|
Instrumental.
Symphonien.
Ouverturen.
Divertimenti.
Streichquartette.
Concerte.
Barytonstücke.
Tanzmusik.
Claviersonaten.
Claviersonaten mit Violine.
Clavier-Trios.
Clavier-Concerte.
Kleinere Clavierstücke.
Vocal.
Messen.
Kleinere Kirchenmusikstücke.
Oratorien und Cantaten.
Opern: Marionetten-Theater.
Arien und einstimmige Cantaten.
Lieder.[253]
[254] Wir haben nunmehr Haydn an der Hand jener vorgenannten Werke, die er in der mittleren Periode seiner Künstlerlaufbahn im Zeitraum von nahezu einem Vierteljahrhundert geschaffen, in gleicher Weise wie seine Erstlingswerke kennen und würdigen zu lernen. Alles was vorausgreifend über seinen Werth als Schöpfer und Ebner neuer Wege und über den Grundzug seiner Werke gesagt wurde, tritt erst jetzt in volle Kraft. Mehr und mehr werden wir zu bewundern haben sein rastloses Vorwärtsstreben, seine unvergleichlich melodiöse Erfindungsgabe, seine erstaunlich kunstvolle thematische Durchführung, die stete Erweiterung seiner Instrumental-Kenntnisse, sein Bemühen der Form und Technik vollständig Herr zu werden und stets das natürliche Maß künstlerischer Gestaltung einzuhalten. So finden wir ihn denn am Schlusse seiner mittleren Künstlerperiode als gereiften Künstler, der, wie wir sahen, schon jetzt die Anerkennung und Achtung der Welt errungen hat und im gerechten Bewußtsein seines eigenen Werthes, obwohl schon bei Jahren, freudig und kampfeslustig dem Rufe nach fernem Lande folgt, um dort neue Lorbeern zu sammeln.
Wir haben vorerst seine Instrumental-Compositionen im Auge. Von seinen vielseitigen Werken dieser Gattung ist es nebst dem Streichquartett die Sym phonie, die unsere vollste Aufmerksamkeit beansprucht und ihr wenden wir uns zunächst zu. Wie vordem werden wir auch hier, um die nachhaltige Lebenskraft der Haydn'schen Werke dieser Gattung bemessen zu können, die Reihen jener Componisten mustern, die gleichzeitig mit Haydn und durch sein Beispiel angefeuert, das Symphoniefach pflegten; es sind meistens längst verschollene Namen oder solche, die wenigstens auf diesem Gebiet nicht mehr genannt werden. Viele der[255] früher genannten Componisten1 reichen noch in die jetzige Periode; unter ihnen C.F. Abel, Agrell, Ph. Em. Bach, Franz und Georg Benda, Cambini, Ditters, Galuppi, Gluck, Graun, Gebel, Hasse, J.A. Hiller, Holzbaur, Jomelli, Locatelli, Lorenzitti, Misliweczek, Leop. Mozart, Neruda, Scarlatti, C. Stamitz. Unter den neu Hinzugekommenen, deren Werke in Paris, London, Amsterdam, Leipzig, Bonn, Nürnberg, Berlin, Wien, Offenbach und Mainz, häufig sogar in Serien zu 6 Nummern erschienen, sind hervorzuheben: J.C. Bach in London, Filtz, Fr. Pav. Richter, Cannabich und Fränzel in Mannheim, Deller, Duni, Fauner, Harrer in Leipzig, Hertel in Schwerin, Kirnberger und Nickelmann in Berlin, Organist Krebs in Altenburg, Pugnani, Kuntz in Lübeck, Roellig, Naumann und Scheibe in Dresden, Ant. Bulant, W. Leeder, Sarti in Dänemark, Schaffrath, Zoppin, Riegel, Van Maldere, Roy, Toeschi, Schmidtbauer, Pichl, Gosser, Neefe, G.F. Reichardt, C.E. Graaf im Haag, Franz Duscheck in Prag, Gazzaniga, Ernst Eichner, Herschel, Baron von Gemmingen, Anton Rosetti, C. Stamitz d. ä., Jos. Demachi, J.F.H. Sterkel, Kleinknecht, Boccherini, Lachnith, Beecke, Le Duc, Vinc. Mascheck, Sperger, Jos. Schuster, Peter Winter. Von Wiener Componisten (und diese sind besonders erwähnenswerth, da Haydn ihre Werke in den Wiener Akademien gehört haben mußte): L. Hoffmann, Ziegler, Vanhall, Wagenseil, Dittersdorf, Aspelmayer, Bonno, L. Kozeluch, Christoph Sonnleithner, Huber, Starzer und d'Ordonez.
Was die Orchesterbesetzung betrifft, finden wir neben den Streichinstrumenten abwechselnd Oboen und Hörner mit oder ohne Flöte und Fagott; Klarinetten sind nur bei Pichl und Bulant genannt; ebenso Trompeten und Pauken nur einigemal; zwei Paare Hörner bringt Vanhal, einmal sogar noch ein Solohorn.
Wir haben noch speciell Mozart zu nennen. Im Verzeichniß der erschienenen Symphonien ist er nur wenig genannt. In die Wiener Zeit fallen seine letzten sieben Symphonien. Daß sie sowohl in Mozart's als auch in anderen Akademien zu hören waren, erfuhren wir in der Chronik. Haydn hatte aber auch, wie kaum zu bezweifeln, Gelegenheit, ein und die andere bei dem Musikfreunde v. Kees kennen zu lernen.[256]
Über die Form der einzelnen Symphoniesätze und speciell der Haydn'schen wurde schon gesprochen.2 Von den nun vorliegenden thematisch verzeichneten 63 Symphonien sind alle bis auf eine einzelne (Nr. 32)3 in Haydn's thematischem Katalog notirt; 9 Nummern stehen in 6 verschiedenen Molltonarten; 16 Nummern haben kurze Einleitung in pathetischem Zeitmaß, nur Nr. 20 hat einen vollständig durchgeführten langsamen ersten Satz. Mit Ausnahme von Nr. 6, in welcher der Menuett fehlt, bestehen alle aus vier Sätzen (der Menuett als 3. Satz). Bei den Saiteninstrumenten ist in erster Linie die allmählige Selbstständigkeit der zweiten Violine zu beachten, ferner die Violen und Violoncells, welche sich bald ihre eigenen Wege zu bahnen suchen oder auch zur Verstärkung der Melodie mit den Violinen oder einem der Blasinstrumente zusammengehen; endlich wird auch der Baß, ein stets wichtiger Factor, sich mehr und mehr seiner Würde und Macht bewußt. Die Blasinstrumente hat Haydn, wie wir gesehen, schon vordem mannigfach benutzt und die vielen Stücke für die Feldharmonie hielten ihn hier in steter Übung. Doch in Verbindung mit den Streichinstrumenten und zur Verwendung bei Symphonien mußte er auch hier neue Studien machen. So finden wir anfangs das den Kern bildende Saitenquartett nur durch Oboen und Hörner verstärkt; manchmal ist die Flöte im langsamen Satz als Solo und meist bei gedämpften Streichinstrumenten verwendet. Der Fagott löst sich nur allmählig vom Basse los, nimmt aber auch zuweilen die Melodie mit einem der anderen Instrumente auf. Endlich aber werden paarweise Flöten, Oboen, Hörner und Fagotte zur Regel und bilden erstere von Nr. 40 an einen wesentlichen Bestandtheil in der Besetzung. Trompeten und Pauken (erstere auch allein) kommen nur in einigen Nummern vor und wo sie bei den Symphonien der 80er Jahre erscheinen, sind sie mit wenigen Ausnahmen von Haydn nachgetragen. Vierfach vertretene Hörner kommen nur zweimal (Nr. 7 und 16) vor; Klarinetten sind nie angewendet,[257] was um so auffallender ist, als sie Haydn mitunter in seinen Opern benutzte. Eigene Bläser aber waren für dieses Instrument, mit Ausnahme der beiden Griesbacher (1776–78) nicht im Orchester angestellt und wurden also nöthigenfalls von der Feldharmonie requirirt. Lange Zeit sind die Blasinstrumente vorzugsweise nur zur Verstärkung der Harmonie benutzt, endlich aber greifen auch sie selbstständig ein und treten sogar, Licht und Schatten und Klangwechsel verbreitend, den Streichinstrumenten gruppenweise gegenüber.
Von den Symphonien dieser Periode sind viele bis über die Hälfte hinaus nur insofern von Interesse, als sich an ihnen die allmählige Entwickelung von Haydn's Meisterschaft verfolgen läßt. Häufig zeigt sich hier nur in einzelnen Sätzen, was Charakteristik und Tiefe betrifft, eine besondere Eigenthümlichkeit. Ganz anders aber stellt sich das Verhältniß im letzten Drittel der Symphonien heraus, hier werden die nur wenig schwächeren Nummern zur Ausnahme. Bis dahin hatte Haydn eben nur für den augenblicklichen Genuß, für angenehme Anregung in seinem eingeschränkten Wirkungskreise zu sorgen. Jetzt aber, wo er wußte, daß seine Werke mit immer größerem Eifer in fremden großen Städten gesucht und gespielt wurden und er auf specielle Bestellung und für ein eigentliches Publikum schrieb, nahm auch sein Flug eine höhere Richtung und die Freude am Schaffen wuchs sichtlich mit fast jeder neuen Nummer. Wir haben somit sehr wohl jene Symphonien, welche in die Zeit bis etwa zu Anfang der 80er Jahre fallen von den nachfolgenden zu unterscheiden.
Suchen wir vorerst einen summarischen Überblick über die einzelnen Sätze zu gewinnen. Die ersten Sätze weichen in der Hauptsache nur selten von der früher4 besprochenen, nun aber allmählig erweiterten Structur ab. Die meisten sind frischen, kräftigen Charakters und fesseln selbst bei den kleinsten Symphonien durch originelle Gedanken und interessante Mache. – Auch über die zweiten Sätze wurde schon gesprochen5; in diesen einfachen, das deutsche Gemüth kennzeichnenden, meistens dem Volkston sich nähernden Gesangweisen schlägt Haydn so recht aus dem Innern die Gefühlssaiten an.[258] Eine wohlige, sanfte Abendstimmung lagert über diesen stimmungsvollen Bildern; es ist der wahre Seelenfriede, der aus ihnen spricht. Wie früher so finden wir auch jetzt wieder hier mit Vorliebe die kleinen Taktarten (3/8, 2/4, 6/8) gewählt. Die Melodie ist vorzugsweise der Primgeige, zuweilen der Flöte oder Oboe zugetheilt, oder es geht erstere mit einem dieser Instrumente zusammen. Zehn Sätze sind nur für die Streichinstrumente geschrieben6; bei 25 Sätzen bedient sich Haydn der Sordinen. Bei einigen herrscht im Quartett auch noch die Zweistimmigkeit vor (je 2 Stimmen zusammen). Trotz der vorwiegend weicheren Stimmung sind doch nur fünf Nummern7 in der Molltonart geschrieben. 27 Sätze stehen in der Unter-, 18 in der Ober-Dominant der ersten Sätze; die übrigen behalten die Tonart derselben bei. Zehn Sätze sind im Charakter der Serenade, Sicilienne, im Balladen- oder Romanzenton geschrieben, fast alle aber haben, wie gesagt, volksliedmäßige und häufig sehr zarte und gemüthsinnige Themas und beweisen zur Genüge, daß Haydn ganz wohl auch gesanglich dachte, wie dies von einem im Gesange auferzogenen Musiker nicht anders zu erwarten ist. Meisterhaft hat Haydn in vielen Nummern, es sind deren 18 und vorzugsweise aus dem letzten Drittel8 die erweiterte Variationenform angewendet und ausgebildet, die später Beethoven mit sichtlichem Interesse studirte. Sie zeigen von besonderer Vorliebe für dieses Genre und eine gewisse Sauberkeit und Delikatesse. Ganz richtig sagt Abbé Vogler in seiner Kritik der Forkel'schen Veränderungen (S. 8) in diesem Betracht: »Der erste Mann, der uns allgemeine Variationen gelehrt, der sie auf alle Instrumente verbreitet, der noch zum Verdienste, phraseologisch groß zu sein, jenes, Gesänge und Themen selbst erfinden zu können, gesellet, ist der unnachahmliche Haydn. Er, ein wahrer Phöbus, dessen Arbeiten keiner fremden Wärme bedürfen, dessen Werke schon genug leuchten, ohne daß der von einem beliebten Satz geborgte Schimmer sie aufhelle, zeigte uns in Sinfonien, wie wir variiren sollen. Von keiner Vorliebe gehindert, durch keine Kurzsichtigkeit eingeschränkt, war er gegen alle Instrumente gleich wohlthätig. Da er den Werth[259] und die Wirkung von allen genau kannte, so wies er jedem seinen Standpunkt an, um glänzen zu können, ohne je eines zu verdunkeln«.
Haydn's Menuette in diesen Symphonien bekräftigen, was schon von den früheren gesagt wurde.9 Ihren. von Haydn gleich zu Beginn angestrebten und dann typisch gewordenen Charakter finden wir nun noch mehr ausgeprägt und gefestigt. Während Mozart hier mehr einen veredelten, den Tanz der vornehmen Welt repräsentirenden Zug beibehielt, hielt sich Haydn an den mittleren und niederen Stand, indem er Würde und seine Grazie durch volksthümliche Heiterkeit und behagliche Laune ersetzte und seinem Hang zu humoristischen Neckereien und Überraschungen freien Lauf ließ. Häufig herrscht in ihnen eine gewisse derbe Strammheit und spricht sich der beabsichtigte Grundton mit festen Strichen sogleich in den ersten Takten aus, während die Trios in Erfindung und Behandlung leicht bewegter und seiner gehalten sind, eine Fülle von naiven witzigen Einfällen bieten und häufig durch ihre gemüthlichen Weisen uns mitten unter das Volk versetzen, wobei aber stets die künstlerische Gestaltung gewahrt bleibt. Der Reichthum an immer neuen Motiven und geistreichen Wendungen ist hier umsomehr anzustaunen als die Anforderungen an Haydn gerade in diesem Genre wahrhaft exorbitant waren. Zwei Drittel der Trios haben gleiche Tonart mit ihren Menuetten; von den übrigen stehen 5 in der Unter- und ein einziges in der Ober-Dominant, 2 haben die Parallel-Tonart, 8 stehen in Moll. Eigenthümlich rhythmische Gliederungen kommen im Menuett-Trio vor, wir zählen Gruppen zu 8 gegen 12 bis über 40 Takte. Die Themas werden bei den Menuetten bis zu 4 Instrumenten (Streich- und Blasinstrumenten) im Einklang oder in der Octav ausgeführt; bei den Trios ist zuweilen nur das Saitenquartett verwendet (z.B. in Nr. 4, 9, 25, 27) oder es treten einige Blasinstrumente, meistens aber nur sehr discret hinzu; einigemal bleibt diesen auch allein das Wort z.B. in Nr. 8 (2 Ob., 2 Fag., 2 Hörner) oder in Nr. 44)dieselben Instrumente nebst 3. und 4. Horn und 2 Clarini) oder es hat wenigstens ein Blasinstrument ein Solo, wie bei 40 (Fagott), 57 (Oboe), auch der Contrapunkt kommt einigemal zur Anwendung (z.B. Nr. 13,[260] 16). – In den vierten und Schlußsätzen, die nun in keinem einzigen Fall das früher häufige Tempo di Menuetto aufweisen, concentrirt sich eine unerschöpfliche Fülle von Geist und Witz. Hier mehr denn irgend wo spricht sich Haydn's Freude am Schaffen aus. Das scheinbar nur leichthin angeschlagene Hauptthema zieht sich rondoartig durch den ganzen Satz; einzelne Motive lösen sich los, werden selbstständig, neue treten hinzu und spielend mischt sich die sonst so gefürchtete strenge Schreibweise dazu; immer kunstvoller gestaltet sich der Bau bis der arglose Zuhörer erst jetzt gewahr wird, wohin ihn die kundige Hand führte und an des Dichters Ausspruch gemahnt wird: »Ein kluger Mann sagt öfters erst mit Lachen, was er hernach im Ernste wiederholen will«.
Die vorliegenden Symphonien lassen sich, will man die Grenzen nicht allzu scharf ziehen, in zwei Abtheilungen und etwa fünf Gruppen sondern, in solche die 1. an sich klein, aber hübsch sind; 2. in denen einzelne Sätze der Beachtung werth sind; 3. die in ihrer Totalität interessant oder bedeutender sind; 4. in die besonders hervorragenderen und 5. in die reifsten und vorzüglichsten.
Der ersten Gruppe haben wir Nr. 1 vorauszuschicken, eine concertante viersätzige Symphonie »Le matin« betitelt, welche ihrem ganzen Wesen nach in die Zeit der früher erwähnten Symphonien »Le midi« und »Le soir« fällt.10 Damit hatte denn Haydn des Fürsten Wunsch, »die vier Tageszeiten« musikalisch zu illustriren (sich auf drei beschränkend) erfüllt.11
Wir fassen nunmehr die Symphonien der ersten Abtheilung bis Nr. 45, zusammen. In die erste Gruppe sind 13 Nummern aus den Jahren 1767–75 einzureihen.12 – Von den ersten Sätzen derselben sind Nr. 2–4, 7, 10 und 14 klein, aber ansprechend, frisch und flott, 8 mehr graziös, 12 markig und voll Mozart'scher Anklänge; 13 hat trotz etwas veraltetem Figurenwerk doch eine gewisse Noblesse und Entschiedenheit; 28 zeichnet sich durch besonderen Wohllaut aus. – Unter den zweiten Sätzen haben nur 9 und 10 Blasinstrumente; 2, 3, 8, 9, 28 ausgenommen[261] haben die übrigen gedämpftes Streichquartett. Nr. 2 hat ein zartes Andante; 3 ein Adagio von pathetischem Anflug mit Violinsolo und Violoncell obl.; 6 und 14 sind im Charakter der Sicilienne und Nr. 14, poco adagio, besonders zierlich:13
Die hübschen Andante von 7 und 8 sind fast durchaus zweistimmig (beide Violinen zusammen, Viola und Baß in Octaven). Ein schönes, sehr gesangvolles und viel an Mozart erinnerndes Andantino hat Nr. 9; die Melodie bringen zuerst beide Violinen, begleitet von Viola und Baß; später treten die Oboen und erst gegen Schluß des zweiten Theils die Hörner hinzu. Im Autograph sind im 1. und analog im 2. Theil 3 Takte ausgestrichen und die Bemerkung hinzugefügt: »Dieses war vor gar zu gelehrte Ohren«. Nr. 10, im Charakter der Serenade, ist noch gesättigt durch Flöte, Oboen und Hörner; beim 2. Theil arpeggirt die Flöte in 32teln; die Figur, vom Baß übernommen, kehrt dann zur Oberstimme zurück, der Schluß ist sanft ausklingend. In 23, Adagio ma semplicemente, wird das Thema variirt und mag etwa dessen abgemessener Gang
der Symphonie ihren Beinamen »Der Schulmeister« veranlaßt haben. Eine milde Stimmung spricht sich im Andante von Nr. 28 aus. – Menuett und Trio bleiben sich in diesen Nummern ziemlich gleich; Nr. 8, 9, 23, 28 sind nur für Blasinstrumente (2 Ob., 2 Hörner, 1 Fag.). Men. und Trio von 8 hat Haydn auch für Streichinstrumente nebst Oboen und Hörner arrangirt. In 23 bildet im Trio das Violoncell einen obligaten Baß in laufenden Achtelnoten. – Die letzten Sätze bieten noch wenig bemerkenswerthes. Gleich einem früheren Allegro14 hat das Allegro molto in Nr. 7 ein aus großen Intervallsprüngen gebildetes Thema:
[262] Nr. 8 ist fugirt; Nr. 10, ein kurzes Presto 2/4 und meistens aus Triolen bestehend, ist voll Leben, etwa im Charakter einer Buffoscene.
In die zweite Gruppe mit einzelnen beachtenswerthen Sätzen reihen wir 8 Nummern aus den Jahren 1772–79 ein.15 Das Adagio von Nr. 15 hat den in der Charwoche gebräuchlichen römischen Kirchengesang Lamentatio Jeremiae, nach dem die Symphonie benannt ist (fälschlich auch Weihnachts-Symphonie betitelt). Oboe I und Violine II bringen das Thema, Violine I hat dazu selbstständige Gegenmelodie; Viola und Baß bewegen sich durchaus im Einklang in 8teln. Im 2. Theil, letzte Hälfte bringen beide Oboen die Melodie. Der vollständige Gesang lautet:
Auch in Nr. 16 ist der 2. Satz bemerkenswerth; er steht im doppelten Contrapunkt der Octav, das Thema ist viermal variirt und bietet viel Abwechselung in der Bewegung. Menuett und Trio haben ebenfalls strengen Satz; sie sind al rovescio geschrieben, der erste Theil bildet also, rückwärts gespielt, den zweiten Theil (im Autograph, in dem in allen Theilen die verschiedenen Vortragszeichen, Bindungen und kurze Noten, p. und f. sehr genau angegeben sind, ist natürlich auch nur der Vordertheil beider Nummern geschrieben). Das ziemlich lang ausgeführte Finale,Presto assai, bewegt sich nur in der größeren Notengattung, selbst die Brevis () kommt im Original vor. – Von wesentlichem Einfluß ist in Nr. 17 die Molltonart; erster und letzter Satz drücken Energie aus und selbst der Menuett nimmt es ernster. Nr. 19, eine ungedruckte, aber im Original erhaltene Symphonie hat in den Außensätzen einen frischen Zug; im 2. Satz, [263] Andante moderato, ist von den Bläsern nur die Oboe beibehalten; das Thema bringen Violoncell obl. und 1. Violine:
Im 2. Satz von Nr. 22, Adagio, F. 2/4 haben 1. Violine und Fagott ein melodiöses Thema; erstere ist außerdem auch reich figurirt; das gedämpfte Streichquartett wird von Oboen, Hörnern und Fagott unterstützt. Das Finale, Prestissimo, sprüht von Leben und erinnert im ganzen Wesen lebhaft an den letzten Satz einer Mozart'schen Symphonie (Köchel Kat. Nr. 338). Nr. 25 hat einen besonders frischen ersten Satz; der 2. Satz, Andante più tosto allegretto, ist im Romanzenton:
Im Finale, Allegro assai, beginnen die Hörner gleich einem Signalruf, dem die Oboen antworten. War die Symphonie ein Theil der Musik, die Haydn für die Wahr'sche Truppe in Esterház zu dem auch im Burgtheater 1774 aufgeführten Schauspiel »die Feuersbrunst« schrieb (vergl. S. 12), so mag sich ihre Bezeichnung »Feuer-Symphonie« daher datiren: In Nr. 30 hat der 2. Satz, Adagio, eine wohlige, reich mit Holz- und Blasinstrumenten getränkte Melodie; das Finale ist ein im Charakter der Tarantelle feurig dahin stürmendes Prestissimo. In Nr. 37 zeichnet sich das Finale, Presto 2/4 durch Lebhaftigkeit aus; gegen Schluß begegnet man dem von Haydn mit so viel Vorliebe gepflegten neckischen Motivenspiel.
In die dritte Gruppe, der in ihrer Totalität interessanten oder bedeutenderen Symphonien, nehmen wir 14 Nummern auf,16 die sich auf die Jahre 1772–81 vertheilen. Nr. 11, die bekannte Abschieds-Symphonie wurde schon besprochen (S. 51); sie ist ebenso interessant durch die ihr zu Grunde liegende Idee als auch durch den Reichthum an Gedanken, durch ihre sichere Factur und den einheitlichen, alle Sätze verbindenden Charakter. In Nr. 1317[264] ist wiederum die Molltonart von günstigem Einflusse; der 1. Satz tritt entschieden und kräftig auf; der 2. Satz, Adagio E-dur 2/4, mit gedämpften Quartett, zu dem dann die Flöte tritt (Oboen und Hörner nur wenig benutzt) ist ein lieblicher, rührender Gesang voll Wohllaut. Ein Umstand ist hier auffallend: während der erste Theil drei wohlgeordnete Perioden zählt, besteht der zweite gewissermaßen nur aus einer einzigen von 42 Takten und ist dennoch durch geschickt vertheilte Halbcadenzen klar und faßlich. Dieser Satz wurde im Sept. 1809 in Berlin bei der Todtenfeier für Haydn aufgeführt. Gegen den strammen Kanon in der Octav(Canone in diapason) hebt sich das Trio weich und schlicht ab. Das Finale, Presto, hat kernigen Zug; die Spielweise des Themas findet man gedruckt und geschrieben verschieden angegeben. Die richtige ist:
Die schon S. 63 erwähnte sogenannte »Maria-Theresia-Symphonie« Nr. 18, hat in den Außensätzen festlichen Zug. Dem etwas breit angelegten zweiten Satz folgt der kräftige Menuett, in dem unerwartet genug eine Art Fanfare auftritt; das Trio versucht es für diesmal mit gravitätischem Ernst. In Nr. 2018 wechseln ausnahmsweise die beiden ersten Sätze die Rollen; der erste hat ein vollständiges Adagio, ausdrucksvoll und zu sanfter Schwermuth hinneigend. Der 2. Satz in gleicher Tonart und feurigem Zeitmaß,Allegro di molto, ist auffallend erregt, das vornehme Thema mit halben Noten in weit ausgegriffenen Intervallen von beiden Violinen gebracht, denen Violen und Bässe und beide Oboen in 8tel Bewegung im Einklang und der Octav entgegengetreten. Selbst der Menuett schreitet gemessen einher. Das Finale, Presto F-moll, nimmt den erregten Ton des zweiten Satzes wieder auf und steigert ihn bis zur Leidenschaft. Der Sage nach schrieb Haydn die Symphonie zu einer Zeit, da ihm ein Trauerfall besonders nahe ging. In Nr. 26 kündigt schon der erste Satz mit seinem aus dem Dreiklang gebildeten Motiv gesundes Leben an; so halten auch die anderen Motive und der ganze breite Durchführungssatz den angeschlagenen Ton fest. Das[265] Andante hat wieder ein schönes im Volksliederton gehaltenes fünfmal variirtes Thema:
Der Menuett hat nach einem unerwarteten Trugschluß einen langen Orgelpunkt auf der Dominant, über der sich die Stimmen in chromatischen Verschlingungen ausbreiten. Das Finale, Capriccio moderato, ist reich an harmonischen Wendungen. Im Mittelsatz, D-moll, sind zum Theil Streichquartett und Bläser in Gruppen gegenübergestellt; die Wiederholung in Dur führt zu brillantem Schlusse. – Der erste Satz von Nr. 27 hat wieder Mozart'sche Anklänge; der zweite Satz, Adagio,19 hat ein eigenthümlich interessantes variirtes Thema, dessen erstes Motiv (der erste Takt, pizzicato) gleich dem Refrain einer Ballade nach jeder Variation wiederkehrt.
Der letzte Satz, Prestissimo, ist meistens auf Triolen gebaut und brillant bis zum Schluß. Nr. 29 ist die, Seite 76 erwähnte Symphonie. Zu einem Lustspiel (»Der Zerstreute«) geschrieben, dürften die einzelnen Sätze auf die Vorgänge auf der Bühne Bezug haben. Absonderlich ist der letzte Satz: er beginnt in Moll, geht dann nach Dur über und folgt ein Adagio F 2/4, in dem plötzlich alle Instrumente durch fünf Takte einen Signalruf anheben. Weiterhin folgt ein Allegro von 4 Takten und endlich ein Prestissimo C-dur, mit dem ein Schelmenspiel beginnt. Nach 16 Takten folgen zwei Takte Generalpausen, dann erklingen von beiden Violinen ganz allein durch 2 Takte die leeren Saiten e, a, abermals nach 2 Takten die Saiten a, d und gleich darauf, durch 4 Takte gehalten, die Saitend, f (die g-Saite nach f herabgestimmt); dann erst folgen durch 3 Takte die leeren Saiten d, g und bewegt sich dann alles dem Schlusse zu. – Der erste Satz von Nr. 31, kurz und frisch, bildet die[266] Einleitung zu Haydn's Oper »Il mondo della luna«. Das variirte Allegretto hat zum Thema die französische Romanze »Roxelane«, die der Symphonie den Namen gab.20 Das lebhafte Finale bietet interessante Harmoniefolgen. Die Symphonie war seinerzeit besonders beliebt. – Eine nicht große aber hübsche Symphonie haben wir in Nr. 33. Dem ersten seinen Satz folgt ein Largo von dramatischer Eigenheit und besonders im letzten Theil so interessant, daß es zur Vermuthung drängt, Haydn habe hier ein poetischer Grundgedanke vorgeschwebt. Das Finale, Presto, ist voll hübscher Wendungen; gegen Schluß erscheint noch eine verlängerte Phrase auf dem Septimenaccord. – In 35 stehen die Sätze so ziemlich auf gleicher Höhe. Wiederum scheint die Kapelle in Esterház über Gebühr zurückgehalten worden zu sein, worüber sich ein Primgeiger auf seiner Auflagstimme mit den Worten Luft macht: »Bettet für die Gefangenen«. – Nr. 38 bringt uns eine größere Symphonie mit besonderen Eigenthümlichkeiten. Der erste Satz hat interessante Harmoniefolgen, doch warten wir vergebens auf eine dem jagdlustigen Hauptmotiv entsprechende reiche Verwendung der Hörner. Das Adagio, in größerem Stil, die Streichinstrumente mit Sordinen, bewegt sich im Balladen- oder Romanzenton; namentlich der 2. Theil ist bemerkenswerth wegen der Violinführung. Kurz vor dem Schlusse werden wir durch einen bei Haydn unerhörten Fall überrascht: die Streichinstrumente haben insgesammt mit umgekehrtem Bogen zu spielen(col legno dell' arco). Auch das Trio vom Menuett hat seine Eigenart: nur die beiden Violinen sind beschäftigt und hat die erste Violine ihr Solo nur auf der e-Saite in hoher Lage, während die zweite Violine eine dudelsackartige Begleitung auf den tieferen Saiten d, f ausführt (die g-Saite auch hier nach f herabgestimmt).
[267] Das hübsche und lebhafte Finale, Allegro molto, in dem die Violinen das Hauptthema in weitausspannendem Bogen bringen, hat eine zart gehaltene und in beiden Theilen vor dem Schlusse eine, wie man glauben möchte, zur Zeit beliebt gewesene populäre kerngesunde Melodie, wie eine derartige schon früher21 vorkam und auch in einem Mozart'schen Clavierconcert (Köchel Nr. 216) zu finden ist. Die Melodie wird zuerst von der ersten Violine gebracht; dann treten auch Oboen und Fagotte hinzu.
Die festliche Stimmung des ersten Satzes von Nr. 39 scheint Haydn oder den Verleger Artaria später bewogen zu haben, die Symphonie (wie Seite 198 erwähnt) nach dem gefeierten Helden Loudon zu taufen. Sie mag auch ursprünglich für ein Fest bestimmt gewesen sein, etwa zur Vermählung des Grafen Forgács mit der Gräfin Ottilie Grassalkovics, die 1779 in Esterház stattfand, über die aber nur soviel vorliegt, daß bei dieser Gelegenheit die Oper L'amore soldato von Sacchini zur Aufführung kam.22 Der erste Satz ist reich an Motiven und überraschenden Wendungen und ziemlich ausgedehnt. Zweiter und dritter Satz stimmen wenig zum Charakter des Vordersatzes. Das jetzige Finale, Presto 2/4, scheint Haydn später an Stelle des auf Triolen gebauten Satzes hinzugefügt zu haben. – Zu dem schon fertigen letzten Satz von Nr. 40,23 der den 3. Akt der Oper »La fedeltà[268] premiata« einleitet (S. 191), hat Haydn die vorderen Sätze nachcomponirt. Der erste Satz enthält hübsche Einzelheiten. Das Andante hat ein echt volksliedartiges Thema, das durch den ganzen Satz durchklingt:
Der frische Menuett hat im Trio ein Fagottsolo. Beim Finale, das der Symphonie den Namen gab (La chasse), sind wir endlich im Jagdrevier; die Hörner leben auf, werden von Oboen unterstützt und die Motive wandern von Instrument zu Instrument. Von kräftiger Wirkung ist vor dem Wiederbeginn des Anfangs der vereinigte Anlauf der Instrumente. Gegen Ende nach dem letzten Halt bringen Oboen und Hörner noch einmal ihr Hauptmotiv und letztere treten dann gegen alle Jagdregel gänzlich ab; statt kräftigem Schluß werden nun auch die anderen Instrumente kleinlaut und verhallen mehr und mehr in der Ferne. Auch die Jagd-Symphonie war seinerzeit sehr beliebt und wurde rasch auswärts bekannt, so in Paris, London und selbst in Neapel.24 – In Nr. 41 zeichnen sich die beiden Außensätze durch Frische aus; das Adagio hat ein hübsches viermal variirtes Thema; das Finale,Vivace, bringt echt Haydn'sche Züge und hat knapp vor dem Schlusse (wie bei Nr. 38) eine populäre Melodie:
In die vierte Gruppe (im Allgemeinen hervorragende Symphonien) sind 6 Nummern25 aus den Jahren 1774–81 einzureihen. Der erste Satz von 21 ist frisch, breit angelegt und hat im zweiten Theil eine tüchtige Durchführung. Der 2. Satz, [269] Adagio assai, ist reizend, voll seiner Züge; dem gedämpften Streichquartett sind Oboen und Hörner beigegeben – es ist der bis dahin (bis 21) schönste 2. Satz.
