15.

Der Traum der Liebe.

[165] Das Theater war zum Erdrücken voll gewesen: Hof und Adel, Militair, Beamten- und Bürgerstand hatten ihre zahlreiche Vertretung gefunden, und Aloysia Weber neue Siege zu den älteren gehäuft. Aber wie herrlich sang sie auch, wie[165] entzückend war ihre Erscheinung! Hier fanden sich Talent, Schönheit, Jugend, Unschuld und Bescheidenheit auf eine Weise vereinigt, wie das sonst sehr selten am Theater der Fall ist. Wußte man doch, daß sich die schönsten und reichsten Cavaliere Aloysia genähert hatten, von ihr aber auf das Bestimmteste zurückgewiesen worden waren.

Ueberhaupt lebte Aloysia, die schon durch die Eltern unter den besonderen Schutz des alten Hausfreundes – des Kapellmeisters Cannabich – gestellt war, in München fast so zurückgezogen, wie in Mannheim, wenngleich sie tausendfachen Huldigungen nicht entgehen konnte.

Sich aber an dem Theater zu München in der damaligen Zeit einen guten Ruf zu erhalten, war um so schwerer, als es eigentlich zur Mode und zum bon ton jener Tage gehörte, Ruf und Sitte mit Füßen zu treten. Der erste Impuls dazu ging in bekannterweise vom Hofe zu Paris aus, fand aber an den meisten deutschen Höfen ein freudiges Echo; Daß Pfalz-Bayern davon keine Ausnahme machte, wer wüßte dies nicht? Scheute sich doch Karl Theodor seines leichtfertigen Lebens so wenig, daß er in einem seiner Audienzzimmer die Bildnisse seiner sämmtlichen Maitressen aufhängen ließ.

An die Stelle der früheren Favoritinnen aus den niederen Ständen, die er in der Pfalz gehabt hatte, der Mannheimer Bäckerstochter, Huber, nachherigen Gräfin von Bergstein und der Mannheimer Schauspielerin, Josephe Seyffert, nachherigen Gräfin Heydeck, traten jetzt in München ein paar Damen der Aristokratie. Die Gräfin Josephine von Törring-Seefeld und die Freiin Elisabethe Schenk von Castell.

Die Gräfin Törring-Seefeld war eine geborne Gräfin Minuccii, die – sechszehnjährig – sich mit Graf Clemens Törring-Seefeld, dem Sohne des Geheimraths und Obermarschalls Anton Clemens Törring, der den Teschner Frieden schloß, vermählt hatte: er ward Kämmerer und Intendant der Hofmusik und des Theaters, später Oberceremonienmeister und endlich Oberhofmeister.

Freiin Elisabeth Schenk von Castell aber ward von dem Churfürsten mit dem Freiherrn Carl Theodor von Betschard verheirathet. Er war Landrichter zu Sulzbach gewesen, ein höchst übel berüchtigtes Subject und sogar wegen Verbrechen seines Postens entsetzt und zum Tode verurtheilt.[166] Dennoch erhielt er, allerdings gegen große Bezahlung, Begnadigung, ja er ward sogar zum Grafen erhoben und Minister der Oberpfalz, denn er gab sich dazu her, eidlich zu versprechen, die Schenk nie ehelich zu berühren.

Die Ehe mit dieser Nichtzuberührenden fing denn auch damit an, daß er mit ihr in die Schweiz ging, wo sie ihre Niederkunft abwartete. Später bat die Gräfin Betschard-Schenk den Churfürsten selbst, das früher verschobene Todesurtheil gegen ihren Scheingemahl doch vollstrecken zu lassen, denn sie beabsichtigte, einen Grafen Chamisso zu heirathen. Der Churfürst verwandelte die Todesstrafe in ewiges Gefängniß und ließ Betschard nach dem ungarischen Munkatsch als Staatsgefangenen bringen. Die Heirath der Gräfin mit dem Grafen Ludwig von Chamisso ward nun vollzogen, doch starb sie bald.

So sah es nach oben aus, ebenso beim Adel .... wie hätten da die bürgerlichen Schichten nicht auch mit fortgerissen werden sollen? Und war die Bühne nicht von jeher ein doppelt schlüpfriger Boden? Aloysia's sittiges und bescheidenes Betragen ward daher auch doppelt anerkannt, und Amadeus hörte zu seiner unendlichen Freude auf seine Erkundigungen hin schon im Parterre die besten Auskünfte. Wie es in ihrem Herzen aussah, dies war freilich etwas ganz anderes. Er wußte ja selbst, wie liebenswürdig, ja wie bezaubernd Lange sein konnte; und daß er schön wie ein Apollo war, mußte Mozart sich ebenfalls sagen. Hier war kein Vergleich zwischen ihm und dem Freunde anzustellen. Dagegen fühlte Wolfgang in edlem Stolze, wie sehr er an innerem Werthe jenes leichtsinnige Genie überwog; denn als Genie hatte sich Lange allerdings auf den Brettern bewährt. Er war in seinem Fach ebenso der Liebling des Hofes und der Stadt, wie Aloysia in dem ihren.

Uebrigens wollte Mozart hier selbst sehen und prüfen, wie er es sich schon in Mannheim vorgenommen. Deshalb hatte er sich auch in das Theater begeben, ohne vorher Lange oder Aloysia aufzusuchen. Jetzt aber, da das Stück beendet, hoffte er die Geliebte wenigstens beim Nachhausegehen auf einen Moment sehen zu können. Von seinem früheren Münchener Aufenthalte her genugsam mit dem Theater bekannt, begab er sich also jetzt in die Gegend der Thüre, die aus den Garderobenzimmern der Damen nach der Straße führte. Ihr[167] gegenüber, das erinnerte er sich, stand ein altes, halbverfallenes Häuschen mit einem weit ausspringenden Vordache, unter welchem, für den Fall eines Brandes, Leitern, Feuereimer und sonstige Löschgeräthschaften niedergelegt waren.

Es war hier so dunkel, daß man – stand man unter dem Vorsprunge des Daches – von Niemand gesehen werden konnte; übrigens kannte damals München überhaupt kaum eine Straßenbeleuchtung, so daß es selbst auf dem breiten Wege der Straße schwer fiel, Jemanden zu erkennen. Nur unmittelbar an den Ausgangspforten des Opernhauses brannten Oellampen, deren Licht jetzt aber auch schon zu erlöschen drohte.

Wolfgang war daher unter jenem Häuschen vollkommen geborgen und wartete mit klopfendem Herzen der Erscheinung Aloysia's. Mehrere Damen kamen herab und gingen nach Hause, theils von Dienerinnen begleitet, theils von Cavalieren erwartet und unter Schäkern, Kichern und Küssen in Empfang genommen. Alle aber verschwanden in der Dunkelheit wie dahinfliehende Schatten.

Schon diese Scenen verstimmten Mozart. Zum erstenmale traten ihm die Gefahren recht deutlich vor Augen, welchen seine Geliebte ausgesetzt war, und er entschloß sich, nicht hervorzutreten, sondern ihr Benehmen hier zu beobachten. Sie blieb sehr lange. »Nun,« – dachte er – »sie muß sich ganz umkleiden; vielleicht ist sie auch von der großen Rolle etwas angegriffen, und bedarf einer kleinen Ruhe.«

Jetzt kam eine Dame; sie hatte ungefähr Aloy sia's Gestalt .... aber nein! .... so ganz allein ging diese gewiß nicht in der Dunkelheit nach Hause. Und sollte die halblaut hingeworfene Roulade nicht ein Zeichen sein? .... Richtig! eine männliche Gestalt hebt sich auf der entgegengesetzten Seite der Straße aus dem Dunkel der Häuser. Es ist eine Uniform, die in der ärmlichen Beleuchtung hie und da aufblitzt. Sie naht der Dame und der süße Klang eines Kusses kündet das glückliche Zusammentreffen beider Parteien.

Wolfgang lächelte .... aber dies Lächeln erstarb auf seinen Lippen, als das Pärchen sich nun ebenfalls unter den Schutz des alten Häuschen begab, das ihn barg. Leise zog er sich etwas weiter zurück. Die beiden merkten nichts bei ihren Zärtlichkeiten und bald sah Amadeus eine so süße Liebesscene, daß ihm das Herz wie ein Hammer im Busen klopfte.[168]

Die Alten zählten dreierlei Arten Küsse: die Basia, unter Verwandten und Freunden; – die Oscula der Ehrfurcht, vorzüglich bei heiligen Leuten, und dieSuavia oder Küsse unter Verliebten – was eigentlich die einzig wahren Küsse sind, für die wir auch im Deutschen ein treffliches Wort haben, nämlich »Mäulchen!« Unsere, so sehr den Naturwissenschaften zugewandte Zeit, wird die Küsse wohl als physikalisch-elektrische Versuche erklären müssen, wonach die Küssenden recht eigentlich Naturforscher sind, zumal von allen Wissenschaften keine so tief auf den Grund geht, als .... die Physik. Wolfgang war freilich nicht gelehrt genug, um eine solche Betrachtung in seiner jetzigen eigenthümlichen Lage anzustellen; instinktive aber nahm er die Küsse, die er hier hörte, als »Suavia,« an; sein besseres Gefühl indessen trieb ihn wie die Engel mit dem feurigen Schwerte aus diesem Paradiese.

Eben schlich er auf den Zehen nach einer anderen Seite des Häuschens .... da .... da erschien Aloysia unter der Ausgangsthüre. Er erkannte sie auf den ersten Blick, und alle seine Vorsätze vergessend, wollte er eben auf sie losstürzen, als er gewahrte, daß sie nicht allein sei. Sie hatte eine Magd mit einer großen brennenden Laterne zur Seite. Ruhig schritt sie ihrer Wege. Wolfgang folgte ihr in stiller Freude. »Man hat sich also doch getäuscht!« – dachte er – »Lange steht in keiner Berührung mit ihr.« Aber noch war dieser Gedanke nicht ausgedacht, als es ihn wie ein Herzschlag traf, denn Lange, der unselige Lange, trat in leibhafter Gestalt auf sie zu.

»Sie sind lange geblieben, Aloysia,« – sagte er laut und unbefangen. – »Haben Sie vielleicht geglaubt, mich zu ermüden und durch Langeweile fortzutreiben?«

»Ich hoffte,« – entgegnete Aloysia mit ihrer klangvollen Stimme, die Mozart tief in das Herz drang – »Sie würden so vernünftig sein und meinen Bitten Folge leisten.«

»Welchen?«

»Nun, mich Abends ruhig und allein nach Hause gehen zu lassen.«

»Bin ich Ihnen so sehr zur Last?«

»Nein; aber diese nächtliche Begleitung schadet meinem Rufe, und der muß auch Ihnen heilig sein.«

»Mir ist Alles heilig, meine Himmlische,« – rief Lange – »was Sie betrifft. Aber wo könnte ich Sie sonst sehen[169] und sprechen, als bei Ihrem Nachhausegehen aus dem Theater. Am Tage begleitet Sie Ihre Schwester und zu Hause bewacht Sie Cannabich. Und doch muß ich Sie jeden Tag einmal sehen und sprechen, sonst bin ich unglücklich.«

Mozart erbebte; also doch .... wenigstens die Sprache der Liebe, wenn auch Aloysia die strengen Grenzen der Schicklichkeit festhielt.

»Und Sie schweigen?« – frug Lange, indem er neben Aloysia und der Magd herging und Amadeus im Schatten der Häuser auf den Zehen folgte.

»Was soll ich sagen?« – entgegnete das Mädchen. – »Sie wissen, daß ich mich für Sie interessire, lieber Lange, aber Sie kennen auch meinen festen Entschluß.«

»Mir nicht zu gestatten, ein Wort von Liebe zu sagen,« – rief dieser mit einem Seufzer – »wenn ich mich nicht ändere und ein solider Mensch werde.«

»So ist es!« –

»Ach, Aloysia, das ist viel verlangt:


Den Mohren weiß zu waschen, wird's dir gelingen?

Wirst Wasser du zum Kuß des Feuers zwingen,?

Den Löwen mit des Lammes Sanftmuth krönen,

Den Neid dem Neid, den Haß dem Haß versöhnen?«


»Lange,« – sagte hier Aloysia mit schmerzlichem Tone – »machen Sie sich nicht schlechter als Sie sind; ehren Sie in sich selbst den festen Willen des Mannes und werden Sie gut. Gott hat Ihnen ein herrliches Talent gegeben, Sie sind ein ausgezeichneter Künstler – werden Sie nun auch ein braver Mensch!«

»Und wenn ich mich ändere, darf ich dann auf Ihre Gegenliebe hoffen?«

Aloysia schwieg einen Moment; – Mozart war es, als fühle er ein Richtschwert über seinem Nacken. Endlich sagte Aloysia:

»Mein Freund, ich habe gelernt immer wahr und offen zu sein. Sie wissen, daß ich Herrn Mozart liebte, .... gestehe ich es, daß Ihr Bild das seine aus meinem Herzen verdrängt hat: aber nie und nimmer reiche ich Ihnen die Hand, so lange Sie in sittlicher Beziehung hinter jenem edlen jungen Manne zurückstehen. Es ist vielleicht Unrecht von mir ....« fuhr sie fort; aber hier verhallten die Worte in[170] der Ferne, denn Mozart war stehen geblieben .... starr wie eine Bildsäule mit einem Herzen kalt, wie Eis! .... Er hatte genug gehört, – das Schwert war gefallen!

Auch dieser Traum der Liebe war eine Täuschung! 60

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 165-171.
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