7.

Die Macht der Leidenschaft.

[75] Leidenschaft! – Wer von uns Sterblichen ist ganz ohne Leidenschaft?

Die Gelehrten haben viel darüber gestritten: »Ob die Leidenschaften uns angeboren seien?« In's Reine sind sie aber darüber nicht gekommen; denn man kann sagen »ja!« oder »nein!« wie man will.

Die entfernten Anlagen bringen wir jedenfalls mit, – sie sind ja körperlich; aus diesen entstehen nun nähere Dispositionen, daraus Neigungen und aus den Neigungen Leidenschaften, die dann nach der Lebendigkeit unserer Vorstellungen stärker oder schwächer wirken.

Die Hauptneigung, aus der dann wieder Nebenneigungen entsprießen – wie Aeste aus dem Stamm eines Baumes –[75] liegt also angeboren in uns; aber äußere Eindrücke, Temperament, Verhältnisse und Erziehung entwickeln und modificiren sie in's Unendliche, und Gewohnheit verstärkt sie noch, ja die letztere trägt oft dazu bei, daß sie uns zur zweiten Natur wird. Ist dies aber der Fall, so zwingt die sinnliche Begierde, ehe wir es uns versehen, die Vernunft, sich blos leidend zu, erhalten. Dadurch wird aber das schöne Ebenmaß in uns und damit auch unsere innere Harmonie, unser innerer Friede gestört. Wir fühlen dies ganz natürlich bald durch eine gewisse Unbehaglichkeit, – die Unbehaglichkeit reizt zum Aerger, und der Aerger stachelt unsere Begierden noch mehr auf, daß sie immer ungeduldiger, immer heftiger werden. Mit ihrer Befriedigung – däucht es uns dann – werden Harmonie und Friede in unser Inneres zurückkehren, und nun ist gar kein Halt mehr. Die allzugroße Lebhaftigkeit der Ideen, das wallende Blut und die nicht mehr von der Vernunft geläuterten Begriffe verleiten uns, Dinge zu thun, die wir im ruhigen leidenschaftslosen Zustande nie gethan haben würden. Wir vergessen, was passend ist, die Schicklichkeit unseres Thuns, des Ortes, der Zeit und der Umstände, Alles – – nur nicht den Gegenstand unserer Leidenschaft!

Darum sagen wir mit Recht: Leidenschaft ist blind! – Leidenschaft ist aber dabei in der moralischen Welt, was in der physischen der Sturm ist: er wirst Alles nieder, reißt Alles mit sich fort; aber er erschüttert die Atmosphäre auch und reinigt sie. Auf den Sturm der Leidenschaft folgt meist die Erkenntniß des Rechten. Wenn uns die Leidenschaft auf den Flügeln der Phantasie über alle Schranken hinweggetragen und ihr Ziel erreicht hat, – – dann gehen uns die Augen auf. Wer hat diese Erfahrung nicht schon an sich selbst gemacht? Es gab einen Mann, der erwachte erst auf St. Helena von dem Rausche seiner Leidenschaften, – seines Ehrgeizes, – seiner Herrschsucht – und Millionen kleine, kleine Menschen erwachen nie daraus.

Vergebens versuchen wir z.B. einen Verliebten aus seiner Leidenschaft herauszureden. Liebe wohnt nicht in den Ohren, sondern im Herzen, und die Leidenschaft kennt die Sprache der Vernunft nicht. Weß das Herz voll ist, des geht der Mund über, und so weiß der in Liebe glühende Mensch nichts zu denken, von nichts zu sprechen, als von seiner Liebe, wie der Ehrgeizige und Eitle von seinen Plänen und den ihm erzeigten[76] Ehren, – der Zornige von Beleidigung und Rache. Dann wünscht der Zorn dem ganzen Menschengeschlechts nur einen Hals, um es mit einem Schlage zu vernichten, – die Liebe nur ein Herz, weil sie kein anderes, als das geliebte kennt und kennen will oder im Vollgefühl der Liebe alle Menschen an das ihre drücken möchte – und der Hochmuth und Stolz zwei niedergebeugte Kniee, weil dann die ganze Welt mit einem Male zu ihren Füßen läge!