Im Menuett-Trio gesellt sich den Streichern nur Fagott hinzu, der mit der 1. Violine eine sehr hübsche Melodie ausführt. Das Finale hat den gesunden Zug des ersten Satzes. – Der erste Satz von Nr. 3226 spricht freudige Stimmung aus. Das sehr zart gehaltene Andante, D-dur 6/8, mit Sordinen, erinnert in der Anlage lebhaft an Mozart's Briefduett in »Figaro's Hochzeit«. Der letzte Satz ist voll seiner Einzelheiten. – In Nr. 3427 liegt uns eine seine und reizende Symphonie vor. Das auch hier überaus zarte Andante
versetzt uns gleich dem neckischen Menuett und Trio gradezu in einen Hain, in dem uns von allen Zweigen der lebensfrohe Ruf seiner gefiederten Bewohner bewillkommt. Dem entsprechend athmet auch das Finale, Presto 12/8, idyllischen Charakter. – Eine vorzugsweise contrapunktische Arbeit bietet Nr. 36, mit Trompeten und Pauken verstärkt (letztere von Haydn selbst erst später hinzugefügt). Das ernst gemessene Andante, D-moll 3/4, ein sein gearbeiteter, interessanter Satz, ist im doppelten Contrapunkt der Octav geschrieben; das erste Motiv des mehrfach variirten Themas erinnert an einen bekannten Kanon (»Bruder Martin«). Trotz der Dur-Tonart des ersten Satzes bewegt sich das Finale in Moll und geht erst gegen Schluß in Dur über. Wir haben hier 3 Themen im doppelten Contrapunkt der Octav (à tre soggetti[270] in contrapunto doppio in ottava). Wie im Scherz hingeworfen neckt die Violine mit einem an sich nichtssagenden Motiv, aber erst im 27. Takt beginnt der Kampf, der aber durchaus nicht in trockener Weise durchgeführt wird; wie der Satz begonnen, erfolgt auch der höchst humoristische Abschluß mit demselben Motiv. – Nr. 42 läßt eine ursprünglich andere Zusammenstellung der Sätze vermuthen. Nach dem kräftigen ersten Satz, der als Ouverture einer Oper diente28 folgt als zweiter Satz jener in Nr. 32 (hier als Allegretto); auch das Finale ist von dorther entnommen; nur Menuett und Trio sind neu. – In Nr. 43 haben wir wieder eine größere Symphonie, zu der Haydn erst später Trompeten und Pauken hinzusetzte. Der 2. Satz, Poco Adagio, hat ein fast feierliches Thema
das in seiner Art an ein späteres in Nr. 57 erinnert. Es ist hier viermal in interessanter Weise variirt)einmal mit Violoncellsolo) und zum Schlusse gleitet die Melodie ruhig über der sanft wogenden Begleitung dahin. Haydn führte die Symphonie in London auf und erwähnt bei diesem zweiten Satz in seinem Tagebuch eines Geistlichen, der bei Anhörung desselben »in die tiefste Melancolie versunk, weil ihm Nachts zuvor von diesem Andante träumte, und es ihm den Tod ankündige. Er verließ augenblicklich die Gesellschaft und legte sich zu Bett«. – »Heute den 25. April« (1791), ergänzt Haydn, »erfuhr ich durch Herrn Barthelemon (einen englischen Componisten und Violinspieler), daß dieser evangelische Geistliche gestorben sei«.29 Der energische Menuett sammt dem freundlichen Trio, in dem die Flöte mit der Primgeigeunisono die Melodie bringen, führt wieder die alte Stimmung herbei und so folgt noch im Finale, Vivace, ein echt Haydn'scher Satz voll Witz und Laune. Schon das von den Violinen gebrachte schwungvolle Thema
[271] verspricht reges Leben. Die volle Lust geht auch in den Mittelsatz in Moll über, in dem Fagott, Viola und Baß mit ihrem polternden Thema sich der kräftig auftretenden Violine sammt Gefolge entgegenstemmen. Beim Wiederbeginn in Dur werden nun alle Motive kunstvoll verarbeitet; umsonst versuchen zwei energische Schläge Halt zu gebieten, die erste Violine leitet in großem Bogen wieder in den Anfang ein und alles eilt nun einem fröhlichen Schlusse zu.
Die zweite kleinere Abtheilung umfaßt die Nummern 45 bis 63, welche der 3., 4. und 5. Gruppe angehören. In die 3. Gruppe, der in ihrer Totalität bedeutenderen Symphonien, reihen wir ein die Nummern 45–51 (1782–84); in die 4. Gruppe, die besonders hervorragenderen, die Nummern 52, 53, 59 (1786–87) und in die 5. und letzte Gruppe, die reifsten und vorzüglichsten, die Nummern 54, 58, 60, 61, 63 (1786–90).30
Die Symphonie Nr. 45 hat im kernigen ersten Satze eine höchst humoristische Stelle, freies Anschlagen von Quinten, im 1. Theil durch die Violinen, im 2. Theil in erweitertem Maße auch von den anderen Instrumenten. Der 2. Satz behält die volle Harmonie bei; sein hübsches Thema deutet unmittelbar auf Mozart hin.
Wir haben nun in 2 Serien die Nummern 46–51, in denen die Besetzung unverändert bleibt; Trompeten und Pauken wurden auch hier erst später von Haydn zugefügt. Auch jetzt finden wir öfters sehr überraschende Anklänge an Mozart und selbst aus dessen letzten Werken, sowie anderseits sich häufig auch dessen Einfluß auf Haydn bemerkbar macht. Besonders die ersten Sätze haben nun mehr oder minder einen erhöhten Werth. Nr. 46 zeigt ein wahres Schwelgen in thematischer Verarbeitung; 47 ist durch seine Wendungen gehoben; 4831 ist von ernster, vornehmer Haltung; in 49 herrscht fast leidenschaftlicher Ton, der aber bald einer versöhnenden Stimmung weicht; in 50 ist ein Zusammentreffen[272] mit Mozart unverkennbar. Im Ganzen aber steht dieser sowie der erste Satz von 51 gegen die früheren etwas zurück.
Die zweiten Sätze haben durchweg hübsche und meistens liebliche Themas und auch sie erinnern zuweilen an Mozart, so in der 2. Serie (49–51). Nr. 47 und 51 sind variirt; über dem Andante sostenuto von 47 lagert es wie milde Ruhe. Das Thema von 46,Adagio ma non troppo, ist besonders reizend:
Nr. 49 ist breit angelegt und athmet sanfte Melancholie; Mozart's Geist spricht aus diesen Tönen, mehr aber noch mahnt Nr. 50 an den 2. Satz von Mozart's bekannter, 1788 componirter Es-dur Symphonie (Köchel 543); der Satz dürfte übrigens. mit Sordinen gespielt, nur gewinnen. Der Hauptsatz leitet unnachahmlich schön über zu dem bewegteren Tempo.
Menuett und Trio haben wohl die schon längst ausgebildete Haydn'sche Art, bieten aber gerade hier in beiden Serien nichts hervorragendes.
Von den letzten Sätzen sind die ersten 4 Nummern die bedeutenderen; namentlich ist Nr. 46 reich an neckischen Einfällen und unerwarteten Harmoniefolgen und hat fast den Charakter einer Buffo-Opernscene. Nr. 48 ist reich in der Durchführung und von ernster Stimmung. Nr. 49, Presto, beruht auf durchaus humoristischer Verwendung der Syncope – ein wahrer Prüfstein für schwankende Orchester. Das Thema lautet:
Es folgen nun die 6 Pariser Symphonien, 52–57. Man hat hier nicht zu vergessen, daß Haydn hier ganz besonders sich ein fremdes Orchester und den Geschmack eines ihm ebenso fremden Publikums vergegenwärtigen mußte und daß ihm wohl auch Andeutungen bezüglich der Besetzung, der Leistungsfähigkeit der Solospieler und Wünsche in Betreff einzelner Sätze[273] mögen vorgelegen haben. Es ist leicht begreiflich, daß er sich mit ganz besonderem Eifer dieser Aufgabe hingab; schon der Ehrgeiz mußte ihn anspornen, den Erwartungen einer Gesellschaft, die bereits von seinen früheren Werken entzückt war, in erhöhtem Maße gerecht zu werden.
Betrachten wir wieder die ersten Sätze in ihrer Reihenfolge, so zeigen sie alle eine reichere und gewähltere Durchführung und größere Mannigfaltigkeit; eine Ausnahme bildet allenfalls der Satz von 52,32 den bereits sein Alter drückt. Um so besser steht es mit 53, dem ein kräftiger, männlich ernster Zug wohl ansteht; nicht minder interessant ist Nr. 5433 mit seinen schönen Mittelsätzen und Wendungen. Nr. 5534 ist markig, voll Leben und Schwung, trotzdem ihm ein eigentliches Seitenthema fehlt. Überraschungen giebt es auch hier, so beim Beginn des zweiten Theils; dann den an die »Zauberflöte« mahnenden Baßgang der Priester:
Nr. 5635 und 57 sind interessant, labend wie ein frischer Trunk.
Die zweiten Sätze überbieten sich an Schönheit und Gehalt. Wir finden hier wahre Schmucksachen, aufs feinste ausgefeilt, reich in Erfindung und mannigfaltig in der Form. Wie kindlich liebkosend und einschmeichelnd giebt sich gleich das erste im Volkston gehaltene Allegretto in Nr. 52. Die Anfangstakte genügen um an den wahrhaft reizenden, die volle Unschuld athmenden Satz zu erinnern.
Wie reich an Wechsel sind nicht die Variationen, auf alle Instrumente Bedacht nehmend; immer gesättigter wird der Satz,[274] immer reicher tritt die Harmonie hinzu, bis endlich das Thema, von allen Instrumenten getragen, sanft austönt. Sehr sinnig ist der Anfang des weichen Themas in 54 dem einleitenden Largo des ersten Satzes nachgebildet. Eine der sein gearbeiteten Variationen ist von kräftiger Wirkung durch den markirten Zusammengang der Bässe und Fagotte gegenüber den Flöten, Oboen und der ersten Violine, welche das Thema bringen; im 2. Theil tauschen die Instrumente die Rollen. Nr. 55 bringt reizende Variationen über eine allerliebste französische Romanze. Eine der Variationen, Es-moll, ist nur für das Streichquartett; in der nächsten flattert die Flöte gleich Vogelflug über dem Thema. Zur Zeit da Haydn diesen Satz componirte, hatte er gerade die Concerte für die Leier in Arbeit und scheint ihm das Thema selbst gefallen zu haben, denn er schrieb einen der Sätze in auffallend ähnlichem Charakter dieser Romanze und benutzte später das Stück, mit Coda versehen, zu seiner Londoner Militär-Symphonie. Die bei Haydn nur wenig abweichende Romanze lautet:
Einen grellen Abstand bietet das Capriccio, Largo, in Nr. 56, das ungewöhnlich ernst und gemessen ist. Das Adagio in 57, dessen feierliches Thema:
im Charakter jenem in 43 gleicht, ist für concertirende Soloinstrumente, Flöte, Oboe, Fagott und erste Violine geschrieben; die harmonisch hübsche Coda schließt den Satz würdig ab.
Im Menuett und Trio ist Haydn unerschöpflich in Erfindung und originellen Einfällen; die zarter gehaltenen Trios fesseln durch immer neuen Reiz und sind mitunter sehr ausgeführt. Häufig bringen erste Violine, Fagott oder Flöte die Melodie in Octaven oder hat die erste Oboe ein Solo im Ländlerton, wie in 55 und 57; reizend und allerliebst ist in 55 im 2. Theil die Rückkehr zur Melodie.
Ganz besonders zeigt sich Haydn's Kraft und Genialität in den letzten Sätzen. Das Finale, Vivace assai, in 52 beginnt mit dem wohlbekannten Bärenbaß, der der Symphonie den Namen gab (L'Ours). Über demselben bringt zuerst die Primgeige ein leicht geschürztes Thema:
dem sich die Oboe mit einem zweiten anschließt; es folgt dann noch ein drittes Thema. Das erste Baß-Motiv hat sich unterdessen auch bei den anderen Instrumenten eingestellt und es währt nun bis zum Schlusse ein lebenslustiges Treiben. – In Nr. 53 ist das Finale, Vivace, der bedeutendste Satz, alles zeigt Leben[276] und Kraft. Das jagdmäßige Thema in dem bei Haydn seltenen Zeitmaß:
wird interessant durchgeführt, die Motive werden gegeneinander gestellt, auf- und abwärts geführt und so geht alles einem fröhlichen Ende zu. Wie die Symphonie zu der Bezeichnung La Poule gekommen, ist nicht nachzuweisen. – Auch das Finale von Nr. 54 zählt zu den besten, hat genialen Flug und ist reich an thematischer Verarbeitung. Wiederum deutet Haydn prophetisch auf ein noch ungebornes Werk Mozart's hin, diesmal auf die Ouverture der »Zauberflöte«37
Das Finale von Nr. 55, ein ausgesprochenes Rondo, ist voll kecker Züge, ein wahres Fangballspiel mit Motiven und ihren Theilchen und überraschenden Accorden; besonders neckisch ist die Rückkehr ins Thema. Der ganze Satz ist hochbedeutend wie die ganze Symphonie. Die etwa mögliche Veranlassung der Benennung La Reine wurde schon S. 223 angedeutet38. Die Finales von Nr. 56 u. 57 gleichen den ersten Sätzen in Frische und sprudelnder Laune, in ungezwungener Anlage und Ausführung.
Es erübrigt noch der letzten fünf einzeln erschienenen Symphonien zu gedenken, von denen Haydn 2 oder 3 an Sieber in Paris verkaufte. Haydn hat mit ihnen (Nr. 59 ausgenommen) selbst die besten der vorhergehenden nicht nur erreicht, sondern[277] theilweise selbst überflügelt. Sie sind sogar, was Ursprünglichkeit betrifft, einigen der Londoner Symphonien vorzuziehen. Bei einer heutigen Ausführung vertragen sie auch, was man nur bei wenigen der früheren ohne Schädigung wagen darf, die uns schon geläufige stärkere Besetzung der Streichinstrumente. Der gewaltige Umschwung, namentlich in Beherrschung des Orchesters, Behandlung der Blasinstrumente zeigt sich sogleich bei Nr. 58. Das neckische Hauptthema, das unwillkürlich an Beethoven's letzten Satz seiner 8. Symphonie erinnert, wird glänzend durchgeführt, sowie überhaupt der ganze, von Frische trotzende erste Satz in Anlage und Durchführung als Muster seiner Art dasteht. Der zweite Satz, Largo, hat eine feierliche, auf breite Ausführung berechnete Melodie, die ungemein gehoben wird durch die intensive Klangwirkung der zusammengehenden Instrumente und sich durch den ganzen Satz gleich einem Opfergesang mit immer neuen Veränderungen der Begleitung wiederholt.
Mit dem kräftigen Menuett und seinem reizenden Trio lockt uns Haydn mit magischer Gewalt auf den ländlichen Tanzboden unter grünem Laubdach. Oboe und Violine stimmen den echten, gemüthlichen Ländlerton an und die Flöte gesellt sich ihnen zu, während Violen und Fagotte unverdrossen ihre Quint festhalten und das Cello sich auf und niederwiegt;
namentlich im 2. Theil ist der Wechsel von crescendo und decrescendo von prächtiger Wirkung. Trotz so vielem Vortrefflichen ist man dennoch versucht, das Finale, Allegro con spirito, als die Krone der Symphonie zu bezeichnen. Das von der Primgeige und in drolliger Weise in Gemeinschaft mit dem ehrsamen Fagott gebrachte lebensfrohe Thema:[278]
führt uns in Rondoform in raschem Flug mitten hinein in ein Leben voll toller Lust; die Motive fliegen auf und nieder, trennen sich und dehnen sich aus; nun vereinigen sich Fagott, Violoncell und Baß und fassen nach Durchlaufen von fast zwei Octaven abwärts in fremder Gegend Posto, aus der ihnen die Violinen, einander neckend, heraushelfen und wieder zum Thema führen. Der alte Tanz beginnt aufs neue und nach einer General-Haltpause erfolgt dann gleich einem Sturzbad der gemeinsame Wettlauf bis zum Schlusse. – Bei der nächstfolgenden viel kürzer gehaltenen Symphonie Nr. 5939 scheint es Haydn etwas eilig gehabt zu haben. Er benutzte zum 2. und 4. Satz das erste der Leier-Concerte, die er kurz zuvor geschrieben und fügte nur die fehlenden 2 Sätze hinzu. Der erste Satz hat die gewöhnliche Factur; der zweite und beste Satz dieser Symphonie, Andante con moto, ist im ruhig dahingleitenden Romanzenton gehalten
und hat zur nöthigen Schattirung einen kräftigen Mittelsatz in C-moll und ist überhaupt auch reicher ausgestattet. Dem unerheblichen Menuett folgt ein lebhaftes aber auffallend flaches Rondo, das nicht entfernt an seine Vorgänger hinanreicht. – Eine reiche Entschädigung bietet Nr. 60.40 Dem frischen ersten Satze reiht sich ein reizendes Andante mit echt Haydn'schem Thema an
von Primgeige und Fagott in Octaven gebracht und viermal sehr dankbar für die Soloinstrumente variirt. Von wohlthuendem[279] Eindruck ist in der Coda nach der Ausweichung nach Des der Wiedereintritt der Haupttonart; dann bringen noch die Bläser, einer um den anderen, das erste Motiv gleich einem Abschiedsgruß. Mit besonderem Fleiß ist der erweiterte Menuett gearbeitet, in dem die Bläser in Gruppen auftreten; gegen die dichte Besetzung des Menuett ist das Trio ganz leicht instrumentirt. Der letzte Satz, Allegro assai, reiht sich den vorzüglichsten an. Das leicht geschürzte Thema:
giebt das Signal zu ausgelassener Fröhlichkeit; der Humor schwingt das Scepter und jedes Instrument wird in den Taumel mit fortgerissen. Frappant ist die Stelle, wo nach C-dur, durch 4 Generalpausen getrennt, das Thema in Des eintritt, als habe Haydn selbst vor seiner Kühnheit zurückgeschreckt. Von da ab gährt es in allen Motiven, die Sechszehntel rollen und alles treibt siegeslustig dem Schlusse zu. – Die sogenannte Oxford-Symphonie Nr. 61 reiht sich der vorhergehenden würdig an. Als Haydn nach der bekannten Universität kam, um persönlich die Doctorwürde entgegen zu nehmen, brachte er auch eine neue Symphonie mit, um sie in den Festconcerten aufzuführen, da aber durch sein verspätetes Eintreffen keine Zeit zum Einstudieren übrig blieb, wählte er unter den vorhandenen unsere, seitdem nach dem Namen der Musenstadt benannte Symphonie, zu der er später Trompeten und Pauken hinzucomponirte.41 Der erste und umfangreichste Satz zeigt wo möglich abermals eine Steigerung in Haydn's Schaffen; er zeigt so recht, was thematische Arbeit vermag. Die Spielweise betreffend ist zu beachten, daß die Achtel im ersten Motiv des Allegro spiritoso jederzeit im Verlauf des Satzes leicht gestoßen werden müssen (siehe themat. Verz.). Das Thema ist sehr fleißig ausgenutzt, was beim zweiten, das lebhaft an eine Stelle in Rossini's »Barbier von Sevilla« erinnert, durchaus nicht der Fall ist.42 Der 2. Satz, Adagio cantabile
[280] hat ein blühendes Colorit durch hervorragende Benutzung der Blasinstrumente, die hier mehrmals auch selbstständige Gruppen bilden. Eine Stelle (8 Takte vorm Schluß) bedarf der Berichtigung: wie sie steht, bildet sie eine Reihe von Quartsext-Accorden, die doch wohl als Sextaccorde gedacht sein mögen und leicht dahin zu ändern sind. Die Stelle lautet:
Das schöne Thema wird in sorgfältig gewählter Weise variirt und kräftige Stellen sorgen für die nöthigen Schlagschatten; der Schluß aber mit seinem äußerst zarten Gewinde hat einen leichten Anflug von Melancholie. Der Menuett bleibt seinem herkömmlichen Charakter treu und bietet einen anregenden Wechsel der Instrumente. Im Trio sind die Bläser abermals gruppenweise verwendet. Die Syncope ist hier vorherrschend.
Das Finale, Presto 2/4, ist einer der längsten (342 Takte) und trefflichsten Sätze. Drei Themen treten auf und werden namentlich im 2. Theil, auf- und absteigend, von den verschiedenen Instrumenten übernommen. Von humoristischer Wirkung sind die wiederholt eintretenden Generalpausen; die Bläser greifen auch hier sehr wirksam ein.
Es folgt nun als letzte Symphonie dieser Periode Nr. 63,43 jene Symphonie, um deren Zusendung Haydn von London aus so oft und so dringend seine verehrte Freundin v. Genzinger ersucht[281] und dabei erwähnt, daß er »vieles davon für die Engländer abändern müsse«,44 worunter er wohl eine reichere und kräftigere Vertheilung von Licht und Schatten verstanden haben mochte. Der erste Satz ist einer der interessantesten, namentlich durch die meisterhafte und mannigfaltige thematische Arbeit. Höchst sinnreich ist das nur zweistimmige Hauptthema gebildet, indem die zweite Periode desselben (die zwei Ausgangstakte abgerechnet) nur aus der Umstellung der Ober- und Unterstimmen besteht.
An Beethoven mahnt die stufenweise (Des, Es, Fm.) Wiederholung des Takt 68 auftretenden Motivs. Das Andante bringt uns wieder eine jener reizenden populären Melodien, in denen Haydn unnachahmlich dasteht. Es ist als hörten wir bei diesen Tönen die liebe Großmutter ihren Enkeln ein Mährchen aus alter Zeit erzählen.
Das Thema wird in immer gesteigertem Ausdruck viermal variirt; namentlich macht die Phalanx von Trillern eine prächtige Wirkung. Die Trillerkette erscheint dann nochmals vorm Schlusse gleich einem Siegessang, worauf dann plötzlich beim Ausgang über leisem Wellenschlag der Begleitung ein Motiv der ersten[282] Arie aus den »Jahreszeiten« gleich einem freundlich blinkenden Stern uns zuwinkt. Menuett und Trio, letzteres mit Fagottsolo und Primgeige in Octaven, stehen den so trefflichen Vordersätzen wohl merklich nach, doch gleicht das von echt Haydn'schem Geiste beseelte lebensfrohe Finale alles wieder aus. So scheiden wir denn für jetzt von diesem Revier seiner Muse, bewundernd und dankerfüllt und nicht vergessend, daß er es war, der ganz besonders hier die Pfade öffnete und ebnete – eine Leuchte für seine großen Nachfolger.
Wir besitzen nur wenige eigentliche Ouverturen von Haydn und selbst diese hat er in seinem thematischen Katalog nicht apart, sondern unter seine Symphonien aufgenommen, obwohl er, wie wir gesehen (S. 195) selbst dagegen protestirte, als Artaria 6 derselben unter dem Titel »Symphonien« herausgab. (Im »Wienerblättchen« 1784, 13. Aug., sind sie von einem Copisten sogar als »Karakter-Simphonien« angekündigt.) An Stelle einer Ouverture nahm Haydn häufig einen Symphonie-Satz oder, wenn er wirklich eine Ouverture geschrieben hatte, ergänzte er sie aus andern Nummern der Oper oder schrieb die fehlenden Sätze hinzu und die Symphonie war fertig. Der Zusammenhang mit Oper oder Cantate war ein so lockerer, daß dies Verfahren nichts gewaltsames an sich hatte. Übrigens nannte man auch damals noch die Ouverture »Sinfonia«.
Nr. 1 die Ouverture zur Marionettenoper »Philemon und Bauçis« besteht aus zwei reizenden, kurzen Sätzen, die sich in ruhigem Geleise bewegen und, schon dem gegebenen kleinen Orchesterraum entsprechend, nebst 2 Oboen und Hörnern nur auf ein sehr schwach besetztes Streichquartett berechnet sein mußten. Als eigentlicher Abschluß oder Einleitung in die Handlung mag wohl ein 3. Satz gedient haben, denn beim Aufziehen des Vorhanges »herrscht ein fürchterliches Donnerwetter«.
Nr. 2. Ouverture zur italiänischen Oper Il mondo della luna ist zusammengesetzt aus einer markigen Introduction zu Act III, einem Grazioso un poco adagio als Einleitung zu Act II(»Sinfonia« bezeichnet) und einem AllegrettoG-moll 3/4, einer Arie aus demselben Act, die Haydn später Note für Note als Benedictus seiner »Mariazeller Messe« benutzte.[283]
Nr. 3–8 sind die bei Artaria erschienenen Sei Sinfonie a grand orchestra, opera XXXV. Nr. 3 (Ouverture zu L'Isola disabitata und Nr. 4 haben kurze Einleitung und gleich 5 und 7 einen langsamen Mittelsatz, bei Nr. 3 ein kurzes Allegretto, Fagott und beide Violinen zusammengehend, das den Charakter stiller Ergebung trägt; bei 4 ein hübsches Andantino mit Violoncell-Solo (mit der Primgeige zusammen), das Thema stark an Mozart mahnend; bei 5 ein längeres Andante, durchaus Flötensolo (Primgeige in der unteren Octav); bei 7 ein ebenfalls längeres Poco adagio, Solo der ersten Oboe unisono mit der ersten Geige. Die Allegro- oder Presto-Sätze sind durchaus frisch, die Schlußsätze ganz kurz und nur Wiederholungen aus den Vordersätzen. Etwas complicirter ist Nr. 6, Ouverture zur ital. Oper La vera costanza, deren Allegretto und Andante dem Anfang der Oper entnommen und nur in anderer Reihenfolge gestellt sind Nr. 8 die Ouverture zum Oratorium »Tobias« hat nach kurzer Einleitung ein Allegro ohne bemerkenswerthe Einzelheiten.
Das Presto Nr. 9 erschien allerdings als »Ouverture« in Auflagstimmen und für Clavier allein bei Hoffmeister in Wien, sucht aber vergebens den Charakter eines Symphonie-Finale zu verleugnen. Es erfordert eine besonders leichtbeschwingte Ausführung; das Thema, von dem Haydn gar nicht loskommen kann, treibt gleich einem Kobold sein neckisches Spiel. Es muß eine Stunde der glücklichsten Laune gewesen sein, der das von Lebenslust überquellende Ding sein Dasein verdankt. Man sehe nur, abgesehen von der meisterhaften Durchführung. die immer neuen und unerwarteten humoristischen Züge; so der Eintritt der Generalpausen und was nachfolgt; dann die wuchtigen Accorde bis zur Haltung; danach das Tändeln mit dem Motiv, das endlich die Violine, bereits keuchend, nur noch in gedehntem Zeitmaß (in Vierteln) bringt, worauf dann der ganze Chor der Instrumente fortissimo wie um Erbarmen flehend und zwar mit Erfolg aufbegehrt, denn der tolle Elfenspuk nimmt darauf jählings ein Ende.45[284]
Nr. 10 und 11 sind endlich wirkliche, als solche gedachte Ouverturen. Nr. 10 zur ital. Oper Orlando Paladino, ein kräftiges, aus einem einzigen Satz bestehendes Tonstück. Nr. 11 zur Oper Armida, ein zusammenhängendes Ganze, Vivace überleitend nachAllegretto mit Solo für Oboe und Violine unisono und mit Vivace, und einem Siegesruf (Oboen, Fagotte, Hörner) schließend.
Das thematische Verzeichniß zeigt uns unter der Rubrik »Divertimenti« verschiedene Werke, die noch zu ergänzen wären durch eine Anzahl Serenaden, Concertinos, Cassationen für gemischte Instrumente, größtentheils aus den Jahren 1766 bis etwa 1774. Sie sind zum Theil in Haydn's Katalog angegeben, zum Theil in Privatsammlungen erhalten oder auch verschollen. Die noch erhaltenen mehrsätzigen Stücke reihen sich nach Anlage und Werth etwa den früher erwähnten (I. S. 317 ff.) an, ohne gerade unseren Zweck zu fördern und können daher unbeschadet unserer Aufgabe übergangen werden. Die vorliegenden Nummern sind namentlich in Rücksicht ihrer Verschiedenartigkeit von Interesse.
Das Divertimento Es-dur Nr. 1 ist für Horn, Violine und Cello geschrieben und besteht aus einem dreimal variirten Thema sammt Finale. Man sieht schon aus den Anfangstakten, daß hier an den Hornisten tüchtige Anforderungen gestellt werden. Nach der Zeit zu urtheilen, in der das Stück componirt ist (1767), wird dies wohl der uns schon bekannte Thaddäus Steinmüller (I. S. 266) gewesen sein, dessen drei Söhne, später ebenfalls tüchtige Hornisten, das Ehepaar Haydn aus der Taufe hob.46
Die 6 Violinsolos (oder Sonaten) mit Begleitung einer Viola (2–7) sind mit Sorgfalt gearbeitet und von größerem Zuschnitt; die Viola ist nicht immer nur begleitend, sondern tritt auch selbstständig und häufig imitatorisch auf. Die Hauptstimme ist mit Verzierungen, Doppelgriffen u. dgl. insoweit ausgestattet, als es der Fähigkeit eines etwas vorgerückteren Spielers entspricht. Jede Nummer besteht aus der dreisätzigen Sonatenform;[285] der erste zweitheilige Satz aus einem breit angelegten Allegro oder Moderato (nur die letzte Nummer hat ein variirtes Andante); der zweite Satz aus einem gesangvollen Adagio (die erste Nummer im Charakter der Sicilienne, die fünfte etwas pathetisch); der letzte Satz aus Tempo di Menuetto, einigemal variirt. Der in diesen 6 Nummern angeschlagene Ton ist fast herb zu nennen; Haydn hatte in dieser Serie vorwiegend den Unterrichtszweck im Auge, dem sie auch vollkommen entspricht.47
Die schon früher (I. S. 254) erwähnten 6 Divertimenti für 8 concertirende Stimmen (8–13) erschienen zuerst bei Artaria als op. 31. Sie gehörten ursprünglich (wenigstens 3 davon) zu den größeren Barytonstücken und datiren zwei davon aus dem Jahre 1775. Haydn hat den Baryton hier durch Flöte ersetzt, wobei es nur geringer Veränderungen bedurfte (am häufigsten ist die Flöte eine Octave höher gesetzt). Alle Nummern sind dreisätzig, von mäßigem Umfang, aber nicht gleich in der Anlage. Nr. 2 und 3 haben als ersten Satz ein vollständiges zweitheiliges Adagio und dafür als zweiten Satz ein Allegro. Die Schlußsätze sind meistens variirt. Hervorzuheben sind aus Nr. 1 das kurze aber gemüthvolle Adagio; aus Nr. 2 und 3 der erste, aus Nr. 6 der 2. Satz von ähnlicher Stimmung. In Nr. 2 hat der letzte Satz abermals ein Thema, Allegretto, das den Volkston anschlägt und hübsch variirt ist; nach jeder Variation wird das ansprechende Thema gleich einem Rundgesang wiederholt.
In Nr. 3 folgt dem Adagio ein Allegro, das eher seinen Platz als Finale ausfüllen würde; trotzdem folgt ihm noch ein Presto, das, an sich schon matter, durch seine Stellung doppelt geschädigt ist.[286]
Die Divertimenti stellen an die Ausführenden nur sehr mäßige Anforderungen; selbst die Violinen, die hier vorzugsweise das Wort führen, bringen es zu keinem Glanz; es fehlt überhaupt an anregender thematischer und rhythmischer Erfindung und an der nöthigen Schattirung, was schon bei den einzelnen Nummern, bei der ganzen Serie aber fühlbar ermüdend wirkt.
Das Sextetto, Nr. 14, besteht aus 3 Sätzen, in denen alle Instrumente ziemlich gleich in Anspruch genommen sind; das Waldhorn hat einzelne ziemlich schwierige Stellen. Der erste Satz ist der ausgedehnteste; dem etwas matten Larghetto folgt ein kurzer Menuett und zwei ebenso kurze Trios, das erste mit Horn-, das zweite mit Fagott-Solo. Es ist beiläufig eine Gartenmusik, und eine ziemlich trockene, die uns geboten ist; es fehlt so ziemlich alles, was wir in Haydn's Musik suchen, ja selbst der Menuett sammt seinen zwei Satelliten läßt Haydn's Geist vermissen.
Ganz anders repräsentiren sich die im Jahre 1790 vom König von Neapel bestellten 7 Notturni (15–21), welche Haydn in seinen Katalog aufzunehmen vergaß. Es galt hier, demselben Stücke für sein Lieblingsinstrument, die Leier, zu liefern und mögen Haydn wohl auch hier, wie bei den früher bestellten Concerten (die wir noch kennen lernen), Muster und Andeutungen vorgelegen haben, um der Fertigkeit und dem Geschmack des Königs gerecht zu werden. Erstere scheint jedenfalls eine bescheidene gewesen zu sein, auch unterscheiden sich erste und zweite Leier kaum von einander. Selten nur wagen sie sich ohne weitere Begleitung hervor, gehen häufig in Terzen und Sexten zusammen oder folgen einander in zwangloser Imitation. Mit den übrigen Instrumenten verbinden sie sich in mannigfacher Weise. Überall zeigt sich die feine und wählerische Arbeit. Außer der Leier waren Haydn wohl auch die übrigen Instrumente vorgeschrieben und so finden wir denn unter ihnen auch die von ihm selten benutzte Klarinette. Einige dieser Notturni (wie auch der Concerte) hat Haydn in London in den Salomon-Concerten aufgeführt (die Leier durch Flöte und Oboe, die Klarinetten durch Violinen ersetzt). Obwohl Haydn diesmal schon sicherer gehen konnte, da die neue Bestellung auf die Zufriedenheit des Königs deutete, hielt er sich nach zwei Seiten hin reservirt, indem er die ernstere Stimmung sowohl als die heitere in gewissen Schranken hielt und auch der Auffassung nichts außergewöhnliches zumuthete.[287] Alles ist klar und durchsichtig und ohne tiefere Ansprüche. Obwohl Notturnen eine größere Anzahl Sätze zulassen. hat sich Haydn auch hier auf drei beschränkt, nur in Nr. 1 macht gleichsam als eine Entrata ein Marsch den Anfang. Nr. 2 und 3 haben eine kurze Einleitung in langsamem Tempo. Sind die ersten zweitheiligen Sätze durchschnittlich frisch zu nennen, bewegen sich dagegen die langsamen Mittelsätze in getragenem Gesang mit leichtem Anflug von Melancholie, den aber die Finales gründlich hinwegscheuchen – Sätze mit heiteren, leichtlebigen Motiven, die gleich den Mückenschwärmen im warmen Sonnenstrahl ihr kurzes Dasein rasch noch ausnutzen. Ein einziges Finale, Nr. 5, macht eine Ausnahme, indem es sich auf ein Fugenthema wirst und sammt seinem Gegenthema wacker durchgepeitscht wird. Nr. 2 hat wieder ein Thema, Allegro con brio, das dem Volksliede entsprungen ist:
Ein zweiter, ebenso lebensfroher und zum Schlusse noch rasch hingeworfener Gedanke:
erinnert in seiner Art an ähnliche Sätze aus Haydn's frühesten Werken48; getrennt durch fast drei Jahrzehnte spricht aus ihnen dieselbe kerngesunde Natur.
