9.

Ein neues Wunder.

[98] Venedig – diese Perle Italiens, diese, dem adriatischen Meere entsteigende Königin der Lagunen, – Venedig, diese herrliche, alte, berühmte Stadt – wer sollte sie nicht kennen? – Jedes Kind kennt sie, wenigstens dem Namen und der Lage nach. Aber wer kennt denn »Klein-Venedig?« – Gewiß nur Wenige, und die müssen in Prag wohnen, oder in Prag gewesen sein, denn dort giebt es eine Insel in der Moldau – ein Hauptvergnügungsort – der »Klein-Venedig« heißt.

Die Moldauinsel »Klein-Venedig« gehörte um die Zeit, in welcher unsere Geschichte handelt, der Prager Schützengesellschaft.

Diese Gesellschaft, welche aus Bürgern bestand, die sich »Freischützen« nannten, kam zu gewissen Tagen hier an ihrem Versammlungsorte – zusammen, und übte und belustigte sich dann mit Schießen nach der Scheibe, die auf der südlichen Hälfte der Insel stand, wobei – wie stets bei solchen Gelegenheiten – verschiedene Preise auf die besten Schüsse gesetzt waren. Aber auch die übrigen Bewohner Prags und die Fremden fanden im Sommer hier immer – bei guter Musik, ja oft bei recht artigen Concerten und trefflicher Bewirthung – eine recht angenehme Gesellschaft.

An der nördlichen Spitze der Insel war die Anfahrt der Fährten, – gewöhnlich nur die »Appareille« genannt. Neben derselben standen mehrere Böller oder kleine Mörser, aus welchen bei Festen von Zeit zu Zeit Freudenschüsse abgefeuert wurden. Von der »Appareille« führte dann eine sehr schöne Allee gerade nach dem Schießhause. Rechts und links von[98] derselben prangten – von den vorüberströmenden Wassern der Moldau immer frisch und üppig grün erhalten – hohe prächtige Bäume, anmuthiges Gebüsch und kleine zierlich erhaltene Gärten.

Der Juwel »Klein-Venedigs« war aber damals unstreitig das Schießhaus selbst, das – auf einem Rost eichener Balken erbaut – der ganzen Insel den Namen gegeben hatte.

Aber die Wirthszimmer des Parterres, sowie der Speise- und Tanzsaal der Gesellschaft im oberen Stockwerk erfreuten sich auch einer ganz eigenthümlichen Zierde. Waren sie doch rings an den Wänden mit vielfach durchschossenen Scheiben behängt und geschmückt.

Da sah man eine Venus dem Schaume des Meeres entsteigen; aber .... die Unglückliche war mitten durchschossen. Dicht unter dem Gürtel war die Glückskugel durchgegangen. Auf der Scheibe neben ihr machte sich der damals noch in großer Gunst stehende Liebling unserer Voreltern, der Hanswurst, bemerkbar; aber .... er hatte die Nase eingebüßt, die ihm ein wackerer Schütze abgeschossen, und an deren Stelle sich jetzt nur ein tiefes, Entsetzen erregendes Loch befand.

Dort wieder zeigte eine andere, fast ganz zersplitterte Scheibe Diana, wie sie auf leichten Wölkchen zu dem schönen Jäger Endymion nächtlicher Weile herabsteigt. Ach! das mörderische Blei hatte mitten durch die keusche Göttin einen Riß gemacht!

Und so war nichts, gar nichts diesen entsetzlichen »Freischützen« heilig geblieben: in der Luft schwebende Adler, Hirsche, die über Stock und Stein setzten, – schlaue Füchse, – Jupiter und der ganze Olymp, – römische Kaiser und Blumenmädchen, – Simson und Delila, – Lustige Zecher und Amoretten .... alle waren durchschossen und selbst Judas der Verräther hatte eine Kugel in den langen rothen Bart bekommen.

Aber die »Freischützen« waren auch nicht wenig stolz auf diese Siegestrophäen, und jedem guten Prager von altem Schrot und Korn schmeckte sein Wein hier doppelt vortrefflich.

Hinter dem Schießhause lief die Schußlinie nach dem Ziele, und neben der Linie auf beiden Seiten und hinter derselben begrenzte ein kleiner dichter Wald die Insel.[99]

Dies alles zusammen machte nun allerdings »Klein-Venedig« zu einem der angenehmsten und schönsten Erholungsorte, dessen Reize das Vergnügen einer kleinen Wasserfahrt über den hier sehr breiten Strom noch erhöhte.

Und in der That, welch' eine Bewegung herrschte hier an schönen Sommertagen!

Die beiden Fähren der Altstädter Ueberfahrt sind dann vom frühen Morgen bis zur abendlichen Dämmerung in Bewegung und stetem Wechsel, kreuzen sich und durchschneiden lustig nach hüben und drüben die Wellen der Moldau. Und wie gewährt das kaum sichtbare Abstoßen der einen Fähre vom rechten Ufer, das Arbeiten der anderen hinüber, das Begegnen beider auf dem großen Strome, – das Landen, das Aussteigen der Schiffenden – wie gewährt dies alles dem frohen Zuschauer Unterhaltung!

Man speist dann, man trinkt sein vortreffliches Glas Wein, man promenirt über die prächtige Insel, die ja überall so reizend ist!

Andere stellen sich an die »Appareille«, sobald die sanfte Bewegung der Fähre ihre Abfahrt vom rechten Ufer verräth; – man erkennt deutlich Bekannte, man grüßt von der Insel, und sieht seinen Gruß freundlich erwidert; – die Zeichen der Freude und der Lust werden lauter, vernehmlicher. Die Fähre landet, ein Theil steigt aus, ein Theil bleibt, ein anderer Theil tritt hinein; – die Fähre stößt ab, – man entfernt sich – man winkt sich – man entschwindet unter den immer leiser verhallenden Tönen einer lieblichen Musik.

Das ist ein Bild »Klein-Venedigs« an einem schönen Sommertage.

Aber freilich – heute ist kein Sommertag mehr – darum ist es auch still und leer auf der schönen Moldau-Insel, obgleich die Mittagssonne eines der letzten Octobertage von einem herrlich blauen Himmel, fast wie im Frühling, mild und erwärmend die Erde überstrahlt.

Nur ein einziger Herr, in einen einfachen braunen Ueberrock gehüllt, den eine lange Reihe großer faconnirter Knöpfe schmückt, mit kurzen schwarzseidenen Hosen, Schnallenschuhen und damals üblichem wohlbestallten Zopfe, schreitet ernst und gedankenvoll die Allee auf und ab.

Es scheint ein eigenthümlicher Kauz zu sein; denn bald blickte er, wie in sich selbst versunken, zu Boden, bald hebt er das Haupt wieder, und dann blitzen und leuchten seine schönen,[100] großen, tiefen Augen, wie von gewaltigen Gedanken belebt, mächtig auf. Wenn man ihn betrachtet, scheint es fast, als ob er die Sonnenstrahlen und all' die lieblichen Bilder der freundlichen Umgebung durch die Augen einsauge und dann in seinem Geiste verarbeite; – und doch – würde ein scharfer Beobachter bald entdeckt haben, daß der Mann eigentlich gar nichts von dem sah und hörte, was um ihn her vorging. Eine andere Welt beschäftigte ihn, – wohl eine große, herrliche, göttliche Welt – – denn oft verklärte sich sein Gesicht, und es war, als ob er den Himmel mit all' seiner Herrlichkeit schaue:

Ein Bettler sprach ihn an. Ohne zu schauen, griff er in die Tasche und gab dem Mann ein Stück Geld. Der Mann aber schaute sehr erstaunt und vergnügt bald auf die Gabe und bald auf den Geber, denn er hielt einen blanken Thaler in der Hand. »Hm!« – brummte er dann – »das ist ein Narr; seine Verrücktheit muß man benutzen!« – und er hinkte an das entgegengesetzte Ende der Alle und bettelte den gedankenvoll dahin wandelnden Mann noch einmal an. Und siehe! auch diesmal gab jener, ohne den Bettler noch die Münze zu betrachten. Und auch diesmal mußte seine Gabe eine sehr bedeutende sein, denn der Bettler lachte ihm heimlich spottend nach.

Aber der Mann sah es nicht. Immer lichter stammte es in seinen Augen, immer freudiger wurde der Ausdruck seiner Züge, immer lebhafter wurden die Bewegungen der Hand, die gleichsam zu einer unsichtbaren Musik den Tact schlugen.

»Fertig! fertig!« – rief er jetzt – »sie steht fertig vor meiner Seele! – fertig bis auf die letzte Note. Nun mögen sie kommen, ich trete freudig mit ihr der ganzen Welt entgegen. Aber – wenn sie nur auch schon niedergeschrieben wäre; – ich habe einen entsetzlichen Widerwillen gegen die mechanische, langweilige Arbeit des Schreibens.«

Er ging einige Schritte weiter und rieb sich die Stirne, als ob sie ihn von der eben gehabten Anstrengung einer großen geistigen Arbeit schmerze. Dann sagte er vor sich hinlächelnd:

»Was schadet es! Hab' ich doch noch immer sechs bis acht Tage Zeit, und für das Behalten jeder Note bürgt mir, Gott sei Dank, mein fameuses Gedächtniß!«

Und der Mann, der natürlich Niemand anders als Mozart war, ging dem Schießhause zu. – –[101]

Sechs Tage waren seit jenem Spaziergange Mozarts nach dem Schießhause vergangen, als Bondini bei ihm eintrat. Amadeus merkte sogleich, daß der sonst immer so freundliche Impressario heute etwas auf dem Herzen habe, was ihn drücke. Offen und gerade und ohne alle Umschweife frug er ihn daher nach der Ursache.

»Liebster Maestro!« – antwortete Bondini – »ich sollte denken, Sie wüßten, was mich drückt?«

»Ich?«

»Wer denn?«

»Betrifft's die Oper?«

»Ja!«

»Nun, ich meine doch, die Proben seien alle vortrefflich gegangen!«

»Vortrefflich!«

»Und die Aufführung soll morgen stattfinden.«

»Ja!«

»Nun, was denn noch? – Sind denn nicht schon seit acht Tagen alle Billets im Voraus verkauft? Kann ein Impressario mehr wünschen?«

»Gewiß nicht.«

»Nun?«

»Wenn aber die Oper nicht gegeben werden kann?«

»Nicht gegeben?!« – rief Mozart erbleichend und seine Augen starrten Bondini groß an. – »Warum soll sie denn nicht gegeben werden können?«

»Ei!«

»Ist die Saporitti krank?«

»Nein!«

»Ihr Frauchen?«

»Ebenso wenig!«

»Nun, um Gottes Willen, wer denn? Bassi? Lolli? Baglioni? ....«

»Niemand ist krank!« – sagte jetzt Bondini, ein Fältchen auf der Stirne und doch ein Lächeln um den Mund.

»Aber um des Himmels Willen, lieber Freund, foltern Sie mich doch nicht zu Tode! hat sich am Ende gar die Behörde hineingemischt?«

»Ach was, Behörde!« – rief Bondini immer erstaunter. – »Und Sie denken wirklich nicht daran, Mozart? – Die Ursache, warum ich Don Juan, – Ihren herrlichen,[102] köstlichen Don Juan, – auf den ganz Prag seit Monaten mit fieberhafter Ungeduld wartet, – für dessen erste Aufführung seit acht Tagen alle Plätze vergeben sind; – die Ursache, warum ich den nicht geben lassen kann, soll Ihnen wirklich nicht einfallen?«

»Bei Gott, nein!« – sagte Mozart ganz ernst.

»Nun!« – rief Bondini jetzt wie einer, der sich vor Staunen nicht fassen kann, – »wenn's nicht zum Verzweifeln wäre, könnte man sich todt lachen: Sie haben ja die Ouvertüre noch nicht geschrieben!«

»Ach!« – entgegnete Mozart – »wenn's weiter nichts ist?«

»Weiter nichts ist?« – wiederholte der Impressario gedehnt. – »Aber lieber, bester Maestro, denken sie doch daran, daß morgen Abend die Aufführung stattfinden soll.«

»Nu, nu! Schatzerl!« – rief Mozart heiter wie ein Kind – »da ist ja noch lange Zeit.«

Bondini stand ganz verblüfft; endlich stotterte er: – »Für die Ouvertüre zu einem Werke wie Don Juan

Amadeus lächelte pfiffig! dann trat er näher zu Bondini, legte seine beiden Hände auf des Impressarios Achseln, sah ihm in das Gesicht und frug:

»Glauben Sie, Bester, daß ich mein schönstes Werk durch eine schlechte Ouvertüre selbst und mit eigner Hand verderben werde? – Das Werk, das mir der Schlüssel zu dem Tempel des Ruhmes für ewige Zeiten sein soll?«

»Nein!« – rief Bondini – »gewiß nicht!«

»Nun denn,« – fuhr Amadeus fort – »so seien Sie ruhig.«

»Aber ....«

»Aber?«

»Die Stimmen müssen ja auch noch alle herausgeschrieben werden?«

»Bestellen Sie den Copist auf morgen früh sieben Uhr?«

»Morgen früh? Und das Orchester? Und die Proben?«

»O du kleingläubiger Thomas!« – rief jetzt laut lachend Mozart – »er kennt sein eigenes Orchester nicht. Ich sage Ihnen, Bondini, ›mein‹ Prager Orchester spielt mich vom Blatt!«

»Sie haben ein Riesenvertrauen!« – entgegnete der Impressario und seine Mienen drückten eine große Bedenklichkeit aus. – »Es steht Alles auf dem Spiele. Wenn die Ouvertüre umwerfen sollte ....«[103]

»Bondini!« – rief Mozart in herzlich bittendem Tone – »vertrauen Sie mir und Ihrem Orchester!«

»Nun denn, es sei; wenn's aber gelingt, dann hüten Sie sich vor der Inquisition?«

»Warum?«

»Weil ich Sie dann als Zauberer angebe!«

»Recht!« – rief Amadeus – »und ich räche mich alsdann?«

»Wie so?«

»Ihr allerliebstes Frauchen muß dann auch mitbrennen.«

»Meine Frau?«

»Weil ich sie ebenfalls der Zauberei anklage. Sie hat mir's mit ihren schwarzen Schelmenaugen angethan.«

Bondini lachte und sagte, mit dem Finger drohend:

»Maestro, Maestro! Da Ponte hat Sie auf dem Gewissen; Sie sind durch sein Libretto ein zweiter Don Juan geworden!«

»Nun!« – rief Mozart lustig – »wenn mich auch der Teufel nicht holt, so weiß ich doch Leute genug, die mich – wie Freund ›Bonbonnière‹ und Genossen – zum Teufel wünschen! – – Aber jetzt, lieber Bondini – jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen, denn: ich will die Ouvertüre sogleich beginnen!«

»Gott sei Dank!« – rief Bondini, mit Hast seinen Hut nehmend – »da laufe ich was ich kann! Leben Sie wohl, Freund! und bis Morgen sieben Uhr ....«

»Kommt der Copist!«

Und der Impressario eilte, um Bergeslasten erleichtert, davon.

Mozart sah ihm lächelnd nach, dann sagte er zu sich selbst:

»Nun will ich aber auch Wort halten, und mich an die Arbeit machen!«

Und er nahm das nöthige Notenpapier, setzte sich, ergriff die Feder und wollte eben in das Tintenfaß eintauchen, als Duscheck eintrat:

»Mozart!« – sagte dieser – »ich hab' einspannen lassen; Stanzerl sitzt mit meiner Frau schon im Wagen. Da das Herbstwetter so wundervoll ist, wollen wir ein wenig ausfahren, einerlei wohin: über den Graben, nach Bubentsch, Troja, Kaisermühle, Sklenarzka, dem Gräflich[104] Bocquoi'schen Garten, Rosenthal, Letzten Pfennig, – wo Ihr hinwollt!«

»Letzten Pfennig!« – rief Wolfgang wie elektrisirt, indem er aufsprang und die Feder wegwarf – »das ist recht: da bin ich dabei! – Es giebt keinen schöneren Ort. Prächtiger Weg dorthin, Gesellschaft in Masse, – die ganze seine Welt Prags – und – was man ißt und trinkt .... vortrefflich!«

Und Mozart ergriff den Hut, schlüpfte in einen anderen Rock, zog die Halsbinde etwas fester und saß zwei Minuten später mit Duscheck und den Frauen im Wagen. – – Als man gegen Abend zurückkam, war es schon dunkel, wie dies Anfangs November immer zu sein pflegt; aus dieser Dunkelheit sah man aber schon von weitem fast alle Fenster des Duscheck'schen Hauses hellerleuchtet hervortreten.

Mozart bemerkte es zuerst:

»Was ist denn zu Hause los?« – frug er daher erstaunt.

»Wirst's schon sehen!« – entgegnete Duscheck. – »Hier wird nichts verrathen.«

Wolfgang war sehr gespannt, aber noch mehr überrascht, als er beim Aussteigen von vielen seiner besten Bekannten und Freunden begrüßt wurde, und ein kleines Fest vorbereitet fand. Duscheck, der liebenswürdigste seiner Verehrer, hatte es im Geheimen arangirt: es sollte ein Gläschen auf den glücklichen Erfolg des Don Juan getrunken werden.

Das war etwas für unsern Freund Mozart! – Auch Bondini mit seinem Weibchen, so wie alle Mitwirkende waren zugegen, nur die Saporitti nicht, die – zum Schrecken Aller – über Kopfschmerz klagte, und daher aus Vorsicht zu Hause geblieben war, damit die Aufführung morgen ja nicht gestört werde. Lag ihr doch selbst außerordentlich viel daran, und freute sie sich doch wie ein Kind auf ihre Rolle. Da aber die Kopfschmerzen nur unbedeutend waren, ging man leicht und schnell über diesen kleinen Unfall hinweg.

So verstrich denn der Abend und ein guter Theil der Nacht bei einem auserlesenen seinen Souper, köstlichen Weinen und der heitersten Laune wie im Fluge. Man scherzte, lachte, Mozart machte wieder Verse und Witze und alle Köpfe glühten bereits von Wein und Punsch, als Duscheck noch[105] einmal die Gesellschaft aufforderte, auf den glücklichen Erfolg »Don Juans« ihre Gläser zu füllen und anzustoßen.

Wie das da klang – ein wahres Glockengeläute der Lust! Bondini aber sagte:

»Ihr habt jetzt gut auf einen glücklichen Erfolg der Oper anzustoßen. Wenn Ihr die Angst und Sorgen hättet ausstehen müssen, die mich in den letzten Tagen und Nächten – und zwar bis heute morgen – verfolgten ...«

»Wie so?« – rief Duscheck, während Mozart mit der kleinen Bondini ausgelassen lachte und scherzte, so daß er das Gespräch der Uebrigen nicht hörte – »Wie so?«

»Wie so?« – wiederholte Bondini – »Ei, das will ich Euch sagen: bis heute Morgen hatte unser guter Maestro noch keinen Strich an der Ouvertüre gemacht!«

»Was?!« – riefen Mehrere erstaunt. – »Aber nun ist sie doch fertig?«

»Gewiß!« – sagte der Impressario ruhig, – »denn als ich Signore Amadeo verließ, setzte er sich an die Arbeit! – Die Oper hätte sonst in der That nicht gegeben werden können.«

In diesem Augenblicke wandte sich Mozart wieder strahlenden Auges der Gesellschaft zu.

»Nun!« – rief jetzt Bondini heiter – »und wie ist es heute Morgen mit der Ouvertüre gegangen?«

»Mit ....!«

»Der Ouvertüre?«

Mozart erblaßte; Alle fuhren auf, und ein allgemeines »Um Gottes Willen!« – entschlüpfte dem weiten Kreise.

Amadeus zog die Uhr – – es war gleich Mitternacht!39

»Ja,« – sagte er, jetzt selbst etwas bedenklich, – »da ist freilich keine Zeit mehr zu verlieren. In zehn Minuten schlägt es zwölf Uhr, und um sieben Uhr kommt der Copist. – Nun, – immer noch einige Stunden. – Gute Nacht, meine Herren, gute Nacht, meine Damen, – küß' allerseits die Hand! – Stanzerl, nimm ein Glas Punsch mit, damit ich nicht einschlafe – – und jetzt, all' ihr guten Geister steht mir bei!«

Und damit eilte Mozart auf sein Zimmer, wo Notenpapier und Feder noch von dem Morgen bereit lagen. Die[106] Gesellschaft aber trennte sich bestürzt; denn ohne Ouvertüre konnte ja die neue Oper unmöglich gegeben werden, und wie sollte es einem Menschen möglich sein, jetzt – in solcher Stimmung – in ein paar Stunden der Nacht – – ein musikalisches Meisterwerk zu schaffen, und nur als solches konnte eine Ouvertüre des »Don Juan« genügen!

Bondini wollte verzweifeln.. und nur sein kleines Weibchen hatte Muth und Vertrauen.

Indessen hatte Mozart Platz genommen. Wie er aber eintauchen wollte, fiel sein Blick auf Constanzens Gesicht, das tiefe Sorge ausdrückte.

»Stanzerl!« – sagte er daher in mildem, freundlichen Tone. –

»Schatzerl! komm mal her, – will dir was in die Ohren sagen.«

»Aber Wolferl,« – entgegnete die Angeredete, die wieder irgend einen Witz erwartete, bittend – »willst nicht jetzt anfangen?«

»Komm mal her!« – wiederholte Mozart – »gieb's Oehrle!«

Constanze that es; Wolfgang neigte sich zu ihr, gab ihr einen Kuß auf die Wangen und flüsterte ihr dann in das Ohr:

»Brauchst dich nicht zu ängstigen, Herzensweible, – ist Alles schon fertig!«

»Wie? – wo?« – rief Constanze freudestrahlend.

»Da!« – rief Amadeus lachend und tupfte mit dem Finger auf die Stirne. – »Trage die ganze Ouvertüre schon seit sechs Tagen fix und fertig im Hirnkasten mit herum, und war nur zu faul, die langweilige, mechanische Arbeit des Niederschreibens vorzunehmen. Bis der Copist kommt, steht alles auf dem Papiere – und – mein Stanzerl soll mit mir zufrieden sein – – denk auch die Welt

»Wenn's noch alles so drinnen sitzt?« – meinte Frau Mozart.

»Ei!« – rief Amadeus lachend, indem er zugleich zu schreiben anfing, – »wer als Kind das Miserere von Allegri, im Kopfe mit nach Hause trägt, ohne daß eine Note fehlt, der wird doch eine selbstgeschaffene Ouvertüre sechs Tage bei sich behalten können. Komm her Schatzerl, setz' dich zu mir, erzähle mir etwas aus ›Tausend und eine Nacht‹ .... von[107] Aladins Wunderlampe, oder vom Aschenbrödel, damit ich nicht einschlafe!«

»Oder von Nureddin-Ali und Bedreddin-Hassan

»Auch recht!« – Und Constanze stellte das Glas Punsch vor ihn hin, nahm ihren Strickstrumpf, setzte sich an seine Seite und fing an:

»Es gab einst in Indien einen sehr gerechten, wohlthätigen, barmherzigen und freigebigen Sultan. Seine Tapferkeit machte ihn allen seinen Nachbarn furchtbar. Er liebte die Armen und beschützte die Waisen, die er zu den ersten Stellen erhob. Aber auch der Vezir des Sultans war ein kluger, verständiger Mann, scharfsinnig und in allen Künsten und Wissenschaften erfahren. Dieser Staatsbeamte hatte nun zwei Söhne; der älteste hieß Schemseddin-Mohamed und der jüngste Nureddin-Alie ....«

So ging es weiter und weiter, – drei Stunden lang. Mozart schrieb eifrig; aber jetzt übermannte ihn die Schläfrigkeit und die Anstrengung, wie das öftere Nicken und Zusammenfahren bewies. Constanze klopfte ihm daher sanft auf die Achseln und sagte:

»Männchen! 'S will nicht recht gehen; bist zu müde. Komm, Herz, schlaf' ein Stündchen; ich werde bei dir wachen und dich nach einer Stunde wieder wecken.«

Mozart fuhr über Stirne und Augen: »Ja« – versetzte er dann – »es will wirtlich nicht gehen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Ich will deinem Rath folgen, Stanzerl, – aber – wecke mich ja nach Verlauf einer Stunde.«

Und er legte sich auf das Sopha.

»Bist doch ein gutes Weibchen!« – sagte er dann, küßte sie noch einmal und entschlief.

Constanze blieb an seiner Seite sitzen und strickte weiter. Sie dachte an die Zeit ihrer ersten Liebe, – an die Weihnachten, an welchen sie dem theuren Freunde die hübsche Brieftasche bescheert; – an die fatalen Folgen, die dies Geschenk gehabt, und an die Stunde, da dieselbe Brieftasche, nach langen, harten Prüfungen, doch auch wieder ihr Glück gemacht.

Und an diese Erinnerungen schlossen sich Bilder um Bilder und ihr ganzes Leben zog an ihr vorüber. O! es zeigte viele glückliche Stunden an der Seite ihres Mannes; – aber – auch viele, viele sorgenvolle Tage und Nächte. Doch das[108] war ja jetzt vielleicht bald vorüber. Alle, die die neue Oper kannten, schwärmten ja für sie, – nannten sie ein Meisterwerk, und prophezeiten ihrem Wolfgang Ruhm und Ehre, Anstellung und reiches Einkommen.

Sie seufzte hoch auf, sah mit einem liebevollen und doch wehmüthigen Blick auf den Schlummernden und lispelte: »Ach! nur keine Nahrungssorgen mehr?«

Und wieder versank sie in Träumereien, die sich lange ausspannen; aber sie waren freundlich und licht, – es waren Träume einer schönen Zukunft!

Die Stunde verging, sie stand auf, Wolfgang zu wecken. – – – er schlief so sanft.

»'S wir auch noch gehen!« – sagte sie leise für sich hin – »wenn er ein Stündchen weiter ruht. Er ist ein großer Mann, – ein gewaltiges Genie; – was keinem Anderen möglich wäre, bringt mein Wolferl fertig. Schlaf noch, mein Herz, schlaf noch ein Stündchen, dann mag die Arbeit wieder beginnen.«

Und sie setzte sich abermals nieder, strickte ruhig weiter und versank neuerdings auf lange Zeit in Träume. –

Da schlug die Standuhr fünf! – das Stundenglas der Nacht war nahezu abgelaufen.

Jetzt gab es keine Gnade mehr, Constanze mußte ihren Gatten wecken. Er rieb sich die Augen, sprang auf und sah nach der Uhr.

»Fünf!« – sagte er dann, mit dem Finger freundlich drohend, – »das war gegen die Verabredung!«

»Du schliefst so gut!«

»Nun es wird noch reichen!« – versetzte er. – »Aber jetzt, liebes Kind, geh' du zu Bett; du, treue Seele, siehst ganz überwacht aus.«

Constanze gehorchte und Mozart ging mit frischer Kraft an das Werk. Zwei Stunden später trat der Copist ein: es war sieben Uhr und die Ouvertüre zu »Don Juan,« dies Meisterwerk der Meisterwerkelag vollendet vor Mozart!40

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 98-109.
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