Und doch! – – – was wären wir Menschen ohne Leidenschaften?

Sind sie denn nicht gerade das wahre Lebensprinzip, ohne welches nie etwas Großes geschehen ist? – Sie erhöhen die Thätigkeit und die Phantasie bis zur Begeisterung; – sie reißen uns fort über die erbärmliche Alltäglichkeit, und schleudern uns da, wo wir sonst feig und faul und lahm zurückgeblieben wären, den Großthaten des Lebens in die Arme; – sie schütteln das Blut, daß es frisch bleibt, und den Geist, daß er nicht zum stehenden Sumpfe wird! – sie geben dem Leben Farbe, Licht, Abwechselung und Bedeutung;– sie sind die Pferde an dem Wagen unseres Schicksals – die Winde, die die Segel unseres Lebensschiffleins blähen und es nach seinem Ziele treiben, wenn es auch manchmal auf Sandbänke, Klippen und Felsen rennt! Das sind die Leidenschaften! Wer kennt sie nicht? – –

»Er kommt heute wieder nicht!« – rief in italienischer Sprache die Mandini heftig, indem sie vom Claviere – an dem sie bis jetzt Mozarts neueste Schöpfungen durchgesungen und eingeübt hatte – aufsprang und an das Fenster eilte. – »Er kommt wieder nicht, der Treulose; und ich vergehe hier vor Sehnsucht und Langeweile!«

»Ja, langweilig ist es allerdings hier, daß man wahnsinnig werden könnte!« – entgegnete, in der gleichen Sprache, die Gesellschafterin der Signora. – »Bisher konnte man doch noch zur Unterhaltung das fallende Laub zählen; – aber jetzt, heilige Madonna steh' uns bei! jetzt stehen die Bäume ganz kahl da und strecken ihre dürren Aeste wie verzweifelt nach dem ewig grauen Himmel! – Ach! Signora, wie schön ist doch unser Italien!«

»Schön ist es nur da,« – entgegnete Giuditta mit Wärme, – »wo der Geliebte ist!«[77]

»So wollen wir ihn mit nach Rom nehmen!« – rief die Gesellschafterin mit einem tiefen Seufzer – »dann ist für Sie, Signora, das Paradies dort, und wir kommen aus dem trüben, langweiligen, frostigen Deutschland!«

Giuditta trat von dem Fenster zurück. Ihre Augen leuchteten in einem eigenthümlichen, fast fieberhaften Feuer, das sie innerlich zu verzehren schien. Jedenfalls verrieth es gewaltige Leidenschaften, die hier tobten und brannten. Und leidenschaftlich war Alles an ihr, auch ihre Bewegungen, selbst die Heftigkeit, mit der sie jetzt rief:

»Habe ich dir nicht oft genug gesagt, Antonia, daß du mich nicht an Italien erinnern sollst?«

»Und warum nicht?«

»Weil meine Liebe zu ihm, die Rivalin meiner Liebe zu Amadeo ist! Du weißt es, Mädchen! – weißt auch, wie viel es mich gekostet hat, mich loszureißen vom vaterländischen Boden; aber die Sehnsucht nach dem geliebten, herrlichen Manne, der meiner Jugend Seligkeit, meines Lebens Stern, meiner Kunst heiligster Priester ist, war doch noch stärker als die Liebe, die mich fast allgewaltig an unser schönes, theueres Italien kettet. Ich mußte jener tieferen Sehnsucht folgen, mußte Amadeo wiedersehen, und so blieb nichts übrig, als mich von der Heimath loszureißen. Es ist geschehen – – ich bin glücklich – – aber die Wunde schmerzt noch. Warum reißt du sie immer wieder auf?«

»Ach, Signora!« – rief Antonia fast bitter – »ich bin nicht so glücklich, in Deutschland einen Geliebten zu besitzen!«

»Ich verstehe den Spott!« – entgegnete Giuditta stolz.

»Signora Mandini, die in Rom, in Neapel, in Mailand Fürsten hätte zu ihren Füßen sehen können – die von Männern, götterschön, wie der junge, feurige Marquis Calabritta, – reich und mächtig, wie der Cardinal Cosmi – angebetet wurde .... Signora Mandini ....«

»Blieb bei allen kalt!« – fiel Giuditta hier Antonia in das Wort, indem sie sich hoch aufrichtete – »und geht nach Deutschland, um ihren Jugendfreund aufzusuchen, der zwar nicht so jung, nicht so feurig wie der schöne, der götterschöne Marquis Calabritta, – auch nicht so reich und mächtig, wie der Cardinal Cosmi, – kein Fürst und kein Italiener ist – – – dem aber Signora Mandini alles [78] verdankt, was sie ist und was sie hat – und der alle Sterblichen überragt, durch seiner Schöpfungen Herrlichkeit und Größe!«

»Aber Sie lieben doch den Menschen, nicht den Componisten!« – sagte Antonia eingeschüchtert von dem leidenschaftlichen Tone ihrer Gebieterin.

»Ich liebe in Maestro Amadeo beides; ja ich bete in ihm die Kunst selbst an!« – versetzte die Herrin bestimmt. – »Seiner meisterhaften Schöpfungen Zaubermelodien griffen wie Polypenarme über die Alpen herüber, faßten mich und zogen mich mit Allgewalt ihm nach. – – Aber – – das verstehst du nicht, Mädchen! Schweigen wir darüber.«

Und Signora Mandini setzte sich wieder an's Clavier nieder, und sang noch einmal das große Recitativ Donna Anna's im ersten Acte Don Giovanni's durch; denn Amadeus hatte ihr auf ihr Bitten den ganzen Part selbst abgeschrieben und gegeben, so entsetzlich ihm sonst das Abschreiben war und so wenig Zeit er für solche mechanische Arbeiten hatte. Aber wie sang sie nun auch dieses Recitativ! »Padre! caro Padre!« – Welche Energie, welche Wahrheit des Schmerzes und des Unwillens! welche Pracht und Fülle der Stimme!

Ja, bei Gott, hier wehte Mozarts Geist; dieser Gesang bekundete, daß die Sängerin nicht allein »den Menschen« Mozart liebe, sondern in ihm auch »den Meister der Töne« anbete, ja vergöttere!

Und so war es in der That. Wer in die Tiefen ihres innersten Seins hätte blicken können, würde sich mit höchstem Interesse dieser ganz eigenthümlichen psychologischen Erscheinung zugewandt haben. Giuditta war in ihrem Wesen nach siebzehn Jahren ganz dieselbe, wie vor dieser Zeit, da sie mit Amadeus in Rom unter dem prachtvollen Himmel ihres Vaterlandes gelebt. Schon damals hatte sie geliebt – ihn geliebt – und zwar mit der vollen Gluth einer ächten Italienerin, wenn auch noch unverstanden von sich selbst.

Aber diese aufkeimende Liebe war schon damals durch des deutschen Knaben musikalisches Talent geweckt worden, wie umgekehrt ihr Talent für die Musik erst durch jene Liebe und die Bemühungen des kleinen Amadeo zum Bewußtsein kam. Liebe zu dem Maestro und zu der Kunst war also von jeher in Giuditta eines und dasselbe; blieb es aber auch[79] um so mehr, als, durch die baldige Trennung der Kinder, die Liebe nur in der Kunst ein vermittelndes Band fand.

Durch die Bühne – das wußte Giuditta recht gut – und nur durch die Bühne, konnte sie hoffen, dem mit Begeisterung verehrten Meister, dem Geliebten je wieder nahe kommen zu können. Welcher Gedanke lag daher – zumal bei ihrer natürlichen Befähigung – näher, als der: Sängerin zu werden. Dann verband sie ja schon die Kunst auf ewig mit dem Geliebten. Wenn sie seine Schöpfungen studirte, sang und wiedergab, war sie geistig eines mit ihm, wie sie es damals auch in der That noch im Leben zu werden hoffte. Das gab ihr Lust und Kraft zum Studium, Muth und Ausdauer; – diese Idee hob und trug sie, bis sie geworden, was sie sich vorgesetzt: Italiens erste und bedeutendste Sängerin. Wie sich übrigens die Menschen überall winden und wehren, um nur das Gute und Schöne nicht anerkennen zu müssen, so ging es auch hier. Giuditta Uslinghi, die – nach dem sehr früh erfolgten Tode ihrer Eltern – auf der Bühne den wohlklingenderen Namen Mandini angenommen hatte, mußte lange Zeit gewaltig gegen Neid und Ränke kämpfen. Ist doch der Neid die Seele des überall florirenden, selbst stillschweigend und ohne Verabredung zusammenkommenden Bundes aller Mittelmäßigen, gegen den einzelnen Ausgezeichneten, in jeder Gattung. Einen solchen nämlich will keiner in seinem Wirkungskreise wissen, in seinem Bereiche dulden; sondern: Si quelqu'un excelle parmi nous, qu'il aille exceller ailleurs, ist überall die einmüthige Losung der Mittelmäßigkeit.

Sobald daher in irgend einem Fache ein eminentes Talent sich spüren läßt, sind alle Mediocren des Faches einhellig bemüht, es womöglich zuzudecken und auf alle Weise zu verhindern, daß es bekannt werde. Und meistens hat denn auch leider ihr Unterdrückungssystem geraume Zeit hindurch guten Erfolg; weil gerade das Talent, welches ihnen seine Leistungen mit kindlichem Zutrauen darreicht, damit sie Freude daran haben möchten, den Schlichen und Ränken niederer Seelen am wenigsten gewachsen ist, ja – sie oft nicht einmal ahnet, noch versteht!

Was aber Giuditta den Sieg auf der Bühne noch mehr erschwerte, war eben ihre Liebe zu Amadeus und der Kunst. Mit der ganzen Entschiedenheit ihres Charakters blieb sie dieser Neigung treu, und so fehlte es ihr natürlich lange an jenen[80] Protectionen, die hier Alles vermögen und zumeist die Wege bahnen. Ihr Weg war daher nothwendigerweise sehr einsam – was sie aber gerade nur in ihrer Leidenschaft bestärkte und hart machte, – er ging gar oft durch entsetzlich öde Gegenden, die der Lybischen Wüste glichen, von deren Eindruck bekanntlich keiner einen Begriff hat, als wer sie gesehen.

Inzwischen brach sich Signora Mandini's herrliches Talent doch endlich Bahn, und zwar in Neapel, das sie nun aber auch Jahre lang nicht mehr gehen ließ. Immer hatte Giuditta dabei gehofft, das Schicksal werde den Geliebten einmal wieder nach Italien führen. Vergeblich! und als sie endlich den Polypenarmen nicht mehr widerstehen konnte, die sich – aus Tönen gewoben – geisterhaft und dämonisch über die Alpen herüber nach ihr ausstreckten; – als die Gluth der Leidenschaft, durch das Feuer der Begeisterung für den Schöpfer der herrlichsten musikalischen Meisterwerke jener Zeit zur gewaltigen Flamme angefacht, sie zu verzehren drohte, und er Entschluß in ihr reiste, den Geliebten nur noch einmal zu sehen – daß er verheirathet sei, wußte sie lange, – gab es einen neuen Kampf, denn ein neuer Rivale trat auf, die Anhänglichkeit, die Liebe zu dem theuren Vaterlande, dem herrlichen paradiesischen Italien!

Es war also ein wunderbarer Dreiklang der Liebe, der in dem Herzen dieser eigenthümlichen Erscheinung wohnte: Amadeus, seine Kunst und die Heimath, – die goldene, schöne, unersetzliche Heimath! Alle drei umfaßte Giuditta mit der gleichen Leidenschaft. Waren aber die zwei ersten Neigungen durch das Auffinden Amadeo's, wenigstens zum Theil, befriedigt, so kämpfte die letztere, die Anhänglichkeit an Italien, die Liebe zu ihm, jetzt um so mehr gegen die ersteren an, als Giuditta – seit Mozart den Gasthof zu den »drei Löwen« verlassen – auf einem einsamen Jagdschlößchen unweit Kosehirz wohnte, und der Herbst mit seinen rauheren, trüben und unfreundlichen Tagen hereingebrochen war.

Die Mandini hatte diesen sonderbaren Aufenthalt gewählt: einmal, weil sie in Prag ganz unbemerkt und unbekannt bleiben wollte, und dann, weil sie Amadeus hier – bei Gelegenheit seiner Spazierritte – leicht und unbeobachtet sehen konnte. Die Erwartung, der ersten Aufführung seiner neuesten, großartigen Tonschöpfung beizuwohnen, goß dabei[81] Oel in das Feuer ihrer Begeisterung für den Maestro und ihre gegenseitigen Unterhaltungen über die Oper, Mozarts Mittheilungen auf dem Claviere und durch den schriftlichen Part der Donna Anna, steigerten diese Begeisterung noch.

In jedem Tone, den sie in dieser Rolle sang, hauchte Giuditta jetzt ihre Liebe zu Amadeus aus; während sie die wunderbar herrliche Musik auf der andern Seite vergessen ließ, daß des Nordens kalter, trüber Himmel auf ihr laste und sie fast zu Boden drücke.

Aber ruhig, geduldig und zufrieden konnte sie selbst der Zauber Mozartscher Musik nicht machen; denn Geduld und Ruhe waren zwei, ihrem Charakter ganz fremde Dinge. Blieb Amadeus – von Arbeit überhäuft oder sonst behindert – einmal aus, so wollte sie verzweifeln und wenig fehlte, sie hätte ihn, seinem Weibe und der ganzen Welt zum Trotz in seiner Wohnung aufgesucht.

So ging es denn auch heute, und kaum war das Recitativ zum zweiten Male durchgesungen, als Giu ditta wieder aufsprang und an das Fenster trat, das die Aussicht auf den zu dem Jagdschlosse heranführenden Weg bot. Aber diesmal begleitete den ersten Blick ein Freudenschrei, denn Amadeus ritt soeben durch das Thor.

Giuditta empfing ihn – während Antonia hinaus ging, das Frühstück zu bereiten – mit heißen, glühenden Küssen.

O! wie sie dieselbe war, wie einst zu Rom! Alles war vergessen, Alles – wenn sie ihn hatte! Wo dies Verhältniß hinführen sollte, daran dachte sie nicht; – aufrichtig gesagt, that dies aber auch Amadeus nicht. Beide waren in dieser Beziehung in der That noch Kinder und viel zu ursprüngliche Naturen, um hier nicht ihr Glück mit einem beneidenswerthen Leichtsinn zu genießen. –

Als nach einer halben Stunde Antonia mit dem Frühstücke eintrat, das – aus Burgunder und kaltem Geflügel bestehend – Mozart gewöhnlich einnahm, wandte sich das Gespräch der Musik zu, und Amadeus mußte erzählen, was er Neues geschaffen. Aber sein Bericht ward mit Jubel aufgenommen, denn er ging dahin: daß Don Juan, bis auf die Ouvertüre, fertig sei und in wenigen Tagen zur ersten Theaterprobe gelangen werde. Giuditta zitterte vor Verlangen, wenn sie von der Aufführung selbst sprach und beneidete die Saporitti um ihre Rolle; .... aber welche Donna Anna wäre sie auch gewesen![82]

Es versteht sich, daß Amadeus das, was er diese Nacht geschaffen, vortrug. Es war die furchtbar schöne Scene, in welcher der Geist des Ermordeten den Verräther zur Besserung auffordert und – bei seiner beharrlichen Weigerung – zur Hölle hinabzieht.

Giuditta verschlang jeden Ton. Es lief ihr eiskalt über den Rücken. Ja, sie beugte sich, hinter seinem Stuhle stehend, ohne es zu wissen, zurück, als wolle sie der Marmorfaust des unheimlichen Gastes entgehen. Als Wolfgang aber geendet, umschlangen ihn ihre Arme so gewaltig und ihre Küsse brannten so stürmisch auf seinen Lippen, daß er bald erstickt wäre.

»Herrlicher!« – rief sie dann aus – »in welche Tiefen des Geisterreichs führst du uns hinab! – Welche Ahnung des unaussprechlich Furchtbaren oder der Seligkeit umrauscht mit gewaltigen Flügelschlägen unsere Seele, wenn du die Pforten der Hölle oder des Himmels mit deinen Harmonien öffnest.«

Und sie küßte ihn wieder mit derselben stürmischen Leidenschaftlichkeit. Er aber rief, nach Athem ringend:

»Bist du toll, Giuditta, du bringst mich ja um!«

»Und das will ich!« – rief sie mit vor Seligkeit flammenden Augen. – »Damit du ganz mein bist! – Ist dein Weib gut?« – frug sie dann plötzlich, daß Wolfgang überrascht zu ihr aufsah.

»Ist sie gut? ist sie fromm?« – wiederholte die Italienerin.

»Sehr gut und fromm!« – sagte Mozart lächelnd.

»So bringe du mich um, damit wir Beide zusammen verdammt sind!« – rief die Mandini. – »Ich bin doch selig, wo du bist, und wäre es auch in den Flammen der Hölle!«

»Gieb Acht! gieb Acht!« – sagte Mozart scherzhaft drohend, und griff noch einmal die Accorde, die des steinernen Gastes Auftreten begleiten – »rufe den Bösen nicht bei Namen!« – Aber bald ging er in eine sanftere, beruhigendere Weise über.

Sie warf sich an seiner Seite auf die Kniee nieder, legte, während er weiter spielte, ihren Kopf auf seinen Schooß und blickte ihn lange mit ihren dunklen tiefen Augen an, dann sagte sie:[83]

»Wie du furchtbar dämonisch in deinen Tönen sein kannst, du Herrlicher, und doch auch welche Liebe und Wehmuth läßt du wieder in holden Geisterstimmen uns entgegentönen! Wie winken sie, die Gestalten, die das Reich deiner Phantasie geboren, – wie winken sie uns, daß wir ihnen in ihre Feenwelt folgen sollen, und wie trägt uns auch – wenn du es willst – eine süße Sehnsucht zu ihnen hinüber und löst uns auf in Schmerz, in Lust, in Entzücken!«

»Ja!« – entgegnete Amadeus immer phantasirend und seine Blicke ruhten auf dem Antlitze des lieblichen Wesens, das sein Haupt auf seinen Schooß gelegt. – »Der Genius der Musik wird immer, wo er sich frei erheben kann, zu einer strahlenden Licht, Lust, Leben und Seligkeit verbreitenden Sonne! Aber wehe dem Menschen, der verdammt ist, ihn gewaltsam in seiner Brust einzukerkern oder zurückzudrängen. Das göttliche Feuer wird dann zur allesversengenden Gluth, die sein Herz verkohlt und sein ganzes ›Ich‹ mit unauslöschlichen Flammen verzehrt!«