Mit seinen ersten 18 Streichquartetten hatte Haydn seinen Namen rasch im Auslande bekannt gemacht; wie wir gesehen49, erschienen sie zuerst in Paris, ebenso seine nächsten Serien von je 6 Nummern, dann aber auch in Amsterdam, Berlin, Mannheim und Wien. In diesen Quartetten schon hat Haydn die Sonatenform vollständig zu Grunde gelegt; stetig schreitet er vorwärts und immer concentrirter gestalten sich die einzelnen Sätze, immer selbstständiger bewegen sich die einzelnen Instrumente, gleichzeitig in anregenden Wechsel zu einander tretend.[288]
Haydn arbeitete hier sichtbar mit besonderer Vorliebe; er mußte es wohl selbst schon längst gefühlt haben, daß das Quartett jenes seiner Individualität am meisten entsprechende Gebiet sei, daß er hier alles vereinigen könne, was sich durch ein seltenes Talent, durch Studium, Fleiß und Erfahrung erreichen lasse. Überdies mußte er bald gewahr werden, daß die Pflege dieses Gebietes jeder musikalischen Familie zugute komme. Die Elemente lagen vor, es bedurfte nur der äußeren Anregung, um für dasselbe zu interessiren. So wurde Haydn auf diesem Wege der Schöpfer echter beglückender Hausmusik, wie anderseits seine Symphonien die Gründung und Belebung unzähliger Vereine veranlaßten.
Bei der gleichzeitigen Thätigkeit Mozart's in dieser Richtung lag es nahe, daß man schon damals häufig die Vorzüge des einen auf Kosten des anderen hervorhob, ein Verfahren, das leicht zur Einseitigkeit führt. Man wird Otto Jahn50 nur zustimmen, wenn er hier so treffend bemerkt: »Jede summarische Gegenüberstellung der beiden Meister erscheint leicht als Über- oder Unterschätzung des einen oder anderen, da nur eine im Detail angestellte Vergleichung jedem sein volles Recht widerfahren lassen und die freudige Bewunderung beider rechtfertigen kann.« Was Mozart von Haydn's Quartetten hielt und wie er ihnen nachzustreben trachtete, haben wir gesehen, und daß in so manchen Quartetten Beethoven's Haydn als Vorbild erkenntlich ist, darf wohl nicht erst nachgewiesen werden. Studiert hat er ihn gewiß fleißig; es genügt, daran zu erinnern, daß er sich, wie früher (Bd. I. S. 330) erwähnt, eines derselben (Nr. 33) eigenhändig aus den Auflagstimmen in Partitur setzte.
Haydn's Quartette haben nun größtentheils ein volles Jahrhundert überdauert. Um solche Lebenskraft recht zu verstehen, dürfen wir nur auch hier wieder jene Componisten in's Auge fassen, deren Werke längst verschollen sind und selbst das Ende des vorigen Jahrhunderts nicht einmal erlebten. Es sind deren weit über hundert, die zum Theil mit ganzen Serien genannt werden, von denen wir unter den bekannteren namhaft gemacht finden51: Leopold Hofmann, Kirmayr, Aspelmayer, Boccherini,[289] Francisconi, Karl Stamitz, Kospoth, Vanhal (42 Quartette in 7 Serien), Kammel, J.C. Bach, Ign. Fränzl, Gossec, d'Avaux, Giordani, St. George, Lolli, Cambini, Cannabich, Zimmermann, Misliweczek, d'Ordonez, Kerzelli, E.W. Wolff, Capuzzi, Manfredini, Paisible, Wenzel Pichl, Paisiello, Ant. Rosetti, Pleyel (39 Quartette), Silvère Müller, Franz Neubauer.
Den ersten 18 Quartetten Haydn's52 sind zwei einzelne, Es-dur und D-moll (Nr. 19 und 20) anzureihen53. Ersteres stammt allerdings noch aus früher Zeit und ist schon 1765 unter verschiedenen Divertimenti angezeigt. Haydn mochte wohl keine Gelegenheit gefunden haben es passend unterzubringen; daß er es nicht verloren wissen wollte, bezeugt der Umstand, daß er, wie schon erwähnt (I. S. 258), es als »ein nicht gestochenes Quartett« anführt. Über dasselbe ist das Nöthige schon früher (Bd. I. S. 343) gesagt. – Aber auch das zweite Quartett, D-moll, obwohl spät erschienen und noch heute nach Nr. 44 (unserer Reihenfolge) eingeschaltet, gehört seinem Gehalt nach zu den obigen Quartetten. Es erschien zuerst in Wien bei Hoffmeister in höchst primitiver Ausgabe und mag wohl Haydn dem Andrängen der gerade im Aufblühen begriffenen Verlagshandlung in der für ihn bequemsten Art durch ein halbvergessenes Quartett sich entledigt haben.54 Wir erkennen übrigens in demselben in der sicheren Anlage, knappen Form und Ausnutzung der Motive den ganzen Haydn in nuce. Dem thematisch hübsch gearbeiteten ersten Satz folgt ein kurzer Menuett sammt Trio, ein kleines anspruchsloses Adagio und ein ebenso kurzes Presto. Diese viersätzige Form ist fortan beibehalten, doch bildet der Menuett erst später fast regelmäßig den dritten Satz.
Die Quartette erscheinen nunmehr in Serien zu 6 Nummern.[290]
In der zunächst folgenden Serie (21–26)55 ist in den ersten und dritten Sätzen das Überwiegen der ersten Violine auffallend, die meistens stimmführend und häufig concertirend auftritt, so namentlich in den ersten Sätzen von Nr. 21, 22, 24, dann in den dritten Sätzen aller 6 Nummern, die sogar vor dem Schlusse auf der Fermate mit Triller und in 22 mit ausgeschriebener verzierter Cadenz geschmückt sind. Da alle Violinconcerte Haydn's in jene Zeit fallen, mag dies seine Vorliebe für die Primgeige begreiflich machen.56 Es ist ihr aber auch schöner Gesang zugewiesen, so in den dritten Sätzen von Nr. 21, 22 und 23, der in 22 selbst pathetischen Charakter annimmt. Zu den hübscheren Menuetts gehören jene in Nr. 21 und 22; die Trios haben, wie schon in den früheren Quartetten, meistens einen aparten Zug. Die letzten Sätze haben knappe Form und sind in der leichtbeschwingten, lebensfrischen Weise Haydn's gehalten; namentlich in 26, in dem der ganze Satz aus einem kurzen fröhlichen Wettlauf mit dem Sechszehntel-Motiv besteht; das ganze Quartett, dessen erster Satz ebenfalls voll Leben ist, scheint übrigens einer früheren Zeit anzugehören. In Nr. 22 ist das Thema mehr compact und greifen auch die einzelnen Stimmen mehr ein.
Auch in der nächsten Serie (27–32)57 ist die reiche Verwendung der ersten Violine vorherrschend; hier namentlich bewegt sie sich auch häufig in der höchsten Lage, im hohen b und c und auch an verzierten Cadenzen fehlt es nicht. Reiche concertartige Figurirung und selbst Doppelgriffe bieten die dritten Sätze in Nr. 30 (Adagio) und 32 (Largo). Besonders in dem gehaltvollen Satze von Nr. 31 (Adagio) ruht das Hauptgewicht auf der Primgeige, die hier meistens recitirend gewissermaßen eine dramatische Scene ausführt. Von den ersten Sätzen hat Nr. 30 einen mehr ernsten, gemessenen Charakter; Nr. 31, ein zum öffentlichen Vortrage mit Vorliebe gewähltes Quartett, hat den meisten Schwung und findet sich hier auch der bis jetzt ausgedehnteste Durchführungssatz.[291]
Auch in dieser Serie sind die Menuetts dem zweiten Satze zugewiesen; zur ersten Violine treten nun schon die anderen Stimmen nicht bloß accordisch sondern selbstständig auf, zuweilen imitatorisch wie in Nr. 27.
Von den dritten Sätzen ist der in 27 (Adagio) annähernd im Charakter der Sicilienne gehalten; kühne Ausweichungen finden sich in 29 (Adagio). In 30, dem bis jetzt ausgeführtesten Satze, und 32 sind alle Instrumente reich ausgeschmückt. Die letzten Sätze zeigen sämmtlich eine mehr und mehr freie Bewegung der Stimmen, die das Hauptthema aufgreifen oder in einzelnen Motiven an dasselbe anklingen und diese wieder unter sich verarbeiten. Mit Ausnahme von Nr. 30, das mehr ernst auftritt, tragen alle letzten Sätze einen lebensfrohen Charakter; jener in 31 entspricht dem besonderen Werth der vorhergehenden Sätze.58
An Haydn's vorliegender, äußerst seiner und sorgfältiger Handschrift dieser 6 Quartette (er nennt sie auch jetzt noch Divertimenti) erkennt man, wie ungemein sicher er, nach reiflicher Überlegung, in der Arbeit zu Werke ging. Wohl liegen Beweise vor, daß er mit den nöthigen Skizzen und Entwürfen vorarbeitete, aber in der Ausarbeitung läßt sich kaum eine Correctur nachweisen. Mit den gestochenen Auflagstimmen verglichen zeigt die autographe Vorlage in allen 6 Quartetten zahlreiche Abweichungen, die hier anzuführen uns zu weit führen würde.
Irgend ein Umstand mag Haydn veranlaßt haben, einmal auch in seinen Quartetten die Fuge besonders zu bevorzugen. Vielleicht wollte er damit dem schon damals ihm gemachten Vorwurf entgegen treten, daß er zuviel »tändle« und daß er damit »die Kunst herabwürdige«. So griff er denn in der nächsten Serie (33–38)59 frischweg zum feierlichen Contrapunkt, verwendete ihn aber auch gleich im Finale dreier Nummern in verschiedener Gestalt: in 34 mit vier, in 37 mit zwei, in 38 mit drei Subjecten. Unwillkürlich zogen auch die anderen Sätze von der Strenge an und so erhielt die ganze Serie einen mehr ernsten Charakter. »Die großen Quartette« – unter dieser Bezeichnung waren sie dann[292] auch jedem Musiker und Dilettanten geläufig. Interessant ist namentlich die Verwendung des Hauptmotivs in Nr. 37, F-moll, das wir auch in Händel's »Messias« (2. Theil, Nr. 4 »And with his stripes we are healed«), im Oratorium »Joseph« (Schlußchor »Hallelujah«!, aber in Dur) und in Mozart's »Requiem« (Kyrie eleison) wiederfinden. Bei aller Kunstentfaltung bewegen sich diese Sätze doch frei und ungezwungen und bieten uns bei der gleichen Betheiligung aller Stimmen in Wahrheit ein »Viergespräch«.60 Auch der erste Satz in 37 ist besonders ernst gehalten; im Adagio ist die höchst interessante Figurirung der stark beschäftigten Primgeige zu beachten; ebenso in 33 der erste Satz durch seine durchsichtige, lichtvolle Gruppirung der Stimmen; der dritte Satz, As-dur 3/8, bildet hier ein durch alle Stimmen harmonisch engverbundenes Ganze. In Nr. 34 hat der zweite Satz, Adagio C-moll, einen energischen und dramatischen, fast herben Charakter, der sich schon in den vier Anfangstakten entschieden ankündigt und dem das gesangvolle zweite Thema mild entgegentritt. Der Satz macht auf der Dominante Halt und geht zum Menuett über, in dem die erste Violine abermals zum hohen c hinaufsteigt. Menuett und Trio bilden auch in 36 und 38 den dritten Satz; beide sind hier sehr kurz gehalten, doch läßt es der in 38, Allegretto alla Zingarese, trotzdem an Humor nicht fehlen. In Nr. 36 zeichnet sich der erste Satz durch wohlthuende Färbung aus, in etwas melancholischer Stimmung folgt der zweite Satz; der letzte eilt rasch pulsirend vorüber. Gerber sagt in seinem Lexikon über diese Serie: »Von dieser Nummer an erscheint Haydn in seiner ganzen Größe als Quartetten-Komponist«. Zmeskall von Domanovecz, dem Haydn diese sogenannten »Sonnenquartette«61 in der im J. 1800 revidirten Ausgabe widmete, ist derselbe, den auch Beethoven durch Zueignung seines F-moll-Quartetts op. 95 auszeichnete.
Einen bedeutenden Fortschritt zeigt die nun folgende Serie (39–44)62; sie ist dem Großfürsten Paul gewidmet und die Quartette heißen daher kurzweg »die Russischen«. Sie sind auch[293] unter dem Beinamen »Gli Scherzi« bekannt, da in allen sechs Nummern ein Scherzo, mit Beibehalt des 3/4-Taktes, den Menuett vertritt, in den ersten vier Nummern als zweiter, in den anderen als dritter Satz. Nr. 39 und 40 erfüllen in kleinstem Raume ihre Aufgabe als Scherzando. In 39 bedient sich Haydn, wie auch später, des Doppelklanges gleicher Töne auf wechselnden Saiten. Reizend ist auch das Trio, H-dur, auf ein einziges kurzes Motiv gebaut, das theils in Gruppen zu zweien, auf- und absteigend, theils imitirend auftritt. Als Ganzes sei hier Nr. 41 hervorgehoben, das zu öffentlichen Aufführungen häufig benutzte sogenannte »Vogelquartett«, aus dessen erstem Satze man ganz wohl die sehnsuchtsvollen Laute der Nachtigall und das muntere Gezwitscher sonstiger Vögel herausdeuten mag. Haydn selbst vermag sich von diesem harmlosen Spiel nur schwer zu trennen, indem er sogar eine kurze Coda anhängt. Ein wundersamer zweiter Satz folgt, der aber als Scherzo kaum gelten kann. Will man aber das erste Bild hier übertragen, so paßt dies weit eher auf das sehr knappe Trio, das nur von den zwei Violinen als eine Art Zwiegespräch ausgeführt wird. Der Hauptsatz aber hat einen durchweg noblen Zug, noch gehoben durch die eigenthümliche Führung des Basses. Der dritte Satz, Adagio 3/4, dürfte als Hymne zur Verherrlichung der Waldruhe gelten, der feierliche Gesang bei der Wiederholung nur mäßig verziert, dem leichten Windeshauch vergleichbar, der in der Mittagshitze den Blättern Kühlung zufächelt. Im Schlußsatz bringt der Kukuk neues Leben und alle Waldgenossen antworten. Munter fliegen die einzelnen Motive von Stimme zu Stimme, nach einander, gegen einander, zu zweien, zu dreien (alles mit gesprungenem Bogen). Ein zweites Thema stellt sich ein, diesesmal in gebundener Melodie und nach Ungarn hinweisend. Und wieder beginnt der Bogen zu springen, die Motive zu flattern; noch eine Haltpause, ein Forte-Ansatz, dann verliert sich der ganze Waldesspuk leise verhallend – ein Glanzstück für tüchtige Geiger.
Von den noch übrigen ersten Sätzen ist Nr. 42 mehr ruhig gehalten, 43 und 44 dem Charakter eines lebhaften Finale entsprechend. Der dritte Satz in 42, Largo Es-dur, athmet Ruhe, der melodische Theil ist leicht verziert, wobei die erste Violine wieder ihr hohes c aufsucht. Der zweite Satz in 44, AndanteD-moll, hat breiten Gesang. Die letzten Sätze von 40, 42 und[294] 44 zeigen den ganzen Haydn in seiner hellen fröhlichen Weise; Nr. 44 scheint, wie das ganze Quartett, älteren Ursprungs. Der letzte Satz in Nr. 40, Presto 6/8, hat noch etwas apartes: gegen Schluß treten unerwartet vier Takte Adagio auf und folgt dann wieder ein humorvolles Spiel mit dem Thema, von Generalpausen unterbrochen. Eine Abweichung von den heiteren Finales zeigt Nr. 43, ein Allegretto im Styl der Sicilienne, viermal variirt und unterbrochen durch ein Presto. Reichardt63 sagt von diesen Quartetten und den 6 bei Hummel als op. 18 erschienenen Symphonien:64
»Diese beiden Werke sind voll von der originälsten Laune, des lebhaftesten angenehmsten Witzes. Es hat wohl nie ein Komponist so viel Eigenheit und Mannigfaltigkeit mit so viel Annehmlichkeit und Popularität verbunden als Haydn: und wenig angenehme und populäre Komponisten haben auch zugleich einen so guten Satz wie Haydn ihn die meiste Zeit hat. Es ist äußerst interessant Haydens Arbeiten in ihrer Folge mit kritischem Auge zu betrachten. Gleich seine ersten Arbeiten, die vor einigen zwanzig Jahren unter uns bekannt wurden, zeigten von seiner eigenen gutmüthigen Laune: es war da aber meistens mehr jugendlicher Muthwille und oft ausgelassene Lustigkeit, mit oberflächlicher harmonischer Bearbeitung; nach und nach wurde die Laune männlicher, und die Arbeit gedachter, bis durch erhöhte und gefestete Gefühle auch reiferes Studium der Kunst, und vor allem des Effektthuenden, der reife originälle Mann und bestimmte Künstler sich nun in allen seinen Werken darstellt. Wenn wir auch nur einen Haydn und einen C. Ph. E. Bach hätten, so könnten wir Deutsche schon kühn behaupten, daß wir eine eigene Manier haben und unsere Instrumentalmusik die interessanteste von allen ist«.
Karl Friedrich Cramer65 sagt von derselben Sammlung:
»Diese Werke werden gepriesen, und könnens auch nicht genug, in Absicht der alleroriginellsten Laune, und des lebhaftesten angenehmsten Witzes, der darinnen herrscht. Ich weiß, daß Bach in Hamburg, der, so weit er auch im gemeinen Leben von lieblosem, strengen, verwerfenden Richten geringerer Talente als der seinigen sich entfernt, natürlicher Weise doch sehr ecklen Gaumens ist, über diese Werke von Haydn, besonders da Schick und Triklir sie so vortrefflich vortrugen, seine äußerste Zufriedenheit bezeugt hat.«
In der dem König von Preußen gewidmeten Serie (45 bis 50)66 finden sich alle bisher errungenen Vorzüge, die wir in Haydn's Quartetten bewundern, volkommen ausgeprägt vereinigt:[295] vollendete, für die ganze Kunstgattung mustergültige Form; Unmittelbarkeit und Vielseitigkeit, prägnanter klarer Periodenbau, Gleichberechtigung aller Stimmen, kunstvolle thematische Arbeit, unerschöpfliche melodische Erfindung, vertiefter Ausdruck, Witz, originelle geistreiche Laune, gepaart mit männlichem Ernst. Es ist wohl zu beachten, daß Haydn, wie wir sahen, kurz zuvor Mozart's Quartette, die dieser ihm dann dedicirte, kennen gelernt hatte. Hätte es bei Haydn überhaupt einer Anspornung bedurft, so hätte deren Vortrefflichkeit genügt, ihn aufzumuntern, so unmittelbar nach diesen auch seinerseits sein bestes Wissen und Können einzusetzen. Die ersten Sätze schon lassen alle oben genannten Vorzüge erkennen; besonders gilt dies von Nr. 46, dem längsten Satz dieser Serie, mit seinem stramm gehaltenen, im Durchführungssatz contrapunktisch vortrefflich verwertheten ersten Thema, seinem gesangvollen zweiten Thema und der klaren, jede Stimme berücksichtigenden Führung. Würdevoll, mehr ernst in der Stimmung sind die ersten Sätze von Nr. 47 und 48 (die erste Violine steigt nun schon bis ins d) und Nr. 50, mitunter an Mozart mahnend, während 49 mehr humoristisch gehalten ist. Die zweiten Sätze haben durchaus gesangvolle, zarte Melodie, ruhigen und sinnigen Charakter, mitunter von sanfter Melancholie angehaucht. Es sei wenigstens das Andante, A-dur 2/4, von Nr. 48 hervorgehoben, das in seinem Dur- und Moll-Wechsel ein Bild wechselnder Stimmung, von Klage und frommer Ergebung widerspiegelt, von denen eine die andere zu bekämpfen sucht. Auch dem Menuett und Trio ist der heitere Himmel abhanden gekommen; der Ausdruck ist unerbittlich streng. Dies gilt noch mehr vom letzten Satz, der sich zur ernsten Fuge flüchtet, dessen Thema in wenigen Noten unsagbare Klage ausspricht und von dem die Anfangsnoten bei jedem neuen Eintritt wahrhaft einschneidend eingreifen. Kurz vor dem Schlusse wiederholen je zwei Stimmen noch ergreifender die wehmuthsvolle Klage, steigert sich der Schmerz, bis endlich Stimme um Stimme zum letztenmale ermattet ihr Leid austönt. Wo bist du hingerathen, guter, kinderseliger Haydn!
In dieser Serie kommt der Menuett wieder zu sei nem Recht als dritter Satz und behauptet diesen Platz auch in der nächsten Serie. Die Menuetts in 46 und 47 haben mehr scherzoartigen Charakter und ist der zweite Theil ungewöhnlich erweitert (8 zu[296] 42, 12 zu 45 Takten). Letzterer hat interessante Ausweichungen und spannt noch vor dem Schlusse die Erwartung durch zwei Haltpunkte. In 50 wird das Interesse durch erfinderische Wendungen gesteigert; wie Vogelflug giebt sich das zu Grunde liegende Motiv, während ein zweites an den Wachtelschlag mahnt. Hier ist einmal auch der zweite Theil des Trio, mit interessantem Orgelpunkt, bedeutend verlängert (12 zu 42 Takten). In den letzten Sätzen der Nummern 45–47 und 49 zeigt sich Haydn so recht im heiteren, frischen Lebenselement; in unerschöpflichen Wendungen weiß er hier ein Thema in Rondoform wiederzubringen. In Nr. 46 überrascht uns ein an die »Zauberflöte« erinnerndes Motiv der drei Damen (»auf Wiedersehn«). Das Finale von Nr. 50 ist auf den oben schon erwähnten Effekt gleichklingender Töne auf wechselnden Saiten berechnet, ein Scherz, den zum Schlusse sogar drei Instrumente gleichzeitig ausführen, während nur der Baß sich eigensinnig in die Tiefe verliert. Man hat diesem Quartett wegen dieser harmonisch quakenden Absonderlichkeit den Beinamen »Froschquartett« beigelegt.
Die zwei letzten Serien aus dieser Zeit (51–56, 57–62) sind dem uns schon bekannten Großhändler und Kunstfreunde Tost gewidmet.67 Es läßt sich aus ihnen beiläufig dessen Spielweise und Geschmack errathen. Jedenfalls war er ein tüchtiger Violinspieler, der sich gerne als Solist hervorthat und sich auf seine Fertigkeit in der höchsten Lage etwas zugute hielt. In ersterem Falle hielt sich Haydn an jene früheren Quartette (21 bis 32), in denen die Primgeige mehr concertirend auftritt, verband aber damit die seitdem erreichte Selbstständigkeit des Quartettsatzes, so daß auch die übrigen Stimmen entsprechend berücksichtigt sind, obwohl man ihm auch da noch vorhielt, daß er »fast alle Hauptgedanken oder concertirende Stellen der ersten Violine gegeben und die übrigen Instrumente größtentheils nur zur Begleitung benutzt habe. Einem Haydn müßte es doch wohl wenig Mühe verursachen, wirkliche Quartette zu schreiben«. Auch warf man ihm gleichzeitig vor, »daß seine Ausweichungen vielleicht hin und wieder zu frappant seien« (folgt als Beispiel eine solche von C nach As-dur, in Nr. 52) und würden dadurch[297] »auch angehende Tonsetzer – um ihren Arbeiten eine gewisse Neuheit und Originalität zu geben – zu ähnlichen ästhetischen Fehlern verleitet«.68 Für hohe Lagen hatte Haydn fleißig Sorge getragen, denn er geht noch über die schon früher erwähnten Töne hinaus bis zum viergestrichenen es.
Gehen wir zunächst auf die Serie Nr. 51 – 56 und auf deren erste Sätze über, so finden wir hier die Oberstimme allerdings häufig dominirend; hoch interessant durch Schwung, seine Züge und kunstvolle thematische Arbeit sind 52–54; Nr. 55 hat ausnahmsweise ruhige und gemessene Bewegung, das Thema in Dur und Moll variirend. Um so lebhafter tritt Nr. 56 auf, dessen Hauptthema alle Stimmen gleichzeitig angeben; ein zweites Thema tritt dann im Baß in schneidiger Kraft wirksam entgegen, das ebenfalls alle Stimmen aufnehmen. In den zweiten Sätzen von 52 und 53 hält sich die Primgeige gleichsam improvisirend auf gleicher Höhe; in 52, Adagio C-moll, nimmt die zweite Violine das sehr ernste Thema des ersten ab, während diese in reicher Ausschmückung ihren Weg fortsetzt; der an sich kurze elegische Satz endigt mit Halbschluß auf der Dominant. Noch elegischer, romantischer tritt das Largo, A-dur 3/4, in 53 auf,69 dessen ergreifender Ausdruck sich im Mittelsatz,A-moll, noch steigert. Der ganze Satz mit seinem tiefen Gefühlsleben bietet namentlich der ersten Violine reiche Gelegenheit zu künstlerischem Vortrag. Nahezu hundert Jahre sind verflossen, seit diese beiden Sätze entstanden sind, aber die Zeit ist machtlos an ihnen vorübergeeilt. Dem trefflich gearbeiteten Satz von 54 folgt ein nicht minder werthvolles Adagio,D-dur 2/4, in dem sich alle Stimmen in mannigfacher Verwendung zu einem kunstvollen Ganzen vereinigen. Als Gegensatz zu dem langsamen Satz von Nr. 55 hat dieses einzige Mal in der Serie der zweite Satz ein Allegro, ebenfalls in F-moll und mit leidenschaftlich erregtem Charakter.[298] Gleich zu Beginn tritt der Satz kräftig, energisch auf; nach den ersten 16 Takten mit F-moll-Schluß folgen zwei Takte Generalpausen, um auf einen gewaltsamen Ruck vorzubereiten, denn das Thema tritt nun unmittelbar in Ges-dur auf und wendet sich dann nach As-dur (der Parallel-Tonart von F-moll), welcher Gang sich im zweiten Theil im entsprechenden Wechsel der Tonart wiederholt. Der Satz geht dann zur Fuge über, das Grund-Motiv als Subject aufnehmend, bis der Baß auf C, der Dominant, als Orgelpunkt Posto faßt, über dem sich die erste Violine in weitem Bogen ausbreitet; der Ausgang folgt dann in F-dur. Der zweite Satz von 56 bringt ein ruhig ernstes Thema, zweimal variirt und melodisch sanft abschließend.
In den Menuetts ist meistens die erste Violine stimmführend; im Trio von 51 hat das Violoncell ein Solo in Achtelbewegung. Im Trio von 52, C-moll, erscheint eine merkwürdige Stelle (Takt 4–8), die sich wohl nur dahin erklären läßt, daß man das als Dissonanz erscheinende es als orgelpunkthaltende Mediant gelten läßt. Der graziöse Menuett in 53 bildet einen merklichen Contrast zu dem vorhergehenden Largo. Im Trio von 54 mag Haydn die Absicht gehabt haben, seinen offenbar für die oberen Regionen der E-Saite schwärmenden Primgeiger endlich einmal ergiebig zu befriedigen; wenn er ihn dagegen am Schlusse gleichsam als Strafe auf die schwindelnde Höhe der G-Saite verbannt, so ist dies ein drastischer Zug von Humor, der Haydn ja stets so eigen war.
In den letzten Sätzen herrscht wieder ungetrübter Frohsinn, namentlich in Nr. 56 lebt und webt es in allen Stimmen. Der rollenden Sechszehntel-Figur stellt sich noch ein heiterer, alle Sorgen verscheuchender Gesang entgegen, wie solcher auch in den frühesten Quartetten und Symphonien erscheint. Eigenthümlich ist Nr. 52 aufgebaut: wir haben zuerst einen breiten Gesang der ersten Violine; der Satz erscheint dann auch in Moll, schließt auf der Dominant ab und nun folgt ein Presto, C-dur 2/4, das so unvermittelt gleich einer Vision auftritt. Wie Elfenreigen tobt es in wilder Hast ohne einen Moment der Ruhe in fortlaufender Bewegung an uns vorüber, wobei sich namentlich ein wie vorwärts drängendes kurzes Motiv mit der einschneidenden Viertelnote bemerkbar macht. Und wiederum tritt es auf, da plötzlich mit einer charakteristischen Wendung vom Sextaccord der ersten[299] Stufe auf den Quintsextaccord der Dominant erstarrt das Bild wie durch Zauberschlag gebannt. Der feierliche Gesang erklingt wieder, verhallt leise und wie im Nebel erlischt das Traumbild.
Die Serie Nr. 57–62 steht in ihrem Gesammtwerthe, besonders in Erfindung und interessanter thematischer Arbeit auf gleicher Höhe mit der vorhergehenden. Von den ersten Sätzen hat Nr. 57 einen vorzugsweise mehr kräftigen, 62 einen weichen Charakter; 58 ist reich an Motiven; 60 hat einen frischen, blühenden Zug wie das ganze sehr beliebte Quartett überhaupt; 61 ist voll Wärme und flüssiger Gesangsführung. Bei den zweiten Sätzen finden wir wieder den Menuett zweimal vertreten; in 57 mit kräftigem, in 60 mit allerliebst neckischem Zug. Nr. 58 und 59, zwei langsame Sätze, bestehen jeder aus einem einzigen, mit Melismen reich versehenen Gesangsthema für die erste Violine, wobei wohl die vielen Halb- und Ganzschlüsse etwas ermüden. Eines der schönsten Adagios hat Nr. 61, A-dur 3/4, Innigkeit und seligen Frieden ausströmend; der Vortrag verlangt hier besondere Zartheit. Das Andante in 62, B-dur 3/4, ist für alle Instrumente lohnend durch gebundene Schreibweise und wird gehoben durch einen kräftigen Mittelsatz in Moll mit stimmführender erster Violine. Als dritten Satz hat Nr. 57 ein behaglich sich wiegendes Allegretto scherzando, dessen Thema in den Variationen abwechselnd auf alle Instrumente übergeht. Der Menuett in Nr. 58 hält eigensinnig das kleine Motiv des zweiten Taktes fest; im Trio ist die stimmführende Violine durchaus in hoher Lage und geht in 62 sogar bis es. In dem als dritter Satz dieser Serie einzigen Adagio in 60 hat die erste Violine einen volksthümlichen Gesang, abwechselnd variirt und im Accompagnement von den anderen Instrumenten in voller Thätigkeit unterstützt. Von den Schlußsätzen, sämmtlich Presto, zeichnen sich 57 und 60 namentlich durch äußerst munteres und frisches Leben aus. Ein Glanzstück für virtuosen Vortrag ist das fast ohne Unterbrechung in Sechszehntel-Bewegung staccato dahinstürmende Presto in Nr. 61; es schließt in seiner Mitte einen Fugensatz in der gleichen Bewegung ein. Paganini soll durch diesen Satz zu seinem Moto perpetuo angeregt worden sein. Das elfte der ersten 18 Quartette70 bringt als letzten Satz einen Vorläufer[300] dieser allbeliebten Nummer. Das letzte Presto, Nr. 62, ist voll Witz und Laune und kerngesundem Frohsinn; kurz vor dem Schlusse überrascht uns Haydn auch noch durch einen seiner liebenswürdigen Scherze und nimmt dann rasch Abschied.71
Von Haydn's Concerten für Streich- oder Blasinstrumente seien zunächst seine Violin-Concerte erwähnt, von denen zwei eigens für seinen Primgeiger, Luigi Tomasini, geschrieben sind; Haydn's Katalog giebt 3 Concerte an, die aber alle verschollen sind. Außer diesen giebt es 6, von denen 4 nach geschriebenen Stimmen in Partitur vorhanden sind. Sie bestehen aus den üblichen Sätzen, Allegro, Adagio und Finale (eines mit Tempo di Menuetto). Der erste Satz zerfällt in die herkömmlichen 3 Hauptabschnitte; zur Begleitung dient das Streichquartett (einmal mit 2 Hörnern). Das Soloinstrument ist bei einigen besonders reich ausgeschmückt mit Doppelgriffen, Trillern, aber mit mehr Lauf- als Passagenwerk; Tutti und Solo wechseln in der gewöhnlichen Weise. Obwohl noch Traeg's Katalog (1799) 3 Concerte in geschriebenen Auflagstimmen ankündigt,72 scheinen sie doch schon früher als veraltet außer Gebrauch gewesen zu sein.
Wurde Haydn wohl zumeist durch seinen Liebling Tomasini zu Violinconcerten angeregt, so fand dies noch weit mehr bei dem in Esterház vorzüglich vertretenen Violoncell statt. Hatte er doch in Weigl, Küffel, Marteau und später in Kraft ausgezeichnete Solospieler. Es sind zwar in Haydn's Katalog nur 3 Celloconcerte verzeichnet, doch kündigt Breitkopf noch 3 weitere an, von denen sich wenigstens eines (Nr. 5) erhalten hat.[301]
Zur Begleitung dient das Streichquartett (einmal auch mit 2 Hörnern). Der erste Satz ist ziemlich lang, nicht uninteressant und von fast energischem Ausdruck; das Violoncell ist reichlich bedacht und über demselben ist theilweise auch die Violine selbstständig geführt. Der 2. Satz, Adagio, H-moll, drückt ebenfalls Energie aus, dagegen ist das Finale matt; es verläuft zu gleichförmig und bietet dem Soloinstrument zu wenig. Diese Concerte scheinen sich noch weniger als die obigen verbreitet zu haben; Traeg's Katalog nennt kein einziges. Das größte Concert (Nr. 9) ist auch das einzige, das sich bis auf unsere Tage erhalten hat.73 Der Unterschied gegen die früheren Concerte ist ein bedeutender. Das Soloinstrument hat mehr Schwung, Eleganz, ist reicher ausgestattet und auch mit dankbarer Cantilene bedacht, die Instrumentirung ist gewählter und wirksamer. Das Adagio, A-dur 2/4 (wohl mehr Andante), ist von hübscher Haltung, nicht tief aber voll Adel. Der letzte Satz, Allegro 6/8, hat die gewöhnliche Rondoform, die Stimmung ist leicht und heiter, etwa wie bei der Mehrzahl der Mozart'schen Schlußsätze seiner Clavierconcerte.
