummern etwa von Haydn selbst herrührt, ist nicht bekannt.. Besondere Bedeutung ist auch diesem, in Haydn's Katalog nicht verzeichnetem Werk, das namentlich der Kehlenfertigkeit der Sopran-Solostimme viel zumuthet, nicht beizulegen. Melodie, thematische Durchführung und Art der Begleitung huldigen dem herkömmlichen Geschmack der Zeit, doch heben sich die genannten als Offertorien benutzten Nummern durch kernigen Inhalt vortheilhaft ab.
Im Jahre 1765 nahm Joseph Haydn seinen jüngeren Bruder, Johann Evangelist, zu sich nach Eisenstadt. Sein Lebenslauf ist so einfach und anspruchslos, daß wir ihn gleich in Eins zusammenfassen können. Johann (nur dieser Taufname war in Gebrauch) war damals 22 Jahre alt. Es ist kaum zu bezweifeln, daß er seinen älteren Bruder wird gebeten haben, ihm ein Unterkommen zu verschaffen, denn seines Bleibens war länger in Rohrau nicht, nachdem der Vater gestorben war und die Stiefmutter sich wieder verheirathet hatte. Von allen Haydn'schen Kindern blieb nach Johann's Weggang nur noch eine Tochter, die verehelichte Anna Maria Fröhlich im Orte. Johann hatte eine sehr schwache, dünne Tenorstimme ohne irgend welchen Reiz und waren auch seine musikalischen Fähigkeiten sehr bescheiden. »Eine seiner Schülerinnen ließ einst bei Salieri ihre Stimme probiren; dieser fand, daß sie ›ohne Methode und wie Hansl Haydn durch die Nase singe‹«.39 Wenn ihn der Fürst trotzdem in den Kirchenchor in Eisenstadt aufnahm, so geschah dies sicherlich nur aus Rücksicht für seinen Bruder, der ihn erst abrichten mußte. Nur aus seinen späteren Bittschriften an den Fürsten ist zu ersehen, daß er schon im Jahre 1765 in der Chormusik mitwirkte, denn da er anfangs keinen Gehalt bezog, ist er in den Conventionalen erst im Jahre 1771 genannt; er hatte damals als 4. Tenorist jährlich zuerst 25, dann[245] 30 Fl. In diesen Bittschriften führt er an, daß er unmöglich Kost und Kleidung bestreiten könne, wenn ihn nicht die Gutmüthigkeit anderer Leute unterstützen würde; später nennt er ausdrücklich seinen Bruder, der ihm zu seinem geringen Gehalt beisteure und hofft in Anbetracht der Verdienste desselben auf Verbesserung seiner Lage. Ungetröstet ging er nie von dannen; sein Gehalt wurde im Jahre 1775 auf 50 Fl. erhöht und 1783 erhielt er auch das gewünschte Deputat, wie es die Sängerin Eleonore Jäger bezog.40 Doch auch diese Aufbesserung wollte später nicht ausreichen. Wiederum kam er im Jahre 1800 um Gehaltsvermehrung ein: er habe sich seither mit Unterricht einiger Schüler in Clavier und Gesang geholfen, aber deren Zahl und auch seine Kräfte seien im Abnehmen und so sei er auf die Gnade einiger Gutthäter angewiesen, die ihn wechselweise zu Tische ladeten. Und abermals weist er auf seinen Herrn Bruder hin, der durch sein Musiktalent den Ruhm des hochfürstlichen Hauses verewigt hat und bittet in Rücksicht dessen und der eigenen 35jährigen Dienste um Aufbesserung seines Deputats um 6 Metzen Weizen und 12 Metzen Korn nebst 6 Eimer Wein, was in Baarem 45 Fl. betrüge, somit seine Convention künftig jährlich 165 Fl. gleich komme. Auch dieses Gesuch wird bewilligt und ihm noch im Jahre 1804 (ein Jahr vor seinem Tode) 50 Fl. zur Unterstützung seiner Badekur angewiesen. Leicht wäre man hier geneigt zu glauben, der ältere Bruder habe ihn nicht ausreichend unterstützt. Dagegen genügt es, daran zu erinnern, daß dieser ihn durch 25 Jahre auf seine Kosten nach dem Curort Baden bei Wien schickte und daß er ihm noch im Jahre 1802 Lectionen zuwies, so z.B. die Altistin Katharina Krines, deren Stimme Joseph Haydn geprüft und sehr gerühmt hatte und die, wie so viele angehende Sängerinnen, auf Kosten des Fürsten unterrichtet wurde. Auch für sein Quartier hatte Johann nicht zu sorgen; anfangs wohnte er bei Haydn selbst, später meistens mit einem Kameraden aus der Kapelle[246] gemeinschaftlich in der alten Apotheke, im fürstlich sogenannten Darmstädter Haus, dann im Bergkloster und zuletzt im Musikgebäude, wo er auch starb. Ein einziges Mal, im Jahre 1801, als Michael auf seiner Wiener Reise auch Eisenstadt besuchte, waren alle drei Haydn beisammen. Sie waren beim Stadtpfarrer zu Tische geladen und gingen dann in der Stadt spazieren; Abends brachten ihnen die beiden Waldhornisten Prinster ein Ständchen. Keiner der Brüder sah dem andern gleich; Michael war der größere, Johann eher klein zu nennen. Johann mochte wohl das bescheidene Maß seiner Fähigkeiten kennen und spricht es wenigstens für ihn, daß er sich nie und nirgends vordrängte und ruhig dahin lebte. Bei seiner stätigen Kränklichkeit wurde er des Lebens wenig froh; nur wenn er bei einem Glase Wein saß, liebte er es, ein lustig Liedchen zu singen. Verheirathet war er nie. Hätte er seinen Bruder überlebt, würde er auch dann noch Gelegenheit gehabt haben, dessen milde Hand zu segnen, denn dessen Entwurf zum ersten Testament sagt S. 8: »dem Bruder Johann in Eisenstadt – 4000 Fl.« (also ebensoviel als dem Bruder Michael).
Neben der an sich wenig belangreichen Aufnahme Johann's bietet uns das Jahr 1765 aber noch eine Ueberraschung ganz eigener Art, ein im Leben Haydn's gewiß ebenso unerwartetes als merkwürdiges Document, in welchem er von seinem Fürsten im Dienstwege der Amts-Nachlässigkeit beschuldigt und ihm zugleich anbefohlen wird, im Componiren fleißiger zu sein wie bisher! Läge dies, obwohl nur im Entwurf erhaltene, aus Süttor datirte Actenstück nicht verbucht und verbrieft vor, man müßte mit Recht dahinter eine Mystification vermuthen. Haydn nachlässig im Amte, faul im Schreiben! – er, den wir nur immer als den gewissenhaftesten Mann in Dienstangelegenheiten, als den fleißigsten der Fleißigen preisen hörten! Doch das Factum liegt vor und duldet keine Widerrede. »Regulativ Chori Kissmartoniensis« – lautet die Ueberschrift dieser ungnädigen Verwarnung, die mit folgenden Eingangsworten beginnt: »Nachdeme auf dem Chor der Eisenstädter Schloß-Kapellen unter denen Musicis Saumseligkeit undt übler Einverständniß wegen, bey denen Chor-Instrumenten aber wegen schlechter Obsicht und[247] Verwahrung derenselben eine sehr große Unordnung verführet worden; So wird dem Capellmeister Hayden hier mit ernstlich anbefohlen« – und nun folgen unter sechs Abschnitten die detaillirten Auseinandersetzungen dieser Drohnote. 1. soll Haydn ein dreifaches gleichlautendes Inventarium über alle vorhandenen Chor-Instrumente und Musikalien nach dem beigelegten Formular (mit Angabe der Autoren, Stimmenzahl u.s.w.) innerhalb acht Tagen anlegen, unterschreiben und eines »Uns« (dem Fürsten), das andere in die Buchhalterei, das dritte auf den Chor abgeben. 2. hat Haydn dem Schulmeister Joseph Diezl bei jedem Chordienst die nöthigen Musikalien zu übergeben, dieselben durch Diezl austheilen und nach dem Dienst wieder ordnen (»zusammenklauben«) und zurückgeben zu lassen um sie in dem dazu bestimmten Kasten aufzubewahren, damit nichts verschleppt oder verzettelt werde. 3. soll Haydn auf den Schulmeister wohl achten, daß er alle Instrumente jederzeit in gutem Stand erhalte, zu welchem Ende »Er Schulmeister« allemal 1/4, Stunde vor dem Dienst auf dem Chor zu erscheinen hat. 4. wird Haydn besondere Sorge tragen, daß alle Chorleute beim Kirchendienst gewissenhaft erscheinen und ihre Pflicht und Schuldigkeit mit gutem Einverständniß verrichten. 5. hat Haydn in »Unserer Abwesenheit« im Eisenstädter Officiers-Zimmer wöchentlich zwei Musikalische Academien als am Dienstag und Donnerstag von 2 bis 4 Uhr Nachmittags mit den gesammten Musicis zu halten und, damit sich Keiner in Hinkunft, wie bisher geschehen, unterfange, vom Kirchendienst oder von den Academien sich ohne Erlaubniß zu absentiren, Uns alle 14 Tage einen schriftlichen Rapport einzusenden mit Name und Angabe der Ursache, wann Ein oder der Andere vom Dienst auszubleiben sich anmaßt. 6. »Endlichen wird ihme Capel-Meister Hayden bestermaßen anbefohlen, Sich selbst embsiger als bisher auf die Composition zu legen, und besonders solche stücke, die man auf der Gamba spiellen mag, und wovon Wir noch sehr wenige gesehen haben, zu componiren, und, um seinen Fleiß sehen zu können, von was immer jeder Composition das erste stück sauber und rein abgeschrieben Uns jederzeit einzuschicken.« –
Haydn scheint den fürstlichen Verweis beherzigt zu haben, denn wir begegnen kurz darauf einem sichtbaren Beweis der Anerkennung. Der Fürst schreibt nämlich unterm 4. Januar 1766[248] an seinen Wirthschaftsrath Rahier: »Diesen Augenblickh erhielt ich 3 stuckh vom Hayden, mit welchen ich sehr zufrieden bin. Sie werden dahero demselben 12 Ducaten aus der Cassa in meinem Namen geben lassen und ihm zugleich sagen, daß er noch 6 solche stuckh, wie Er mir dermahlen zugeschickt, und nebst dem auch 2 Solo machen und ehestens anhero zu übersenden trachte.«
Wenn schon die fürstliche Huld allein den Kapellmeister beglücken mußte, so kamen doch auch die begleitenden klingenden Beweise derselben um so erwünschter, als eben jetzt die grimmige Kälte (das Donaueis vermochte die schwersten Lastwägen zu tragen) die Bedürfnisse für den eignen Leib bedeutend steigerte. Auch aus diesem Brief ersehen wir des Fürsten Vorliebe für das Baryton, sowie seine Zufriedenheit mit der Schreibweise Haydn's. Der Brief ist noch von weiterem Interesse: es ist das erstemal, daß sich der Fürst der Bezeichnung »Schloß Esterház« bedient; er hatte also das am südlichen Ende des Neusiedler See's gelegene, mittlerweile umgebaute Jagdschlößchen Süttor, den Lieblingsaufenthalt seines verstorbenen Bruders, nach dem Stammort der fürstlichen Dynastie, dem magyarischen Dorfe Esterháza auf der Insel Schütt umgetauft. Der Aufenthalt in so strenger Kälte und in einer geradezu unwirthlichen, ungesunden Gegend beweist ferner, wie sehr dem Fürsten der Umbau, den er schon im August 1765 von Innsbruck aus ungeduldig betrieb, am Herzen lag.
Aus der vorerwähnten Bemerkung des Fürsten ergiebt sich, daß Haydn damals eben erst angefangen hatte, für das Baryton zu componiren. In rascher Folge, in verschiedenartiger Verbindung mit andern Instrumenten, vermehrte sich dann die Zahl dieser Compositionen. Auch suchte sich Haydn, wie wir weiter unten sehen werden, gleich Anfangs durch eigenes Ueben auf dem Baryton mit dessen Eigenthümlichkeiten vertraut zu machen. Betrachten auch wir etwas genauer dieses nun längst verschollene, durch das praktischere Violoncell verdrängte Instrument.
Das Baryton, italienisch Viola di Bardona,41 ist ein, in[249] Gestalt und Charakter der Viola di Gamba am Nächsten stehendes Geigeninstrument mit breitem und hohem Hals und Griffbrett, über demselben gewöhnlich mit 6–7 Darmsaiten bezogen, die mit dem Bogen gestrichen werden und häufige Doppelgriffe zulassen. Das Griffbrett ist rückwärts ausgehöhlt und es befinden sich hier 14–16, auch 18 zum Theil secundenweise gestimmte Saiten aus Messing, Stahl- oder Eisendraht. (Die Saitenzahl und der übrige Bezug ist sehr verschieden; Lidl vermehrte die unteren auf 27, worunter auch die Halbtöne inbegriffen sind.) Außerdem liegen noch auf der rechten Seite der Decke mehrere umsponnene Darmsaiten. Diese und die unterhalb gelegenen metallenen Saiten, mit denen man den begleitenden Baß angiebt, werden mit dem linken Daumen angerissen, geschnellt oder gekneipt; die umsponnenen Darmsaiten wohl auch mit dem kleinen Finger der rechten Hand, die den Bogen führt. Es sind somit drei verschiedene Bewegungen – Streichen, Schnellen und Greifen erforderlich, welche natürlich die Behandlung des Instrumentes nicht wenig erschweren. Die Musikstücke müssen demgemäß auch eigens für dasselbe eingerichtet werden; doch widersprechen die vorhandenen Compositionen, auch wenn die Tempi langsamer genommen wurden, der Behauptung, daß darauf nur langsame Sätze auszuführen seien. Die oberen Saiten sind vom eingestrichenen e abwärts gestimmt: e h f d a e und Contra-H; die unteren Metallsaiten mit dem tiefen e im Subbaß beginnend in diatonischer Stufenfolge aufsteigend bis[250] zum eingestrichenen a. Darin stimmen alle Beschreibungen überein, daß das Instrument einen höchst anmuthigen, sanften und lieblichen, zugleich aber auch melancholischen, schwermüthigen Eindruck hervorbringe. Auch allein gespielt, bietet es dem Ohre wenig Leeres in harmonischer Beziehung. Obwohl, wie gesagt, auch im Charakter der Gambe zunächst verwandt, bietet der Ton doch auch viel Eigenartiges; oft glaubt man eine Gambe und Mandorzither zugleich zu hören. Ein Cavalier in Wien, der dem Barytonspieler Franz selbst gestand, daß er bisher ein Feind der Musik gewesen, und ihn erst sein Spiel bekehrt habe, verglich den Effect des Baryton mit der Ananas, »man hört und weis nicht was man hört, denn alles harmonirt auf unterschiedliche Art«. Das Baryton hält sich hauptsächlich in der Tenor- und Baßlage auf, kann sich aber auch auf die Discantregion einlassen. Ein Theil der von Haydn componirten Barytonstücke wurde von ihm selbst und von Anderen mannigfach für andere Instrumente (Violine, Flöte, Viola, Violoncell) umgeschrieben.
Lauten- und Geigenmacher, die Barytons verfertigten, gab es viele; es sind solche Instrumente noch vorhanden von Magnus Feldlen in Wien (aus dem Jahre 1656), Heinrich Kramer in Wien (1714), Daniel Achatius Stadlmann in Wien (1732), Joh. Jos. Stadlmann in Wien (1750), Tielke in Hamburg (1686), Andreas Stainer in Absom in Tyrol (1660). Die drei erstgenannten Instrumente (nebst einem vierten ohne Namensangabe) befinden sich im Museum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; auch Stainer's Instrument, jetzt in Eisenstadt, gehört ursprünglich diesem Museum (den Knopf des Saitenhalters zieren zwei schön geschnitzte Köpfe, Mann und Knabe, ersterer mit Tyrolerhut); das Baryton von Tielke ist im South Kensington Museum in London, jenes von Joh. Jos. Stadlmann, in schönem Lederfutteral aufbewahrt, aber aller Saiten entledigt, ist im Eisenstädter Musikgebäude – es war das Kleinod des Fürsten Nicolaus.
Als öffentliche Spieler auf dem Baryton sind zu nennen: Marc. Ant. Berti (1721–1740 in der kaiserlichen Hofkapelle in Wien); Sig. Ferant (1744 in London); Anton Kraft und die Virtuosen Karl Franz und Andreas Lidl (in der Esterházy'schen Kapelle); Fauner (Magistratsrath, Dilettant in Wien 1794);[251] Sebastian Ludwig Friedel (k. preußischer Kammermusikus, 90er Jahre bis nach 1820 in Berlin); Vincenz Hauschka (kaiserlicher Hofbeamter und verdienstvolles Directionsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Mitte der 90er Jahre und noch 1823 genannt).
Compositionen für das Baryton lieferten: Niemecz, ein Schüler Haydn's (Primitio aus dem Orden der Barmherzigen Brüder, Bibliothekar in Esterház); L. Tomasini und A. Kraft (in der Esterházy'schen Kapelle); Wenzl Pichl (gedruckt erschienen 21 Quartette, Quintette, Sestetti und Ottavini; außerdem schrieb er 148 Quartette für Fürst Nicolaus); Musikalienhändler Joh. Traeg in Wien kündigte 1799 in Mscpt. 12mal 6 Trios an (Baryton, Viola, Baß); für Vinc. Hauschka,42 der auch selbst für das Baryton componirte, schrieben auf Wunsch der Kaiserin Marie Therese (zweite Gemahlin des Kaisers Franz) die Tonsetzer Ferd. Paër, Weigl und Eybler. Unter die Verehrer des Baryton zählen auch Churfürst Karl Theodor und König Friedr. Wilhelm II. König von Preußen.43 –
Zwei Anekdoten, die uns den Fürsten Nicolaus als Barytonspieler zeigen, führen uns unmittelbar ins fürstliche Musikcabinet. Die erste Anekdote nennt den berühmten Violoncellisten Anton Kraft, der am 1. Januar 1778 in der fürstlichen Musikkapelle angestellt wurde und daselbst bis zum Jahre 1790 verblieb. Kraft benutzte die Gelegenheit, Haydn's Unterricht in der Composition zu genießen. Um sich des Fürsten Zuneigung zu erwerben, erlernte er auch das Baryton und componirte mehrere Trios für zwei Barytons und Violoncell, bei denen er immer das zweite Baryton spielte. Nachdem er die nöthige Fertigkeit erlangt zu haben glaubte, schrieb er in einem Trio[252] auch ein Solo für das zweite Baryton. Kaum hatte er das Solo begonnen, so unterbrach ihn der Fürst: »Gieb Er mir die Stimme.« Nun fing der Fürst zu spielen an, blieb aber mitten drin stecken. Aergerlich darüber setzte er ab und sagte zu Kraft: »Schreib Er künftighin nur Solo für meine Stimme, denn daß Er besser spielt als ich, ist keine Kunst, sondern seine Schuldigkeit.«
Die zweite Anekdote hat Haydn zum Gegenstand.44 Die Erklärung des Fürsten nämlich, die Compositionen für das Baryton hätten sich nur auf ein- und dieselbe Tonart zu beschränken, reizte Haydn, das Instrument durch Selbstübung eingehend kennen zu lernen. Vielleicht auch dachte er dem Fürsten eine Freude zu machen oder war eine Eitelkeit dabei im Spiel. Genug, er übte, sein Componiren vernachlässigend, ohne Vorwissen des Fürsten wohl ein halbes Jahr lang, wozu er wegen Zeitmangel, zum Aerger seiner Frau, meistens die Nächte zu Hülfe neh men mußte. Endlich glaubte er sich mit Ehren vor dem Fürsten hören lassen zu können. Er spielte und zwar richtig in mehreren Tonarten und erwartete Ueberraschung und Beifall. Der Fürst aber blieb ganz ruhig und sagte nur: »Haydn! das muß Er besser wissen.« »Ich verstand den Fürsten vollkommen« (bemerkt Haydn zu Dies) »und ob mich gleich im ersten Augenblick die Gleichgültigkeit desselben schmerzte: so verdanke ich es doch seiner kurzen Erinnerung, daß ich plötzlich den Vorsatz fahren ließ, ein guter Barytonspieler zu werden. Ich erinnerte mich, daß ich mir als Kapellmeister, und nicht als ausübender Virtuos, schon einigen Ruhm erworben hatte, machte mir selbst Vorwürfe, die Composition seit einem halben Jahre vernachlässigt zu haben und wandte mich wieder mit neuem Eifer zu derselben.«[253]
Was Haydn's Compositionen für das Baryton betrifft, werden einstweilen einige allgemeine Bemerkungen um so mehr genügen, als ja weitaus der größte Theil derselben ihrer Entstehung nach in die Jahre nach 1766 fällt. Haydn selbst hat sie ohne weitere chronologische Folge in seinem thematischen Verzeichniß angegeben und am Schlusse bemerkt: »In Allem 163 Pariton-Stücke.« (Außerdem fanden sich in Eisenstadt noch 12 Divertimenti für 2 Baryton und Baß in Haydn's Handschrift vor.) Einige Trios scheinen Lieblingsstücke des Fürsten gewesen zu sein, denn sie finden sich auch als Chöre angezeigt, z.B. zur Wiedergenesung des Fürsten (Dei clementi); zur glücklichen Wiederkehr (Al tuo arrivo felice). Andere Trios haben eigene Benennungen, z.B. »l'Allelujah« (der erste Satz nach der bekannten Kirchenmelodie); »das alte Weib« (die Viola im Menuet-Trio Klagetöne nachahmend). Ein Trio hat am oberen Rand die Bemerkung Fatto a posta und rechts in der EckeNihil sine causa. Im Allgemeinen auf 3 Sätze beschränkt, boten besondere Anlässe auch ungewöhnliche Ausdehnung; zum Geburtsfest des Fürsten45 schrieb Haydn sogar ein Trio mit 7 Nummern, darunter (ein seltener Fall) auch eine Polonaise. Menuets und Finale sind häufig auch künstlich aufgebaut:Fuga a 3 sogetti in contrapunto doppio; Canone in diapente; Menuetto alla Zoppa (rhythmische Verrückung) und Trio al contrario. Einmal hat das Baryton im Menuet-Trio auch ein Solo ohne alle Begleitung; ein einziges Mal wechseln dabei auch Gambe und Baryton. – Von den, allem Anscheine nach, frühesten Barytonstücken haben sich, außer zahlreichen Bruchstücken noch erhalten: ein Duett für 2 Baryton (Haydn's Katalog Nr. 4 unter 6 Duetten) und oben erwähnte 12 Divertimenti für 2 Baryton mit Baß; sie sind ganz kurz, jede Nummer nur aus einem Satz von 1 und 2 Theilen zu 8 und 16 Tacten bestehend. Verloren gegangen sind alle 12 in Haydn's Katalog verzeichneten Sorten für Baryton und Violoncell und 3 Concerte für Baryton mit 2 Violinen und Baß. Dagegen erhielten sich in Abschriften und Autographen sehr viele Divertimenti für Baryton, Viola und Baß und einige mehrstimmige Cassationen. (Im Jahre 1781 erschienen als Op. 31 bei Artaria 6 solcher[254] concertirenden Divertimenti zu 8 Stimmen, das Baryton durch Flöte ersetzt). – Nach Tonarten geordnet entfällt der kleinere Theil auf C-dur; vorherrschend sindG-, D- und A-dur. Von den B-Tonarten ist nur F-dur 3mal vertreten; ebenso selten sind Moll-Tonarten, nur A-moll und H-moll erscheint einmal als Haupt-Tonart.
Die Trios für Baryton, Viola und Violoncell sind meistens dreisätzig; Menuet mit Trio, welcher nie fehlt, bildet gewöhnlich den zweiten, manchmal auch den letzten Satz. Die Mannigfaltigkeit der Themen und Erfindung interessanter Menuet-Trios ist hier staunenswerth. Im Allgemeinen sind die Tempi etwa folgendermaßen vertheilt: Erster Satz – Allegro, Moderato, Adagio, Largo, Schersando Presto (mit ihren kleineren Schattirungen); zweiter Satz – Menuet undTrio, seltener ein Allegro, Adagio oder Andante; Dritter Satz – Allegro (molto, assai), Presto, Scherzo Presto, und (mit Bezug auf den zweiten Satz) Menuet und Trio, oder Tempo di Menuetto.
Nach den vorhandenen Autographen mit Nummerirung und Jahresangabe, nebst Abschriften, ebenfalls mit Jahresangabe, läßt sich im Ganzen die Zeit der Entstehung dieser Gattung Compositionen feststellen. Von den 125 dreistimmigen Divertimenti (Baryton, Viola, Baß) waren bis zum Jahre 1767 die ersten 48 Nummern componirt; bis 1769 entstanden weitere 24; bis etwa zu Ende 1770 abermals 24;46 die letzten 29 (Nr. 106 hat schon 1772) folgten wohl unmittelbar. Die mehrstimmigen Cassationsstücke scheinen alle in die 70er Jahre zu fallen (3 Nummern tragen die Jahreszahl 1775). Nach dieser Zeit sind keine Compositionen für das Baryton nachweisbar. Da auch die beiden ausgezeichneten Virtuosen Lidl und Franz in[255] dieser Zeit entlassen wurden (Lidl im Mai 1774, Franz im Dec. 1776), mag wohl auch der Fürst sein eigenes Spiel aufgegeben haben; die nun von Jahr zu Jahr sich reicher entfaltende Musikkapelle, die Oper nebst Schauspiel und Marionettentheater nahmen seine Aufmerksamkeit ohnedies vollauf in Anspruch. Aber auch Haydn mußte nun seine volle Thätigkeit der Kapelle zuwenden; er verwerthete wohl einen Theil der bereits fertigen Barytonstücke in Umschreibung für andere Instrumente, öfter drei- und vierfach mit Erweiterung bis zu 8 Stimmen;47 oder Andere thaten dies für ihn, oder er vergaß darauf, mit größeren. Arbeiten beschäftigt. Manche Autographe gingen ihm auch durch Ausleihen verloren; Dies (S. 55) erwähnt hierauf bezüglicher Uneinigkeiten zwischen Haydn und einem Ungenannten wegen solcher im Leben nicht ungewöhnlicher Vorkommnisse. Nach Haydn's Entwurf-Katalog zu schließen hatte er die Barytonstücke in vier Büchern zusammengeschrieben und nach diesen bezeichnet und nummerirt.
Mit Recht könnte man voraussetzen, daß eine so große Anzahl gleichartiger Compositionen die Erfindungsgabe abschwächen müßte, wenn uns Haydn nicht das Gegentheil bewiesen hätte. Diese Compositionen geringeren Umfangs dienten ihm gleichsam als Vorstudien zu seinen größeren Werken, in denen er sich dann um so freier bewegte. Schon die erste Hälfte (soweit diese vorliegt) überragt die bekannten ersten 18 Quartette an Sicherheit in der Anlage, an Abrundung und Mannigfaltigkeit, an Reichthum und Frische der Ideen. In zweckmäßiger Auswahl zusammengestellt dürften auch heutzutage noch, trotz ihrer knappen Form, manche im Stande sein, die Liebhaber von Kammermusik in kleinerem Kreise zu interessiren, um so mehr, als diese Compositions-Gattung (drei Streichinstrumente) ohnedies spärlich vertreten ist. Summarisch genommen hat Haydn die folgende Anzahl Barytonstücke geschrieben: 6 Duetten für 2 Baryton; 12 Sonaten für Baryton und Violoncell; 12 Divertimenti[256] für 2 Baryton und Baß; 125 Divertimenti für Baryton, Viola und Violoncell; 17 mehrstimmige Cassationsstücke; 3 Concerte für Baryton mit 2 Violinen und Baß – im Ganzen 175 Compositionen. Dazu kommen noch einige Clavier-Divertimenti mit Begleitung von Violinen und Baryton48 und eine später erwähnte Cantate auf den Tod des Königs Friedrich des Großen (für Gesang mit Barytonbegleitung).
Ueber die weiteren Compositionen Haydn's bis zum Jahre 1766 kann hier nur so weit gesprochen werden, als sich aus triftigen Gründen annehmen läßt, daß sie eben in diesen Zeitraum (1762–1766) fallen. Von den Symphonien kommen auf diese Jahre zum mindesten 30, von denen aber ein Theil weit eher dem Charakter von concertirenden Tonstücken, Cassationen oder Divertimenti entspricht. Erhalten haben sich in Haydn's Handschrift, in Partitur, zwei aus dem Jahre 1763 und je vier aus den Jahren 1764 und 1765. (Eine Symphonie, D-dur, im Nachlaß Haydn's mit 1766 angegeben, ist nicht mehr vorhanden.) Die genannten 30 Symphonien sind sämmtlich, bis zum Jahre 1779 vertheilt, in Abschriften in Breitkopf's Katalog angezeigt; einige sind übrigens auch im Stich in Paris bei verschiedenen Verlegern erschienen. Die Harmonie besteht bei den meisten aus 2 Oboen und 2 Hörnern, einigemal sind Flöten benutzt; Klarinetten kommen hier und weitaus in die nächstfolgende Zeit nicht vor. Trompeten und Pauken erscheinen nur zweimal, doch sind letztere außerdem einmal nachträglich hinzugefügt. Zwei Symphonien zählen bereits in dieser Zeit 4 Waldhörner, es ist also die Annahme Deldevez's49, Haydn habe diese Instrumente in dieser Anzahl nur einmal angewendet, schon jetzt zu berichtigen. Elf dieser Symphonien sind dreisätzig, meistAllegro, Andante, Presto oder Tempo di Menuetto; alle übrigen haben Menuets, vorzugsweise im 3. Satz; die später vorherrschenden ernsten Einleitungs-Sätze kommen hier nur zweimal vor.[257]
Ob von Haydn's mehrstimmigen Divertimenti für verschiedene Instrumente (Haydn zählt deren 20 auf) einige in den genannten Zeitraum fallen, ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Breitkopf's Katalog hat deren 8 in den Jahren 1767 und 1768 angezeigt. (Das einzige in Autograph erhaltene Divertimento wurde schon früher erwähnt und gehört, als im Jahre 1760 componirt, nicht hierher.) Ein Divertimento, das einzige für 4 Streichinstrumente, erschien 1765 als Streichquartett, wurde aber von Haydn in seine Quartett-Sammlung nicht aufgenommen und ist auch, wie Haydn selbst angiebt, nie im Stich erschienen. Einige fünfstimmige Divertimenti (2 Violinen, 2 Violen und Baß) belehren uns, vorausgesetzt daß sie nicht Arrangements sind, daß Haydn wirklich auch Quintette geschrieben hat, eine Frage, die bisher immer verneint wurde. Daß auch Griesinger von einem Quintett spricht, haben wir S. 141 gesehen. Unter 12 Nummern, über die jeder Nachweis fehlt, befinden sich auch sogenannte Feldpartien, ausschließlich für Blasinstrumente geschriebene Stücke, z.B. für je 2 Klarinetten, Hörner und Fagotte. Ein verloren gegangenes sechsstimmiges Divertimento, D-dur 4/4, ist betitelt »Der verliebte Schulmeister« (il maestro innamorato). Vier Nummern (Haydn's Katalog Nr. 1, 2, 11, 20), die uns später nochmals beschäftigen werden, sind unter verschiedener Benennung und Stimmenzahl häufig angezeigt; eine darunter, »Der Geburtstag« betitelt und zuerst 1767 erschienen, hat sich bis auf unsere Zeit erhalten und wird in neuesten Auflagen ahnungslos als Sonate für Clavier und Violine gespielt. Um die Verwirrung zu vermehren, finden sich auch hier wie bei den Symphonien einige mit umstellten Sätzen, so daß man im Augenblick wähnt, verschiedene Werke vor sich zu haben. Außer den von Haydn angegebenen 20 Divertimenti circuliren aber noch fast ebenso viele unter verschiedenem Titel, Notturni, Serenaten, Concertante u.s.w. unter Haydn's Namen; so sind z.B. von den IX Cassationen, die von Breitkopf 1768 in Mscpt. angezeigt sind, nur zwei in Haydn's Katalog vorfindig. Dagegen sind in dieser Rubrik, wie später auch bei den Clavierstücken, viele Nummern enthalten, die wiederum in Haydn's Katalog fehlen und doch von ihm anerkannt sind. So ist ein eigenthümliches Musikstück, »Echo« betitelt, für 4 Violinen und 2 Violoncell componirt (für je 3 Instrumente in zwei[258] aneinanderstoßenden Zimmern zu spielen) von Haydn nicht verzeichnet, obwohl es schon 1767 und dann bis zu Ende des Jahrhunderts in deutschen und französischen Angaben häufig angezeigt ist, daher beliebt gewesen sein muß und auch in unsern Tagen in Partitur und Stimmen (Trautwein) und als Clavier-Quartett mit 2 Violinen und Violoncell (Simrock) erschienen ist. Diese verschiedenen Arrangements der meisten Divertimenti erschweren die Uebersicht und Richtigstellung derselben ungemein und fordern zu besonderer Vorsicht auf.
Die Tanzmusik ist in diesen Jahren durch eine einzige Nummer vertreten, sobald wir uns dazu verstehen, das in Eisenstadt noch vorhandene sehr abgegriffene Autograph in diese Zeit zu setzen. Es sind 12 Menuetten, hier für Clavier arrangirt (die Oberstimme wie bei den meisten damaligen Clavierstücken im Sopranschlüssel), welche in Breitkopf's Katalog 1767 als XVI Minuetti (2 Hörner, 2 Oboen, Trav. Flautini, Fagotti, Baß) angezeigt sind. Jedenfalls ist von Haydn keine frühere, für Orchester und zum Tanzgebrauch geschriebene Menuetten-Sammlung bekannt geworden.
Von den Quartetten für Streichinstrumente können wir an dieser Stelle ganz absehen, da die, den ersten achtzehn folgenden Quartette erst ins Jahr 1769 fallen. Außer dem vorerwähnten einzeln stehenden Quartett sind weiterhin noch zwei ebenfalls vereinzelte Quartette in Breitkopf's Katalog angezeigt, die aber von Haydn ganz ignorirt wurden.
Von den 21 Trios für 2 Violinen und Violoncell, die Haydn in seinem Katalog aufführt, gehört wohl der größte Theil in die 50er Jahre. Ueber 4 Nummern fehlt jeder Nachweis; noch erhaltene Abschriften deuten bei einigen auf die Mitte der 60er Jahre hin. Sie sind ziemlich umfangreich, meist dreisätzig und die erste Violine besonders reich figurirt. In Breitkopf's Katalog sind in den Jahren 1766 und 1767 13 dieser Trios aufgenommen. Von den bei Simrock erschienenen Op. 21 »6 leichte Trios«, Heft I, sind Nr. 3 und 6 in Haydn's Katalog (7 und 11) enthalten. Im Stich erschienen ferner bei Artaria (T. Mollo) 2 Hefte »Trois Trios originaux pour deux Violons et Basse«, Liv. I und II (nach Haydn's Katalog Nr. 17, 21, 20; 3, 2, 4).
Was die Compositionen für Clavier betrifft, die etwa in[259] die hier berührten Jahre fallen, so sind wir hier vorzugsweise nur auf Vermuthungen angewiesen. Eine einzige Nummer, ein Divertimento per Cembalo con due Violini e Basso, liegt in Haydn's Handschrift vor, datirt 1764, und erschien bei Breitkopf in Abschrift im Jahre 1773. Einige Concerte, Divertimenti, Trios, Sonaten (die erste Sammlung, 5 Nummern, ist 1767 veröffentlicht und 3 derselben sind in die neuen Gesammt-Auflagen aufgenommen), V Soli und ein Menuet mit Variationen, zum Theil in Haydn's Katalog, zum Theil bei Breitkopf in Mscpt. angezeigt, dürften hierher zu rechnen sein. Einen Theil der Concerte abgerechnet, die in spätere Jahre fallen (es sind im Ganzen 15), reicht jedoch der größte Theil der hier erwähnten Clavierstücke, nach Haydn's eigener Angabe, in die frühere, zum Theil in die früheste Zeit Haydn's und wird entsprechender späterhin im Ganzen zusammen zu fassen sein.
Daß Haydn auch Concerte für Streich- und für Blasinstrumente geschrieben hat, sei hier einstweilen nur vorübergehend angedeutet, da dieselben, das einzige früher genannte Hornconcert ausgenommen, den spätern Jahren angehören. Es sind im Ganzen 28 Concerte, mit Violine (9), Violoncell (6), Contrabaß (1), Lira (5), Flöte (2), Horn (4) und Clarino (1) vertreten.
Am dürftigsten und unsichersten sieht es mit den Gesangwerken aus. Von den zahlreichen, unter Haydn's Namen verbreiteten, aber mit wenigen Ausnahmen an sich bedeutungslosen kleineren Kirchencompositionen kann man nur wünschen und voraussetzen, daß sie in frühe Jahre fallen. Ein einzigesSalve Regina, G-dur 2/4, für concertirenden Sopran und Alt mit 2 Violinen und Orgel ist insofern hier zu erwähnen, als es seit dem Jahre 1766 in Abschrift im Stifte Göttweig vorhanden ist. Doch war auch aus demselben Jahre das Autograph eines Kyrie zu einer Messe50 vorhanden; die Messe selbst hat Haydn im Verzeichniß dieser Werke nicht genannt; später soll er dies Kyrie zu seiner Mariazeller-Messe (1782) verwendet haben.[260]
Der Stand der Musikkapelle hatte seit dem Jahre 1762 manche Veränderungen erfahren; mehrere Mitglieder waren entlassen worden, mehrere waren gestorben, der Ersatz zeigt noch keine wesentliche Verstärkung. Die Kapelle zählte zu Anfang des Jahres 1766: 6 Violinen (Viola inbegriffen), 1 Violoncell, 1 Violon, 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Fagott, 4 Waldhörner. Das Gesangspersonal bestand aus 3 Discant, 1 Alt, 3 Tenore, 1 Baß. Neu waren hinzugekommen: Jos. Burgsteiner (Violine und Bratsche, bis 1790); Jos. Diezl (Waldhorn und Violon, gestorben 1801); Franz Stamitz (Waldhorn); Franz Reiner (Waldhorn); Karl Franz (Waldhorn, Baryton, bis 1776). Beim Gesang: Auguste Houdiere (»Singerin«); Leopold Dichtler (Tenor, dann Violonist, gestorben 1799); Joh. Haydn (Tenor). An der Orgel saß seit Aug. 1765 Franz Novotny (gestorben 25. Aug. 1773). Er war zugleich Beamter in der Buchhalterei; sein Vater, der früher genannte Johann Novotny, ein tüchtiger Musiker, war als Organist in fürstlichen Diensten von 1736–1765.
Wir haben nun den bemerkenswertheren Mitgliedern einige Aufmerksamkeit zu schenken; es sind die Instrumentalisten Tomasini, Weigl, Steinmüller, Franz und der Copist Elßler; die Sängerinnen Scheffstoß und Fux; die Sänger Friberth und Dichtler. Aus dem Standpunkt, den diese und später hervorragende Mitglieder der Kapelle als Künstler und Mensch einnehmen, werden wir allmählig ein Gesammtbild des geistigen Verkehrs, in dem sich Haydn bewegte, gewinnen. Da die meisten Mitglieder aus dem Ausland kamen und mitunter ein bewegtes Leben hinter sich hatten, konnte es nicht an mannigfachen Anregungen zu Meinungsaustausch fehlen. Haydn wurde so am lebendigsten mit den Vorgängen von Außen vertraut und die Künstler wiederum trugen den Ruhm ihres durchweg verehrten Chefs weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus, daher es auch kam, daß Haydn's Werke, abgesehen von ihrer Bedeutung an sich, so ungewöhnlich rasche Verbreitung fanden. Fassen wir nun die genannten Mitglieder näher ins Auge.
Luigi (Aloysius) Tomasini, aus Italien gebürtig, wurde kurz nach Haydn's Anstellung in die fürstliche Musikkapelle als erster Violinist aufgenommen. Über Luigi Tomasini (Vater) siehe BD. II. S. 17. Er zählte damals etwa 20 Jahre, war also im Vollbesitz jugendlichen Feuers; auch war er der bis dahin bedeutendste Virtuose der Kapelle. Haydn's Symphonie [261] Le Midi mit ihrem Adagio und außergewöhnlichen Recitativ ist unstreitig auf die Fähigkeiten dieses Künstlers berechnet. Fürst Nicolaus wußte Tomasini's Talent wohl zu schätzen. Bei der Taufe seines ersten Kindes (1770) standen der Fürst und seine Tochter, die verehelichte Gräfin Grassalkowics, selbst zu Gevatter. Sein Gehalt, anfangs 200 Fl., war nach 3 Jahren schon auf mehr als das Doppelte gestiegen (432 Fl.) und erfuhr, vermehrt durch ansehnliche Naturalien (Holz, Kerzen, 9 Eimer Wein) wiederholte Steigerungen, und die Gunst, die sich auf die nachfolgenden Fürsten übertrug, erhöhte den baaren Gehalt im Jahre 1803 noch bis auf 1100 Fl.; auch genoß er seit 1790 noch außerdem 400 Fl. Pension, die ihm Fürst Nicolaus vermacht hatte. Neben dem gleichzeitig zum Vice-Kapellmeister ernannten Johann Fuchs, der die Chor- und Kirchenmusik leitete, wurde Tomasini im Jahre 1802 die Direction der Kammermusik anvertraut. Mit Haydn war Tomasini innig befreundet und wenn er von Wien aus Alle in Eisenstadt grüßen läßt, so nennt er, sich eines Scherzausdruckes bedienend, »besonders meinen Bruder, Luigi Fex«.51 Haydn schätzte in ihm den gediegenen Künstler, dessen Vortragsweise ihm besonders zusagte. »So wie du (sagte Haydn zu ihm) spielt mir Niemand meine Quartette zu Dank.« Wir dürfen daher wohl auch an nehmen, daß der Meister bei den meisten seiner bis zur Londoner Reise entstandenen Quartette seinen lieben Primgeiger im Auge hatte und können aus deren Schreibart am besten die Spielweise und Richtung Tomasini's entnehmen. Die in den 60er Jahren entstandenen Streich-Duos und Trios sind ebenfalls dahin zu zählen, dergleichen einige Violinconcerte. Eines davon, C-dur 2/4, (im Jahre 1769 von Breitkopf in Mscpt. angezeigt) ist eigens in Haydn's erstem Entwurf-Katolog bezeichnet mit »Concerto per il Violino ex C, fatto per il Luigi«. Als Solospieler trat Tomasini ein einzigesmal in Wien auf; er spielte im Jahre 1775 in einer Akademie der Tonkünstler-Societät ein Violinconcert, wahrscheinlich eigener Composition, denn Tomasini war auch selbst productiv; seinem Fürsten Nicolaus componirte und dedicirte erXXIV Divertimenti per il Paridon, Violino e Violoncello,[262] die in schöner Abschrift von Elßler's Hand im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde zu Wien aufbewahrt sind; der Musikalienhändler J. Traeg in Wien kündigte 1799 in seinem Katalog noch folgende Werke in Mscpt. an: II Concerti a V. princ. con acc.; II Sonate a V. solo e B.; XII Quartetti a 2 V. A. et B.; ferner sind in der Wiener Zeitung und Allgemeinen Musik-Zeitung von Traeg und von Mollo als gestochen angezeigt: XII Variations pour le Violon; Trois Duos concertants pour deux Violons, dédiés à Mr. J. Haydn. Im Magasin de l'imprimerie chimique erschienen auch: Trois Quatuors, oeuvre 8. dédiés an Prince régnant, Nicolas d'Esterházy. Ein Violinconcert von Tomasini spielte dessen Sohn in Wien im Jahre 1796 in der Akademie der Tonkünstler-Societät, bei Gelegenheit der Feier des 25jährigen Bestehens dieses Vereines, dem der Vater seit dessen Gründung als Mitglied angehörte. Tomasini starb am 25. April 1808 im 67. Lebensjahre und sein Leichnam wurde in der Bergkirche in derselben Gruft beigesetzt, die später auch Haydn aufnahm. Der Fürst, Nicolaus II, ehrte das Andenken Tomasini's, der nahezu ein halbes Jahrhundert seiner Kapelle angehörte, indem er der Witwe 400 Fl. und ihren unmündigen Kindern 200 Fl. Gnadengehalt aussetzte. Zwei Töchter, Elisabeth und Josephine, waren in der Kapelle von 1807 bis 1810 als Discantistinnen angestellt und fangen gelegentlich auch bei den Opernaufführungen in Eisenstadt. Ueber seinen Sohn Aloysius, meistens Luigi genannt, sei hier, obwohl der Zeit bedeutend vorgreifend, der Zusammengehörigkeit halber noch das Nöthige beigefügt.
Luigi (Aloysius) Tomasini wurde am 17. Feb. 1775 zu Eisenstadt geboren und kam im Jahre 1796 als Violinist und Bratschist in die fürstliche Kapelle. Die beiden Söhne Tomasini's, Luigi (Aloysius)und Anton sind hier irrthümlich verwechselt und ineinander verkettet. Luigi d.ä. heirathete ohne des Fürsten Wissen die Sängerin Sophie Groll (Croll); beide wurden sofort entlassen und traten in die herzogl. Mecklenb.-Strel. Kapelle, L. als Concertmeister. 1812 gaben sie in Berin ein Concert, in dem Luigi Beethoven's Concert »mit vieler Fertigkeit und Kraft« spielte; seine Frau, eine Schülerin Righini's wird sehr gelobt. 1814 gab L. in Wien im Kärnthnerthor-Theater ein Concert, fand aber keinen Beifall. Von da an ist er verschollen. Beide Söhne wurden 1796 in die fürstl. Esterh. Kapelle aufgenommen. Anton wurde 1811 Dirigent bei der 2., 1820 bei der 1. Violine und starb 1824. Hiernach ist der Absatz Luigi Tomasini zu berichtigen. Haydn's Votum aber (S. 364, Zeile 20) bezieht sich auf Luigi. Bei seinem vorerwähnten Wiener Auftreten in demselben Jahre legte ihm die Akademie-Ankündigung bereits das Prädicat »berühmt« bei. Im Jahre 1801 trat er ein zweitesmal in der Tonkünstler-Societät und im Jahre 1806 im Augartensaal mit einem Concert auf. Die Nachrichten über ihn stimmen darin überein, daß ihm ein bedeutendes Talent beschieden war. Glaubwürdige Personen, die ihn oft spielen gehört, (unter ihnen der im Jahre 1871 zu Wien verstorbene sehr gediegene Musiker Joh. Navratil, welcher der Kapelle von 1817 bis 1831 angehörte) lobten seinen vollen schönen[263] Ton, seine bedeutende Geläufigkeit und überaus leichte Auffassung. Trotzdem kam er nicht entsprechend vorwärts, woran hauptsächlich sein Leichtsinn und unordentlicher Lebenswandel Ursache war. Seine Urlaubszeit in Wien, die er regelmäßig auf eigene Faust ausdehnte, benutzte er lediglich zum Schuldenmachen; statt zu studiren, trieb er sich tagelang in Wirths- und Kaffeehäusern herum, schwächte seinen Körper und vernachlässigte sich derart, daß Hummel, der damalige fürstliche Concertmeister, von ihm sagte, daß man außer seinem Talente nichts Vernünftiges von ihm gewohnt sei. Zweimal vom Fürsten aus der Kapelle ausgestoßen, wurde er doch wieder, das eine Mal (1803) auf Fürbitte Haydn's, das zweite Mal (1811) auf Vorstellung des Kapellmeisters Fuchs, des Nachfolgers Haydn's, wieder aufgenommen und jedesmal wurde ihm sein Gehalt obendrein noch erhöht, so daß er im Jahre 1811 als Dirigent bei der zweiten Violine (nebst freiem Quartier, 6 Klafter Holz und täglich eine Maß Wein) einen Gehalt von 1800 Fl. (im damaligen Geldeswerth) bezog. Als die Kapelle nach jahrelanger Stockung 1820 wieder flott wurde, rückte Tomasini als Dirigent bei der ersten Violine vor. Haydn's Votum über ihn (Vorstellung an den Fürsten) lautete vordem: »Um das seltene Genie des Bittstellers |: so durch zufällige Krankheit und darauf folgende Dürftigkeit in etwas zerrüttet wurde :| wieder in gehörige Ordnung zu bringen, wäre meine unmaßgebliche Meinung, dasselbe durch die Gnade der Hochfürstlichen Durchlaucht mit einer jährlichen Zulage von 100 Fl. oder wenigstens 50 Fl. zur größeren Thätigkeit fernerhin zu zwingen.« Doch der Unverbesserliche ließ sich auch durch Großmuth nicht zwingen, kam immer mehr an Leib und Seele herab und starb endlich in Eisenstadt am 12. Juni 1824. Er war im Jahre 1803 in die Tonkünstler-Societät in Wien eingetreten und die Witwe genoß demgemäß bis zu ihrem Tode (1853) durch 29 Jahre die Wohlthat einer statutenmäßigen Pension.
Joseph Weigl wurde am 1. Juni 1761, damals 20 Jahre alt, auf Anrathen seines Busenfreundes Haydn als Violoncellist in die fürstliche Kapelle aufgenommen und verließ dieselbe im Jahre 1769, um in Wien eine Orchesterstelle bei der italienischen Oper anzutreten; 1792 wurde er Mitglied der kaiserlichen Hofkapelle und starb als k.k. Hof- und Kammermusikus am[264] 25. Jan. 1820 im 79. Lebensjahre. Nach dem Todten-Protokoll war er von Wien gebürtig; nach Gaßner's Universal-Lexicon der Tonkunst war er in Baiern am 19. März 1740 geboren. Nach Traditionen, die sich in der Familie erhalten haben, ist die letztere Annahme die richtigere. – Im Jahre 1764 vermählte sich Weigl mit Anna Maria Josepha, Tochter des fürstlichen Buchhalters Anton Scheffstoß. Sie war am 24. Juni 1742 in Eisenstadt geboren und trat, wie bereits erwähnt, am 1. Jan. 1760 als Chor- und Cameralsängerin in fürstliche Dienste. Sie verließ gleichzeitig mit ihrem Manne Eisenstadt und wurde in Wien im Theater n.d. Burg als Sängerin für Oper und Singspiel angestellt, verließ aber die Bühne für immer im Jahre 1773. Müller52 nennt sie »eine große Tonkünstlerin und Schauspielerin und in beiden Fächern (ernste Oper und Singspiel) gleich stark«. Schönfeld53 sagt, daß sie aus eigener Abneigung zum Verdruß aller Kunstkenner die Bühne verließ und sich zum großen Leidwesen derselben seitdem nirgends mehr hören ließ und daß durch Entbehrung ihres angenehmen seelenvollen Gesanges die Tonkunst sehr viel an ihr verlor. Sie starb zu Wien am 30. Nov. 1824 im 82. Lebensjahre. – Haydn, der in Eisenstadt und Esterház, theils gemeinschaftlich mit seiner Frau, theils allein, häufig zu Gevatter gebeten wurde, hob auch am 28. März 1766 zu Eisenstadt das erste Kind seines Freundes Weigl aus der Taufe. Der Täufling erhielt den Namen Joseph, widmete sich ganz der Musik und wurde kaiserlicher Operndirector und Vice-Hofkapellmeister. Seine Oper »Die Schweizerfamilie«, die den besten Sängerinnen eine willkommene Aufgabe bot, hat seinen Namen vorzugsweise verbreitet. Von welch' frommen, gläubigen und liebevollen Gefühlen Haydn bei diesem Taufact durchdrungen war, bezeugen die Eingangsworte eines Briefes, den er nach 28 Jahren seinem Pathen nach Anhörung einer Opera buffa desselben schrieb. Er lautet nach dem Original:54[265]
Liebster Pathe!
Da ich Sie nach Ihrer Entstehung auf meinem Arme trug, und das Vergnügen hatte Ihr Tauf Pathe zu seyn, flehete ich die Allmächtige Vorsicht an, Ihnen den vollkommensten Grad eines Musikalischen Talents zu verleihen. Mein heißer Wunsch wurde erhört: – – schon seit langer Zeit habe ich keine Music mit solchem Enthusiast empfunden als Ihre gestriche La Principessa d'Amalfi: Sie ist gedankenneu, Erhaben, ausdrucksvoll kurz – ein Meisterstück. – Ich nahme den wärmsten antheil an dem gerechten Applaus, so man Ihnen gab. Fahren Sie fort liebster Pathe diesen ächten Styl stets zu beobachten, damit Sie die Ausländer neuerdings überzeugen, was der Teutsche vermag. anbey aber erhalten Sie Mich alten Knaben in Ihrem angedenken. Ich liebe Sie herzlich, und bin Liebster Weigl
Ihr Herzensfreund und Diener
Joseph Haydn.
Von Hauß den 11. Jänner 1794.
Der im Jahre 1762 in die fürstliche Kapelle eingetretene Waldhornist Thaddäus Steinmüller war, wenn nicht selbst ein geschickter Virtuose, doch ein guter Lehrmeister auf seinem Instrument. Seine von ihm gebildeten Söhne, Johann, Wilhelm und Joseph, ließen sich in den 80er Jahren mit ungewöhnlichem Beifall in Hamburg, Hannover, Dresden, Magdeburg und Leipzig hören, namentlich wird ihr Adagio gelobt. Sie componirten auch gemeinschaftlich Duette und Terzette für ihr Instrument. In Hamburg bliesen sie ein Doppelconcert von Rosetti und ein Concert für drei Hörner von Hoffmeister. In Magdeburg waren sie »die ersten Virtuosen, die sich nach Lolli einer reichen Einnahme rühmen konnten«.55 Sie kamen alle[266] drei in Eisenstadt zur Welt und wurden vom Ehepaar Haydn aus der Taufe gehoben. Ihr Vater verließ die Kapelle im Jahre 1772.
Der Waldhornist Karl Franz wurde am 9. April 1763 in die Esterházy'sche Kapelle aufgenommen. Sein Gehalt war höher als der seiner Collegen; er bezog jährlich 300 Fl., 30 Fl. Quartiergeld und ansehnliche Naturalien. Die Acquisition dieses Künstlers muß dem Fürsten sehr erwünscht gewesen sein, denn Franz war nicht nur ein ganz vorzüglicher Waldhornist, sondern er wurde bald auch ein nicht minder ausgezeichneter Barytonspieler. Franz wurde im Jahre 1738 zu Langenbielau, unweit Reichenbach in Schlesien geboren, und kam im Jahre 1758 nach Olmütz zum Erzbischof Leopold Friedrich Grafen von Egkh, der aber schon am 15. Dec. 1760 starb.56 Das Baryton, das Franz, wie es scheint, erst in seiner Esterházy'schen Anstellung kennen lernte, hat er vervollkommnet und sein Spiel soll von äußerst melancholisch sanfter Wirkung gewesen sein. Da ihm angeblich der Fürst nicht erlauben wollte zu heirathen, verließ er die Esterházy'sche Kapelle im Dec. 1776 und ging nach Preßburg zum Cardinal Bathiany, wo er 8 Jahre blieb; sodann begab er sich auf Reisen und soll auch in Wien innerhalb zwei Jahren 12 Concerte mit großem Beifall gegeben haben. Im Jahre 1787 wurde er als Kammermusikus nach München berufen, wo er 1802 starb.57 Sein Instrument nannte er den König aller Instrumente. Haydn hat eigens für ihn eine Cantate »Deutschlands Klage auf den Tod Friedrich des Großen« componirt, die Franz u.a. in Nürnberg im Jahre 1788 mit sehr angenehmer Stimme sang und sich selbst dazu auf dem Baryton begleitete. Diese, als ein Meisterstück geschilderte Cantate, mit den Worten beginnend: »Er ist nicht mehr! Tön' trauernd, Baryton«! ist spurlos verschwunden; den Text findet man in der Boßler'schen Musikalischen Realzeitung für das[267] Jahr 1788, Speyer, Nr. 8, S. 47. Franz sagt zwar im Jahre 1787 selbst »ich spielte vor 3 Jahren zu Wien in einer großen Gesellschaft hoher Herrschaften«, von den erwähnten 12 Concerten ist jedoch nichts bekannt. Franz scheint sich nur privatim haben hören lassen. Nur einmal finden wir auf einem Zettel des einst bestandenen Landstraßer Theaters, 15. Oct. 1793, folgende Notiz: »Ein Diversement vom Herrn Haiden, gespielt auf dem Bariton vom Herrn Fitz.« Der übrigen Orthographie entsprechend dürfte dies etwa unser Virtuose gewesen sein.
Abermals verführt uns ein Name, der Zeit vorzugreifen. Wenn auch nicht in den Conventionalen, so findet sich doch in den Archivs-Rechnungen und Kirchenbüchern in den 60er Jahren der Name Elßler. Es ist der schon früher erwähnte Name des Copisten Haydn's, seines treuen Dieners, der ihm im Tode die Augen zudrückte. Haydn's Zuneigung zu ihm und zu seiner Familie datirt weit zurück. Der Meister stand mit seiner Frau in Eisenstadt zunächst am 7. Oct. 1766 als Beistand bei der Vermählung des Joseph Elßler, fürstlichen Copisten, der aus Kieslingen in Schlesien stammte. Er heirathete die Jungfrau Eva Maria Köstler, Tochter eines Scharschmiedes und Montan-Uhrmachers. Eva Elßler starb am 23. Mai 1806 in Eisenstadt, 66 Jahre alt. Alle Kinder aus dieser Ehe hob das Haydn'sche Ehepaar aus der Taufe. Der älteste Sohn, Joseph, geboren am 7. Aug. 1767, versah nach dem Tode des Vaters (1782) auf Anordnung des Fürsten den Copistendienst seines Vaters und bezog, obwohl erst 15 Jahre alt, in Berücksichtigung der zahlreichen Familie, schon einen förmlichen Gehalt. Im Jahre 1796 wurde er als Oboist in die Feldharmonie, und am 1. Nov. 1800 in die fürstliche Kapelle aufgenommen. Er starb zu Wien am 6. Oct. 1843. Der Zweitgeborene, Johannes (Florianus), wurde in Eisenstadt am 3. Mai 1769 geboren. Haydn dürfte ihn etwa im Jahre 1790 oder einige Jahre früher als Copist verwendet haben. Jedenfalls begleitete er seinen Meister auf dessen zweiter Reise nach London als Secretär. Nach Aussage des bejahrten Domorganisten Andreas Bibl war Elßler ein wohlgebauter, brunetter Mann von mittlerer Statur und von mehr ernstem Wesen; nur wenn auf seinen Herrn die Sprache kam, wurde er lebendig und leuchteten seine Augen. Entgegen dem Sprüchwort: »Kein Held ist groß vor seinem Kammerdiener«[268] hatte Elßler eine unbegrenzte Verehrung für Haydn; er wurde namentlich in des Meisters letzten Lebensjahren sein alles ordnendes Factotum im Hause und wußte jede nur irgend mögliche Störung mit liebevoller Sorgfalt von dem hinfälligen Greise abzuwenden. Es war nicht mehr der Diener, der ihn pflegte, sondern der treue Freund, der durch Pflege und Aufmerksamkeit die Tage des Meisters zu verschönern und zu verlängern trachtete. Seine Verehrung ging so weit, daß er, sich unbelauscht wähnend, beim Aufräumen der Wohnung mit dem Rauchfeuer vor dem Bilde Haydn's einige Zeit inne hielt, um ihm wie vor einem Altar sein Opfer darzubringen. Elßler schrieb eine äußerst reinliche, sorgfältige Notenschrift. Wenn man ihn mehrfach beschuldigt, er habe seine Handschrift als Autograph Haydn's sich theuer bezahlen lassen, so ist dies eine leichtsinnige, unverantwortliche Verleumdung; Elßler war einer solchen That unfähig, er hätte sie als ein Sacrilegium angesehen. Wenn sich freilich Leute aus zweiter Hand irre führen ließen (und es existiren wirklich solche vermeintliche Autographe, selbst große Werke, z.B. die sogenannte Nelson-Messe), so hatte Elßler keinen Theil daran und kann für die betrügerische Gewinnsucht Anderer nicht verantwortlich gemacht werden. Johann Elßler wohnte nach Haydn's Rückkehr aus London in Wien und vermählte sich in der Vorstadt Gumpendorf am 23. Jan. 1860 mit der ledigen Mehlmesserin (Verkäuferin) Therese Prinster, Tochter des Maurergesellen Joh. Prinster aus Meran in Tyrol, dessen beide Söhne, Anton und Michael, als vorzügliche Waldhornisten eine Zierde der Esterházy'schen Kapelle wurden. Therese starb am 28. Aug. 1832, 53 Jahre alt. Die ersten zwei Kinder aus dieser Ehe hob Haydn aus der Taufe; beim dritten ließ er sich durch seine Wirthschafterin, Anna Kremnitzer, vertreten; die folgenden hob sie für ihre eigene Person aus der Taufe. Joseph, der älteste Sohn, geb. am 23. Aug. 1800, wurde 1823 bei den P.P. Franziskaneren in Wien als Frater eingekleidet und starb zu Langendorf. Johann, geb. 31. Jan. 1802, wurde Chordirector des k. Hoftheaters in Berlin und starb daselbst am 10. März 1872. Therese, das 5. Kind, geb. am 5. April 1808, und Franziska, das 6. Kind, geb. am 23. Juni 1810, wurden gefeierte Koryphäen der Tanzkunst. Therese, vom König von Preußen zur Frau von Barnim erhoben, vermählte sich mit Prinz Adalbert von Preußen; Franziska (der Kunstwelt geläufiger unter dem populären Namen Fanny) blieb und bleibt noch immer unübertroffen[269] im Reiche Melpomene's. Johann Elßler starb zu Wien am 12. Jan. 1843. Haydn hatte ihn im 2. Testamente im §. 42 in der Hauptsache also bedacht: »Vermache ich meinem treuen und rechtschaffenen Bedienten Johann Elßler Sechstausend Gulden.« –
Wir wenden uns nun dem Sänger-Personale zu, einer Rubrik, in der uns in der Folge manche Ueberraschungen bevorstehen.
Der am 1. Jan. 1759 in die fürstliche Kapelle aufgenommene Tenorist Karl Friberth58, dessen schon früher wiederholt Erwähnung geschah, war eines Schullehrers Sohn, geb. am 7. Juni 1736 zu Wullersdorf in Nieder-Oesterreich. In Wien wurde er vom damaligen Hofcompositor Jos. Bonno im Gesang und später von Gaßmann in Composition unterrichtet. Der Prinz von Hildburghausen engagirte ihn für seine Concerte; gleichzeitig war er im Dom als erster Tenorist angestellt und sang bei den italienischen Opern-Vorstellungen in den kaiserlichen Lustschlössern. Auch bei dem mit seltener Pracht veranstalteten Feste, das der genannte Fürst auf seiner Besitzung Schloßhof dem kaiserlichen Besuch im Jahre 1754 gab, wird Friberth genannt59, er sang daselbst in Gluck's Le Chinesi. Friberth erhielt anfangs jährlich 300 Fl., bis dahin der größte Gehalt, den ein Mitglied der Kapelle bezog; später hatte er 482 Fl. und freies Quartier. Er blieb jahrelang der bedeutendste Sänger des Fürsten und war Haydn für seine Opern unschätzbar, sowohl als Sänger als auch als Dichter, denn mehrere Operntexte stammen von Friberth her. Beide wurden denn auch die intimsten Freunde. Im Mai 1776 verließ Friberth die Kapelle, ging nach Wien und wurde Kapellmeister in der oberen und unteren Jesuitenkirche (Pfarrkirche am Hof und Universitätskirche) und in der Minoritenkirche. Auf einer Reise nach Italien, die Friberth auf Kosten des Fürsten im Jahre 1796 unternahm, wurde ihm vom Pabste Pius VI. »wegen seiner Verdienste in der[270] Musik« der Orden vom goldenen Sporn verliehen. In Wien war er einer der ersten und eifrigsten Mitglieder der Tonkünstler-Societät, in deren Akademien er auch als Solosänger auftrat und jahrelang als Assessor, Secretär und Rechnungs-Revi sor die Verwaltungs-Angelegenheiten besorgte. Im Jahre 1812 suchte er nach um Enthebung vom jährlichen Beitrag (er war bereits 18 Jahre Witwer), erbot sich aber, seine Stelle auch ferner bekleiden zu wollen. Beides wurde ihm bewilligt, denn die Societät, seine Verdienste anerkennend, hielt es für ihre Pflicht »so einen würdigen Mann noch viele Jahre als Ehrenmitglied beibehalten zu können«. Friberth's Gesangunterricht wird gelobt; Schönfeld60 spricht von »der gefälligen Fribertischen Methode«; als Componist wandte er seine Thätigkeit vorzugsweise der Kirche zu; eine Sammlung deutscher Lieder für das Clavier gab er in den 80er Jahren gemeinschaftlich mit Leopold Hofmann bei Kurzböck in Wien heraus. Er starb, als Künstler und Mensch allgemein geachtet, am 6. Aug. 1816. Im Jahre 1769 hatte sich Friberth mit einer Sängerin der fürstlichen Kapelle, Maria Magdalena Spangler vermählt, der wir schon S. 119 gedacht haben. Von Haydn empfohlen, bezog sie, obwohl nur dritte Discantistin, den bis dahin höchsten Gehalt, 500 Fl. jährlich.
Es erübrigt noch, des Leopold Dichtler zu erwähnen, der als zweiter Tenorist im Jahre 1763 mit 300 Fl. Gehalt angestellt wurde und in Haydn's Opern von den hier erwähnten Sängern am spätesten noch genannt ist. Im vorgerückteren Alter war er bei der Chormusik als Violonist thätig. Er starb am 15. März 1799. Dichtler heirathete im Oct. 1764 die im Jahre 1757 in die Kapelle aufgenommene Discantistin Barbara Fux. Auch bei dieser Vermählung ist Haydn als Zeuge genannt. Barbara Dichtler sang in der Kirche und auf der Bühne, auch in Haydn's Opern. Ihr Ende war tragisch: Als sie am 19. Sept. 1776 in der Oper L'isola d'amore als Belinde auftrat, stürzte sie mitten im Gesang mit einem Aufschrei plötzlich todt nieder.[271]
Wir sind nun im Lebensgange Haydn's weit genug vorgeschritten, um uns die Gesammtsumme seiner bisherigen Leistungen als Componist vergegenwärtigen zu können. Dieselben lassen sich in einer großen Gruppe übersichtlicher zusammenfassen und wenn auch das, was bei dieser Gelegenheit über die Bedeutung Haydn's als Schöpfer neuer Bahnen zu sagen ist, mehr auf Rechnung der späteren Werke gesetzt werden muß, so bilden die hier zu besprechenden doch den Grundstock, den Ausgangspunkt seines Wirkens; wären wir ja doch ohne deren genauere Kenntnißnahme nicht im Stande, das große Verdienst Haydn's um die Entwickelung der wichtigsten Richtungen in der Musik nach ihrem vollen Werthe zu würdigen.61 Es soll dabei soviel wie möglich auf solche Werke aufmerksam gemacht werden, die durch Vervielfältigung sich erhalten haben und der Oeffentlichkeit noch heute zugänglich sind. An ihrer Hand, nebst Beachtung ihrer chronologischen Folge und mit Berücksichtigung dessen, was Haydn an gleichartigen Werken vorlag, wird es uns dann ein Leichtes sein, das allmählige Keimen und Blühen seines Schaffens zu verfolgen. Wir werden dann selbst solche Jugendarbeiten, welche nur ein historisches Interesse beanspruchen können, nicht ganz verleugnen. Haydn's Verdienste um die Instrumentalmusik sind allgemein anerkannt: er hat die vorgefundenen unfertigen Formen aus ihren Anfängen herausgearbeitet und ihnen jene feste Grundlage gegeben, auf der seine Nachfolger weiter bauen konnten. Er erweiterte diese Formen, bereicherte sie mit lebensfähigeren, ausdrucksvolleren Elementen, übertrug dieselben aus der Sonate auf Quartett und Symphonie und wußte hier durch Gehalt und durch eine geniale, dem Charakter jedes Instrumentes angemessene Verwendung dem Orchester das größte Gebiet zu erorbern. Mit Recht wird er deshalb auch als der Vater, der eigentliche Schöpfer der ganzen Instrumentalmusik angesehen, denn kein Componist des vorigen[272] Jahrhunderts hat für den Fortschritt und die Ausbildung derselben so viel gethan als Haydn, der die sämmtlichen Uebergänge in der neueren Musikgeschichte von Bach auf Gluck, Mozart und Beethoven mit erlebt und mit vermittelt hat. Dadurch aber, daß er seine Werke gleich anfangs mit gesunden volksliedmäßigen Weisen durchwebte, gab er ihnen jenes harmlose, innige und gemüthvolle Gepräge, das ihn zugleich zum populärsten Componisten stempelte. Der Grundzug Haydn's ist Wahrheit und Natürlichkeit; all' seine Werke athmen Gesundheit, Frische und Frohsinn. Seine künstlerische Organisation wies ihn mehr auf ein heiteres, sinnvolles Spiel der Empfindungen hin; seine Werke sind daher auch der Ausdruck eines heiteren, kindlichen Gemüthes, einer stillen und wohlgefälligen Behaglichkeit, die aber ebenso oft, von Lebensfreudigkeit gehoben, zur fröhlichsten, heitersten Laune überspringt. Haydn selbst gestand Dies (S. 114) im Punkt seiner musikalischen Neckereien, daß sie in seinem Wesen begründet wären, ein Charakterzug, der ehemals von Gesundheitsfülle herrührte – »man wird von einem gewissen Humor ergriffen, der sich nicht bändigen läßt«. Dieser nie versiegenden Quelle halber, die Haydn in der liebenswürdigsten Weise auf seine Werke zu übertragen wußte, hat man ihn häufig auch den deutschen Sterne (Yorik) genannt.62 Wenn der in seinen früheren Werken vorherrschende Muthwille, die oft ausgelassene Lustigkeit sich in späteren Jahren auch mehr in Schranken zu halten wußte, so genügten sie doch, ihn in den Augen oberflächlicher Beurtheiler eben nur als musikalischen Spaßmacher gelten zu lassen, denn humoristische Laune war in[273] der Musik noch nicht anerkannt.63 Die Wiener Musiker, die Haydn lange Zeit nicht als ebenbürtig oder gar als ihnen überlegen anerkennen wollten, rechneten ihm seinen humoristischen Stil förmlich als Fehler an und stritten darüber, wie weit die Freiheiten gegen Regeln, die Haydn mit großer Ueberlegung sich erlaubte, überhaupt statthaft seien; sie ahnten freilich nicht, daß der scheinbar spielenden Oberfläche wohlberechneter Ernst zu Grunde lag. Am rechten Orte wußte Haydn diesen Ernst auch geltend zu machen, obwohl er in nur wenigen Fällen zu inniger wahrhafter Trauer hinneigte. Witz und Laune (letztere aber nie zur Grille ausartend) behielten die Oberhand, verfeinerten sich, wurden gleichsam männlicher und so blieb Haydn bis auf den heutigen Tag der größte Humorist im Reiche der Töne, der bis ins hohe Alter Jugendfrische zu bewahren wußte und unsere Herzen in liebenswürdigster Weise durch naiv-frohe, treuherzige Schalkheit und durch die einfachsten, natürlichsten Mittel bezwang. Heben wir noch ganz besonders sein zu aller Zeit beachtetes Maßhalten hervor, seine weise Oekonomie im Einzelnen und Ganzen, die ihn stets zu rechter Zeit aufhören ließ, denn Haydn liebte eben so wenig Unklares und Schwankendes, als er jedes überflüssige Abschweifen, jeden Wortschwall in Tönen verabscheute. Endlich noch seinen unerschöpflichen Reichthum an Ideen, seine reiche Phantasie, die ihm immer neue Gedanken zuführte, denn so unendlich viel auch Haydn componirte, so hat er sich doch äußerst selten selbst wiederholt; aber den unverkennbaren Stempel seines Genies, seines echt deutschen, gemüth- und humorvollen Geistes tragen alle seine Werke. »Echt Haydnisch« sagen wir, wenn wir die ersten Takte einer seiner Compositionen hören, und wissen dann, daß uns die Lebenssorgen für[274] die nächsten Momente in herz- und sinnerquickender Weise verscheucht werden.64
Haydn's bisherige Instrumentalmusik zerfällt in zwei Abtheilungen. Erstens: In die Kammermusik, bestehend aus Solos für Clavier (allein und mit Begleitung), und aus Duos, Trios, Quartetten und überhaupt mehrstimmige Compositionen für Streich- und Blasinstrumente, welche unter verschiedenen Benennungen (Divertimenti, Notturni, Cassationen, Parthien, Scherzandi) zum Theil concertirender Art sind. Zweitens: In Orchestercompositionen für den Concertsaal (Symphonien). In der Gesangmusik beschäftigen uns für jetzt nur die zum Theil schon erwähnten Werke: erste Messe, Te Deum und einige kleinere Kirchencompositionen. (Ueber die Operetten, das Festspiel Acide und die Gelegenheitscantate wurde das Nöthige bereits gesagt.)
Zunächst auf die Symphonie, als den Gipfelpunkt der Instrumentalmusik übergehend, seien einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt. Es bedurfte geraumer Zeit, bis die, in weitestem Sinne gebrauchte Bezeichnung Sinfonia ausschließlich jenem Gebiet angewiesen wurde, das wir heutzutage unter diesem Namen verstehen. In Italien bildete die Sinfonia den, der Oper vorangehenden Instrumentalsatz, der an Stelle der in Frankreich von Lully eingeführten, mit einem Grave beginnenden Ouverture (anfangs in der bescheidensten Form der Ausführung) durch Scarlatti feststehende Norm wurde. Diese italienische Sinfonia bestand regelmäßig aus drei zusammenhängenden Sätzen: Allegro, langsamer Satz, gesteigertes Allegro. Die Symphonie in unserm Sinne entwickelte in Italien zuerst Giovanni Battista Sammartini, indem er das Orchester mannigfacher[275] verwendete, die Bratsche vom Baß trennte und der zweiten Violine eine selbständigere Bewegung gab und auch die Technik des Spiels förderte. In Deutschland bildeten die Componisten der Mannheimer Kapelle dieselbe mit Erfolg aus, bis Haydn sie Alle durch die unerschöpfliche Fülle ursprünglicher Productionskraft und gründliches Wissen überholte.65 Zu der ursprünglichen Besetzung der Symphonie (Streichinstrumente allein) traten allmählig Oboe, Waldhorn, Fagott, Flöte, Klarinette, Trompeten und Pauken hinzu, bei welcher Bereicherung mit mehr oder weniger Recht die Componisten Vanhall, Toeschi, Vanmaldere, Joh. Stamitz, Joh. Agrell und der Franzose Gossec in Verbindung gebracht werden. (Agrell schrieb schon im Jahre 1725 in Cassel 6 vielstimmige Symphonien, die im Jahre 1746 im Druck erschienen.) – Den ursprünglichen drei Sätzen wurde im Laufe der Zeit als vierter der Menuett hinzugefügt, vielleicht eine Entlehnung (oder, wenn man will, ein Ueberbleibsel) der Suite. Ob Haydn der Erste war, der in dieser Weise vom Menuett Gebrauch machte, ist noch zu beweisen. (Manche nennen hier den mit Haydn in gleichem Alter stehenden vorgenannten Gossec.) Den Menuett verdrängte das Scherzo, das Beethoven zur höchsten Vollendung ausbildete; doch hielt er in seiner achten Symphonie wenigstens noch am Tempo di Menuetto fest.
Nur ausnahmsweise griff man später in der selbstständigen Symphonie zu der früheren Weise zurück, die ursprünglichen drei Sätze als zusammenhängendes Ganze darzustellen. In der Regel schloß man jeden Satz für sich ab, widmete ihm einen freieren Spielraum und verlieh ihm zugleich mehr Selbstständigkeit und einen ausgeprägteren Charakter, wie wir dies schon in Sebastian Bach's Cöthener Concerten (1721) dargestellt finden.66 Die erweiterte Gestaltung der einzelnen Sätze der Symphonie fußt auf der Claviersonate, wie sie uns nach Phil. Emanuel Bach's Vorgang von Haydn ausgebildet überliefert wurde.
Der erste, meist kräftig gehaltene Satz, Allegro, wird in der Regel in zwei Theile geschieden; im Hauptthema spricht sich[276] der Charakter des Satzes aus; ein zweites Motiv, dem Ausdruck und der Structur nach contrastirend, tritt ihm in der Dominanten-Tonart gegenüber; gegen den Schluß hin folgt zuweilen noch ein drittes. Freie Mittelglieder verbinden die verschiedenen Motive und schließt dieser erste Theil mit der Tonart der Dominante ab. Dem Anfang des zweiten Theiles fällt die Aufgabe der Verarbeitung eines der vorhergegangenen Motive zu; nach Belieben wird das eine oder andere Motiv oder mehrere oder selbst ein neu zugeführtes dazu verwendet. Diese, der kunstvollen Schreibart weiten Spielraum gewährende Durchführung leitet schließlich in die Haupttonart und zum ersten Thema zurück und auf den Abschluß in der Dominante folgt dann das zweite Thema in der Haupttonart und häufig noch nach Wiederholung des zweiten Theiles zu größerer Steigerung eine Coda, die in prägnanter Kürze die wesentlichen Elemente des Ganzen zusammenfaßt.
Der zweite oder Mittelsatz bewegt sich in langsamem Zeitmaß, Adagio, Andante, Allegretto und ihren Varianten. In der Anlage und Ausführung ist er dem Liede, der Romanze oder der in der Oper entsprechenden Cavatine nachgebildet. Seine Gestaltung basirt einfach auf einer Ausbreitung der Hauptmelodie, mit verwandtem schmückendem Beiwerk durchflochten. Zuweilen zerfällt auch dieser Satz in zwei Theile, die wohl auch wiederholt werden und selbst noch eine Coda zulassen; im zweiten Theil wird dann gerne der Gegensatz der Dur- und Molltonart benutzt. Aus dem einfachen Liede gestaltete sich bei immer vollerer und reicherer Ausführung das tiefpoetische Adagio, in seinem Höhepunkt eine echt deutsche Schöpfung, in der sich das innerste Gemüthsleben wie kaum irgendwo aussprechen kann. Häufig nimmt dieser Mittelsatz eine erweiterte Variationenform an, in der namentlich Haydn seine zartesten und duftigsten Blüthen niederlegte.
Der Schlußsatz hat meistens rasche Bewegung, lebhaftes Allegro, Presto, vorwiegend im 2/4, 3/8 oder 6/8 Takt. Die heitere Stimmung ist hier vorherrschend: ein leicht hingeworfenes Thema fliegt neckisch von Instrument zu Instrument, seine Theile trennen sich, werden für Augenblicke selbstständig, verbinden sich mit andern, suchen und finden sich – ein verliebtes Spiel, in dem schließlich Alles in frohester Laune dem Schlusse zueilt, wo[277] sich oft noch ein neuer Gedanke als Nachzügler anschließt. Es ist die Form des Rondo in der freiesten Behandlung, die sich hier eingebürgert hat. Haydn war namentlich in diesen Schlußsätzen unerschöpflich an musikalischem Witz und Humor; wenn auch häufig seine Vordersätze der unerbittlichen Sichel der Zeit zum Opfer fallen – der Schlußsatz gleicht Alles aus. Haydn ist hier in seinem eigentlichen Element; das neckische Spiel, das er mit den oft unscheinbarsten Themen und mit uns selber treibt, ist unwiderstehlich – selbst die Pausen werden hier in gewissem Sinne zu Musik und sind von Bedeutung, und auch das grämlichste Gesicht muß mit oder ohne Willen auf Augenblicke die Falten glätten. Der Vergleich, den Moritz Hauptmann zwischen Haydn und Mozart macht, ist hier am ehesten zutreffend.67 In den früheren Symphonien Haydn's finden wir häufig bei Auslassung des Menuetts wenigstens den Schlußsatz im Tempo di Menuetto, wie denn überhaupt dieser letzte Satz mit seiner ausgesprochenen munteren Stimmung den ursprünglichen Charakter eines nationalen Tanzstückes (Allemande, Gique u.s.w.) nicht verleugnen kann, ohne gerade dessen bestimmte Formen anzunehmen; erst später strebte man hier den Höhepunkt dramatischer Wirkung an.68[278]
Der Menuett, als nachgefügter Theil, steht abwechselnd nach dem ersten oder zweiten Satz, am häufigsten nach letzterem, Haydn zuerst wußte in ihm volksthümliche Heiterkeit, behagliche Laune und gemüthliche Jovialität zu vereinigen und ihm dadurch jenen eigenthümlichen typisch gewordenen Charakter zu geben. Auch hier muß seine Begabung in Erfindung stets neuer Themen und witziger Einfälle und Ueberraschungen staunenswerth genannt werden, und um so mehr, als gerade diese Gattung Musikstücke bei ihm nach Tausenden zählt.
Die große Anzahl Haydn'scher Symphonien ist fast sprüchwörtlich geworden und wenn auch erklecklich viele als apokryph abzurechnen sind, so bleiben noch immer genug, um gestehen zu müssen, daß, obendrein bei den zahlreichen sonstigen Compositionen Haydn's, es ihm unmöglich geworden wäre, die Zahl von anderthalb Hundert zu überschreiten, wenn ihn nicht häufig die Umstände gezwungen hätten, gruppenweise, meistens in Serien zu 6 Nummern, zu componiren. Solche Symphonien sind nun allerdings zum größern Theil nur Spielarten derselben Gattung, sie haben wohl Haydn'sche Factur, sind aber trotz mannigfach nüancirter Einzelheiten von zu geringer wesentlicher Verschiedenheit, um nicht in ihrer Reihenfolge einförmig zu wirken. Aus den besseren frühesten Symphonien spricht bei aller Einfachheit und Anspruchslosigkeit ein wohlthuendes, das Gemüth unmittelbar ansprechendes Etwas; sie gleichen munteren oder sanft bewegten Stimmungsbildern, die schon deßhalb interessiren, weil sich der Meister in ihnen noch am unbefangensten wiedergiebt und sie uns zum Verständniß seiner Weiterentwickelung den Schlüssel geben. Von den großen sogenannten englischen Symphonien abgesehen, bietet jene Epoche das meiste Interesse, wo Mozart und Haydn sich in ihren Symphonien sozusagen durchkreuzten, wo Jeder vom Andern das wesentlich Beste in sich aufnahm – ein seliges, neidloses, echt künstlerisches, gegenseitiges Geben und Empfangen. Auch dann ist Haydn nicht stehen geblieben: es folgten die erwähnten englischen Symphonien, wo er zum erstenmale einem fremden Publicum gegenüber stand; die letzten Quartette und Messen, die »7 Worte des Erlösers am Kreuze« (für Singstimmen eingerichtet), die reizenden Sing-Terzette und -Quartette und, kleinere Arbeiten ungerechnet, die »Schöpfung« und die jugendfrischen »Jahreszeiten«,[279] und immer sehen wir den bereits alternden Meister rastlos fortschreiten in seiner künstlerischen Ausbildung. Und als ihm schon die Kraft versagte, quälte es ihn, sich nicht mehr aussprechen zu können. »Sein Fach sei grenzenlos« (äußerte er sich gegen Griesinger, der gekommen war, ihm zum 74. Geburtstag zu gratuliren); »das, was in der Musik noch geschehen könne, sey weit größer, als das, was darin geschehen sey; ihm schwebten öfters Ideen vor, wodurch seine Kunst noch viel weiter gebracht werden könnte, aber seine physischen Kräfte erlaubten es ihm nicht mehr, an die Ausführung zu schreiten.«69 In ähnlicher Weise sprach sich der Greis gegen Kalkbrenner aus, wie traurig es sei, daß der Mensch stets sterben müsse, ohne erreichen zu können, was er erstrebe: »in meinem Alter habe ich erst gelernt die Blasinstrumente zu gebrauchen, nun, da ich's verstehe, muß ich fort, und kann es nicht anwenden.«70
Ob Haydn für seine erste Symphonie Muster vorgelegen und welche, hat er uns vergessen zu sagen; wir sind darauf angewiesen, wenigstens die Reihe der gleichzeitig genannten Compositionen in diesem Fache zu mustern. Sammartini wurde schon genannt; als Wiener Symphonie-Componisten führt ein dortiger Correspondent bei J.A. Hiller71 nebst unserm »Joseph Heyden« folgende Namen an: Leopold und Anton Hofmann, Franz Thuma (Tuma, vergl. S. 51), Georg Orsler, Karl Ditters, Karl von Ordonitz, (Joseph) Ziegler (auch in Dittersdorf's Lebensbeschreibung, S. 2, als dessen Lehrmeister und verdienter Componist genannt), Joh. Christoph Mann. In seiner Selbstbiographie sagt Phil. Emanuel Bach: »1759 hat Schmidt in Nürnberg eine Symphonie mit 2 Violinen, Bratsche und Baß, aus demE-moll, von mir in Kupfer gestochen.« Aus Dittersdorf's Lebensbeschreibung und anderwärts (vergl. Chronik, S. 115) sehen wir, daß von der Musikkapelle des Prinzen von Hildburghausen auch Symphonien von Jomelli und Gluck aufgeführt wurden; ferner: daß Dittersdorf ums Jahr 1759 sechs Symphonien componirte, die »sowohl in Wien als in[280] Prag Aufsehen machten«. Mysliweczek gab vor dem Jahre 1763, ehe er nach Venedig reiste, 6 Symphonien heraus mit der Bezeichnung »Jenner, Hornung, März« u.s.w., die allgemeinen Beifall erhielten. Endlich noch führt Breitkopf (Verz. mus. Bücher und themat. Katalog) bis zum Jahre 1762 über 50 Componisten unter der Rubrik »Symphonien« an. Wir finden unter ihnen einen Franzosen Antoine d' Auvergne, ein Dutzend Italiener, darunter Bernasconi, Galuppi, Locatelli, Martino, Jomelli, Gius. Scarlatti, Santo Lapis, den Abbé Antonio Vivaldi; ferner die Namen von Musikerfamilien: Neruda, Krause, Graaf, Conti. Von Componisten, die mehr oder weniger schon damals oder später einen musikalischen Rang oder Ruf genossen, seien hier folgende genannt: C.F. Abel (aus der sächsischen Hofkapelle, zur Zeit schon in London), Joh. Agrell, Kapellmeister in Nürnberg; Franz Benda, k. preußischer Concertmeister; Georg Benda, herz. gothaischer Kapellmeister; Don Placido de Camerloher, Rath und Kapellmeister des Fürstbischofs von Freisingen; Christoph Förster aus Thüringen; Georg Gebel, jun., fürstl. Rudolstädtscher Concert- und Kapellmeister; Gluck (mit 6 Symphonien genannt); Giov. Amad. Graun, k. preußischer Concertmeister; Jos. Adolph Hasse, der bekannte Operncomponist; J.A. Hiller, später Cantor der Thomasschule in Leipzig; der schon früher erwähnte Ignaz Holzbauer (man schreibt ihm 205 Symphonien zu); Anton Mahaut in Amsterdam; Leopold Mozart (der Vater Wolfgang's); Joh. Heinr. Rolle, Musikdirector in Magdeburg; Joh. Stamitz, Gründer der sogenannten Mannheimer Schule. Wenn man bedenkt, daß unter den Genannten der größere Theil mit je 6 Symphonien aufgeführt wird, Manche noch reicher ausgestattet sind (z.B. Graun mit 6 Sammlungen, jede zu 6 Nummern), wird man um so mehr die magische Kraft der Haydn'schen Symphonien zugeben müssen, denen es gelang, über diese Fluth gleichartiger Compositionen hinweg sich Geltung zu verschaffen und sogar in dem ganzen Zeitraum bis zum Schluß des Jahrhunderts neben Mozart allein das Feld zu behaupten, denn, so viele und zum Theil namhaftere Componisten in der genannten Zeit folgten und selbst, wie z.B. Rosetti, Pleyel, Gyrowetz, Wranitzky, Hoffmeister, eine gewisse Beliebtheit erlangten: der Name Haydn[281] hat sie doch alle vergessen gemacht. Und rasch genug fanden seine Symphonien Verbreitung, wobei man noch die damaligen primitiven Verkehrsmittel in Anschlag bringen muß. Das Verzeichniß musikalischer Bücher u.s.w. von Johann Gottlob Immanuel Breitkopf nennt schon im Jahre 1763 die ersten 6 Symphonien; dessen thematischer Katalog zählt von 1766 bis 1769 inclusive bei 40 geschriebene und gestochene Symphonien auf. (Noch im Jahre 1836 waren in dieser Verlagshandlung 61 geschriebene und 53 gestochene Symphonien in Stimmen und 30 in Partitur auf dem Lager.) Die ersten französischen Ausgaben, je 6 Symphonien, erschienen in Paris bei La Chevardière, Bailleaux und Mme. Berault72, später bei Sieber, Richault, Imbault, Pleyel und Le Duc; Sieber gab 63 Symphonien in Stimmen heraus, Le Duc (1810) 26 in Partitur73, denen in Deutschland die Partituren bei Breitkopf und Härtel, Bote und Bock, Andre und in neuerer Zeit bei Rieter-Biedermann ergänzend gegenüber stehen. In Wien veröffentlichten Artaria und Co. (außer Toricella, Hoffmann) gegen 40 Symphonien in Stimmen; 37 in revidirter Ausgabe (rédigées et imprimées d'apres les Partitions originales) gab Simrock in Bonn (jetzt in Berlin) heraus; auch Karl Zulehner in Mainz (mit 155),[282] Hummel in Amsterdam und Berlin müssen hier vorderhand einregistrirt werden.
Indem wir auf Haydn's Symphonien aus der ersten Zeit bis zum Jahre 1766 übergehen, finden wir im Ganzen genommen bei ihnen wohl die fast gleich sichere Anlage und Behandlung, aber dennoch bei Einzelnen die unverkennbar gesteigerte Lust beim Schaffen, während andere stark zurücktreten, für den Moment geschrieben scheinen und häufig eben nur da zu sein scheinen, um die gegebene Zahl auszufüllen. Es ist im eigenen Interesse des Meisters, an solchen einfach vorüber zu gehen und sich um so eingehender an solche zu halten, die durch ihren Inhalt gleichsam als abgesteckte Merksteine die Uebersicht auf dieser langen Strecke erleichtern. Wenn wir selbstverständlich von der nun einmal als erstentstanden angenommenen Symphonie (siehe S. 193) ausgehen, so zeigt uns schon diese den Abstand von denen anderer früherer Symphonien, unter denen uns hier vergleichsweise zwei ältere gute Dienste leisten. Die eine, G-dur, trägt das Datum Venezia 1745, del Sig. Gluck; die andere, E-dur, wird Galuppi und auch Gluck zugeschrieben, stammt aber ohne Zweifel aus derselben Zeit. Beide sind dreisätzig, 2 Allegros mit eingeschaltetem Andante; erstere hat in den Allegros außer dem Streichquartett 2 Hörner. Bei beiden bildet der erste Satz ein Ganzes ohne die übliche zweitheilige Trennung; die erstere ist etwas breiter, obwohl sie sich nicht an Durchführung u. dergl. wagt. Die verschiedenen kurzathmigen Motive vermögen uns kaum einiges Interesse abzugewinnen, eher noch führt das Andante der ersten Symphonie einen ernstgenommenen hübschen Gesang, dagegen sich's der dritte Satz im munteren Allegro 3/8 Takt, wohl sein läßt. Andante und Schluß der zweiten Symphonie sind viel kürzer gehalten, 34 Takte genügen dem Andante 2/4 zu kleinen Melodieanläufen und der Schluß, Allegro 3/4, im Menuettencharakter gehalten, geht nicht über 31 Takte hinaus.
Betrachten wir nun die erste Symphonie, die Haydn als Musikdirector der gräflich Morzin'schen Kapelle im Jahre 1759 componirte. Sie ist für 2 Violinen, Viola, Baß, 2 Oboen und 2 Waldhörner gesetzt:
[283] Der Zuschnitt dieser Symphonie ist knapp, klar und sicher, die melodiöse Erfindung gerade anregend genug. Die Zwischenglieder treten momentan selbstständig auf, verbindende Passagen übernehmen die Violinen; ab und zu unterstützen die Blasinstrumente die Harmonie und setzen nach Bedürfniß die Lichter auf. Jeder Satz besteht aus zwei Theilen. Der erste Satz ist mehr kräftig gehalten; außer dem Grundmotiv tritt nach einem Halbschluß auf der Dominante ein zweites und drittes selbstständig auf, keines aber bringt es zu besonderer Entwickelung. Im zweiten Satz (ohne Blasinstrumente) tritt die zweite Violine mit Benutzung des ersten Motivs imitatorisch auf, dann führen beide Instrumente mit dem Anfang der Figur in der Gegenbewegung ein neckisches Spiel; der zweite Theil erhält durch eine eintretende Triolenbewegung momentan eine gesteigerte Bewegung. Nur Viola und Baß gehen ihren gemessenen Gang fort und erstere wagt es nur hin und wieder, sich von ihrem Schützling zu trennen. Die hier herrschende maßvolle Symmetrie läßt schon eine geübte Hand erkennen und erzeugt das ganze Andante überhaupt eine behaglich wohlthuende Stimmung, gegen welche der letzte Satz mit seinen leichtbeflügelten Themen vortheilhaft absticht. Wir ahnen bereits Haydn's Nähe, der auch hier schon zu rechter Zeit aufzuhören weiß. Das ganze Musikstück dauert kaum 10 Minuten (1., 2., 3. Satz 86, 78, 81 Takte) und giebt sich als das, was es sein will: ein leicht[284] anregendes Tonspiel. Außer in Abschrift bei Breitkopf (1766) ist diese Symphonie nirgends erschienen.
Wie ganz anders tritt die nun folgende Symphonie auf, die Haydn in seiner neuen Stellung, als Kapellmeister des fürstlich Esterházy'schen Hauses schrieb (siehe S. 229). Welch gewaltiger Unterschied! welche Ausbreitung, theilweise Vertiefung und glänzende Ausstattung! Die Violinen abgerechnet, die hier offenbar durch Tomasini's Aufnahme die nächste Anregung gaben, war die Kapelle zur Stunde gar nicht in der Lage, aus Eigenem dieses Werk aufzuführen und müssen wohl Wiener Kräfte dabei zugezogen worden sein, denn wir finden hier außer beiden Principal-Violinen noch Flöten, Violoncell und Violone, theilweise obligat verwendet und mußten also nebst den überhaupt abgängigen Flöten auch die letztgenannten Instrumente verdoppelt werden. Die vollständige Besetzung war folgende: 2 Violinen princ., 2 Violinen rip., Viola, Violoncell obl. und rip., Violone obl. und continuo, 2 Flöten obl., 2 Oboen, Fagott und 2 Hörner. Derartiges war damals für Eisenstadt unerhört und mag der alte Werner mit Recht über den himmelanstürmenden Neuerer den Kopf bedenklich geschüttelt haben. Haydn wollte eben gleich mit Einem Sprunge seinem Fürsten, der Kapelle und ihrem Oberkapellmeister imponiren. Es muß daher um so mehr befremden, daß er gerade dieses Werk der Oeffentlichkeit so lange vorenthielt, wenigstens findet man es, wie schon erwähnt, nur von Westphal in Hamburg (1782) und Joh. Traeg in Wien (1799) in Abschrift angezeigt. Die Anfänge der einzelnen Sätze dieser Symphonie, von der sich außer den Orchesterstimmen auch die aus dem Nachlasse Haydn's stammende autographe Partitur (mit der Jahreszahl 1761) in Eisenstadt vorfand, sind folgende:
[285] Nach einer feierlichen kurzen Einleitung in fast Händel'schem Stile folgt das Allegro. Alle Saiteninstrumente bringen unisono (Violinen und Violen in Sechzehntel-, die Bässe in Achtelbewegung das kräftige Hauptmotiv, das dann die Oboen wiederholen, während die Violinen ausschmückend fortfahren; nun beginnen die concertirenden Violinen ein zweites kürzeres Thema terzenweise und leiten in die Dominante über, während Violoncell und Fagott, ebenfalls in Terzen gehend, die Zwischenpausen ausfüllen; das Violoncell nimmt dann den Anfang des 2. Motivs auf und schließt sich die conc. 2. Violine an und beide umrankt die conc. 1. Violine mit reichem Figurenwerk; die beiden conc. Violinen vereinigen sich nun terzenweise und machen den Oboen zu einem neuen Motiv Platz, während Baß und Violinen in kurzen Sechzehntelfiguren antworten. Wiederum drängt sich das Violoncell mit einem Solo vor und wagen die Oboen noch rasch vorm Schluß ein viertes Motiv, das alle vier[286] Violinen variirt ausschmücken und damit den ersten Theil (51 Takte) zu Ende führen. Der zweite Theil beginnt in der Dominantentonart (G-dur) mit einem neuen Thema, in dem sich conc. 1. Violine und Violoncell in Terzen vereinigen, während die conc. 2. Violine mit einer Sechzehntelfigur, einem früheren Motiv entlehnt, dreimal ansetzt, dann leiten Baß und beide conc. Violinen rasch nach A-moll hinüber, um die Oboen das neue Thema theilweise wiederholen zu lassen. Mit lebhaften Figuren, den letzten Takten des ersten Theiles entnommen, reihen sich erste Violine, conc. 1. und 2. Violine an und leiten modulatorisch zu einem Halbschluß auf E. Mit Benutzung einzelner Theilchen früherer Motive, an die verschiedenen Instrumente vertheilt, vereinigen sich dann alle Instrumente unisono, das Hauptthema in E-moll bringend, um dann in rascher Wendung in den Hauptton einzuleiten. Diesmal übernehmen conc. 2. Violine und 1. Violine rip. das Hauptthema, während die 2. Violine die früher von der conc. 1. Violine ausgeführte Sechzehntelfigur ausführt und Viola und Baß in Achtelnoten sich entgegenstellen. Und abermals bringt die conc. 1. Violine ein neues Solo, diesmal kurz inC-moll verweilend, während die andern Streichinstrumente in durch Pausen getrennten Achteln die Harmonie ausfüllen, und nun gehen alle Instrumente, abwechselnd Theilchen der früheren Motive benutzend, dem Schlusse entgegen, wo dann auch den bisher mehr zur Ausfüllung benutzten Hörnern in der Melodie das Wort gegönnt ist und der 2. Theil (88 Takte) ohne weitere Umschweife abschließt.
Das nun ausnahmsweise eingeschaltete dramatisch angelegte Recitativ ist merkwürdig genug, vollständig wiedergegeben zu werden (siehe Beil. VII, 1). Haydn ist hier vollständig ein Anderer geworden. Wenn es nicht eine stets mißliche Sache bliebe, den Gedankeninhalt einer musikalischen Composition in Worten zu deuten: hier wäre man versucht, eine bestimmte Vorstellung, die Haydn vorgeschwebt haben dürfte (etwa das Bild eines Angeklagten, seinen Richtern gegen über), zu vermuthen. Dieser Satz ist um so unerklärlicher, als er in gar keinem Zusammenhange mit den Nachbarsätzen steht.
Es folgt ein breit angelegtes Adagio (53 Takte), in dem von Blasinstrumenten nur 2 Flöten verwendet sind. Dieser[287] Satz verräth äußere Einwirkung; er ist vorzugsweise bestimmt, Violine und Violoncell concertirend glänzen zu lassen. Beide führen die Hauptsprache, ergehen sich zum Theil imitatorisch in figurenreichen Wendungen und führen gegen den Schluß in einer längeren »Ferma« recitativisch allein das Wort. Melodie ist hier Nebensache, alles ist auf Passagenwerk berechnet; auch die Flöten nehmen häufig daran Theil.
Im Menuett, der diesmal einen mehr kernigen als einschmeichelnden Charakter hat, betheiligen sich, die Flöte ausgenommen, alle Instrumente. Im Trio führt ein zweiter Contrabaß obligat die Melodie.
Im Finale treten wieder beide concertirende Violinen auf, sind jedoch diesmal weniger bevorzugt; dagegen nehmen die Flöten hervorragenderen Antheil; Hörner und Oboen sind reich bedacht und selbst der Violon ist mit Sechzehntelfiguren wohl ausgestattet. Ueberall ist Leben und das muntere Hauptthema, anfangs von den beiden concertirenden Violinen allein angestimmt, und die verschiedenen kleineren Motive werden so ungezwungen ausgenutzt und die einzelnen Instrumente so naturgemäß beschäftigt, daß dieser letzte Satz (er zählt 52 und 79 Takte) mit seiner fröhlichen Stimmung schon ganz den uns wohl bekannten Charakter Haydn'scher Finales abspiegelt.
Es ist hier der geeignetste Ort, die schon erwähnte Symphonie »Le soir« betitelt anzureihen. Haydn hat sie in seinem thematischen Katalog wohl unter die Symphonien (als Nr. 3) aufgenommen, sie entspricht jedoch weit eher den Anforderungen einer Cassation oder eines Concertino; unter letzterem Titel ist sie auch in Breitkopf's Katalog (1767) angezeigt. Folgende Instrumente sind hier beschäftigt: 2 Violinen (2 Violinen princ. und 2 obl. im Andante), Viola, Violoncell, Baß, Flöte, 2 Oboen, Fagott und 2 Hörner. Der Anfang lautet:
Wir lassen sie als Symphonie gelten, gehen aber nur flüchtig an ihr vorüber, denn sie bietet, das Andante ausgenommen, trotz ihrem großen Umfang nichts wesentlich Besonderes. Es[288] ist nicht wohl erklärlich, was zu ihrer Benennung »Der Abend« verleitet haben mag (im Haydn'schen Katalog fehlt dieselbe). Ihr erster Satz (93 und 154 Takte) gleicht weit eher einem sonnigen Sommertag; gleich Mückenschwärmen summt und surrt alles darin; das muntere Hauptthema, eine vollständige Periode mit Vorder- und Nachsatz, flattert mit seinen Nebenthemas von Instrument zu Instrument; dann wieder kommt eine gelegentliche Sechzehntelfigur in allen Instrumenten förmlich ins Rollen – ein lustiges Fangballspiel. Die beiden Principal-Violinen sind nur im Andante und Finale beschäftigt. Im Andante, C-dur 2/4, schweigen alle Blasinstrumente, nur der Fagott läßt sich nicht abweisen; er tritt sogar, gleich dem Cello, obligat auf und beide theilen sich abwechselnd mit den beiden Principal-Violinen in den ruhig dahingleitenden Gesang, der allerdings eine abendliche Stimmung erzeugt und vielleicht Veranlassung zu erwähnter Bezeichnung gegeben hat. Es ist ein gemüthvoller, hübsch gearbeiteter längerer Satz (48 und 81 Takte), der wie so viele in Haydn's früheren Compositionen bedauern läßt, daß uns für die Einfalt solcher Musikstücke die Empfänglichkeit abhanden gekommen ist; auch hier wie bei vielen anderen und bedeutenderen Musikstücken verschulden es die gehaltloseren Nachbarsätze, daß auch das Bessere der Zeit zum Opfer fiel. Menuett und Trio sind ausgesprochen Haydnisch. Der letzte Satz, Presto 6/8, (58 und 83 Takte) führt ausdrücklich die Ueberschrift »La tempesta«. Sechzehntelbewegung der Violinen princ., dazu ein von den Violinen obl. angeschlagenes Motiv (Viertelnoten, durch Achtelpausen getrennt), etwa die Schwüle vor dem nahenden Sturme ausdrückend, die Flöte im Zickzack leuchtende Blitze malend und nun sämmtliche Streichinstrumente, wie von Windstößen gepeitscht, mit einer schneidigen Zweiunddreißigstelfigur einander verfolgend, dies alles zunehmend, abnehmend und wieder sich steigernd, bietet ein bunt bewegtes Tongewoge, das uns gleichwohl nicht bange macht. Haydn hat dergleichen später in den Jahreszeiten so meisterhaft geschildert, daß damit die vorliegende Naturschilderung auch nicht annähernd einen Vergleich aushält. Joh. Traeg hat dieses Musikstück, zugleich mit den Symphonien Le midi und Le matin in der Wiener Zeitung und in seinem Katalog (1799) angezeigt. Ueber Letztere, D-dur, als concertante Symphonie bezeichnet, fehlt jeder Nachweis.[289]
Eine summarische Zusammenstellung74 der bis zum Jahre 1766 componirten Symphonien Haydn's wird dessen Produktivität in dieser Gattung am besten veranschaulichen. Die chronologische Folge läßt sich, wenn auch nicht streng durchführbar, doch wenigstens annähernd bestimmen mit Hülfe folgender Vorlagen: Vorhandene Stimmen in Eisenstadt; thematisches Verzeichniß in der Breitkopf-Sammlung; gedruckter thematischer Katalog von Breitkopf (seit 1763); Autographe; die vorerwähnten französischen Ausgaben; die in Privat- und Kirchenmusikarchiven aufbewahrten Symphonien mit Jahresdatum der Anschaffung oder Aufführung. Als Grundlage der Echtheit, wenn auch nicht der chronologischen Folge, dient natürlich Haydn's thematischer Katalog selbst. Es ist damit keineswegs die Zahl erschöpft; ihre vollständige Angabe würde aber zu weit führen und könnte auch für deren Berechtigung als in diese Periode gehörig nicht immer gebürgt werden. Den sichersten Anhaltspunkt bietet jedenfalls Breitkopf's thematischer Katalog, dem hier in den einzelnen Nummern das Nöthige zugefügt ist. Es entfallen demnach folgende Symphonien in die Zeit bis 1766 inclusive:
1766. VI Symphonien, Raccôlta I.
1. F-dur 3/4 Haydn Katalog 105; Paris, oeuvre VII, Nr. 1.
2. G-dur 2/4, Haydn 103.[290]
3. D-dur , Haydn 10, erste Symphonie (siehe S. 193 und 284).
4. D-dur 3/4, Haydn 93.
5. C-dur 2/4, Haydn 6.
6. D-dur , Haydn 97, Ouverture zu »Acide« (siehe S. 237).
1766. VI Symphonien, Raccôlta II.
2. B-dur , Haydn 104, Paris, oeuv. IV, Nr. 5; als Partita im Stifte Göttweig.
3. A-dur 2/4, Haydn 9, Paris, oeuv. VIII., Nr. 5; im Stifte Göttweig seit 1762, im Stifte Kremsmünster als Notturno seit 1764.
4. A-dur 3/4, Haydn 8, Paris, oeuv. VIII, Nr. 1; in Göttweig seit 1764.
5. siehe oben, erste Sammlung Nr. 2, diesmalG-dur, 2. Satz voran.
6. C-dur 2/4, Haydn 95, Paris, oeuv. IV, Nr. 3.
1767. VI Symphonien, Raccôlta III.
1. D-dur , Haydn 82, in Göttweig seit 1762.
3. C-dur , fehlt bei Haydn, Paris, oeuv. IV, Nr. 6; in Eisenstadt im kleinen Quartbuch verzeichnet; Göttweig und Zittauer Sammlung inD-dur.
4. E-dur , Haydn 104, Autograph Eisenstadt 1763.
5. D-moll 3/4 Haydn 17 und 91.
6. D-dur , Haydn 14, Autograph Eisenstadt 1763.
1767. IV Symphonien, Raccôlta IV.
1. C-dur 2/4, Haydn 4, Paris, oeuv. VII, Nr. 5; Göttweig seit 1766.
2. D-dur 3/4, Haydn 94, Paris, oeuv. IV, Nr. 4; Göttweig seit 1764.
3. C-dur 3/4 Haydn 101, Paris, oeuv. IV, Nr. 1.
4. B-dur 3/4 Haydn 12, Göttweig seit 1766.
1767. IV Symphonien, Raccôlta V.
1. Es-dur , fehlt bei Haydn, Paris, oeuv. VIII, Nr. 4.[291]
2. sieben oben Raccôlta III, Nr. 3.
3. B-dur 3/4, fehlt bei Haydn.
1767. VI Divertimenti, Raccôlta I.
3. Es-dur , Haydn 20 (nur diese Nummer hat Haydn unter die Symphonien aufgenommen; man trifft sie auch unter der Bezeichnung »Der Philosoph«).
I Concertino, G-dur 3/8, (unter die Symphonien aufgenommen, führt die Bezeichnung »Le soir«).
1768. II Symphonien.
1. G-dur , fehlt bei Haydn; apokryph (von Michael Haydn).
2. A-dur 3/4, Haydn 24, Autograph Artaria 1765; Paris, oeuv. VII, Nr. 4.
1769. IV Symphonien.
1. D-dur , Haydn 19, Autograph Eisenstadt 1764.
1769. VI Symphonien, Paris, oeuv. VII.
1. siehe 1766, Nr. 1.
2. Es-dur , fehlt bei Haydn, 1767 unter dem Namen Herffert.
3. E-dur 3/4, Haydn 22, Autograph Eisenstadt 1765.
4. siehe oben 1768, Nr. 2.
5. siehe oben 1767, Raccôlta IV, Nr. 1.
6. G-dur 3/4, Haydn 96, in Göttweig seit 1762.
1773. VI Symphonien, Paris, oeuv. VIII.
6. G-dur 3/4, Haydn 18, Autograph Eisenstadt 1764.
1773. VI Symphonien, Paris, oeuv. IX.
1. fehlt bei Haydn, apokryph (von Duschek).
2. bis 5. zweifelhaft; fehlen alle bei Haydn.
6. C-dur , Haydn 21, Autograph Eisenstadt 1765.
1779/80. VII Symphonien.
1. D-dur 3/4, Haydn 25, Autograph Eisenstadt 1765.
Dazu kommen noch:
1. A-dur 3/4, Haydn 16, Autograph Eisenstadt 1764 (nirgends veröffentlicht).[292]
2. Es-dur 2/4, Haydn 5, Breitkopf-Sammlung von Haydn erwähnt als der frühesten Zeit angehörig.
3. C-dur , fehlt bei Haydn, aber ebenfalls in der Breitkopf-Sammlung als in die früheste Zeit fallend angeführt.
4. B-dur 3/4, ditto (hier mit 2 Oboen und 2 Hörnern), ist unter die Quartette (Nr. 5) aufgenommen.
Wir ersehen aus diesem Verzeichnisse zunächst, daß das Erscheinen der Werke in Betreff der chronologischen Folge ihrer Entstehung nur nach der einen Seite hin Anhaltspunkte bietet, um damit wenigstens deren Existenz zur Zeit nachweisen zu können. Den früheren allgemein gehaltenen Bemerkungen folgen nun hier, wo wir es mit der Gesammtsumme der bis zum Jahre 1766 vollendeten Werke zu thun haben, noch einige Ergänzungen. Die meisten Symphonien haben zum ersten Satz eine breitere und mannigfaltig accentuirte Taktart ( oder 3/4) und lebhaftes Zeitmaß; nur bei zweien geht eine Einleitung in langsamer Bewegung voraus und auch da in größerer Ausdehnung, wie dies bei den späteren großen Symphonien der Fall ist. Fünf Nummern aber haben sogar selbstständige, für sich abgeschlossene Adagios in zwei Theilen. Der zweite Theil beginnt häufig mit dem Hauptthema in der Dominantentonart; kleinere Motive treten dann selbstständig auf und es folgt die übliche Durchführung, welche in die Haupttonart zurückleitet, in welcher aber dann das Hauptthema nicht mehr wiederholt wird, sondern gleich der Seitensatz beginnt. Bei den dreisätzigen Symphonien (ohne Menuet) ist der Mittelsatz ein Andante oder Adagio. Diese Sätze sind mit wenigen Ausnahmen nur für Streichinstrumente geschrieben; sieben stehen in Moll und die meisten haben kleinere Taktarten (2/4, 6/8, 3/8). Die Melodie ist hier der ersten Violine oder dem Violoncell zugetheilt, oder auch in die verschiedenen Instrumente vertheilt; manchmal gehen auch je zwei Instrumente unisono im Einklang oder in der Octav zusammen. Diese Sätze sind sein und zierlich und mit besonderer Sorgfalt gearbeitet; dahin gehören außer den später besonders zu erwähnenden[293] auch die Sätze aus den Symphonien Raccôlta II, Nr. 2 und 6, Raccôlta IV, Nr. 3; den meisten derselben ist ein Zug sanfter Melancholie eigen. Bei den viersätzigen Symphonien ist der Menuet als dritter Satz eingereiht (nur zweimal steht er als zweiter Satz) oder es tritt an dessen Stelle als letzter Satz ein längeres Tempo di Menuetto (einmal sogar im 3/8 Takt). Ursprünglich auf je 8 Takte in beiden Theilen angewiesen, gehen die Menuets hier weit über dies Maß hinaus, selbst bis zu 40 Takten. Fest gegliedert zu 2 und 2, oder 4 und 4 Takten ist ihr Charakter, der sich gleich in den Anfangsnoten scharf und bestimmt ausdrückt, gesund und frisch und häufig fast derb zu nennen; auch kleine Neckereien kommen schon hier vor; der Baß schreitet dabei festen Ganges einher und weiß seine ganze Macht geltend zu machen. Die Trios sind durchwegs lieblicher gehalten; Oboen und Hörnern werden hier vorzugsweise echt volksthümliche Weisen zugetheilt; der Bau dieser kleineren Sätze ist stets klar und durchsichtig und fast immer wird man durch neue Ideen überrascht. Die letzten meist zweitheiligen Sätze sind, obwohl der Taktzahl nach lang, bei dem engeren Taktmaß (2/4, 3/8) und dem raschen Tempo, meist Presto, noch immer kurz zu nennen; einige sind contrapunktisch gearbeitet, aber in der freiesten, ungezwungensten Behandlung. Sie alle aber athmen Frohsinn und Heiterkeit, ein durchaus ungezwungenes Spiel, bei dem man namentlich auch Haydn's ausnehmend leichte Handhabung des Rhythmus bewundern muß. Von der Besetzung wurde schon gesprochen: 7 Symphonien ausgenommen haben alle nur 2 Oboen und 2 Hörner als Harmoniezugabe. Bei zwei Symphonien tritt die Flöte hinzu, zweimal tritt diese an Stelle der Oboe, zweimal (Raccôlta I, Nr. 5 und Raccôlta II, Nr. 6) kommen auch Trompeten und Pauken vor; zweimal sind 4 Hörner und einmal Horn und englisch Horn paarweise angewendet.
Von jenen Symphonien, über die noch speciell einiges zu sagen ist, folgen nun hier die Anfangstakte. Zur leichteren Orientirung dient die Zahlenfolge 1 bis 19. Die Tempobezeichnung ist Haydn's thematischem Katalog entnommen; wo Autographe vorhanden waren, sind diese benutzt; Abweichungen (mitunter sehr erhebliche) sind angegeben.
2. Allegro molto. 2 Oboe, 2 Corni.
4. Spiritoso. 2 Ob., 2 C.[294]
6. Andante. 2 Ob., 2 C., Viola obl.
8. Cantabile. 2 Ob., 2 C.[295]
10. Adagio (Haydn's Katalog: poco Adagio). 2 Corni ex E-mol (Es), 2 Corni Inglese con sordini, staccato.
12. Allegro. 2 Ob., 2 C.
14. Molto Allegro. 2 Ob., 2 C.
15. Allegro (Haydn's Katalog: Moderato). 2 Ob., 2 C.
18. Adagio (Haydn's Katalog: Larghetto). 2 Ob., 2 C.
Die Symphonie Nr. 1 ist die schon S. 237 erwähnte Ouverture zu dem Festspiel »Acide«; sie ist in der gewöhnlichen Form gehalten und jeder Satz nur aus einem Theil bestehend. Der erste Satz hält die im Hauptmotiv ausgesprochene fröhliche Stimmung auch im Seitenthema und den demselben entnommenen kleinen Motiven fest; dies geht in raschem Fluß vorüber, in 72 Takten ist alles abgethan. Das Andante für 2 Violinen, Viola und Baß
ist mit »grazioso« treffend bezeichnet; der idyllische, liebliche Charakter hält an bis zur letzten Note; beide Violinen führen den Gesang, einzelne Motive daraus werden selbstständig und geben auch dem Baß Gelegenheit, imitatorisch mit den Violinen zu correspondiren. Das Ganze (86 Takte) gibt ein wahrhaft anmuthiges Bildchen, in dem sich alles natürlich und ungezwungen entwickelt und gerade so viel sagt als nöthig ist. Im Finale, Presto 3/8, (142 Takte), das, ohne viel Umstände zu machen, munter vorüberrauscht,[297] kommen, wie auch in späteren Symphonien, stereotype Gänge und Wendungen vor, musikalische Redensarten, wie sie eben jeder Zeit eigen sind. Das ganze anspruchslos auftretende Tonstück steht übrigens mit dem Festspiel in keinem weiteren Zusammenhang, man müßte denn das zart gehaltene Andante als Andeutung stillen Glückes der Liebenden, Acis und Galatea, nehmen.
Die dreisätzige Symphonie Nr. 2, klein aber frisch, hat ebenfalls ein reizendes, nur von Streichinstrumenten ausgeführtes Andante, G-dur 2/4, das sanft schmeichelnd einer Kindesbitte gleicht; einige Stellen daraus genügen, die Grundstimmung anzudeuten:
Die dem Thema entnommene Figur (a) wird auf- und absteigend durchgeführt; die Bitte wird immer dringender um eine Stufe höher wiederholt, bis sich beide Violinen vereinigen; noch zärtlicher spricht (b) die schlichte Einfalt, die auch am Schlusse (c) sich kaum herzlicher geben könnte. Das ganze Andante erinnert im Charakter etwa an »Batti, batti o bel Masetto«.
Nr. 3 der Symphonien hat 4 Sätze; nach dem frischen ersten Satz folgt ein zweitheiliges Andante,D-dur 2/4, wiederum nur für Streichinstrumente. Die Melodie wird hier von der ersten Violine und dem Violoncell fast durchgehends in der Oktav unisonirend ausgeführt. Im Jahre 1766 wurde, wie wir später sehen werden, Haydn öffentlich für den Erfinder dieser Neuerung erklärt. Dies (S. 207) meint dagegen, daß Haydn, wenn auch nicht der Erfinder, so doch einer der Ersten war, der von diesem Effect Gebrauch machte, der dann rasch Modeseuche wurde. Im Menuett sind wieder echt volksthümliche Weisen auf Oboen und Hörner vertheilt. Der letzte Satz, Presto 6/8, ist contrapunktisch gehalten; das Fugenthema in der ersten Violine
[298] wird abwechselnd in Ober-, Unter- und Mittelstimmen verlegt und erhält bei jedem neuen Auftreten einen neuen Gegensatz; durch Benutzung der Sechzehntelfigur (4. Takt) wird dann gegen den Schluß die Lebhaftigkeit gesteigert.
In der Symphonie Nr. 4, aus 3 Sätzen bestehend, ist wieder das Andante, diesmal nicht getheilt, von eigenthümlichem Reiz. Die erste Violine führt ausschließlich den Gesang, der sich stellenweise zu gehobener Empfindung steigert; die zweite Violine läßt die syncopirte Begleitung nicht los, Viola und Baß, unisono in Oktaven, halten in leichtem Staccato die Achtelbewegung fest. In seiner zarten, innigen Stimmung ist dies Andante etwa analog der durch das Becker'sche Quartett bekannt gewordenen Serenade. Hier der Anfang:
[299] Die erste Violine hat später folgenden Gesang:
Nr. 5 ist eine kleine aber in guter Stunde geschriebene Symphonie. Gleich der erste Satz im wahren Alla-breve-Takt nimmt für sich ein. Das Adagio, im Charakter einer Sicilienne gehalten, ist so sein gearbeitet, daß es widerstrebt, nur einzelnes daraus hervorzuheben. Mit Benutzung des Originals findet es nach l00jährigem Schlaf und darüber seinen Platz in der Musikbeilage VII, 2. Hat das Adagio ernster gestimmt, so fordert dagegen der letzte Satz zu lauter Fröhlichkeit auf.
Das lustige Thema muß sich alle Wendungen gefallen lassen und die gute Laune hält an bis zum Schluß. Haydn selbst scheint da besonders gut aufgelegt gewesen zu sein, denn der letzte Taktstrich ist der ganzen Länge nach wie im Uebermuth merkwürdig verschnörkelt ausgefallen; ja selbst das übliche Laus Deo hat der fromme Mann diesmal vergessen. Dies Presto hat zwei Theile (57 und 76 Takte). Als Ganzes betrachtet ist diese Symphonie eine der besten und in allen Sätzen gleich interessanten aus jener Zeit. Im Stifte Göttweig war sie schon im Jahre 1766, also wiederum ein Jahr vor ihrer Veröffentlichung bei Breitkopf vorhanden.
Der erste Satz der Symphonie Nr. 6 bildet ein selbstständiges Andante in zwei Theilen (42 und 56 Takte), ein edel gedachter und für die Streichinstrumente dankbar angelegter Satz, in dem Oboen und Hörner nur spärlich benutzt sind.[300]
Das folgende Allegro (in Haydn's Katalog mit Spiritoso bezeichnet) hat ein weit ausgreifendes Hauptmotiv:
Das Finale, Presto assai 2/4, hat es vorzugsweise auf die Behendigkeit der ersten Violine abgesehen. Die Bewegung in Achteltriolen hält mit wenig Ausnahme von der ersten bis zur letzten Note an; auch die andern Saiteninstrumente nehmen gelegentlich am Wettlaufe Theil und überlassen es den Oboen und Hörnern, die Melodie zu markiren und die Harmonie auszufüllen. So stürmt alles dem Schlusse zu, der noch im letzten Augenblick dem Ausgang einer kernigen, alle Sorgen niedersingenden Liedweise Raum giebt,
der ausgelassenen Schuljugend vergleichbar, die froh, dem lästigen Zwang in dumpfer Schule überhoben zu sein, in die gesunde Natur hinausjubelt.
In Nr. 7 begrüßen wir nach der Symphonie Le Midi zum erstenmal wieder eine reichere Besetzung, denn abgesehen davon, daß die Streichinstrumente selbstständiger behandelt sind, finden wir außer Flöte und 2 Oboen auch 4 Hörner paarweise, jedes Paar in D, also in derselben Stimmung, welche Zusammenstellung Berlioz in seiner Instrumentallehre als Zeichen großer Ungeschicktheit erklärt. Die Hornisten waren im vorigen Jahrhundert ausschließlich auf offene, natürliche Töne angewiesen, da der Gebrauch gestopfter Töne erst später in Anwendung kam.[301]
In der autographen Partitur sind Pauken nachträglich von fremder Hand hinzugesetzt und auch Trompeten findet man anderwärts. Der erste Satz bietet übrigens nichts Bemerkenswerthes; das Adagio cantabile, 2 kurze Theile, ist ein Violoncell-Solo mit einfacher Begleitung der übrigen Saiteninstrumente, die sehr leicht auf Pianoforte zu übertragen wären. Violoncellisten finden hier eine verwendbare Vortragspièce, deren erste Takte hier folgen:
Der frische Menuett hat ein Trio mit Flötensolo; das Finale (61 und 109 Takte) beginnt mit einem uns wohl bekannten Motiv, von beiden Violinen angestimmt und vom Baß als Gegensatz begleitet:
Das hier auftretende Hauptthema hat Mozart mit Vorliebe angewendet; man findet es in seiner herrlichenF-dur-Messe (1774) im Credo, im Sanctus derC-dur-Messe (1776), in der B-dur-Symphonie (1779), in der Sonate Es-dur (1785) und am eindringlichsten in der großen sogenannten Jupiter-Symphonie (1788); auch Michael Haydn hat in seinem Graduale Qui sedes Domine (1787) davon Gebrauch gemacht. Eine Durchführung wie in Mozart's großer Symphonie darf man hier nicht erwarten, dazu ist das Finale gar nicht angelegt. Das Motiv stellt sich ganz ungezwungen auf beliebigen Stufen ab und zu ein,[302] aber jedesmal mit verändertem Gegensatz und zweimal treten auch alle Stimmen als volle Gegenharmonie dazu auf. Auch die Gegensätze treten abwechselnd einander gegenüber, werden selbstständig durchgeführt und in kleine Motive aufgelöst, die wiederum sich erweitern und neue Gruppen bilden; endlich noch wird uns nahe dem Schlusse auch eine Engführung des Hauptmotivs durch 4 Stimmen geboten, die aber von geringem Belang ist. Jedenfalls zeigt dieser lebhafte letzte Satz, daß Haydn zu jener Zeit in bester Laune war, denn auch hier wie bei der Symphonie Nr. 5 deuten die in wunderlichen Schnörkeln auslaufenden Schlußtakte (auch bei Menuett und Trio) darauf hin. Nur hat Haydn diesmal nicht vergessen, Gott die Ehre zu geben, denn sein Laus Deo prangt am Schlusse in mächtig großen Zügen.
Die Symphonie Nr. 8 hat eine längere Einleitung (33 Takte) ein Cantabile, in dem die erste Violine den Gesang führt und die andern Streichinstrumente pizzicato begleiten; nach der Modulation auf die Dominante folgt ein Presto in einem Satz (78 Takte), das ebenfalls auf der Dominante Halt macht, wo dann das Cantabile sich wiederholt, aber diesmal etwas abgekürzt. Dem kräftigen Menuett und seinem reizenden Trio, in dem die Violinen den Violen und Violoncells gegenüber ein artiges Frag- und Antwortspiel führen, haben die Jahre nichts angethan; dasselbe gilt von dem nun folgenden lieblichen Andante für Streichinstrumente, dessen Thema
sich wie eine Perlenschnur in der ungezwungensten Weise in seine einzelnen Motive auflöst und wiederholt sich zu wirksamer Steigerung erhebt. Der muntere Schlußsatz, Presto 3/8, (158 Takte), hat einen interessanten Mittelsatz, D-moll, in dem die erste Violine ein neues Motiv durchführt, während die zweite Violine unausgesetzt in Sechzehnteln begleitet und nur Viola und Baß ihre Ruhe zu wahren wissen. Alles in Allem zeichnet sich diese Symphonie durch Reichthum an Ideen und deren gewandte Durchführung besonders aus.
In Nr. 9 begegnen wir einer dreisätzigen Symphonie, der[303] einzigen, in der den Streichinstrumenten nur 2 Oboen beigegeben sind. Sie ist zudem kurz genug (alle 3 Sätze zählen zusammen nur 248 Takte), dennoch aber in mancher Hinsicht interessant. Im ersten Satz wird ein markiges Thema, das der Baß anschlägt,
hartnäckig festgehalten, abwechselnd von den andern Instrumenten übernommen, bis dann alle in Fluß kommen und namentlich das Motiv des zweiten Taktes einschneidend immer wiederkehrt. Das Andante für Streichinstrumente allein ist eines der schönsten aus dieser Zeit; hier ist etwas mehr als bloß anmuthiges, maßvolles Formenspiel, vielmehr athmen wir den reinsten Seelenfrieden aus diesem Tonstück, das so ganz von Klarheit, Wohllaut und edler Einfachheit durchdrungen ist, daß wir seiner natürlichen und ungezwungenen Entwickelung nicht anders als mit vollster Befriedigung folgen können. Beilage VII, Nr. 3 bringt den vollständigen Abdruck dieses Satzes, in dem wir auch die früher erwähnte Führung der Melodie in Octaven unisono wiederfinden. Das Finale, Presto 6/8, ist frisch und voll Leben, bietet aber nichts Eigenthümliches.
Abermals treffen wir in Nr. 10 auf eine Symphonie mit selbstständigem Adagio im ersten Satz und obendrein mit neuer Besetzung: zum erstenmale sind englische Hörner verwendet (in der Abschrift in Göttweig durch 2 Flöten ersetzt). Das englische Horn ist sozusagen der Alt der Oboe und besitzt den vollen Umfang derselben; interessant ist es zu sehen, wie wirksam Haydn dieses Instrument, das er schon 1760 in einem Divertimento beschäftigte, bald mit den Waldhörnern abwechselnd, bald in Verbindung mit diesen seinem Klangcharakter entsprechend verwendet hat. Dem ersten Satz folgt ein Presto, das man in Abschriften auch als Anfang der Symphonie findet, nämlich:
[304] dem dann ein fremdes eingeschobenes Andante grazioso As-dur 3/8 folgt und mit Auslassung des Menuetts das eigentliche Finale, Presto 6/8; dies letztere ist voll Leben und jedenfalls der interessantere Theil dieser im Ganzen schwächeren Symphonie, die auch unter dem Beinamen »Der Philosoph« circulirt.
Um so hübscher ist die folgende umfangreichere Symphonie Nr. 11; schon der erste Satz (62 und 102 Takte) ist anregend; selbst das kleinste Motiv dient hier zu mannigfacher Weiterbildung und Steigerung des Ausdrucks. Auch der zweite Satz, poco Adagio,A-dur 2/4, wiederum für Streichinstrumente allein geschrieben, steht den früheren an edlem Ausdruck nur wenig nach. Der frische Menuett, A-dur, hat zum Trio eine melancholische, wie es scheint, slavische Originalmelodie, nur vom Streichquartett ausgeführt:
[305] Der letzte Satz, Presto assai (36 und 62 Takte), von dem das Autograph verloren ging,
entspricht an Reichthum der Erfindung und reizender Ausführung dem ersten Satz.
Die Symphonie Nr. 12 steht in fast gleichem Werth mit der vorgehenden; erster und letzter Satz und Menuett sind voll Frische, das Adagio, G-dur 3/4, ist ein dankbares, mit Melismen nicht überladenes Flötensolo mit Begleitung des Streichquartetts, auch als Einzelpièce mit Clavierbegleitung sehr wohl zu verwenden.
Nr. 13 kommt der Symphonie Nr. 5 am nächsten. Der erste Satz, 2 Theile (50 und 90 Takte) ist äußerst discret, sein und zierlich durchgeführt; das Andante bietet manch Eigenthümliches, so ist u.a. das Thema in die beiden Violinen vertheilt:
Das Finale, Presto, ist analog dem ersten Satz mit Vermeidung jedes überflüssigen Passagenwerks breit und entsprechend dem Hauptmotiv
[306] durchgeführt. Der Ausdruck wird hier fast ein herber; der größere Notenwerth herrscht vor und es folgen Gänge, wie sie in den Haydn'schen Finales selten vorkommen:
Obwohl nicht wesentlich verschieden von ihren Vorgängern, bietet doch die Symphonie Nr. 14 manche bemerkenswerthe Züge. Ihr erster Satz in 2 Theilen (45 und 76 Takte) ist kurz aber ungemein frisch; das scharf accentuirte Hauptmotiv erinnert an die kleinere G-moll-Symphonie von Mozart, componirt 1773 (siehe Köchel's Katalog Nr. 183). Der dort vorherrschende mehr ernste, düstere Ton ist hier eher glänzend zu nennen. Der zweite Satz, Andante (richtiger wohl Moderato) für Streichinstrumente
nähert sich dem Charakter der Ballade und hält das Interesse bis zur letzten Note wach. Der kräftige Menuett findet einen passenden Gegensatz im Trio, in dem die Instrumente meist paarweise ein anmuthiges Wechselspiel treiben. Das Finale ist contrapunktisch behandelt, aber dieses sonst so ernste Gebiet muß hier der muntersten, ausgelassensten Laune weichen. Anfangs geht alles wohl regelrecht vor sich: das eigentliche[307] Hauptthema der ersten Violine wird als Gefährte von der zweiten Violine in der Tonart der Dominante beantwortet, dann von der Viola wieder als Führer in der Haupttonart aufgenommen und endlich vom Baß wiederum in der Dominanten-Tonart wiederholt. Nun aber beginnt das freiere Spiel. Dem Hauptmotiv gegenüber lösen sich immer neue Gegenmotive ab und diese wieder gruppiren sich über- und untereinander, bis endlich ein Motiv, das beweglichere, in Achteln die Oberhand behält und alle Stimmen in gleichem Gang mit sich fortreißt. Wir haben u.a. folgende Motive, Gruppirungen und Combinationen vor uns:
Nr. 15, eine unbedeutende viersätzige Symphonie, soll uns nur als Beleg für den mitunter verschiedenen Werth der gleichzeitig entstandenen Werke Haydn's dienen. Daß sie obendrein nach Jahren, längst überholt von ihren besseren Schwestern, doch noch ans Tageslicht trat, kann man nur bedauern. Wer nun Haydn's damals (1773) erreichte Stufe nach dieser Symphonie[308] schätzt, ohne zu wissen, daß sie 9 Jahre früher entstanden, muß allerdings in seinem Urtheile irregeführt werden. Nur Menuett und Trio, beide canonisch bearbeitet, treten hervor; im Menuett alterniren von Takt zu Takt oktavenweise Oboen und Violinen gegen Viola und Baß (die letzten 2 Takte sind durchstrichen und folgerichtiger durch veränderte 3 Takte ersetzt); im Trio treten nacheinander zu je 2 Takten die erste, die zweite Violine (auf derselben Stufe), Viola und Baß (eine Oktav tiefer) auf, also ein strenger Canon im Einklang und in der Oktav.
Die dreisätzige Symphonie Nr. 16 macht einen ungleich bessern Eindruck; der erste Satz ist der geringere, das Andante dagegen, G-dur 2/4, bei dem diesmal auch Oboen und eine concertirende Flöte verwendet sind, ist hübsch zu nennen. Das Finale, Tempo di Menuetto piu tosto Allegretto 3/4, hat einen etwas behäbigen Charakter; Oboen und Hörner nehmen hier hervorragenden Antheil und verleihen dem Satz eine wohlige gesättigte Tonfülle. Im Mittelsatz, F-dur, schweigen Oboen und Hörner, dagegen gehen Flöte und beide Violinen unisono zusammen, einen neuen Gedanken in Achtelbewegung leicht umspielend. Warum diese Symphonie in einigen Abschriften mit »Alleluja« bezeichnet ist, bleibt unerklärlich.
Eine mannigfach interessante Symphonie ist uns in Nr. 17 aufbewahrt. Haydn ist hier mit Fleiß und Liebe zu Werke gegangen; dies bezeugt schon die besonders nette und seine Schrift, die Sorgfalt und Umständlichkeit, mit der auch die Details behandelt sind, so ist z.B. jede Seite mit allen Schlüsseln und Vorzeichen versehen. Die Besetzung ist reich: 4 Hörner, 2 Oboen, Flöte und die üblichen Streichinstrumente. Der erste Satz (das »Larghetto« in Haydn's Katalog mag wohl auf einem Irrthum beruhen) ist ausgeführter (62 und 98 Takte) und stellt sich den besten aus jener Zeit zur Seite; überall ist Leben und naturgemäße Entwickelung der einzelnen Motive. Das Adagio (2 Theile (35 und 43 Takte), ist ebenfalls reicher als gewöhnlich ausgeführt:
[309] über beiden Violinen führt eine princ. Violine die mit Passagen verzierte Melodie, die sich bis ins fünfgestrichene h verliert. Auch das Violoncell ist vom Baß getrennt und übernimmt theilweise die reiche Figurirung. Oboen und Flöte schweigen, dagegen sind 4 Hörner beschäftigt, diesmal aber in zweierlei Tonarten, in D und G; die ersteren haben folgende Stelle auszuführen:
Im Ganzen ist in diesem Satz der Charakter der Sicilienne festgehalten, der sich nicht nur in der Oberstimme, sondern auch in der Art der Begleitung ausspricht. Im Menuett, der wieder so recht den gesunden kräftigen Ton zu treffen weiß, sind alle Instrumente gleichmäßig beschäftigt, dagegen sie im Trio in reizendem Wechselspiel bald in höherer, bald in tieferer Lage die meist viertaktigen Motive einander abnehmen. Das Finale bietet diesmal etwas ganz Besonderes: es beginnt mit einem Thema, D-dur 2/4, zu 8 und 8 Takten, nur von den Streichinstrumenten ausgeführt; es folgen nun 7 Variationen, in denen jedem Instrumente, der Oboe, Flöte, dem Horn, Violoncell der Principal-Violine, Flöte und ersten Violine und dem Contrabaß einmal die variirte Parthie zugetheilt ist. Die Streichinstrumente leiten nun im Charakter des Thema nach der Dominante und es folgt zum Abschluß ein kurzes, lebhaftes Presto (35 Takte), in dem sich alle Instrumente vereinigen und ganz unerwartet mit den letzten Takten des ersten Satzes abschließen.[310] Deldevez spricht in seinem früher erwähnten Werk(Curiosités musicales etc. p. 13 fg.) über die in dieser Symphonie den Hörnern zugemutheten Schwierigkeiten, die hauptsächlich Ursache gewesen seien, daß dies Werk in Vergessenheit gerieth; die Hörner seien alternirend benutzt, eine Gruppe der andern als Echo dienend – eine Verwendung, die es ermöglichte, die 4 Hörner auf zwei zu reduciren, wie dies in der englischen Ausgabe von Forster zu finden sei. Das Original weiß von alle dem nichts, die Hörner sind zum größeren Theil gleichzeitig verwendet und hat selbst in der Variation, die alle 4 Hörner beschäftigt, das Solo keine, die angegebene Stelle überbietende Schwierigkeit. Diese Symphonie, von Deldevez, wohl im Hinblick auf die Soloparthien, als Concertante bezeichnet, erschien in gestochenen Stimmen bei Sieber in Paris; eine Partitur in Abschrift (Nr. 27) besitzt das Archiv des Pariser Conservatoriums.
Die Symphonie Nr. 18, die in Breitkopf's thematischem Katalog nicht verzeichnet ist, findet sich nichtsdestoweniger im Musikarchiv des Stiftes Göttweig seit dem Jahre 1767. Der erste Satz, nur aus einem Theile (70 Takte) bestehend, ist wieder ein abgeschlossenes Adagio, in dem vorzugsweise das Hauptthema immer wiederkehrt oder sich in einzelne Motive auflöst und mit neuen verbindet – gleichsam zwei Gruppen, von denen die erste das Hauptthema festhält und die zweite mit Gegenmotiven antwortet; auch eine artige Engführung mit dem ersten Motiv des Hauptthemas wagt sich durch vier Stimmen pianissimo hervor und führt zu einer wirksamen Steigerung dieses in formeller Beziehung eigenthümlichen Satzes. Das Presto, A-dur (42 und 60 Takte), ist besonders reich an Motiven, die zum Theil imitirend in mannigfaltiger Combination weiter geführt sind. Auch Menuett und Trio sind hübsch, besonders das Trio für Streichinstrumente, die mit Hartnäckigkeit ein zweitaktiges Motiv festhalten. Das kurze, lebensfrohe Finale, Allegro molto , 2 Theile (40 und 50 Takte), ist gerade interessant genug, um gegen die Vordersätze wenigstens nicht zurückzustehen.
Mit Nr. 19, der letzten unserer thematisch aufgestellten Symphonien, kehren wir gewissermaßen zum Anfang zurück, denn sie zählt nach Haydn's eigener Angabe zu seinen frühesten. Ihrem Werthe entsprechend dürfte man sie jedoch immerhin um einige Jahre später setzen; zum mindesten scheint sie etwa gleichzeitig[311] mit der Symphonie Nr. 14 entstanden zu sein. In noch erhöhterem Maße muß man an ihr die Erfindungskraft, formelle Gestaltung, die Kunst thematischer Arbeit und zahlreiche seine Züge bewundern, die schon eine Vertrautheit und Sicherheit in Anlage und Durchführung bekunden. Dies gilt gleich im ersten Satze, einem abermals abgeschlossenen Adagio von 2 Theilen (32 und 48 Takte), in dem die Oboen schweigen und die Hörner nur äußerst sparsam verwendet sind. Nicht minder überrascht der zweite Satz, Allegro (58 und 104 Takte), in dem auch die kleinste, an sich unscheinbare Notengruppe zu selbstständigem Ausdruck kommt. Wie immer bei Haydn findet man hier den richtigen Charakter des Alla breve gewahrt; es geht alles gleichsam in Lapidarschrift weiter und die Klangwirkung muß wohl eine durchaus gesättigte sein. Der Hauptgedanke
tritt so unverhohlen als kräftiges Fugenthema auf, daß man ungeduldig weiterblättert nach einem Haltpunkt, wo dasselbe geharnischt sich einstellt. Haydn läßt uns aber lange warten; drei Viertheile des Satzes sind längst vorüber, da endlich nach dem Halbschluß aufF, gleichsam dem musikalischen Doppelpunkte, eröffnen die Violinen in der Tonart der Dominante den Kampf:
im 9. Takt setzen Viola und Baß ein und alles, denkt man, ist nun im besten Zuge. Doch der Meister hat uns nur gefoppt; die Bässe kommen über den dritten Takt des Themas nicht hinaus; diese schweren Noten scheinen ihnen so zuzusagen, daß sie, dieselben wiederholend, auf jede Weiterführung vergessen und den ersten Theil in wenig Takten zum Abschluß zwingen. Nicht besser geht es im zweiten Theile, in dem das Hauptthema auch[312] an eine Engführung streift und sich in der Molltonart versucht, aber nur, um uns ebenso rasch das Nachsehen zu lassen. Es folgt noch ein kerniger Menuett mit einem äußerst lieblichen Trio und als Finale ein heiteres, lebensfrohes Presto (44 und 75 Takte).
Wie es stets einen hohen Genuß gewährt, ein Genie in seinem Entwickelungsgange zu belauschen, so bieten auch diese Symphonien aus Haydn's erster Periode Stoff in Fülle zu ernsten Betrachtungen. Obwohl ihre Wiederbelebung der großen Menge gegenüber wenig verlohnen würde, ist es doch zu bedauern, daß darunter so manche Nummern, die ein besseres Loos verdient hätten, der Zeit zum Opfer fielen, denn, abgesehen von ihrer Anspruchslosigkeit in der Besetzung, wären sie noch immer im Stande, wenigstens kleinere Kreise zu interessiren und zu erwärmen. Man müßte ihnen eben nur mit dem richtigen Verständniß entgegen kommen und nicht vergessen, daß sie zunächst zur angenehmen Anregung geselliger Unterhaltung und zum Gebrauch eines kleinen Musikkörpers bestimmt waren, daher sie auch die Tonfülle eines großen, mehr auf Virtuosität hinzielenden Orchesters nur unnatürlich aufbauschen würde. Zu ihrer Zeit liebte man es, gleich mehrere derselben, bei ein- und derselben Gelegenheit, aufzuführen; sie mußten daher knapp in der Form und bescheiden in den Mitteln gehalten werden. Eine Viertelstunde Zeit, eine Doppelbesetzung der Violinen, Oboe und Horn paarweise, waren die Normalbedingungen, die nur selten überschritten werden durften. Dabei lag es diesen Tonstücken ferne, durch drastische Mittel die Erwartungen hinaufschrauben und mehr scheinen zu wollen, als sie wirklich waren. Interessant ist es zu hören, daß Haydn's Symphonien (wohl nur die langsamen Sätze) häufig in der Kirche als Gradualien gespielt wurden, ehe noch die durch Michael Haydn eingeführten Vocal-Gradualien eingeführt waren.75 Bei den Orchesterstimmen der Haydn'schen Symphonien im Musikarchiv des Stiftes Göttweig sind die Tage solcher Aufführungen im Stifte selbst (in der Crypta) oder in einer der nächstliegenden Ortskirchen stets angezeigt.[313]
Wir sehen dabei auch, wie häufig und mannigfach Haydn's Symphonien überhaupt in den österreichischen, auf musikalische Pflege stets bedachten Klöstern cultivirt wurden. Als Ort oder Zeit der Aufführung lesen wir bald in teatro (im Theater), ad prandium (zum Frühstück), in horto (im Garten), post coenam (nach der Mittagsmahlzeit), in Refectorio (im Speisesaal), in Regenschoriatu (in der Wohnung des Chorregenten).
Eine einzige und wohl die früheste Recension über Haydn'sche Symphonien, über die in Paris erschienenen Six simphonies à huit Parties oeuvre VII, ist uns von J.A. Hiller erhalten.76 Der Verfasser geht derselben scharf zu Leibe, zeigt aber seine Achtung vor Haydn schon in dem Unwillen über die nachlässige und incorrecte Art der Herausgabe. Haydn hatte also unter dem liederlichen Druck seiner Arbeiten, worüber er namentlich in den 80er Jahren so oft klagt, schon damals zu leiden. Die Anfänge dieser 6 Symphonien sind die folgenden:
Sie sind in derselben Reihenfolge in Breitkopf's Katalog, Suppl. IV, 1769, einige aber auch schon früher angezeigt. Sie stehen in unserm Verzeichnisse (S. 290) unter 1766, Raccôlta I, Nr. 1; 1769 Nr. 2 und 3; 1768 Nr. 2; 1767, Raccôlta IV, Nr. 1; 1769 Nr. 6. Im zweiten Verzeichniß (S. 295) stehen Nr. 3, 4 und 6 auch unter Nr. 13, 11 und 14. Hiller bezweifelt es, daß die Symphonien von ein- und derselben Hand, von Haydn herrühren; »man sagt uns zwar von mehr als einem Componisten dieses Nahmens« (also Michael Haydn und etwa der[314] Organist Hayda), »aber der Vornahme sollte bei jeder Sinfonie besonders bemerkt seyn, um zu wissen, wem man das Gute und Schlechte dieser Sammlung zuzutheilen habe.« Nr. 1, 5 und 6 findet Hiller am besten, dagegen vermißt er in den anderen die »eigene und originelle Manier des Herrn Hayden«; die zweite (die auch in Haydn's Katalog fehlt und auch unter dem Namen Herffert erschien) sei eine »mißlungene und eckelhafte Nachahmung der Filz'schen Manier«77; die dritte »habe einen ganz hübschen Allegrosatz zum Anfang, im Andante aber habe der Componist die Melodie auf eine lächerliche Art unter die erste und andere Violine getheilt« (Hiller gibt dies »ohngefähr« an; Takt und Tonart aber,(G-dur 3/8, weichen gänzlich vom Originale ab). Hiller fährt fort: »Beim letzten Satz dieser Sinfonie steht Presto Fuga; und wer das Ding für eine Fuge will gelten lassen, der kann es thun« (auch hier ist der allerdings ungehörige Zusatz »Fuge« in der Ausgabe eigenmächtig); »mit mehrerm Rechte aber verdient der letzte Satz der 6. Sinfonie den Titel einer Fuge.« Nun heißt es weiter: »Die 4. Sinfonie hat ein hiesiger (Leipziger) Componist ohnlängst in eine erträgliche Form gebracht und die Auswüchse derselben abgeschnitten; der letzte Satz im 6/8-Takte ist im Drucke ganz ausgelassen; hätte man doch lieber das alberne Trio zusammt der Menuet hinweg gelassen!« (Wie schon erwähnt, ist dieser letzte Satz beim Autograph abgängig, er ist aber in geschriebenen Stimmen vorhanden.) Hiller sagt dann noch: »Herr Hayden, vor dessen Genie wir alle billige Achtung haben, mag zusehen, ob er diese Arbeiten alle für die seinigen erkennet, oder ob ihm mit dem Drucke derselben ein Gefallen geschehen ist.«
Die nun folgende Gruppe umfaßt mehrstimmige Instrumentalcompositionen von willkürlich aneinander gereihten Sätzen unter den verschiedensten Benennungen. Haydn hat sie in seinem Katalog unter dem Collectivnamen »Divertimenti« zusammengefaßt. Die durch Druck oder Abschrift verbreiteten Stücke[315] führen außerdem noch folgende Bezeichnungen: Cassationen, Parthien, Concertante, Scherzandi, Serenaden, Notturni. Es ist nicht wohl möglich, diese einzelnen Gattungen strenge zu sondern; sie entstanden zu einer Zeit, in der die gesteigerte Vorliebe für Instrumentalmusik eine größere Mannigfaltigkeit der Instrumentalformen veranlaßte, die aber selbst zu ihrer Zeit so wenig eine bestimmte Gattung bezeichneten, daß vielmehr eine und dieselbe Composition verschiedene Benennungen erhielt. Doch verstand man vorzugsweise unter Cassationen solche Stücke, die sich von der Symphonie durch größere Manigfaltigkeit der einzelnen Sätze unterschieden; Hauptbedingung war die nur einfache Besetzung der einzelnen Instrumente. Es waren solche Musikstücke daher mehr concertirender Art und wo dies in erhöhtem Grade der Fall war, zog man die Bezeichnung Concertante oder Concertino vor. Derartige Compositionen wurden hauptsächlich bei der Tafel, bei Hochzeiten, Festlichkeiten, Geburts- und Namensfesten in geschlossenem oder freiem Raume aufgeführt. Waren die Cassationsstücke aber ausschließlich darauf berechnet, im Freien, auf Plätzen und vor den Häusern der dazu Erkorenen auf Bestellung oder als freie Huldigung ausgeführt zu werden, nahmen sie wiederum den Namen Serenaten oder Notturni an und wurden dann mit einem Marsch eingeleitet und beschlossen. Kleinere Serenaten hatten nur Blasinstrumente, etwa Klarinetten, Hörner und Fagotte; doch gab es auch solche mit complicirterer Besetzung und mit Soloinstrumenten. Haydn bietet im Jahre 1787 Will. Forster in London, mit dem er schon 1781 in Geschäftsverkehr getreten war, solche Stücke (die wir in den 80er Jahren näher kennen lernen werden) folgendermaßen an: »Item habe ich noch 3 ganz neue niedliche Notturni mit einer Violin obligat, aber gar nicht schwer, mit einer Flaute, Violoncell, 2 Violinen Ripien., 2 Waldhörner, Viola und Contrabaß.« Die Bezeichnung Parthien (Partheyen, italienisch Partita), die schon im 17. Jahrhundert vorkommt78, gebrauchten die Kunstpfeifer für ihre Tanzsammlungen, welche nach Art der Suite, die mit ihren Wurzeln bis ins[316] 16. Jahrhundert zurückreicht79, eine gewisse Reihenfolge verschiedener Tänze enthielten, aber durch Zufügung eines Allegro, Andante oder Presto erweitert waren. Alle diese Benennungen sind bis auf die Suite, die man in unsern Tagen als ein bequemes Surrogat für die Symphonie wieder auffrischte, längst verschwunden. Die Compositionen selbst, so weit sie vorliegen, lediglich aus dem Drang entstanden, überhaupt zu musiciren, machen keinen Anspruch auf höhere Bedeutung und ist ihnen in der That nur hie und da ein lebhafteres Interesse abzugewinnen. Wir haben ihnen daher auch nur in so weit Beachtung zu schenken, als wir an ihnen wahrnehmen können, wie naturgemäß sich Haydn auch hier allmählig entwickelte und sie selbst das verbindende Glied zwischen Symphonie und Quartett bilden. Es herrscht bei Haydn überdies in dieser Compositionsgattung durch Umstellung der Sätze und Austausch der Instrumente eine derartige Verwirrung, daß es in den meisten Fällen unmöglich ist, der ursprünglichen Gestaltung auf den Grund zu kommen. Auch Haydn's eigener Katalog ist hier nicht maßgebend und verläßlich; hat er doch selbst auf die besseren derartigen Compositionen ganz vergessen. Was darüber schon S. 258 vorläufig gesagt wurde, sei hier weiterhin ergänzt.
Von den in diese Rubrik und in die Zeit bis 1766 fallenden Compositionen entnehmen wir Breitkopf's thematischem Katalog folgende Nummern: 1765, Parte Vta: VI Cassationen, Nr. 5 (die übrigen sind Quartette); VI Scherzandi. 1767: VI Divertimenti, Raccôlta I, Nr. 1, 2, 5; I Divertimento a Echo. 1768: IX Cassationen, Nr. 3 und 5 (nur diese sind bei Haydn verzeichnet).
1765: Cassatio Nr. 5, Haydn's Katalog. Divertimento, Nr. 2, a cinque.
Dieses Divertimento erscheint in der ersten Anzeige mit 2 Violinen, Viola und Baß; dann 1767 mit 2 Violinen, Flöte,[317] 2 Violen und Baß; Haydn's Katalog sagt »a cinque«, wir haben also gleich hier dasselbe Werk als Quartett, Quintett und Sextett. Eine mit Notturno bezeichnete Abschrift auf der Berliner Hofbibliothek trägt das Datum 1754; als eine der frühesten Compositionen ist diese Nummer auch in Breitkopf's Sammlung und dort, wie auch im Stift Kremsmünster, als Quintett angegeben. Diese Form wird wohl auch die richtigere sein (die Flöte etwa nur ad lib.) und bezeugt dies auch die gedruckte Vorlage. Sechs Sätze bilden dies harmlose aber als Vorläufer des ersten Haydn'schen Quartetts nicht uninteressante Musikstück, interessant schon deshalb, weil es die Meinung widerlegt, als habe Haydn der fünfstimmige Satz nicht glücken wollen. Dem kurzen anspruchslosen Presto folgt ein ausgesponneneres Allegro und ein kerniger Menuett; im Adagio hat die erste Violine einen leicht verzierten Gesang. Der zweite und hübschere Menuett fehlt in der gedruckten Ausgabe, das Trio ist hier fast von energischem Charakter; das Finale geht rasch und leicht vorüber und läßt bedauern, daß wir schon zu Ende sind.80
1765: VI Scherzandi.
[318] Läßt man obiges Quintett als Vorgänger der Quartette gelten, wird man die hier verzeichneten und schon S. 186 erwähnten VI Scherzandi für 2 Hörner, 2 Oboen, 1 Flöte, 2 Violinen und Baß nicht minder als die ersten Ansätze und Keime zu den Symphonien zu betrachten haben. Nr. 6 derselben, das bei Artaria auch für 2 Violinen und Baß in Abschrift existirt, hatte Haydn im Entwurfkatalog unter die Symphonien aufgenommen, im Hauptkatalog aber fehlen alle 6 Nummern. In der Breitkopf-Sammlung stehen sie (die Flöte ist dort durch Viola ersetzt) unter den Compositionen, die in die Zeit bis 1757 fallen und sind eigens als »Nachtstücke«, bezeichnet. Gleich dem jungen Vogel, der seinen ersten Flug aus der Eltern Nest versucht und, den zarten Schwingen noch nicht trauend, sich kaum vom schützenden Dach zu entfernen wagt: so gehen auch diese niedlichen Tonstücke nirgends über die engsten Grenzen hinaus. Aber sie zeigen doch schon abgerundete Form, mitunter interessante Rhythmik und einen so unbefangenen, heiteren Charakter, daß selbst die langsameren Sätze sich nicht gerne einer ernsteren Stimmung fügen zu wollen scheinen. Von einer Durchführung, Verbindung mehrerer Motive u. dergl. muß man allerdings absehen, doch ist es schon etwas, daß sich die Sätze natürlich und mannigfach entwickeln und daß die Instrumente nach ihrer Art vortheilhaft verwendet sind und namentlich auch die Blasinstrumente naturgemäß eingreifen. Jeder Satz ist zweitheilig und die Aufeinanderfolge (Allegro, Menuett, Andante oder Adagio, Presto) wie auch die Besetzung ist consequent beibehalten. Die Flöte ist stets nur im Trio des Menuett beschäftigt und als Solo behandelt, nur von Baß und Violinen begleitet. Auffallend ist auch hier, wie gerne und mit wie viel Geschick Haydn zum Trio vorzugsweise die Molltonart verwendet.
1767: Divertimento Nr. 1, Haydn's Katalog Nr. 20, a nove.
In der Breitkopf-Sammlung ist dies Tonstück als Concertante für 2 Violinen, Viola, 2 Hörner, 2 Oboen, Cello und[319] Contrabaß und zu den vor 1757 fallenden Compositionen eingetragen. In Göttweig befindet es sich als Cassatio seit 1763, in St. Florian als Notturno. Wir haben also 4 verschiedene Benennungen und auch die Besetzung weicht etwas ab (eine zweite Viola statt des Cello). Concertante ist wohl die richtigere Benennung, da die Instrumente, wenn auch mäßig, immerhin aber concertirend behandelt sind. Das Tonstück hat 5 Sätze, von denen der erste Satz in leichter Haltung und mäßiger Breite etwa dem Charakter einer Gartenmusik entspricht. Im ersten Menuett ist die Triolenfigur, mit der einigemal die Instrumente einen förmlichen Anlauf nehmen, von guter Wirkung; das Adagio, ohne Blasinstrumente, ist stimmungsvoll, doch ohne erhebliche innere Bedeutung und giebt jedem Instrumente reiche Beschäftigung. Im Trio des zweiten Menuett sind die Hörner bevorzugt; das Finale eilt im leichten 3/8-Takte heiter und rasch vorüber.
1767: Divertimento Nr. 2, Haydn's Katalog Nr. 16, a otto.
Es ist dies ein im Jahre 1760, also unter Graf Morzin, componirtes achtstimmiges, bereits S. 193 erwähntes Musikstück für je 2 Hörner, englisch Horn, Fagotte und Violinen. Haydn hat in seinem Entwurfkatalog eigens dazu angemerkt »Feld-Parthie«. Vorausgesetzt daß er nicht etwa auf die Violinen vergessen hatte, verstand er also unter dieser Bezeichnung nicht immer solche Stücke, die ausschließlich nur für die Harmonie geschrieben waren. Das Corno inglese haben wir schon bei den Symphonien S. 304 angetroffen; es ist hier der Oboe gleichgehalten, jedes Instrument obligat und am Ganzen thätigen Antheil nehmend. Zuweilen treten englisch Horn und Violinen auch in Gruppen correspondirend einander gegenüber; die Waldhörner pausiren nur selten und wagen sich mitunter auch mit einem Solo vor; der Baß, dessen Stelle hier die Fagotte einnehmen, bildet stets eine stramme Stütze. Und wie die Instrumente wohl verwendet sind, so zeigt auch die Anlage der Sätze, so kurz diese auch sind (das ganze Divertimento zählt nur 183 Takte) eine geübte Hand. Durch das ganze Musikstück geht[320] diesmal weniger ein tändelnder, scherzhafter als vielmehr ein kräftiger Zug. Es sind 5 Sätze; der Mittelsatz ein kurzes, in allen Stimmen verziertes Adagio und vor und nach diesem ein kerniger Menuett, ausnahmsweise der erste mit Moderato, der zweite mit poco vivace bezeichnet. Alle Sätze haben die gleiche Tonart, jeder ist zweitheilig und in jedem sind alle Instrumente beschäftigt. Die autographe Partitur, mit der Jahreszahl 1760 versehen, ist aus Haydn's Nachlaß ins Eisenstädter Musikarchiv übergegangen.
1767: Divertimento Nr. 5, Haydn's Katalog Nr. 11, a sei.
Dies Divertimento hat sich bis auf unsere Tage erhalten. Ursprünglich sechsstimmig (2 Violinen, Flöte, Oboe, Cello und Baß) und aus 5 Sätzen bestehend, erschien dasselbe 1770 als Quartett für Flöte, Violine, Viola und Baß (Amsterdam op. 5, Nr. 6); in den 80er Jahren finden wir es als Sonate für Clavier und Violine (André in Offenbach, 3 Sonaten, op. 41, Nr. 3) und später ebenso in den Oeuv. compl. von Breitkopf und Härtel (Cahier XII, Nr. 6), dann aber feststehend als Nr. 6 der 8 Sonaten für Clavier und Violine in allen neueren und neuesten Gesammtausgaben der Clavierwerke Haydn's.81 (Bei Holle weicht die zweite und letzte Variation von den andern Ausgaben ab.) Der Originalform gegenüber sind im Duo-Arran gement im ersten Satze (Haydn setzt Presto), im Menuett und letzten Satz mancherlei Veränderungen; im Trio, ein Violoncellsolo, von den andern Instrumenten pizzicato begleitet, fällt der Aufstreich weg und beginnt das Solo
und ebenso analog im zweiten Theile. Der letzte Satz, dessen ursprüngliches Tempo (Andante) passender in Moderato verändert[321] ist, sind 8 Variationen, von denen in der Sonate Nr. 2, 3 und 7 wegfallen. Im Original ist das Thema nur zweistimmig, ebenso die ersten 5 Variationen; die freie harmonische Figuration der Melodie ist der Reihe nach den verschiedenen Instrumenten zugewiesen; in den übrigen Variationen sind alle Instrumente beschäftigt; der Baß bleibt unverändert derselbe.82 Der wichtigste Umstand in der Sonatenform ist jedoch die gänzliche Auslassung des zweiten Satzes; nur die Streichinstrumente, zwei Violinen und Baß, sind hier beschäftigt, erstere con sordini. Und abermals treffen wir auf die schon erwähnte, durch die Octav verstärkte Melodie, die hier (mit einziger Ausnahme des zum Schlusse führenden Accordes) sogar consequent festgehalten ist – eine wunderliche Grille, mit der Haydn der Ueberschrift nach wohl die Harmonie in der Ehe zu schildern beabsichtigte. Eitler Traum! Statt des gehofften Glücks sollte er in der Praxis das grade Gegentheil kennen lernen. Der Anfang dieses Satzes lautet:
Der erste Theil schließt in der Tonart der Dominante; der zweite modulirt nach B-dur, G-moll und leitet dann wieder in die Haupttonart zurück, im Ausdruck immer wärmer und zärtlicher werdend. Den wohlthuenden Eindruck dieses Satzes werden wir fast ungern durch den darauffolgenden kräftigen Menuett[322] entrissen. Unter dem Titel »Mann und Weib« findet man das Divertimento u.a. in Westphal's Katalog (1785) angezeigt, doch ist es in Abschriften auch öfters »Der Geburtstag« benannt.
1767: 1. Divertimento, à Écho.
Dieses S. 258 erwähnte Musikstück ist ein artiger Scherz, der von je 3 Spielern (je 2 Violinen und 1 Violoncell) in zwei aneinander stoßenden Zimmern aufgeführt wird und müssen die Spieler dabei so postirt sein, daß sie sich gegenseitig sehen können.83 Die 5 Sätze dieses Doppel-Trio (Adagio, Allegro, Menuett, Adagio, Presto) bewegen sich in den Grenzen eines musikalischen Spaßes, zur Kurzweil für Dilettanten geschrieben. Die häufige Anzeige und vielfache Herausgabe dieser Nummer, die in Haydn's Katalog nicht aufgenommen ist, deutet auf deren besondere Beliebtheit. Nebst der französischen Herausgabe84, der italienischen85 und jener bei Trautwein in Berlin86 erschien auch ein Arrangement für 2 Flöten87 und eins für Clavier mit 2 Violinen und Violoncell bei Simrock88, bei dessen Aufführung sich die Begleitung ebenfalls in einem zweiten Zimmer, aber in Ansicht des Clavieres befinden muß. Als Doppel-Trio wurde dieses Divertimento einmal in Berlin im Jahre[323] 1840 von den Eleven der k. Akademie der Künste zur Aufführung gebracht.89
1768: Cassatio Nr. 3, Haydn's Katalog: Divertimento Nr. 9, a sei.
Dies Divertimento erschien in Paris bei La Chevardière als Nr. 2 der Six Simphonies ou quatuor dialogués, oeuvre IV; eine in Göttweig befindliche Abschrift aus dem Jahre 1764 hat dieselbe Besetzung wie in Breitkopf's Katalog: 2 Violinen, 2 Violen, 2 Oboen, 2 Hörner und Baß (in den geschriebenen Stimmen bei Artaria sind die Oboen durch Flöten ersetzt). Auf alle Fälle stimmt dies also nicht mit dem in Haydn's Hauptkatalog angegebenen »á sei« und wird wohl die richtigere Lesart die im Entwurfkatalog sein, nämlich »á nove«. Es sind 5 Sätze; der mittlere Satz ist ein Adagio cantabile für Streichinstrumente; vor und nach diesem Satz Menuett, zum Schlusse Presto. Besondere Eigenthümlichkeiten bietet keiner dieser mäßig großen Sätze; die Themen sind jedoch anregend, die Instrumentirung zeigt eine gewisse Leichtigkeit und Zierlichkeit. Ihrem allgemeinen Werthe nach schließt sich dies immerhin gefällige Tonstück den Symphonien mittleren Schlages jener Zeit an.
1768: Cassatio Nr. 5, Haydn's Katalog: Divertimento Nr. 1, a cinque.
Die Besetzung ist in Breitkopf's Katalog: Flöte, Oboe, 2 Violinen, Violoncell und Violono; im Jahre 1770 erschien das Divertimento als Quartett für Flöte, Violine, Viola und Baß (Amsterdam op. V, Nr. 4). Wir haben also hier wieder dasselbe Werk für 6, 5 und 4 Instrumente. Dem ersten Satze, der sich durch gewandte Vertheilung der Motive bemerkbar macht, folgt ein Andante moderato, in dem das Cello pausirt und die[324] erste Violine die Melodie führt. Der Satz ist ungewöhnlich lang; sein 2. Theil (92 Takte) macht Takt 59 Halt und es folgt nun eine concertirende längere Cadenz für Flöte, Oboe und erste Violine, worauf dann in wenig Takten alle Instrumente den Schluß herbeiführen (im vierstimmigen Arrangement bleibt diese Cadenz weg). Das Trio des Menuett ist ein Violoncell-Solo, das sich fast nur in Sprüngen bewegt, wozu die andern Instrumente pizzicato begleiten. Der Schlußsatz ist »La Fantasia« betitelt – eine Bezeichnung, die wohl auch nicht von Haydn herrühren mag; es dreht sich lediglich um Variationen gewöhnlichster Art über ein ebenso gewöhnliches Thema. In jeder der 6 zweistimmigen Variationen gönnt der Baß abwechselnd einem der Instrumente das Wort, was sie uns aber sagen, ist recht unbedeutend. Es scheint diese »Fantasia« eine sehr frühe Arbeit zu sein, die hier als Lückenbüßer in der Eile aushelfen mußte.
Es würde uns zu weit führen, hier auf die übrigen in Breitkopf's Katalog angezeigten Divertimenti jener Zeit einzugehen; überdies fehlen sie in Haydn's Katalog. Diejenigen aber, die daselbst zu finden sind und in diese frühe Zeit fallen, sind sammt den S. 258 erwähnten »Feldpartien« verloren gegangen. Auch das genannte sechsstimmige Divertimento, in Haydn's Katalog Nr. 10 und auch schon im Entwurfkatalog als »der verliebte Schulmeister« bezeichnet, traf dies Loos. Für den Fall, daß sich Gelegenheit finden sollte, dem empfindsamen Manne auf die Spur kommen zu können, sei hier das Anfangsthema angegeben:
Die genannten Feldpartien bringen uns auf jene Musik, von der schon in der Chronik die Rede war. Es sei hier auf alles verwiesen, was dort und auch später über Tafelmusik, Serenaden und über Harmoniemusik gesagt wurde. Haydn gegenüber kommt zwar das Wichtigere erst in späterer Periode zur Geltung, doch wurde er unzweifelhaft schon in den ersten Jahren seiner Niederlassung in Eisenstadt häufig dazu veranlaßt, Compositionen in dieser Richtung für Tafel- und Feldmusik zu liefern.[325]
Mußte doch auch so manche seiner Symphonien für erstere eben nur als ein die Gemüther zur Fröhlichkeit anregendes Mittel dienen. Die unter seinen Divertimenti angezeigten Feldpartien, die wohl ausschließlich nur für die fürstliche Regimentsmusik geschrieben waren, gingen sämmtlich verloren (ein einziges Divertimento, von dem das Autograph, datirt 1761, früher in Eisenstadt war, ist nur unvollständig erhalten); spätere und wohl die bedeutenderen Musikstücke derart haben sich jedoch der Mehrzahl nach erhalten. Dahin gehören auch die, seinerzeit noch zu besprechenden VI Divertimenti für 2 Klarinetten, 2 Oboen, 2 Hörner, 3 Fagotts und Serpent, denen Johannes Brahms das Thema zu seinen Orchester-Variationen entnommen hat. Der sechsstimmigen Harmoniemusik, zu Serenaden und zur Tafelmusik bestimmt, wurden öfters zur Verstärkung 2 Oboen zugegeben; sie war also sechs- und achtstimmig. Mozart schrieb dem Vater am 3. November 178190, daß ihm zu seinem Namenstage eine sechsstimmige Nachtmusik von seiner eigenen Composition (siehe v. Köchel Nr. 375) mitten im Hofe des Hauses am Graben, wo er damals wohnte, gebracht wurde. Die Tafelmusik war häufig aber auch gemischter; schon der alte Georg Reutter schrieb Symphonien für 2 Violinen, Viola, Baß, 2 Oboen, 2 Clarini, 2 Tromb. und 2 Pauken als »Servizio di tavola«. Compositionen für Blasinstrumente verfolgten jedoch nicht immer nur den profanen Tafelzweck, wie u.a. Ph. Emanuel Bach's 1775 geschriebene Sonaten beweisen.91 Die Harmoniemusik war namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sehr beliebt; Kaiser Joseph, Erzherzog Maximilian und mehrere Fürsten hatten solche Kapellen, mit den vortrefflichsten Musikern besetzt; in London lernte Haydn die Harmoniekapelle des Prinzen von Wales kennen, die von einem Deutschen, dem tüchtigen Christian Kramer, geleitet wurde. – Auch Märsche lieferte Haydn, von denen er zwar nur zwei in seinem Kataloge anführt, deren aber auch noch andere aus späterer Zeit sich in seiner Handschrift erhalten haben (selbst aus dem Jahre 1802 existirt ein[326] »Hungarischer Nationalmarsch« für Tromba, je 2 Hörner, Oboen, Klarinetten und Fagott). – Wir können schließlich in diesen Abschnitt noch die Tanzmusik mit einbeziehen, von der ebenfalls schon in der Chronik (S. 102) die Rede war. Haydn hat merkwürdigerweise in seinem Kataloge keine einzige Sammlung seiner derartigen Compositionen in seinem Verzeichnisse aufgenommen, obwohl er deren viele in mannigfacher Besetzung geschrieben hat. Fast zwischen jeder Sammlung lag aber ein längerer Zeitraum (einmal sogar 12 Jahre). Es sind ausschließlich Menuetts und deutsche Tänze, die in Abschriften und gedruckt in Orchesterstimmen und im Arrangement für Clavier erschienen. Der Charakter der Menuetts ist hier ein munterer, lebhafterer als in den Symphonien, in denen er häufig eine kräftigere Haltung annimmt. Haydn hat auf diese Menuetts, obwohl er sie in seinem Kataloge ignorirte, doch etwas gehalten. Am 11. Januar 1790 schreibt er an Artaria: » .... hingegen müssen Sie auch, um meine Schuld bei Ihnen zu tilgen, die 12 neue sehr prächtige Menuets und 12 Trio für 12 Ducaten übernehmen.« Die ersten, S. 103 erwähnten Menuetts erschienen in Abschrift bei Breitkopf, gleichzeitig mit Dresdner Redouten-Menuetten und Polonaisen, Steyerisch, Masur, Cosac, Strasburg, von Simonetti unter dem Titel: XVI Minuetti di Hayden a 2 Corn., 2 Ob., 2 Viol., Traver-Flautini, Fagotti e Basso. Zwölf Nummern davon, für Clavier arrangirt, haben sich in Haydn's Handschrift erhalten, alle Blätter bereits im trostlosen Zustande der Auflösung begriffen. Der erste Menuett beginnt:
[327] Das Quartett92 wurde von jeher als die keuscheste, edelste Musikgattung betrachtet, die vorzugsweise den Sinn für die Tonkunst hebt, bildet, verfeinert und mit den kleinsten Mitteln das Höchste leistet. Durch ihre klare, mit keinen Kunstgriffen zu umgehende Durchsichtigkeit ist die Quartettmusik der sicherste Prüfstein gediegener Componisten, denn in ihr, die des sinnlichen Reizes der Klangwirkung und des Contrastes entbehrt, zeigt sich die musikalische Erfindungsgabe und die Kunst, einen musikalischen Gedanken zu verwerthen. Die ersten Meister haben von jeher mit Vorliebe ihr Bestes in dieser Kunstgattung niedergelegt. Das Quartett sowie die Kammermusik überhaupt fand in gebildeten Familienkreisen das schönste Asyl und vereinigte in seiner Blüthezeit wenigstens einmal wöchentlich die Musikfreunde zur Erholung und Erhebung nach des Tages Mühen. Sehr treffend hat man wiederholt dasselbe mit einer Unterhaltung in traulichem Kreise verglichen, wo zwar die erste Violine das Wort führt, aber auch die andern Stimmen je nach ihrer Individualität ihre Meinung abgeben. Auch Goethe nannte es ein harmonisch anregendes Gespräch zwischen vier gescheidten Leuten und zog es jeder andern Musik vor.93 Heutzutage ist dies anders geworden: mit der zunehmenden Erleichterung, die schwierigsten Werke in vollendetster Aufführung in öffentlichen Concerten hören zu können, nahm allmählig die eigene Ausübung ab und so sind wir nebst dem Verlust einer nicht zu unterschätzenden Geselligkeit auch noch dem beliebigen Programm eines Dritten anheimgegeben. Die schon früher erwähnte Bezeichnung Haydn's als Schöpfer der modernen Instrumentalmusik gilt ganz besonders auch im Hinblick auf das Streichquartett, in dem er für seine individuelle Productivität so recht die entsprechende Form fand. »Das Quartett« (sagt O. Jahn zutreffend) »war für Haydn der natürliche Ausdruck seiner musikalischen Stimmung.«94 Um sein Verdienst in dieser Richtung vollkommen[328] würdigen zu können, darf man nur seine Vorgänger und Zeitgenossen nennen, z.B. Agrell, Aspelmeyer, Krause, Harrer, Scheibe, Graf, Richter, Camerloher (den Gerber den Vorverkünder der Streichquartette nennt), Stamitz und so viele Andere, deren Namen und Werke längst vergessen sind. Man hat noch zu Lebzeiten Haydn's den Italiener Sammartini als den Mann bezeichnet, den Haydn in seinen Quartetten zum Vorbild genommen habe. Der Meister protestirte heftig dagegen und, darüber von Griesinger befragt, sagte er zu ihm, er habe dessen Musik ehedem gehört aber nie geschätzt »denn Sammartini sei ein Schmierer«.95 Wiederum betrachtete man Porpora's in Wien erschienene 12 Violinensonaten als den Grund, worauf Haydn seine Quartette gebaut habe.96 Unbeachtet wird von ihm freilich keines der Werke, die ihm unterkamen, geblieben sein und wohl wußte er vor Allem mit sicherem Blicke die Lehren, die er aus den Werken des von ihm so hoch verehrten Ph. Emanuel Bach schöpfte, auch im Quartett zu verwerthen. Haydn zuerst gab ihnen eine faßliche, mannigfaltige, charakteristische Form und Abrundung und den einzelnen Instrumenten ihre individuelle Selbstständigkeit, erhöhte und vervielfältigte die Ausdrucksweise, erweiterte die Darstellungsmittel und legte den Grund zu jener fruchtbringenden thematischen Durcharbeitung, durch die er auch aus den oft unscheinbarsten Motiven durch geistreiche Verwendung seinen Sätzen eine lebensfrische in sich abgegrenzte Einheit zu geben wußte. Hierin wie in melodischer und harmonischer Erfindung und im nicht genug zu würdigenden Maßhalten in der Ausführung steht Haydn für alle Zeiten als Muster da. In seinen Quartetten tritt uns vorzugsweise ein Gemisch von schalkhafter origineller Laune, liebenswürdiger Naivetät und hochkomischem Humor entgegen und wenn sich auch in einzelnen Adagios eine sanfte Melancholie ausspricht, verscheucht das darauffolgende Finale durch gesunde Freudigkeit ebenso rasch jedes Wölkchen, das es versucht, den heiteren Himmel zu stören. Sehr bezeichnend war die Aeußerung der Dame eines hochgestellten kunstsinnigen Berliner Hauses, in dem bei Quartettaufführungen immer Haydn den Schluß machte. Sie sagte beiläufig: »Nach[329] der Aufregung durch tiefsinnige Compositionen wirkt Haydn's Quartett immer wie ein Brausepulver, das uns wieder die frohe Laune giebt und das Gleichgewicht herstellt.« Der Keim, den Haydn in dieser Richtung sowohl, wie auch in seinen Symphonien gelegt, hat bei ihm selbst und zunächst bei Mozart die schönsten Blüthen und Früchte getragen und wuchs bei Beethoven zum mächtigen Baume heran.97 Reichardt vergleicht Haydn's Schöpfungen mit einem lieblichen phantastischen Gartenhaus, von Mozart zum Palast umgewandelt, dem dann Beethoven einen kühn anstrebenden Thurm aufsetzte98 – ein Vergleich, gegen den manches einzuwenden wäre. Es ist bekannt, mit welch besonderem Fleiß Mozart 6 Quartette componirt hatte, um sie Haydn zu widmen – »es war Schuldigkeit von mir« (sagt er), »denn von ihm habe ich gelernt, wie man Quartette schreiben müsse.« – »Welch ein Schwung, welch eine Anmuth in den Motiven«, entgegnete Rossini in freundschaftlichem Verkehr gegen Hiller99, »es sind reizende Werke diese Quartette; welch ein liebevoller Verkehr der Instrumente unter einander! Und welche Feinheit in den Modulationen!« Rossini lernte Haydn's Quartette in seiner Knabenzeit zu Bologna kennen. Er hatte selbst ein Streichquartett zusammengebracht, in welchem er, so gut es ging, die Bratsche spielte. »Der erste Geiger« (fährt Rossini fort) »hatte anfänglich nur wenige Werke Haydn's, ich war aber immer hinter ihm her, sich mehr und mehr kommen zu lassen und so lernte ich nach und nach eine ziemliche Anzahl kennen; ich studirte damals Haydn mit besonderer Vorliebe.« So schätzten die Meister in den verschiedensten Musikepochen Haydn's Quartette und auch in unserer Zeit halten wirkliche Künstler noch immer fest zu ihm und legen ihn ihren Programmen zu Grunde. Hat doch auch Beethoven, dem Haydn in seinen letzteren Quartetten häufig näher steht als Mozart, sich ein Haydn'sches Quartett (Es-dur, op. 32, Nr. 1) eigenhändig in Partitur[330] gesetzt. Wenn auch Neid oder Unverstand schon bei Lebzeiten Haydn's an seinen Verdiensten um die Entwickelung der Instrumentalmusik zuweilen mäkelte: im Punkte der Quartette wagte ihm Niemand zu nahe zu treten. Eine artige Anekdote erzählt uns hierüber Neukomm, dem sie von Haydn selbst mitgetheilt wurde. Wenzel Müller, der langjährige Kapellmeister im Leopoldstädter Theater in Wien, führte einst einen Freund bei Haydn ein. Der Fremde erschöpfte sich in enthusiastischen Lobeserhebungen, die Haydn mit der ihm eigenen Bescheidenheit sanft abwehrte. Der eitle Müller aber, aufgereizt darüber, daß er selber dabei ganz umgangen wurde, platzte endlich heraus: »Ja, das muß wahr sein, Herr von Haydn, in Quartetten thut es Ihnen Niemand gleich!« Worauf Haydn gutmüthig antwortete: »Traurig genug, mein lieber Müller, daß ich sonst nichts gelernt habe.«100
Haydn selbst nannte seine ersten Quartette Cassationen, auch Divertimenti und Notturni. Als er anfing, sich in dieser Musikgattung zu versuchen, wird ihm zunächst wohl nur der Wunsch vorgeschwebt haben, sich seinem Wirthe dankbar zu bezeigen. Mag er auch dagegen protestiren, daß er in seinem Leben nie ein Schnellschreiber gewesen sei – diesmal floß ihm die Arbeit leicht von der Hand. Wie konnte es auch anders sein: Aufmunterung von theilnehmender Umgebung, keine Sorge ums tägliche Brod, ringsum die kräftige herrliche Natur – jeder halbwegs begabte Kunstjünger hätte da aufthauen müssen und um wie vielmehr erst Haydn, dessen Schaffensfreudigkeit jeder Takt verräth. Quartett folgte auf Quartett und mit jedem strömten dem glücklichen jungen Manne neue Ideen zu. Wie mag er selber erstaunt gewesen sein, als er das erste Halbdutzend vor sich fertig liegen sah; wie mag er sich stolz und freudig gefühlt haben, durch sein Talent anderen Menschen, und obendrein seinen Wohlthätern heitere Stunden bieten zu können. Dieser Drang, seinen Mitmenschen Freude zu bereiten, geleitete ihn durchs ganze Leben, und das Bewußtsein, dies zu vermögen, schuf in ihm jenen Seelenfrieden, der seinen Werken den Stempel keuschester Innerlichkeit verlieh. Mit der innigsten Rührung erinnerte sich Reichardt, wie Haydn's munteres und launiges[331] erstes Quartett sein frühester Kunstgenuß und zugleich der schönste »Paradeur« seiner frühen Knabenvirtuosität im Hause des Grafen Kaiserling in Königsberg gewesen sei.101 Haydn's erste Quartette, so weit sie gegen die Mitte der 60er Jahre bekannt wurden, gefielen ungemein durch ihre Naivetät und Munterkeit. Anderseits aber schrie man, wie wir früher schon gesehen, über Herabwürdigung der Kunst durch komische Tändeleien, nicht bedenkend, daß auch der Humor Ernst und gründliche Kenntnisse erfordert. Haydn's Neuerung aber, die Melodie in der Octav zu verstärken, fand man geradezu unerhört.
Man darf annehmen, daß Haydn seine ersten 18 Quartette in der Reihenfolge verzeichnete, wie sie entstanden sind; ihre mehr und mehr zunehmende Sicherheit, Erfindung und breitere Ausführung deutet darauf hin. Bei Zusammenstellung der späteren Quartette aber hat Haydn notorisch, wie sonst nirgends, auf chronologische Folge Rücksicht genommen und können wir auch daraus seine Vorliebe für diese Musikgattung erkennen. Ob er bei zunehmender Vervollkommnung die ersten 18 Nummern, die sich noch nicht an die strenge Quartettform halten, den späteren einverleibt wissen wollte, wird trotzdem, daß er sie doch selbst in diese Rubrik aufnahm, vielfach bezweifelt; Herr Artaria namentlich behauptet, von seinem Vater oft gehört zu haben, daß Haydn seine Quartette mit der 19. Nummer (op. 9, Nr. 1) begonnen wissen wollte und in diesem Sinne ist auch der gestochene thematische Katalog der Quartette bei Artaria verfaßt, bei dem denn auch das überall und sonderbarerweise selbst von Haydn unter die Quartette aufgenommene Werk »Die 7 Worte Christi am Kreuze«, ausgelassen ist. Und das mit[332] Recht, da diese Nummern, obendrein nur arrangirt, mit den wirklichen Quartetten nichts zu schaffen haben. Mit Unrecht aber hat man die ersten 18 Nummern, welche doch zum Verständnisse Haydn's so unumgänglich nothwendig sind, in einigen Collectivausgaben ausgelassen.
Die erste Anzeige von Haydn'schen Quartetten findet man im »Verzeichniß musikalischer Bücher« u.s.w. von Bernh. Christoph Breitkopf und Sohn, 3. Ausgabe 1763.102 Der »Anhang einiger neuer geschriebenen Musicalien« sagt S. 88: Hayden, VIII Quadros à 2 V. V. e Bass. Dieselben erschienen 1765 im thematischen Kataloge genauer bezeichnet und sind nach Haydn's Verzeichniß die Nummern 1, 7, 2, 6, 3, 4 (ein Quartett wurde nie gedruckt, ein zweites fehlt bei Haydn überhaupt). Es folgen dann in demselben Jahr VI Cassationes, nach Haydn's Katalog Nr. 8, 10, 11, 9, 12 (eine Nummer fanden wir schon bei den Divertimenti). Die nächstfolgenden Quartette, die bei Breitkopf angezeigt sind, fallen schon über die ersten 18 hinaus; es fehlen also gänzlich die Nummern 5 und 13 bis 18. Besser sieht es in den gestochenen französischen Ausgaben aus; alle 18 Nummern er schienen in den Jahren 1764–1769 unter oeuvre 1, 2, 3 und sind Vénier, La Chevardière und Le Duc als Verleger genannt. Der Titel der ersten sechs Quartette lautet: Six Simphonies ou quatuors dialogués pour deux Violons, Alto Viola et Basse obligés, composés par Mr. Hayden. Maître de Musique à Vienne. Mis au jour par Mr. de La Chevardière à Paris. (Sintonia bedeutete nach damaligem Begriff jedes Musikstück, in dem wenigstens 3 Instrumente concertirend beschäftigt waren.) Auch Vénier gab gleichzeitig Haydn's Quartette in der Sammlung Symphonies périodiques pour deux violons etc. (Nr. 14 di varii autori) heraus. (Im Jahre 1763 erschienen in derselben Sammlung Quartette von J.C. Bach, Jomelli, Stamitz und Boccherini, also mehr oder weniger gleichzeitig componirt mit den Haydn'schen.) Sieber zuerst gab alle getrennt erschienenen Quartette Haydn's, so weit sie vorlagen, in einer einzigen Sammlung heraus; später folgte Pleyel mit seiner splendid ausgestatteten Ausgabe in 4 großen Foliobänden, mit[333] Haydn's Porträt und dem Consul Bonaparte gewidmet; darin sind auch alle ersten 18 Quartette aufgenommen, nur fehlen die drei letzten damals noch nicht geschriebenen Nummern; endlich noch erschienen die Quartette auch bei Imbault (56 Nummern), Janet und Cotelle.103 Im Jahre 1765 finden wir die ersten 6 Quartette, oeuvre I. auch schon in Amsterdam und im Juli desselben Jahres sind sie als vorräthig angekündigt von R. Bremner in London. Es beweist uns dies, wie rasch und weit verbreitet Haydn's Name schon in den 60er Jahren war und daß das wahre Genie wie immer, auch von einem so stillen und entlegenen Orte aus, wie Eisenstadt, sich Bahn zu brechen weiß.
Es folgen nun die Anfangstakte der ersten 18 Quartette in der Ordnung, wie sie Haydn's thematischer Katalog bringt, die auch in der Partiturausgabe von Trautwein (Nr. 58–75), von Heckel (Nr. 1–18), und in den Stimmenausgaben von Peters (Cahier 18–22), Litolff (Nr. 1–18) und Holle (Nr. 65–82) beibehalten ist.
[334] Nr. 1 (vergl. S. 185), fünfsätzig wie die nächstfolgenden 4 Quartette, zeigt bereits einen gewandten Componisten; er hält sich zwar nur auf grader Straße, aber was er bringt, ist ungesucht, frisch und von wahrer Schaffensfreude belebt. Gleich der erste Satz, der die Exposition, den Grundcharakter des Ganzen andeuten soll, spricht dies durch die Wahl der Taktart und des Zeitmaßes aus und pflanzt damit gleichsam das Panier auf für die ganze Quartettgruppe, das Losungswort tragend: Frohsinn und Fröhlichkeit. Die Form ist die allereinfachste: nach dem Schlusse des ersten Themas folgt ohne weitere Modulation der zweite Gedanke in der Tonart der Oberdominante; einige Schlußtakte – und der erste Theil ist fertig. Im zweiten Theile beginnt die hier noch äußerst kurz gehaltene Durchführungs- oder Mittelsatzgruppe, mit Motiven aus dem ersten Theile gebildet, worauf der erste Satz sich wiederholt (der zweite Gedanke natürlich in der Haupttonart) und zwar ohne[335] jeden weiteren Zusatz. Jeder Theil wird wiederholt und so fordert es auch das humorvolle Finale. (In unserer Zeit haben namhafte Künstler diese Repetition unterlassen und gewiß mit Unrecht, namentlich was den ersten Theil betrifft, der doch die Elemente der späteren Durchführung enthält und daher mit Nachdruck zu Gehör gebracht werden muß.) Zwei Menuette umschließen den dritten Satz, ein stimmungsvolles Adagio mit hübscher Cantilene der ersten Violine, welche die andern Instrumente harmonisch ergänzen.104
Nr. 2 hat einen schon etwas ausgeführteren ersten Satz mit knappen Motiven; auch der dritte Satz, abermals ein Adagio mit melodieführender Primgeige, wagt einen weiteren Schritt vorwärts; nicht minder überrascht auch das ernst und edel gehaltene Trio des zweiten Menuett. Das Presto gleicht einigen keck hingeworfenen Federstrichen; von guter Wirkung sind die Syncopen in den Mittelstimmen. Die Trios anbelangend, zählen wir in diesen 18 Quartetten 11 Nummern in Moll, fast durchgehends wahrhaft kunstreich geschliffene Edelsteine, durch Eigenthümlichkeit, originelle Erfindung und meist ernsthaften Zug hervorstechend. Ohne Zweifel hat Haydn diese kleinen Sätze mit besonderer Vorliebe behandelt. Daß aber die Wahl der Molltonart bei Haydn, wie ja auch bei Mozart, überhaupt einen Einfluß auf die jeweilige Stimmung hatte, werden wir in Zukunft noch oft sich bestätigen sehen.
Nr. 3 beginnt mit einem längeren Adagio, aus einem einzigen aber längeren Theile bestehend. Den Gesang der ersten Violine imitirt zum Theil die zweite, dann geht wieder diese mit der Viola zusammen; das zierliche Trio des ersten Menuett huscht diesmal wie ein lichtes Wölkchen vorüber. Der dritte Satz ist zum erstenmale ein allerliebstes aus vier Theilen bestehendes Presto, in dem bald diese bald jene Stimmen paarweise zusammengehen und vorübergehend sich auch alle vier die Hände reichen. Der hübsche zweite Menuett hat ein noch hübscheres feingezeichnetes Trio, D-moll, in dem sich die Achtel von[336] den getragenen Noten (erste Violine und Viola gehen in Oktaven) wirkungsvoll abheben. Im Presto, diesmal nur ein einziger aber längerer Satz, erzeugt die abwechselnde Vertheilung der Motive ein Bild äußerster Lebhaftigkeit; die Theilchen flattern von Stimme zu Stimme, paaren sich zu Sätzen, lösen sich wieder los, wenden sich neuen Körperchen zu und so wird auch das kleinste Motiv ausgenutzt und kommt stellenweise zur Selbstständigkeit.
Nr. 4 hat die Satzeintheilung des ersten Quartetts: erster und letzter Satz Presto, letzterer der bedeutendere; dritter Satz Adagio, in dem außer der Prim auch die andern Instrumente melodiösen Antheil nehmen; das Trio, G-moll, zum ersten Menuett hat fast etwas Trotziges, den rollenden Achteln gegenüber antwortet die erste Violine in kräftigen Accorden oder schwebt über ihrer Begleitung in schmerzhaftem Gesange; auch das Trio zum zweiten Menuett, abermalsG-moll, ist interessant, namentlich ist das erste Motiv im zweiten Theile hartnäckig durchgeführt.105
Nr. 5 fehlt in Breitkopf's thematischem und merkwürdigerweise auch in Haydn's Entwurf-Katalog. Zum erstenmale haben wir es mit einem dreisätzigen, besonders bemerkenswerthen Quartett zu thun. Unzweifelhaft war es ursprünglich im Geiste einer Symphonie nicht nur gedacht, sondern auch wirklich so ausgeführt und wäre somit der ersten Symphonie Haydn's noch vorangegangen. Die Benutzung mit 2 Hörnern und 2 Oboen findet sich in Göttweig und in Breitkopf's Sammlung (dort in die Zeit vor 1757 gesetzt). Der Charakter ist ein vorwiegend kräftiger; schon der erste breiter angelegte Satz mit seinen wirkungsvollen Syncopen hat symphonischen Anstrich. Das ruhig gehaltene Andante mit sorgfältig gearbeitetem Basse hält die gleiche Stimmung durchaus fest und schielt ebenfalls wie verstohlen nach der Symphonie. Im letzten Satze geht alles lebhaft zu; kerngesund und frisch in seinem Wesen streift derselbe wohl auch an die Toccata an. Das ganze Quartett,[337] namentlich aber der dritte Satz dürfte für etwas vorgerücktere Schüler eine passende Aufgabe im Ensemblespiel bilden. Nebst diesem Quartett findet man auch die späteren Nummern 9 und 11 mit 2 Waldhörnern vor. Diese Verbindung mit Saiteninstrumenten war seinerzeit beliebt; Mozart's Divertimenti (v. Köchel's Katalog Nr. 287 und 334) sind ähnliche Arbeiten; die Hörner blieben auf Naturtöne beschränkt, hatten gelegentlich kurze Soli, füllten nach Bedürfniß die Harmonie aus und verliehen den Tonstücken eine anziehende Tonfarbe.
Nr. 6, wiederum fünfsätzig, wie auch die nächstfolgenden 6 Quartette, hat als 3. Satz ein reizendes Adagio, die Primgeige sich in einer herzinnigen Cantilene wiegend, die andern Instrumente pizzicato als Geleit dienend, dazu das durch Sordinen erzeugte Halbdunkel – eine Serenade, wie sie das rosigste Kind nicht schöner sich wünschen könnte. Im zweiten Menuett fällt in beiden Theilen die ungrade Taktzahl (9) auf, die durch die Einschaltung des 5. Taktes entsteht; beide Violinen, dann Viola und Baß gehen durchaus in Oktaven, der Satz ist demnach eigentlich nur ein zweistimmiger. Das Trio hat wieder Molltonart und schlägt ebenso wieder einen ernsteren Ton an. Der letzte Satz, Presto, fertigt das Quartett mit einigen leichten Strichen rasch ab.
Nr. 7 hat einen kerniger ersten Menuett; im Trio, wiederum Moll und von besonderer Erfindung, wiederholt sich das Anfangsmotiv hartnäckig bis zum Schlusse. Im Adagio, ein längerer Satz in einem Theile, ist die erste Violine die tonangebende; ein munteres doch sicher angelegtes Allegro beschließt das Ganze.
Nr. 8 hat wieder zwei Trio in Moll und jedes originell; im 3. Satz, Adagio, wagt sich die erste Violine zum erstenmal an Terzen- und Sextgriffe und vor und nach der Fermate gewinnt dieser längere Satz noch an Interesse. Der letzte Satz ist voll neckischer Einfälle, siehe namentlich vor der Haltpause die erste Violine.
Nr. 9 hatte ursprünglich einen Aufputz von 2 Hörnern; so findet man es in Haydn's Entwurfkataloge(Div. ex E-mol a sei), in der Zittauer- und Breitkopf-Sammlung, in Breitkopf's Katalog 1765 (Cassatio Nr. 4) und in der französischen Ausgabe (oeuvre III. Nr. 1). Der erste Satz hat vorwiegend kräftigen[338] Allegrocharakter.106 Der kurze aber hübsche 3. Satz, Adagio mit Sordinen, hat eine leicht an Mozart streifende Gesangsmelodie und eine wohlgesättigte Begleitung. Der zweite Menuett ist alternativo, d.i. nach demselben wird das Trio, dann nach jeder Wiederholung des Menuett eine der folgenden 3 Varianten gespielt und endlich mit dem Menuett, in dem die viermal von allen Instrumenten ausgeführten Pizzicatoaccorde sich glänzend abheben, geschlossen. Der letzte Satz, Allegro, harmonirt ganz wohl mit dem ersten Satz; man vergleiche das kräftige Anfangsmotiv, das wie ein Wahlspruch anhebt und im zweiten Theile gleich einem Aufruf vom Baß viermal wiederholt wird.
Nr. 10 zeigt uns, gleich so manchen der früheren Sätze, wie im Verlauf der Arbeit Haydn die Kräfte gewachsen sind. Gleich der erste Satz spricht dafür; von guter Wirkung ist hier namentlich die, den Haltpunkt einleitende Steigerung und der piano-Einsatz nach der Generalpause. Der dritte Satz, F-moll, Adagio non troppo, ist ein edler Gesang, der auch in einem reiferen Werke Haydn's würdig seinen Platz ausfüllen würde. Das zweite Trio ergeht sich im zweiten Theile, der Natur des 3/4 Taktes widerstrebend, in humoristischem Wechsel von Achtel- und Viertelnoten. Das frische Allegro des letzten Satzes entspricht dem Werth der übrigen Sätze.
Nr. 11 ist das dritte Quartett, das sich in Breitkopf's Sammlung und thematischem Kataloge und in der französischen Ausgabe (oeuvre III, Nr. 3) mit dem Zusatz zweier Waldhörner vorfindet. Im ersten Satze scheinen sich die Instrumente wohlgefällig auf dem Anfangsmotive zu wiegen; im zweiten Theile tritt gegen das Ende ganz unmotivirt ein Adagio von nur 3 Takten auf, das uns mit seinem Trugschluß und der Haltpause etwas Besonderes erwarten läßt; doch unbekümmert um unsere Neugierde geht es mit dem ersten Motive keck auf der Tonica der Hauptonart weiter, in elf Takten dem Schlusse zueilend. Interessant ist wieder das erste, in allen Stimmen meisterhaft ausgearbeitete Trio, D-moll. Im dritten Satze, Largo cantabile, hat die erste Violine eine besonders breite Cantilene, von der 2. Violine und Viola meist in Syncopen[339] begleitet. Auch das 2. Trio ist eigenthümlich behandelt; die hier von Violine und Viola ausgeführten Solostellen hatten ursprünglich die Hörner. Der letzte Satz, Presto, ist eines der bisher kürzesten und beweglichsten Finale Haydn's, in dem die erste Violine in leichtem Sechzehntelfluge dahineilt – ein unverkennbarer Vorläufer des so wohlbekannten Paradesatzes aus dem D-dur-Quartett op. 65.
Nr. 12 beginnt mit einem gemüthvollen Thema mit Variationen und kurzem Coda; wer von den Primgeigern Triller liebt, wird die dritte den übrigen Variationen vorziehen. Das erste Trio hat ein durchgeführtes Triolenmotiv, von dem sich nur der Baß ferne hält. Zum zweitenmale begegnen wir als dritten Satz einem Presto; keck hingeworfen, trifft sein Thema die gesunde Volksweise, die auch der As-dur-Absatz anschlägt; es ist die helle Freude, die sich's in fast ausgelassenem Jubel wohl sein läßt. Um so ernster stimmt der darauffolgende Menuett und namentlich dessen Trio,B-moll, das sich jedoch gerade diesmal leider nur in der knappesten Grenze von 8 und 8 Takten hält. Ein lebhaftes Presto schließt dies wunderliche Quartett, dessen Sätze sich nur ungern zu einem Ganzen fügen zu wollen scheinen.
Nr. 13, viersätzig, wählt zum frischen ersten Satze endlich auch den Viervierteltakt. Ein markiger Charakter herrscht hier vor; zu beachten ist das Baßmotiv im 24. Takte, das dann zweimal wiederkehrt, jedesmal von der Viola imitirt, während die erste Violine mit einem neuen Motive dreimal ansetzt. Das erste Trio bewegt sich im echten Volkston; von hübschem Effekt sind hier die eingeschalteten Pizzicatostellen. Als dritter Satz folgt ein Andantino grazioso, 6/8 Takt, beide Violinen con sordini, Viola und Baß pizzicato; die erste Violine hat den Gesang, die zweite begleitet in Sechzehnteln. Es ist eine ausgesprochene Serenade voll kindlicher Einfalt, Seligkeit und Unschuld, ein Rosenbusch, der uns mit neidloser Freigebigkeit mit Blüthen überschüttet und uns alles Leid der Welt vergessen läßt. Nur das keuscheste Gemüth, dem jeder unreine Gedanke fremd war, konnte so in Tönen dichten. Das Ebenbild dieser Serenade werden wir weiter unten kennen lernen. Der letzte Satz, ein lebensfrohes Presto, leitet pianissimo mit gehaltenen Noten ein, gleichsam ein Sinnspruch, der am Schlusse wiederkehrt;[340] bei dem letzten Eintritt des Hauptthemas finden wir abermals den Zusammengang in Octaven.
Nr. 14 ist das zweite Quartett mit nur drei Sätzen: ein Andante (Fantasia) mit Variationen, ein hübscher Menuett mit leierartigem Trio und ein Presto, das weit vorgreift; letzteres, in der Anlage breiter und freier, ist der längste aller bisherigen Sätze (508 Takte), voll humoristischer Laune, Heiterkeit und reicher Abwechselung an Ideen, wohl entsprechend dem lebhaften Finale einer komischen Operette, der hier eben nur der entsprechende Text fehlt; auch treten hier marschartige und im Volkston gehaltene Parthien auf, etwa zur Zeit beliebte Melodien.
Nr. 15, viersätzig, beginnt und schließt mit Presto; dem ersten Satze folgt ein Largo, das der ersten Violine Gelegenheit zu schönem Vortrag bietet und ihr zum erstenmale auch Octavengriffe zumuthet. Menuett und Trio sind reizend; der Menuett, eine Art Musette, das Trio, wiederum Moll, vielleicht das schönste der ganzen Sammlung. Auch hier ist Haydn wieder um zwanzig und mehr Jahre voraus. Eingeschoben in eines der späteren Quartette würde kaum Jemand dessen frühzeitige Entstehung ahnen. Das Becker'sche Quartett hat dieses immerhin bedenkliche Verfahren wirklich und mit Glück bei Gelegenheit der Aufführung des Quartetts, op. 65, Nr. 5, versucht. Der letzte Satz stellt sich dem des vorhergehenden Quartetts durch ergötzlichen Humor an die Seite.
Nr. 16 ist das einzige Quartett von nur zwei Sätzen. Der erste birgt so manche schöne Stelle; man beachte die Takte von 33 aufwärts (bei Takt 37 mit dem Anklange an das reizende Terzett, A-dur 6/8, aus Don Juan), die Takte 51 und weiterhin, bei Takt 58 die in Octaven beginnende Melodie, von erster Violine und Viola geführt, die letzten 12 Takte beider Theile mit der Licenz in der ersten Violine. Der zweite Satz, zum erstenmale mit Adagio und Presto wechselnd, hat vorwiegend kräftigen Charakter.
Nr. 17, viersätzig, wie auch das nächstfolgende Quartett, klingt mit seinem frischen und lebendigen ersten Satze wiederholt an populäre Melodien an. Das Andante cantabile bedarf keiner weiteren Anpreisung, es ist die zuerst durch das Florentiner Quartett bekannt gewordene einfache und doch so reizende[341] Serenade, die in unsern Tagen in unzähligen Arrangements als rasch erkorener Liebling ihren Weg durch die Welt genommen hat. Die willkürliche Bezeichnung entspricht dem lieblichen Charakter dieses Tonstückes, dem bei aller Naivetät und kindlicher Einfalt ein leiser Anflug von Sehnsucht (siehe Takt 25 aufwärts vor dem Schlusse) gar wohl ansteht. Auch der gleiche Gefühlsausdruck bei Haydn und Mozart verdient Beachtung (vergl. Takte 22–24 vor dem Schlusse und die erste Arie der Zerline bei der Stelle starò quì come agnellina). Ein Scherzando, lustig und lustig, bildet diesmal den Schluß.
Nr. 18 bringt im ersten Satze, 2. Theil, eine breit ausgesponnene Durchführung. In dem sorgfältig ausgeführten Adagio hat die melodieführende erste Violine reich verzierte Gänge. Im Menuett mahnen die ersten und letzten Takte unwillkürlich an die Weise eines Wallfahrtsliedes; das Trio hält sich im lustigeren Volkston. Das lebendige Scherzando zum Schlusse überschüttet uns noch mit einer Fülle populärer Melodien, siehe besonders die Takte 13–20.
Außer diesen 18 Quartetten finden wir noch vier vereinzelte Nummern in Breitkopf's thematischem Kataloge, von denen aber nur eine einzige, wie wir schon S. 258 gesehen haben, bei Haydn wenigstens unter den Divertimenti aufgenommen ist. Auch die geistlichen Stifte Göttweig und Kremsmünster und die Zittauer Sammlung zählen noch einige weitere Quartette auf107, durch deren nähere Bekanntschaft wir aber nichts gewinnen. Doch sei das erwähnte Quartett (Breitkopf's Katalog 1765: VIII Quadri, Nr. 6) hier einbezogen, da es unzweifelhaft echt Haydnisch ist, noch in die 50er Jahre fällt und von Haydn selbst in seinem Entwurfskataloge, wie auch in der Breitkopf-Sammlung mit bemerkenswerther Achtsamkeit als »ein nicht gestochenes Quartett« bezeichnet ist, das er also nicht gerade vergessen wissen wollte. Hier folgt der Anfang des ersten Satzes:
[342] Wie es vorliegt, reiht sich dieses auf die Seite geschobene Quartett den schwächeren Divertimenti an; von keinem der fünf Sätze ist etwas speciell Bemerkenswerthes zu sagen. Im ersten Satz wird das von der ersten Violine zuerst allein aufgestellte Motiv dann von je zwei Instrumenten wiederholt, auch in der Umkehrung wiedergebracht; mehrere Themas treten auf, aber keines zeigt fruchtbringende Kraft. Die sonderbare Taktzahl im ersten Menuett (7) wird durch Einschaltung des fehlenden dritten Taktes (muthmaßlich ein Versehen des Copisten) etwa durch Wiederholung des zweiten Taktes ausgeglichen. Das Trio,C-moll, fast nur aus dem Motiv der zweiten Violine gebildet, bietet ein bewegtes Bildchen. Im Adagio,B-dur, ist die erste Violine melodieführend; die zweite Violine und Viola begleiten durchaus imitirend in Gruppen von Achtelnoten und geben dadurch auch diesem Satze Beweglichkeit. Nach dem zweiten Menuett folgt das Finale, ein gesprächiges Presto, dessen Durchführungsgruppe im zweiten Theile das Hauptmotiv zu Grunde liegt. Dieses Quartett kann nur gleichzeitig mit den ersten Nummern dieser Gattung entstanden sein; nachdem aber Nummer auf Nummer besser glückte, mag sich Haydn allerdings nicht haben entschließen können, die Zahl derselben durch ein im Grunde doch schwächeres Produkt zu vermehren, das ihm wohl nur in der Erinnerung an die seitdem durch Fleiß und rastloses Studium errungenen Fortschritte auch später noch begreiflicherweise Interesse einflößen mußte.
Wenn auch obige 18 Quartette noch nicht alle wesentlichen Erfordernisse dieser Kunstgattung besitzen, so lernen wir doch, und dieses kann nicht oft genug betont werden, gerade an ihnen Haydn's künstlerische Entwickelung in lohnendster Weise kennen, und sie werden, ab und zu im Wechsel mit seinen größeren Quartetten in geselligen Kreisen gespielt, nicht allein dem historischen Interesse genügen, sondern mitunter auch überraschend anregend wirken, nur muß man den richtigen Maßstab an sie legen und nicht vergessen, daß sie sich aus sich selbst herausarbeiten[343] mußten, Setzlinge desselben Erdreichs, dem in ihren Nachfolgern die schönsten Früchte entsprossen.
Zu Haydn's Jugendzeit waren Streich-Trios sehr beliebt; die hinreichende Harmonie, welche mit 3 Instrumenten erzielt werden kann und die größere Leichtigkeit, die erforderlichen Spieler zusammen zu bringen, ermunterte wohl hauptsächlich die Componisten zu derartigen Arbeiten. Ursprünglich waren es, genauer betrachtet, eigentlich nur Solos mit Begleitung zweier Instrumente; bald jedoch fing man an jedes Instrument concertirend zu behandeln und nannte die Trios dann auch Symphonien (vergl. S. 333). Porpora z.B. gab in London im Jahre 1735 Sei Sinfonie di Camera für 2 Violinen und Baß heraus, die aber noch höchst ärmlichen Instrumentalsatz bekunden. Unter die ersten Componisten, welche für 3 obligate Instrumente schrieben, werden Sammartini, Palladini, Gasparini, Tartini und Jomelli gezählt. Ph. Eman. Bach componirte zu Ende der 40er Jahre Trios (sie erschienen mit langer eigenthümlicher Vorrede bei Schmidt in Nürnberg), welche noch ganz der alten Schule angehören.108 Breitkopf's thematischer Katalog (1762) nennt eine lange Reihe Componisten in diesem Fache. Darunter J. Seb. Bach, F.W. Bach, Benda, Brioschi, Cammerloher, Enderlein, Fasch, Gebel, Graun, Gravina, Harrer, Händel, Janitsch, Krause, Martino, Moselle, Leop. Mozart, Neruda, Paganelli, Perez, und unter den Wienern: Fauner, Holzbauer, Kohaut, J.G. Orsler, Pichler, Reutter und Wagenseil. Daß Haydn schon zu Anfang der 50er Jahre und gewiß auch bei Fürnberg Trios componirte, haben wir früher gesehen; was darüber noch S. 259 vorläufig gesagt wurde, findet hier die nöthige Ergänzung. Die erste Anzeige von VI Trios erscheint in Breitkopf's »Verzeichniß musikalischer Bücher« (»Anhang einiger neuer geschriebener Musicalien«) im Jahre 1763. Dieselben sind dann im thematischen Kataloge von 1766 genauer bezeichnet. Ein zweites Halbdutzend und zwei vereinzelte folgten im Jahre 1767.109 Eines ausgenommen, stehen sie alle in Haydn's[344] Katalog und sind Originalwerke, ebenso die in diese Zeit fallenden zwei Nummern aus der Simrock'schen Sammlung und die 6 bei T. Mollo (Artaria) in 2 Heften erschienenen Trois Trios originaux. Von den bei Haydn angeführten 21 Nummern sind somit 16 veröffentlicht; 1 Trio ist in geschriebenen Stimmen in der Artaria-Sammlung, 4 sind verschollen. Artaria besitzt ferner noch eine Anzahl in Stimmen ausgesetzter Trios, die wohl ebenfalls zum Theil original sein dürften, obwohl sie bei Haydn fehlen (einige erschienen bei Simrock); vorzugsweise aber sind es in mannigfacher Besetzung übertragene Barytonstücke, die dann, oft abermals umgeschrieben, durch den Druck veröffentlicht wurden.
Es folgen nun hier nach Haydn's Katalog (mit Ausnahme der dort fehlenden 2 letzten Nummern) die Anfänge jener Original-Trios, die der Zeit bis Ende 1766 angehören:
[345] Von diesen Trios sind in Breitkopf's Katalog im Jahre 1766 angezeigt die Nummern 15, 11, 13, 14, 10, 12; im Jahre 1767 Nummer 1 bis 4, 7 und 9, ferner 17 und 6.110 Bei T. Mollo (Artaria) erschienen in neuer Auflage die im Jahre 1774 vom k.k. priv. Realzeitungscomptoir angezeigten Trois Trios originaux pour deux Violons et Violoncelle (2 Hefte), hier die Nummern 12, 16, 15; 3, 2, 4 (also, mit Ausnahme von Nr. 16 nur eine Reproduction einzelner Nummern der vorgenannten Sammlungen); bei N. Simrock erschienen im ersten Hefte der Trios die Nummern 5 und 8111; Nr. 18 ist das vorletzte der in Amsterdam erschienenen 6 Trios, op. 8.
Mit Ausnahme von Nr. 5 und 18 sind alle Trios dreisätzig (Nr. 5 hat 2, Nr. 18 dagegen 4 Sätze), meistens Allegro oder Adagio, Menuett, Presto oderTempo di Minuetto (zum[346] Theil mit Variationen). Die Sätze sind fast alle zweitheilig, die erste Violine reich figurirt; vortheilhaft hervortretend sind die Nummern 1–4, 7–9, 13, 14, 16 und 18, obwohl Haydn's Eigenthümlichkeit hier nur erst angedeutet ist; vergebens würde man hier nach ähnlichen überraschenden Sätzen suchen, wie sie die Quartette bieten; der Abstand ist bedeutend und läßt den Werth und Fortschritt der letzteren erst recht erkennen.
Von einem näheren Eingehen in die S. 230 erwähnten Trios und in mehrere andere Serien müssen wir hier Umgang nehmen; sie würden uns in einen ermüdenden Irrgarten führen, dessen Wege zu verfolgen bei der geringeren Bedeutung dieser kleineren Arbeiten kaum der Mühe verlohnen würde.
Haydn schrieb auch Streich-Duette, die aber in spätere Jahre fallen, doch sei schon hier bemerkt, daß die meisten der im Druck erschienenen Serien zu 3 und 6 Duetten nur Arrangements aus verschiedenen Werken Haydn's sind, daß wir jedoch in den, in den 70er Jahren componirten, wiederholt und noch in neuerer Zeit neu aufgelegten 6 Violinsoli mit Violabegleitung wirkliche Originalwerke besitzen.
Daß sich Haydn in der ersten hier in Frage stehenden Lebensepoche als Claviercomponist ungleich langsamer entwickelte, als in den vorerwähnten Fächern, beweisen die uns aus jener Zeit erhaltenen Clavierstücke jeder Art hinlänglich. Aus der frühesten Zeit besitzen wir kleine Divertimenti, Variationen, Sonatinen; etwas später folgen größere Solostücke und Concertinen mit Begleitung und endlich einige Sonaten, Trios und Concerte. Es sind fast durchschnittlich der Ausführung und dem Ausdruck nach anspruchslose Musikstücke, die keine Nachfolger von Bedeutung ahnen lassen. Eine größere Anzahl mögen außerdem verloren gegangen sein, indem sie in den Händen der Schüler blieben, für die sie, dem augenblicklichen Bedürfnisse genügend, geschrieben wurden. Wir müssen auch hier im Auge behalten, was zu gleicher Zeit im Claviersache erschienen war, denn sicherlich wird Haydn, so außerordentlich angeregt durch Bach's Sonaten und später doch auch in der Lage, sich manche der angezeigten Werke, schon des Unterrichts halber, anschaffen zu können, sich bemüht haben, seine Kenntnisse[347] auch nach dieser Richtung zu erweitern. Wenn wir aufs Gerathewohl uns im Jahre 1763 umsehen, um zu erfahren, was denn eigentlich zu jener Zeit von Clavierwerken Jedermann zugänglich war, so finden wir unter den angezeigten Sonaten außer Bach u.a. die Namen Ch. Sigm. Binder (4 Serien von je 6 Nummern), Chellery, Fiocco, Fritsch, Galuppi, Gebel, Gerstenberger, Gräfe, Harrer, Härtel, Hasse, »Giuseppe Hayden« (1 Divert. per il Cembalo Solo, A-dur 2/4, das erstemal, daß Haydn genannt wird), Heinichen, Hurlebusch, J.L. Krebs, Marullo, Nichelmann, Petzold, die beiden Rolle, Schaffrath, Scheibe, Umstadt, Schoberth, Wagenseil in Wien u.s.w. Mit Terzetten sind genannt: Reichert, Roellig, Wagenseil. Mit Concerten (meist mit 2 Violinen, Violoncell und Baß): Adam, Agrell (12 Nummern), Benda, Binder, Birk in Wien, Förster, Graun, Gruner, »Hayden in Vienna« (II Concerti mit 2 Violinen, Violoncell und Baß, C- und F-dur), Homilius, Jenichen, Kirnberger, Matthielli in Wien, Mohrenheim, Jos. Riepel, G. Stephani, Wagenseil (12 Nummern), Wiedner u.A. – Daß Haydn's Fleiß und Talent ihn auch hier schließlich den rechten Weg finden ließ, beweist jede neue Folge seiner Clavierwerke. Noch in die letzten 60er Jahre fallen einige der besseren Sonaten und mit denen aus den nächsten zehn Jahren, die dreimal eine Serie von 6 Nummern aufweisen, hat er uns bereits so kernvolle Stücke geliefert, daß sie seitdem in unzähligen neuen Auflagen erschienen und noch heutzutage zu denen: gezählt werden, die den Grundstock der klassischen Clavierliteratur bilden. Was die frühesten Werke betrifft, würden wir, uns nur nach ihrer späten Veröffentlichung haltend, in der Zeitbestimmung ihres Entstehens zur größeren Hälfte irre gehen, wenn uns, nebst ihrer an sich nicht zu verkennenden Schreibweise, nicht die vorhandenen Abschriften und einige Autographe die Sache erleichterten. Haydn ist in seinem Kataloge auch in der Rubrik der Clavierwerke nichts weniger als vollständig, doch hat er hier, mit wenig Ausnahmen, mehr als sonst die Werke früherer und späterer Epoche getrennt und bei ersteren mit merkwürdiger Treue sogar einen Theil der unzweifelhaft frühesten und schwächsten Nummern, die nicht einmal in Abschrift erschienen waren, ebenfalls aufgenommen; möglich, daß ihm dieselben als die bescheidenen Anfänge seiner künstlerischen Laufbahn lieb und werth[348] geworden waren. Die Versetzungen einzelner Sätze, nicht nur in ein und demselben Tonstück, sondern auch in Transponirungen nach andern Stücken, bereiten auch hier mitunter fast peinliche Verwirrung. In ähnlicher Weise hat Haydn später selbst bei größeren und ganz verschiedenen Werken ein und denselben Satz wiederholt benutzt. Wenn man von den kleineren Erstlingswerken absieht, sind nahezu 50 noch vorhandene Clavierwerke nach Haydn's eigener Bestätigung in die Zeit bis 1766 zu setzen, und zwar: 20 Solostücke (darunter 11 Sonaten, 7 Divertimenti und 2 Variationenhefte); 18 Concerte, Concertinen, Divertimenti und 1 Partita; 7 Terzette (6 Trios und Divertimenti und 1 Capriccio).
Von diesen Werken sind noch heute im Druck vorhanden 6 Nummern (4 Sonaten, 1 Trio, 1 variirtes Thema); in Abschrift veröffentlicht wurden 23 Nummern; 14 Stücke sind nicht veröffentlicht, aber im Manuscript vorhanden und meistens auch bei Haydn angeführt; 4 Nummern liegen bis jetzt in Autograph vor (1 Concert und 1 Concertino aus dem Jahre 1760, 2 Divertimenti mit Begleitung aus dem Jahre 1764).
Diese, theils veröffentlichten, theils noch vorhandenen, verloren gegangenen oder von Haydn nicht anerkannten Claviercompositionen sind in nachstehendem Verzeichnisse übersichtlich zusammengestellt.
Solostücke.
Nach der Reihenfolge in Breitkopf's thematischem Katalog.
1763. I Divertimento, A-dur 2/4.
1766. V Soli, 1. G-dur , 2. G-dur 2/4, 3. C-dur 2/4, 4. F-dur 2/4, 5. D-dur 3/4 (Nr. 3 ging verloren).
1767 V Sonaten, 1. C-dur 2/4, 2. G-dur 3/8, 3. A-dur 2/4, 4. E-dur 2/4, 5. D-dur 2/4 (Nr. 1 und 2 gingen verloren).
1767. VI Scherzandi accomodati per il Cembalo (siehe S. 186).
1771. Minuetto con XX Variazioni, D-dur 3/4.
Außerdem nach Haydn's Katalog.
X Divertimenti, von denen 8 verloren gingen.
[349] Terzette (mit Violine und Violoncell).
Nach der Reihenfolge in Breitkopf's thematischem Kataloge.
1766. IV Terzetti, 1. F-dur 3/4, 2. G-moll , 3.C-dur , 4. Es-dur (Nr. 3 von Haydn nicht anerkannt).
1767. I Terzett, G-dur 2/4, von Haydn nicht anerkannt.
1769. I Terzett, B-dur , ging verloren.
1771. IV Divertimenti, 1. D-dur 3/4, 2. D-dur 2/4, 3.A-dur 3/4, 4. E-dur 2/4 (Nr. 1.–4 gingen verloren, Nr. 2 von Haydn nicht anerkannt).
Concerte und Divertimenti.
Nach der Reihenfolge in Breitkopf's Katalog.
1763. II Concerti mit 2 Violinen, Viola, Baß, 1.C-dur 2/4 (in Haydn's Katalog als Orgelconcert bezeichnet), 2. C-dur ging verloren.
1766. III Concerti, 1. F-dur 2/4, mit 2 Violinen, Viola, Baß, 2. F-dur 2/4, mit Violin princ., 2 Violinen, Viola, Baß, 3. C-dur , mit 2 Violinen, 2 Hörner oder Trompeten und Paukenad lib. und Baß.
1767. II Concerti, 1. D-dur , mit 2 Violinen, Viola, Baß (Haydn's Katalog), 2. G-dur 2/4, mit 2 Violinen, 2 Violen, Baß.
1771. III Concerti, 1. C-dur 2/4 ging verloren, 2.C-dur mit 2 Violinen und Baß (Autograph, Concertino 1760). 3. F-dur mit 2 Violinen, Violetta und Baß, 2 Hörner ad lib. (Haydn's Katalog).
1772. I Concerto, C-dur , mit 2 Violinen und Baß.
1773. I Divertimento, C-dur 2/4, mit 2 Violinen und Baß (Autograph 1764).
1774. I Partita, Es-dur 2/4, mit Violinsolo, 2 Violinen, Viola, Baß, ging verloren.
1774. I Partita, G-dur , von Haydn nicht anerkannt.
Außerdem nach Haydn's Katalog.
I Divertimento, C-dur 2/4, mit 2 Violinen und Baß.
In ausgeschriebenen Stimmen im Eisenstädter Musikarchiv.
III Divertimenti mit 2 Violinen und Violoncell, 1. C-dur 2/4, 2. C-dur 2/4, 3. F-dur .[350]
Wir folgen nun den einzelnen Nummern, insofern sie Anlaß zu Bemerkungen bieten.
Solostücke.
1763. Ein dreisätziges, schon früher erwähntes Divertimento, die erste Haydn'sche Composition, die man öffentlich angezeigt findet und die sich in Abschrift noch auf der Berliner Hofbibliothek erhalten hat. Der instruktive Zweck dieser Arbeit ist unverkennbar. Dem frischen Allegro folgt ein Menuett,A-dur, der – ein seltener Fall – in einer der nächstgenannten Nummern als Trio in Moll wieder erscheint; der letzte Satz, Presto 3/8, entspricht dem Charakter des ersten Satzes.
1766. V Soli. Die erste Nummer,G-dur (Haydn's Katalog Nr. 17), erschien als Sonate in Breitkopf und Härtel's oeuv. compl. Cahier XII, Nr. 2, in der neuen Sonatenausgabe Nr. 21.112 Ihr Bau ist einfach und klar und macht sie noch heutzutage zum Unterrichtszwecke empfehlenswerth. Nummer 2, G-dur 2/4, findet sich als Divertimento nur noch handschriftlich auf der Berliner Hofbibliothek. Auch dieses sehr kurz gehaltene Divertimento (der letzte Satz zählt nur 24 Takte) konnte wohl nur für den frühesten Unterricht bestimmt gewesen sein. Bemerkenswerth ist der erste Satz, der, nach F-dur transponirt, als dritter Satz in der hier nachfolgenden Nummer 4 wieder erscheint. Diese Nummer hat sich in Abschrift auf der Berliner Hofbibliothek erhalten und zwar als Solo und als Terzett; das Solo ist dreisätzig; im Terzett kommt noch ein Andante hinzu. Es ist dies die so eben erwähnte Nummer mit dem nach F transponirten Satz und dem weiter oben bezeichneten Menuett in Dur, der hier als Trio in Moll wiederkehrt – eine Combination, die beweist, wie sehr sich die Fäden der Haydn'schen Composition mitunter verwirren. Die 5. Nummer, D-dur 3/4, ein Andante mit fünf Variationen, ist ebenfalls in Abschrift auf der Berliner Bibliothek. Auch mit diesen Variationen ist lediglich dem Schulzwecke ein Opfer gebracht.
1767. V Sonaten. Als Ersatz für die verloren gegangenen ersten zwei Nummern liegen dagegen die folgenden drei im Druck zur Hand. Sie erschienen schon in den oeuvr. compl. Cahier XI,[351] Nr. 11, 12 und XII, Nr. 3 und in neuer Ausgabe bei Breitkopf und Härtel als Nr. 33, 34, 22.113 Bei der vierten Sonate war übrigens Haydn in der Bestätigung selbst schwankend. Hervorzuheben ist in Nummer 3 in harmonischer Beziehung das Trio, A-moll; in Nummer 4 der Menuett sammt Trio und das neckische Finale von echt Haydn'schem Humor; in Nummer 5 der ernst gemessene erste Satz mit seiner organischen Durchbildung und formellen Abrundung; auch das Trio,D-moll, hat vorwiegend ernsten Charakter, während im munteren Presto die frohe Laune wieder die Oberhand gewinnt. In Haydn's Katalog ist übrigens nur die letzte Nummer verzeichnet.
1771. Menuett mit Variationen. In Haydn's Katalog sind 20 Variationen angegeben; in den oeuvr. compl. (Breitkopf und Härtel) Cahier IV, Nr. 7, sind deren 18, ebenso in der Holle'schen Ausgabe (Nr. 40). Artaria gab die »Arietta« mit 12 Variationen heraus; unter diesen ist Nr. 9 in den vorgenannten Ausgaben nicht enthalten. Diese Variationen sind einfache, melismatische Themaverzierungen, die wiederum nur einen instruktiven Zweck verfolgen.
X Divertimenti, in Haydn's Katalog verzeichnet und von ihm als frühe Arbeiten anerkannt. Die noch in Abschrift erhaltenen zwei Nummern, C-dur 3/4 und D-dur , befinden sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Einer der Menuetts in der zweiten Nummer ist Fièra di Venezia betitelt. Auch diese Stücke waren ohne Zweifel nur für angehende Schüler geschrieben.114 Unter den verschollenen Nummern, deren Anfangstakte wenig versprechen, ist jedoch der Verlust des bei Haydn unter Nummer 3 angegebenen Divertimento zu bedauern, da hier das Thema (und dieses ist bei Haydn fast immer für den Werth eines Tonstückes entscheidend) etwas Besseres verspricht. Für den Fall, daß sich diese Nummer irgendwo erhalten hat, sei hier der Anfang (ursprünglich im Sopranschlüssel) angegeben.[352]
Terzettte.
1766. IV Terzetti. Nr. 1, F-dur 3/4, besitzt die Berliner Hofbibliothek in Abschrift. Die Violine ist im ersten und zweiten Satze dem Clavier ebenbürtig; Nachahmungen, Austausch in Melodien und Passagen geben denselben ein bewegtes Spiel; als letzter Satz folgt Menuett und ein ungleich längeres Trio. Nr. 2,G-moll , ist in den oeuvr. compl. Cah. X, Nr. 5, dann neu erschienen unter Nr. 16 bei Breitkopf und Härtel, Holle und André. Dieses Terzett hält in allen drei Sätzen den Charakter bestimmter Entschiedenheit fest. Nr. 3 mit seinem nichtssagenden Thema hat Haydn nicht anerkannt. Nr. 4, Es-dur , ist in Haydn's Katalog als Divertimento mit Begleitung von Violine, 2 Hörnern und Baß eingetragen. Es existirt nur in Abschrift auf der Berliner Bibliothek (statt Hörner sind 2 Violen). Diese Nummer zählt zu den schwächeren; es fehlt die nöthige Einheit und Ruhe und selbst der Schlußsatz entbehrt der an Haydn gewohnten Gedrungenheit.
1771. IV Divertimenti. Nachdem Nr. 1 und 4 verloren gingen und Nr. 2 von Haydn nicht anerkannt wurde, bleibt nur Nr. 3, A-dur 3/4, zu erwähnen; es ist als Capriccio bezeichnet und als solches in Eisenstadt und in der Zittauer Sammlung vorhanden. Die drei Sätze (Allegretto, Menuett und Allegro) eilen auf glatter Oberfläche leicht dahin und ist besonders der erste Satz mit Läufen und kleinem Zierrath reich ausgestattet.
Concerte und Divertimenti.
Was Haydn's Clavierwerke betrifft, von denen sämmtlich oben angeführte Nummern in die Zeit bis 1766 fallen, genügt es, dieselben summarisch zu besprechen, denn sie erheben sich weder durch musikalischen Gehalt noch durch Spieltechnik zu wesentlicher Bedeutung. Der größere Theil war von Breitkopf, von[353] Westphal in Hamburg und Traeg in Wien angezeigt, doch keines derselben erschien je im Druck, wie sich ja selbst von Haydn's spätern Concerten nur drei, in G- und D-dur, dieses Vortheils erfreuten; und auch von diesen erlangte nur letzteres mit seinem lebensfrischen Finale und den ungarischen Anklängen besondere Beliebtheit, so daß es sogar häufige Auflagen erlebte. Artaria kündigte dasselbe 1784 ausdrücklich mit dem Beisatze an: »Das einzige Clavier-Concert Haydn's, das bisher im Stich erschienen ist.« So sehr auch beide Concerte die früheren überragten, konnte doch »Cramer's Magazin für Musik« (1786) die Bemerkung nicht unterdrücken: »Man wird jetzt fast ein wenig mißtrauisch, das alles für Haydn's Arbeit auszugeben, was in seinem Namen herauskömmt.« Es waren dies die letzten Clavierconcerte, die Haydn componirte und gerade in dieser Zeit übernahm es Mozart, durch eine Reihe herrlicher Schöpfungen diesem Zweige der Clavierliteratur eine ganz neue Seite abzugewinnen und alle seine Vorgänger darin zu überflügeln. Haydn aber schuf von da an seine schönsten Solosonaten und Trios, mit denen er über. Mozart hinweg, mitunter selbst an Beethoven sich anlehnte. Und dazu trug namentlich auch der vorgeschrittene Clavierbau bei, denn ein gutes Instrument war Haydn so unerläßlich, daß er sich, um neue Aufträge zu erfüllen, eigens die besten Claviere bei seinem Liebling, dem Orgel- und Claviermacher Wenzel Schanz aussuchte. So schrieb er im Jahre 1788 an Artaria: »Um Ihre 3 Clavier-Sonaten besonders gut zu componiren, ware ich gezwungen, ein neues Forte-Piano zu kaufen.« Es liegt ein merkwürdiger Contrast in dem musikalischen Werth dieser zahlreichen Concerte und den doch gleichzeitig entstandenen Quartetten und Symphonien; es beweist uns dies, daß das Clavier an und für sich Haydn's Individualität weniger zusagte, denn auch in seinen späteren hervorragenden Werken hat er nicht eigentlich eine neue Technik geschaffen; ihre Vorzüge beruhen weitaus auf ihrem musikalischen Kern. So oft er aber ins Gebiet der größeren Paradestücke streifte, trat sein eigenes Ich derart zurück, daß er hier kaum zu erkennen ist, und diese beredte Erscheinung wuchs in dem Maße, als er bei einzelnen Concerten sich ins Ungebührliche ausbreitete, denn unter obigen Nummern befinden sich einige von ungewöhnlicher Ausdehnung, wie sie bei Haydn sonst nirgends[354] vorkömmt. Altmodische Läufe und Zierrathen, harpeggirte Accorde und Ueberschlagen der Hände lassen manche Sätze kaum ein Ende finden; so zählt z.B. das erste der 1767 erschienenen Concerte 652 Takte (letzter Satz 387), das zweite Concert 617 Takte (erster Satz 323). Die Begleitung greift bei einigen Concerten tüchtig ein, tritt in den Tuttis orchestermäßig auf und verstärkt Melodie und Harmonie, zuweilen auch mit dem Soloinstrument imitatorisch wechselnd; Durchführungstheile kommen seltener vor, der zweite Theil eines Satzes beginnt wie der erste mit dem Hauptthema, natürlich aber in der Dominant der Haupttonart. Unverkennbar zeigt sich Haydn's ängstliches Festhalten an der von Ph. Em. Bach überkommenen Richtung, der er noch nicht Herr geworden, deren Vorzüge er aber weit vortheilhafter und rascher in den Solos und Terzetten und auf dem Gebiete der Streich-Quartette und der Symphonie zu verwerthen wußte. Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung, daß Haydn, der doch in seinen Katalog selbst die unbedeutendsten Divertimenti aufnahm, von seinen Concerten nur vier Nummern anführt und wiederum in unbegreiflicher Weise gerade sein bestes, das erwähnte in D-dur, vergißt.
Sämmtliche Concerte und Concertinos sind dreisätzig (der langsame Satz in der Mitte) – eine Form, die schon von Seb. Bach als vollständig ausreichend für den Zweck eines Concertstückes festgehalten und bis auf den heutigen Tag als Grundsatz beibehalten wurde. Zur Begleitung dienen, wie oben erwähnt, meistens 2 Violinen, Viola und Baß, nur ausnahmsweise treten Hörner oder Trompeten und Pauken ad lib. hinzu. Ein einziges, ebenfalls sehr umfangreiches Concert (siehe 1766, Nr. 2) hat Principal-Violine; Clavier und Violine wechseln in Passagen, zum Theil imitirend, die Begleitung ist reicher als gewöhnlich ausgeführt.
Die Concertinos oder Divertimenti scheinen sämmtlich für zarte Damenhände zur Uebung im Zusammenspiel geschrieben zu sein. Sie alle haben zur Begleitung 2 Violinen und Violoncell; diese Stücke sind denn auch von kleinem Umfange und echt Haydnisch; als Mittelsatz dient regelmäßig ein Menuett sammt Trio, beide in kürzestem Zuschnitte. – Noch ist des ersten der oben angegebenen Concerte zu gedenken, da es in Haydn's Katalog als Concerto per l'organo bezeichnet ist. (Im Entwurf-Kataloge[355] ist der Beisatz: »e ancora altri due Concerti per l'Organo in C.«) Auch dieses Concert ist sehr umfangreich (533 Takte). Dem ersten Satze, Allegro moderato, folgt ein Largo; der Schluß, Allegro molto, ist zweitheilig. Der Stil dieser Sätze hat mit kirchlichem Charakter nichts gemein; es ist ein Concert wie die andern und könnte höchstens als Nachspiel am Schluß des Gottesdienstes gedient haben. Haydn's Eigenschaft als Orgelspieler läßt sich aus diesem Concert ebenso wenig entnehmen, als aus der obligaten, so recht im Geschmacke der damaligen Zeit, bedenklich verzierten Orgelbegleitung seiner Es-dur-Messe und der kleinen sehr beliebten B-dur-Messe.
Es erübigt uns noch, Haydn's Gesangcompositionen näher kennen zu lernen und da haben wir zunächst seiner frühesten Arbeit, der Seite 123 erwähnten Messe zu gedenken.115 Sie ist, wie wir gesehen haben, für 2 concertirende Sopranstimmen, vierstimmigen Chor (Sopran, Alt, Tenor und Baß), 2 Violinen, Contrabaß und Orgel gesetzt. Haydn schrieb sie zu einer Zeit, in der er noch ohne wesentliche Beihülfe auf's Gerathewohl im Tonsatz sozusagen herum vagabundirte, glücklich, wenn er Seite für Seite mit Noten ausfüllen konnte, von deren Richtigstellung er sich selbst keine Rechenschaft geben konnte. So unbefangen wie diese Jugendarbeit, die man in jeder Hinsicht mit Interesse und Rührung betrachten wird, hat Haydn wohl keine Gesangcomposition mehr geschrieben; wenn auch eben erst ins Jünglingsalter getreten, war er in seinem Empfinden doch noch das unschuldige Kind, das in der Anbetung Gottes in reinster Frömmigkeit da freudig aufjauchzt, wo der reifere Mann schuldbewußt[356] voll Reue und Demuth vor dem Allmächtigen in die Knie sinkt. Oft genug mag der jugendliche Musiker andere Tonsetzer um die Gabe beneidet haben, den Gottesdienst in Tönen verherrlichen zu können. Jetzt machte er sich selbst an die Arbeit, nach seinen individuellen Gefühlen den Schöpfer zu besingen; je weiter er aber in seiner Aufgabe vorwärts schritt, desto lebhafter mag ihm im Geiste an Stelle seiner eigenen Person eine von der Herrlichkeit Gottes begeisterte, freudig bewegte Christenschaar vorgeschwebt haben. Freude, innigste Freude beseelte ihn und machte seinen Gesang schneller und schneller fließen und manches ernstere Textwort wurde im Taumel mit fortgerissen. Daß er damit die rechte Art zu Gott zu singen träfe, war er eben so fest überzeugt, als er sich bewußt war, zu Gott ja auch auf die rechte Art beten zu können – eine Ansicht, mit der er als Mann einen Kunstjünger abfertigte, der ihn zu einem Urtheil über dessen Messe drängte. Dem ihm später oft gemachten Vorwurf, daß Vieles in seinen Messen des Ernstes entbehre, trat Haydn mit den Worten entgegen: »Ich weiß es nicht anders zu machen; wie ich's habe, so gebe ich es. Wenn ich an Gott denke, ist mein Herz so voll von Freude, daß mir die Noten wie von der Spule laufen. Und da mir Gott ein fröhlich Herz gegeben hat, so wird er mir's schon verzeihen, wenn ich ihm auch fröhlich diene.« Haydn war von Haus aus ein pflichtgetreuer Katholik, der alles, was seine Kirche vorschrieb, ohne ängstliche Prüfung in Ehrfurcht hinnahm; gleich Mozart war er beim Componiren des so wohl bekannten Meßtextes doch jedesmal tief bewegt; er fühlte sich dabei in die Zeit zurückversetzt, wo er als Sängerknabe am Altar oder auf dem Chor seinem Schöpfer diente. Dieselben Gefühle, die Mozart bei seinem Leipziger Besuche in dieser Hinsicht aussprach, beseelten auch ihn und noch nach Vollendung einer seiner letzten Messen konnte er, wie der brave Waldhornist Prinster erzählte, »Thränen der Freude und Rührung vergießen, daß er wieder ein Werk zu Gottes Preis und Ehre zu Stande gebracht habe«.116 Weitere Bemerkungen über Haydn als Kirchencomponist jener Periode[357] vorbehaltend, in der uns seine im Mannesalter geschriebenen großen Messen vorliegen werden, wenden wir uns wieder seiner ersten zu.
Wir haben bereits erfahren, wie sehr Haydn erfreut war, als er sein längst verloren geglaubtes Erstlingswerk im hohen Greisenalter von ungefähr wieder vor fand; wie die Melodie und ein gewisses Feuer darin ihn aneiferte, trotz seiner angegriffenen Gesundheit noch einmal die Feder zu ergreifen, um der Begleitung Holz- und Blasinstrumente und selbst Pauken hinzuzufügen. Melodie und jugendliches Feuer also waren es, die denselben Greis überraschten, der noch drei Jahre zuvor seine letzte Messe geschrieben hatte, die an Melodienreichthum und Feurigkeit es mit jedem Werke aus Haydn's besten Jahren aufnahm. Seine erste Messe bewahrheitet nun allerdings Haydn's Ausspruch. Die beiden Solostimmen schwingen sich gleich einem Lerchenpaare in die Höhe; es liegt ein wahrhaft kecker Uebermuth in diesen gewagten Passagen, Trillern und Verschlingungen, die schon zwei tüchtig geschulte Stimmen erfordern; ab und zu wechselt mit ihnen der Chor und erhebt sich bei freilich noch mitunter unreifer Stimmführung doch einigemal zu wirkungsvoller Polyphonie; im Allgemeinen ist jedoch die homophone Satzweise vorherrschend, die Oberstimme dominirt und Baß und Mittelstimme ordnen sich ihr unter. Bei den Sätzen, die größere Formen verlangen, reichen am sichtlichsten die Kräfte noch nicht aus; auch wird bei der gleichzeitigen Vertheilung des Textes in verschiedene Stimmen auf den Sinn der Worte wenig Rücksicht genommen. Daß an grammatikalischen Fehlern kein Mangel ist, kann nicht überraschen, die jugendliche Kampfeslust geht aber mit liebenswürdigem Eifer über alles hinweg. Die Violinen halten sich an stereotype Figuren und bemühen sich da, wo es der stehende Brauch gebieterisch verlangt, einen gewissen Glanz zu entfalten und mit geräuschvollen Noten doch eigentlich nichts zu sagen. In der Auffassung und Behandlung im Allgemeinen spiegeln sich so recht die hervorstechenden Eindrücke alles dessen, was Haydn bis dahin als Sänger gehört und miterlebt hatte und das er mit seinen, in der technischen Arbeit noch wenig vertrauten Kräften nach seiner Art wiederzugeben bemüht war.
Ueber die einzelnen Sätze dieser, allenfalls zu einem der[358] kleineren Festtage bestimmten Messe sei weiterhin noch einiges bemerkt und zuvor deren Anfangstakte vorausgeschickt.
Dona nobis come Kyrie.
Das Kyrie beginnt, dem Herkommen entgegen, mit lebhaftem Zeitmaß, das ebenso wenig als der Ausdruck selbst, der Deutung der ernsten, flehentlichen Worte entspricht. Gemeiniglich begann man hier in langsamem, feierlichen Tempo, das bei dem Christe eleison in lebhaftere Bewegung überging. Auch Haydn hat seine späteren Messen mit Adagio oder Largo begonnen; nur zwei (die Nelson- und die große Orgelmesse) haben zum Anfang Allegro moderato, die 6/4- (St. Nicolai-)-Messe hat Allegretto. In seiner ersten Messe werden die Eintritte des [359] Kyrie- undChriste eleison vom ganzen Chor gesungen und wiederholen dann die Solostimmen ihr eleison in länger ausgeführten solfeggienartigen Phrasen. Die Violinen treten hier noch bescheiden zurück.
Im Gloria geht der Chor nach den vom Priester intonirten Worten gleich im Texte weiter; Tutti und Solostimmen wechseln und letztere bilden gleichsam den leichten Schmuck, dem der Khor bekräftigend entgegentritt. Eine Zerlegung in Abschnitte je nach dem verschiedenen Sinne der einzelnen Texteszeilen findet nicht statt; es ist mehr der allgemeine Ausdruck der Grundstimmung beobachtet; selbst das als Mittelpunkt contrastirende qui tollis geht in Einem Zuge mit den andern Worten weiter. Die verschiedenen Empfindungen werden hier von 2, 3 und 4 Stimmen gleichzeitig ausgesprochen. Die häufig als Fuge benutzten Schlußworte cum sancto spiritu lassen es bei einem einzigen Ausruf bewenden und zuletzt wirbeln noch beide Solostimmen in reich figurirten Läufen ihr Amen, wobei der Chor einigemal mit demselben Ausruf kräftig dazwischen tritt. Die Violinen sorgen für den äußeren Prunk und halten nur bei den Solostellen mit ihrer Lebhaftigkeit zurück.
Auch im Credo fällt der Chor nach den Worten des Priesters gleich mit der Fortsetzung des Meßtextes ein. Hier ist denn auch alles dem Chor zugetheilt und die verschiedenen Texteszeilen vertheilen sich gleich anfangs in die verschiedenen Stimmen; nur vom et incarnatus est angefangen, wo Adagio beginnt, singen alle Stimmen auf dieselben Worte. Dieser Mittelsatz beginnt F-moll, modulirt nach G-moll und schließt beim et sepultus est in B-dur. Daß hier dem Ausdruck tiefster Empfindung nicht allzusehr nachgegeben ist, verdient als ein überraschender Vorzug dieser, leicht zu theatralischem Affekt verleitenden Stelle hervorgehoben zu werden. Von hier an tritt wieder Allegro ein und geht alles in geschlossenen Reihen vorwärts, jede Stimme sich wieder anderer Textworte bemächtigend. Die Solostimmen wissen sich für ihr bisheriges Schweigen doch noch nach dem et vitam venturi saeculi zu entschädigen; ihr Amen ist aber nur, Note für Note, eine Wiederholung des früheren. Die Violinen gehen meistens mit der Oberstimme, der Baß bildet durchaus eine kernige, kraftvolle Unterlage.
Langsam und feierlich beginnt das Sanctus in kräftigem[360] Tutti, dem sich die Soprane gleich Stimmen aus höheren Regionen in hübsch verschlungenen Gängen anschließen. Beim pleni sunt coeli vereinigen sich alle Stimmen in feurigem Allegro, mit dem Osanna in excelsis in breiten Accorden hell ausklingend.
Das Benedictus, ein Duett für die beiden Sopranstimmen, ist von herzinniger Lieblichkeit. Nach einem längeren ruhig gehaltenen Vorspiele tritt die erste, dann die zweite Stimme ein, beide nun vorzugsweise in Terzen zusammengehend und nach der Dominant modulirend; nach kurzem Zwischenspiel beginnen beide zugleich und kehren in sanfter Steigerung zum Hauptton zurück. Es liegt ein kindlich frommer Ausdruck in diesem milden Gesang, der uns Haydn's gemüthsvolles Herz öffnet; war ihm doch hier Gelegenheit gegeben, in kleinem Rahmen Wollen und Können auf das schönste zu verbinden. Am Schlusse des Duo wiederholt sich das Vorspiel und schließt sich in herkömmlicher Weise das Osanna an.
Das Agnus Dei, in dem der Chor durchweg alspieno behandelt ist, überrascht gradezu durch seinen, den Worten entsprechenden tief empfundenen Ausdruck und nicht minder durch die wirksame technische Führung. In ruhig gemessenem Accordwechsel modulirt der Satz nach G-moll a capella und von da nach C als Dominant zum Schlußsatz in F-dur. Der Chorsatz ist klangvoll und namentlich der Baß kräftig geführt; die Violinen, sich jeder Zierrath enthaltend, folgen nur der melodieführenden Stimme. Nach dem Haltaccord auf C beginnt das Dona nobis pacem, das nach dem Muster vieler Messen dem Tonsatz desKyrie angepaßt ist; wir haben also wieder dieselben Läufe und Triller der Solostimmen, die hier dem Ausdruck der ernsten Bitte um Frieden dienen müssen.
Von Haydn's späterem Zusatz von Harmonieinstrumenten müssen wir, so interessant er ist, für diesmal absehen. Dafür sei zweier kleiner Messen gedacht, die in Haydn's Katalog, Nr. 2 und 5, verzeichnet sind und bis jetzt nirgends aufzufinden waren. Erstere hat in Haydn's Katalog den Beisatz: Sunt bona mixta malis; Letztere: Rorate coeli desuper (also eine Adventmesse). Für den Fall ihrer Wiederauffindung folgen hier die Anfangstakte:
[361] Unter den kleineren Kirchenstücken wählen wir nur die nachstehenden, schon früher erwähnten aus, da sich die Zeit ihrer Entstehung (bis 1766) sicher nachweisen läßt. Alle übrigen (die spätesten ausgenommen) werden geeigneter in den, an die erste Periode sich anschließenden Jahren unter Einem zusammenzufassen sein.
Wir nehmen zunächst das S. 242 genannte Te Deum zur Hand, dessen Anfangstakte hier folgen.
Es ist für die üblichen 4 Singstimmen, 2 Violinen, 2 Trompeten ad lib., Orgel, Contrabaß und Pauken gesetzt. Der Text ist gradedurch componirt; die Oberstimme ist meistens die Führerin der Melodie. Nach dem ersten Chorsatze folgt das Tu, Rex gloriae als Solo für Tenor behandelt; bei dem Te ergo quaesumus tuis famulis tritt wieder der Chor ein, diesesmal mit Adagio, das aber nur wenige Takte währt, denn schon bei Aeterna fac cum sanctis tuis geht das Tempo in Allegro über. Bei dem Satze Per singulos dies benedicimus Te treten abwechselnd die 4 Solostimmen auf, werden aber nach 11 Takten beim fiat misericordias Tua vom Tutti abgelöst und nun hebt bei den Worten In Te Domine sperari eine wohlgegliederte Doppelfuge an, deren Haupt- und Gegenthema (letzteres die Worte mit non confundar in aeternum ergänzend) sich wirksam von einander abhebt; bis zum Schlusse hält nun vorwiegend der[362] kräftigste Ausdruck an. Das ganze Werk ist mit einer frischen, nirgends überladenen Instrumentation gesättigt und bildet ein interessantes Gegenstück zu Haydn's großem, im Zenith seiner Künstlerbahn geschriebenen, viel zu wenig beachteteten Te Deum, C-dur, für 4 Singstimmen und volles Orchester.
Weiterhin haben wir des S. 260 erwähnten Salve Regina zu gedenken, das mit den folgenden Takten beginnt:
Dieses kleine melodiöse, für eine Sopran- und Altsolostimme geschriebene Musikstück ist in 3 Sätzchen abgetheilt. Im ersten singen die Stimmen theils allein, theils zusammen; das etwas bewegtere zweite Sätzchen ist ausschließlich Altsolo; zum Schlusse nehmen beide Stimmen die erste, diesmal abgekürzte Melodie wieder auf. Diese Fürbitte an die gebenedeite Jungfrau bewegt sich, von 2 Violinen, Violone und Orgel gehoben, in anmuthigem, leicht ansprechendem frommen Gesang, so weich, daß derselbe weit eher unter Italiens blauem Himmel entstanden sein könnte. Haydn hat noch mehrere ähnliche Stücke, namentlich ein größeres Salve Regina (G-moll) im Jahre 1771 geschrieben, das in mehrfacher Auflage (zuerst bei Breitkopf und Härtel, dann bei Holle und neuerdings bei Rieter-Bietermann) anerkennende Verbreitung gefunden hat.
Es folgen nun noch zum Schlusse die Anfangstakte der S. 244 angeführten Offertorien, der Festcantate zur Verherrlichung des Fürsten Nicolaus Esterházy entnommen und durch lateinische Textunterlage zum kirchlichen Gebrauche nutzbar gemacht.[363]
I. Offertorium St. Joanni de Deo. Recitativ und Duett; 2 Violinen, Viola, 2 Hörner, 2 Oboen, Baß und Orgel.
II. Offertorium. Vierstimmiger Chor, Sopran und Alt conc., Violine conc., 2 Violinen, Viola, 2 Oboen, 2 Trompeten, Baß, Pauken und Orgel.
In ähnlicher Weise wurden noch mehrere der kräftigsten Chöre Haydn's aus dem Concertsaale in die Kirche übertragen; namentlich gilt dies von den, einer Gelegenheitscantate (1768) und dem Oratorium »Die Rückkehr des Tobias« (1775) entnommenen Compositionen, die noch heute als Offertorien häufig und mit Vorliebe in katholischen Kirchen aufgeführt werden.
Fassen wir die bisher genannten Compositionen zusammen, angefangen von den unter Entbehrungen und mißlichen Verhältnissen geschaffenen Erstlingswerken des sich selbst überlassenen unbeachteten Kunstjüngers bis zu dem Augenblicke, wo der Thätigkeit des nunmehrigen, an der Spitze einer treu anhänglichen Musikkapelle stehenden fürstlichen Kapellmeisters sich eine neue glänzende Stätte öffnete: so dürfen wir mit Recht den Genius bewundern, der nach verschiedener Richtung hin aus kleinen Anfängen durch gottbegnadetes Talent, strenges Prüfen, Fleiß und Ausdauer und nimmerruhenden Trieb des Vorwärtsstrebens sich zum Entdecker neuer Bahnen aufschwang und somit einen bedeutsamen Wendepunkt in der Musikgeschichte herbeiführte. Starre Formen belebten sich, ein erfrischender Luftzug brachte den belebenden Frühling und was noch in der Knospe schlummerte, sollte bald zu herrlicher Frucht sich entfalten. Gegenüber der unerschöpflichen Erfindungsgabe und der Masse des Gebotenen (das freilich nur von ungleichem Werth sein[364] konnte, denn Haydn hatte sich aus sich selbst herauszubilden und die neuen Wege erst aufzusuchen) müssen wir um so mehr staunen, wenn wir bedenken, daß Haydn nicht eigentlich rasch arbeitete; er sagte ja selbst: »Ich war nie ein Geschwindschreiber, und komponirte immer mit Bedächtlichkeit und Fleiß; solche Arbeiten sind aber auch für die Dauer, und einem Kenner verräth sich das sogleich aus der Partitur.«117 Es verräth sich dieses aber auch durch Haydn's bestimmte und stets sich gleich bleibende seine Handschrift, die nahe zusammenhängt mit seiner sonstigen Sauberkeit und Pünktlichkeit. Diese Züge machen wohl den Eindruck müheloser Arbeit, der aber in Wahrheit gründliches Studium und Strenge gegen sich selbst voran gehen mußten, denn Haydn setzte die Feder nicht eher an, bis er nicht seine Aufgabe bis ins Kleinste überdacht hatte, daher auch die erstaunlich seltenen Correcturen in seinen handschriftlichen Compositionen. Sein Reichthum an Ideen war unerschöpflich; eine Melodie überholte die andere und jede bot etwas Neues. Dennoch ging Haydn haushälterisch mit ihnen um und verschleuderte sie nicht gerne ohne Noth. Dies mußten einst drei reisende Waldhornisten erfahren, die gekommen waren, ihn um kleine Trios für ihre Instrumente zu bitten. Haydn schlug es ihnen rund ab, indem er treuherzig erwiederte: »Solche Tonstücke erfordern gute Gedanken, diese spare ich aber für größere Arbeiten auf, wo ich sie dann gehörig verwende und durchführe.«
Noch einmal kommen wir auf Werner zurück. In der letzten Zeit war er nur noch dem Titel nach Oberkapellmeister; thatsächlich ruhte die Leitung des Orchesters ausschließlich in Haydn's Hand. Werner war alt geworden, kränklich, mürrisch und unzufrieden mit der ihm unverständlichen freien Richtung, die in seinem Orchester Platz gegriffen hatte. Ihm, dem seine orthodoxe Lehre wie ein unumstößliches Evangelium galt, mußte Haydn, der ihm aufgedrungene Verfechter leichtfertiger Grundsätze (denn als solche mußten sie Werner gelten) ein Dorn im[365] Auge sein.118 Schritt für Schritt sah er sich zurückgesetzt; eine junge, kaum der Schule entwachsene Sängerin versah seinen Gesangspart in der Kirche; bei jeder Festlichkeit war es nur immer Haydn, der zu deren Verherrlichung beigezogen wurde; jedes Jahr mußten alte, liebgewordene Mitglieder der Kapelle scheiden; jedes Jahr brachte neue Erscheinungen, junge Virtuosen, die der neuen Lehre nur allzu leicht huldigten. Selbst Werner's Ansehen war der Kapelle gegenüber geschädigt, nachdem Fürst Nicolaus, kaum zur Regierung gelangt, den Gehalt des Vicekapellmeisters bedeutend erhöht hatte. Nun sollte auch die letzte Domäne, in der Werner jahrelang ausschließlich gebot, die Charfreitags-Oratorien, eingestellt werden. Zu alledem brachte jetzt jeder Tag Kunde von dem neuen Sommerwohnsitze, den sich der Fürst erbaut und der die Kapelle monatelang von Eisenstadt fern halten sollte. Das war zu viel für den alten Mann. Verbittert und zerfallen mit sich und seiner Umgebung, zog er sich in sein Zimmer zurück und suchte hier – die Arbeitslust allein war ihm treu geblieben – in entsagungsvoller Kunstliebe Trost im Schaffen neuer Werke, obwohl er kaum hoffen durfte, sie noch selbst aufführen zu hören. Nachweisbar entstanden in dieser Zeit (1759 bis 1765) 16 Messen, 1 Requiem, 5 Salve Regina, 4 Regina coeli, 4 Alma redemptoris. Immer zitternder wird die Handschrift, immer derber, wuchtiger und sozusagen verdrossener werden die Züge. Gleich dem knorrigen, vielgespaltenen Baumstrunk, dem das Unwetter die Krone, die Aeste sammt den letzten Blättern geraubt: so steht der Alte vor uns. Frau und Kind waren ihm längst gestorben, er selber kämpfte mit zunehmendem Siechthum. Noch einmal läßt er in einer Messe in kunstvoll verschlungener Führung die Stimmen ihre Bitten um Erbarmen, um Frieden zum Himmel senden; noch einmal fügt die müde Hand nach frommem Brauche dem SchlusseA.M.D. G. das altgewohnte Zeichen[366] bei.119 Es war die letzte Messe, die Werner geschrieben; wohl ergreift er noch einmal die Feder, aber nur, um bei seinem Fürsten Schutz zu suchen. Welcher Art aber seine Beschwerde war, erfahren wir nicht; seine Erscheinung sollte auch hier für uns im unbestimmten Lichte bleiben. Aus einer Zuschrift des Fürsten an den Regenten (Güterdirector) Rahier, datirt Süttor, Oct. 1765, ersehen wir nur, daß der Fürst ein Schreiben Werner's nicht ungnädig aufnahm, indem er schreibt: »Uebrigens lege ich hier des Kapellmeisters Werner Zuschrift bei; was seine Klagen anbetrifft, werden Sie dieselben bestmöglichst zu vermitteln suchen.« Die Zuschrift selbst ging verloren.
Bald darauf, am 5. März 1766, umstand die fürstliche Musikkapelle auf dem alten Friedhofe in Eisenstadt am Berg, hart an der kleinen Capelle, das Grab, das den Leichnam ihres, zwei Tage zuvor verstorbenen Oberkapellmeisters aufnahm.120 Seine Natur konnte Werner nicht verleugnen; noch im Scheiden zeigte er sein Janusgesicht: statt ernster Falten läßt er noch einmal in naiv-launiger Weise ein Zeichen seines einstigen Humors spielen. In den Zeilen seines Epitaph (Beil. VI, b), der nun kaum mehr lesbaren Grabschrift ist jeder Groll verschwunden; in Ergebung hofft der alte Mann, daß Gott ihm die zu frei gesetzten Dissonanzen nicht anrechne, daß er ihn in seinen Himmelschor aufnehme und nicht verdammen werde, wann die Posaune zu Gericht ruft; den frommen Wandersmann aber ruft er um ein Gebetlein an.
Vergebens suchen wir nach einem Anhaltepunkte, um uns die Persönlichkeiten dieses eigenthümlichen Mannes vergegenwärtigen zu können. Von Haydn erfahren wir hierüber nichts, doch wird uns versichert121, daß er bei mehreren Gelegenheiten mündlich die Verdienste seines Vorgängers rühmlichst anerkannte. Aloys Fuchs, der eifrige Autographen-Sammler, hatte selbst[367] einen eigenhändigen Brief Haydn's, in welchem er sich sehr beifällig über einige Compositionen Werner's ausspricht. Haydn besaß von Werner's Compositionen 9 lateinische Lamentationen mit Orchesterbegleitung und 12 Charfreitags-Oratorien in Partitur. Am sichtbarsten zeigte sich Haydn's Verehrung dadurch, daß er aus Werner's Werken sechs Fugen mit Einleitungen für Streichquartett arrangirte und bei Artaria in Stich. herausgab.122 – Werner's Stil bewegt sich fast ausschließlich in den Künsten des Contrapunktes und steht durchaus selbstständig da. Ein Anlehnen an andere Meister ist nirgends bemerkbar und obwohl manche Stellen einen Anlauf in etwa Händel'scher oder Bach'scher Richtung nehmen, kann man doch von keiner Nachahmung sprechen; es ist überhaupt fraglich, ob Werke der beiden genannten Meister je in die Einsamkeit von Eisenstadt gedrungen sind. Bei aller Verwendung des künstlichen Satzes ist demselben doch eine warme Melodik nicht abzusprechen. Den Sängern zu Gefallen schrieb Werner allerdings nicht; nur spärlich finden sie Unterstützung durch die begleiten den Instrumente, die wieder ihren eigenen Weg gehen. Waren nun auch die einheimischen Sänger an Werner's Satz gewohnt, so setzte man doch anwesende Gäste, welche in der Blüthezeit der Kapelle häufig von Wien kamen, durch Vorlegung solcher Werke auf eine harte Probe. Sie hatten für solche denselben kurzen aber bündigen Ausspruch, den man noch in unsern Tagen in Wien bei Aufführung einer Werner'schen Messe hören konnte: »schön aber schwer.« Die Charfreitags-Oratorien123 wurzeln im pietistischen Ungeschmack[368] der damaligen Zeit; die Texte greifen in bombastischer Weise zu wahrhaft drastischen Mitteln; ihre musikalische Wiedergabe erwärmt sich nur selten auf solch' unerquicklichem Boden; kaum daß sich als Ganzes die fugirten Chöre hervorthun; die Arien nehmen häufig zum Verwechseln Händel'sche Anläufe, verlieren sich aber in längst veralteter Form; völlig ungenießbar aber sind die langgestreckten Recitative. Die Begleitung besteht meist nur aus Streichinstrumenten, bei einigen Oratorien sind Fagott, Posaune und Pauke verwendet. Ungleich höher stehen die Messen, welche auch in Abschriften vielfache Verbreitung fanden. Das Orchester besteht meistens aus 2 Violinen, Baß und Orgel, seltener genannt sind Oboen, Fagott, Hörner, Posaunen, Trompeten und Pauken. Wären dieselben im Instrumentalen so interessant wie im Vocalen, dabei weniger schwierig, sie würden noch heutzutage mehr gekannt sein. Dazu berechtigt sie die meisterhaft technische Behandlung der einzelnen Theile, die scharf ausgeprägten Motive und ihre contrapunktische Verarbeitung und ihre knappe, gedrungene Form, die nirgends sogenannte Lückenbüßer zuläßt. Unter der großen Anzahl kleinerer Kirchencompositionen sind viele in Eisenstadt Lieblingsstücke geworden und werden auch jetzt noch benutzt. Von den Advent-, Weihnachts- und Hirtenliedern sind viele in naivster Weise in Text und Melodie dem Volksmunde angepaßt. Als Beispiel diene[369] der Textanfang eines Baßsolo, Aria pro Adventu, aus dem Jahre 1757:
»Bliz, Hagel, Mordgetümmel,
Und wann schon selbst der Himmel
Sein' Rach' an mir ausyebt,
Bleib ich doch ungetrübt,
Maria ist mein Schürm und Schutz.«
Daß Werner in der Kammermusik sich auch freier zu bewegen verstand, bewies er in einigen Partiten, Pastorellen, Orgel- und Clavierconcerten und namentlich in den schon S. 211 erwähnten, dem Fürsten Paul Anton gewidmeten 6 Symphonien und 6 Sonaten für 2 Violinen und Baß, die ersten für Kammer-, die andern als Kirchenmusik zu gebrauchen.124 Dieses in Augsburg in Stich erschienene und im Charakter der Händel'schen Suiten angelegte Werk würde allein schon genügen, Werner's Tüchtigkeit in Beherrschung aller Gesetze der Satzkunst darzuthun. Die öftere Anzeige desselben im Wiener Diarium läßt vermuthen, daß es seinerzeit sehr gesucht war. Eine »Sinfonia für Laute, 2 Violinen und Baß« kündigt das Wiener Diarium 1731 an; Partiten in Abschrift sind von Breitkopf angezeigt125; auch im Privatbesitz hat sich noch manche Werner'sche Composition erhalten.126
Mehr aber als all' diese Werke hat Werner's Name bekannt gemacht seine schnurrige, derb-komische Behandlung populärer Stoffe, ja er ist den Lexica und den meisten Musikgelehrten[370] eigentlich nur als Humorist durch diese borstigen, volksthümlichen Burlesken bekannt. Werner's schlagfertige Contrapunktik fand da einen ergiebigen Boden, Funken zu sprühen; der sonst so ernste Mann wird hier förmlich ausgelassen und kleidet die verwegensten Kunststücke in Melodien, die in jeder modernen Operette ihren Platz ausfüllen würden. Am bekanntesten wurden folgende Buffonerien: Zwey neue und extra-lustige musikalische Tafel-Stücke 1. der Wienerische Tandl- (Trödel-)markt127 (4 Singstimmen, 2 Violinen und Baß); 2. Die Bauern-Richterwahl (5 Singstimmen, 2 Violinen und Baß).128 Beide erschienen zu Augsburg in Typendruck, ebenso im Jahre 1748: »Neuer und sehr curios-musikalischer Instrumental-Calender. Parthien- weiß mit 2 Violinen und Basso ò Cembalo in die zwölff Jahrs-Monate eingetheilt, und nach eines jedwedern Art und Eigenschafft mit Bizzarien und seltzamen Erfindungen herausgegeben durch Gregorium Josephum Werner. Augspurg, gedruckt und verlegt von Joh. Jacob Lotters seel. Erben.« Das Werk ist dem Grafen Franz Zichy de Vasonkö gewidmet. Der lateinischen Zueignung folgt die Vorrede für den Leser und das Inhaltsverzeichniß. In den Hauptmotiven sehen wir hier die Eigenthümlichkeiten der Monate musikalisch wiedergegeben; der Januar zeugt Kälte, der Februar bringt lustige Fastnachtsstücke, der April veränderliches Wetter (vermischte Tonarten); im Mai flötet die Nachtigall u.s.f. Die Sonne rückt quartalweise in die vier Himmelszeichen; die Menuetts bringen durch verschiedene Taktzahlen in beiden Theilen den Wechsel der Tages- und Nachtlänge auf Minuten; selbst die herrschende Jahreszahl gefällt sich in greifbaren Zeichen
[371] Der im musikalischen Archive zu Eisenstadt vorhandene Vorrath an Werner'schen Werken, allein schon genügend, den Fleiß und die Bedeutung dieses Mannes zu documentiren, giebt summarisch genommen folgendes Resultat: 39 Messen; 3 Requiem; 12 Charfreitags-Oratorien; 3 Te Deum; 4 Offertorien: 12 Vespern, Psalmen; Veni sancte; 16 Hymnen (zum Theil in alten Prachteinbänden); 20 Litaneien; 133 Antiphonen; 14 Regina coeli; 14 Alma redemptoris; 5 Ave Regina; 9 Salve Regina; Responsorien, Rorate coeli, Subtuum, Miserere, Lamentationen, Advent- und Weihnachtslieder für 1, 2 und mehr Stimmen; Pastorellen, Kirchensonaten, Orgelconcerte u.s.w.
Durch den Tod Werner's gelangte die Gesammtführung der Musikkapelle factisch in die Hände Haydn's; er hatte nun deren Angelegenheiten gleichzeitig in der Kirchen-, Theater- und Concertmusik zu besorgen. Seinen Gehalt von 400 Fl. rhn. hatte Fürst Nicolaus wenige Wochen nach seinem Regierungsantritte laut Decret vom 25. Juni 1762 mit 200 Fl. aufgebessert; ferner wurde ihm seit 1. Mai 1763 statt der bis dahin genossenen Officierstafel für Kost und Wein täglich 30 Kr., also 182 Fl. 30 Kr. jährlich verwilligt. Sein Gehalt betrug demnach von nun an baar 782 Fl. 30 Kr. und es lag somit der eigenthümliche Fall vor, daß der Vicekapellmeister im Gehalte höher stand als der Oberkapellmeister, der sich noch immer mit den ursprünglich ihm angewiesenen 428 Fl. bescheiden mußte. Haydn's Compositionen waren bereits weit über die Grenzen Oesterreichs gedrungen; Symphonien und Cassationen, Trios und Quartette waren in Abschriften oder gestochen in Leipzig, Paris, Amsterdam und London, den damaligen Hauptstapelplätzen des Musikalienhandels, zu finden. Nun wird sein Name zum erstenmal auch in einer auswärtigen periodischen Zeitschrift129 unter den Musikern Wiens (speciell unter den Violinisten) genannt: »Joseph Heyden, ein Oesterreicher, Capellmeister bey dem Fürsten Esterhasi, in Sinfonien u.s.w.« (im folgenden Jahre bringen dieselben Blätter, 32. Stück, 3. Febr., bereits ein vollständiges »Andante[372] del Sgr. Hayden«). Aber auch das Inland ist schon stolz auf seinen Mitbürger. Das Wiener Diarium, indem es die damals hervorragendsten Musiker Wiens, Georg v. Reutter, Leopold Hofmann, Jos. Steffan, Karl Ditters, Chevalier Gluck, Zechner (Weltpriester), v. Ordonez, Starzer, Gaßmann und Haydn bespricht, sagt über Letzteren:
»Herr Joseph Hayden, der Liebling unserer Nation, dessen sanfter Charakter sich jedem seiner Stücke eindrücket. Sein Satz hat Schönheit, Ordnung, Reinigkeit, eine seine und edle Einfalt, die schon eher empfunden wird, als die Zuhörer noch dazu vorbereitet sind. Er ist in seinen Cassationen, Quattro und Trio ein reines und helles Wasser, welches ein südlicher Hauch zuweilen kräuselt, zuweilen hebt, in Wellen wirst, ohne daß es seinen Boden und Abschuß verläßt. Die monotonische Art der Stimmen mit gleichlautenden Octaven, hat ihn zum Urheber, und man kann ihr das Gefällige nicht absprechen, wenn sie selten und in einem haydenischen Kleide erscheint. In Sinphonien ist er eben so männlich stark, als erfindsam. In Cantaten reizend, einnehmend, schmeichlerisch, und in Menueten natürlich scherzend, anlockend. Kurz, Hayden ist das in der Musik, was Gellert in der Dichtkunst ist.«130
Wir stehen nun an einem neuen Wendepunkte in Haydn's Leben, indem er von nun an mit seiner Kapelle regelmäßig die größere Jahreshälfte in dem bereits genannten, so eben vollendeten glänzenden Sommersitz seines Fürsten zuzubringen hatte und sich die an ihn als Dirigent und Componist gestellten Anforderungen außerordentlich steigerten. Gleichzeitig aber waren ihm nun immer reichere Mittel an die Hand gegeben, um durch Zuziehung ausgezeichneter Kräfte die fürstliche Kapelle solch' einem blühenden Zustande entgegenführen zu können, daß der Ruf derselben gar bald weit über die Grenzen der Monarchie drang und Künstler und hohe und höchste Herrschaften in Menge[373] herzuströmten, sich von den vielgerühmten Kunstleistungen der virtuosen Kapelle selbst zu überzeugen. Haydn erwarteten somit Jahre angestrengter, aber auch ruhmvoller Arbeit. Er stand nun auf einer Höhe, von der herab er wohl mit Befriedigung auf sei nen bisherigen Lebenspfad zurückblicken konnte. Wir haben ihn kennen lernen als simplen Dorfjungen, den der Zufall in die Schule einer kleinen Provinzstadt und von da in das Kapellhaus nach Wien führte; der sich dann, verstoßen und der bittersten Noth preisgegeben, den kümmerlichsten Verhältnissen zum Trotze durch rastlosen Eifer und Fleiß und angeborenes Talent in eigener Schule großzog, bis er durch die aneifernde Theilnahme eines kunstsinnigen Edelmanns und bald darauf in seiner ersten bescheidenen Anstellung als Musidirector auf jene Pfade hingewiesen wurde, auf denen fortan sein Name in unvergänglichem Ruhme segensreich fortleben sollte. Dies waren die ersten erwärmenden Sonnenstrahlen eines bis dahin wenig ermuthigenden Lebens, das Haydn nun eine beneidenswerthe Mission übertrug. Daß er diese auszuführen im Stande sei, bewies er schon jetzt. Nebst seinem folgenschweren Verdienste als Schöpfer neuer Bahnen ward ihm aber auch die beseligende Gabe zu Theil, den in ihm ruhenden Seelenfrieden durch seine klaren, erfrischenden und das Gemüth unmittelbar anregenden Werke auch auf seine Mitmenschen übertragen zu können und sie Schmerz und Trauer vergessen zu machen. Mit seinen heiteren, lebensfrohen Quartetten brachte er musikalischen Sinn in Familie und Haus, mit seinen Symphonien bewirkte er dasselbe in größerem Kreise, indem er zugleich einen förmlichen Umschwung im öffentlichen Concertleben hervorrief. Verein auf Verein bildete sich, diese von Humor und Feuer durchdrungenen Schöpfungen kennen zu lernen. Unzählige frohe Stunden sollten die Musiker und Musikfreunde diesen beiden Kunstgattungen zu verdanken haben. Haydn selbst mußte dies fühlen; die freudige Stimmung, die seine Werke hervorriefen, mußte ihm als untrüglicher Beweis des Zaubers seiner Schöpfungen dienen und ihn aufmuntern zu immer höherer Vollkommenheit. Und daran ließ er es nicht fehlen. Gleich dem Gärtner, dem das Gedeihen des fruchtbringenden Bodens anvertraut ist: so wußte auch Haydn sein ihm von Gott verliehenes Talent mit liebevoller Sorgfalt zu hegen und zu pflegen; selbst die einfachste Blume,[374] der unscheinbarste Gedanke blieb von ihm nicht unbeachtet und immer wußte er dabei Anmuth und Wohllaut zu wahren. Den Baum, der ihm im Keime sein Dasein verdankte, schon jetzt sehen wir ihn sich zu stattlicher Höhe erheben; die Aeste breiten sich aus und unter dem kühlenden Schatten ihres üppigen Blätterschmuckes tummeln sich blühende Kinderschaaren in lustigem Reigen, von glücklich Liebenden belauscht, die von Seligkeit trunken sich in wonnigen Träumen wiegen; von heiter blickenden Greisen umringt, die in ihrem Anblicke sich verjüngt fühlend längst vergangener Tage gedenken. Und in dem saftig grünen Laubwerk beginnt es zu schwirren und sich zu regen und alle Lüfte durchzittert nur Ein Ton, der Ton seliger Freude und ungetrübter Lebenslust.
Die Schwelle von Haydn's neuer Lebensperiode überschreitend folgen wir ihm nun durch den Zeitraum eines Vierteljahrhunderts nach Esterház, dem am südlichen Ende des Neusiedler-Sees gelegenen prachtvollen Sommer-Palais des reichsten und durch glänzende geistige Eigenschaften gleich ausgezeichneten Fürsten. Dorten erwarten uns die mehr und mehr gereiften Schöpfungen des liebenswürdigsten Meisters, der im steten Verkehr mit Künstlern und hochgestellten Persönlichkeiten nun allerwärts thätig eingreift bei glänzenden Festen, im traulichen Musikzimmer des Fürsten, im Concertsaale, im Schauspiel- und Opernhause und selbst im niedlichen Marionetten-Theater, überall von seinem Fürsten geschätzt und von seinen Untergebenen wie ein Vater geliebt und verehrt.
Auf Wiedersehen also in Esterház!
1 Das Einkehr-Wirthshaus »Zum Engel«, früher ein Franziskanerkloster, wird zur Hälfte als Gasthaus, zur Hälfte als Probstei verwendet. Das Gasthaus diente dem Theater- und Orchester-Personal zu geselligen Zusammenkünften. Im Saale wurde zeitweilig auch Theater gespielt, Bälle abgehalten und Hochzeits- und ähnliche Feste gefeiert. In Gesellschaft mit Freunden war Haydn dort häufig ein Gast.
2 Ertz-Hertzogliche des Zirkels und Linials oder: ausgewählter Anfang zu denen mathematischen Wissenschaften, beschrieben von A.E.B.B.P. Augsperg, durch J. Koppmayer. 1697.
3 Die am 5. Juli 1874 enthüllte marmorne Gedenktafel an der Außenseite des Hauses trägt irrthümlich das Datum 7. Dec. 1811.
4 Ausführliches über das fürstl. Haus Esterházy giebt die Monographie von Emerich von Hajnik. Oesterr. Revue, 3. Jahrg., 4. Bd., 1865.
5 Vorläufig nur für seine Person. Karl VI. dehnte den Fürstentitel (23. Mai 1712) auf den jeweiligen Erstgebornen und Majoratsherrn derselben Linie aus; Joseph II. (21. Juli 1783) auf sämmtliche Descendenten.
6 Die Ordnung des Zuges war folgende: Der Führer der Procession in langem blauen Kleide, einen Kranz auf dem Haupt und Stab und Wappen tragend; drei gleich geschmückte Männer, die große rothe, vergoldete Fahne tragend; 3860 Knaben aus allen Dominien, zwei und zwei gehend, nach jedem Hundert ein Paar Fahnen; 2360 erwachsene Männer; 1050 ältere Einwohner der Dominien; 100 Bürger von Eisenstadt, in ihrer Mitte die Stadtfahne; Knaben mit kleinen Fahnen, denen die Trompeter und Paukenschläger folgten; die Musiker, paarweise und die Litanei singend; eine Standarte mit 6 Ministranten und hierauf die 15 Mysterien des Rosenkranzes; die Pfarrer und andere Geistliche in Chorröcken; die Statue des Jesuskindlein auf einer Stange getragen; 4 Geistliche in vollem Ornate; 4 Prälaten und andere Geistliche mit Musikern; der Palatin Paul Esterházy selbst; viele Grafen und Freiherren paarweise, namentlich die Grafen Ladislaus Csáky, Emmerich und Peter Zichy, 3 Söhne des Palatin (Adam, Joseph und Sigismund), die Grafen Joseph und Franz Esterházy, Stephan Nádasdy etc., der übrige Adel und die Hof-Dienerschaft; 8 weiß gekleidete Jungfrauen mit goldenen Kronen auf dem Haupte, Stäbe und Wappenschilder tragend; 4 gleich gekleidete Mädchen mit der Statue der h. Jungfrau; die Gemahlin des Palatin; mehrere Gräfinnen, die Witwen Esterházy und Nádasdy, die Comtessen Klara, Juliana, Christina, Maria Esterházy und andere Damen; 120 Edlere Damen; 1235 Jungfrauen aus den verschiedenen Dominien, mit aufgelösten und bekränzten Haaren; 710 Frauen; 510 Männer, ihre Arme in Kreuzesform ausstreckend und jede dieser Abtheilungen von Fahnenträgern geleitet. Endlich noch schlossen Kutschen und Wagen, Kameele und Pferde diese Procession, die aus 11,200 Personen bestand. (Nach einer gleichzeitigen lateinischen Handschrift im Archiv des Stiftes Heiligenkreuz.) Der Weg von Eisenstadt nach Mariazell beträgt bei so großem Gefolge etwa 6 Tagereisen.
7 Der Titel lautet: Harmonia coe lestis seu Moelodiae Musicae Per Decursum totius Anni adhibendae ad Vsum Musicorum Authore Pavlo sacri Romani Imperij Principe Estoras de Galanta regni hungariae Palatino. Anno Domini MDCCXI. Wir finden hier noch die den Ursprung des fürstl. Hauses bezeichnende Schreibart Estoras. Haydn datirte seine Briefe aus Esterház in gleicher Weise. Noch 1774 erscheint im Almanach von Wien: In der Wallnerstraße Nr. 164 Nikolaus Fürst von Estoras.
8 Beispielsweise hatte der Fagottist Anton Lindt 34 Fl. Jahresgehalt, 8 Fl. Quartiergeld, 10 Fl. Holzgeld, 300 Pfd. Rindfleisch à 4 d. = 12 Fl.; 1 Schwein = 6 Fl., 1/2 Eimer Rüben, ditto Kraut = 1 Fl., zusammen 71 Fl. (1 Fl. = 60 Kr.; 1 Kr. = 6 Denar.)
9 Die Pfarr-Register geben über Werner keinen Aufschluß.
10 Musica Poëtica, sive compendium melopoëticum, das ist: Eine kurtze Anleitung, vnd gründliche Vnterweisung, wie man eine schöne Harmoniam, oder lieblichen Gesang, nach gewiesen Praeceptis vnd Regulis componiren, vnd machen soll etc. anjetzo publiciret vnd zum Druck verfertiget: durch Johann Andream Herbst, Capellmeistern in Nürnberg, MDC.XXXXIII.
11 Den Castraten gegenüber, die durch eine unnatürliche Procedur ihre ursprünglichen Stimmittel zu erhalten wußten, gab es Sänger, die durch künstliche Ausbildung des Falsetts im Stande waren, die Aufgaben einer Altstimme auszuführen.
12 Werner war in Eisenstadt gleichsam lebendig begraben. Walther (Music. Lexicon, 1732) führt ihn gar nicht an. Erst sein späterer schriftlicher Zusatz im eigenen Hand-Exemplar lautet: »Werner (Georg) ist jetzo (1736) Capellmeister beym Fürsten Esterhasi zu Wien.« Gerber (Lexicon der Tonkünstler, 1792), also über 50 Jahre später, spricht von Werner, »hochfürstl. Esterhasischer Kapellmeister zu Eisenstadt in Ungarn, um 1736, war vielleicht der Vorfahr unsers großen Haydn im Amte«, und führt dann 2 komische Cantaten und 1 Instrumental-Composition an, die er in der 2. Aufl., IV. Theil, 1814, mit dem musik. Instrumental-Calender ergänzt. Marpurg und Mattheson nennen Werner nirgends und wenn er sonst erwähnt ist, geschieht dies meistens nur im Hinblick auf seine Compositionen komischer Art. Ausführlicheres giebt Aloys Fuchs in der Allg. Wiener Musik-Zeitung, 1843, Nr. 85. Ein zweiter Aufsatz im folgenden Jahrgang, Nr. 56, stammt offenbar von einem Lokalvertrauten, aber in beiden Fällen wimmelt das Biographische von Irrthümern. Am verbreitetsten und mit aller Bestimmtheit erzählt war selbst unter den jüngern Mitgliedern der fürstl. Kapelle folgende Märe: Haydn sei von Esterház heraufgekommen, um seine 6/4 Messe G-dur zu produciren; sie mißfiel Werner derart, daß Haydn zu seiner Ehrenrettung einen zweiten Versuch machte und die bekannte (Cäcilien-?) Messe im strengen Stil schrieb und sie Werner vorlegte und von da an datirte sich dann Werner's Achtung für Haydn. Es genügt, daran zu erinnern, daß dieG-dur-Messe 1772, 6 Jahre nach Werner's Tod, geschrieben ist.
13 »Rechnung des Jos. Lindt, was vor des gnädigsten Fürsten Instrument wegen ist ausgelegt worden« (dat. 1728).
14 Die Sitte, das dienende Personal zu häuslichen Musik-Productionen zu verwenden, war bekanntlich im vorigen Jahrhundert nichts Ungewöhnliches. Charakteristisch ist in dieser Beziehung eine Ankündigung der Wiener Zeitung vom Jahre 1789: »In ein hiesiges Herrschaftshaus wird ein Bedienter gesucht, welcher die Violine gut spielen, und schwere Claviersonaten zu accompagniren versteht.«
15 Die Naturalien waren damals zu folgenden Preisen berechnet: 1 Pfd. Rindfleisch 5 d.; 1 Schwein 7 Fl.; 1 Pfd. Schmalz 20 d.; 1 Pfd. Salz 4 d.; je 1 Metzen Weizen 1 Fl. 50 Kr.; Korn 1 Fl.; Küchenspeise (Grünzeug) 3 Fl.; 1 Eimer Kraut und Rüben 1 Fl. 50 Kr.; 1 Eimer Wein 3 Fl.; 1 Klafter Holz 2 Fl. Außerdem noch Quartiergeld durchschnittlich 12–16 Fl. (Geldeswerth siehe Anm. 8.)
16 Die Grabschrift beginnt im Tone eines echten Hagestolzen: »Hier ruht Adamus Sturm – Der nie vereheligt war, – Er zog ins Toden-Reich – Nach fünfundsechzig Jahr« – –.
17 Obwohl es zwecklos und ermüdend wäre, in der Folge bei jedem bedeutenderen Moment in Haydn's Lebenslauf die mancherlei verbreiteten willkürlichen Ausschmückungen jedesmal zu widerlegen, sei doch hier der Anekdote gedacht, mit der Carpani (Le Haydine, p. 88) Haydn beim Fürsten Esterházy einführt. Sie wurde von Fétis (Biogr. univ. des Musiciens) auf genommen und wird regelmäßig noch in neuester Zeit nacherzählt, z.B. in Schoelcher's The life of Handel, engl. Uebersetzung, London 1857, p. 368; in Les Musiciens célèbres, par F. Clément, Paris 1868 (Artikel Haydn) etc. Es heißt; Fürst Esterházy habe bei Aufführung der Haydn'schen Symphonie beim Grafen Morzin den damals kranken Componisten nicht gesehen. Der Fürst wird später durch seinen Orchesterdirector Friedberg an Haydn erinnert. Friedberg räth Haydn eine Symphonie zu schreiben (es wird auch gleich eine »fünfte in C 2/4« als solche bezeichnet). Bei der Aufführung ist der Fürst entzückt und fragt nach dem Componisten. »Von Haydn«, antwortet Friedberg, indem er den zitternden Musiker vorstellt: »Quoi! la musique est de ce Maure? He bien! Maure, dès ce moment tu es à mon service. Comment t'appelles-tu? – Joseph Haydn. – Mais je me souviens de ce nom; tu es déjà de ma maison: pourquoi ne t'ai-je pas encore vu? Va, et habille toi en maître de chapelle; je ne veux plus te voir ainsi: tu es trop petit, ta figure est mesquine; prends un habit neuf, une perruque à boucles, le rabat et les talons rouges; mais je veux qu'ils soient hauts, afin que ta stature réponde à ton mérite. Tu entends, va, et tout te sera donné.« Und Haydn? ... Der »Mohr« zog sich ehrerbietig in einen Winkel des Orchesters zurück, »songeant avec regret à la perte de ses cheveux et de son élégance de jeune homme.« Diese Scene (ergänzt die Anekdote) trug sich am 19. März 1760 zu. – Die Haltlosigkeit der hier mitgetheilten Fabel ergiebt sich allein schon aus dem Umstande, daß die Esterházy'sche Kapelle weder damals noch je überhaupt einen Orchesterdirector Friedberg besessen hat. Wohl aber ließe sich annehmen, daß der Sänger Friberth, der davon gehört, daß Haydn frei geworden, den Fürsten an ihn erinnert haben mag.
18 Der junge Dittersdorf wußte allerdings seinem Vorgesetzten, dem Grafen Spork, derb darauf zu antworten. Dittersdorf's Lebensbeschreibung, 1801, S. 127.
19 »J. Fr. Reichardt« von H.M. Schletterer, 1865, S. 261 u. 269.
20 Goethe, der den Fürsten im Jahre 1764 in Frankfurt a.M. bei der Wahl und Krönung des Erzherzogs Joseph zum röm. Könige sah, sagt über ihn: »Fürst Esterházy, der böhm. Gesandte, war nicht groß, aber wohlgebaut, lebhaft und zugleich vornehm anständig, ohne Stolz und Kälte. Ich hatte eine besondere Neigung zu ihm, weil er mich an den Marschall von Broglio erinnerte.« Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit.
21 Dr. Franz Lorenz: Haydn, Mozart und Beethoven's Kirchenmusik. Breslau 1866, S. 29. – Eine ähnliche Anekdote erzählt Picquot: Der Componist Luigi Boccherini sagte einst zum Könige Charles IV. von Spanien, der dessen Musik mit dem Ausrufe »C'est pitoyable, misérable!« wegschleuderte: »Sire, avant de porter un tel jugement, il faudrait s'y connaître«, worauf ihn der König, ein robuster Mann, am Kragen packte und zum Fenster hinab zu werfen drohte. Nur dem Zuruf der Prinzessin hatte Boccherini sein Leben zu danken. Picquot Notice sur la vie et les ouvrages de L. Boccherini. Paris 1851, p. 14.
22 Carpani, Le Haydine »una scelta e numerosa orchestra« p. 87. – »Alla testa di una grande orchestra«, p. 94.
23 Der 78jährige Karl Lindt, der letzte der in den 20er Jahren genannten Brüder; er starb am 27. Nov. 1761.
24 Hier z.B. eine der frühesten: Specification was ich Endes-Unterzeichneter an verschiedenen Music-Requisiten beygeschafft habe. Instrumenten-Ausbesserung: Oboe, Engl. Horn, Fagott, Violinen und Violin-Bögen und Saiten, Notenpapier 4 Buch (3 Fl. 12 Kr.), Passetl (Violoncell), Musicalien-Kästen, dem Schlosser dabei etc. Summa 28 Fl. 26 Kr.
25. Juny 1762. Jos. Haydn.
25 Am 1. Oct. 1762 wurde auch Johannes Basilius Grundmann als Cabinetsmaler lebenslänglich angestellt. Er bezog jährl. 100 Kremnitzer Ducaten (= 420 Fl. rhn.), hatte freies Quartier und die üblichen Naturalien (Holz, Kerzen, Officierstafel etc.), die später in Geldeswerth berechnet wurden. Seit 1778 genoß er noch jährl. 200 Fl. Extra-Zulage, so daß sein Gehalt zuletzt nahezu gegen 1000 Fl. betrug. Grundmann war aus Sachsen gebürtig, ein Schüler von C.W.E. Dietrich; er war namentlich bei der Ausschmückung des Schlosses Esterház sehr thätig. Die Angabe in Nagler's Künstler-Lexicon, daß G. in Diensten des Fürsten Liechtenstein stand und um's Jahr 1765 in dessen Palais verschiedene Bambocciaden malte, ist zu berichtigen. Er starb in Eisenstadt am 18. Dec. 1798, 72 Jahre alt. Anna, seine Witwe, erhielt vom Fürsten eine Pension von 200 Fl. Haydn's Porträt, in der Uniform der fürstl. Kapelle, im Schlosse Esterház aufbewahrt, soll von Grundmann gemalt sein.
26 Die zweite Bearbeitung, ums Jahr 1720 in Cannons entstanden.
27 Das Autograph besitzt Herr Artaria in Wien; in einzelnen Stimmen war die Ouverture schon im Jahre 1769 im Stifte Göttweig vorhanden.
28 Sie gingen aus dem Nachlaß Haydn's an das fürstl. Musikarchiv in Eisenstadt über und ließen sich aus einem Conglomerat verschiedener Arien zusammenstellen.
29 v. Köchel, Mozart-Katalog Nr. 35.
30 In gleicher Weise schrieben Adlgasser, Michael Haydn und der Chor-Vicar R.D. David Westermayer im Jahre 1768 jeder einen Theil des geistl. Oratoriums: »Der Kampf der Buße und Bekehrung.« Dieses Oratorium wurde »auf gnädigsten Befehl zur würdigen Begehung der heiligen Fastenzeit«! aufgeführt.
31 v. Köchel, Mozart-Katalog Nr. 423 und 424.
32 O. Jahn, Mozart. 2. Aufl. I. S. 97.
33 L. Nohl, Mozart's Briefe. S. 193.
34 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Beschreibung der Krönungsfeierlichkeiten.
35 Die spätern Te Deum aus den Jahren 1770, 1786, 1801 und 1803 kommen hier nicht in Betracht. Bei dem im Jahre 1786 componirten Te Deum tritt der entgegengesetzte Fall ein: es wird häufig Joseph Haydn zugeschrieben, ist aber von seinem Bruder Michael.
36 In Göttweig wurde dies Werk (das auch im Stift Klosterneuburg unter Joseph Haydn's Namen vorhanden war) sehr häufig aufgeführt, u.a. auch am 15. Aug. 1809 »zum Namensfeste Bonaparte«. (Die Franzosen hatten damals Wien besetzt und machten dem geistl. Stift einen wenig willkommenen Besuch.)
37 Es wird darinnen auch der Kriegsthaten des Fürsten gedacht. Der Fürst hatte sich im Jahre 1758 in der Schlacht bei Kollin das Ritterkreuz des militär. Maria-Theresia-Ordens erkämpft. Die Anspielung auf »noch größere Ehren« deutet etwa hin auf die nahe in Aussicht gestandene Verleihung des Commandeurkreuzes dieses Ordens (12. Oct. 1765) und des goldenen Vlies-Ordens (31. Dec. 1765). Die Ernennung zum Capitain der im Jahre 1760 errichteten ungarisch-adeligen Leibgarde erfolgte am 6. Dec. 1764.
38 Plausus honores date, M.S. auf der kais. Hofbibliothek in Wien, Nr. 15842 (neu). Die Motette Accurrite hunc mortales ist im Stift Klosterneuburg.
39 Tagebuch des J.C. Rosenbaum, gräfl. Esterházy'schen Beamten.
40 Diese Naturalien betrugen jährlich: 300 Pfd. Rindfleisch, 30 Pfd. Salz, 24 Pfd. Schmalz, 4 Metzen Weizen, 8 Metzen Korn, 3/4 Metzen Gries, Kraut und Rüben; für das Geflügel 2 Fl. 30 Kr., 24 Pfd. Kerzen, 6 Klafter Brennholz, 5 Eimer Officierswein. Außer dem nebst freiem Quartier alle Jahre ein Kleid.
41 Die Schreibweise ist sehr verschieden: Bariton, Paridon, Paraton, Barydon etc. L. Mozart's Verichtigung der ital. Benennung Bordone (siehe Violinschule, S. 3) wird in der Mus. Real-Zeitung (1788, S. 182) mit Bardone (als aus dem Griechischen abgeleitet) widerlegt. Man findet übrigens ebenso häufig der als auch das Baryton angegeben. In Maier's »Music-Saal« (Neu eröffneter Theoretisch- und Praktischer – Nürnberg, 2. Aufl., 1741, S. 102) ist der Name der »Viola de Paredon, oder Bariton genannt« von Pardon hergeleitet, weil der Erfinder, der wegen einer Missethat gefangen saß, sein Leben diesem Instrument verdankte. Außer den verschiedenen Musik-Lexica und oben erwähnten Werken findet man das Instrument noch anderwärts beschrieben: M.H. Fuhrmann, Musikalischer Trichter, Frankfurt 1706, S. 91; Joh. Georg Meusel, Museum für Künstler und Kunstliebhaber, Mannheim 1788, 4. Stück, S. 100; Musik. Almanach auf das Jahr 1782 (C.L. Junker); H. Welker von Gontershausen, Neu eröffnetes Magazin mus. Tonwerkzeuge, 1855, S. 84, und dessen »Ueber den Bau der Saiteninstrumente und deren Akustik«, 1870, S. 92 etc.
42 Hauschka (geb. 1766, gest. 1840), spielte einmal auch auf Schloß Persenbeug an der Donau, Sommersitz des Kaisers Franz. Es begleiteten ihn der Kaiser selbst, Fürst Metternich, Graf Wrbna, Feldmarschall-Lieutenant Kutschera, Hofkapellmeister Eybler. – Im Febr. 1823 spielte Hauschka mit Friedrich Groß ein Duett für Baryton und Violoncell in einer Abendunterhaltung der Gesellschaft der Musikfreunde; es war dies wohl das letztemal, daß das Baryton öffentlich gehört wurde.
43 v. Ledebur, Tonkünstler-Lexicon Berlins. 1861. S. 165. Artikel Friedel.
44 Abgesehen von dem Irrthume bei Dies (S. 55 fg.) als habe Haydn erst nach der Abschieds-Symphonie (die doch um vieles später, 1772, componirt ist) angefangen, das Baryton zu üben, müßte obige Anekdote, wiederum nach Dies, vor die Aufführung der Acide (also ins Jahr 1762) zu setzen sein. Auch dieses ist unrichtig und widerlegt sich von selbst. Des Fürsten Verweis, Haydn solle fleißiger componiren und namentlich Stücke für das Baryton setzen, von denen der Fürst bis dahin noch sehr wenige gesehen, giebt uns die richtige Zeit, nämlich die zweite Jahreshälfte von 1765.
45 Fatto per la felicissima nascita di S.A.S. Prencipe Estorhazi.
46 Hierher gehören XXIV Divertimenti per il Pariton col Viola e Basso, Tom. II., die dem Fürsten eigens dedicirt waren. (Tom. II., es mußte also auch ein erster Band vorhanden gewesen sein.) Sie sind, jede Stimme in schönem rothledernen Einband mit Goldschnitt in ledernem Kapsel (Schubdeckel), mit großer Sorgfalt vom Copisten ins Reine geschrieben. Im Barytonheft steht auf dem ersten Notenblatt unten rechts: di me Giuseppe Haydn von seiner Hand geschrieben. Ein muthwilligerweise abgeschnittener Streifen Papier am oberen Rand enthielt wohl die Dedication. In Haydn's Katalog sind es die Nummern Nr. 73–96. Zwei Autographe, Nr. 79 und 80 (also die 7. und 8. Nummer), tragen das Datum 1769.
47 Es entstanden nachweisbar aus diesen Barytonstücken u.A. VI Trios, Violine, Viola, Baß, und V Trios, Violoncell, Viola, Baß (Breitkopf 1772); VI leichte Trios, 2 Violinen und Violoncell, Op. 21, Heft II, Nr. 2, 3, 6 (Simrock), und Six Trios pour Flûte, Violon et Violoncell, Liv. I, alle 6 Nummern (Simrock).
48 Ein derartiges Divertimento, F-dur 2/4, in Haydn's Katalog eigens für Cembalo con Pariton e due Violini angegeben, ist unter den Clavier-Trios bei Breitkopf & Härtel, neue Ausgabe Nr. 25, enthalten.
49 Curiosités musicales, Notes, Analyses etc. par E.M.E. Deldevez, Paris 1873, p. 13.
50 Missa solennis ad honorem Beatissimae Virginis Mariae dal Giuseppe Haydn. 1766. Das Kyrie, 10 Blätter, besaß Artaria und verkaufte es im Jahre 1836 an Herrn Balsch, russischen Edelmann.
51 Brief an den Oboisten Joseph Elßler.
52 Genaue Nachrichten von beyden k.k. Schaubühnen u.s.w. in Wien 1772. S. 74.
53 Jahrbuch der Tonkunst. 1796. S. 67.
54 Im Besitz des Sohnes, des k.k. Feldmarschall-Lieutenants i. P. Leopold Ritter von Weigl. Der Brief wurde zuerst im Wiener Theater-Almanach auf das Jahr 1795 veröffentlicht (nur fehlen dort die Ausgangsworte); ferner in der Wiener Allg. Mus. Ztg. 1846, Nr. 31; auch bei Nohl, Musikerbriefe, S. 150 ist derselbe aufgenommen. – Die erste Aufführung der OperLa Principessa l'Amalfi fand am 10. Jan. 1794 im Theater n.d. Burgstatt.
55 Siehe u.a. Cramers Magazin für Musik. 1784. S. 44.
56 Bibliotheca historica medii aevi etc. Supplement von August Potthast. Berlin 1868. S. 373.
57 Siehe u.a. A.C.J.A. Hoffmann, Die Tonkünstler Schlesiens. Breslau 1830. Joh. Georg Meusel, Muse um für Künstler und Kunstliebhaber. Mannheim, 4. Stück, 1788. S. 100. – Mus. Real-Zeitung s.d.J. 1788. Bd. I. Speyer, S. 47.
58 Dittersdorf und Andere nennen ihn irrthümlich Joseph. Sein Taufname, schon S. 88 berichtigt, war nach dem Pfarr-Register: Franciscus Carolus.
59 Auch hier ist in A. Schmid's »Gluck«, S. 56 der Taufname zu berichtigen.
60 Jahrbuch der Tonkunst. 1796. S. 17.
61 »Die Popularität Jos. Haydns beruht auf den Werken der letzten zwanzig Jahre seines langen Lebens, wir kennen ganz vorzugsweise den nachmozartischen Haydn, der aufstrebende Haydn, der die Instrumentalmusik befreite und aufbaute, ist so gut wie verschollen, wenn man von einer Anzahl seiner früheren Quartette absieht.« O. Jahn, Beethoven und die Ausgaben seiner Werke. Separatabdruck aus den »Grenzboten«, 1864, S. 6.
62 Musik. Almanach auf das Jahr 1782, S. 21. Auch mit Wieland (wegen seiner Fruchtbarkeit, obwohl Haydn ungleich bedeutender und origineller), mit Jean Paul (wegen reicher Phantasie), mit Gellert (wegen Vielseitigkeit) wurde Haydn verglichen. Carpani (Le Haydine, p. 214) nennt ihn den Tintoretto unter den Musikern. Geistreiche Vergleiche mit Mozart giebt Arnold (Mozart und Haydn. Versuch einer Parallele, 1810). Zusammenstellungen mit andern Musikern sind nicht selten. E.T.A. Hoffmann findet in Haydn's Compositionen den Ausdruck eines kindlich heiteren Gemüths, Mozart führt ihn in die Tiefe des Geisterreichs, Beethoven in das Reich des Ungeheuren und Unermeßlichen. (Phantasiestücke I, 4; ges. Schr. VII, S. 55.) Bekannt ist auch Reichardt's Vergleich der drei Meister als Quartettcomponisten.
63 Der Componist J.A.P. Schulz (namentlich bekannt durch seine Chorgesänge) befand sich einst als Zuhörer in einem Concert, wo man eine Symphonie von Haydn vortrug. Ein ehemaliger Kapell- und Theatersänger neben ihm, in der Meinung, sich Schulz gefällig zu machen, da er wußte, daß er ein Schüler Kirnberger's war, sagte zu ihm: »Was denken Sie von diesem Lustigmacher?« Schulz, voll Unwillen und Erstaunen über eine solche Lästerung seines Lieblings, antwortete: »Vor diesem Lustigmacher fall' ich nieder und bete ihn an.« (Allg. Mus. Ztg. 1801, Nr. 24.)
64 David Strauß, der Haydn vortrefflich schildert, macht die Bemerkung: »Wo man auf einem Concertzettel eine Haydn'sche Symphonie angekündigt liest, da mag man getrost hineingehen, man wird sich gewiß nicht getäuscht finden, es müßte denn durch die Ausführung sein. Denn da kann es allerdings vorkommen, daß gerade sogenannte bessere Orchester es am schlimmsten machen. Sie wenden gerne ihre Effectmittel, ihre schroffen Wechsel in Tonstärke und Tempo, worauf so manche neuere Compositionen berechnet sind, auf eine Musik an, die nur der schlichteste Vortrag richtig zur Erscheinung bringt.« (Der alte und der neue Glaube. 3. Aufl. 1872, S. 347.)
65 Jahn, Mozart, 2. Aufl. I, 165 u. 296 fg. Carpani,Le Haydine, p. 56 fg.
66 Ph. Spitta, Joh. Seb. Bach, Bd. I, 1873, S. 733 fg.
67 »So ist Haydn mannigfaltiger in den Formen als Mozart, zuweilen mehr blüthenreiches Rankengewächs, da im Mozart immer Stamm und Zweige sich unterscheiden, aber gestaltlos wird auch Haydn niemals.« (Brief an Prof. Wolf in Cassel.) Und an anderer Stelle: »Haydn ist mannigfaltiger, ungebundener in der Form als der auf italienischem Grund gebildete Mozart.« (Brief an O. Jahn, Grenzboten 1870.)
68 »In den Symphonien Haydn's (sagt Richard Wagner) bewegt sich die rhythmische Tanzmelodie mit heiterster jugendlicher Frische: ihre Verschlingungen, Zersetzungen und Wiedervereinigungen, wiewohl durch die höchste contrapunktische Geschicklichkeit ausgeführt, geben sich doch fast kaum mehr als Resultate solch geschickten Verfahrens, sondern viel mehr als dem Charakter eines, nach phantasiereichen Gesetzen geregelten, Tanzes eigenthümlich kund: so warm durchdringt sie der Hauch wirklichen menschlich freudigen Lebens. Den, im mäßigeren Zeitmaße sich bewegenden Mittelsatz der Symphonie sehen wir von Haydn der schwellenden Ausbreitung der einfachen Volksgesangsweise angewiesen; sie dehnt sich in ihm nach Gesetzen des Melos, wie sie dem Wesen des Gesanges eigen sind, durch schwungvolle Steigerung und, mit mannigfaltigem Ausdruck belebte, Wiederholung aus.« (Das Kunstwerk der Zukunft. 1850, S. 84.)
69 Biogr. Notizen, S. 5.
70 Jahn, Mozart, 2. Aufl. Bd. II, S. 201.
71 Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend. Leipzig 1766, S. 97 fg.
72 Six Symphonies ou quatre dialogues pour deux Violons, Alto violon, et Basse, composées par Mr. Heyden, Maître de Chapelle à Vienne. Mis au jour par Mr. de la Chevardière, oeuvre IV, Paris. – Six Symphonies à huit Parties (2 violons; alto, basse, 2 hautbois, 2 cors) mis au jour par Bailleaux, oeuvre VII; idem VIII. – Six Symphonies à grand Orchestre, chez Mme. Berault, Marchande de Musique, oeuvre IX. (Von Op. IV ist Nr. 2 bei Haydn unter den Cassationen à 6.)
73 Oscar Comettant (La Musique, les musiciens etc. Paris 1869) fagt p. 476: »En 1810, Le Duc publia à Paris, et le premier en Europe, une collection de vingt-six symphonies d'Haydn en partition d'Orchestre, grand format. Aujourd'hui encore (also 1869)il n'y a pas vingt symphonies gravées en partition de ce père de la symphonie, dans toute l'Allemagne.« – Dagegen ist zu erinnern, daß bei Breitkopf und Härtel noch vor Le Duc die ersten der bekannten 12 Symphonien in Partitur erschienen waren. In Wien hatte man wenigstens den guten Willen gezeigt. Die Wiener Zeitung kündigte 1801 im Dec. an: Bei T. Mollo und Co. ist auf Subscription zu haben: die Partitur aller von Herrn Jos. Haydn herausgegebenen Symphonien, jede Lieferung 2 Fl.
74 Eine gewissenhafte Aufstellung der Haydn'schen Compositionen aus seiner ersten Zeit bietet nach allen Seiten hin kaum vollständig zu lösende Schwierigkeiten. Breitkopf's Sammlung enthält 162 thematisch angegebene Symphonien (mit Hinzufügung der Scherzi und einiger Cassationen), darunter viele doppelt durch Umstellung der Sätze, dagegen andere vergessen sind. Eine in derselben Sammlung vorfindliche, von Haydn selbst nach je 10 Jahren aufgestellte Ordnung (von 1757 – 1797, also ebenfalls wohl einige der, den er sten Symphonien vorangehenden Musikstücke enthaltend) ist leider nur in Nummern angegeben, zu denen jeder Schlüssel fehlt. Auch in Haydn's Katalog, 119 Symphonien enthaltend, wiederholen sich die Umstellungen, bei denen man sich nur wundern muß, daß der fleißige Elßler nicht nachhalf. Manchmal ist Haydn selbst im Zweifel, ob er die Echtheit anerkennen soll oder nicht, was bei der großen Zahl seiner Werke und nach so langem Zeitraume nicht wundern kann. Obige, alles ermüdende Beiwerk bei Seite lassende Aufstellung dürfte etwa der Lösung dieser Aufgabe am nächsten kommen.
75 J.J. Fuchs schrieb zu diesem Zweck eigens eine Reihe dreistimmiger Kirchensonaten, Sonate da chiesa, für 2 Violinen und Baß, verstärkt durch Orgel, Violoncell, Violon und Fagott. v. Köchel, J.J. Fux, S. 58.
76 Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen, die Musik betreffend, auf das Jahr 1770. 5. Stück, S. 37.
77 Filz war ein beliebter Componist und Violoncellist der Mannheimer Kapelle. Man sagt, daß er sich den Tod (er starb 1768) durch den übermäßigen Genuß von Spinnen zugezogen habe, von denen er behauptete, daß sie wie Erdbeeren schmeckten.
78 »Einer fragte uns, ob wir keine Sonaten oder andere auff Instrumenta gesetzte Sachen bey uns hätten? Ich sagte ja: schlosse mein Felliß auff, und nahm etliche Stücke und Partheyen heraus.« Musicus Vexatus etc. von Cotola dem Kunst-Pfeiffer Gesellen. Freyberg 1690, S. 181.
79 Johann Sebastian Bach, von Philipp Spitta. 1873, Bd. I, S. 680 fg.
80 Ausgabe: Quintetto, Cassatio in G, per due Violini, due Viole obligate e Basso, composto per il Elettore Palatino da Giuseppe Haydn. Stampato dopo il manoscritto originale. Bonna presso N. Simrock. Breitkopf's thematischer Katalog nennt noch mehrere Quintette, deren Echtheit aber nicht verbürgt werden kann. Noch weniger ist dies der Fall mit der folgenden Ausgabe: Sei Quintetti per due Violine, due Alto, Basso e Corni ad lib., composti da Gius. Hayden. Opera XXII. Gravé per Mme. Oger. à Paris chez le Sr. De la Chevardière, Editeur.
81 Breitkopf und Härtel, Simrock, Peters, Litolff, André, Holle u.s.w.
82 In Hiller's »Wöchentl. Nachrichten und Andeutungen die Musik betreffend«, Leipzig 1767, 32. Stück, S. 248 findet man ein zweistimmiges Andante »del Sgr Hayden«, dessen erste Takte mit dem Thema dieser Variationen identisch sind und das sich in einheitlicher Stimmung aus dem Thema weiter entwickelt.
83 In ähnlicher Weise schrieb Mozart ein Notturno (v. Köchel, S. 286) mit dreifachem Echo für vier Gruppen Instrumente, jede aus dem Saitenquartett und zwei Hörnern bestehend.
84 Écho pour 4 Violons et 2 Violoncelles composé pour être exécuté en deux appartements différents. à Paris, chez Imbault.
85 Eco per quatro Violini e due Vclli da eseguirsi in due Camere. In Napoli appresso Luigi Marescalchi.
86 Écho pour quatre Violons etc. Partition, Parties séparées. (Verlagsnummer 689.)
87 Écho pour deux flûtes pour être exécuté etc. à Paris, chez Imbault.
88 Écho. Quatuor pour le Pianoforte avec acc. de 2 Violons et Vclle. etc. (Verlagsnummer 5902. In der Clavierstimme fehlt im Allegro, im 2. Theile, nach den ersten 8 Takten 1 Takt Pause.)
89 Allg. mus. Zeitung, Bd. 42, 1840, Nr. 17, S. 355.
90 L. Nohl: Mozart-Briefe, S. 328.
91 Sechs kleine Sonaten für 2 Hörner, 2 Flöten, 2 Klarinetten und 1 Fagott. C.H. Bitter, C. Ph. Em. Bach, 1868, S. 237.
92 Ueber Entstehung und Entwickelung des Quartetts siehe Eug. Sauzay; Haydn, Mozart, Beethoven. Étude sur le quatuor. Paris 1860, S. 9 fg.
93 Ueber Haydn's Symphonien und Quartette lesen wir in Goethe's »Kunst und Alterthum«, Bd. V, 3. Heft: »Diese seine Werke sind eine ideale Sprache der Wahrheit, in ihren Theilen nothwendig zusammenhängend und lebendig. Sie sind vielleicht zu überbieten, aber nicht zu übertreffen.«
94 O. Jahn, W.A. Mozart. 2. Aufl., Bd. II, S. 172.
95 Griesinger, Biogr. Notizen, S. 15.
96 Neue Zeitschrift f. Mus., 1840, Nr. 27.
97 »Es sind gleichsam Knospe, Blüthe und Frucht, die wir auseinander hervorgehen sehen.« David Fr. Strauß giebt auch hier treffende Bemerkungen über die Quartettmusik der drei Meister. Der alte und der neue Glaube. 3. Aufl., S. 367.
98 Vertraute Briefe, I, S. 231.
99 F. Hiller, Aus dem Tonleben unserer Zeit. Bd. II, S. 28.
100 Neukomm's Notizen zu Dies (S. 224) aus O. Jahn's Haydniana.
101 Vertraute Briefe, Bd. I, 451. Siehe auch H.M. Schletterer: J.F. Reichardt, Bd. I, 1865, S. 61. Hier erfahren wir auch von dem einzigen Manne, der Haydn »den ebenso bescheidenen als genialen Künstler«! selbst seine Quartette spielen hörte. Es war der in Ballenstädt verstorbene Major Weirach, ein edler eifriger Musikfreund, der im siebenjährigen Kriege in kaiserliche Gefangenschaft gerieth und »bei dem Edelmann, auf dessen Güter Haydn geboren war, einquartiert lag« (wohl nur eine Verwechselung mit Fürnberg in Weinzirl). Weirach erzählt weiter: »Der bis zur Aengstlichkeit bescheidene Mann war, ohnerachtet alle Anwesenden von seinen Compositionen entzückt waren, nicht zu überzeugen, daß seine Arbeiten werth seien, in der musikalischen Welt bekannt gemacht zu werden.«
102 Die erste Ausgabe veröffentlichte Joh. Gottlob Immanuel Breitkopf im Jahre 1760.
103 Eug. Sauzay, Étude sur le quatuor, p. 40.
104 Das erste Quartett Haydn's gab Veranlassung zu einer Novelle, die in der »Iduna« für 1855 erschien und durch mehrere Zeitungen wanderte. Die in einer derartigen Arbeit erlaubte Willkür mit Thatsachen darf wohl nicht erst betont werden.
105 In Wien spielten die Florentiner dieses Quartett im November 1870 und das Publicum applaudirte, als hätte es eines der größeren Quartette Haydn's gehört.
106 Haydn's Katalog sagt Allegro moderato, nicht molto, wie die verschiedenen Ausgaben bezeichnen.
107 Auch hier wie bei den Quintetten finden wir Haydn's Namen mißbraucht. Es erschienen: Sei Quartetti per due Violini, Alto e Violoncello da'll Sig. Gius. Hayden à la Corte di Vienna. Opera XXII. à Paris chez Mr. Durieu, musicien et éditeur etc., imprimé par Bernard.
108 C.H. Bitter, C. Ph. Em. Bach, S. 59.
109 Diese erschienen gestochen bei La Chevardière, Sieber u.A. in Paris und zum Theil auch als op. 8 bei Hummel in Amsterdam.
110 Nr. 17 ist in der Artaria-Sammlung; Nr. 6 ebenfalls, aber unter der Bezeichnung Violino solo, Viola concertata, con Basso.
111 Six Trios pour deux Violons et Violoncelle a l'usage des commançans. Cahier I. Die andern Nummern sind in der vorerwähnten Artaria-Sammlung; ebenso im 2. Hefte die Nummern 1 und 4; dagegen sind die andern nur übertragene Baryton-Trios.
112 Litolff, Holle Nr. 33, André Nr. 21.
113 Litolff, Holle Nr. 30, 31, 34; André Nr. 31, 34, 22; ferner erschien Nr. 34 u. 22 bei Peters, Cahier II, Dix Sonates faciles, Nr. 17 u. 14.
114 Die Berliner Hofbibliothek besitzt außerdem in Abschrift noch mehrere leichte Divertimenti, die aber weder bei Haydn noch sonst irgendwo verzeichnet sind.
115 Eine Menge der Haydn zugeschriebenen Messen sind apokryph; sein thematischer Katalog nennt 15, es sind aber in Wirklichkeit nur 14, denn die kleine Orgelmesse ist zweimal verzeichnet (unter Nr. 4 und 13), das erstemal mit den 2 Anfangstakten, das zweitemal mit dem 3. und 4. Takte beginnend! Daß die erste Messe in Partitur (d.h. Singstimmen und ausgeschriebener Orgelbegleitung) bei Novello in London als Nr. 11 der Haydn'schen Messe erschienen ist, wurde schon bemerkt. Diese Ausgabe ist nach einem Mscpt. des Rd. C.J. Latrobe verfertigt, doch sind darin in der Stimmführung manche Aenderungen vorgenommen, die gar zu offenbar grammatikalischen Fehler verbessert und die 2 concertirenden Solostimmen vereinfacht.
116 Dr.. Fr. Lorenz, Haydn, Mozart und Beethoven's Kirchenmusik, 1866, S. 62.
117 Griesinger, Biographische Notizen, S. 116.
118 Le Breton (Notice historique etc.) sagt dagegen: »Werner prit en affection Jos. Haydn, il lui donna des conseils et des leçons .... enfin, il lui ouvrit le sanctuaire de l'art etc«. Auch in der Allg. Wiener Mus. Zeitung, 1820, Nr. 72 wird bei Aufzählung der österreichischen Componisten Werner als »Lehrer unseres Jos. Haydn« genannt. Haydn hat diesen Punkt nie berührt, obwohl er Werner's Kunstfertigkeit wohl zu würdigen wußte.
119 Ad Majorem Dei gloriam. Einmal erscheint auch: Deo ter optimo maximo sit laus, honor et gloria in saecula.
120 1766, Martius, 5. huius sepultus est viduus Egregius Dom. Deus Gregorius Werner, famulus Capellae Magister Arcis Kissmartoniensis, aetatis suae 65 annorum. (Pfarr-Register, dem entgegen die Grabschrift Werner's Alter mit 71 Jahren angiebt.)
121 Allg. Wiener Musik. Zeitung, 1843, Nr. 85.
122 VI Fugen in Quartetten auf zwei Violinen, Viola und Violoncell von G.J. Werner, Weyland Kapellmeister S.D. des Fürsten N. Esterházy u.s.w. Aus besonderer Achtung gegen diesen berühmten Meister nun herausgegeben von dessen Nachfolger Joseph Haydn. Zu haben in Wien bei Artaria und Co. Verlagsnummer 1707. Angezeigt in der Wiener Zeitung 1804 und 1805.
123 Der Titel eines vielleicht einzig noch vorhandenen Textbuches (Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien) lautet vollständig: Debbora | Ein Weib von Gott erkiest | als Stütze seiner Freunden | Jahel | ein Weib so Gott erwählt | zur Geisel seiner Feinden. | Erwiesen durch den Untergang des stoltzen Gisera | Feld-Herrn des Cannaniter-Königs Jabin. | Oratorischer Weise vorgetragen und abgesungen in | Hochfürst-Estorhazyscher Schloff-Capellen bey dem | H. Grabe zu Eysenstadt, den 4. April 1760. | Die Worte seynd von Antonio Tauffer, Hochfürst-Estorhazyschen Buchhaltereys-Verwandten. | Und in die Music versetzt | Durch Gregorium Werner Hochfürstl. Capell-Meister. | Neustadt, gedruckt bey Jos. Adam Fritsch. – Vorstellende: Jahel, die Obsiegerin (Sopran). Debbora, Prophetin und Richterin der Israeliter (Alto). Sisera, Feld-Herr der Cannaniter (Tenor). Barack, Feld-Herr der Israeliter (Baß). Chor der Israelitischen und Cannanitischen Soldaten. – Das Eisenstädter Musikarchiv besitzt 11, das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 8 geistliche Oratorien von Werner in Partitur, sämmtlich von dem früher genannten Mitgliede der fürstlich Esterházy'schen Musikkapelle, J.G. Thonner, geschrieben. Wir finden darunter (in Abkürzungen) folgende Titel: Judith und Holofernes – Job – Adam – Saul und David (1750) – Daniel – Judas Maccabaeus (1757) – Der Tod des h. Joh. v. Nepomuk – Die betrübte Tochter Zion – Fasciculus Myrhae dilectus – Tobias – Mater dolorum – Esther (1746) – Der gute Hirt – Die allgemeine Auferstehung der Todten und das letzte Gericht – Der keusche Joseph (1744).
124 Symphoniae sex, senaeque Sonatae, quae posteriores, pro Capellis usurpandae, anteriores verò ex Cameris venirent excipiendae, à Gregorio Werner altetitulati Principis Esterhazy Capellae Magistro concinnatae, ac expositae. Ex urbe Eisenstatt, proxime ad colles Leythae in Hungaria. (Folgt die Dedication.)
125 Verzeichniß musikalischer Werke in Abschrift 1764: I. Partita, 2 Violinen, Viol., Baß, 2 Corni. – Thematischer Katalog der Abschriften 1765, Parte V: I. Partita, 2 Violinen, Viol. e Cembalo; I. Partita, 2 Violinen, Baß, 2 Corni.
126 Aloys Fuchs besaß eine Vesper und 4 Offertorien für 4 Singstimmen, 2 Violinen und Orgel (Original-Partitur). In Thalberg's Nachlaß befand sich Vesperae Brevissime, Hymnus, Antiphona, etc. Original-Partitur, 26 Blätter. Das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien besitzt 2 Pastorellen für Cembalo oder Organo conc., 2 Violinen und Viola; Missa quasi vero, 4 Singstimmen, 2 Violinen, Orgel und Violone, Original-Partitur 1759 und die erwähnten 8 Oratorien. Ferner haben die meisten geistlichen Stifte Oesterreichs Werke von Werner aufzuweisen.
127 In ähnlicher Weise schrieb Reinhard Keiser (gest. 1739) die Oper »Der Hamburger Jahrmarkt«, 1725 aufgeführt; »Die Leipziger Messe, oder le bon vivant«, komische Oper, 1710 aufgeführt. Siehe H.M. Schletterer, Joh. Friedr. Reichardt, 1865, S. 239. – Der jubilirte P. Kämmerer Henr. Wondratsch im Stifte Göttweig erinnert sich sehr wohl, obigen Spaß (der Wiener Tandlmarkt) als Student mit seinen Kameraden öfters aufgeführt zu haben, daß sie aber vor Lachen kaum zu Ende singen konnten.
128 Schletterer (Das deutsche Singspiel, S. 151) zählt sie zu den Vorläufern der modernen Singspiele. Daß sie Werner um 1760 in Wien zur Aufführung gebracht haben soll, bedarf wohl kaum widerlegt zu werden.
129 Wöchentliche Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend (J.A. Hiller). Leipzig 1766, 13. Stück. Bericht aus Wien, August 1766.
130 Wiener Diarium 1766, Nr. 84. Anhang: Gelehrte Nachrichten, XXVI. Stück. – Obige Zeilen sind aufgenommen in De Luca, »Das Gelehrte Oesterreich«. Ein Versuch. Des ersten Bandes zweytes Stück. Wien 1778, S. 309.
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