»Und ist es mit der Liebe nicht ebenso?« – rief Giuditta heftig. – »Hab' ich's nicht Jahre lang empfunden? Glaube mir, Amadeo, hätt' ich nicht deine Schöpfungen gehabt, ich wäre längst todt oder wahnsinnig!«

»Sprich nicht so, Kind!«

»Ha!« – lachte sie wild auf – »sprich nicht so! Das sagte der kalte abgemessene Deutsche! Unter Eurem trüben, frostigen Himmel freilich schlägt das Herz ruhiger, als in unserem feurigen Italien. Und doch, Amadeo, du hast sonst so viel von einem Italiener!«

»Meinst du?«

»Liebst du Italien nicht?«

»O es ist ein herrliches Land!«

»Das Land der Poesie, der Liebe und der Musik!« – rief Giuditta begeistert.

»Möchtest du es nicht wiedersehen?«

»Wie gerne!« – versetzte Amadeus, und der Ausdruck seiner Stimme war so innig und warm, daß er die Wahrheit bestätigte.

»So geh mit mir dahin zurück!« – rief Giuditta, das Haupt rasch und energisch erhebend und ihre Arme um seinen Nacken schlingend. – »Vollende Don Giovanni, ernte hier deine Lorbeeren und folge derjenigen, der du Alles bist!«[84]

»Und mein gutes Weib? und meine Kinder?« – frug Wolfgang mild lächelnd.

»Ha!« – schrie Giuditta auf – »woran erinnerst du mich!« – und sie barg auf seinen Knieen das Haupt in ihren Händen.

Aber dem Claviere entstiegen wunderbare Phantasien, wild und leidenschaftlich ernst, dann milde und sanft, bis sie sich zu einem Ausdruck edler Würde erhoben.

»Leben wir gegenseitig unserem Berufe!« – sagte Amadeus endlich. – »Es ist gar schön, daß er ein Bindeglied zwischen uns bildet, gleichsam der Vermittler unserer Liebe ist.«

»Du liebst mich nicht!« – rief hier Giuditta. – »Du hast mich nie geliebt!«

Amadeus öffnete ein wenig die Weste, langte in seinen Busen und zog ein kleines goldenes Kreuz heraus, das er hier an einer Schnur trug.

»Kennst du dies?« – frug er dann.

»O ja!« – rief Giuditta freudig und mit funkelnden Blicken – »gab ich es dir doch einst zum Angedenken.«

»Wie lange ist das?«

»Siebzehn Jahre.«

»Nun, seit dieser Zeit kam es nicht von meinem Herzen!«

»Das es doch so schlecht bewahrt!«

Ueber Amadeus Stirne lief ein leichter Schatten. Wieder ergriff er einige Accorde, dann sagte er ernst:

»In der Brust der Berufenen glüht das innige, heilige Bestreben, das im Innersten Empfundene, das in der tiefsten Tiefe des Herzens Lebende in herrlichen Werken, in Worten oder Melodien auszusprechen. Und dies Bestreben wird zum allesdurchbrechenden Zwang. Der Dichter muß dichten, der wirklich berufene Musiker muß seine Melodien ausströmen, du mußt ihren Ideen Klang, Farbe, Leben geben; dann aber sind Gedicht und Melodie das warme Blut, das unseren Herzen entströmt. Bringen wir dies Opfer und schwelgen in ihm; – das Schicksal hat uns nichts anderes übrig gelassen!«

»Es hat uns nichts anderes übrig gelassen!« – rief Giuditta aufspringend – »da hast du recht! es ist ein echt deutscher Trost; aber ich bin keine Deutsche, sondern Italienerin und ....« – hier brannten ihre Lippen wieder auf jenen des Geliebten mit wildem, süßem Feuer. – –[85]

Nach zwei Stunden ritt Amadeus zurück. Er sah lächelnd vor sich hin und dachte an das, was ihm Giuditta beim Abschiede heimlich gesagt.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 75-86.
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