Haydn's Katalog führt auch ein Concert für den Contrabaß an, das aber spurlos verschwunden ist.
Unter den Concerten für Blasinstrumente ist Flöte und Waldhorn vertreten. Haydn's Katalog hat nur ein einziges Flötenconcert, das aber verloren ging; ein zweites aus den 70er Jahren bietet keinen Anlaß zur Besprechung. Waldhornconcerte führt Haydn in D und Es (für 2 Hörner) auf. Beide gingen verloren; letzteres ist noch von Traeg angezeigt. Ein drittes von Haydn unerwähntes wurde schon besprochen (I. S. 230). Ein viertes Concert (Nr. 11) für das 2. Waldhorn ist bei Breitkopf (1781) und Westphal (1783) angezeigt und existirt in Partitur nach den vorhandenen Stimmen. Die 3 Sätze sind von mäßigem Umfang; das Adagio zählt zu den besseren. Ein größeres Concert für die Trompete, das letzte Concert überhaupt, das Haydn geschrieben, wird uns erst in den 90 er Jahren beschäftigen.
Diese Rubrik beschließen jene 5 Leier-Concerte, die Haydn für den König von Neapel schrieb (siehe S. 222). Auch[302] hier mögen ihm, wie bei den Notturni, Vorlagen zur Orientirung gedient haben.Concerto per la Lira organizzata ist jedes einzelne von Haydn betitelt; in seinem Katalog aber sind sie ebenso wie die Notturni vergessen. Was Fertigkeit und Geschmack betrifft, scheint sich Haydn den Besteller als einen »für einen König« ganz annehmbaren Liebhaber vorgestellt zu haben. Die Concerte halten im Durchschnitt die mittlere Stimmung fest; sie sind eher heiter als ernst, die Auffassung leicht, die Ausführung ebenso. Einige Sätze stehen, gleichsam als ein Fühler, an Gehalt höher. Die an sich gewiß glückliche Zusammenstellung der Instrumente ist immer dieselbe. Eigentlich concertirendes wird man wenig finden, am wenigstens bei den Hauptstimmen (den beiden Lyren); hauptsächlich werden ihnen die Gesangstellen zugetheilt, häufig begleitet von den Violinen; doch kommen auch Terzen und Sextgänge und leichte Imitationen vor. Nur selten wagen sie sich der Begleitung ganz zu entschlagen und wenn sie als Cadenz auf der Dominant einen Doppeltriller riskiren, scheint ihr Ehrgeiz vollauf befriedigt zu sein. Offenbar war es dem König mehr darum zu thun, sich als Mitspieler an dem Treiben um sich herum zu unterhalten als selber glänzen zu wollen.
Jedes Concert hat ordnungsmäßig seine 3 Sätze. Der erste (nicht zweitheilige) Satz ist frisch und stramm gehalten, häufig mit Mozart'schen Wendungen. Am bedeutendsten ist Nr. 2, ein an Motiven reicher, wie aus einem Guß geschriebener Satz, der selbst symphonischen Charakter hat. Das wohlbekannte Motiv von Nr. 1 spannt wohl unsere Erwartung, aber statt der gehofften Durchführung, wie wir dies in einer früheren Symphonie gesehen (I. S. 302), erscheint es, gleichsam um uns nur zu foppen, nur noch einmal knapp vor dem Schlusse. Auch hier begegnet man wieder Mozart, diesmal mit einem Motiv aus der Ouverture zu »Così fan tutte«, ein Motiv das bei Haydn auch in der Symphonie Nr. 50 vorkommt.
Die Mittelsätze sind die schönsten; hier hat sich Haydn offenbar selbst genügen wollen. Nr. 1, Andante 6/8, hat den Charakter der Sicilienne; wir haben den Satz schon in der Symphonie Nr. 59 kennen gelernt. Interessant ist es zu sehen, wie Haydn den Satz für den reicheren Rahmen einrichtete: die beiden Lyren sind auf Violine und Oboe vertheilt, die Hörner sind mehr beschäftigt, die beiden Violen sind auf eine reducirt, der Fagott[303] ist neu hinzugesetzt. Nr. 2, Allegretto, ist eine Romanze von etwas soldatischem Zuschnitt:
wie S. 275 erwähnt hat Haydn diesen Satz später in seine Londoner sogenannte »Militär-Symphonie« aufgenommen und nur einen entsprechend kräftigen Schluß hinzugefügt. Nr. 3, Andante 6/8, ist äußerst zart und anmuthig; ebenso Nr. 4 und 5, die beide sehr sauber gearbeitet sind; aus Nr. 5, Andante, spricht besonders eine weiche, fast melancholische Stimmung.
In den letzten Sätzen fliegen die heiteren Hauptmotive wie im Ringeltanz dahin, in 2 Nummern (3. und 5.) plötzlich von Adagio unterbrochen, in Nr. 4 in lustigen Jagdrythmen sich tummelnd (wohl eine Aufmerksamkeit für den König, den gewaltigen Nimrod). Im Ganzen genommen bewegen sich diese Schlußsätze stark auf der Oberfläche und wirken ermüdend und einförmig. Nr. 1 hat Haydn, wie wir gesehen haben, zur Symphonie Nr. 59 benutzt.
Über das Baryton, das Lieblingsinstrument des Fürsten Nicolaus Esterházy, wurde bereits ausführlich gesprochen; ebenso über Haydn's Compositionen für dieses Instrument, und sei hier auf jene Abschnitte verwiesen.74 Die weitaus größere Anzahl dieser Compositionen fällt in die Zeit nach 1766 und liegen noch Autographe bis 1775 vor, wahrscheinlich auch die letzten derartigen Werke von Haydn. Wenn man nur allein die große Anzahl meistens dreisätziger Divertimenti für Baryton, Viola und Baß betrachtet, die stete Abwechselung der einzelnen Nummern und Sätze, die auch hier erstaunliche Erfindungsgabe, die sehr[304] sorgfältige thematische Verarbeitung wird man, es sei dies hier wiederholt betont, staunen müssen, daß Haydn's Genius solcher Aufgabe nicht endlich erlag, daß er im Gegentheil im Stande war, sich nur um so frischer den größeren Arbeiten hinzugeben. Aber gerade an diesen Arbeiten in kleinerem Rahmen, deren Masse jeden minder Begnadeten für höhere Zwecke lahm gelegt hätte, scheint er jene Sicherheit, jenen Vorausblick und jenes nicht genug zu schätzende Maßhalten, welche Eigenschaft insbesondere wir an allen seinen Werken schätzen, sich errungen zu haben. Wie Haydn wenigstens einen kleinen Theil dieser Stücke verwerthete, wurde schon nachgewiesen75; weiteres wird in dem vorbereiteten thematischen Verzeichniß der Werke Haydn's seinen richtigeren Platz finden. Hier seien noch wenigstens einige Bruchstücke thematisch angegeben, auf die früher (I. 254) hingewiesen wurde. Nr. 1 ein Duett, Moderato. für zwei Baryton (Duetto 2do in G. per il Pariton primo e Pariton secondo, das einzige erhaltene dieser Stücke) als Beispiel der Compositionsart für dieses Instrument. 2. Polonaise aus einem größeren, aus 7 Sätzen bestehenden Divertimento für Baryton, Viola und Baß (eins der wenigen Beispiele dieser Art bei Haydn). 3. Menuett-Trio, als Beispiel, welch' hübsche Sätze diese anspruchslosen Divertimenti enthalten.
[306] Über die Wiener Tanzmusik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und Haydn's Betheiligung an derselben wurde wiederholt gesprochen.76 Die Menuette Haydn's, die wirklich für den Tanz geschrieben waren, unterscheiden sich wesentlich von jenen in seinen Symphonien, Quartetten und sonstigen Werken; sie sind leichtbewegter und munterer, während jene mehr kräftig und in den Trios seiner gehalten sind. Sie sind theils für ganzes Orchester, theils für 2 Violinen und Baß geschrieben und meistens auch für Clavier arrangirt. Menuetts und Trios sind in der Regel zweitheilig zu je 8 Takten. Dasselbe gilt auch von den Allemanden, doch wechselt hier mit jeder Nummer auch die Tonart. Das beste in dieser Musikgattung hat Haydn erst in den 90er Jahren geschrieben. Aus jenen Tanzheften, die bis jetzt hier erwähnt wurden, seien wenigstens 2 Nummern als Beispiel angegeben. Nr. 1 ist aus Six Allemandes für vollständiges Orchester; Nr. 2 aus XII Menuets.
[307] Während sich Haydn im Symphonie- und Quartettfach zu so ungeahnter Höhe erhob, blieb er auch in der Claviercomposition nicht unthätig, obwohl er hier gegen Mozart, in dem Virtuose und Componist vereinigt war, zurückstand. Die Entwickelung der Claviertechnik war durch Ph. Emanuel Bach nach den Grundsätzen der von seinem Vater ausgebildeten Applicatur begründet und zunächst von Mozart und Clementi weitergeführt worden. Ihre eigene Virtuosität hatte auch wesentlichen Einfluß auf ihre Compositionen, indem sie die Erweiterung aller Mittel der Technik denselben nutzbar zu machen verstanden. Das Augenmerk Haydn's, dessen Individualität, wie schon erwähnt (I. 354), diese Richtung nicht zusagte, war dagegen mehr auf die Composition selbst, auf die Abrundung und Gedrungenheit der Form und die Vortheile thematischer Arbeit gerichtet, und daß er, nachdem er die ersten Schwierigkeiten überwunden hatte, auch auf diesem Wege siegreich vordrang, werden wir bald sehen. Die Namen jener Componisten, die früher mit ihm gleichzeitig im Clavierfache thätig waren, haben wir kennen gelernt (I. 348); einige davon, wie Birk, Gruner, reichen noch in unsere mittlere Periode. Unter den besseren, die nun hinzutreten, sind in der Sonate hervorzuheben: Giov. Marco Rutini (Florenz, 1774), Joh. Gottfried Eckard (Riga, 1773), Joh. Christian Bach, London), C.W. Podbielski, Organist in Königsberg (1780 und 83), E.W. Wolf (1779–84), Eckhardt (Paris), Joh. Gottfr. Vierling, Organist in Schmalkalden (1781), Franz Xav. Rigler, Professor der Musik in Preßburg (1781), Benedict Friedr. Zink, herzogl. Hofmusikus in Schwerin (1783) sowie die Wiener Componisten:[308] Mozart, die beiden Hofclaviermeister Jos. Steffan und Koželuch, Wagenseil und Vanhal.
Wir wissen wohl, daß Haydn sich die Anschaffung auch der späteren Werke Ph. Emanuel Bach's, den er stets dankbar als sein Vorbild anerkannte, angelegen sein ließ77 und daß er dann auch mit jenen von Clementi bekannt wurde.78 Ob er jedoch auch nur den kleinsten Theil der oben genannten, für ihre Zeit nicht unbedeutenden Componisten in ihren Werken kennen lernte, ist sehr fraglich. Er hätte dazu wohl kaum die Zeit gehabt, denn außer Erfüllung seiner Amtspflicht hatte er auch im Clavierfach genug zu thun, Schüler, Dilettanten und speculative Verleger zu befriedigen. Ein Einfluß der genannten Componisten ist auch nicht wahrzunehmen und selbst Em. Bach gegenüber ging Haydn in der Sonate bald selbstständig vor, erweiterte und vertiefte deren Sätze, ihnen zugleich eine einheitliche Stimmung wahrend, und übertraf ihn durch festgegliederten logisch sich entwickelnden Aufbau derselben, gab ihr die von da an bleibende Form und wußte sie obendrein durch eine glückliche Beimischung von Volksthümlichkeit anziehend und fesselnd zu machen. Obwohl schon seinen früheren Claviercompositionen besonders eine übersichtliche Anlage und Klarheit eigen ist, gewinnen doch auch hier dieselben nun an Bedeutung durch bestimmten Ausdruck, abgerundete Gestalt und inneren musikalischen Gehalt, welch letzterer, wie gesagt, entschädigen muß für den Mangel an fesselnder Spieltechnik. Letzterer Umstand mußte ihm in erhöhtem Grade im Concert fühlbar werden, so daß er hier zu rechter Zeit abbrach und sich mehr dem von ihm lang vernachlässigten Trio zuwendete.
Wenden wir uns zunächst der auf Kuhnau zurückzuführenden, auch der Symphonie und dem Quartett zu Grunde liegenden Sonate zu. Die Anforderungen an den Bau derselben sind bekannt; ihre dreisätzige Form wurde endlich maßgebend, selten noch wurde sie auf zwei beschränkt, später aber auch auf vier ausgedehnt. Dem lebhaften ersten Satz als dem eigentlichen[309] charakteristischen Theil der Sonate folgt der langsame Mittelsatz von ruhigem, ernstem Ausdruck, öfters mit variirtem Thema und diesem der mehr heitere Schlußsatz, häufig in variirter Rondoform oder im Menuetttempo. Der erste Satz, als die Sonatenform im engeren Sinn bezeichnet, beruht auf der Gliederung der Hauptmotive des ersten Theils und der Durchführung derselben im zweiten Theil. Wir unterscheiden im 1. Theil einen Haupt-Übergangs- und Seitensatz; im 2. Theil einen Durchführungs-Haupt-Seiten- und Schlußsatz und in analoger Weise im 2. und 3. Satz der Sonate dieselben unterscheidenden Abgrenzungen.
Unter den 28 vorliegenden Sonaten finden wir 7 Nummern nur auf 2 Sätze beschränkt und unter diesen nur eine einzige (Nr. 1) aus früher Zeit (1767); erst nach 9 Jahren und später folgen die übrigen. Ausgesprochen langsame erste Sätze haben nur 2 Nummern (13., 23.); von den Mittelsätzen haben nur 2 einen Menuett (8., 12.), ein Scherzando kommt nur einmal vor (17); der Menuett ist in den letzten Sätzen 6 mal vertreten und meistens variirt. Die Mittelsätze stehen theils auf gleicher Stufe mit dem Hauptsatz (9mal); theils in der Unter- (7mal), theils in der Oberdominant (2mal) oder in der Paralleltonart (2mal) oder großen Unter-Mediante (2mal). – Vortragszeichen findet man bei Haydn in den Sonaten wie anderwärts nur wenige, höchstens ab und zu ein p., f., fz.; er überließ dergleichen dem Urtheil und Geschmack des Spielers. Als Verzierungszeichen erscheinen (Pralltriller oder Schneller), (halber Mordent), (Doppelschlag). Nur zweimal äußert sich Haydn in Briefen an Artaria über diesen
Punkt und rückt dem Stecher zu Leibe. Bei
dringt Haydn darauf, daß der Stecher den Doppelschlag genau über den Punkt stelle und diesen also nicht allzu nahe an die Note; statt dem tr, den der Stecher eigenmächtig mit vertauschte, besteht Haydn darauf, daß dies geändert werde »dan das erste bedeutet einen Triller, meines aber einen halben Mordent«.
Haydn's Sonaten haben sich bis heute in unzähligen neuen Auflagen in Haus und Familie eingebürgert. Tausenden und aber Tausenden wurden sie der Grundstein ihrer Ausbildung, was um so mehr überraschen muß, wenn man dabei in Anschlag bringt, daß durch die immense Vervollkommnung unserer Claviere auch die Spiel- und Compositionsart eine entsprechende Veränderung erfahren[310] mußte. Worin liegt nun der Zauber, der dieser Erscheinung inne wohnt? Es ist abermals der hier aufgehäufte Reichthum an Ideen, die gesunde mitunter selbst herbe Kraft, die jeden Satz durchdringt und ihn wie gemeißelt hinstellt, die Sicherheit in der Ausführung, die leicht faßliche kunstvolle Anordnung der Haupt- und Nebensätze und die thematische ungekünstelte Arbeit, die auch den Laien fesselt. Die Freudigkeit des Schaffens, die aus den Werken spricht, trägt sich unwillkürlich auf den Spieler über und willig folgt er hier dem ernsteren dort dem fröhlicheren Zug und der humoristischen Laune. Letzteres gilt besonders von den Schlußsätzen, in denen Mozart nachsteht, der aber dagegen in den Mittelsätzen eine Anmuth und Lieblichkeit entfaltet, die Haydn wohl einigemal durch Ernst und selbst Pathos ersetzt, sich aber gerade hier, vom Clavier beeinflußt, wie beengt fühlt, wo er doch an derselben Stelle in der Symphonie und im Quartett sich unerschöpflich zeigt in reizender Melodie, und eine zauberhafte, gemüthstiefe Grundstimmung zu entfalten weiß.
Wir haben schon gesehen, daß die meisten Sonaten der mittleren Periode in Serien erschienen sind, so die Nummern 4 bis 679 (1774, zusammen mit 3 Sonaten mit Violinbegleitung)80; 7–12 (1776); 16–20 und 3 (1780 und 1771); 21–23 (1784); 24 – 26 (1786). Sie alle verfolgen mehr oder minder einen musikalisch-pädagogischen Zweck.81 Unter die Sonaten mit an Gehalt gleichebenbürtigen Sätzen sind etwa 8 Nummern (3, 14, 15, 19, 21, 24, 25, 28) zu zählen. Von den übrigen ist entweder der erste oder letzte, selten der Mittelsatz hervortretend. Unter den ersten Sätzen seien 11 Nummern (3, 15, 17, 19, 21 bis 25, 27, 28) hervorgehoben. Nr. 3 fällt durch ihren beredten Ernst und die gedrungene Ausarbeitung auf, denen man die frühe Entstehung (1771) kaum zugeben möchte. Nr. 15, wohl eher als Allegro moderato zu nehmen, hat einen kräftigen weit ausspannenden[311] Zug; ebenso dessen Schlußsatz, Presto, ein ausgesprochenes Scherzo von gesundem echt Beethoven'schem Humor82; Ernst und Würde spricht aus Nr. 17; so feierlich das erste Motiv in Moll auftritt, so sanft wirkt es als Seitensatz in Dur benutzt; doch die Regung ist nur vorübergehend – der Ernst kehrt wieder und gegen Schluß nimmt der Satz fast dramatische Haltung an.83 Nr. 21 ist eine reizende Idylle, vorübergehend nur leicht getrübt durch den Seitensatz im G-moll; beide Sätze sind ebenso hübsch variirt. Auch das Presto dieser zweisätzigen Sonate harmonirt mit dem lieblichen Bilde; auch hier zeigen sich Wölkchen im SeitensatzE-moll mit seinem intensiven Synkopenbau, fast an die Schäferin mahnend, deren sorgloses Herz plötzlich von Zweifeln beunruhigt wird. In Nr. 22, dessen Hauptthema erst im 8. Takte eintritt, ist ein energischer Ausdruck festgehalten, nur hin und wieder etwas abgedämpft. Auch dem Schlußsatze, an sich ein Kleinod von trefflicher thematischer Durcharbeitung, ist derselbe Charakter, wenn auch in anderer Weise, aufgedrückt. Nr. 24 bringt uns knapp vorm Schlusse beider Theile eines jener volksliedartigen Themas, deren wir in den Symphonien öfters begegnet sind; im 2. Theil löst sich das Thema in der Haupttonart cadenzartig auf; der Schlußsatz schließt sich dem ersten einheitlich an. Nr. 27 ist bemerkenswerth durch die besonders hervortretende instructive Richtung; beide Theile bestehen fast nur aus Läufen, Terzen- und Octavengängen. Mit Nr. 28 sind wir wie mit einem Schlag der Schule entrückt; man fühlt sogleich Haydn's erhöhte Stimmung, da die Sonate »blos auf ewig« für seine Freundin Frau von Genzinger bestimmt war. Energie, Entschlossenheit ist der Grundzug der Sonate, deren thematische Arbeit den vollendeten Meister bekundet. Die Mittelsätze haben entweder einen breit angelegten, getragenen und viel verzierten Gesang, meistens über gebrochenen Accorden (Nr. 6, 9, 16, 20), milden Ernst (5, 13, 14), ruhige Haltung durch gebundene Schreibweise (3, 26), thematische Durchführung (2, 25) oder dienen nur als überleitende zum Theil hochpathetische Intermezzi[312] (10, 14, 18), sind aber auch durch Menuett und Trio vertreten (7, 8, 12). Nr. 17 ist das einzige Scherzando, das ein und dasselbe Motiv mit dem ersten Satze von Nr. 20 gemeinschaftlich hat, was Haydn, wie wir gesehen (S. 173), »mit Vorbedacht« gethan, um »den Unterschied der Ausführung« zu zeigen, d.h. wie man mit ein und demselben Gedanken einen verschiedenen Charakter ausprägen könne. Ob ihm dies wirklich gelang? Als Scherzando wird man den Satz kaum hinnehmen; auch gegen die beidemalige Bezeichnung Allegro con brio sträubt sich das harmlose Thema, das viel mehr einem Allegretto entspricht. Das schöne Adagio von Nr. 28 haben wir besonders zu beachten. Es ist weit ausgesponnen; Haupt- und Seitensatz werden variirt; ein kurzer harmonisch interessanter Mittelsatz sorgt für den nöthigen Wechsel der Schattirung, Cadenz und Schlußsatz verleihen weiteren Schmuck. Es ist dasselbe Adagio, das Haydn 1790 für Frau v. Genzinger eigens neu zu der schon fertigen Sonate componirt hatte und derselben aufs allerbeste anempfiehlt »es hat sehr vieles zu bedeuten, welches ich Euer Gnaden bei Gelegenheit zergliedern werde, es ist etwas mühsam, aber viel Empfindung« (vergl. S. 29). Die Sonate gefiel der Freundin »überaus wohl«, nur wünschte sie, daß Haydn die Stelle mit dem Überschlagen der Hände abändern möchte, »weil ich solches nicht gewöhnt bin, so kömmt es mir schwer an«.
Unter den letzten noch nicht erwähnten Sätzen, in denen meistens die Rondoform vorherrscht, neigen sich mehrere der ernsteren Richtung zu oder zeichnen sich durch flüssige und auch contrapunktische Arbeit aus. Dahin zählen Nr. 3, wo wir bereits die eben erwähnte Anwendung des Überschlagens der Hände antreffen und 19, das sich mit seinen Vordersätzen gut abrundet. So auch Nr. 25 und 26, von denen ersteres ebenfalls dem mehr ruhigen, gelassenen Ton seines Vordersatzes sich anschmiegt, während 26 darin den seinigen noch weit überragt. Durch ungezwungene contrapunktische Arbeit heben sich Nr. 23 und 27 hervor. In Menuettform treten auf Nr. 10 (mit Variationen), Nr. 17 (Men. und Trio), 5, 9, 13, 28 (mit Tempo di Menuetto). Letztere sorgfältig ausgearbeitete Nummer schließt die Sonate für Frau von Genzinger würdig ab. »Wunderbar aber ist es (schreibt ihr Haydn), daß eben das letzte Stück von dieser Sonate den nemlichen Menuett und Trio in sich enthält, was Euer Gnaden in[313] Ihrem letzten Brief von mir forderten.« – Zu den lebhaften, heiteren und frischen Finalsätzen gehören 8 Nummern (2, 4, 6, 7, 11, 14, 16, 18). Nr. 2 schließt eine Sonate ab, die noch in Autograph existirt und in mancher Hinsicht, in Zeichen und Noten, von den gedruckten Ausgaben abweicht, namentlich gilt dies von den langen und kurzen Vorschlägen, vom tr und , von gebundenen und abgestoßenen Noten und zahlreichen Abänderungen in Noten und Accorden. Der Mittelsatz ist mit Andante bezeichnet; im 2. Theil des ersten Satzes, dem noch stark der sogenannte Alberti'sche Baß anhaftet, ist Takt 33 ganz zu streichen etc. Die Oberstimme ist noch im Sopranschlüssel und die ganze Sonate, offenbar als Dedication bestimmt, wahrhaft kalligraphisch schön geschrieben mit andauernder Wiederholung aller sonst durch Abkürzungen angegebenen Notengruppen.
Einen grellen Contrast zu dem vorangehenden kurzen, eher zu einem Drama einleitenden Largo in Nr. 18 bildet das lebensfrohe Presto, ein Rondo mit einem jener Hauptthemas, die Haydn so geläufig waren. Humoristische Laune, musikalischer Witz und Humor offenbaren sich besonders in den letzten Sätzen der Nummern 8, 12 und 20: Nr. 8 ein neckisches Presto mit 5mal variirtem Thema; 12 ein scherzoartiges Presto voll drolligen Humors; besonders aber 12 und in noch erhöhtem Grade 20, welches auffallend genug gegen das vorhergehende, mit veralteten Figuren und Verzierungen überladene Adagio absticht. Dieses Prestissimo scheinen sich im Haupt-, Seiten- und Durchführungssatz, kurz überall, die ausgelassensten Kobolde zum Tummelplatz ihrer übermüthigen Spiele ausersehen zu haben. Dasselbe gehört der 5. Sonate jener Serie an, die Haydn für die von ihm hochgeschätzten Schwestern v. Auenbrugger, deren Beifall ihm »der allerwichtigste« war, geschrieben hatte (vergl. S. 173). Bemerkenswerth ist es, daß Haydn, um die Serie zu completiren, bei der 6. Nummer zu einer längst schon componirten Sonate (Nr. 3) zurückgriff und sie also selbst für werth genug hielt, diese ihn so nah berührende Sammlung in befriedigender Weise abzuschließen.
Gleichzeitige Recensionen über Haydn's Sonaten finden sich nur sehr wenige vor. Über die 1774 erschienenen 6 Sonaten (4–6 und 1–3 der Sonaten mit Violine) lesen wir:
[314] »Wir können den Freunden des Klaviers obige Sonaten als sehr angenehme und unterhaltende Stücke empfehlen. Die starke und originelle Laune, die in des Verfassers neuen Quattros und Quintettos herrscht, findet man hier nicht, aber sehr viel angenehme Laune und unterhaltenden Witz.«84
Über die Sonate Nr. 15, die erst 1805 erschien:
»Diese Sonate erscheint wirklich zum erstenmal im Publikum, sie ist aber wahrscheinlich aus sehr früher Zeit dieses Meisters, und vielleicht als Gelegenheitsstück für Jemand geschrieben gewesen, der als Klavierspieler noch wenig geübt war und doch etwas von Haydn spielen wollte. Sie besteht nur aus zwey Sätzen: aus einem einfachen, singbaren Andante, wie deren mehrere in Haydns früheren Klaviersonaten stehen, und aus einem Finale, das die schönen Blüthen des heiteren Humors und dabey der tiefen Kunst, wie sie in den besten späteren Stücken dieser Art sich reich und üppig entfaltet haben, wie in kleinen Keimen, aber dem nur einigermaßen geübten Auge unverkennbar, darlegen. Wenn sonach das Werkchen wenig geübten Spielern zunächst zu empfehlen ist, hat es doch auch etwas anziehendes für ernsthaftere Kunstfreunde.«85
Reichardt86, der Sonaten von Ph. Em. Bach, Georg Benda, E.W. Wolff, N.G. Gruner, J.G. Vierling und Haydn als die ihm wichtigsten unter den im vorigen Jahre (1781) erschienenen anführt rühmt an den Haydn'schen 6 Sonaten (16–20, 3) »die originelle männliche Laune«. Gerber sagt später in seinem Lexikon der Tonkünstler höchst genügsam über diese und die 2 vorhergegangenen Serien: »Diese 18 Solos sind das angenehmste, womit sich ein Klavierliebhaber unterhalten kann«.
Ausführlicher spricht sich Cramer87 über die 3 bei Boßler in Speier als op. 37 erschienenen Sonaten (21–23) aus:
»Diese Sonaten sind in einem andern Geschmack gearbeitet, als die bisherigen dieses berühmten Mannes, sind aber nicht weniger schätzenswerth. Die erste ausG-dur ist eigentlich nur ein kurzer sehr melodischer Satz, wovon jeder Theil 8 Takte hat. Dann folgt das Mineur aus G-moll. Beide werden hierauf auf vortreffliche Art variirt. Das letzte Presto aus G-dur ist eben so bearbeitet. In den Variationen herrscht der feinste Geschmack. Die 2. Sonate aus B-dur ist ein Meisterstück in ihrer Art, so wie das letzte Allegro molto. Die dritte ausD-dur hat auch ihren Mineur, und ist fast noch vortrefflicher als die erste variirt. Der Componist zeigt sich in diesen Variationen, die dem Instrument so gut angemessen sind, wie eine geschickte und geschmackvolle Sängerin, wenn sie ihre Arie wiederholt. Übrigens sind die Sonaten schwerer in der Ausführung als man anfangs glauben sollte. Sie erfordern die höchste Präcision und viel Delicatesse im Vortrag.«[315]
In einem Hamburger Brief in denselben Blättern (S. 347) nennt sie ein Correspondent »sehr artig, aber nach meinem Bedünken zu schwer im Ausdruck«.
Auch die letzte unserer Sonaten, Nr. 28, bei Artaria als op. 66 erschienen, findet ihre Feder88:
»So lange Haydn fortfährt, mit dem Feuer der Einbildungskraft und mit dem Genius der Originalität zu arbeiten, der in seinen bisherigen Tonstücken herrscht, so lange wird man auch jedes Produkt seiner Muse mit Beifall im Publikum aufnehmen, und es ist nicht zu zweifeln, daß auch dieser einzelnen Sonate ein gleiches Glück zu theil werde da sie in seiner bekannten Schreibart verfaßt ist. Das Adagio cantabile ist ein Muster eines schö nen Gesanges.«
Den noch übrigen 3 Sonaten, die zu den schönsten zu zählen sind, werden wir erst in späterer Zeit begegnen. –
Haydn hatte es offenbar an Anregung gefehlt, Sonaten für Clavier mit Violinbegleitung zuschreiben und selbst bei den wenigen, die wir besitzen, kann die untergeordnete, recht eigentlich nur begleitende Violine, wie schon die Bemerkung ad libitum besagt, nach Belieben auch wegbleiben, daher diese Sonaten in alten Ausgaben auch einzeln erschienen sind. Von den bekannten 8 Nummern dieser Gattung haben für uns nur die ersten 5 Gültigkeit.89 Sie dienen sämmtlich dem Lehrzweck oder der leichten Unterhaltung für Dilettanten. Die Nummern 1–3 bilden die Ergänzung der im Jahre 1774 erschienenen Serie (siehe S. 311). In diesen und in Nr. 4 sind die ersten Sätze klar und durchsichtig und für angehende Spieler eine lohnende Vorbereitung zu schwereren Aufgaben. Nr. 1 hat als 2. Satz ein kurzes mit Verzierungen umkräuseltes Larghetto, das zu einem Tempo di Menuetto überleitet. In Nr. 2 (zweisätzig) steht dasselbe im Canon der Octav; in Nr. 3 sind Menuett und Trio al rovescio d.h. vor- und rückwärts zu spielen. Das sich anschließende kurze Finale gleicht dem Schnörkel, den der launige Schreiber seiner Schrift anhängt. Nr. 4, das auch nach As transponirt erschien, hat als Mittelsatz zwei Menuette und beide ohne Trio. Ein heiteres, belebtes Rondo, fast durchwegs auf die Zweistimmigkeit angewiesen,[316] beschließt die Sonate. Nr. 5, dessen erstes Motiv an das Quartett Nr. 32 erinnert, erschien wohl nach 1790, gehört aber vermuthlich einer früheren Zeit an. Beide Sätze sind frisch und interessant, im 2. Satz ist vor dem Schlusse der Gang zum Haltpunkt zu beachten, ein Zug sehnsüchtigen Verlangens, wie er in ähnlicher Weise öfters in den langsamen Sätzen der Symphonien vorkommt. –
Die Trio's, oder wie Haydn sie nennt Sonaten für Clavier, Violine und Violoncell fallen, einige frühe abgerechnet, erst in die 80er und, fast die Hälfte und zwar die interessantesten, in die 90er Jahre. Haydn löste somit Mozart gleichsam hier ab, dessen letzte Trio's in den Jahren 1783–88 entstanden sind. Offenbar waren es auch hier mehr äußere Gründe, Schüler, Dilettanten, Verleger-Aufträge, die Haydn veranlaßten, diese Musikgattung nach langer Pause wieder zu pflegen. Die Trio's haben die wesentlichen Bestandtheile der Sonate, die Zahl der Sätze variirt zwischen 2 und 3; das Clavier ist reich bedacht, die Violine. weniger; das Cello hat im Clavierbaß seinen Wegweiser, und tritt nur selten aus seiner Reserve heraus, ohne sich jedoch in Schwierigkeiten einzulassen, höchstens daß es sich mitunter in die Tenorlage verliert. Wie wenig Gewicht man zu jener Zeit auf die Mitwirkung desselben legte, beweist die häufige Ankündigung der Trio's als Sonaten für Clavier »mit Begleitung einer Violine«. Auch in den Geschäftsbriefen zwischen Haydn und Artaria ist diese leicht irreführende Bezeichnung oft gebraucht. Am auffallendsten ist das Cello in den Variationen zurückgesetzt, die alle nur dem Clavier oder der Violine zufallen. Die Trio's werden in aufsteigender Linie nicht immer auch anziehender; es stehen z.B. die letzten 4 gegen manche der vorhergehenden, wenn auch nicht an technischer Arbeit, so doch an geistigem Inhalt zurück.
