30.

Intriguen.

[286] Es war Abend geworden und das große Kaffeehaus am Corso orientale in Mailand füllte sich mehr und mehr. Ein Theil der Anwesenden beschäftigte sich mit dem Durchlesen der Zeitungen und Journale, Andere tranken Kaffee oder Chocolade, die Mehrzahl aber rauchte und schwatzte und gab sich dabei dem süßen Nichtsthun, dem dolce far niente der Italiener hin.

Unter Letzteren befand sich auch ein Mann von hervorstechendem Aeußern. Er war groß, schön gewachsen und mit auffallender Sorgfalt gekleidet. Auch seine Gesichtszüge hatten etwas Auffallendes, das aber keineswegs angenehm genannt werden konnte, denn es lag ein finsterer, unbehaglicher Ausdruck in ihnen, ein gewisses Etwas, das ein Uebelwollen mit der ganzen Welt verkündete. Seine Blicke waren dabei stechend und falsch, während seine Manieren von stolzer Selbstgenügsamkeit zeugten.

Jetzt saß er mit über einander geschlagenen Beinen, die Cigarre im Munde, in einem Winkel des Billardzimmers, wie es schien, den Spielenden zuschauend. Waren aber auch seine Augen auf diese gerichtet, seine Gedanken waren es gewiß nicht; denn einem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, daß es unter dieser, nach oben abgeflachten, unschön geformten Stirne leidenschaftlich arbeite. Von Zeit zu Zeit aber zuckte ein boshaftes Lächeln um seinen Mund, – ein Lächeln, welches dann regelmäßig giftige, in unheimlichem Glanze aufleuchtende Blicke begleiteten.[286]

So mochte wohl eine halbe Stunde vergangen sein, ohne daß sich der Ebenerwähnte – mit Ausnahme der kleinen Handbewegungen, welche der Gebrauch der Cigarre erfordert – gerührt hatte, als ein kleines bewegliches Männchen eintrat, das sich, sobald es jenen wahrgenommen, ihm mit vertraulicher Ehrerbietung nahte.

Diese zweite Figur war in ihrer äußeren Erscheinung von der ersteren sehr verschieden, indem schon die Kleidung eine gewisse geniale Nachlässigkeit bekundete. Der Rock war fadenscheinig und auffallend befleckt, die Halsbinde nachlässig umgeschlungen und unrein, das rabenschwarze aber hier und da schon grau melirte, lockige Haar ungekämmt, der Bart schlecht rasirt. Verwitterte Züge, pfiffige Augen und eine hohe Stirne charakterisirten dabei das Gesicht des kleinen Mannes, und als er jetzt den in Gedanken verlorenen, ernsten Freund anredete, geschah es mit einer heiseren, an das Krächzen eines Raben erinnernden Stimme.

»Ei, ei!« – sagte er dabei, indem er zugleich eine tiefe Verbeugung machte, – »so in Gedanken, Herr Capellmeister Fioroni

Der Angeredete schaute auf. Es war, als ob er aus einem Traume erwache, denn er fuhr mit der Hand über die Stirne, sah den Sprechenden und dann seine Umgebung groß an und rief endlich:

»Sieh da, Grimani

»Haben mich beinahe nicht erkannt.«

»Ich war allerdings in Gedanken versunken.«

»Doch nicht in unangenehme.«

»Der angenehmen Begebnisse giebt es jetzt wenige.«

»Wie kann dies ein Mann von Ihrem Rufe sagen? – ein Mann, den ganz Mailand – o was rede ich da – den ganz Italien schätzt; – ein Mann, der als erster Capellmeister des Theatro ducale sich so viel Ruhm und Ehre erworben.«

»Grimani!« – sagte der Angeredete hier, und seine Stirne legte sich in düstere Falten, während ein Zug von Bitterkeit und Hohn um seinen Mund spielte, – »es ist heutzutage eben so wenig mehr Ehre und Ruhm als Capellmeister zu verdienen, wie mit Compositionen. Wenn sich die Welt von Kindern, die noch in die Schule gehen sollten, an der Nase herumführen läßt, dann können sich die alten verdienten und bewährten Männer pensioniren lassen oder auf das Ohr legen.«[287]

»Verstehe, verstehe!« – krächzte Grimani, der sich unterdessen an die Seite des Capellmeisters gesetzt und eine Tasse Chocolade bestellt hatte, – »verstehe! Sie meinen den vierzehnjährigen Mozart

»Es ist eine Lächerlichkeit!« – fuhr Fioroni heftig fort und seine Blicke schossen umher wie giftige Pfeile, – »es ist eine Lächerlichkeit und eine Entwürdigung der Kunst, einem Knaben die Composition einer Oper anzuvertrauen – und noch dazu für das Theater in Mailand

Grimani zuckte die Achseln, als wolle er des Freundes Meinung in Zweifel ziehen; aber sein lauerndes Auge verrieth, daß es ihm nur darum zu thun sei, den Haß des Capellmeisters gegen diesen gemeinsamen Feind noch zu stacheln.

In der That schwoll Fioroni der Zorn. Er frug daher mit vor Aerger zitternder Stimme:

»Oder seid Ihr vielleicht auch ein Mozartianer

»Der Knabe,« – versetzte der Kleine bedenklich – »ist Mitglied der philharmonischen Gesellschaft zu Bologna. Er ist Virtuose, Componist, Improvisator und Contrapunktist, das läßt sich nicht leugnen.«

»Das heißt, er ist von alledem soviel, als ein Wunderkind sein kann.«

»Und der Enthusiasmus, der ihn durch ganz Italien begleitet hat?«

»Ist Erguß des unserer Nation angeborenen Wohlwollens für ein Kind von solchen unbezweifelten Fähigkeiten. Aber zwischen Clavierspielen, ein Bischen Phantasiren und Componiren und der Aufgabe eine Oper zu schreiben – hört mich wohl: ein deutscher vierzehnjähriger Junge – eine Oper für italienische Ohren – – da liegt denn doch eine ungeheure Kluft dazwischen.«

»Das ist wohl wahr, aber ....«

»Wie kann man von einem Kinde die Kenntniß des chiaro ed oscuro108 erwarten, welche Werke für das Theater erfordern? Ist das nicht Unsinn, Abgeschmacktheit, Lächerlichkeit? Und ich soll zusehen, wie dieser unbärtige deutsche Knabe an meiner Stelle dirigirt?!«

»Er hat aber schon Opern geschrieben.«

»Die werden auch danach sein .... deutsche Musik!«[288]

»Aber Bologna!«

»Ach was Bologna! Ihr seid ein Narr, Grimani, mit Eurem Bologna! Ihr habt Euch doch wahrlich oft genug als einen tüchtigen Componisten bewährt, gebt mir einmal Antwort: Wie verhält es sich bei der Auffassung des objektiven, selbsteigenen Wesens der Idee, die jeder Leistung in den schönen Künsten zu Grunde liegen muß? Muß hier nicht Alles auf ein, durch viele, viele Jahre langes Studium gegründetes Wissen basirt sein?«

»Gewiß!« – krächzte Grimani, – »auf ein Studium, das oft ein ganzes Leben voll Mühen, Sorgen, Anstrengungen und Erfahrungen in Anspruch nimmt.«

»So ist es!« – sagte in gehobenem Selbstbewußtsein der Capellmeister des Theatro ducale.

»Denn nur im Zustande des reinen Erkennens, wo dem Menschen sein Wille und dessen Zwecke, mit ihm aber seine Individualität, ganz entrückt sind, kann diejenige reine objective Anschauung entstehen, in welcher die Idee eines großen Werkes aufgefaßt wird. Eine solche Auffassung muß es aber allemal sein, welche der Conception, d.i. der ersten intuitiven Erkenntniß vorsteht, die nachmals den eigentlichen Stoff und Kern, gleichsam die Seele eines ächten Kunstwerks, eines genialen Bildes, einer Dichtung, eines Meisterwerkes der Musik ausmacht!«

»Recht, recht! – sehr wahr, sehr wahr!« – rief hier der kleine bewegliche Grimani, – »aber« – setzte er dann mit einem feinen diabolischen Lächeln hinzu, das seine Absicht, den Capellmeister noch immer in heftigeren Zorn zu versetzen, nur zu deutlich verrieth – »aber, die Welt behauptet, dies Alles sei dem ›Genie‹ nicht nöthig. Das Unvorsetzliche, Unabsichtliche, ja, zum Theil Unbewußte und Instinktive, welches in dem ›Genie‹ liege, ersetze Studium, Anstrengung, Wissen und Erfahrung!«

»Verrücktheit!« – rief Fioroni und schoß so furchtbare Blitze aus seinen Augen, daß die Kellner, die das laute Gespräch herangezogen, entsetzt zurückwichen.

Grimani indessen ließ sich nicht irre machen:

»So soll es auch bei diesem vierzehnjährigen, unbärtigen ›deutschen Genie‹ sein!« – krächzte er weiter, seine Chokolade halb schlürfend, halb auf die Kleider träufelnd. – »Hier herrsche so recht – posaunen die Mozartianer in die Welt – [289] die künstlerische Urerkenntniß; das quelle nur so aus dem kleinen Köpfchen heraus, in dessen Gehirn schon all das Wissen fertig daliege.«

»Dann ist auch all' sein Schaffen keine Kunst!« – rief stolz der Capellmeister und richtete seine große Gestalt höher auf. – »Dann ist und bleibt der berühmte Cavaliere filarmonico eine Maschine .... ein Wunder, und kann nie den Namen Künstler beanspruchen!«

»Nie, nie!« – wiederholte heiser der Componist.

»Außerdem« – fuhr der Capellmeister fort – »liegt auch noch ein großer Unterschied zwischen der Conception und der Ausführung. Bei der Ausführung des Werkes, wo die Mittheilung und Darstellung des Erkannten der Zweck ist, kann, ja muß, eben weil ein Zweck vorhanden ist, das Wissen, die Erfahrung wieder thätig sein. Die Kunstmittel müssen zu den Kunstzwecken gehörig angeordnet und angewendet werden .... wie kann das ein Kind!«

»Nun, nun!« – meinte Grimani – »mein verehrter Herr Capellmeister, man darf eben das Ding doch nicht so weit wegwerfen! Der kleine Teufelskerl von Mozart ....«

»Der neugebackene Ritter vom goldenen Sporn!« – fiel Fioroni spöttisch dazwischen. – »Gebt doch den Leuten die Ehre, die ihnen gebührt.«

» .... Der kleine Teufelskerl von Mozart« – fuhr Grimani ruhig fort – »ist mit einer so fameusen Productivität als leichter Gestaltungskraft begabt. Sein Mithridate soll eine Menge neuer Formen für den Gesang und namentlich für die Begleitung haben, die im höchsten Grade ursprünglich, glänzend und verführerisch sein sollen.«

»Albernheit!« – rief hier der Capellmeister, der immer unruhiger ward. – »Wer so etwas sagt, hat weder Verstand noch Gehör!«

Aber Grimani ließ sich nicht beirren. – »Die Art der Cantilena,« – fuhr er fort – »der Modulationen, die Weise der Begleitung, die Mischung der Instrumente, Alles erscheine neu in dieser Oper. Dahin gehöre namentlich die Cabaletta, ein übermüthig schäumendes, aus lauter Staccatonoten gebildetes, mit brillanten Rouladen geschmücktes Motiv, das, plötzlich auf ein Adagio folgend, die Hörer wahrhaft hinreiße und bezaubere.«[290]

Die große Figur des Capellmeisters hatte sich erhoben. Sie stand fast wie eine Athletengestalt vor dem schmächtigen, kleinen Componisten, der erstaunt und krächzend frug:

»Nun? wollen Sie auf einmal gehen, Herr Capellmeister?«

Aber dieser warf dem Kellner sein Geld hin und sagte nur in kaltem Tone:

»Addio!«

»Aber Bester!« – rief jetzt Grimani – »ich wollte Ihnen ja gerade einen Plan mittheilen, wie wir – diesem deutschen Knaben gegenüber – unsere Ehre retten können!«

»Das ist etwas anderes!« – sagte Fioroni stolz. – »Ich glaubte in der That, Sie seien Mozartianer – und mit diesen bornirten Menschen gehe ich nicht um.«

Der Capellmeister setzte sich mit diesen Worten wieder nieder, befahl noch eine Cigarre, und sah dann den Componisten fragend an.

»Also meinen Plan!« – fuhr Grimani schlau blinzelnd fort. – »Nun, ich denke, er ist nicht so schlecht.«

»So redet, redet!«

»Aber die Ausführung wird Geld kosten.«

»Mir gleich. Ich werde da nicht sparen, wo es meine Ehre, ja die Ehre Italiens gilt!«

»Vielleicht etwas viel Geld!«

»Ich zahle, was es kostet, sobald der Plan gut ist!«

Ueber die verwitterten Züge des kleinen unsauberen Componisten lief es hier wie Sonnenschein im Spätherbst. Geld war etwas, was er sehr liebte, viel brauchte und doch nie hatte. Jetzt lag eine Aussicht vor ihm, wie in das gelobte Land. Ein beneideter und gehaßter Feind sollte vernichtet und dabei viel Geld verdient werden. Dieser entzückende Gedanke ließ ihn einen Augenblick schweigen, so daß der Capellmeister ungeduldig mit den Fingern auf dem Tische trommelte und endlich rief:

»Nun, Grimani, den Plan .... den Plan!«

»Ja so!« – versetzte dieser, sich sammelnd. – »Nun, er zerfällt vor allen Dingen in zwei Theile.«

»Und die sind?«

»Einmal muß die öffentliche Meinung unterminirt und für uns gewonnen werden.«

»Und wie das?«

»Durch Bestechung.«[291]

»Aber wen wollt Ihr bestechen? Siebenachtel von Mailand schwärmen für den Cavaliere filarmonico.«

»Aber die Hälfte davon nur .... weil es Mode ist. Ich habe zehn Freunde, die mit mir einig sind, lauter Musiker und Componisten, alles gute Italiener, die – wenn man ihnen die Zeit vergütet, welche sie dabei verlieren – innerhalb acht Tagen die ganze Stadt überzeugen werden: daß die Musik der neuen Oper etwas Junges, Elendes und Unreifes sei; – ja, daß sich ganz Italien und namentlich Mailand schämen müsse, von einem Knaben, und noch dazu von einem Ausländer, die kindischen Erstlingsversuche aufgebunden zu haben.«

»Gut, gut!« – meinte der Capellmeister. – »Aber werden sie's auch glauben?«

»Warum nicht?« – rief der Kleine, eine Prise nehmend und zugleich einen Regen von Schnupftabak auf Kleider und Boden streuend. – »Das Schlechte glauben die Menschen immer lieber von Anderen, als das Gute. Dann werden ich und meine Freunde als Sachkenner, Lehrer und musikalische Orakel sprechen, und endlich wird der aufgestachelte Patriotismus auch etwas zur Sache thun.«

»Und der zweite Theil Eures Planes?«

»Der ist diplomatischer Natur und muß durch Sie, Herr Capellmeister, ausgeführt werden.«

»Durch mich?«

»Ja!«

»Und wie?«

»Ich habe mir – versteht sich gegen viel Geld – die scrittura109 der Oper, welche der junge Mozart componirt, zu verschaffen gewußt. Sind Sie nun mit mir einverstanden, so componire ich im Geheimen mehrere der Hauptarien für die Primadonna und den Primouomo. Sie, mein Verehrter, der Sie ja mit der Bernasconi und mit Santorini bekannt sind, gehen dann zu beiden, stellen sich, als ob sie in Verzweiflung über das Schicksal seien, das diese beiden Koriphäen des Gesanges erwarte, wenn sie die Arien dieses unreifen Kindes sängen; .... bringen dann gleich meine Compositionen mit – natürlich ohne zu sagen, von wem sie herrühren – und beschwören Beide, um Gottes und ihrer selbst willen, diese statt der Mozart'schen einzulegen.«[292]

»Und dann?«

»Nun .... dann ist die Oper verloren und der Cavaliere filarmonico mit, – trotz dem Orden vom goldenen Sporn.«

»Aber wie so?«

»Weil man kurz vor der ersten Aufführung aussprengt, die von dem Knaben geschriebenen Arien seien so erbärmlich, so ganz unsingbar ausgefallen, daß Primadonna und Primouomo sich genöthigt gesehen hätten, heimlich andere, von einem inländischen Componisten gefertigte, einzulegen.«

»Grimani!« – rief hier der Capellmeister und seine giftigen Blicke leuchteten triumphirend auf, wie die eines Basilisken, – »Grimani! Ihr seid ein verflucht gescheidter Satan. Der Plan ist herrlich ausgedacht und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir den vorwitzigen kleinen Maestro nicht aus dem Sattel heben und die Oper zum förmlichen Durchfallen brächten.«

»Ja!« – meinte Grimani – »nur dürfen der Herr Capellmeister mit dem Gelde nicht knausern.«

»Nein!« – sagte dieser stolz – »das werde ich auch nicht. Ich bin, Gott sei Dank, reich, und so kann ich etwas zur Rettung unserer und der Ehre Italiens daranhängen. Kommen Sie morgen früh zu mir, Grimani, und sagen Sie mir, welche Summe ....«

Aber das Wort starb dem Capellmeister des Theatro ducale auf der Zunge, denn eben waren Vater Mozart und sein Sohn eingetreten.

Der gewürfelte Lebemann faßte sich indessen rasch; ein leiser Fußtritt machte Grimani auf die Eingetretenen aufmerksam, dann eilte Fioroni mit ausgebreiteten Armen auf Vater Mozart zu, und hieß diesen wie Amadeus willkommen.

»Das ist schön,« – sagte er dabei, indem er dem Einen wie dem Anderen mit verstellter Herzlichkeit die Hände drückte und schüttelte – »das ist herrlich, daß meine lieben, hochgeehrten Herren Collegen einmal hierherkommen. Hätte mir doch in der That nichts Angenehmeres begegnen können.«

»Auch uns freut dies zufällige Zusammtreffen sehr!« – entgegnete der Vater, der – ebensowenig wie Amadeus – auch nur die leiseste Ahnung von der wirklichen Gesinnung Fioroni's hatte. Im Gegentheil, die beiden ehrlichen, offenen Deutschen glaubten in dem Capellmeister des Theatro ducale einen der aufrichtigsten Freunde gefunden zu haben.[293]

Jetzt kam auch Grimani herbei, den Fioroni dem jungen Maestro als einen seiner enthusiastischen Verehrer vorstellte. Wolfgang, der auf solche Dinge nichts gab, war nichtsdestoweniger hier, wie immer, ungezwungen freundlich, und nahm – mit Lüge und Verstellung völlig unbekannt – was er hörte und sah für Wahrheit. So kam es, daß die beiden schlauen Italiener – Fioroni hatte es sich nicht nehmen lassen, Vater und Sohn mit einer Flasche feurigen Weines zu bewirthen – bald von der Oper Alles erfuhren, was ihnen zu wissen nöthig war, ja die Unbefangenheit des jungen Maestro hätte ihnen noch tiefere Blicke in die Composition gestattet, wären jetzt nicht auch noch andere Freunde eingetreten.

Es waren ebenfalls Männer der Kunst: Sammartino, Lampugnani und Piazza Colombo – eben Diejenigen, die die beiden Mozarts auf diesen Abend hierher bestellt. Alle drei gehörten übrigens zu den aufrichtigsten und glühendsten Verehrern des jungen Deutschen. Im Feuer der Begeisterung ließen sie es daher auch nicht für Amadeus an Lob und Huldigungen fehlen, welchen sich natürlich Fioroni in pomphaften Worten anschloß, während es für einen unbefangenen Zuschauer in der That komisch gewesen wäre, zu sehen, wie der große und starke Mann mitten im Gespräche oft vor Neid die Farbe wechselte und – vorzüglich an der Nasenspitze – bald blaß, bald roth wurde. Sein ohnehin ziemlich gelber Teint nahm dabei nach und nach eine lederartige Färbung an, während die Lippen in's Bläuliche spielten.

Aber das ist ja gerade der Fluch des Neides: daß er sich selbst verzehrt, wie der Rost das Eisen.

Die Gesellschaft, die sehr lustig wurde, verließ erst spät in der Nacht das große Caféhaus am Corso orientale. Fioroni und Grimani nahmen unter den wärmsten Freundschaftsversicherungen Abschied. Als sie sich aber allein wußten, lachten sie laut auf und der Capellmeister rief, halb im Ingrimm, halb voll Hohn:

»Die dummen Deutschen! Sie stecken selbst die Köpfe in die Falle, und, bei Gott und allen Heiligen, sie sollen sie auch nicht mehr herausziehen. Grimani, Sie componiren mir morgen – außer den besprochenen – noch einige andere Piecen aus der scrittura des Mithridate und zwar diese recht schlecht, .... verstehen Sie, was ich meine? .... linkisch .... unsingbar .... stümperhaft! Ich werde Ihnen die[294] Mühe reich belohnen. Ist das geschehen, muß sie der Abschreiber des jungen Spornritters copiren, damit sie mit den übrigen Abschriften von gleicher Hand sind. Dann aber werde ich dafür sorgen, daß sie für Mozart'sche Machwerke in die Hände sachverständiger Leute kommen, und sich so, schon im Voraus, ein ungünstiges Urtheil über die zu erwartende Oper bildet. Bei der Aufführung der ersten Oper bleibt das Haus ja außerdem immer leer; senden wir dann unsere Leute in das Theater und haben dabei die Bernasconi und den Santorini auf unserer Seite, so muß sie glanzvoll durchfallen; – ist sie aber einmal a terra110 gegangen, so ist es in Italien aus mit dem Ruhme des Cavaliere filarmonico!«

Und Fioroni rieb sich triumphirend die Hände; Grimani aber rief krächzend:

»Auf Morgen also!« – und Beide verschwanden in der Dunkelheit.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 286-295.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon