I.

Präliminarien.

[3] Liszt und die Februar-Revolution. Ein inhaltsreicher Brief an Belloni. Die Fürstin –: Erziehung und Tugend; Geistes- und Charakterrichtung; Vermählung. Erste Begegnung mit Liszt. Odessa.


Sonate waren seit Liszt's Auftreten in Elisabethgrad vergangen. Das Jahr 1848 hatte seinen großen Umsturzproceß im Leben der europäischen Nationen begonnen. Die Revolution war in vollster Aktion. Staaten und Stände erbebten unter ihrem Sturmeshauch. Große und kleine Geister waren erregt, entzündet, zur That entflammt und entflammend. Dichter und Künstler predigten die Barrikaden und standen auf ihnen.

Unter diesen letzteren befand sich nicht Franz Liszt, obwohl auch er in Wien die von dem Bassisten Formes Kommandirte Barrikade besucht, zu den Arbeitern glühende Worte gesprochen und sie mit Geld und Cigarren beschenkt hat. Er sympathisirte mit den Kämpfern für das humane Recht und für eine staatliche Reform, und man sah ihn, wie tausend Andere, die Kokarde seines Landes – die ungarischen Farben – im Knopfloch tragen. Der Gedanke durch Gewalt zu erreichen, was eine verjährte Ordnung verweigern wollte, war seiner Meinung nach ebenso naturgemäß wie die demonstrativen Formen der Ohnmacht unmündig. Als ihm am 6. Mai, in der Blüthezeit der Katzenmusiken, eine Serenade von dem Medicinerchor in Wien1 gebracht wurde, rief er von seinem Balkon[3] hinab: »Wenn auch die Instrumente sämmtlich auf ihrem Platze sind, so bleibt doch ein tüchtiger Dirigent vonnöthen, um den Einklang der verschiedenen Stimmen herzustellen. Wir haben zwar viel Löbliches errungen, sehen aber darum nichts weniger einem eigentlichen Rechtsstand entgegen. Die Instrumente sind auf ihrem Platz, an tüchtigen Direktoren aber fehlt es. Katzenmusik und andere Behelfe wirken in dieser Sache wenig Erhebliches – die rechten Leiter werden die Bajonette einsetzen müssen!«

Im Ganzen erachtete er die Nationen weder in ihren oberen noch in ihren unteren Schichten reif für die gewollten Ziele der damaligen Demokratie, was auch aus einem Brief an Belloni, datirt Krzizanowitz 17. April 1848, herausschimmert. Seine persönliche Betheiligung an den Revolutionen verkörperte sich in seinen künstlerischen Reformbestrebungen und in sei nem künstlerischen Schaffen.2

Der erwähnte Brief ist von Wichtigkeit, weniger als politisches Dokument, denn bezüglich Liszt's selbst, indem er seinem Exsekretär Mittheilungen über sich und seine gegenwärtige Lage machte. Er deutet auf Beziehungen und Verhältnisse hin, die sich während der Zeit des gegenwärtigen Momentes und dem letzten öffentlichen Auftreten des Virtuosen angesponnen hatten und für seine Lebensstellung, auch für seine künstlerische Thätigkeit, von weittragendsten Folgen werden sollten, und lautet:


3 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Endlich komme ich auf meine eigene Person, auf Franz Liszt, so wie er ist, zu sprechen, um Ihre drei Briefe, sowie den unter Ihrer Beeinflussung und Ihrem Diktat geschriebenen von Lefèvre in summa zu beantworten. Dieser letztere enthält überdies die seit zehn Jahren kursirenden Vermuthungen, Wünsche, die Ahnungen und das Lächeln einer großen Anzahl von Personen – selbst die Herrn v. Lam.4, den ich jetzt, wie früher, mit Verehrung und Dankbarkeit nenne; denn, was meine Freundschaften, desgleichen ein oder zwei konstitutive Ideen der europäischen Gesellschaft betrifft, über die Herr v.L. vor mehr als zwölf Jahren einige Ihnen bekannte Worte gerichtet hat, so darf ich mir schmeicheln, ein Mann der Vorsicht und der Voraussicht zu sein.

[4] Gehen wir von diesem sogleich zum großen Wort und zur großen Sache über, zu der Sie mich ermuthigen – zum Ehrgeiz!

Gewiß kann ich über den, welchen meine Freunde für mich zu haben belieben, nur geschmeichelt sein. Ich verstehe ihn und theile ihn in gewisser, aber sehr gewisser Form, sowohl für sie, wie für mich.

Aber definiren wir vor allem die Worte, stellen wir sie fest und fixiren wir sie nach ihrem Begriff.

Ohne uns bei den Definitionen des Lexikons aufzuhalten,

Ehrgeiz –

das ist –

für die Naiven

ein Name, – das sind die Ämter und Ehren, die sich an einen Namen knüpfen – ferner die biographischen und geschichtlichen Artikel, die den Namen umgeben. –

Ämter und Ehren, biographische und Geschichtsartikel sind in diesem Falle Namen unter Namen!

Ehrgeiz

für die Positiven – das ist

das Geld – das sind die Genüsse und die Dinge, welche das Geld gewährt.

Endlich: für die wahren und wirklichen Menschen ist der

Ehrgeiz –

die Expansion, – das Formen und Ausdrücken der wahren und wirklichen Gefühle und Ideen in Wissenschaft und Kunst, konsequenter Weise deren Anwendung in der Politik; welche letztere nichts anderes ist, als die Kunst allgemeiner Regelung der Thatsachen.

Es handelt sich also darum:

die geistige und innere Welt in der materiellen und äußeren Welt zu verwirklichen –:

sie durchzuführen in der Kunst,

sie zu formuliren in der Wissenschaft, –:

das Selig in der Wahrheit!

die Gerechtigkeit in der Wahrheit!

Auf daß das Wort St. Johannes sich erfülle: »Und das Wort ist Fleisch geworden«!!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das alles wird Ihnen wahrscheinlicher Weise als eine sehr vage und teutonische Philosophie vorkommen – – und doch: da ich nur meine Ideen haben kann, halte ich sie für viel positiver als den prätendirten Positiv so vieler negativer Leute! Sicherlich werde ich mich hüten mich durch ähnliche Dinge, sei es bei Diners, sei es in Comités, zu kompromittiren – und sie anders und anderswo auszusprechen, ist für mich die Zeit noch nicht gekommen.

Unterdessen aber kann ich den Naiven auf französisch antworten – pour des noms, et des noms de noms, – Non –.

(In Parenthese bemerke ich jedoch, daß ich mir bis jetzt ein Viertel[5] oder die Hälfte eines Namens errungen habe und die noch fehlenden drei Viertel, oder die andere Hälfte noch zu erreichen gedenke.)

Den positiven Leuten, welche Thatsachen verlangen, werde ich in Ihrer Sprache auf italienisch antworten –: Cose – Così!

(Und nochmals in Parenthese bemerke ich, daß ich kaum 1500 Frs. Schulden habe! und daß der Weg der Gesandtschaften und des Ministeriums, wo es sich jetzt nur um Ökonomisiren und Abknapsen handelt, schwerlich zum Reichthum führt. Überdies, was mit Royalitäten anfangen, die nicht wissen, was sie wollen, weil sie nur wollen, was sie wissen und was man sie gelehrt hat! –5

Was die wahren und wirklichen Menschen anbelangt, so habe ich ihnen nichts zu antworten. Aber ich gebe mich der Hoffnung hin, daß sie mich mehr und mehr als einen der ihrigen erkennen werden.

Ohne Zweifel hätte ich in Ungarn einige politische Aussichten; aber ich zweifle sehr, daß mich die Versuchung überkommen wird, sie zu versuchen; denn alles reiflich überlegt: »le jeu ne vaut pas la chandelle«! –

Haben Sie den letzten Brief Béranger's gelesen, wo er der Deputation die Kandidatur ablehnt, die sie ihm anbot? Er ist von bemerkenswerth gesundem Verstand, und ich trete seiner Ansicht bei. – Fürchten Sie indeß nicht, daß ich gähnend mit verschränkten Armen in meiner Phantasie ausruhe. Nein wirklich nicht? – Aber ich bin zu sehr überzeugt, daß die wahrhaftige Zukunft meines Ehrgeizes nur in der Ausdauer der Arbeit und in der Ausdauer des Charakters beruht, um mich so von Ungefähr, und mit mehr oder weniger zweideutigen Chancen, in diese entsetzliche Unruhe stürzen uz können – in diese Wirthschaft von Geschäften und Intriguen.

Obwohl ich mit diesem bereits viel zu viel gesagt habe, mein theurer Freund, hätte ich doch noch genug hinzuzufügen – aber ich behalte es mir für unsere demnächstige Plauderei in Paris oder in irgend einem Thei le Deutschlands (in Weimar oder sonstwo) vor.

Ich erwarte die Fürstin von Tag zu Tag. Eduard ist mit einem englischen Kurier des Fürsten L ...6 abgereist, – schon seit 14 Tagen. Diese Verzögerung ist in Folge der Konfusion, die ich dummer Weise mit den zwei Kalendern, dem russischen und dem gregorianischen, angestellt, mein Fehler.

Unterdessen arbeite und schreibe ich nach besten Kräften. Unter anderm habe ich eben eine Art ungarischer Marseillaise für Gesang (mit Chor) beendet, die ich in diesem Moment in Partitur setze und vielleicht an einem der nächsten vier Vormittage in Wien aufführe; wir sind hier nur vierzehn Stunden von Wien entfernt. Ich glaube, Sie werden mit dieser Komposition zufrieden sein.

[6] Fürst L ... ist seit vorgestern zurück und wird vierzehn Tage hier bleiben, während welcher er darauf rechnet zum Deputirten für die Nationalversammlung in Berlin gewählt zu werden.

Auf baldiges Wiedersehen, mein theurer Belloni. Immer ganz der Ihre von Herzen und in Freundschaft

F. Liszt.


Liszt hatte auf seiner Reise nach Südrußland und Konstantinopel die Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein kennen gelernt. Sie war die Frau, auf welche eine Stelle dieses Briefes hindeutet, die tief und nachhaltig eingriff in sein Geschick, seine Virtuosenlaufbahn abbrach und ihn seiner hohen Berufung zum Komponisten zuführte.

Wenige der Frauen, denen es vergönnt war in das Leben unserer Geistesheroen einzutreten, waren, wie sie, durch unentwegten, lauteren Charakter, geistige Anlage und opfernde Liebe berufen das Genie zu fördern und seinem Fluge einen mächtigen Impuls zu geben. Sie zählt zu den Seltenen, deren Liebe durchdrungen war von dem Glaubenssatz über die Heiligkeit der Künstlermission – ein Glaubenssatz, mit dem sie betete und handelte, mit dem ihr Tageslauf zum Lebenswerk sich erweiterte, und von ihr mit einem Martyrium besiegelt wurde, das erschütternder von keinem Dichter je erfunden worden ist. Und in der That, so reich und groß der Kunstsegen war, welcher der Welt durch diese Verbindung zuströmte, so schwer war das Geschick, das – eine Tragödie des Herzens und des Willens – in seinem Hintergrunde lag, aber gerade durch seinen Kelch und seine Hochgefühle jenem Segen zur lebendigen Quelle ward.

Polin von Geburt, treue römische Katholikin, sollten insbesondere diese beiden Momente – am wenigsten der gesellschaftliche Rang – verhängnisvoll für die Fürstin werden und ihrer großen Liebe das Recht verweigern. Ihre Eltern waren beide Polen angesehener Familien, aber russische Unterthanen. Peter Iwanowsky, ihr Vater, zählte zu jenen Großgrundbesitzern, die in der Zeit der Leibeigenschaft, Souveränen gleich, über Tausende von Seelen geboten und deren Güter im Werthe vieler Millionen Rubel standen; ihre Mutter, Pauline Podoska, war die Tochter eines seiner Gutsnachbarn. Iwanowsky stand ihr an Jahren weit voraus. Er war nicht allein Pole von Geburt, sondern auch Pole von Gesinnung, was bei seiner jungen, liebreizenden Gemahlin weniger ausgeprägt der Fall gewesen zu sein scheint. In diesem Umstand mag[7] es gelegen haben, daß, während sie in der großen Gesellschaft, in allen Residenzen und Kurorten Europas beliebt und eingebürgert, sich viel auf Reisen befand, ihr Gemahl der Administration und Pflege seiner Besitzungen, sowie dem Studium seiner Lieblingslektüre, die vorzugsweise dem administrativen Fach, der Mathematik und Geschichte angehörte, sich hingab.

Carolyne, die der einzige Sproß dieser Ehe blieb, wurde auf dem Gute ihres Großvaters mütterlicherseits zu Monastyrzyska, einem großartig im Palaststyl erbauten Schlosse, am 8. Februar 1819 geboren. Eine außerordentliche geistige Begabung, große, mit lebhafter Einbildungskraft gemischte Verstandes- und Willenseigenschaften, dabei ein stark ausgeprägtes Religions- und Kultusgefühl machten sich frühzeitig bei ihr geltend. Was ihr Wissensdrang ergriff, ergriff er mit Leidenschaft und Ausdauer; was sie lernte, lernte sie denkend; was sie liebte, liebte sie mit leidenschaftlicher Inbrunst und Phantasie, und mit einer Stetigkeit und einem Beharren, das Wechsel und Laune ausschloß. So hing sie an ihrem Vater, so hing sie später an ihrer Tochter – so liebte sie Liszt.

Die Erziehung dieses begabten Kindes war keine geregelte und geplante; sie ergab sich vielmehr zufällig aus den Verhältnissen. Es wurden ihr Erzieherinnen gehalten, die aber der Eigenartigkeit ihres Zöglings nicht gewachsen, weder ihren Verstand befriedigen, noch ihren Willen bändigen und am allerwenigsten Einfluß auf sie gewinnen konnten. Kein Wunder, daß ein häufiger Wechsel Platz griff und, als sie sich, kaum 17 Jahre alt, mit dem Fürsten Wittgenstein vermählte, bereits eine zwölfte Erzieherin ihres schwierigen Amtes waltete. Diese – Madame Patersi de Fossombroni – war die einzige, die sich rühmen konnte keinen Widerspruch gefunden zu haben: allein nur darum – wie die Freunde der Fürstin behaupteten –, weil sie eben erst ihre Stellung angetreten hatte. – Der wesentliche Theil der Erziehung Carolynens fiel ihrem Vater zu. Er sah in ihr die zukünftige Erbin seiner großen Besitzungen und erzog sie als solche. Noch sehr jung, wurde sie die Begleiterin bei seiner Besichtigung der Güter, hörte sie ihn befehlen, anordnen, richten und schlichten, sah ihn väterlich auf seine Leibeigenen (an Zahl gegen 30000) bedacht, streng und gerecht in eigener Pflichterfüllung und sie fordernd von seinen Untergebenen. An seiner Lektüre nahm sie ebenfalls bald[8] theil. Ein Augenleiden hinderte ihn, selbst zu lesen. Zu seiner Vorleserin erwählt, ward ihre jugendliche Stimme nicht müde, ihm oft bis nach Mitternacht vorzulesen, ihn über das Gelesene zu fragen und wieder zu fragen. So wuchs sie mit Schriften und Gedanken über Verwaltung und Verwaltungsgesetze auf, mit der Literatur der alten und neuen Zeit, vornehmlich mit den von ihrem Vater vor allen andern bevorzugten lateinischen Schriftstellern Tacitus, Tit. Livius u.A., wobei er zugleich den Grund zu ihrer Kenntnis der lateinischen Sprache legte, die sie später vollständig beherrscht hat.

Als sie elf Jahre alt war und von ihrer Mutter, welche die Neigung hatte, sich mit einem Kreise geistvoller Männer zu umgeben, mit nach St. Petersburg genommen wurde, war ihre geistige Entwickelung bereits dermaßen vorgeschritten, daß sie am liebsten mit solchen verkehrte, sich von ihnen belehren ließ und dabei mit ihren Einwürfen nicht zurückhielt. Der patriotische Sänger und Schiller-Übersetzer A. Shukowsky redete sie scherzend nur mit »Mlle. Caton« und »Mlle. Scipion« an. Der Kaiser Nicolaus I. aber, dem sie vorgestellt wurde, wollte in ihr schon die »Polin« erkennen. Kalt wandte er sich zu den ihm nächststehenden Personen mit den Worten:»Je pourrais en finir des polonais, si je venais à bout des polonaises«7 – »mit den Polen wollte ich schon fertig werden, hätte ich erst die Polinnen unten.«

Ungefähr von dieser Zeit an wurde Carolyne von ihrer Mutter mit auf Reisen genommen. Hier durfte die heranwachsende Tochter sie allmählich bei ihren Besuchen sowohl, als auch in Koncerte, in die Oper und in das Schauspielhaus begleiten; sie wurde gerufen, wenn Besuche von Standesgenossen oder von namhaften Personen aus den Gelehrten- und Künstlerkreisen entgegen genommen wurden; sogar den Gesangslektionen, welche der viel umschmeichelte Schwan von Pesaro, Maëstro Rossini, der mit einer schönen Stimme begabten Frau ertheilte, wohnte sie nicht selten mit Aufmerksamkeit bei. Die junge Erbin wurde auf diese Weise frühzeitig mit dem in großen Dimensionen angelegten, sich auf den Höhen der Gesellschaft bewegenden Leben bekannt, und die von ihrem Vater gepflegte praktische Richtung ihrer Erziehung fand hier ihre Ergänzung nach ästhetischer Seite hin.[9]

Ganz in derselben Weise, wie sie die Aufgaben der Verwaltungsgeschäfte auf den väterlichen Gütern ergriff, erfaßte ihr lebhafter Geist begierig und denkend an Kunstwerken und Kunstfragen, was auf und außerhalb der Bühne ihr entgegentrat. Mittels dieser freien Form des Lernens erwarb sie sich nicht den geringsten Theil ihrer Kenntnisse. Diese Form: sich den Einblick in die Ideen und Aufgaben der Zeit aus dem Leben und aus dem persönlichen Verkehr mit hervorragenden Männern, meistens praktischen und geistigen Vertretern des Wissens und der Kunst, zu holen, pflegte sie zeitlebens. So liebte die Fürstin – beispielsweise – sowohl auf ihren Reisen, als auch zu Hause, deux à deux langsam zu diniren und mit ihrem vis-à-vis im lebendigsten Tischgespräch irgend einen Gegenstand zu diskutiren. Staatsmänner, Philosophen, Dichter, Naturforscher waren die Tischgenossen, welche die merkwürdige Frau durch ihre stets den Punkt der Sache treffenden Fragen und Gegenbemerkungen im seltensten Maße anzuregen, ja oftmals zu neuen Forschungen, Thesen und Gesichtspunkten zu inspiriren verstand, und von denen sie wieder ihrerseits ein staunenswerthes Vertrautsein mit den engsten Fragen und Problemen der heterogensten Arbeitsgebiete empfing. Die Gabe, im ruhigen heiteren Herüber und Hinüber des Gesprächs, auch in heißer Debatte, die Schleußen der Gedanken Anderer bis zum Grund zu öffnen, war ihr im hohen Grade eigen. Als einstmals – es war in München, zur Zeit als Kaulbach die Fürstin und ihre Tochter malte – der Chemiker Liebig nach einem solchen Diner Liszt begegnete, wischte er sich den Schweiß von der Stirn und versicherte: – »die hat mich aber ausgequetscht.«

Kaum hatte die junge Erbin ihr sechzehntes Lebensjahr erreicht, traten Bewerber um ihre Hand auf, unter ihnen der ihr gleichgültige, ja unsympathische junge Fürst Nicolaus von Sayn-Wittgenstein, der dritte Sohn des Fürst-Marschall gleichen Namens. Eines Abends, als sie auf dem Schlosse eines Oheims weilte, erschien der Fürst und bat um Gastfreundschaft. Carolyne weigerte sich am Theetisch zu erscheinen, gab aber endlich dem ungebärdigen Bitten eines kleinen Cousin, des späteren Herrn zu Calm-Podoska nach, der nach Jahrzehnten noch in ihr und Liszt's Geschick zur Ungunst Beider eingreifen sollte. Mit jüngeren Geschwistern zum Besuch auf dem Schlosse, wollte er auch heute an der Seite der von ihm angebeteten Cousine sitzen, die sogleich[10] nach dem Thee sich entfernte und unsichtbar blieb bis anderntags der Gast fort war. Dieser Abweis hinderte ihn nicht, seine Annäherung zu wiederholen. Endlich fügte sich Carolyne dem Wunsch und Willen ihres Vaters und vermählte sich dem Fürsten am 26. April 1836, als sie das siebzehnte Lebensjahr kaum überschritten.

Das eigene Herz noch unberührt, hatte sie der Überredung ihres greisen Vaters nachgegeben, der, obwohl der Fürst ohne Vermögen war, und obwohl er den Widerspruch kannte, in welchem die Lebensgewohnheiten und Lebensanschauungen desselben zu denen seiner Tochter standen, diese Verbindung wünschte, weil der Fürst einer deutschen Familie angehörte und er selbst als Pole einestheils keine russische, anderntheils wegen der Zerrüttung Polens auch keine polnische Verbindung wollte. Er glaubte, daß geregelte Verhältnisse und eine bedeutende Rente hier ausgleichend eingreifen würden – eine Erwartung, die sich bald als aussichtslos erwies. Verführt von dem Reichthum der Erbin, stürzte er sich in unsinnige Schulden und verlangte, daß sie dieselben tilge – seine und auch die seiner nächsten Verwandten. Aber die junge Frau überschaute die Folgen und wußte nur zu gut, daß, wenn sie heute hunderttausend Rubel opfere, morgen zweihunderttausend von ihr verlangt werden würden und, da auch kein Schatten eines Vorwurfs sie traf, der sie genöthigt hätte Nachsicht zu üben, um Nachsicht zu finden, konnte sie derartige Ansinnen zurückweisen. Die Hoffnung, Einfluß auf die Sitten und Gewohnheiten ihres Gatten zu gewinnen, schwand mehr und mehr. Tief unglücklich, mußte sie sich jedoch gestehen, daß sie hier machtlos sei. Schon im ersten Jahre ihrer Ehe sah man die junge Fürstin, die zur Zeit grimmiger Kälte, im December 1836, sich bei Verwandten in dem Städtchen Berdyczew zu Besuch befand, in der Kirche, zur Zeit der Frühmesse, am Altar im Kreuze betend – dem Ausdruck tiefster Verzweiflung.

Im Februar darauf genaß sie eines Töchterchens, eines gefunden reizenden Kindes. »Gott, mache sie glücklich, gieb mir die Kraft, sie zur echten Christin zu erziehen, sollte ich es auch bezahlen mit dem Blut meines Herzens!« –, also rang es sich, einem Gelübde gleich, von ihrer Seele. – In diesem Kinde, das die einzige Verbindung zwischen ihr und dem Fürsten blieb, koncentrirte, ja entwickelte sich der Reichthum ihrer Liebe. Mit[11] leidenschaftlicher Zärtlichkeit hing sie an ihm und überwachte jeden Schritt, den seine Entwickelung vorwärts that.

Ohne daß ein offenes Zerwürfnis stattgefunden, hatte sich zwischen der Fürstin und dem Fürsten eine nicht mehr zu überschreitende Scheidewand aufgebaut. Bereits im Jahre 1845 besprach sie mit einem Advokaten ihre Ehescheidung und übergab ihm die Anhaltspunkte zur Motivirung derselben mit der Weisung: im Stillen alles zu ordnen, damit, falls sie sich zu einer solchen jetzt oder später endgültig entschließen sollte, die Vorbereitungen beendet seien.

Während der Fürst sich seiner Lebensweise überlies, lebte die Fürstin auf ihrem Gut Woronince und gab sich neben ihren Mutter- und Verwaltungspflichten einem vielseitigen Studium der Literatur hin. Die Lektüre mit ihrem Vater war ausschließlich eine Pflege des realen Bodens gewesen, jetzt studirte sie die Schriften Schelling's, Fichte's, Hegel's, Göthe's, Dante's. Die Ästhetik Hegel's spornte sie zu selbstständigen Gedanken über die Ordnung und Aufgabe der Künste an. Insbesondere – und obwohl sie selbst nicht musikausübend war –beschäftigte sie die Idee der Musik, vor allem ihre Stellung und Aufgabe als instrumentale Kunst, in der sie, nach Hegel, die spirituellste der Künste und, in Bezug auf ihre Geistigkeit, die Spitze aller Kunst erblickte. Doch konnte sie sich nicht mit ihr als absolute Musik zusammen finden. Möglicherweise, daß die Richtung Berlioz', die ihr nicht fremd geblieben war, auf sie eingewirkt hatte: sie konnte sich ihren Inhalt nicht unverbunden mit der Poesie oder mit der Malerei denken – eine Auffassung, die sie auch schriftlich in einer ästhetischen Abhandlung8 durchzuführen versuchte. Die Instrumentalmusik schien ihr nach dieser Richtung hin ein Problem, dessen Lösung noch zu erwarten sei.

Mit der Feder hatte sie sich frühzeitig geübt. In einem köstlichen Wetteifer mit ihrem Vater waren Aufsätze meist praktischen Charakters – über die Stellung der Künstler, der Gelehrten und Gewerbetreibenden zum Staate, und verwandten Inhalts – entstanden. Jetzt wandte sie sich ästhetischen Aufgaben, wie der über die Instrumentalmusik, zu. – Nach ihrer »Faust«-Lektüre (1845) versuchte sie ihren Gedanken über die Göthe'sche Dichtung und deren[12] Probleme in einem »Kommentar zu Faust«9 Ausdruck zu geben, wobei sie dem Charakter und der Mission Gretchens eine Specialabhandlung widmete. Wie »Faust«, regte Dante's »Göttliche Komödie« sie an. Und so heterogen diese beiden Dichtungen in ihren Ausgangspunkten sind – die eine als Ausfluß protestantischen, die andere als Ausfluß katholischen Geistes –, erfüllte sie der Inhalt beider gleich heftig und peinigte sie zu dem Streben, deren Geheimsiegel zu lösen.

Als sie im Jahr 1847 Liszt begegnete, war in Folge ihrer Geistesrichtung, Lektüre und Studien sowohl das Interesse, als auch das Verständnis für ihn vorbereitet. Nimmt man hinzu, daß die Fürstin mit Personen derselben Künstler und Aristokratenkreise verkehrt hatte, in denen er heimisch war, daß sie, wenn auch nur aus der Ferne und aus Erzählungen Dritter, gewissermaßen die Fortschrittsideen der sich von der Tradition befreienden Künstler, an welchen der Jüngling Liszt sich berauscht, kennen gelernt hatte, so erscheint die Begegnung Beider mehr vom Geschick bestimmt als zufällig, und tief begründet in geistiger Wahlverwandtschaft.

Im Februar des genannten Jahres koncertirte Liszt in Kiew. Diese malerisch gelegene Stadt mit ihrer orientalischen Physiognomie und Kostümepracht, in dem Buche des Künstlers: »Die Zigeuner und ihre Musik« mit dem Auge des Dichters und Malers geschildert,10 bildete alljährlich zur selben Zeit den Sammelpunkt der Großgrundbesitzer Südrußlands, die zur Abwickelung ihrer administrativen und agrarischen Geschäfte hier weilten. Derselbe Zweck führte auch die Fürstin dahin, deren Ankunft alsbald in einer eleganten Herrengesellschaft besprochen wurde, wobei man ihrer so wenig günstig gedachte und ihre an Geiz grenzende Sparsamkeit dermaßen beleuchtete, daß der anwesende Künstler aufsprang und, ohne sie zu kennen, sich zu ihrem Anwalt aufwarf. Jenes war in der That der Ruf, in welchem damals die Fürstin stand, und den zu widerlegen, sie sich sorgfältig hütete. Denn, eine schutzlose Frau, sah sie in dieser Beurtheilung eine Art Schutz vor den Ansprüchen, die an Besitzende herantreten und denen Genüge zu leisten kein Reichthum der Welt Stand halten könnte.[13]

Sie übte darum ihre Wohlthaten ungesehen und pflegte dabei die Taktik den Mund ihrer Schützlinge zu versiegeln, wie bei einer Frau, der sie aus unverschuldeter Bedrängnis mit dem Geschenk von 20000 Rubel half, die ihr dagegen auf die Bibel schwören mußte, nie den Namen ihrer Retterin zu verrathen. Groß im Geben, prüfte sie, ehe sie gab, und suchte dann gründlich einem Übel abzuhelfen. »Nur sich nicht zersplittern!« – gehörte gegenüber den materiellen, wie geistigen, Dingen zu ihren ökonomischen Grundsätzen.

Von ihren Angelegenheiten in Kiew in Anspruch genommen, wußte sie nicht, daß der berühmte Virtuose anwesend sei. Erst durch eine Subskriptionsliste zu einem Koncert, dessen Ertrag einem gemeinnützigen Zweck zugewiesen werden sollte, ward es ihr bekannt. Sie belegte einen Platz mit einer Hundert-Rubelnote.

Über diese Summe aufs höchste erstaunt, bat der Künstler durch Belloni Ihrer Durchlaucht in ihren Gemächern vorspielen zu dürfen. In diesem Augenblick aber paßte es ihr nicht, und sie lehnte das Anerbieten ab. Hierauf kam er persönlich, um für die großmüthige Spende zu danken. Das war die erste Begegnung. Die Unterhaltung war eine so lebhafte und, da Beide mit hervorragenden Menschen vieler Länder in Berührung gekommen waren und standen, eine so beziehungsreiche, daß dieser Besuch die Zeitschranke der Etiquette übersprang, bis endlich der Virtuose sich mit den Worten erhob: »Nun haben wir in einer Stunde Europa mit Dampf durchplaudert.«11

Die Fürstin war keine Schönheit. Von kaum mittlerer Gestalt, mehr olivenfarbigem als lichtem Teint, unregelmäßigen Gesichtszügen, schwarzem Haar, wollten viele ihrer Erscheinung nicht einmal das Wort »hübsch« vindiciren. Trotzdem fesselte sie durch das Sprechende, ihre Gedanken in schnellem Wechsel Reflektirende ihrer Züge, vor allem aber durch ein großes leuchtendes Augenpaar, das, halb Wissen halb Frage, die Menschen ansah. Ihre Erscheinung war vornehm. So stellt sie ein Daguerre-Bild aus jener Zeit dar, das fast volle vierzig Jahre auf Liszt's Schreibtisch in Weimar gestanden hat und von unzähligen Menschen[14] gekannt ist.12 Im täglichen Leben konnte der Eindruck der Vornehmheit selbst nicht durch eine große Lebendigkeit ihrer Bewegung gemindert werden.

Der Eindruck, den bei ihrer ersten Begegnung beide Persönlichkeiten sich gegenseitig hinterließen, war ein außerordentlicher. Andere aber als gesellschaftliche Beziehungen spannen sich in Kiew nicht an. Die Fürstin besuchte sein Konzert, in Gedanken wog sie bei jedem neuen Vortrag die Urtheile der Presse – ob Virtuos, ob Künstler? Bei der »Sonnambula«-Phantasie sagte sie sich: »Virtuos«, bei dem Vortrag einer Sonate von Beethoven: »Künstler«, ohne mit sich zur Klarheit hierüber kommen zu können. Einige Tage später wohnte sie dem Frühgottesdienst der römischen Kirche bei. Der Chor sang ein Pater noster, das sie tief ergriff. Auf die Anfrage durch ihren Diener: von wem dieses Pater noster sei? wurde ihr die Antwort: von Franz Liszt.13 »Er ist ein Künstler – ein echter Künstler«, sagte sie sich und der Widerstreit ihrer Ansichten war geschlichtet. Von diesem Moment an lebte die Überzeugung in ihr, daß seine höhere Vokation im Komponistenberuf liege.

Im Sommer desselben Jahres fand eine Wiederbegegnung in Odessa statt, wo die Fürstin mit ihrem Gemahl einen Sommeraufenthalt genommen und der Künstler, nachdem er in Konstantinopel gewesen, koncertirte. Bald zählte er, gefesselt von ihrem hochfliegenden, blitzenden Geist und dem Verständnis, das sie seiner Lebens- und Kunstanschauung wie ein eigenes entgegen brachte, zu den täglichen Besuchern des fürstlichen Salons. Beim Ende der Saison bedurfte es nur geringer Überredung ihn zu bewegen mit nach Woronince für den Herbst und Winter überzusiedeln, um daselbst – Kompositionsaufträge der Fürstin auszuführen. Der Gedanke, sie sei berufen seine Virtuosenfesseln zu lösen und ihn anderem Ziele zuzuführen, hatte allmählich herrschende Gewalt über sie bekommen, bei welchem – was nahe liegt zu glauben – der Gretchenaufsatz ihres »Faust«-Kommentars mitgewirkt haben mag. Ein Geschenk, das sie ihm in Odessa gemacht, und das aus einem[15] Tintenfaß, geschmückt mit allegorischen auf die schaffende Kunst hindeutenden Figuren bestand,14 spricht diesen Gedanken aus.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892, S. 3-16.
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