Die laufende Reihenfolge der vorliegenden 17 Trio's90 beginnt mit 4 Nummern, die einer früheren Zeit angehören. Nr. 1 G-moll wurde schon besprochen (siehe I. S. 353). Nr. 2 und 3 hat Haydn im Jahre 1803 selbst als »aus frühester Zeit« stammend bestätigt. Sie sind beide dreisätzig und stehn an innerem Werth dem ersten Trio bedeutend nach; in Nr. 2 überrascht im 2. Theil des[317] ersten Satzes das zum Haltpunkt auf der Dominant hinleitende Recitativ-Solo. Auch in dem lebhaften Rondo, zu dem ein kurzes, im Volkston gehaltenes Andante hinüberleitet, ist ein ähnlicher Gang. In Nr. 3 folgt das Allegro erst als 2. Satz, dem sich ein nicht minder populär gehaltenes kurzes Finale anschließt. Diese beiden und das nächste Trio, C-dur Nr. 4, schickte Haydn im Nov. 1784 an Forster in London auf Bestellung, wo er dann, durch die Zeit gedrängt, nicht nur seine älteren Sachen, sondern auch eine Arbeit seines Bruders Michael, eben dieses Trio Nr. 4, zu Hülfe nahm, das er im Jahre 1803 als von diesem componirt bestätigte. Von den beiden letzten Sätzen mag dies. gelten, weniger vom ersten Satz, dem Haydn vielleicht nachgeholfen hat.91 Mit Nr. 5 (Seitenzahl Nr. 1)92 hat Haydn ebenfalls seinen Vorrath geplündert, da er mit diesem eine 2. Serie an Forster im Oct. 1785 ergänzte (Nr. 5 und 6 gehören dazu). Ursprünglich ist diese Nummer ein Divertimento für Clavier mit Begleitung von Baryton und 2 Violinen (vergl. S. 43), dann umgearbeitet für 2 Violinen und Baß und endlich in die jetzige Gestalt. Es ist wohl die schwächste dieser Nummern, denen das erste Trio G-moll ein beachtenswerther Vorläufer war. Erst mit Nr. 2 stehen wir auf wirklich festem Boden; 2–4 bilden eine Serie, die für die Gräfin Viczay geschrieben war (S. 221). Hier zeigt schon alles reiche Erfindung und die trefflichste thematische Arbeit; auch der Violinpart ist reicher und mag wohl Haydn, seiner hohen Schülerin zu Ehren, bei der Ausführung selbst zugegriffen haben. Nur das mittlere Trio in D, Nr. 3, hat 3 Sätze, der letzte ein breit angelegtes Rondo mit frischem Thema, von einem Mittelsatz in Moll mit Benutzung des Hauptmotivs wirksam unterbrochen; zu beachten ist das sinnige Einleiten vom Mittel- in den Hauptsatz. Von den ersten Sätzen zeichnet sich Nr. 2 durch besonders frischen Zug, knappe Form und geistreiche Benutzung der Motive aus. Nr. 3 ergeht sich in Variationen, bei denen auch die Violine nicht leer ausgeht. Nr. 4 in B ist von wahrhaft kerniger Natur; Nr. 2 und 4 schließen mit Menuett-Tempo,[318] beide mit eingeschaltetem Mollsatz, in Nr. 2 mit schönem Gesang für die Violine, Nr. 4 mit Benutzung des Haupthemas; das mittlere Trio Nr. 3 hat als Mittelsatz ein von Figuren leicht umspieltes Andante, das in den Schlußsatz überleitet. Daß diese 3 Trio's auch für Streichinstrumente gedruckt erschienen, wurde schon bemerkt (S. 221). Die Trio's 5 und 6 erschienen zusammen mit Nr. 1 bei Hummel als op. 27; Nr. 6 auch einzeln bei Hoffmeister in Wien.93 Beide sind wieder zweisätzig; Nr. 5 hat einen kurz gehaltenen ersten Satz, der nur auf einem gehaltvollen Gesang beruht, an dem sich nicht nur die Violine, sondern diesmal auch das Cello betheiligt. Dagegen ist der 2. Satz um so länger – ein von hellem Sonnenschein erwärmtes Vivace, in dem alles zu einem unlösbaren Ganzen ineinander gefügt ist. Nr. 6, Es-dur ist wiederum zweisätzig. Den energischen Charakter des ersten Satzes kündigt schon sein peremptorisch wie in Granit gemeißeltes Grundmotiv an, auf dem der ganze stramm gehaltene Satz wie auf Felsen auf gebaut ist. Ihm ebenbürtig zur Seite und doch von ganz verschiedenem Charakter steht das Rondo; man glaubt einen Weiher mit in der Sonnenwärme lustig sich tummelnden Fischen vor sich zu haben. Welch' gesunde erfrischende Kraft in diesen beiden Sätzen! Wie herrlich in der Anordnung, wie scharf die Grenzen; wie kunstvoll in den Einzelheiten, die so harmlos auftreten, daß der Laie ihrer kaum gewahr wird. Unter den sehr wenigen gleichzeitigen Urtheilen über die Trio's überhaupt findet sich folgendes über die oben erwähnte bei Hummel erschienene Serie (5. 1. 6.) in Cramer's Magazin der Musik (1787. S. 1310):
»Diese Sonaten behaupten unter seinen (Haydn's) Sachen eine der ersten Stufen. Das Anfangs-Adagio der ersten, A-dur (5), hat einen unnennbaren Reiz und contrastirt sehr angenehm mit dem darauf folgenden Vivace. In dem Allegro der zweiten in F-dur (1) überrascht die Verkürzung des Rhythmus im 6. Tact den Zuhörer, manchen vielleicht zu unerwartet. Das Thema des Final-Adagio mit 4 Veränderungen wird durch die Ausdehnung des Rhythmus im 7. Tact sehr original. Die schönste Sonate unter diesen schönen ist indessen die dritte, Es-dur (6), worin Haydn's Genius im Fluge den höchsten Schwung nimmt. Sie ist auch schwerer zu spielen als die vorigen.«
Die Nummern 7–9 bilden wieder eine Serie, die bei Artaria erschien; nur das mittlere Trio (8) hat 3 Sätze. Der erste[319] Satz von Nr. 17 ist ein viermal, abwechselnd in Dur und Moll von Clavier oder Violine variirtes Andante, das ohne eigentliche Änderung als Trauermarsch zu verwenden wäre, nimmt man dazu die erste Variation in Dur, so hat man zugleich das gewünschte Trio. Es ist jene dritte Sonate »welche ich also (schreibt Haydn an Artaria) nach ihrem Geschmack mit Variazionen ganz neu verfertigte«. Den Variationen folgt ein ziemlich ausgedehnter Schlußsatz, vorwiegend für den Schulzweck berechnet. Dasselbe gilt auch von Nr. 8 mit einem tüchtig durchgearbeiteten Vordersatz, einem vielverzierten Andante und einem weit ausgesponnenen Rondo. Mannigfache Anregung bietet dagegen Nr. 9 in beiden Sätzen durch Erfindung, harmonischen Reichthum und interessante Durchführung. Im ersten Satz begegnen wir in beiden Theilen vor dem Schlusse (wie so oft bei Mozart) einem neuen Thema mit einfach populärem Anklang. Wie wir früher sahen (S. 236) drängte Haydn, alle 3 Trio's »baldmöglichst zum Stich zu befördern, weil schon viele mit schmerzen darauf warten«. In der Allgemeinen deutschen Bibliothek94 heißt es über diese Serie:
»Seit langer Zeit sind uns keine Sonaten vorgekommen, welche diesen dreyen den Vorzug streitig machen könnten. Sie zeichnen sich insgesammt durch des Verfassers bekannte Originalität äußerst vortheilhaft aus. Die Bearbeitung ist trefflich, und in einer größtentheils ernst haften Manier. Besonders hat Herr Haydn in dem S. 26 befindlichen Zwischensatz aus C-dur gezeigt, wie anziehend ein gemeines Thema durch meisterhafte Ausführung werden könne. Mehr der häufigen Ausweichungen in entfernte Töne – wobei öfters viele, und zum Theil doppelte Versetzungszeichen vorkommen – als eigentlich schwerer und große Fertigkeit voraussetzender Passagen wegen, erfordern diese Sonaten einen nicht ungeübten Spieler. Sollte man sie aber auch nicht sogleich ohne Anstoß vom Blatte spielen können, so wird doch die Mühe sehr reichlich belohnt. Denn, in allen Stimmen nett, und mit dem gehörigen Ausdruck vorgetragen, gewähren sie das höchste Vergnügen, welches diese Art von Musik verschaffen kann.«
Die Musikal. Real-Zeitung (1789, Nr. 36, S. 280) begleitet die Ankündigung des Trios in folgenden Zeilen:
»Die originelle Schreibart des Herrn Verfassers, seine schönen Modulationen und sein Reichthum an Gedanken sind bereits allzubekannt, als daß wir nöthig hätten, zur Empfehlung der angezeigten Tonstücke etwas weiter zu sagen. Weder die Hauptstimme, noch die begleitenden Stimmen sind mit solchen Schwierigkeiten verbunden, daß diese Sonaten vorzüglich geübte Spieler erforderten. Die Violinstimme übersteigt nur einmal im Andante der letzten (resp. zweiten) Sonate das dreigestrichene c und selbst diese dem Ungeübteren schwer dünkende Stelle fällt sehr gut in die Hand.«[320]
Die nun folgenden Trios erschienen jedes einzeln. Nr. 10 in As-dur bietet viel anregendes. Im ersten Satz, 2. Theil, sind interessante, kühne Harmoniefolgen und Wendungen; vermittelst enharmonischer Verwechselung greift Haydn zur Kreuz-Tonart und kehrt nach längerem Verweilen mit gleichem Kunstgriff ins alte Geleise zurück. Der langsame Mittelsatz bietet der Violine einen feierlichen, getragenen Gesang, der dann in Moll und mit reichem Figurenschmuck vom Clavier übernommen wird, worauf der vordere Theil wiederkehrt und nach Dis als Dominant zusteuert und mittelst enharmonischen Ruckes dann das Rondo inAs mit munterem Thema in reicher Abwechselung eintritt. Haydn ließ sich diese Sonate sammt der später erwähnten Fantasie »auf klein Postpapier« copirt, durch seine Freundin v. Genzinger nach England schicken »weil solche in London noch nicht gestochen sind. Allein Ihro Gnaden müssen die Gewogenheit haben, Herrn Artaria nichts davon zu melden, sonst kommt er mir mit dem Verkauf zuvor«. – In den letzten 3 Trios (11–13) ist die Violine nach Belieben durch die Flöte zu ersetzen; sie verfolgen vorwiegend instructive Richtung, sind musikalisch weniger anziehend und bieten keine neuen Momente. Nr. 11 ist frisch gehalten95; in Nr. 12 ist im letzten Satz gegen Schluß ein neckisches Hinüberleiten zum Thema; in Nr. 13 streift das Menuett-Tempo hart an die Polonaise. Eines dieser Trios sendete Haydn im Juni 1790 von Esterház aus seiner Freundin im Schottenhof. Er schreibt: »Ich erdreiste mir, Euer Gnaden eine ganz neue Claviersonate mit einer Flöte oder Violine begleitet, nicht als etwas sonderbares sondern nur im Fall der äußersten Langeweile als das allermindeste einzuschicken. Nur bitte ich, dieselbe baldigst abschreiben zu lassen und mir wieder zurück zu senden«. –
Die zahlreichen Clavierconcerte und Concertinos, über die schon gesprochen wurde (I. 353), ergänzen sich nur noch durch 3 Nummern (1. 2. 3.), von welchen nur das letzte einen wesentlichen Fortschritt zeigt; dennoch steht auch dieses gegen Mozart zurück, gegen jene feinfühlige Art und Weise, mit welcher dieser durch die Verbindung des reicher ausgestatteten Orchesters[321] mit dem Soloinstrument ein vollständig Neues schuf und auch hier so herrlich dasteht.96 Das jüngere Concert in F (Nr. 1), 1771 bei Le Duc in Paris als »Troisième concerto pour le clavecin ou Piano-Forte« erschienen, bietet in keinem der 3 Sätze weder in Erfindung, Passagen, noch im begleitenden Orchester ein besonderes Interesse und diente vermuthlich einem fingerfertigen Spieler (denn es wimmelt von veralteten Figuren aller Art) als Paradestück. Das letzte Concert in D (Nr. 3) ist das einzige, das sich bis auf unsere Tage erhalten hat (S. 205)97 und verdankt dies doch nur seinem feurigen Schlußsatz. Das Orchester ist hier reicher ausgestattet, hat volle Tutti und unterstützt die Solostimme in discreter Weise. Der erste Satz ist frisch und glatt gehalten, stellt aber an den Solisten sehr bescheidene Anforderungen. Der langsame Mittelsatz ist ein einfacher von leichtem Figurenschmuck umrankter Gesang. Dem Hereinstürmen einer kecken Banda vergleichbar tritt nun das Finale auf, ein von Lebenskraft überschäumender Rondosatz mit ungarischem Accent. Haydn konnte es nicht schwer fallen, dessen packende Gewalt wiederzugeben; hatte er doch Gelegenheit genug, die feurigen Vertreter jener charakteristischen Landesmusik in ihrer Urwüchsigkeit kennen zu lernen. Mit fieberhafter Hast springt denn auch das Hauptmotiv von Stufe zu Stufe, oft hart nebeneinander ohne irgendwelche Vermittlung und nur momentan verdrängt durch ein zweites Thema, das sich mit Sporengeklirre ankündigt. Das Orchester hält sich in diesem Satze sehr reservirt, nur einzelnen Stellen mehr Farbe verleihend.
Ein Heft Cadenzen in Manuscript, angeblich von Haydn's Composition, befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde zu Wien. Der Katalog von S.A. Steiner (1823) nennt auch ein Heft Cadenzen von Haydn, Koželuch, Mozart etc. Bei J. Cappi erschien ferner: Musique caractéristique ou collection de Préludes et Cadences pour le Clavecin ou Piano-Forte, composées dans le style de Haydn, Mozart, Kozeluch, Sterkel et Vanhal, par Muzio Clementi. –[322]
Die kleineren Clavierstücke beginnen mit den im Jahre 1 774 erschienenen Variationen inEs (Nr. 1)98 über ein Original-Thema (auch als Favorit-Menuett bezeichnet). Sämmtliche 12 Variationen in leicht gehaltenem Arabeskenspiel haben dieselbe Ton- und Taktart und erfüllen ihren instructiven Zweck, den auch die vierhändigen Variationen (Nr. 2) verfolgen. Dieselben erschienen zuerst gestochen unter dem schon angegebenen Titel (S. 87) bei Gius. Schmitt in Amsterdam. Es sind 7 Variationen in gleicher Tonart; die Spieler sind wechselweise beschäftigt; ein längeres Tempo di Menuetto macht den Beschluß. Die Anzeige dieser Variationen finden wir in Cramer's Magazin der Musik (1783. S. 72) mit der Bemerkung begleitet:
»Da unter den jetzigen Modestücken in der Musik auch die für 2 Personen an einem Clavier gehören und von vielen mehr und weniger bekannten und berühmten Meistern jetzt welche componirt, und von Musikfreunden gesucht werden, so wird dieses Werk denselben auch willkommen seyn, da es angenehm und für, 2 Freunde unterhaltend ist, sich zu gleicher Zeit und an einem Instrument zu vergnügen.«
Fast zu gleicher Zeit mit Haydn hatten in London auch J.C. Bach und Dr. Burney nach dem Vorgange Mozart's, der als Knabe in London 1765 »sein erstes Stück für vier Hände componirte« und mit seiner Schwester sich auch im Vierhändigspielen öffentlich hören ließ, Duette geschrieben.99
Im März 1789 bietet Haydn seinem Verleger Artaria »ein ganz neues Cappriccio« an, das er, wie wir gesehen (S. 236) »bei launigter Stunde« schrieb und gewissermaßen selbst kritisirt und damit angiebt, wie er es betrachtet wissen will. Es ist insofern ein wirkliches Capriccio, als es sich anscheinend regellos weder an einen Plan noch an eine übliche Form bindet, ohne aber eine Grundempfindung vermissen zu lassen. Die launenhafte Willkür besteht hier darin, daß ein- und derselbe Gedanke festgehalten ist. Er erscheint in der Rondoform bald in der Oberbald in der Unterstimme, in Dur und Moll und in verschiedenen Tonarten und immer mit neuer Gegenstimme und neuen Motiven[323] als Zwischentheilen, einmal mit frappanten Accordfolgen verbunden, bis er nach einem Halt auf dem verminderten Dominant-Septimenaccord der Haupttonart in eine Art Coda ausläuft. Gerber100 bemerkt bei diesem Capriccio: – »auf das Volkslied: Ich wollt' es wär Nacht etc.« Nun findet man in Ludwig Erk's »Deutscher Liederhort« S. 224 unter dem Titel »Liebeszwist« (mit der Bemerkung: »Vielfach mündlich, aus dem Brandenburgischen, aus Schlesien und dem Hessen-Darmstädtischen«) folgende Melodie, die aber, wie hier ersichtlich, nur in Umwandlungen zu Haydn's Kenntniß gelangt sein konnte:
Dagegen machte mich mein Freund Nottebohm auf eine Stelle in Mozart's Galimathias musicum (1766 im Haag comp.), aufmerksam, nach welcher also die von Haydn benutzte Melodie mit ihrer eigenthümlich rhythmischen Gliederung von 5 und 6 Takten längst schon durch Druck oder sonstige Überlieferung bekannt sein mußte.
Weitaus überboten wird das interessante Capriccio durch die erwähnte (S. 236) gleichzeitig entstandene Fantasia (Nr. 4). Diese zwei Bezeichnungen sind in der Praxis ziemlich willkürlich. Prätorius101 nennt sie gleichbedeutend; andere geben verschiedene Unterscheidungszeichen an; beide haben jedenfalls das gemein, daß sie einer bestimmt ausgeprägten Form entbehren, ohne aber deshalb in Regellosigkeit zu verfallen. Wir haben Phantasien von Seb. und Ph. Em. Bach, Mozart, Beethoven, Schubert und jede hat[324] ihre besondere Art. Bei Haydn ist sie die kunstvolle Verwerthung eines aufgegebenen Themas in freier Rondoform und diese ist ihm ganz besonders geglückt. Das Ganze gleicht einem Faschingsschwank; die einzelnen Theile des Themas tauchen in immer neuer harmonischer Wendung auf; neue Motive gesellen sich hinzu; Humor, Witz und Laune feiern ihren Festtag. Wie drollig ist das zweimalige Anhalten auf der Baßnote »so lange der Ton nachklingt«102, und dann das Weitergleiten um einen halben Ton; und gegen Schluß das Hinausdrängen in Octaven sammt den gefährlichen Zweiunddreißigsteln (eine zu jener Zeit in so raschem Tempo unerhörte Anforderung); obendrein fehlt es diesmal auch nicht an leicht geschürzter contrapunktischer Ausschmückung. Fürwahr: Haydn mußte sich damals in jener Stimmung befunden haben, die er selbst, wie früher erwähnt (I. 273) mit den Worten schilderte: »Man wird von einem gewissen Humor ergriffen, der sich nicht bändigen läßt«. – Das Andante in C mit 6 Variationen (Nr. 5) war das letzte Clavierstück, das Haydn vor seiner Abreise nach London componirte, und welches rechtzeitig an Artaria abzuliefern er sich schriftlich verpflichten mußte (S. 249). Alle 6 Variationen sind in gleicher Taktart und, mit Ausnahme von der fünften in C-moll, auch in gleicher Tonart und dienen gleich den früheren Variationen in Es-dur als gediegene Vorlage beim Unterricht. Sie sind, wie sie der Titel bezeichnet, »faciles et agréables« und haben sich als solche gleich ihren Vorgängern in immer neuen Auflagen bis auf unsere Tage bewährt.
Welche Ansprüche man in der Mitte des vorigen Jahrhunderts an die Kirchenmusik stellte, konnte Haydn als Sängerknabe in Hainburg und natürlich in reicherem Maße in der Domkirche und Hofkapelle zu Wien kennen lernen. Was er an Werken italiänischer und deutscher Componisten, eines Palotta, Caldara, Ziani, Fux, Reutter, Tuma hörte und selbst praktisch übte, mußte sich ihm tief einprägen. Als er dann nach Eisenstadt kam, fand er einen, durch die langjährige Thätigkeit Werner's fest ausgeprägten, kunstfertigen Stil vor. Das Studium dieser beiden[325] verschiedenen und doch wieder in Eins sich verknüpfenden Schreibweisen konnte nicht ohne Einfluß auf ihn bleiben. Der Richtung Werner's103 speciell, dieses merkwürdigen Mannes, hatte er vieles zu verdanken; indem er seine bereits erworbenen contrapunktischen Kenntnisse hier befestigte, wußte er sie in seiner glücklich angestrebten freieren Schreibart derart zu verwerthen, daß sein Name auch auf kirchlichem Gebiete rasch populär wurde.104
Über Haydn als Kirchencomponisten ist viel geschrieben und mehr noch nachgeschrieben worden. Daß er nicht für die Singstimme zu schreiben, überhaupt nicht einmal gesangmäßig zu denken vermochte, gilt noch heute als Glaubenssatz – von ihm, der im Gesange aufgewachsen war und stets die vorzüglichsten italiänischen Sänger um sich hatte! Betreffs seiner Messen wird ihm weiterhin der Vorwurf gemacht, daß er sich zu sehr durch die Pracht des Cultus zur Verherrlichung desselben zu rauschender Musik verleiten ließ; daß er, dem inneren Drange folgend, nicht wahrhaft tief, sondern heiter und jubelnd schrieb. Haydn selbst soll zu Carpani gesagt haben: »Da mir Gott ein fröhlich' Herz gegeben hat, so wird er mir's schon verzeihen, wenn ich ihm fröhlich diene«. Rossini entgegnete den Zweiflern: »Es war ihm Ernst, aber sein Ernst war eben Heiterkeit aus einem durch und durch liebenswürdigen Gemüth«. – »Seine Andacht (sagt Griesinger) war nicht von der düsteren, immer büßenden Art, sondern heiter, ausgesöhnt, vertrauend und in diesem Charakter ist auch seine Kirchenmusik geschrieben«. Und in gleicher Weise heißt es an anderer Stelle, daß in Haydn's Messen eine heitere, ausgesöhnte Andacht, eine sanftere Wehmuth und ein beglückendes sich bewußt werden der himmlischen Güter herrsche. Und wiederum: »Selbst in seinen Kirchencompositionen ist die Freude, der Jubel des in Gott entzückten, auf Gottes Vaterhuld vertrauenden, kindlichen Herzens vortretend, wie es der eigene Geist seines Glaubens mit sich brachte«.105 All' diese Urtheile deuten darauf hin,[326] daß Haydn's Kirchencompositionen von dem ihnen zukommenden gehörigen Standpunkte aus aufgefaßt sein wollen, den einzunehmen allerdings nicht Jedermanns Sache ist.106 Berücksichtigt man aber Zeit, Ort und Verhältnisse, unter denen diese Werke entstanden, dann wird man in ihnen auch trotz mancher unleugbaren Schattenseiten die innere Wärme und aufrichtige Frömmigkeit, die Lebensfrische, den Ernst wo es gilt, die maßvolle Behandlung der Singstimmen, den melodischen und harmonischen Reichthum und vor allem die ungesuchte, scharf begrenzte und zielbewußte Factur, die alle Haupttheile plastisch hervortreten läßt, zu würdigen wissen und sich an ihrem künstlerischen Werth erbauen.
Fassen wir zunächst Haydn's erste Messen ins Auge107, so finden wir in ihnen eine wohlvertraute Behandlung der Solo- und mehrstimmigen Sätze und des Chores. Wohl finden sich in ihnen noch veraltete, mit Coloratur verbrämte Arien, die zwei- und mehrstimmigen Soli aber sind dankbar und durch eingeflochtene strengere Schreibart interessant. Die Instrumentation ist die gewöhnliche; die Blasinstrumente sind nur selten obligat behandelt, der Streicherchor glänzend, doch nirgends den Gesang deckend. Gewisse Lieblingsgänge bei mehrstimmigen Soli kommen häufig vor, so verfehlt Haydn nie die Wirkung, wenn er bei ernsten Stellen die Stimmen vom Baß aus imitatorisch aufbaut oder ein Solo oder Duett mit dem Chore wechselt, und daß er dann auch tief und ergreifend wird, bezeugt er oft und eindringlich. Die allzu lebendig ausgestatteten Schlußsätze lassen sich wenigstens durch mäßigeres Zeitmaß, wie es Haydn selbst sich dachte, mildern.
Wir wenden uns nun den einzelnen Messen zu. Bei Nr. IV, Es-dur108, müssen wir noch in das Jahr 1766 zurückgreifen; Haydn[327] schrieb sie in Eisenstadt vor seiner Übersiedelung nach Esterház.109 Sie hat ausnahmsweise 2 Englisch Horn)durch 2 Oboen zu ersetzen) und obligate Orgel. Es ist eine der am wenigst verbreiteten Messen Haydn's; der Grund mag wohl zunächst in dem veralteten, concertartig behandelten Orgelpart liegen, der jedoch nicht durchgehends und nur im Benedictus mit 4 Solostimmen) vollständig durchgeführt ist.110 Mit ähnlichem Passagen- und Schnörkelwerk hatte Haydn kurz zuvor den Clavierpart einer Festcantate (Bd. I. S. 244) ausgestattet. Die Behandlungsweise entspricht beiläufig seinem im Jahre 1756 componirten großen Orgelconcert, von dem sich noch das Autograph erhalten hat. Es ist interessant zu sehen, wie schon in dieser ersten größeren Messe alle Keime zu seinen späteren Ausführungen ruhen. Die melodiöse Erfindung und thematische und contrapunktische Arbeit ist frappant und der Ernst den entscheidenden Momenten angemessen. Haydn hatte tüchtige Solisten und so finden wir sie hier auch reichlich beschäftigt, aber was sie an Verzierungen zu singen haben, huldigt häufig noch dem Geschmack jener Zeit. Auch der Chor will sich oft nur schwer den, fast möchte man glauben, erst später untergelegten Worten fügen, so namentlich im Dona nobis. Zu den anziehendsten Sätzen gehören das feierliche Kyrie, das zarte Gratias, einzelnes im Credo, das wie in Weihrauch eingehüllte Sanctus, Agnus Dei (Quartett-Solo) und die kurzen fugirten Schlüsse desGloria und Credo. Leider ist der Ausgang der Messe ein höchst bedenklicher: ein Dona nobis, in dem die Stimmen im 6/8-Takt im Presto (!) in athemloser Hast zum Schlusse drängen!
Zwei Aufführungen in Leipzig im Jahre 1809 und 1816 (letztere unter Schicht) fanden eine merkwürdig günstige Aufnahme. Die Messe wird hier als »eine seiner edelsten, gehaltvollsten, andächtigsten Kirchenstücke« und einzelne Stücke als »zu dem Schönsten was Haydn für die Kirche geliefert hat« geschildert!111 Der[328] zweite Bericht112 nennt die Messe ebenfalls »ganz gewiß eine seiner schönsten, würdigsten und andächtigsten Compositionen: vornämlich gehört der 2. Theil, vom Credo an, unter die dem Referenten allerwerthesten Werke dieses Fachs aus neuer Zeit«.
Nr. V, G-dur, aus dem Jahre 1772, in Haydn's Entwurf-Katalog richtig (mit Sti. Nicolai), im Hauptkatalog aber mit Sti Josephi bezeichnet113, hat den großen Vorzug leichter Ausführbarkeit bei kleiner Besetzung (2 Ob., 2 Hörner)114, mäßiger Ausdehnung und dankbarer Soli. Sie hat in vielen Theilen einen lieblichen, einschmeichelnden Charakter, so im Kyrie, Gratias(Sopransolo), Benedictus (Soloquartett) und alles ist sehr sangbar. Dem Texte entspricht der Charakter der Musik allerdings nicht immer. Ernstere Sätze sind das Et incarnatus est (Tenorsolo), Sanctus und Agnus Dei; Kyrie und Gloria schließen mit kurzen Fugen. Im Credo sehen wir die vier Singstimmen gleichzeitig verschiedenen Text singend, ein Auskunftsmittel, den Satz musikalisch zu kürzen, wobei wenigstens die Grundstimmung des Ganzen gewahrt blieb. Wir finden dies bei Haydn öfters, so auch in der 6. und 8. Messe, in der 6. auch im Gloria. ZumDona nobis ist das Kyrie, aber ohne die Fuge benutzt und hat die Messe somit wenigstens einen ruhigen Abschluß wie z.B. in Schubert's As- und Beethoven'sC-Messe. Es spricht sich in dieser sogenannten »Sechsviertel-Messe« so recht der fromme, kindlich gläubige Sinn Haydn's aus. Im Vergleich zu der früheren bietet sie schon manche Eigenthümlichkeiten, wenn auch im Ganzen die Behandlungsweise und Auffassung ihrer Zeit angehört.
Nr. VI, B-dur, ist gleich Mozart's herrlicherF-Messe (Köchel, Nr. 192) nur für 2 Violinen und den für die Orgel bezeichneten Baß geschrieben.115 Diese bescheidene Besetzung und die sichere, knappe Form läßt vermuthen, daß sie Haydn etwa für eine kleine Dorfkirche schrieb, wo gelegentlich einmal die Mitglieder der fürstlichen Kapelle die Ausführung übernahmen. Das Übereinanderstellen[329] des Textes imGloria und Credo finden wir, wie früher gesagt, auch hier; ersteres ist dadurch mit nur 31 Takten abgethan116; die homophone Satzweise herrscht hier vor. Beim Credo macht nur der langsame Mittelsatz (Et incarnatus est) eine Ausnahme – ein gehaltvoller, würdiger Theil ohne zu düstere Färbung. Beim Crucifixus steigt der Baß äußerst wirkungsvoll chromatisch abwärts in interessantem Accordwechsel. Beim Wiedereintritt des Allegro (Et resurrexit), nimmt die Violine das Anfangsmotiv des Gloria auf und beim Et vitam venturi saeculi wird der ganze Schlußsatz desGloria den Worten des Credo angepaßt. Dem Sanctus schließt sich diesmal das Osanna in sinniger, dem feierlichen Moment entsprechender Weise an. DasBenedictus ist ein fromm erdachtes Sopransolo (das einzige Solo in der Messe), leicht begleitet von Violinen und Baß. Die Orgel ist hier das einzige Mal obligat behandelt, tritt aber außer dem Vorspiel nur in den Zwischensätzen der Gesangstimme hervor. Es ist wieder jene veraltete, verzierte Manier, wie in derEs-Messe, doch in milderer Form. Der Eindruck, den diese Verbindung der Orgel mit der Knabenstimme erzielt117, (denn nur eine solche bringt hier die rechte Wirkung hervor) erinnert etwa an jene lichtumflossenen Heiligenbilder, die in ihrer Art aufgefaßt sein wollen. Das tief empfundene Agnus Dei ist die Krone dieser »Kleinen Orgelmesse«. Ernst und gemessen beginnen die Bässe mit dem flehentlichen schmerzerfüllten Anruf des Agnus Dei, dann in G-moll und C-moll wiederholt, dem sich jedesmal der Chor anschließt mit Qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Beim drittenmal folgt die Bitte um Frieden, das Dona nobis pacem, zuerst vom Tenor angestimmt. Wie von Zweifeln geängstigt ruft dann noch zweimal der volle Chor ein lautes Agnus Dei! dann leise die Bitte wiederholend, bis endlich die letzten Stimmen im Gefühl der Ergebung und Zuversicht im letzten dona – pacem ersterben. Haydn hat hier glänzend bewiesen, wie würdig sich die beiden Theile des letzten Satzes zu einem einheitlichen Ganzen[330] verschmelzen lassen. Die ganze Messe aber ist an sich ein so kostbares Juwel118, daß man versucht wäre, als Zeit ihrer Entstehung eine viel spätere Periode zu muthmaßen und um so mehr, da eine von Elßler gefertigte Partitur den Datum 9. 7ber 1795 trägt. Eines bessern aber, wenn auch nicht vollständig, belehren uns die geschriebenen Auflagstimmen im Stift Göttweig, nach welchen die Messe am 19. April 1778 zum erstenmale aufgeführt und dann oft wiederholt wurde (siehe S. 86).
Nr. VII, C-dur, die reich besetzte sogenannte »Cäcilienmesse« ist auch Haydn's längste119. In keiner seiner späteren Messen hat er sich derart ausgebreitet; eine Masse Material liegt hier vor, hinreichend für mehrere Werke. Wie dies später namentlich Cherubini gethan, hat auch Haydn die ersten Abschnitte der Messe zu umfangreichen, selbstständigen Sätzen ausgearbeitet. Bei Herausgabe der Partitur hat man es daher vorgezogen, Kürzungen vorzunehmen; dieselben betreffen jedoch nur ganze Absätze des Kyrie und Gloria. Schon das Kyrie (236 Takte) hat Haydn nach kurzer Einleitung in 3 selbstständige Sätze getheilt. Hier wurde das rauschende Allegro auf die WorteKyrie eleison entfernt und folgt nun unmittelbar nach der Einleitung das mild gehaltene Christe eleison (Tenorsolo und Chor, A-moll 3/4)120 und die kräftige Schlußfuge:
welche noch heutzutage mit untergelegtem Text (Dominus surrexit) als Graduale benutzt wird. Das aus 7 Sätzen bestehende übermäßig ausgedehnte Gloria (821 Takte!) wurde um die Hälfte in der Art zusammengedrängt, daß man die selbstständigen Theile,Laudamus te (ein aufdringliches Coloratur-Sopransolo mit veralteten Violinfiguren), Gratias (Chor, eine hübsche, ruhig gehaltene Fuge, die sich sehr gut als Offertorium verwerthen ließe):
[331] und Domine Deus (Terzett, C-dur 3/8 für Alt, Tenor und Baß) ausschied und den dadurch entfallenen Text, so gut es eben ging, in die erste Abtheilung des Gloria (die ursprünglich nur bis Et in terra pax hominibus reichte) unterbrachte. Das nun folgende Qui tollis121, wie auch die Schlußfuge, zeichnet sich durch ernste Haltung aus. Merkwürdigerweise nimmt das gefürchtete Credo an Umfang nicht die Hälfte des ursprünglichen Gloria ein. Hier überrascht ein hübscher Zug: der zwischen den Chorsätzen immer und in stets veränderter Phrase wiederkehrende Credo-Ausruf des Sopransolo122 Von ergreifender Wirkung ist das Et incarnatus est (Largo, C-moll), ein nur von den Streichinstrumenten in charakteristischer Weise begleitetes Tenorsolo; beim Crucfixus übernehmen dann Alt und Baß das Solo. Eine klare, bündige Fuge beschließt das interessante Credo. Dem feierlichenSanctus folgt das weich gehaltene Benedictus, diesmal in Moll und mit Fagottsolo; längere Instrumentalsätze verbinden hier die würdig gehaltenen Soli (zu 3 Stimmen) und Tutti. Angemessener Ernst spricht auch aus dem Agnus Dei (Largo, A-moll), ein Baßsolo, das noch die Worte Dona nobis pacem aufnimmt. Unmittelbar folgt dann die glänzende Schlußfuge und auch hier wie in der 4. Messe fordern die Stimmen in lebhaftestem Tempo (Presto) gebieterisch den Frieden und schleudern sogar gegen Ende mitten in den Wirbel noch ein Agnus Dei! hinein!
Nr. VIII, C-dur, die sogenannte »Mariazellermesse«123 bildet gewissermaßen den Übergang zu den bedeutenderen großen Messen, obwohl zu diesen hin ein Zwischenraum von 14 Jahren liegt. Sie hat Glanz, Schwung und Frische und wird deshalb häufig an kirchlichen Festtagen zur Aufführung gewählt. Nach dreimaligem feierlichen Anruf Kyrie eleison geht es gleich in die Feststimmung über (Vivace, abwechselnd Solo und Chor). Sieht[332] man davon ab, daß wir uns das »Herr, erbarme dich!« anders zum Ausdruck gebracht vorstellen, ist der Satz von bestrickender Frische und energischer Factur. Stellen wie:
greifen wahrhaftig wuchtig ein. Im Jubelchor schallt nun das begeisterte:
dem sich das anmuthige Gratias (Sopransolo) anschließt. Wie mit ehernem Tritt begleiten dann die Streichinstrumente das vom Chor ernst angestimmteQui tollis. Nach Eintritt des freudigen Quoniam tu solus sanctus schließt eine freie Fuge mit Amen ab. Weniger bedeutend als sonst ist das Credo-Motiv; tief empfunden dagegen das Tenorsolo Et incarnatus est (Largo, A-moll) und das vom Chor gebrachte, Stimme um Stimme eintretende Crucifixus. Bei Wiederkehr des ersten Tempo zwängen die Stimmen wieder den Text in der oben bezeichneten Weise zusammen und folgt zum Schlusse eine kräftige, mäßig lange Fuge.
Das Sanctus fügt sich dem Ganzen würdig an. Einen imposanten Eindruck macht das Benedictus, G-moll, ein rhythmisch fest gegliederter, scharf accentuirter Satz, der schon mit seinem
Eingangsmotiv:
energisch auftritt, um aber bald einem sanften Gegensatz in der Parallel-Tonart mit Solostimmen zu weichen, in dem sich auch, den Jahren weit vorausgreifend, ein Motiv aus der österreichischen Volkshymne ankündigt.
Haydn hat hier, wie schon S. 283 erwähnt, eine Arie aus seiner Oper Il mondo della luna(Atto II, Scena 4. »Qualche volta[333] non fa male«) herübergerettet wie in ähnlicher Weise Bach, Händel124 und Andere vor ihm. Feierlich ernst stimmt nun der volle Chor dasAgnus Dei dreimal an; dann folgt, wie es der Ritus vorschreibt, nach dem letzten Qui tollis peccata mundi das Dona nobis in Fugenform, abermals ein Satz, der an sich imponirt durch die sichere, klare Durchführung, welche den einzelnen Stimmen trotz aller Verschlingungen stets eine imposante Klangfülle zu bewahren weiß.
So weit über Haydn's Messen aus dieser Zeit. Manche allgemeine Bemerkungen seien auf jenen Zeitpunkt aufgespart, wo seine vollendetsten Werke dieser Art uns vorliegen werden.
Den schon früher componirten Kleineren Kirchenmusikstücken (Bd. I. S. 362 ff.) reihen sich weitere in unserer mittleren Periode an. Wie schon erwähnt (S. 49), fallen 6 solcher Stücke (m. 5–10) nachweisbar in die Zeit vor den 70er Jahren. Wie sie aufzufassen sind, wurde bereits angedeutet; sie sind nur insofern der Beachtung werth, als sich an ihnen Haydn's Fortschritt auch in dieser Richtung verfolgen läßt.
Nr. 5, Salve Regina125, besteht aus einem concertirenden, meistens mit altem Figurenwerk überladenen Sopransolo, gegen das sich der Chorsatz kräftig und in der Einleitung des 4. Satzes sogar in Händel'schem Geiste bewegt.
Nr. 6, Salve Regina, aus einem einzigen Satze bestehend, ist ein wirkungsvoller Chorsatz, der im Stifte Gottweig an bestimmten Festtagen häufig aufgeführt wurde.
Nr. 7, Ave Regina, ist eine Gelegenheitsarbeit besserer Art.
Nr. 8, Cantilena pro Adventu126 ist ein einfacher, kindlich frommer Sologesang, etwa für eine Dorfkirche geschrieben; desgleichen wohl auch Nr. 9, Aria pro Adventu für 2 Singstimmen, die sich meistens in Terzen bewegen; Nr. 10, Aria de venerabili ist ein leicht ausführbares Altsolo.
Die in die 70er Jahre fallenden größeren und bedeutenderen[334] Stücke wurden schon (S. 174) in ihrer Gesammtheit besprochen. Sie sind meistens glänzend gehalten; Trompeten und Pauken fehlen nirgends. Nr. 16, Motette de tempore, Rec., Arie und. Chor (Allelujah) hat lebhaften Charakter; Nr. 17, Offertorium in einem Satz für Chor ist besonders glänzend und klangvoll; Nr. 18, Regina coeli, umfangreich und frisch, giebt den beiden concertirenden Sopranstimmen und dem obl. Violoncell reichlich Gelegenheit, durch Fertigkeit zu glänzen. Nr. 19, Motette für Chor ist etwas einfacher gehalten als die obige; ein zweitesOffertorium Nr. 20 in einem Satz ist frisch und festlich, die Hymne Nr. 21 kommt dem Offertorium Nr. 17 an Glanz und Klangfülle gleich.127 Diese 2 letzten Nummern werden noch heute als Einlagen in großen Messen aufgeführt; letztere wird auch in Concerten mit deutschem Text, (»Walte Gott, o ew'ge Liebe«) gesungen128. Diesen mehr festlich gehaltenen Stücken stellt sich als Gegensatz ein viertes im Jahre 1771 componirtes größeres, schon früher (S. 48) besprochenes Salve Regina entgegen129. Innig und fromm und stets den Wohllaut wahrend bietet das Werk in seinen 3 Sätzen den Sängern eine sehr dankbare Aufgabe. Die Orgel tritt hauptsächlich in der ersten Hälfte des ersten Satzes obligat auf, weiterhin nur in kurzen Stellen; die Violinen schmiegen sich vorzugsweise den Singstimmen an und diese wieder sind durchaus sehr sangbar gesetzt; die thematische Arbeit ist höchst sorgfältig. Der 2. Satz ist lebhafter und weiter ausgesponnen. Der 3. Satz ist durch ein kurzes Largo mit Tenorsolo eingeleitet. Nach einem Ausruf der 4 Singstimmen, analog dem eigentlichen Eintritt im 1. Satz (6. Stufe mit übermäßiger Sext), tritt der letzte Satz mit Allegretto 3/4 in die Haupttonart G-moll und beschließt in würdiger Weise dieses sein gearbeitete, zur Andacht stimmende Werk.130[335]
Nr. 12. Haydn's im J. 1773 entstandenes Stabat mater131, das seinen Namen zuerst auch als Gesangscomponist in Deutschland, Frankreich und England bekannt machte und über welches schon berichtet wurde132, besteht aus 13 Nummern (1 Solo für Tenor mit Chor, 6 Solo-Nummern, 1 Duett, 1 Quartett mit Chor, 3 Chören und der Schlußnummer mit Fuge). Die Besetzung des Orchesters ist höchst einfach; zum Streichquartett treten nur 2 Oboen hinzu, in Nr. 2 u. 10 ersetzt durch Engl. Horn. Gesanglich wird man manche Stellen, selbst mehrere ganze Nummern, als im Geschmack jener Zeit geschrieben schon recht veraltet finden, dagegen zeigen andere noch heute eine unbedingte Lebensfähigkeit. Das Orchester begleitet zunächst die Singstimme oder unterstützt sie in freier angemessener Verwebung, und auch dort, wo es einleitend oder verbindend auftritt, hält es einen ernsten Charakter fest. Ein Largo (abwechselnd Tenorsolo und Chor) bereitet in würdiger Weise die richtige Stimmung vor. Von den beiden Alt-Soli, Nr. 2, O quam tristis (mit gedämpften Saiteninstrumenten und Engl. Horn)133 und Nr. 9, Fac me vere tecum flere, zeichnet sich besonders letzteres durch gefühlvollen Ausdruck aus. Die beiden Tenorsoli, Nr. 6, Vidit suum dulcem natum und Nr. 12, Fac me cruce sublevari finden ebenso den treffenden Gefühlsausdruck des Schmerzes. Nr. 12 ist zudem dankbar für den Sänger und in ihrer Art noch dankbarer die feurige Baßarie Nr. 5, Pro peccatis suae gentis134. Auch das Duett für Sopran und Tenor, Nr. 8, Sancta mater, istud agas tritt durch warme Empfindung vor. Den Arien gegenüber hat die Zeit den Chören kaum etwas anhaben können. Sie zeichnen sich aus durch Kraft und Fülle, Ernst und Würde. Nebst der erwähnten Eingangsnummer sind von besonders würdevoller Haltung[336] Nr. 3. Quis est homo, Nr. 10 das Soloquartett mit Chor, Virgo virginum praeclara135; von schlagender Wirkung aber Nr. 11, Flammis orci ne succenda (Bässe unisono). Mit einem einleitenden Sopran- und Altsolo, Quando corpus moriatur, mit Chor und darauf folgender Fuge in Allabreve-Takt,Paradisi gloria ut animae donetur – Amen, wobei man nur eine zweimal eingeschobene veraltete Sopran-Solostelle wegwünscht, schließt das Werk in kräftiger Weise ab.
Von den drei noch zu besprechenden größeren Werken folgt nun der Zeitentstehung nach der im J. 1768 componirte, S. 39 erwähnte Applausus (geistl. Festcantate) in lateinischer Sprache. Das umfangreiche Werk, gegen die frühere, 1764 componirte Festcantate (I. S. 243) wesentliche Fortschritte bezeugend, besteht aus 13 Nummern: Introduction und Recitativ, Quartett, 5 Arien, 1 Duett, ein längeres Recitativ für alle Solostimmen und Schlußchor. Das Streich-Orchester ist verstärkt durch Oboen, Hörner, Trompeten und Pauken. Bei der Tenorarie tritt das Clavier, bei der Sopranarie der Fagott obligat auf. Die Recitative sind theils mit dem Baß, theils mit dem Streichquartett und auch mit Oboen und Hörnern begleitet und häufig mit langen Zwischenspielen unter brochen. Das Clavier ist in der Weise wie die obligate Orgel in der Es-Messe mit veralteten Läufen überladen, die Solostimmen brillant und mit langen Passagen versehen. Die Arien bestehen aus zwei Theilen, von denen der zweite der längere, nach welchem der erste wiederholt wird. Sehr vortheilhaft tritt (ein auffallender Zug bei Haydn) die Baßarie Si obtrudet ultimam hervor; sie hat wahren, ungekünstelten Baßcharakter in der Art wie jene im Stabat mater. Die mehrstimmigen Nummern sind nicht contrapunktisch gearbeitet, nur im frischen und kräftigen Schlußchor treten die Stimmen ab und zu imitatorisch auf; überhaupt zeigt sich Haydn auch hier den Arien gegenüber deren eingebürgerten Aufputzes er sich nicht erwehren konnte, bei den Chorsätzen wie vom Banne erlöst. Wie sich aus der früheren Cantate (1764) 2 Nummern als Offertorien mit[337] angepaßtem Texte in die Kirche hinüber retteten136, so hier sogar 4 Nummern (Nr. 1–4): die Introduction sammt Quartett (Nr. 1), die erste Baßarie (2), das Duett (3), mit Allelujah abschließend (3), namentlich aber der Schlußchor (4)137.
Im Jahre 1775 fällt die Aufführung des OratoriumsIl ritorno di Tobia (S. 68). Wie das Werk ursprünglich aussah, läßt sich nicht mehr nachweisen, denn die Partitur, welche die Kaiserin Marie Therese im J. 1797 von der Tonkünstler-Societät zur Durchsicht verlangte, war schon damals nebst anderen Musikalien »ausgemustert worden«138. Im »Tobias« hält sich Haydn noch an den Zuschnitt des italiänischen Concert-Oratoriums. Auffassung und Behandlung ist die damals allgemein übliche; als Muster hierin konnten Haydn namentlich die bedeutenderen Werke Hasse's gelten. Er übertraf ihn wohl in der Behandlung des Orchesters, stand aber in jener des Sologesanges gegen ihn weit zurück. Zahlreiche. langgestreckte, mit Coloratur-Tiraden überladene Arien wechseln mit gedehnten, wenn auch sorgfältig declamirten Recitativen und das einzige Duett in der 2. Abtheilung steht an Werth noch unter den Arien, von denen allenfalls als die besseren zu nennen sind: Nr. 2 die schwungvolle Arie der Anna, (Alt) D-dur »Sudò il guerriero«; Nr. 4 Arie des Raphael (Sopran) A-dur »Anna m'ascolta; quel figlio, a te si caro«, bis zum hohen c reichend und mit großen Intervall-Sprüngen versehen, wie z.B.
in der 2. Abtheilung Nr. 4, Arie der Anna, F-moll, »Come in sogno un stuol m'appare« mit reicher Besetzung (2 Ob., 2 H., 2 Engl.[338] Horn, Alt- und Tenorposaune). Anfangs düster gefärbt, geht die Arie dann in milden Ausdruck über; die äußerst liebliche Melodie:
nimmt dann der darauffolgende Chor als zweites Thema auf. – In den Chören greift Haydn seinen Zeitgenossen abermals weit voraus. In ihnen zeigt sich wieder Kraft und selbst Tiefe, Harmoniefülle, kunstvolle und zugleich freiere Behandlung des Contrapunkts und jene modernere Instrumentation, die wir Haydn verdanken und die er hier zum erstenmale auf das Oratorium übertrug. Mit diesen Chören betrat er jene Wege, die ihn später den großen Messen, der »Schöpfung« und den »Jahreszeiten« zuführten. Gleich der erste Chor der Hebräer, Es-dur mit Soli der Anna und des Tobias), »Pietà d'un infelice«, der die Bitte um Rückkehr des Sohnes Tobias ausdrückt, ist in jeder Beziehung des späteren Haydn's würdig. Der Chor überrascht durch Würde im Ausdruck, Sicherheit in der Stimmführung und namentlich durch eine für die damalige Zeit ungewöhnlich glänzende Orchestrirung und Handhabung einer an sich doch mäßigen Besetzung (Oboen, Hörner, 2 Engl. Horn und Fagotte). – Auch der zweite Chor »Ah gran Dio«, der sich der Arie der Anna anschließt, ist von guter Wirkung, wird aber weit überstrahlt vom Schlußchor der 1. Abtheilung »Odi le nostri voci«, D-dur; im Vordersatz sind auch die 5 Solostimmen beschäftigt; als eigentlicher Abschluß beginnt dann die Fuge »Rendi a Tobit la luce«, ein kräftiger, blühender, an kunstvoller und doch zugleich auch freier thematischer Durchführung reicher Satz, der noch durch eine effectvolle Instrumentirung (mit Trompeten und Pauken) gehoben wird. In der zweiten Abtheilung finden wir den im J. 1784 neu hinzucomponirten sogenannten »Sturmchor«, »Svanisce in un momento«, von dem sich das Autograph noch erhalten hat.139 Der Sinn der Worte: Die Seele droht der Feinde Wuth zu unterliegen, doch das Vertrauen auf Gott hält uns aufrecht – ist[339] hier trefflich wiedergegeben. Dieser Chor ist reich instrumentirt (Fl., Ob., Fag., Hörner, Trompeten, Alt- und Tenorposaune, Pauken). Während im Vordersatz alles in kühnem Fluge vorwärts stürmt, finden wir im Nachsatz als versöhnenden Engelszuruf jene liebliche Melodie aus der Arie der Anna. Es erübrigt noch, der Schlußnummer zu gedenken. Nachdem sich der Erzengel als solcher zu erkennen gegeben und, von einer Wolke verhüllt, der Erde entschwebt, singen die vom Glanz geblendeten Paare Gottes Preis in warm gefühlten Tönen. Mit Beginn des Chores treten nun in voller Pracht alle Instrumente hinzu; nach dem Halt auf der Dominant beginnt sofort der Baß mit dem kräftigen Fugenthema (6/8) auf die Worte, »Metterem gloria maggiore e maggior felicità«, das nun in immer mächtigerer Steigerung (die Soprane bis ins hohe c) und reicher contrapunktischer Entfaltung das Werk zu Ende führt. Die 3 letzten Chöre bilden, wie schon erwähnt (S. 71), mit lateinischem Text noch heute eine willkommene Einlage als Offertorien (m. 13. 14. 15) und werden auch in Concerten als Motetten verwendet.140
Wir haben früher gesehen (S. 70), daß man wiederholt versuchte, den Mängeln dieses Oratoriums durch Kürzungen und Zugaben nachzuhelfen. Abgesehen aber von dem Grundübel desselben, dem verfehlten Textbuch, wird jede bessere Zugabe stets die Hauptgebrechen des Werkes nur noch mehr hervorheben. Ganz verloren war ja die Arbeit doch nicht: Haydn gab es Gelegenheit, in ausgedehntem Maße seine Kräfte zu üben und zu prüfen; uns aber bleiben jedenfalls die trefflichen Chöre. Auf jeden derselben läßt sich auch heute noch jener Ausspruch anwenden, mit dem das Erscheinen der Partitur des Sturmchores begleitet war141, daß nämlich solche Arbeit »dem studirenden Tonkünstler zum Beispiel und Muster dienen könne, wie man eine im Ganzen schön und bestimmt aufgefaßte musikalische Idee durch Reichthum und Mannigfaltigkeit bei größter Einheit zur besten Wirkung durchführen könne. Überall herrscht Ordnung, richtiges Ebenmaß der[340] Theile und ein so schönes Verhältniß derselben untereinander, wie dies nur ein wahrhaft großer Meister treffen und festhalten kann.« –
Die im J. 1785 entstandene Composition »Die sieben Worte des Erlösers am Kreuze«142 hatte Haydn, wie wir gesehen (S. 214 f.), ursprünglich dem Auftrage gemäß als instrumentales Werk behandelt und den letzten Ausrufen Christi entsprechend auf sieben selbstständige Sätze (jeder Satz von Haydn »Sonate« genannt) vertheilt, denen er noch eine Einleitung und eine Schlußnummer, »das Erdbeben« schildernd, hinzufügte. In dieser ursprünglichen Bearbeitung ist jeder »Sonate« ein Baßsolo vorgesetzt, das den jeweiligen Ausruf recitativisch in deutscher Sprache (für die beabsichtigte Aufführung in Cadix doch wohl in die Landessprache übersetzt) mit Begleitung des Orchesters vorträgt, wie z.B.:
Bei der Herausgabe des Werkes blieben die Recitative weg und wurde dafür der Text aus der lateinischen Vulgata den ersten Takten jeder Sonate untergelegt. Als Haydn die Umarbeitung des Werkes für Singstimmen vornahm, ließ er sich die alte Instrumental-Partitur abschreiben und setzte nun die Chor- und Singstimmen hinzu, nachdem er sich vorerst den früher (S. 218) erwähnten Text unter die letzte Zeile der Partitur vornotirt, nach Bedarf umgeändert, radirt, überklebt hatte, bis er mit sich im Reinen war. Es war dies eine schwierige Aufgabe, die nur Flickarbeit bleiben konnte und häufig den an sich schon wenig poetischen Text wenigstens nicht verbesserte. Jeder Sonate setzte er dann einen kurzen, vierstimmigen choralmäßigen Chorsatz auf[341] einen der Ausrufe in deutscher Sprache voraus, dem bei der Herausgabe auch der lateinische Text beigefügt wurde. Dem Orchester fügte er Klarinetten und Posaunen hinzu und änderte so manches. Und gerade hier ist es interessant zu sehen, wie er als erfahrener Meister mit richtigem Blicke vorging, in der Instrumentation hier zugab, dort dämpfte und so den durch Hinzutritt der Menschenstimme nun reicheren und klangvolleren Nummern Licht und Schatten verlieh. Es bleibt immerhin zu verwundern, daß Haydn diese Arbeit so überraschend günstig gelang, da er doch namentlich in der Führung der Singstimmen überall gehemmt war. Daher auch der vorwaltend homophone Stil; meistens bringt die Oberstimme die Melodie, während die übrigen Stimmen, auf Chor und Soli vertheilt, nur ab und zu eine vorsichtige Imitation erzwingen. Bei dieser Neugestaltung hat Haydn die ernste, würdig vorbereitende Introduction unverändert beibehalten, nur hat er die Flöte weggelassen. Die erste Nummer bringt mit glücklich gewähltem Ausdruck des Heilands Bitte: »Vater! vergieb ihnen«. Mild und tröstend klingt mit Nr. 2 Jesus' Verheißung »Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein«. Wie früher in der 8. Messe finden wir hier abermals vorgreifend ein Anklingen an Haydn's Kaiserlied:
Tief zum Gemüthe sprechend schildert uns die 3. Nummer des Heilands an seine trostlose Mutter gerichtete Worte: »Frau! Sieh' deinen Sohn!« und zum Jünger: »Sieh' deine Mutter!« fortan deine Vermittlerin vor Gott. – Doch der Schmerz wird übermächtig: »Mein Gott! mein Gott! warum hast Du mich verlassen!« Er selber, der eben noch Trost zugesprochen, ringt nun nach Kraft und Stärkung! Mit gesteigertem Ausdruck ist dieser Moment in der 4. Nummer wiedergegeben, in der wir Takt 56 bis 62 folgende höchst merkwürdige Stelle finden:
[342] Nach dieser Nummer hat Haydn in dieser neuen Bearbeitung, das Werk damit in zwei Abtheilungen scheidend um der Einförmigkeit vorzubeugen, einen Instrumentalsatz nur für Blasinstrumente neu hinzucomponirt. Schon die Wahl der Instrumente (Flöte, je 2 Oboen, Klarinetten, Hörner, Posaunen, Fagotte und ein Contrafagott) zeigt, daß Haydn hier einen besonderen Eindruck beabsichtigte. Mit ausgesucht feinem Takt hat er die einzelnen Instrumente je nach ihrer Klangfarbe verwendet; hier in Gruppen zusammengestellt, dort einzeln hervorgehoben. So zeigt auch die thematische Anlage eine erstaunliche Sorgfalt, der Ausdruck eine tiefe und doch männlich ernste Trauer. Man sieht: er war der Fesseln ledig, die ihn in den übrigen Nummern hemmten; frei konnte er nun walten und sich in den erhabenen Gegenstand seiner Aufgabe vertiefen. Nur in dem Eingang der »Schöpfung« hat Haydn einen ähnlichen vom Adel höchster Vollendung getragenen Tonsatz geschrieben.
Die 5. Nummer, die sich diesem Instrumentalsatz unmittelbar, ohne vorangehenden Choralsatz, anschließt, giebt in einfach rührender Weise die Worte »Mich dürstet«, Jesus' Ruf nach Labung, sein Flehen um Erbarmen, als man ihm, dem Sterbenden, unter Hohn und Spott Wein mit Galle gemischt reichet. In den zwei letzten Nummern vollzieht sich die Katastrophe. »Es ist vollbracht!« ruft der Heiland in die Nacht hinaus; seine Mission ist erfüllt, sein Leiden steigt nun höher nicht. Der Tod tritt an ihn heran und in Ergebung und Vertrauen haucht er seine Seele mit den Worten aus: »Vater! In deine Hände empfehl' ich meinen Geist!«
Es ist zu beklagen, daß gerade in diesen letzten Nummern statt einer Steigerung des Ausdrucks das Gegentheil eintritt. Daran leidet namentlich die 6. Nummer, die überdies zwei an diesem Orte das Gefühl geradezu beleidigende Motive enthält. Es ist unfaßlich, daß sie Haydn nicht wenigstens nachträglich bei[343] Gelegenheit der häufigen Aufführungen des Werkes abgeändert hat. Die 7. Nummer ist wohl würdiger gehalten, doch entspricht auch hier vieles nicht dem natürlichen Taktgefühl. Als Schlußnummer wird nun »das Erdbeben« geschildert, ebenfalls mit hinzugefügtem Chor und leider nicht nach dem Originaltext.143 Es ist schon bemerkt worden (S. 218), daß dieser viel richtiger vorgeht, indem er das Ganze, statt mit grellen Farben. versöhnend abschließt.
Faßt man das Werk als Ganzes zusammen, so bietet es trotz so mancher Schwächen doch so viel einfach Schönes, es spricht aus diesen Tönen so wahrhaft Haydn's frommer Sinn, sein reines kindliches Gemüth, daß es noch überall, wo es als kirchliche Feier zur Aufführung kam, eine religiös andächtige Stimmung hervorrief, wie dies zahlreiche Urtheile zu verschiedenen Zeiten bezeugen. So schreibt man (um nur Eines auzuführen) aus Leipzig: »Die Wirkung auf alle Anwesenden war tief und innig, wir haben seit zwei Jahren kaum jemals eine so allgemeine, feierliche Stimmung, bis zum letzten Moment dauernd, bemerken können«.144
Indem wir uns nunmehr an Haydn als Operncomponist wenden, haben wir uns vor Allem ins Gedächtniß zu rufen, wie er selbst sich über seine Stellung der Oper gegenüber aussprach. Wir sahen, daß der jedem deutschen Componisten eigenthümliche Zug Italien zu besuchen, schon bei dem Jüngling durch Gluck angefacht, durch seine Beziehung zu Metastasio, Porpora und Hasse und durch den täglichen Umgang mit den italiänischen Sängern der fürstlichen Kapelle fortwährend genährt wurde und daß er selbst seiner Sehnsucht, dieses damalige Eldorado der Musiker zu besuchen, nicht nur Worte verlieh, sondern auch ernstlich Versuche machte, vom Fürsten aber jedesmal in zarter Weise beschwichtigt wurde. Gewiß hielt er sich für fähig genug, auch in dieser Richtung den Anforderungen der[344] Kunst zu entsprechen, wie wir dies aus seinem eigenen Munde am Ziel seiner Laufbahn vernehmen, wenn er sich gegen Griesinger äußert »er hätte anstatt der vielen Quartette, Sonaten und Symphonien mehr Musik für den Gesang schreiben sollen, denn er hätte können einer der ersten Opernschreiber werden und es sei auch weit leichter nach Anleitung eines Textes als ohne denselben zu componiren«. Und an anderer Stelle: »Er glaubte selbst, daß er bei seinen guten Fundamenten im Gesang und in der Instrumental-Begleitung ein vorzüglicher Operncompositeur geworden wäre, wenn er das Glück gehabt hätte, nach Italien zu kommen«. Haydn schlug auch den Werth seiner dramatischen Werke, den gleichzeitigen Operncomponisten gegenüber, nicht gering an. Wir lasen, daß er an Artaria schrieb (S. 174), indem er zwei seiner letztverfaßten Opern erwähnt: »ich versichere, daß dergleichen arbeith in Paris noch nicht ist gehört worden und vielleicht eben so wenig in Wienn, mein unglück ist nur mein aufenthalt auf dem Lande«. Und weiterhin (S. 200), daß seine Armida »mit allgemeinen Beyfall aufgeführt wurde; man sagt es seye bishero mein bestes Werk«.
Dennoch war er nicht blind gegen die geringe Haltbarkeit seiner Opern, indem er, wie abermals Griesinger mittheilt, wohl einsah, »daß sie in ihrer ursprünglichen Gestalt in der neuen Epoche (zu Anfang unseres Jahrhunderts) schwerlich mit Glück aufgeführt werden könnten«. Auch früher schon gab er dafür einen triftigen Grund an in jenem Brief an Roth in Prag (S. 225), in dem er dessen Anerbieten, ihm eine Oper nach Prag zu schicken, mit den Worten ablehnt: »weil alle meine Opern zu viel an unser Personale gebunden sind, und außerdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Lokalität berechnet habe,« wobei er mit wahrhaft hochherziger Selbstverleugnung, auf seinen jüngeren Freund hinweisend, noch hinzufügt: »Ganz was anders wäre es, wenn ich das unschätzbare Glück hätte, ein ganz neues Buch für das dasige Theater zu komponiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemanden andern zur Seite haben kann«. Haydn schrieb dieses drei Jahre nach Aufführung seiner Armida, mit der er (seine später in London verfaßte und unvollendet gebliebene OperOrfeo abgerechnet) seine Wirksamkeit auf diesem Gebiet abgeschlossen hatte und damit, dieselbe ruhiger[345] überblickend, sein früheres Urtheil in richtigem Maße modificirte, indem er sich selbst sagen mußte, daß er seine sämmtlichen Werke für die Bühne eigentlich doch nur den begrenzten Verhältnissen seines Kreises, dem Geschmack und Privatvergnügen des Fürsten anpassen mußte.
Daß trotzdem seine letzten Opern, wie wir sahen, in deutscher Uebersetzung auch auf fremden Bühnen bis noch zu Anfang unseres Jahrhunderts Eingang fanden, darf uns nicht irre führen. Es blieb doch nur ein Scheinleben, denn abgesehen von dem durch Zeit und Umstände bedingten, unseren heutigen Bedürfnissen gegenüber aber längst überlebten musikalischen Zuschnitt tragen sie schon fast ausnahmslos in ihren unsäglich trostlosen Librettos den Todeskeim in sich. Und wenn der deutsche Uebersetzer der Oper Orlando Paladino den Don Pasquale die Worte singen läßt: »Gäben nur die Herren Dichter bessere Worte zur Musik« und weiterhin »Ach ihr Herren Dichter! habt Erbarmen mit der Tonkunst!« so hat er, die Handlung mit inbegriffen, nur zu wahr gesprochen, wie wir ja selbst gesehen haben.
Bei alledem kann man es zum Wohle der Entwickelung der deutschen Musik, dem Umstand nur Dank wissen, daß Haydn die italiänische Oper gleichsam nur streifte und daß sein Wunsch, nach Italien zu kommen, wie bereits gesagt, unerfüllt blieb, denn er wäre dort im günstigsten Fall ein glücklicher Nachahmer, doch schwerlich ein bahnbrechender Führer geworden; es fehlte ihm dazu im höheren Sinn jene dramatische Conception, scharfe Charakteristik und Objectivität, Eigenschaften, die dem Bühnen-Tondichter unentbehrlich sind. Von Vortheil war ihm die Beschäftigung mit der Oper dennoch, denn sie machte seine Technik nur noch flüssiger und erhöhte seinen melodischen Schönheitssinn.
Haydn folgt in seinen italiänischen Opern ganz und gar der alten Tradition; willig fügt er sich den überlieferten, conventionellen Forderungen derselben und glaubt seine Aufgabe erfüllt zu haben, wenn er seinen Sängern zu Dank schreibt, indem er ihnen Gelegenheit bietet, ihre Gesangskunst geltend zu machen. Treu dem vorgelegten Textbuch reiht sich in ermüdender Weise Arie an Arie in der üblichen Form, von übrigens hübschen Ritornellen eingeleitet, nur selten unterbrochen von 2- oder 3stimmigen Gesangstücken, aber wahrhaft überwuchert von meistens langgestreckten, wenn auch sorgfältig gearbeiteten Recitativen. Vorherrschend[346] ist das Secco-Recitativ (begleitender Baß), bei erhöhtem Ausdruck in das durchcomponirte (mit Instrumentalbegleitung und im Zeitmaß) Recitativ übergehend. Mehrstimmige Ensemblesätze bilden das Finale, das bei größerer Ausdehnung aus einer zusammenhängenden Folge dramatischer Scenen besteht und durch häufigen Tempowechsel die nöthige Beweglichkeit und Steigerung erhält. Der Chor ist fast ganz ausgeschlossen; wo ein solcher im Textbuch angegeben ist, sind es eben nur die handelnden Personen – ein Hauptmangel, denn gerade hier hätte Haydn gewiß sein Bestes geliefert. In den Motiven zu den Arien zeigt sich Haydn wieder unerschöpflich in Erfindung; sie sind durchweg gefällig, oft wahrhaft reizend und stets leicht singbar und faßlich. Der Charakter der einzelnen Arien ist übrigens ein wesentlich verschiedener, bedingt durch die jeweiligen Sänger, entweder solche, die direct aus Italien kamen, so namentlich die Sängerinnen Bologna, Ripamonti, Valdesturla und die Sänger Speccioli, Negri, Bianchi, Moretti, Totti, Mandini, oder solche, die nie über Eisenstadt und Esterház hinauskamen, obwohl auch diese sich rasch die Gesangsmanier ihrer Collegen zu eigen machten, so die Ehepaare Friberth und Dichtler, die Sängerin Weigl, der Bassist Specht. Der Tenorist Dichtler war das in Haydn's Opern am meisten beschäftigte Mitglied (er sang in 10 Opern); der intelligente Tenorist Friberth war, wie wir sahen (I. 270), aus Nieder-Oesterreich gebürtig, wurde von Bonno und später von Gaßmann gebildet und sang vordem in den italiänischen Opern-Vorstellungen bei Hof. So verrathen denn deren Gesangsfertigkeiten schon die für sie gesetzten Arien, in denen entweder mehr der getragene Gesang oder die Bravour vorherrscht. Und an Passagenflitter ist kein Mangel, es wimmelt von Läufen bis ins hohe h, c, d (allerdings nach damaliger Stimmung einen Ton tiefer) und von großen Intervallsprüngen (auf Sicherheit im Treffen deutend).
Im Orchester verwendet Haydn an Blasinstrumenten fast ausnahmslos Oboen und Hörner paarweise, häufig mit Hinzufügung von Flöte, Fagott, Englisch Horn; nur einigemal greift er zu Trompeten und Pauken; die Klarinette kommt nur in den zwei letzten Opern vor. Die Finales haben meistens die volle Besetzung: Flöte, Oboen, Fagotte, Hörner (nur selten auch Pauken). Solos für Flöte, Oboe, dann auch Violoncell, sind[347] selten. Es ist wohl selbstverständlich, daß Haydn mit Aufmerksamkeit die Werke italiänischer Componisten verfolgte, die sowohl in Esterház als auch in Wien zur Aufführung kamen. Die in Esterház nachweisbar aufgeführten Werke wurden schon genannt (S. 8), doch fällt nur ein kleiner Theil in jene Zeit, da Haydn selbst für die Bühne schrieb. Die Opern des Wiener Repertoires sind aus der Beilage III. ersichtlich.
Bei dem Umstande, daß Haydn's sämmtliche Opern nach ohnedies kurzer Lebensfrist längst verschollen sind und an ihre etwaige vereinzelte Wiedererweckung in ihrer vollen Integrität kaum gedacht werden kann, die Partituren aber nur den Wenigsten zugänglich sind, wäre es eitel Bemühen, sich in weitläufige Zergliederungen einzulassen; deren Licht- und Schattenseiten aber ohne die nöthigen, uns hier zu weit führenden Belege zu bringen, würde zu nichts frommen und ohnedies die gestellte Aufgabe nicht fördern. Einige zu dem bereits Gesagten ergänzende Andeutungen über die einzelnen Arien werden genügen, uns auch in dieser Richtung der Haydn'schen Muse orientiren zu können.
Beim Überblick dieser Reihenfolge dramatischer Werke besagen in vorhinein deren bezeichnende Beiworte. wie wir sie aufzufassen haben. Während das erste Werk »Acide« (I. 223 f.) Festa teatrale (theatralisches Festspiel) betitelt ist, finden wir nun (wie früher vereinzelt angegeben) folgende Bezeichnungen:Intermezzo (Zwischen- oder Singspiel, kleine komische Oper) – »La Canterina«; Dramma giocoso per musica (heitere Oper) – »Lo Speciale«, »Le Pescatrici«, »L'incontro improvviso«, »Il mondo della luna«, »La vera costanza«, »La fedeltà premiata«; Burletta (kleines Lustspiel) – »L'infedeltà delusa«; Azione teatrale (theatralische Handlung) – »L'isola disabitata«; Dramma eroicomico (heroischkomische Oper) – »Orlando Paladino«; Dramma eroico (heroische Oper) – »Armida«.
Wenn Haydn im komischen und heiteren Theil dieser Opern die entsprechende Saite anschlägt, so ist es keineswegs jener Scherz und Frohsinn, den wir aus seinen instrumentalen Werken kennen, es ist ein ganz aparter Ton der Heiterkeit, der eben nur für die Bühne paßt. Ganz besonders glücken ihm unter den Arien die Buffopartien, die in kecken, gefunden Zügen durchgeführt sind. Soll aber irgendwo die Gemüthstiefe vorwalten, kommt er seiner[348] auch hier unnachahmlichen Compositionsweise noch am nächsten. Und auffallend genug wird er gerade von den ernsteren Situationen gehoben und scheint dann zu vergessen, daß er, wie oben gesagt, doch nur dem Moment, dem stabilen kleinen Kreis unterhaltungsbedürftiger Zuhörer zu genügen angewiesen war.
Wir gehen nun zu den einzelnen Opern über.
La Canterina (S. 37) hat eine leicht geschürzte, heitere Handlung, der die Musik glücklich angepaßt ist. Wir haben nur 2 Soprane und 2 Tenöre, denen allein also, ohne den geringsten scenischen Wechsel, die Aufgabe der Unterhaltung zufällt. Die vier Arien sind kurz gehalten, doch haben zwei, Arie des Don Pelaggio (»Jo sposar l'empio tiranno«) und der Gasparina (»Non vè chi mi ajuta«) einen ganz hübschen Schwung. Der erste Akt schließt mit einem längeren Quartett, der zweite mit »Coro«, d.h. mit einem mit Recitativen untermischten Ensemblesatz. Secco- und durchcomponirte Recitative wechseln ab; von den Blasinstrumenten sind nur Oboen und Hörner, Flöte und Englisch Horn verwendet.
Lo Speciale (S. 39), durchaus bedeutender und auch umfangreicher, ist ebenfalls nur mit 2 Sopranen und 2 Tenören besetzt. Das gut gegliederte Textbuch, das noch heute als nicht zu verachtender Stoff zu einem unterhaltenden Lustspiel dienen könnte, bietet dem Componisten schon mannigfaltigere Anhaltspunkte, die von Haydn auch geschickt ausgenutzt sind. Die ganze Oper, auffallend durch detaillirte Charakteristik, ist vielleicht Haydn's abgerundetste und in allen Theilen mit sichtlicher Liebe ausgearbeitet. Wir haben 8 Arien, 1 Terzett und 2 Quartette als Finales; Secco-Recitative (nur ein Recitativ ist mit Streichquartettbegleitung) verbinden das Ganze. Von den einzelnen Nummern sind hervorzuheben eine Coloraturarie des Sempronio, eine weich gehaltene Sopranarie der Griletta145 und 2 Arien des Volpino, die eine empfindungsvoll, die andere mit türkischem Anstrich (Volpino als Türke verkleidet). Die Perle der Oper ist das 2. Finale, ein Quartett, das in seiner weichen Haltung lebhaft an das reizende Quintett in Così fan tutte erinnert. Das[349] Orchester hat dieselbe leichte Behandlung wie vordem; von den Blasinstrumenten fehlt diesmal Englisch Horn.
Mit der Oper Le Pescatrici (S. 46) treten wir, die Hausräume verlassend, hinaus in die freie Natur; alles wird farbiger, lebendiger und auch die Besetzung ist reicher (2 Sopr., 1. Alt, 2 Ten., 2 Bässe). Ein heiterer, einfach ländlicher Chor leitet die Oper ein; 3 weitere Chöre (immer nur die handelnden Personen) folgen später, alles frisch, gefällig und leicht in der Ausführung. Von den 16 Arien nähern sich einige mehr der Ariette; die Motive sind meistens ansprechend und ungezwungen;146 eine große Scena mit allen 7 Personen ist voll Leben, kräftig und namentlich auf energischen Baß gebaut. Die Finales erheben sich nicht zu besonderer Bedeutung. Von den vielen Recitativen ist nur eines durchcomponirt; im Orchester greift Haydn neben Flöte, Oboen, Fagott, Hörner wieder zu Englisch Horn.
L'infedeltà delusa (S. 60) ist als Burletta von mäßigerem Umfang; dennoch zählt die Partitur nebst Einleitung (alle 5 Personen) 11 Arien, 1 Duett und 2 Finale. Einige Arien sind wieder stark gewürzt mit Coloratur bis h und cis, andere sind mehr breit gehalten. Die erste Arie des Filippo »Quando viene a far l'amore« ist die bis dahin am reichsten instrumentirte und deutet wieder auf die ungewöhnliche Fertigkeit des Sängers Friberth. Die einzige Baßarie des Nanni bewegt sich im Umfang von 2 Octaven bis bei dieser und einer zweiten Arie, wie auch bei der Einleitung tritt zum erstenmale das Violoncell obligat auf; in zwei Nummern führt Haydn ebenfalls zum erstenmal auch die Pauken ein.
L'incontro improvviso (S. 74) ist die bisher bedeutendste Oper größeren Genres. Friberth hatte das französische Original (von Dancourt) ins italiänische übersetzt, aber durchweg umgearbeitet; zwei Personen, Vertigo und Amina, fehlen bei Haydn und die Reihenfolge der Scenen und Arien weicht ganz ab vom Original. Wir zählen 13 Arien, 3 Canzonetten, 3 Duette, 1 Terzett, 1 Chor (Bässe unisono), 3 breit angelegte Finale und 1 kurzes Orchesterstück. Die Partitur enthält eine Fülle von Schönheiten[350] und ist reich an Abwechselung. Wir nehmen hier von dem Ehepaar Friberth Abschied, das zum letztenmal auftritt, um bald darauf nach Wien zu übersiedeln (I. S. 270). Dem vortrefflichen Sänger fallen 3 Arien zu, in denen er seine umfangreiche Stimme, Bravour und warmen Vortrag zeigen kann; eine derselben »Il guerrier con armi avvolto« hat kriegerischen Charakter und ist daher auch mit Trompeten und Pauken aufgeputzt. Seiner Frau sind 2 empfindungsvolle Canzonetten und 2 Arien zugewiesen, in denen es an hochgehenden Passagen und großen Intervallsprüngen nicht fehlt.147 In einem hübschen Duett »Son quest 'occhi un stral d'amore« vereinigen sich Beide zu liebeglühendem Gesang.148
In den 3 Arien des Calandro konnte Haydn seinem humoristischen Drang vollauf Genüge thun; sie sind im lebhaften Buffoton, kräftig und hochkomisch gehalten, originell instrumentirt und schon im Rhythmus eigenartig. Eine derselben »Non pariamo santarelli« verlangt vom Baß das ḡ.149
Eine frappantes Beispiel von Tonmalerei bietet eine Arie des Osmin, in welcher das Reisen zu Land und zu Meer (per terra correre, per mare vogheremo) musikalisch illustrirt ist, das erstemal die Streichinstrumente in 32tel Läufen gegen einander, die Singstimme in gebrochenem Accord auf und nieder, das zweitemal die Streichinstrumente in gebrochenen gleichsam wie vom Winde gepeitschten Accorden gegen einander, die Singstimme in auf- und niederwogendem Septaccord. Eine der schönsten Nummern ist das zarte Terzett für 3 Sopranstimmen »Mi sembra un sogno« mit 2 Hörner, 2 Engl. Horn, die Violinen mit Sordinen. Die Schlußnummer der Oper, Soli und Chor abwechselnd, ist verstärkt mit Trompeten, Tamburin und Cinellen, so hat auch ein kurzes Orchesterstück nur Oboen, Hörner, Triangel, Cinellen und Pauken. Trotz der überwiegend größeren Anzahl interessanter Nummern kam die Oper über die Geburtsstunde nicht hinaus und es ging ihr daher noch schlechter als Gluck's Oper,[351] die in der deutschen Übersetzung (»Die unvermuthete Zusammenkunft oder: die Pilgrimme von Mekka«) bei einer Reprise im Jahre 1807 nicht mehr aufkam.
Il mondo della luna (S. 80) übertrifft alle bisher genannten Opern an gehaltloser Handlung; die Oper zählt zu den Spektakelstücken, wo die Schaulust die erste Rolle spielt. So ist denn auch der Musik zu dem umfangreichen Libretto mit wenigen Ausnahmen nur für den Augenblick Rechnung getragen. Die Partitur enthält, langgestreckte Secco-Recitative ungerechnet, 17 Arien, 2 Duette, 2 Chöre, 3 Finale, 5 Instrumentalnummern und 1 Balletto (bei letzterem tritt die Piccoloflöte oder Piffero hinzu). Zu den wirklich schönen Nummern zählt die Ouverture (Symphonie Nr. 31), die Einleitung zum 3. Akt (Ouverture Nr. 2) und die in der Mariazeller Messe als Benedictus verwendete Arie des Ernesto (S. 333).
La vera costanza (S. 87), die ursprünglich für Wien bestimmte Oper, ist wesentlich von ihren Vorgängern verschieden; sie ist mehr dem damals im Hoftheater herrschenden Geschmack und gewiß auch jenen Sängern, die Haydn bei der Ausführung im Sinne hatte, angepaßt. Von den bisherigen Opern ist sie auch die erste, die in deutscher Übersetzung auf anderen Bühnen Eingang fand. Im Gesangspersonal treffen wir nunmehr, den Tenoristen Dichtler ausgenommen, auf neue Namen, sämmtlich dem Lande Italien angehörig, und als die bedeutendste Sängerin die vordem (S. 19) erwähnte Ripamonti. Die Oper zählt 11 Arien, 2 Duette, 1 Quintett, 3 Finales und 1 Instrumentalsatz. Im Clavierauszug mit Gesang er schienen bei Artaria 4 Arien und 1 Duett. Eine Arie des Ernesto »Per pietà vezzosirai« hat wieder ein Übermaß an Verzierungen; eine Arie des Conte »A trionfar t'invita« mit kriegerischem Charakter hat ebenfalls ihre Rouladen, wechselt in Tempo- und Tonart und ist voll Leben; die kleine Baßarie ist wiederum dieser Stimmlage vortheilhaft angemessen; die übrigen nähern sich mehr der Ariette leichtester Art. Das 2. Finale hat reichen Tempo- und Tonartwechsel; die Schlußnummer »Coro« bewegt sich in der gewöhnlichen Rondoform. Über die Ouverture (siehe dort Nr. 6) wurde schon S. 284 gesprochen; die Besetzung ist die gewöhnliche: 2 Oboen (auch Flöte), 2 Fagotte, 2 Hörner. Die Lebensfähigkeit dieser Oper kam nicht über das Jahrhundert hinaus, was[352] nicht zu verwundern ist, da ihr das nöthige Mark fehlt; sie hat zuviel landläufigen schablonenhaften Charakter und steht an eigentlichem Gehalt gegen die Oper vom Jahre 1775 weit zurück.
Ganz isolirt von allen anderen Haydn'schen dramatischen Werken steht L'isola disabitata (S. 99). Ernst wie die Handlung ist auch die Musik. Ob Haydn beauftragt war, gerade dieses Libretto zu bearbeiten oder ob es ihn selbst drängte, endlich einmal aus dem ewigen Einerlei von Getändel heraus zu kommen, steht dahin. Der Grundstock der Partitur sind die Recitative, die sämmtlich durchcomponirt sind und zwar mit erstaunlicher Sorgfalt und wählerischer Gewissenhaftigkeit, wahrhaft überraschend durch ihren charakteristischen, edlen Ausdruck. Haydn durfte sich hier in Wahrheit mit den Anfangsworten der Costanza rühmen: »Qual contrasto non vince l'indefesso sudor«! Diesmal standen ihm ausschließlich nur italiänische Sänger zu Gebote und unter ihnen seine Angebetete als Silvia, neben der ernsten Costanza (gleich Agathe und Ännchen) das einzige heitere Element der Handlung. Außer der Ouverture (siehe dort Nr. 3 und S. 284 erwähnt) und den ausführlichen Recitativen zählen wir hier nur 6 Arien (eine siebente ist nur die Wiederholung der vorhergehenden. von Sopran auf Tenor übertragen und in Recitativ übergehend) und 1 Quartett als Schlußnummer. Die Arien entsprechen dem Dialog, alle sind gehaltvoll und edel gehalten. Die Instrumentation, nebst dem Streichquartett Flöte, Fagott, je 2 Oboen und Hörner (nur gegen Schluß reiht sich die Pauke an) ist maßvoll und die Situation hebend; in der letzten Nummer sind Flöte, Fagott, Violine und Violoncell obligat eingeführt. Nach dem Ausdruck der Trauer und Sorge erquickt um so mehr das Finale, in dem sich die Liebenden, Costanza und Fernando, Silvia und Enrico, dem freudigen Gefühl ihrer Vereinigung in warmgefühltem Doppelgesang hingeben.
Mit der Oper La fedeltà premiata (S. 167) begrüßen wir das nach dem Brande neuerbaute Schauspielhaus. Wiederum haben wir es mit einem unruhigen, lose zusammengehaltenen Opernstoff zu thun, unter dem auch die Musik leidet. Auf den Zusammenhang mit der hie und da erwähnten Oper »Der Freybrief« wurde schon hingewiesen (S. 168 f.) In diese Partitur sind 4 Nummern von Haydn aufgenommen, so die Arie der Fillide »Deh soccorri un infelice« (nun Lenchen's Arie »Ach, der[353] Liebe Glück empfinden«); die von Haydn zweimal componirte Arie des Perruchetto und »Salva ajuto« (nun Arie des Klaus »Ja, ja Hans Klaus«); der Eingangschor »Bella Dea« (als Finale benutzt). Die nicht mehr vollständige Partitur zählt nach dem Textbuch 11 Arien, 2 Chöre. 3 Finale; als Schlußnummer dient ein kurzer, von Soli unterbrochener Chor in Rondoform »Quanto più diletto«.150 Daß Haydn die Ouverture als letzten Satz der »Jagdsymphonie« (siehe dort Nr. 40) benutzte, wurde schon erwähnt (S. 269). Einige hübsche Arien abgerechnet, darunter die Baßarie des Melibeo »Mi dica il mio signore« (mit Trompeten) und die Sopranarie der Amaranta »Vanne, fugge, traditore«, erhebt sich die Musik nicht über das Niveau einer Gelegenheitsarbeit. Und mit Recht: wer hätte auch auf solcher Unterlage sein Bestes verwenden wollen. Im Beginn der Oper, einem gefälligen Chor, unterbrochen von durchcomponirtem Recitativ, nahm Haydn wohl einen ernsten Anlauf, hat aber nachträglich die Hälfte der Nummer gestrichen. Eine der besten Sängerinnen,Sgra Valdesturla, die hier zum erstenmale und in zwei Rollen auftrat, finden wir auch in den zwei letzten Opern.
Orlando Paladino (S. 194), jene Oper, die bestimmt war, als Festvorstellung bei dem erwarteten Besuch des russischen Großfürsten Paul und Gemahlin zu dienen, war vortrefflich besetzt (es wirkten die zwei besten Sängerinnen, Valdesturla und Bologna mit) und glänzend ausgestattet. Es ist die einzige von Haydn bearbeitete Oper, in der das heroische und komische Element vermengt ist. Sie zählt 18 Arien, 2 Duette, 3 Finale und 1 kurzes Instrumentalstück für Blasinstrumente (Flöten, Oboen, und Fagotte). In 3 Nummern ist nun wieder die Klarinette angewendet. Der Ouverture (siehe dort Nr. 10) wurde schon S. 285 gedacht. Unter den Arien zeichnen sich auch hier die im Buffoton geschriebenen aus, welche dem drolligen Schildknappen Don Pasquale zufallen. Eine derselben, die er zu Pferde sitzend singt, wurde schon erwähnt; die zweite »Ho viaggato in Francia« appellirt an die Zungenfertigkeit und verlangt das hohe h und c im Falsett; die dritte »Ecco spiano, ecco il mio trillo«,[354] in der er seinen Triller, sein Staccato und seine Arpeggien anpreist, steigt in 16tel Bewegung durch 2 Octaven bis e. Mit einer kurzen aber höchst ausdrucksvollen Arie beginnt der 3. Akt: Charon, am Flusse Lethe, in seinem Kahne Wache haltend und den unbegrabenen Schatten Halt gebietend (»Ombre insepolte di quà partite«). Den feierlich gemessenen Baßgesang begleiten die Blasinstrumente in Octaven, zuerst die Flöte, dann auch Oboen, Fagott und Hörner; Violinen und Cello führen dazu in gebrochenen Accorden eine Wellenfigur aus – eine Scene von wunderbarer Wirkung. Von den beiden gefälligen Duetten wurde das erste »Qual tuo visetto amabile« während Haydn's Anwesenheit in London als Einlage in der Oper Il Burbero di buon cuore (von Martin) gesungen. Die 2 Finale sind weitläufig ausgeführt, das dritte ist kurz und in der früheren Rondoform.
Armida (S. 199), deren Stoff Tasso's »Gerusalemme liberata« entnommen ist und seit Lulli (1686) von unzähligen Componisten bearbeitet wurde, weicht merklich ab von allen früheren Opern Haydn's. Alles ist gedrungener, kräftiger, flüssiger und dem Durchschnittscharakter der zur Zeit das Repertoire beherrschenden italiänischen Opern sich nähernd, daher aber auch weniger eigenthümlich und tiefgehend. Schon die Ouverture (siehe dort Nr. 11), der S. 285 gedacht wurde, deutet auf den Charakter der ganzen Oper. Wir haben 14 Arien, 1 Duett, 1 Terzett, 1 Ensemblesatz als 3. Finale und als kurzes Instrumentalstück einen Marsch für Blasinstrumente (2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner). Die Arien sind frisch und kräftig und der italiänischen Singweise angemessen; an Läufen in die oberen Regionen ist wiederum kein Mangel. Die Instrumentation ist bei einigen sehr üppig gehalten (Flöte, Fagott, Oboen und Hörner) und lebendig durchgeführt; eine Arie des Rinaldo (»Vado, a pugnar« hat sogar Trompeten und Pauken; eine zweite des Ubaldo (»Prence amato in quest' amplesso«) mit kriegerischem Charakter ebenfalls Trompeten. Eine dritte des Ubaldo (»Valorosi compagni«, erschien in Clavierauszug bei Artaria; ebenso eine ein zweitesmal componirte Arie der Armida (»Odio, furor, dispetto«) von kräftigem Ausdruck und Anläufen bis c. Ein langes mit Passagen und Terzengängen (Sopran wieder bis c) geschmücktes Duett zwischen Armida und Rinaldo beschließt den ersten, ein Terzett den zweiten Akt. Secco-Recitative und solche mit Instrumentalbegleitung[355] wechseln ab. Zu den gelungensten Partien zählen die Scenen im Zauberhain; im übrigen verläuft alles zu gleichförmig, es fehlt ein eigentlicher Höhepunkt. Diese und die vorhergehende Oper waren, wie wir gesehen (S. 195 und 201), so ziemlich die letzten Haydn'schen Opern, die noch zu Anfang unseres Jahrhunderts (1805) zur Aufführung kamen, erstere in Hamburg, letztere in Turin.
Im Rückblick auf die genannten Opern kommen wir nochmals auf die zweite, Lo Speciale, zurück, als der wohl einzigen, die, nach Bedürfniß eingerichtet, zum Versuch einer Wiederbelebung zu empfehlen wäre. Haydn konnte hier noch unbefangen arbeiten und mag ihn die einfach natürliche Handlung, namentlich aber bei seiner schalkhaften Natur die Art und Weise, wie der alte Narr Sempronio von seinen jugendlichen Nebenbuhlern gefoppt wird, angezogen haben, während all der gleißnerische Flitter, der den meisten späteren Opern mehr oder minder anhaftet, seiner ehrlichen Natur widerstrebt haben mußte. Lo Speciale nimmt als Ganzes neben ihren Schwestern etwa die Stellung der kleineren Orgelmesse (S. 329) zu den späteren großen Messen (deren Bekanntschaft wir noch zu machen haben) ein, die aber allerdings gleich Riesen den sämmtlichen Opern Haydn's gegenüber stehen.
Einige Zeilen seien noch dem Marionetten-Theater gewidmet, obwohl sich von der Musik, die Haydn für diese »Welt im Kleinen« schrieb, nur zwei Stücke erhalten haben. In seinem Katalog führt Haydn unter »Deutsche Marionetten-Opern« auf: »Genovesens 4. Theil«; »Philemon und Baucis«; »Dido«; »Die bestrafte Rachgier oder: das abgebrannte Haus«; »Der krumme Teufel« in Wien aufgeführt. Letztere war, wie wir wissen, das erste Theaterstück, zu dem Haydn die Musik schrieb (I. 153 ff.) Das vor genannte Stück war ein damals oft gegebenes Lustspiel, zu dem Haydn die Orchesterstücke lieferte; »Dido« eine Marionettenoper, wurde 1777 in Esterház und dann im Schönbrunner Lustschloß vor der Kaiserin gespielt (S. 79); Genoveva's 4. Theil, ebenfalls Marionettenoper, von der noch das umfangreiche Textbuch existirt, wurde 1777 in Esterház aufgeführt (S. 80 f.). Somit bleibt uns noch »Philemon und Baucis« – »ein kleines Schauspiel mit Gesang« (wie das Textbuch besagt), zur Feier des Besuches der Kaiserin 1773 in Esterház aufgeführt (S. 63 f.).[356] Haydn hatte, wie wir sahen, für dieses Fest keine neue italiänische Oper geschrieben. Um so mehr darf man annehmen, daß er sich wird bemüht haben, das kleine Schauspiel mit seiner Musik zu schmücken; dies zeigt schon die Ouverture (b. 1.) und die kleine Canzonette, die oben erwähnten zwei Nummern; obendrein mußte ihn aber auch das gemüthvolle Textbuch angeregt haben. Es ist bedauerlich daß die Musik, wahrscheinlich beim Theaterbrand, verloren ging; immerhin aber wäre es möglich, daß sie sich anderwärts erhalten hat, da das Stück ja auch im Auslande gegeben wurde (S. 65). Als Anhaltspunkte bei etwaiger Auffindung können dienen: das Personen-Register – Jupiter und Merkur (als Wanderer); Philemon und Baucis (ein altes armes Ehepaar); Aret (ihr Sohn); Narcissa (seine Braut): Chor der Nachbarn und Nachbarinnen. Die Textanfänge der Gesänge: Chor (»In Wolken hoch emporgetragen«); Arie des Philemon (»Mehr als zwanzig Jahr Vermählte«); Canzonette des Philemon (»Ein Tag der Allen Freude bringt«); Arie der Baucis (»Heut' fühl' ich der Armuth Schwere«); Arie des Aret (»Wenn am weiten Firmamente«); Duett, Aret und Narcissa (»Entflohn in nun der Schlummer«); Chor (»Triumph, dem Gott der Götter«) vor dem Beginn des Finale. Der Anfang der Canzonetta lautet:
Die erste der 3 Cantaten für eine Sopran-Solostimme »Ah, come il coure mi palpita nel seno« (n. 1) erschien wie früher erwähnt (S. 196) zuerst bei Artaria.151 Die Orchesterbegleitung besteht nebst dem Streichquartett aus Flöte, 2 Oboen, Fagott und 2 Hörnern und greift mächtig ein in diese (nach unseren heutigen Ansichten so zu benennende) »Concertarie«. Mit Angst und Zittern hat Phillis so eben. einen Brief erbrochen, aus dem sie erfährt, daß Philen, ihr Geliebter, für sie, die Ungetreue, gestorben ist. – In dem einleitenden durchcomponirten Recitativ klagt sie sich heftig an; doch der wilde Affect legt sich und geht im Arioso (»Ombra del caro bene«) in eine ruhige, zärtliche Stimmung[357] über. Wiederum gewinnt der Schmerz die Oberhand; Phillis glaubt ihren Geliebten zu hören, der vom Ufer des Lethe aus ihr Vorwürfe macht und ihr die Schuld an seinem Tode beimißt. Mit den Worten »Tiranno a te mi rese una pietà fedele« hebt in raschem Tempo die Arie an, in der die Schuldbewußte abwechselnd ihre treue Liebe betheuert und in heftigen Klagen über das Unglück ihrer Liebe aufflammt. Die Recitative in dieser leidenschaftlichen opernhaften Scene sind voll Ausdruck und Schwung und finden sich weiterhin Stellen von melodischem Reiz und zauberhafter Klangwirkung, so der Eintritt des Arioso mit Flöte und Horn-Solounisono und im Allegro die Stelle bei den Worten »Fida ti amai, e fida verrò l'ombre ancor«, bei der man unwillkürlich an Beethoven's »Glücklich allein ist die Seele die liebt« gemahnt wird. Für eine Sängerin mit großer Stimme wäre diese Arie, die nirgends durch alten Zierrat verunstaltet ist, sondern einen dramatischen, gluthvollen Vortrag verlangt, noch heute eine schätzenswerthe Wahl.
Von der Trauercantate »Deutschlands Klage auf den Tod Friedrich des Großen« (n. 4a) hat sich zwar nur der Singpart mit Baß-Unterlage erhalten (S. 221), allein er genügt, um daraus den Werth der Cantate, die »als ein Meisterstück« und wiederum als »erhabenes Produkt seiner Muse« geschildert wird,152 zu ersehen, die aber in keinem Verhältniß zu dieser Lobeserhebung steht. Sie besteht aus 3 Sätzen, 1. und 3. Satz Es-dur 3/4 in gleichem Charakter, MittelsatzAs-dur 2/4 Andantino, etwas bewegter. Der Ausdruck und die Führung der Singstimme ist lahm und die Declamation schwunglos und ungenügend. Die Cantate wurde, wie schon erwähnt (I. 267) von dem Baryton-Virtuosen Karl Franz, für den sie geschrieben, in Nürnberg öffentlich vorgetragen; in Leipzig sang sie Mad. Schicht geb. Valdesturla, von Franz begleitet, in einem Gewandhausconcert (S. 222).
Haydn tritt vielleicht in keiner seiner Compositionen so ganz aus sich heraus als in der Cantate »Arianna a Naxos« (n. 9), seiner »lieben Arianne«, wie er selbst sie nennt (S. 237). Es ist geradezu eine große Opernscene, die uns hier vorliegt, wechselnd mit durchcomponirten Recitativen und Sätzen im Arienstil. Alles[358] ist tiefempfunden, hochdramatisch und wahr im Ausdruck und läßt einzig nur die Orchesterbegleitung vermissen, für die das Werk wie geschaffen ist und die, wie früher erwähnt, auch schon von fremder Hand versucht wurde. Diese Cantate wurde zuerst im Februar 1791 in London öffentlich von Pacchierotti in einem der Ladies-Concerte gesungen und Haydn selbst begleitete am Clavier.153 Sie wurde mit größtem Beifall aufgenommen und wurde das »musikalische desideratum« der Saison. In der Ausgabe von I. Bland, dem Haydn das Autograph geschenkt hatte (S. 235), war sie damals, mit Haydn's Monogramm versehen, auch in seiner Wohnung zu kaufen.154 Wenn auch unsere heutige dramatische Empfindung tiefer greift, so bleibt die ohnedies mit stetem Beifall aufgenommene »Arianna« noch immer eine würdige und zudem dankbare Aufgabe für eine große Sängerin (Mezzosopranistin). Die ziemlich umfangreiche Cantate enthält einige besonders auffallende geniale Stellen; so u.a. die den Worten angepaßte Nachbildung, wo Arianna die Klippe erklimmt, um Theseus zu entdecken; der enharmonische Ruck (Septaccord auf g mit darauffolgendemAs-moll-Accord) mit dem gesteigerten Ausrufe »Teseo! m'ascolta!«; der entsprechend düstere Baßgang zu den Worten »Già più non reggo il pie vacille«; der frappante Eintritt des Des-dur-Sextaccordes nach C-moll bei dem Rufe »l'alma tremante!« Ein Presto mit gesteigertem Ausdruck auf die verzweifelten Worte »Misera abbandonata! non hò chi mi consola« beschließt dieses so merkwürdige interessante Werk.155
Haydn's Einlagsarien zu Opern bieten kaum Veranlassung zu näherer Bekanntschaft. Sie sind, wie sich wohl erwarten läßt, den Sängern angepaßt, ohne tieferen Gehalt, aber von natürlichem gesundem Fluß und ihrem Eintagszweck entsprechend.[359] Nr. 2 ist die nachcomponirte Arie in Haydn's eigener Oper L'incontro improvviso(n. 2. S. 196 u. 351). Nr. 3 (bei Breitkopf und Härtel mit italiänischem und deutschem Text erschienen) ist eine gefällige Ariette; dem Andante folgt Presto 6/8 und diesem die Wiederholung der ersten acht Takte, gleichsam als Moralspruch. Nr. 4, dem durchcomponirten Recitativ, reich instrumentirt und voll kecker Züge, folgt F-moll voll Schwung und Leidenschaft. Nr. 5 eine Baßarie im kleineren Stil, aber frisch und, wie bei Haydn immer dem Baßcharakter gemäß. Nr. 6 im heiteren, leichteren Genre ist ohne Zweifel dem Sänger auf den Leib geschnitten; ebenso Nr. 7, das in Presto in 6/8 übergeht. Nr. 8 ist reich instrumentirt; das Ritornell bringen Fagott und Primgeige in Octaven; die Singstimme ist mit leichter Coloratur bedacht. Nr. 10 hat Pathos, Instrumentation reich ausgestattet mit anziehenden Baßgängen; dem Andante folgt Allegro, alles in größeren Zügen. Nr. 11, in 6/8, übergehend, hat frischen Zug, vom Orchester lebhaft unterstützt.
In die Zeit der 80er Jahre fallen auch Haydn's erste Lieder. Wien stand damals auf diesem Gebiete der Musik gegen den Norden Deutschlands weit zurück, wo die beschränkte Arienform der Operette oder des Singspiels unleugbar Einfluß auf die Ausbildung des Liedes hatte. Der Norden hatte nicht nur seine Dichter, Goethe, Gleim, Hagedorn, Gel lert, Jacobi, Weiße, Claudius, Hölty, Uz, sondern auch die richtigen Componisten zur Hand, C. Ph. Em. Bach, Benda, J.A. Hiller, Kirnberger, Neefe, Krebs, B. Th. Breitkopf (von dem 1770 die ersten gedruckten Lieder Goethe's, ohne dessen Namen, in Leipzig erschienen), J. André, namentlich aber J.F. Reichardt und J.A. Peter Schulz, welche das Lied in seiner volksthümlich einfachen Weise mit künstlerischem Sinn auszubilden bestrebt waren. In Wien finden wir zu gleicher Zeit die bei Artaria, Kurzböck, Joh. Traeg, Rud. Gräffer, Gottfried Friedrich, Löschenkohl im Druck erschienenen Lieder von Jos. Ant. Steffan, Koželuch, Friberth, Beecke, Sterkel, J.A. Hoffmeister, Hackel, Schenk, Stadler (der Name Mozart erschien erst 1790; Gluck's Oden, dem rhetorischen Standpunkt zugehörig, kommen hier nicht in Betracht).[360]
Über Haydn's Lieder dieser Periode können wir uns kurz fassen; ein vollgültiges Urtheil wird erst dann zulässig sein, wenn uns seine späteren und ungleich besseren Arbeiten dieser Gattung vorliegen werden, obwohl auch diese eine für Haydn selbst, sowie für die Entwicklung des Liedes untergeordnete Stellung einnehmen.
Haydn kannte die neueren Dichter seiner Periode nur wenig und gestand es gerne zu, daß er sich in deren Ideenkreis nicht mehr einzuleben vermochte. Da sein Hauptaugenmerk auf das Strophenlied gerichtet war, hatte er bei der ihm ohnedies spärlich zu Gebot stehenden Wahl von Gedichten seine liebe Noth, denn, wie er klagte, eine Melodie, welche für die erste Strophe passe, füge sich selten zu den folgenden; oft sei der Sinn in einer Zeile geschlossen, aber nicht in der, welche ihr correspondiren sollte; man sei auch nicht sorgfältig genug in der Wahl der Vokale. Der Mangel litterarischer Kenntnisse machte sich ihm gleich in den ersten 24 Liedern fühlbar; er überließ sich daher, wie wir sahen, gänzlich der Wahl und Einsicht seines Gönners und Freundes, v. Greiner, an dessen sein gebildetem Taktgefühl man völlig irre wird, wenn man die Haydn zur Composition empfohlenen oder von ihm gebilligten Gedichte überblickt. Mit wenigen Ausnahmen überbieten sie sich an Abgeschmacktheit und kann es nicht überraschen, wenn Körner, der vielleicht nur von den ersten Serien Lieder von Haydn Kenntniß hatte, dem Herausgeber der »Erholungen« (?), der Schiller's »Sehnsucht« in Musik gesetzt haben wollte und im Begriff stand, sich deshalb an Haydn zu wenden, von Dresden aus an Schiller schreibt (29. März 1802): »Ich zweifle nur ob er ein gutes Gedicht versteht, da er immer in sehr schlechter Gesellschaft gelebt hat, er habe daher Zelter oder Hurka vorgeschlagen«.156 Darauf componirte Hurka das Lied. In England war Haydn dann schon wählerischer, sowie auch später bei seinen drei- und vierstimmigen Gesängen.
Es muß auffallen, daß Haydn, der doch sonst, wie wir oft genug sahen, in seinen Compositionen den Volkston so richtig traf, in seinen Liedern, wie es scheint, dies nicht einmal beabsichtigte; waren sie ja doch nur als kleine, dem Augenblick zur Zerstreuung[361] singlustiger Dilettanten dienende Kleinigkeiten gedacht. Man sollte meinen, daß er bei seinem einfach menschlichen naturwahren Empfinden gerade im kleinen Liede Hervorragendes hätte leisten müssen. Offenbar fehlte ihm dazu der rechte Anstoß von Außen. In seiner Umgebung, nur auf das instrumentale Gebiet und die italiänische Oper angewiesen, lag dieser Zweig der Tonkunst völlig außer seinem Bereich; wohl leuchtet auch hier ab und zu ein schwacher höherer Zug auf, allein die Gluth kommt nicht zum Durchbruch. Wie sehr Haydn von seinen ersten Liedern eingenommen war, bezeugt sein heftiger Ausfall gegen den ihm verhaßten Kapellmeister Hofmann,157 der ihn »bey einer gewissen großen weld in allen fällen zu unterdrucken suchte« und aus dessen »Gassenliedern«, in denen »weder Idee, noch ausdruck, und noch viel weniger gesang herrschet«, er eigens drei Texte158 wählte und neu componirte »um der nemblichen groß seyn wollenden weld den unterschied zu zeigen«. Haydn meinte sogar, daß seine damaligen Lieder »durch den mannigfaltigen, natürlich schönen und leichten Gesang vielleicht alle bisherigen übertreffen werden« (S. 189). Wer weiß, ob nicht dabei eine (wie man erzählt) mehr als freundschaftliche Zuneigung zur genannten Francisca, der die Lieder gewidmet waren, im Spiele war, die ihm dann auch die Lieder in rosigerem Lichte erscheinen ließen. Artaria trug er eigens auf, »dem Hrn. v. Liebe (dem Vater der genannten Schönen) ein in rothem Taffet eingebundenes Exemplar deren liedern« zu überschicken.
Haydn liebte es auch, seine Lieder selbst in »critischen Häusern« zu singen, denn (wie er sagt) »durch die gegenwart und den wahren Ausdruck muß der Meister sein Recht behaupten«.
Die zwei ersten Sammlungen sind noch in der alten Manier auf nur 2 Systemen geschrieben, Singstimme und Partie der rechten Hand auf dem oberen System mit Anwendung des damals noch immer gebräuchlichen Sopranschlüssels. Die Lieder[362] haben in der Regel ihre Vor-, Nach- und zerstückelnden Zwischenspiele; doch nicht alle, bei einigen beginnt gleich der Gesang (Nr. 7, 10, 20, 24); anderen fehlen die Zwischenspiele (6, 23). Das melodische Hauptmotiv liegt im ersten Verspaar. Es sind meistens Strophenlieder, die uns vorliegen; nur wenige Lieder sind durchcomponirt und auch dann nur scheinbar, indem bei der Wiederholung nur die Begleitung variirt oder das melodische Motiv der einen Strophe dem der anderen verwandt ist, wie dies in späteren Liedern noch ersichtbarer: ist, von denen einige die Mitte zwischen dem kleinen Strophenlied und der ausgeführten Arie halten; andere wieder sind im gewöhnlichen Romanzenton geschrieben, so Nr. 4 und 25.
Von den 24 Nummern159 sind wohl die Hälfte für unsere Zeit geradezu ungenießbar oder doch zum mindesten bedenklich und ohne irgend welches Interesse. In der Reihenfolge treten als die besseren Nr. 4–6 hervor; Nr. 4 durch den schelmischen Charakter, Nr. 5 durch seinen hübschen Schluß, Nr. 6 durch einige hübsche harmonische Wendungen. Nr. 8–10 sind jene, mit deren Texte Haydn mit Hofmann in die Schranken trat. Letztere sind allerdings lahm und matt; von den Haydn'schen ist Nr. 8 leicht tändelnd, Nr. 10 das unschuldige Liedchen eines sorgenlosen Burschen; Nr. 9 dagegen ist gekünstelt und schwerfällig.160 Nr. 12 ist jenes Lied, bei dem Haydn nicht mit Unrecht fürchtete, daß es bei der Censur beanstandet werden könnte, was ihm leid sein würde, da er eine »ausnehmend gut passende Aria« darauf gemacht habe (S. 188). Das Liebespaar Rosilis und Hyles pflegen hier am Bach unter blühenden Ästen der Ruhe. Die Mutter kam, die Tochter rief: »Es ist geschehen; Ihr könnt nun wieder gehen«! Dies war das letzte jener der »Freulen Francisca Liebe Edle v. Kreutznern aus besonderer Hochachtung und Freundschaft gewidmeten« Lieder.[363]
Mit Nr. 16 hat Haydn endlich sich selbst gefunden; hier finden wir wieder eine seiner bestrickenden volksthümlichen Melodien. Und er hat die Nummer nicht umsonst geschrieben, denn er benutzte sie, Note für Note, zum Andante seiner »Jagd-Symphonie« (Nr. 40).161 – Das genannte Liedchen wird aber weit überragt von Nr. 22, einem Muster musikalischer Komik. Lessing's Epigramm, ein Loblied auf die Faulheit, traf bei Haydn ins Schwarze. Er, der sein Lebelang der Fleiß selbst war, soll nun die Faulheit besingen. Das war die rechte Aufgabe für eine Natur, die zu Zeiten auch die Kehrseite von Einfalt und Gemüth zu zeigen wußte. Guten Muthes beginnt das Loblied; doch schon nach wenigen Takten sucht ein, gleich einem Bleigewicht abwärts sich schleppender chromatischer Gang ihm den Weg zu vertreten und so sucht auch der von Gähnen unterbrochene Gesang die Tiefe. Energisch rafft sich derselbe Gang wieder aufwärts, die Trägheit zu überwinden; die Harmonie nimmt verzweifelte Anläufe, reckt und streckt sich und wird fast feierlich. Vergebens: sie sinkt in sich selbst zusammen und erstirbt im eigenen Pfuhl.
Eine gleichzeitige Kritik sagt über die ersten 12 Lieder:
»Eines Haydn sind diese Lieder nicht würdig. Vermuthlich hat er aber nicht die Absicht gehabt, seinen Ruhm dadurch zu vergrößern, sondern nur den Liebhabern und Liebhaberinnen von einer gewissen Klasse ein Vergnügen damit zu machen. Niemand wird daher daran zweifeln, daß Herr H. diese Lieder hätte besser machen können, wenn er gewollt hätte. Ob er es nicht gesollt hätte, ist eine andere Frage.«162
1 Band I. S. 280 f.
2 Bd. I. 276 ff
3 Die Partitur existirt in Haydn's eigener Handschrift und in einer Copie. Zweifelhafte Symphonien (und es sind deren sehr viele) sind nicht aufgenommen. Ausgeschieden sind jene Nummern, die als eigentliche Ouverturen nicht hierher gehören. Einige Nummern sind bei Haydn auch zweimal verzeichnet durch Umstellung der Sätze.
4 Bd. I. S. 270, 293.
5 Bd. I. S. 277, 293.
6 Nr. 2–8, 14, 17, 28.
7 Nr. 4, 14, 25, 31, 36.
8 Nr. 26, 31, 36, 41–43, 45–47, 51–55, 57–61, 63.
9 Bd. I. S. 279, 294.
10 Bd. I. S. 285, 288.
11 Bd. I. S. 229. Dies (biogr. Nachrichten S. 44) meint, Haydn habe dazu die Quartettform gewählt.
12 2 Nr. 2–4, 6–10, 12–14, 23, 28.
13 Partitur Rieter-Biedermann Nr. 1.
14 Bd. I. S. 301.
15 Nr. 15, 16, 17, 19, 22, 25, 30, 37.
16 Nr. 11, 13, 18, 20, 26, 27, 30, 31, 33, 38–41.
17 Part. Andre, neu, Nr. 3.
18 Vierhändig, Rieter-Biedermann Nr. 1.
19 Die Auflagstimmen von Simrock, Nr. 2, haben das richtige Adagio, das anderwärts durch das Andante aus Nr. 29 unseres themat. Verzeichnisses ersetzt ist.
20 Die Variationen, für Clavier arrangirt, sind bekannt durch verschiedene Ausgaben.
21 Bd. I. S. 301.
22 Eine Ouverture, D-dur, zu der gleichnamigen Oper wird Haydn zugeschrieben und existirt auch gedruckt, soll aber von J.B. Moulinghen sein; auch Felici componirte dasselbe Textbuch.
23 Partitur, neu, Rieter-Biedermann, Nr. 5.
24 Jagdsymphonien waren damals und schon früher sehr beliebt; es giebt deren von Leopold Mozart, Stamitz, Gossec, P. Mascheck, P. Wranitzky, Rosetti; so auch Clavierstücke von Dussek, Clementi etc.
25 Nr. 21, 32, 34, 36, 42, 43.
26 Die ersten vier Seiten existiren zweimal in Haydn's Handschrift und dennoch fehlt diese Symphonie in dessen Katalog.
27 Rieter-Biedermann, vierhändig. Nr. 6.
28 Auf der Auflagstimme der Flöte steht von Haydn's Hand geschrieben: Primo atto tacet. Dies ist ausgestrichen und steht dabei die Bemerkung: »Freund! Suche das erste Allegro« (vergl. S. 21).
29 Pohl, Haydn in London, S. 193 f.
30 Nr. 62, die Kindersymphonie (siehe S. 226 f.), ein scherzhafter Einfall ohne künstlerische Bedeutung, kommt hier natürlich nicht in Betracht.
31 Partitur, neu, Rieter-Biedermann Nr. 6.
32 Partitur, Andre, Nr. 2.
33 Partitur, Rieter-Biedermann, Nr. 4.
34 Partitur. Bote & Bock, Nr. 11.
35 Partitur, Bote & Bock, Nr. 12.
36 2me Strophe.
Tendre amant de la jeune Lise
Qui brûlez d'offrir un bouquet
A l'amante qui le méprise,
Mêlez-y la rose et l'oeillet!
Si la Belle fait la sévère
Pressez-la, mais soigneux de plaire
Soyez toujours discret.
Quoiqu'elle fasse la farouche
Et vous refuse un tendre aveu,
Soyez sûr, soyez sûr, dès que l'amour la touche,
D'être un jour heureux.
37 Deldevez (Curiosités musicales, p. 36) giebt der Symphonie die Bezeichnung »Les 7 Paroles« und sagt in der Anmerkung: »Quelques unes des symphonies de Haydn ont été écrites pour les jours saints«. Beide Bemerkungen beruhen, wie man sieht, auf einer Verwechselung mit Haydn's »Die sieben Worte Christi am Kreuze«.
38 Deldevez, p. 34, bezeichnet sie irrthümlich als die letzte der 18 (sic) englischen für Salomon componirten Symphonien, zu denen er auch die Nummern 40, 57, 58, 61 zählt.
39 Partitur: Breitkopf & Härtel Nr. 13, Bote & Bock Nr. 8, André Nr. 2, Peters Nr. 8.
40 Partitur: Rieter-Biedermann Nr. 3.
41 Pohl, Haydn in London S. 148; Partitur: Rieter-Biedermann Nr. 2, Peters Nr. 9.
42 Act I, Scene I. Fiorillo: Piano, pianissimo senza parlar.
43 Partitur: André Op. 66 Nr. 1.
44 Pohl, Haydn in London, S. 192.
45 Partitur, Auflagstimmen und vierhändiger Clavierauszug erschienen bei Rieter-Biedermann. Im Vorwort setzte ich die Zeit der Ouverture in die 70er Jahre. Sie ist nun in die richtigere Zeit verlegt, wohin sie ihrer seinen und detaillirten Ausarbeitung nach auch gehört.
46 Auf einem Zettel, der dem Autograph beiliegt, schrieb der damalige Besitzer, der ältere Hornist Prinster an den Domherrn Silberknoll in Raab, daß er als Ersatz der versprochenen Sonate dieses Trio schicke, »welches unser seliger Haydn-Papa für einen meiner Vorgänger geschrieben hat«.
47 Die 6 Nummern erschienen bei Artaria u. Co. (Sei sonate per il Violino, e Viola), die 1. 4. u. 5. Nummer in Paris und bei Andre; Op. 93 auch in neuer Ausgabe (Trios Sonates pour le Violon avec acc. d'Alto. Ein einzelnes Arioso con Variazioni, Violinsolo mit Baß, ist 1768 in Breitkopf's Katalog angezeigt.)
48 Bd. I. S. 301, Finale der Symphonie Nr. 6.
49 Band I. S. 333.
50 Mozart, Band II. S. 178.
51 Als Verlagsorte sind der Reihe nach genannt: Paris. Amsterdam, London, Mannheim, Lyon, Frankfurt a. M., Offenbach, Wien, Haag, Florenz. Berlin, Speyer.
52 Siehe Bd. I. S. 334.
53 Breitkopf's Katalog führt in den Jahren 1766–84 noch 3 vereinzelte Quartette an, über die nichts bekannt ist und die auch nicht von ihm bestätigt sind, wie so manche in Abschrift auf Haydn's Namen circulirende Quartette.
54 Die beiden Quartette erschienen bereits in der hier angenommenen Reihenfolge (nach den ersten 18) in der Collection Sieber als livre IV. und war also jenes in Es, Nr. 19, denn doch gedruckt. Handschriftlich existirt es auch als Trio auf der k. Bibliothek in Berlin.
55 Siehe S. 43. Diese Quartette erschienen zuerst in Paris als oeuvre IX.
56 So ist auch in den von Mozart in Wien im J. 1773 componirten Quartetten die erste Violine stimmführend, wenn auch nicht als Soloinstrument behandelt.
57 Siehe S. 49. Auch diese Quartette erschienen alsoeuvre XVII zuerst in Paris, als op. IX in Amsterdam.
58 Diese 6 Quartette erschienen auch als Violinduette arrangirt, op. 102 in 2 Heften bei N. Simrock.
59 Siehe S. 67. Diese Quartette erschienen ebenfalls in Paris, oeuvre XX, dann in Berlin bei Hummel, op. 16.
60 Auch in den gleichzeitig von Mozart componirten 6 Quartetten tritt die contrapunktische Arbeit in den Vordergrund.
61 Vergleiche S. 67.
62 Siehe S. 189. Diese Quartette erschienen mit schönem und sorgfältig gestochenem Titelblatt zuerst bei Artaria in Wien (Verlagsnummer 26 u. 27).
63 Musikalisches Kunstmagazin 1782. S. 205.
64 Siehe themat. Verzeichniß Nr. 43. 31. 36. 41. 42. 45.
65 Magazin der Musik 1783. S. 259.
66 Siehe S. 223. Sie erschienen gleichzeitig mit der Berliner Ausgabe (op. 29) bei Artaria. (Verlagsnummer 109.)
67 Siehe S. 229. Beide Serien erschienen zuerst in Wien Au Magasin de Musique auf Pränumeration als op. 59 u. 60 und 64 u. 65.
68 Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. CXI., Stück J. 1792. S. 121.
69 Von befreundeter Seite wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß der Anfang an Zumsteeg's Ballade »Die Büßende« erinnert. Die rhythmische Gliederung ist allerdings anders; es heißt dort:
70 Band I. S. 340.
71 Es sei schon hier bemerkt, daß als Curiositäten zwei angeblich von Haydn componirte Quartette existiren. Eines, nur auf losen Saiten zu spielen (Non tangendo digitis cordas) ist für 3 Violinen und Vell. geschrieben und besteht aus 7 Nummern. Das andere, als »Kunstquartett« betitelt, ist in der gewöhnlichen Besetzung, besteht aus Adagio und Fuge-Allegro und hat jedes Instrument auch andere Takt- und Tonart. So bestimmt auch die Tradition dieses Quartett Haydn zuschreibt, so ist es doch thatsächlich von A. André componirt und erschien bei André in Offenbach unter dem Titel »Poisson d'Avril« als op. 22 in Partitur und Stimmen in 2. Auflage.
72 Der Auctions-Katalog von Breitkopf & Härtel (1836) enthält sogar 12 Concerte.
73 André, nouvelle édition. Op. 101. La Partie de Piano arr. par G. Goltermann; la Partie de Violoncelle revue et doigtée par R.E. Bockmühl (mit 2 Cadenzen von C.R.)
74 Band I. S. 249 ff. und 254 ff.
75 Siehe Band I. S. 256, Anm. 47.
76 Bd. I. S. 102, 327; II. S. 152, 205, 220, 249.
77 »Nebst dem bitte ich auch mir die letzten 2 Werke für das Clavier von C.P. Emanuel Bach zu übersenden« (Brief an Artaria, 1788, 16. Febr.).
78 »Für die Claviersonaten von Clementi sage ich verbundensten Dank, sie sind sehr schön. Sollte der Verfasser in Wien seyn, so bitte bey Gelegenheit demselben mein Compliment« (Brief an Artaria, 1783, 18, Juni).
79 Nr. 5 u. 6 sind jene Sonaten, in denen Haydn in der englischen periodischen Schrift The European Magazin 1784, Oct. 6 beschuldigt wurde, Ph. Em. Bach's Stil copirt oder vielmehr carikirt zu haben. (Siehe Bd. I. S. 138 f.; C.H. Bitter: C. Ph. Em. und W. Fr. Bach, II. S. 105.)
80 Siehe themat. Verzeichniß Nr. 1–3.
81 Über die 4 früheren siehe Bd. I. S. 351 f. Ausgabe Breitkopf & Härtel Nr. 21. 33. 34. 22.
82 Diese Sonate erschien erst 1805 bei Breitkopf & Härtel als op. 93.
83 S. Bagge hat auf eine auffallende Stelle aufmerksam gemacht, daß nämlich Takt 10 im 2. Theil des ersten Satzes, wie es die Combination erheischt, die Noten im oberen System eine Terz tiefer (his, dis, gis) zu setzen sind (Leipz. Allg. Mus. Ztg. 1867. S. 259).
84 Allg. Deutsche Bibl., Bd. XXXIII., S. 458.
85 Allg. Mus. Ztg. 1805, Bd. VII. S. 711.
86 Musik. Kunstmagazin, 1782, II. Stück, S. 87.
87 Magazin der Musik, Bd. II. S. 535.
88 Musikal. Corresp. d. teutschen Filarmonischen Gesellschaft. 1792, Nr. 25. S. 195.
89 Nr. 6, C-dur, ist ein in verschiedener Form erschienenes Divertimento (vergl. Bd. I. S. 321). Nr. 7 und 8 sind ursprünglich 2 Streichquartette aus dem J. 1799 (Men. u. Trio sind weggelassen).
90 Ein Trio in B, dreisätzig, in Breitkopf's Katalog von 1769 angezeigt und von Haydn auch anerkannt, ist in keiner Sammlung erschienen.
91 In gleicher Weise hat er auch ein Streichquartett,C-dur 3/8 (zuerst bei Andre als op. 88, in neuester Zeit von Rieter-Biedermann aufgelegt) in London durch öffentliche Aufführung bekannt gemacht.
92 Von hier an ist stets auf die Seitennummer verwiesen, die auch im Haupttext beibehalten ist.
93 Also gleichzeitig an 3 verschiedenen Orten: Förster, Hummel, Hoffmeister, später auch Artaria.
94 Band CXVII, Stück I. 1799. S. 71.
95 Gerber erwähnt, daß man in diesem Trio der eigenen Durchführung der Figuren und einer gewissen Härte halber Michael Haydn als den Componisten argwöhnte. (Neues hist.-biogr. Lexikon der Tonkünstler, Bd. II. S. 585.)
96 Vergl. Jahn's Mozart, Bd. II. S. 163.
97 Es erschien sogar in mehreren neuen Auflagen. Bei André mit 2 Cadenzen von H. Henkel; bei Rieter-Biedermann in Auflagstimmen und vierhändig von F. Wüllner.
98 Über die früheren Variationen in A siehe Bd. I. S. 352.
99 Pohl, Mozart in London, S. 135. Haydn hat (einige sehr frühe Kleinigkeiten abgerechnet) keine weiteren vierhändigen Stücke geschrieben. Die hie und da angekündigten »Sonaten« unter verschiedenen Opuszahlen sind nur arrangirte Symphonien.
100 Neues hist.-biogr. Lexikon d. Tonkunst II. S. 582.
101 Syntagma, III. part. 1. S. 21.
102 »Tenuto intanto, finche non si sente più il suono.«
103 Siehe Band I. S. 209 ff., 365 ff.
104 Man berücksichtige wohl, welch' verlockende, tief sich einprägende Beispiele er als Sängerknabe vor sich hatte. Die Pracht solcher Kirchenfeste, – eines derselben ist eben deßhalb früher (Bd. I. S. 75 f.) ausführlich beschrieben, – mußte nachhaltig auf ein junges Gemüth wirken.
105 Jos. Fröhlich in »Allg. Encyclopädie d. Wissenschaften u. Künste, herausg. v. Ersch u. Gruber«.
106 Sehr richtig bemerkt hier Grädener, daß theils dem evangelischen Religions- und Kunstbewußtsein, anderntheils den auf Bach und Händel'sche Weise fundirten Kunstprincipien so manche Mozart'sche und Haydn'sche Messe ihre Verkennung, ja Mißachtung in diesen und jenen Kreisen, namentlich denen des Nordens zu danken hat (Carl G.P. Grädener, Ges. Aufsätze über Kunst etc. S. 49).
107 Die erste Messe, Bd. I. S. 356 ff. besprochen, und zwei verloren gegangene (S. 362) kommen hier als Jugendarbeiten nicht in Betracht.
108 Gesang-Partitur mit Orgel von V. Novello bei J.A. Novello, Nr. 12 der Sammlung.
109 Vergl. S. 38. Die fehlerhafte Abschrift des Titels nach dem Autograph Missa Cellensis (Mariazell) statt solennis, ließ O. Jahn vermuthen, daß Haydn das Kyrie zu seiner Mariazeller-Messe verwendet habe.
110 Auch bei Mozart findet sich eine derartige Messe (Köchel, Nr. 259).
111 Allg. Mus. Ztg. 1809, S. 459. Unrichtig ist die Angabe, daß die Messe (nach der Original-Partitur aufgeführt) nur mit Basset- und Waldhörnern besetzt sei.
112 Allg. Mus. Ztg. 1816. Nr. 17.
113 Vergl. S. 59. Part., Orchester- und Singstimmen bei Simrock; Gesang-Part. mit Orgel Novello Nr. 7.
114 Seyfried hatte diese Messe zu einer Aufführung in der Peterskirche in Wien in ganz ungehöriger lärmender Weise durch Zusatz von Trompeten und Pauken entstellt.
115 Vergl. S. 86. Sie erschien nur bei Novello Nr. 8.
116 Über die Neugestaltung dieses Gloria durch Haydn's Bruder, Michael, siehe S. 87.
117 Hofkapellmeister Eybler in Wien ließ sich wohl nur durch den momentanen Mangel eines verläßlichen Sängerknaben verleiten, das Benedictus für vierstimmigen Chor zu arrangiren, wodurch der ganze Reiz der hier beabsichtigten kindlichen Naivität verloren geht.
118 In seiner Art etwa an die Seite der kleinenB-Messe von Mozart (Köchel 275) zu stellen.
119 Vergl. S. 191. Partitur Breitkopf & Härtel Nr. 5. Gesang-Part. mit Orgel nach dieser Partitur, Novello Nr. 5.
120 Bei den ohnedies seltenen Aufführungen wird das Kyrie auch noch weiterhin durch Weglassung des ganzen Christe eleison gekürzt.
121 In der gedruckten Partitur ist das wiederholte miserere nostris in nobis zu corrigiren.
122 In ähnlicher Weise hat Mozart in einer Messe (Köchel 257) das Wort Credo wiederholt (O. Jahn, I. 248).
123 Vergl. S. 196. Partitur & Härtel Nr. 7; Gesang-Part. mit Orgel, Novello Nr. 15.
124 Bach im Weihnachtsoratorium, Händel im Messias etc.
125 Über ein früheres Salve Regina siehe Bd. I. S. 363.
126 In Haydn's Entwurf-Katalog ist noch eine zweite Cantilene, D-dur 6/8 notirt; im Hauptkatalog sind wenigstens Nr. 5 und 8 angegeben.
127 Beide Nummern, 17 und 21, sind in Haydn's Katalog (d.h. nur im Baß angegeben).
128 Partitur, Clavierauszug und Singstimmen Breitkopf & Härtel.
129 In Leipzig wurde das Werk in den Jahren 1808 und 1816 mit verändertem Titel (Salve Redemptor) aufgeführt.
130 Im Nachlaß des musikalisch tüchtig gebildeten Canonicus Andreas Spizel in Bruck a. d. Leitha befand sich diese Composition mit folgendem hübschen Chronogramm, auf die Zeit der Entstehung (1771) hinweisend:
Oro te, o pIa, o DVLCIs VIrgo!
Vt assIstas CoMposItorI.
131 Partitur, Clavierauszug und Chorstimmen, lat. u. deutsch, Breitkopf & Härtel; Clavierauszug und Chorst. Simrock; Clavierauszug von Schletterer, Holle, Nr. 9 der Kirchenmusik.
132 Vergl. S. 65 f. Einer Aufführung in Breslau, Febr. 1788 unter J.A. Hiller, mit deutscher Parodie sei hier nachträglich erwähnt. Siehe C.J.A. Hoffmann's »Die Tonkünstler Schlesiens«, S. 208.
133 Erschien einzeln mit Clavierbegleitung, Ausgabe A. Gumprecht, Klass. Gesänge Nr. 59.
134 Einzeln erschienen in Cantica sacra von Fr. Commer, Tom. II. Nr. 4.
135 Dient auch als Einlage zum Oratorium »Tobias«.
136 Bd. I. S. 244 und 364.
137 Breitkopf & Härtel, Partitur, Clavierauszug und Chorstimmen als Hymne Nr. 2; Simrock, Clavierauszug und Chorstimmen, als Hymne Nr. 1, beide lat. und deutsch ( »Allmächtiger, Preis Dir und Ehre!«). In Haydn's Katalog steht der Chor unter den Offertorien, Nr. 2 nur mit dem Baß angegeben.
138 Der Secretär der Gesellschaft, Paul Wranitzky, sagte damals in der Sitzung: »Es zeigt dies eine gewisse Geringschätzung gegen den noch lebenden Componisten, der vielleicht mit Grund ein Wohlthäter unserer Gesellschaft genannt zu werden verdient«. Dies war schon vor der »Schöpfung«. (Pohl, Denkschrift aus Anlaß d. 100jähr. Bestehens der Tonk. Soc. 1871. S. 45).
139 Nicht zu verwechseln mit dem später in London componirten Chor »Der Sturm«, D-moll 3/4.
140 Nr. 14 erschien bei Breitkopf & Härtel, Partitur, Clavierauszug und Chorstimmen; Simrock, Clavierauszug und Chorst.; Spina, Chor- und Orchesterstimmen. Der Ouverture, (b. 8), Auflagstimmen bei Simrock, wurde schon S. 195 und 284 gedacht.
141 Allg. Mus. Ztg. 1810, Bd. XII. S. 740.
142 Breitkopf & Härtel, Part. u. Clavierauszug und Chorst., deutsch und ital.; Simrock, Clav. und Chorst.; C.F. Peters, Clav., deutsch und ital. Nr. 6 der Kirchenmusik. Der Auflagen in verschiedener Form bei Artaria (erste Bearbeitung) wurde schon S. 217 gedacht.
143 Im Originaltext ist der Ideengang der 6. und 7. Nummer ein viel richtigerer; der Ausruf kommt beidemal bei Haydn zu voreilig. Haydn's Schlußnummer (als Instrumentalsatz) wurde in Mailand im J. 1813 bei einer Aufführung des Ballets »Prometheus«, von Vigano neu in Scene gesetzt, mit theilweiser Musik von Beethoven, als Einlage benutzt.
144 Allg. Mus. Ztg. 1808, Nr. 31, S. 487.
145 Haydn hat die Arie »Caro Volpino amabile« noch ein zweitesmal componirt mit Coloratur bis hoch c.
146 Auch hier ist eine Arie (»Voglio amar«) ein zweitesmal componirt und zwar mit Coloratur bis hoch d; die erste Violine geht fast durchaus mit der Singstimme.
147 Die zweite eingelegte Arie »Or vicina a te mio cuore« mit entschiedenem, kräftigem Charakter erschien in Partitur bei Artaria.
148 Auch bei Gluck als Duett »Vois-je, o ciel, c'est l'âme de ma vie«.
149 Bei Gluck »Les hommes pieusement pour Catons nous tiennent« (in deutscher Übersetzung »Unser dummer Pöbel meint«, zu welchem Thema Mozart sehr beliebte Variationen schrieb, Köchel Nr. 455).
150 Herr Musikprofessor F.W. Jähns in Berlin hatte die Güte, mir eine Copie dieses Chores (nach einer angeblich von Elßler gefertigten Abschrift) zuzusenden.
151 Nebst der Ausgabe bei Artaria (siehe S. 196) ist die Cantate angezeigt in Hofmeister's Musikalien-Katalog (1802); dito J.C.F. Rellstab in Berlin (1792) als »Scena pel Sop. a 11 con Harmonica (o Fortepiano) oblig.«; dito bei Longman & Broderip als »A favorite Italian Cantata with accompaniments for a Band.«
152 Meusel, Museum s. Künstler etc. 1788. – Musikal. Realztg. 1788.
153 Pohl, Haydn in London, S. 117. Daß Haydn nur ein einzigesmal in London öffentlich (im Concert der Mara; spielte (stehe S. 23) ist somit zu berichtigen.
154 Das Autograph wurde 1872 in einer Auction von Puttik & Simpson verkauft; die Bemerkung, daß das Werk nicht im Druck erschienen sei, widerlegen außer Bland die Ausgaben von Artaria und Simrock (letztere mit ital., deutschem und franz. Text).
155 Paisiello soll sich über dasselbe mit den WortenChe porcheria tedesca! geäußert haben. (Fröhlich, in Ersch und Gruber's Allg. Encyclopädie.)
156 Schiller's Briefwechsel mit Körner. S. 277.
157 Leopold Hofmann hatte zu dem 1780 bei Kurzböck erschienenen 3. Heft Deutscher Lieder für Clavier, herausgegeben von I. Ant. Steffan, 6 Lieder beigesteuert; die ersten 24 waren von Karl Friberth und Nr. 14 derselben Goethe's »Veilchen«, das auch Steffan in seiner 1. Sammlung (1778) bearbeitet hatte.
158 Siehe themat. Verz. o. Nr. 8. 9. 16. S. 189 sind irrthümlich die Zahlen 4. 8. 9 angegeben.
159 Die in der Peters'schen Ausgabe (Heft 1351) enthaltenen Lieder sind S. 188, Anm. 1 und S. 206, Anm. 18 erwähnt. Bei der letzteren Angabe deuten die Nrn. 1. 2. 3 etc. auf das 2. Dutzend des them. Verz. also Nr. 13. 14. 15 etc.
160 Nr. 9 ist im »Bazar«, Beilage 12 (1871, 26. Juni) als »eine bisher unbekannte Composition Haydn's« mitgetheilt und zwar mit ungarischem Text (»Mat búsulsz árva szivem«) und der deutschen Übersetzung (»Was trauerst du verwaistes Herz«).
161 Hat Haydn hier ein Lied instrumental benutzt, so ließen sich im umgekehrten Fall zu so manchen langsamen Sätzen seiner Symphonien Worte schreiben, so zu den Themen S. 266 A-dur, 268 und namentlich S. 274 F-dur, das einem gemüthvollen Dichter ganz besonders empfohlen sei. Der Text von Nr. 16 findet sich auch in Beethoven's »Seufzer eines Ungeliebten« (Nottebohm, themat. Verz. S. 185 f.).
162 C.F. Cramer's Magazin d. Musik, 1783, I. S. 456. Musikal. Almanach für Deutschland auf das J. 1783 [J.N. Forkel), S. 17.
Buchempfehlung
Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.
196 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro