27.

Ein Tag nachher.

[296] Wenn im Sommer bei andauernder Hitze die ganze Natur matt und erschöpft aufseufzt; – wenn Baum und Busch und Blatt und Halm dürr und welk, die lechzende Erde in weiten[296] Ritzen klafft und wochenlang kein Tropfen Regen von dem Himmel fällt; wenn dann durch irgend ein böses Geschick ein Funken das dürre Haidekraut erfaßt, so daß die Flamme mit einemmale, wie durch Zauber, hochaufleuchtet, – dann wird sie mit der Schnelle des Gedankens, wie ein an der Erde hinlaufender Blitz, sich fortwälzen über unabsehbare Strecken – Gras und Kraut und Busch und Wald auf Stunden weit in wenigen Minuten mit einem Alles vernichtenden Feuermeere übergießen; so daß vor Schreck und Entsetzen alle Creatur erstarrt, bis das Staunen sich löst, und ein einziger herzzerreißender Schrei des Schmerzes zum Himmel dringt.

So war es, als sich am kommenden Morgen die Nachricht von Mozarts Tod in Wien verbreitete. Man wollte nicht glauben, daß der große Meister, der ja erst vor Kurzem das herrliche, ganz Wien entzückende Werk, die »Zauberflöte«, geschrieben, gestorben sei: man wollte, man konnte es nicht glauben! Der Mann hätte ja noch so viel Schönes schaffen können und sollen! Den Mann hatte man ja eben erst recht kennen und schätzen gelernt; den Mann wollte man gerade jetzt aus seiner Verborgenheit herausziehen und belohnen für das, was er so Großes geleistet.

Und nun – nun war er todt! – Mozart todt! – eine der größten Zierden Wiens todt! Man frug sich selbst: wie es denn komme, daß man eigentlich jetzt erst Mozarts Verdienste anerkenne? »Idomeneo«, – die »Entführung aus dem Serail«, – »Figaro«, – »Titus«, – »Don Juan«, dies alles waren doch auch herrliche Schöpfungen; – – warum hatte man den vortrefflichen Mann doch im Leben nicht besser erkannt?! – – Reue und Schmerz waren aufrichtig .... aber .... sie kamen zu spät!

Nicht so bei den immer noch sehr zahlreichen sachverständigen Verehrern Mozarts und bei demjenigen Theile des Volkes, der ihn wirklich erst durch die »Zauberflöte« hatte kennen, schätzen und lieben lernen. Hier war der Schmerz rein und wahr und ungetrübt!

Man strömte von allen Seiten nach seiner Wohnung; die Freunde eilten bleich und entsetzt herbei; Diener in reichen Livreen, gesandt von Baronen, Grafen und Fürsten, kamen, sich die Trauerkunde bestätigen zu lassen; – vor den Fenstern der Wohnung des Verstorbenen aber sammelten sich die Leute aus dem Volke schaarenweise. Sie plauderten nicht, – sie[297] lispelten sich höchstens einzelne Worte zu, und starrten mit ernsten, von einem ehrlichen tiefen Schmerze erfüllten Mienen und feuchten Augen hinauf – – nach dem Zimmer, in dem der jetzt so stille Mann ruhte.

Und hier lag noch immer Constanze über der Leiche ihres Gatten, sein kaltes, liebes Antlitz in dem Schmerze der Verzweiflung anstarrend, küssend, mit Thränen überfluthend.

Vergebens suchte Sophie sie zu entfernen; vergebens bemühten sich die Freunde, sie zu sich selbst zurückzuführen. Constanze hatte nur einen Gedanken: Sie wollte mit ihrem Amadeus sterben!

Und – die Schmerzensscene mit blutendem Herzen anschauend – standen ernst und schweigend: Stadler, Süßmayer, Albrechtsberger und Hofer um das Todtenbett. Aber noch eine Person war leise in das Zimmer getreten und lehnte jetzt mit nassen Augen im Hintergrunde, ungesehen von Allen, an dem Ofen. Es war Lange. Aber er verweilte nur wenige Minuten; dann zog er einen Lorbeerkranz unter seinem Mantel hervor, legte ihn leise auf den nahestehenden Tisch ... und entfernte sich wie er gekommen. Niemand hatte ihn bemerkt; Niemand hatte aber auch die Thränen gesehen, die aus Lange's Augen auf den Kranz gefallen.

Und wie? trägt sich der Schmerz, der hier so viele Herzen zerreißt, nicht weiter?

Gewiß! – Wolfgang Amadeus Mozart gehörte der Welt! Noch an demselben Tage flog von Wien aus die Trauerkunde nach Süd und Nord, nach Ost und West. Nirgends, nirgends aber fand sie ein so schmerzliches Echo, als in Prag, – in Prag, das Mozart so sehr geliebt und geehrt.

Es war, als ob eine allgemeine Trauer über die Stadt verhängt worden wäre. Am schwersten freilich traf die Nachricht Bondini, seine Gattin, Duscheck und die übrigen Freunde!100[298]

Aber sie traf noch Jemanden; denn die Nemesis ruht nicht, und ihr ewig waches Auge durchschaut und straft heute wie vor Tausenden von Jahren den Uebermuth und das Unrecht der Sterblichen.

Schikaneder saß gerade in seinem eleganten Frühstückzimmer, und schlürfte mit Gemüthlichkeit seine Chokolade, als Chigot bleich und zerstört eintrat.

»Nun?« – frug der Director erstaunt – »was giebt es? – Ist ein Unglück passirt?«

»Ja, bei Gott!« – rief Chigot – »Mozart ist todt!«

»Todt?« – rief Schikaneder, und die Tasse zitterte so gewaltig in seiner Hand, daß er sie kaum noch niederzusetzen vermochte.

»Mozart todt? das ist unmöglich! todtkrank vielleicht .... er hat ja noch vor Kurzem die ›Zauberflöte‹ selbst dirigirt!«

»Verzeihen, Ew. Gnaden« – warf hier Chigot ein – »das ist doch schon einige Wochen her. Wir gaben das Stück gestern zum sechsundzwanzigstenmale .... und Mozart dirigirte nur an den drei ersten Abenden selbst.«

»Es ist wahr!« – sagte Schikaneder, und strich sich mit der Hand über die Stirne – »und ich habe in dem Drange der Geschäfte ganz vergessen, mich nach seinem Unwohlsein zu erkundigen. Also todt – – Mozart todt! ich kann es noch immer nicht fassen!« –

Und er sprang auf und ging – nachdem er Chigot durch ein Zeichen entfernt hatte – mit großen Schritten in dem Zimmer auf und ab. Eine sonderbare Unruhe hatte sich seiner bemächtigt. Der erste Gedanke, der ihn erfaßte, war: »Nun bist du seiner los, denn da du nichts Schriftliches mit[299] ihm abgemacht hast, so kann dich Niemand zu einem Honorar für die Oper zwingen, noch dir die Partitur bestreiten!« Allerdings sagte ihm zu gleicher Zeit sein Gewissen, daß dies ein Schurkenstreich sei; indessen war er ja über diese Handlungsweise längst mit sich im Reinen und über alle Skrupel hinaus; Mozarts Tod erleichterte ihm nur die Ausführung.

Er nahm sich also vor: sich so viel als möglich über dies Ereigniß hinauszusetzen, und – um jeder unangenehmen Berührung zu entgehen – auf einige Tage zu verreisen. Eben wollte er zu diesem Ende Chigot die nöthigen Befehle geben, als dieser eintrat und den Herrn Abt Stadler meldete.

»Bin nicht zu Hause!« – flüsterte Schikaneder dem Diener zu; aber schon war Stadler eingetreten.

»Herr Director!« – sagte Stadler, ohne viel Complimente zu machen – »ich komme in einer eben so wichtigen, als ernsten Angelegenheit zu Ihnen. Wollen Sie mir einige Worte im Vertrauen gönnen?«

»Sehr gern!« – entgegnete Schikaneder mit der Zuvorkommenheit eines Weltmannes, indem er den Abt durch eine Handbewegung bat, auf einem Sessel Platz zu nehmen. – »Was wäre Ew. Hochwürden gefällig?«

»Sie wissen unstreitig!« – sagte Stadler mit tiefem Ernste, der gegen das fast heitere Wesen des Directors scharf contrastirte, – »daß Mozart, – der große, herrliche Mozart, dem auch Sie so viel verdanken, diese Nacht verschieden ist!«

»Ja!« – rief Schikaneder jetzt, und gab mit der Geschicklichkeit eines geübten Schauspielers seinem Gesichte rasch den Ausdruck schmerzlicher Verzweiflung. – »Leider! leider! habe ich die entsetzliche Kunde so eben vernommen. Mein lieber Herr Abt, – Sie glauben nicht, wie furchtbar mich dieser Schlag betroffen hat. Mozart war einer meiner liebsten, meiner besten Freunde! .... Ich verliere namenlos an ihm! .... O, was rede ich von mir .... die Welt, die ganze Menschheit verliert ja ihren schönsten Stern.«

»Es gereicht mir zur Genugthuung,« – sagte hier Stadler, – »daß auch Sie den ungeheuren Verlust, den wir alle beweinen, so tief empfinden. Ich darf alsdann um so eher hoffen, daß Sie dem, was ich noch zu sagen habe, Gehör schenken und meiner Aufforderung nachkommen werden.«[300]

»Und was ist das?« – frug der Director, nicht ohne ein leichtes Zusammengehen der Stirnfalten.

»Mozart ist also heute Nacht gestorben!« – nahm Stadler das Wort wieder auf, – »nun hat es sich herausgestellt, daß – durch die längere Krankheit herbeigeführt – seine Vermögensverhältnisse sehr reducirt sind. Es gebricht der Wittwe in der That an den nöthigen Fonds, um ihren Gatten nur anständig begraben lassen zu können. Ich komme also in ihrem Namen, wenn auch ohne ihr Wissen, zu Ihnen, Herr Director, mit der Bitte: der Unglücklichen wenigstens einstweilen einen Theil dessen zukommen zu lassen, was der Verstorbene an Sie für die Composition der Zauberflöte zu fordern hat.«

»An mich zu fordern?« – rief Schikaneder mit der Miene des höchsten Staunens.

»Freilich!« – versetzte Abt Stadler – »und da Sie durch die Zauberflöte zu einem reichen Manne werden ...«

»Erlauben Sie,« – sagte hier Schikaneder kalt und vornehm – »das ist meine Sache; ob es Ihre Sache ist, Herr Abt, an mich eine ganz ungegründete Forderung zu richten, weiß ich nicht. Haben Ew. Hochwürden vielleicht schriftliche Documente und Vollmacht?«

»Ja, Herr!« – rief jetzt Stadler, und es blitzte aus seinen Augen wie mit dem Schwerte eines Cherubs. – »Ja, ich habe Vollmacht! zwar keine schriftliche, – aber die Vollmacht, die mir Gott durch meine Freundschaft zu dem edlen Verblichenen – und – in Folge seiner ewigen Gerechtigkeit giebt. Ich kenne den Vertrag, den Sie in Beziehung auf die Zauberflöte mit Mozart abgeschlossen.«

»Woher!« – fiel hier der Director dem Abte in das Wort. – »Woher wollen Sie einen solchen Vertrag kennen, der nie existirte?«

»Ich kenne ihn von Mozart selbst; schon dem Tode verfallen, hat er mir und seiner unglücklichen Gattin mitgetheilt ....«

»Narrheiten! Wie können Sie als verständiger Mann auf das Fiebergeschwätz eines Sterbenden gehen.«

Abt Stadler sah hier den Director so fest an, daß die ganze Gewandtheit und Keckheit Schikaneders dazu gehörte, diesen Blick zu ertragen, dann sagte er:[301]

»Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit einem Manne, wie Sie, heute länger zu streiten – – ich habe auch wirklich keine schriftlichen Beweisstücke; .... aber ich habe geglaubt, bei Ihnen, Herr Director, den Mozart vom Untergang gerettet, – den seine Kunst auf den Gipfel des Glücks erhoben, – der diesem edlen Verstorbenen so unendlich viel, – – ja Alles zu verdanken hat – – ich habe geglaubt, hier ein Herz zu finden. Jetzt frage ich Sie zum letztenmale bei Ihrer Ehre und Ihrem Gewissen: wollen Sie Ihre Verpflichtungen gegen die Familie des Heimgegangenen anerkennen und der unglücklichen Wittwe hülfreich die Hand bieten?«

»Ich habe keine Verpflichtungen!« – rief Schikaneder leichthin, indem er dabei die Achseln zuckte – »aber ich will aus Großmuth und Menschenliebe der Wittwe hundert Gulden schenken.«

Stadler stand sprachlos. Eine Pause entstand.

»Ich danke Ihnen,« – sagte der Abt endlich tief erschüttert und mit dem Ausdruck einer unaussprechlichen Verachtung – »ich danke Ihnen im Namen der Wittwe Mozarts für Ihre Großmuth. Ich kam nicht, ein Almosen zu erbetteln, – ich kam, um vor dem Richterstuhle Ihres Herzens und Ihres Gewissens eine gerechte Forderung geltend zu machen. Vor dem irdischen Richter, daß weiß ich, ist sie – da der Verstorbene in edlem Vertrauen nichts forderte – ungiltig. So gehen Sie denn hin mit Ihrem Mammon ..... aber wahrlich, ich sage Ihnen, so wahr ein Gott über uns lebt: es wird kein Tag und keine Nacht mehr über Sie kommen, ohne daß Ihnen Ihr Gewissen Mozarts Leiche zeigen wird, Mozarts Leiche, über die sich verzweifelnd sein armes, unglückliches Weib wirft, – Mozarts Leiche, zu deren Füßen seine Waisen jammern und weinen! – Gehen Sie hin mit Ihrem Mammon; – ich selbst werde, im Verein mit den übrigen Freunden, für die Familie des Entschlafenen sorgen – – aber es müßte kein Gott im Himmel sein, wenn dieser ungerechte Mammon nicht unter Ihren Fingern wie Nichts zerrönne, so daß Sie einst – der Schmach und dem Elende hingegeben – den heutigen Tag verwünschen werden, an dem Sie Ehre, Recht, Freundschaft und Treue in den Staub traten!«

Und, einen vernichtenden Blick auf Schikaneder schleudernd, drehte sich Abt Stadler verächtlich um, – und verließ das Zimmer.[302]

Aber sonderbar! Als ihm Schikaneder nachlachen wollte, konnte er nicht; das Lachen erstarb ihm im Halse, denn er sah ganz deutlich vor seinen geistigen Blicken ..... die Leiche Mozarts!

»Dummheit!« – rief er entsetzt aus – »das sind die Folgen seines albernen Geschwätzes.«

Aber wunderbar! er mochte schimpfen, singen, trinken, spielen, selbst mit der schönen Cavaglieri kosen .... er mochte die Augen öffnen oder schließen .... sein Gewissen – durch Stadler aufgestachelt – zeigte ihm Mozarts Leiche. Und die Aufregung stieg, bis Schikaneder vom Fieber geschüttelt, wie Ahasverus in seinem Hause, im Theater bei seinen Freunden herumlief und unaufhörlich rief: Mozart ist todt! sein Geist verfolgt mich; ich habe keine Ruhe mehr!101

Die Ruhe – wenigstens die äußerliche – fand sich mit der Zeit theilweise wieder. Schikaneders Gewissen war ja weit genug; – – aber sein Schlaf war hin, und oft, oft .... sah er noch in den langen, langen Stunden der Nacht die Leiche des hintergangenen Freundes.

Aber die Nemesis war damit nicht befriedigt ....... Schikaneder erbaute ein neues Theater, das sogenannte Theater an der Wien, noch jetzt das schönste in der Kaiserstadt; – aber – die rächende Schicksalsgöttin hatte sein Haupt dem Untergange geweiht – – seine Finanzen geriethen abermals in Unordnung; doch jetzt war kein Mozart mehr da, ihn zum zweitenmale zu retten. Er wurde genöthigt, das von ihm erbaute Theater seinen Gläubigern zu überlassen – der fluchbeladene Mammon war unter seinen Fingern zerronnen ..... und Schikaneder starb .... in Dürftigkeit und gänzlicher Geistesverwirrung!102

Als der Abt Stadler mit schwerem Herzen wieder in das Sterbehaus eintrat, fand er die Freunde schon im unteren Zimmer in der Berathung begriffen: was Freundschaft und thatsächliche Menschenliebe hier zu thun habe, bis die allgemeine Achtung und Anerkennung gegen die Familie gesühnt, was sie theilweise gegen den großen Todten verbrochen. Und siehe! die Zukunft Constanzens und ihrer Kinder ward durch treue Herzen und edle Seelen gesichert.[303]

Aber auch Constanze war unterdessen – ohne zu ahnen, was unter den Freunden geschehen – ruhiger in ihrem Schmerze geworden; und zwar hatten dies ein paar Worte ihres kleinen Karl vermocht.

Als nämlich Constanze sich gar nicht von ihrem Schmerze und ihrer Verzweiflung aufraffen wollte, war Schwester Sophie in das Kinderzimmer gegangen, um nach den armen Kleinen zu sehen. Nun pflegen Kinder gewöhnlich in ihrer Unschuld und Befangenheit die Größe und Bedeutung eines solchen Verlustes nicht zu überschauen, und sind daher meist schnell getröstet. Dies war indessen bei dem kleinen Karl nicht der Fall, er hatte ja des Vaters tiefes Gemüth, und wenn er auch die volle Wucht des Unglücks, das ihn und die Seinen eben betroffen, lange nicht zu ermessen vermochte, so wollten sich doch die schrecklichen Scenen der Nacht nicht so schnell aus seiner Seele tilgen lassen.

Still, ruhig und in sich gekehrt saß daher das Kind da, als Tante Sophie in das Zimmer trat.

»Wo ist die Mama?« – frug Karl.

»Drüben!« – antwortete diese, und die gewaltsam zurückgehaltenen Thränen stürzten jetzt beim Anblick der Kinder in vollen Strömen über ihre Wangen – »drüben ist sie, bei dem Papa, und will mit ihm sterben.«

Aber diese Worte trafen das kleine Kinderherz wie ein Blitzstrahl. Eine Minute schwieg das Kind, dann glitt es mit den Worten: »das soll sie nicht, denn sie hat ja mich!« von dem Stuhle herab und ging festen Schrittes in das Sterbezimmer.

Noch lag Constanze über der Leiche des so unaussprechlich geliebten Gatten, dessen starre Züge jenes friedliche Lächeln angenommen, das so oft mit dem Tode eintritt, als ob in jenem furchtbar ernsten Momente der Seele der erste Hauch ewigen Friedens entgegenwehte! Das Haupt des Verstorbenen aber umgab ein Lorbeerkranz. Es war derselbe, den Lange für den Freund unbemerkt hingelegt. Sophie hatte, als sie den Kranz fand, den stillen Schläfer damit geschmückt.

Die Scene war zu ergreifend, zu ungeahnt, – als daß sie nicht das Kind auf Augenblicke starr und scheu an den Boden gefesselt haben sollte. Aber es waren doch nur Minuten; dann schlich der kleine Karl zu seiner Mutter heran, zupfte sie leise am Kleide und sagte mit seiner kindlichen Stimme:[304]

»Mama! du mußt nicht auch sterben wollen; sonst habe ja ich und mein Brüderchen gar keine Eltern mehr!«

Aber wie griff diese unschuldige, kindliche und doch so tief aus dem kleinen Herzen kommende Aeußerung in Constanzens Seele.

Langsam erhob sie, auf beide Arme gestützt, den Oberkörper; – ihr Gesicht war todtenbleich; – ihre Augen starrten weit geöffnet vor sich hin; – aber in ihrer Seele hallten des Kindes Worte wieder, und die Stimme Gottes – die Stimme der Natur – rief in ihrem Herzen: »Du bist nicht nur Gattin, du bist auch Mutter

In demselben Moment kniete auch Sophie – die dem Knaben leise gefolgt war – vor ihr nieder und hielt ihr den Säugling hin. Karl aber sagte:

»Komm, Mama, du hast ja noch uns – – sei unser

Da entfuhr der gequälten Brust Constanzens ein Schrei; – Thränen stürzten auf's Neue über ihre Wangen und ihre Kinder umarmend, rief sie:

»Ja, .... ich will für Euch leben!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 296-305.
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