8.

Die Weihnachtsbescheerung.

[99] Der Winter war unterdessen mit voller Macht hereingebrochen. Der Rhein trieb gewaltige Schollen Eises, die Schiffbrücke, die Mannheim mit der Rheinschanze und dem jenseitigen Ufer verbindet, war abgetragen, die Straßen der Stadt lagen voll Schnee, wer da konnte, flüchtete hinter den warmen Ofen, und auf den breiten Gassen sah man nur einzelne Raben, Sperlinge und Goldammern, die der Hunger von draußen hereingetrieben und die nun ängstlich hin- und herflogen und hüpften, um ihr spärliches Futter zu finden.

Aber war es auch draußen frostig und kalt, so war es doch in gar manchen Herzen warm und frühlingsmilde geblieben; wie z.B. in allen, die im Weberschen Hause schlugen, ... und in dem des jungen Mozart. Und im Kreise der Weberschen Familie, in den Amadeus auch längst seine treue, für ihn so besorgte Mutter eingeführt, bewegte er sich am liebsten. Hier war alles einfach, schlicht und recht, so herzlich und treu; hier waren die Menschen so aufrichtig, gut und wahr, so liebevoll und doch auch wieder so anspruchslos. Zwei Monate waren noch nicht verstrichen und schon bildete Wolfgang fast[99] einen integrirenden Theil der Familie; ja durch ihn hatte sich das Leben in derselben auf eine, sonst dem Weberschen Hause ganz fremde Weise vergrößert, indem Wendlings und Cannabichs jetzt mehr denn je mit demselben verwachsen waren.

Aber Mozart und die Weberschen verstanden sich auch so gut! Er brachte einen neuen Umschwung in die musikalischen Leistungen Aloysia's, die jetzt gestand, daß sie jetzt erst wisse, was Gesang sei. Auch Constanzen, Johanna und Marien ertheilte er freiwillig und unentgeldlich Unterricht im Clavierspielen und schuf gar manchen der langen Winterabende zu einem kleinen, häuslichen Concerte um. Dabei fesselte Alle sein Frohsinn, seine heitere und liebenswürdige Hingabe an das Leben und die Kunst, sein immer sprudelnder Witz und seine fröhlichen Launen. Eine freundliche Physiognomie, heitere Stirne, helle Augen, lächelnder Mund und zuvorkommendes Wesen erheitert ja stets unsere Umgebung, wie ein schöner Tag die Welt. Die Herzen waren daher ganz sein, so daß der kleine Hermann oft noch im Schlafe von »Onkel Wolfgang« phantasirte.

Es ist aber eine ausgemachte Sache, daß man nie so bekannt und vertraut wird, als wenn man erst herzlich mit einander gelacht hat; wie denn auch im jugendlichen Frohsinn der Grund davon zu suchen ist, daß Jugendfreundschaften am längsten .... oft bis an das greise Alter dauern. Fröhliche Menschen sind dabei nicht blos glückliche, sondern auch in der Regel gute, wohlwollende Menschen, ohne Neid und Grämelei, ohne Klatscherei und Verleumdung, die recht gerne so weit als möglich dem Bösen aus dem Wege gehen. Dies war denn auch so recht auf die Erwähnten anzuwenden, die gerade in diesem Wesen den Schlüssel zu ihrem kleinen Paradiese fanden, das sich außerdem auf körperlicher und geistiger Gesundheit, auf immer frischer Thätigkeit, einem warmen Antheil an allem Schönen und Guten und auf der Beherzigung der weisen Lehre aufbaute: Glücklich ist nicht der, welcher besitzt, was er wünscht; sondern der, welcher nicht wünscht, was er nicht besitzt!

Was aber Mozart gleich von Anfang an das Webersche Haus fesselte, waren vor allen Dingen die beiden ältesten Mädchen: Aloysia und Constanze. Beide waren so liebe Erscheinungen und selbst durch Schwesterliebe so innig verbunden, daß sie Amadeus in den ersten Zeiten fast wie ein Wesen vorkamen. Sie füllten in der That sein Herz aus,[100] ohne daß er sie von einander trennte. Indessen war dies ihm selbst noch nicht klar bewußte Gefühl bald zu einem bewußten, das Wolfgang mit unwiderstehlicher Gewalt zu den Mädchen hinzog: er liebte! .... Aber welche? .... Eine war ja so lieb, wie die andere, .... und doch krönten beide so verschiedene Reize.

Wenn er Aloysia auf der Bühne in einer seiner Lieblingsrollen sah und hörte, oder wenn er zu Hause am Clavichord saß und sie neben ihm stand und mit ihrer götterschönen Stimme so seelenvoll und hinreißend sang, dann war es ihm oft, als müsse er sie an sein Herz drücken und mit einem flammenden Kusse auf ihre frische Lippen ausrufen: »O du süßer Engel, du .... du bist es, den ich liebe! Ohne dich kann ich nicht leben!«

Wenn er aber dann wieder Constanze beobachtete, das herzige, kindliche Wesen mit der stillen Seelenheiterkeit, die der leise Hauch einer unbestimmten Sehnsucht so manchmal gar zauberisch wie ein leichter, duftiger Schleier überdeckte – – – wenn er sah, wie sie – die doch noch so jung – alle häuslichen Arbeiten mit dem ruhigen Anstande, der so lieblich zu ihrer kindlichen Unbefangenheit stand, verrichtete, und seine Blicke nun den ihren begegneten, die so frisch und hell .... und doch auch wieder so wonnevoll tief darein schauten, als ob sie ihm das Dasein einer verborgenen Zauberwelt verrathen wollten: – – – dann war es ihm wieder, als müsse er Constanze an sich ziehen und ihr in das Ohr flüstern: »O, laß sie mich finden, diese so still-freudig geahnte Zauberwelt; – laß sie mich bei dir .... an deinem Herzen finden!«

Riß ihn häufig die sprudelnde lebensfrische Heiterkeit Aloysia's, wie in einem himmlischen Rausche mit fort, so zog ihn doch auch gar manchmal die sinnige Theilnahme an, die Constanze für Alles bewies, was ihn betraf, und es kam ihm dann wohl vor, als sei das übersprudelnd heitere Wesen der älteren Schwester gleich dem Champagnerschaume, der gar lieblich in duftendem Gischte aufzischt, aber von dem nichts im Glase bleibt, wenn er verflogen ist. Aber welche begeisterte Kunstjüngerin war dafür Aloysia wieder, wie schön ging ihr Streben mit dem des jungen Mannes Hand in Hand; schienen sie nicht für einander geschaffen? Er .... vielleicht bald Churpfälzischer Kammer-Componist, oder Capellmeister an irgend einem bedeutenden Theater; – sie, die gefeierte Primadonna,[101] für die der Geliebte die herrlichsten Arien schreibt! – – – Welch' ein Gedanke! welch' eine Zukunft gemeinsamen Kunststrebens, gemeinsamer Begeisterung, gemeinsamen Ruhmes! .... und das alles verklärt durch die Seligkeit der Liebe!

Bei solchen Gedanken mußte freilich das Bild Constanzens wieder zurücktreten! auch war diese doch noch gar zu jung und selbst körperlich weit weniger entwickelt, als die Schwester, deren schöne jugendliche Gestalt und anmuthiges Wesen bereits ganz Mannheim entzückte.

Dieses Schwanken dauerte indessen bei Mozart doch nicht lange. Einer so kräftigen inneren Natur wie der seinen, war jede Unentschiedenheit zuwider; – die Kunst siegte auch hier, und wie nach längerem Kämpfen des Nebels mit der Sonne, diese oft plötzlich durchbricht, so war ihm die Thatsache mit einem Male klar geworden: Du liebst Aloysia!

Und wie stand es mit dieser? .... Ach, sie war sich längst recht klar und deutlich bewußt geworden, wie es in ihrem Herzchen aussah. Da thronte schon seit dem verhängnißvollen Kusse an dem ersten Abende: Herr Wolfgang Amadeus Mozart .... als einziger und unumschränkter Herr!

Auch hier hatte zumeist die Musik das Amt des kleinen schalkhaften Gottes Amor übernommen; wie denn Aloysia ebenfalls der Gedanke an eine gemeinschaftliche große musikalische Zukunft nicht ferne geblieben. Dazu kam noch, daß Amadeus, – so liebenswürdig bei näherer Bekanntschaft, – auch der erste junge Mann war, der ihr nahe getreten, ...... kein Wunder, daß sich ihm ihr empfängliches Herz bald erschloß.

Erschloß? .... wohl! .... aber doch nur im Geheimen. Keines von Beiden – weder Aloysia noch Amadeus – hatten bis jetzt ihrer Liebe auch nur den leisesten Ausdruck, geschweige denn Worte verliehen. In beiden Herzen brannte die Flamme; aber sie nährten sie nur mit der stillen Seligkeit einer ersten, verborgen aufkeimenden Liebe.

So war Weihnachten herbeigekommen und streute bereits die leuchtenden Blumen der Erwartung, der Hoffnung und des frohen Gefühles, Anderen Freuden bereiten zu können, in die kalten Decembertage. Vater Weber hielt auf die Feier solcher und ähnlicher Feste, wie Hochzeits- und Geburtstage, sehr viel: denn wenn sie auch in seinem Hause noch so bescheiden begangen wurden, waren sie doch immer Lichtpunkte, die ihre Strahlen erleuchtend und erwärmend über das[102] Familienleben ausgossen, und die zarte Pflanze der gegenseitigen Liebe zu neuer schönerer Blüthe trieben. Kein Wunder also, daß auch in dem kleinen Hause am Rheinthore mit der Annäherung der Weihnachten jene ganz eigenthümliche geheimnißvolle Regsamkeit anhub, die so vielen verführerischen Zauber für die demnächst Gebenden und Nehmenden hat.

Am Tage freilich blieb den Kindern – der guten alten Hausordnung wegen – wenig Zeit, an die Anfertigung ihrer kleinen Geschenke für Vater und Mutter zu denken. Sobald aber die Zeit zum Schlafengehen gekommen, die jugendliche Schaar mit einem herzlichen Kusse von den Eltern geschieden, und Aloy sia und Constanze ihr schlichtes Kämmerlein in den Mansarden erreicht hatten, begann die ebengedachte geheimnißvolle Thätigkeit.

Und wie behaglich ließ es sich in diesem so äußerst nett und rein gehaltenen Stübchen arbeiten.

Die Lampe gab Licht, der kleine Ofen Wärme genug, und durch die runden Scheiben blitzte von dem jenseitigen Ufer herüber das Wachtstubenlicht der Rheinschanze, die in jenen Zeiten noch als ein stark befestigter Brückenkopf zu der damaligen Festung Mannheim gehörte.

Johanna und Maria nähten dann mit zierlichen Stichen an Hemden für den Vater, zu deren Leinwand der weibliche Theil der Familie das Garn im vorigen Winter gesponnen; Aloysia und Constanze aber, schon weiter in künstlichen Frauenarbeiten, stickten und häkelten den Eltern kleine Geschenke.

Warum erhob sich aber Constanze auch des Morgens schon so frühe? – warum stahl sie sich so leise aus ihrem Bette und ließ Aloysia ihren gesunden Morgenschlaf so ruhig weiter genießen, während sie behutsam die Lampe wieder anzündete und – der Kälte wegen in einen alten Shawl der Mutter eingewickelt – an einer Brieftasche stickte?

Es war eine gar nette Arbeit, die in feiner Stickerei aus Seide und Chenille eine Landschaft vorstellte, in deren Mitte unter einem Rosengebüsche ein Altar stand. Auf dem Altar aber lag ein Lorbeerkranz und um das Ganze schlangen sich oben die Worte: »Dem Verdienste die Krone!« während unten nur: »Aus treuem Herzen« stand.

Ob dies Geschenk für den Vater war? Niemand erfuhr etwas davon, denn ehe Aloysia des Morgens von ihrem[103] gesunden Schlafe erwachte, war keine Spur mehr von Constanzens Arbeit zu sehen.

Endlich erschien das Fest, und wie überall, so war auch im Weberschen Hause die Freude nicht klein. Mama hatte zum Ueberfluß Kuchen gebacken, Aepfel und Nüsse gab es auch und Jedes war von den empfangenen kleinen Liebesgaben hoch erfreut .... aber noch glücklicher durch das, was er selbst hatte geben können.

Auch der junge Mozart war nicht ausgeblieben. Er brachte einige, für Aloysia's Stimme eigens componirte Gesangsstücke, gar schön und zierlich ausgeschrieben, und ein Rondo für das Clavier, das er für Constanze gesetzt.

Vater Weber dagegen erhielt zu seiner großen Freude einen ächten Salzburger Pfeifenkopf, so schön als je einer in Mannheim war, und Mama Weber eine neue seidene Sonntagsschürze, ringsum in Falten gar sauber eingelesen. Dagegen erwarteten ihn und die Mutter hohe Teller voll Aepfel und Nüsse und große mächtige Stücke Festkuchen. Andere Geschenke zu geben wäre gegen Sitte und Gebrauch gewesen, zumal Amadeus noch unverheirathet war und man aus Geschenken auf Nebenabsichten hätte schließen können.

Und doch war Wolfgang nicht so ganz leer ausgegangen, was schon sein freudestrahlendes Gesicht und sein übersprudelnder Humor bewiesen.

Als es nämlich am heiligen Abende zu dunkeln angefangen, war bei Cannabichs, wo er noch wohnte, von einem kleinen Mädchen ein Päckchen für ihn abgegeben worden. Neugierig öffnete er es, und siehe da, es enthielt eine wunderschön gestickte Brieftasche von lichtblauem Seidenzeug, oben eine Landschaft, in deren Mitte ein Altar unter Rosenhecken, der einen Lorbeerkranz trug, und um das Ganze die Worte: »Dem Verdienste die Krone!« und: »Aus treuem Herzen

»Aus treuem Herzen!« – rief er entzückt und überselig – »o, das kommt gewiß von Aloysia! von wem könnte, von wem sollte es anders sein? .......... und wenn es von ihr kommt, so liebt sie mich! ........ so liebt sie mich

Und er sprang jubelnd wie ein Kind durch das Zimmer und küßte das Geschenk tausendmal.

Endlich fiel es ihm ein, auch in die Brieftasche zu sehen. Da lag denn ein Zettelchen, auf dem mit verstellter Hand[104] geschrieben stand: »Niemand darf von dieser Gabe wissen, und mit Niemand dürfen Sie darüber sprechen, auch nicht mit dem Geber, wenn Sie ihn errathen sollten.

Das treue Herz.«


»Errathen?« – wiederholte Amadeus – »auf wen sollte und könnte ich rathen, als auf Aloysia? O, so habe ich mich doch nicht getäuscht, wenn ich so manchmal ihren süßen Blick auffing und Gegenliebe in ihm zu lesen glaubte, so schnell sie die Augen auch niederschlug. – Und ist sie in der letzten Zeit nicht immer roth geworden, wenn ich eintrat oder mit ihr sprach? – Hat ihre Hand nicht erst gestern beim Abschiede in der meinen gezittert?«

Und jetzt fielen Wolfgang eine Menge Dinge ein, die ihm die klarsten Beweise ihrer Gegenliebe lieferten. Da war es ihm, als habe sich der Himmel für ihn erschlossen. Er hätte die Welt umarmen können; ... er bebte vor Seligkeit, und war es gut, daß er allein war, sonst hätte er sich den Augenblick verrathen. Doch nein! ...... er war ja nicht allein! .... da stand ja sein liebes Instrument, sein vertrauter Freund in Leid' und Freud', und prächtig, zauberhaft strömte er auf ihm jetzt seine Gefühle aus.

Was waren das für Töne, für Harmonien und Melodien? O wer sie aufgefaßt und der Nachwelt bewahrt hätte, ihm gebührte ewiger Dank! – Aber es hörte sie Niemand, als sein eigenes Herz, das sich ausjubelte in dem Gedanken: Aloysia liebt mich! – Und Melodien strömten auf und nieder, und er schwamm auf diesem Strome der Töne in ein nie geahntes Paradies der Seligkeit.

Endlich sprang er auf, es drängte ihn nach dem Weberschen Hause; aber, indem er aufsprang, fiel etwas auf den Boden; – er bückte sich darnach, und .... seltsamer Zufall .... es war das kleine goldene Kreuz, das ihm einst, beim Abschiede von Rom, Giuditta gegeben, und das er bis dahin an einem Schnürchen als Amulet auf der Brust getragen. In seiner Aufregung war er mit der Hand in den Busen gefahren und hatte die etwas mürbe gewordene Schnur zerrissen.

Der Zufall bewegte ihn doch unangenehm. Er wurde etwas ruhiger, legte das Kreuz auf das Instrument und ging ein paarmal auf und ab.

Giuditta's Bild glitt an seiner Seele vorüber; er gedachte der schönen Tage zu Rom, des Abschiedes in der Grotte[105] der heiligen Cäcilie, des eigenthümlichen Zusammentreffens in Mailand und der Worte: »Auf Wiedersehen!«

Aber waren denn nicht sieben Jahre seitdem vergangen? Arme Giuditta, wo mochte sie nur weilen?

»Wir werden uns wohl nie wiedersehen!« – sagte er jetzt leise – »aber deinem Andenken, treue Seele, die du mein Schutzgeist in Mailand warst, will auch ich treu bleiben. Du bist und bleibst mir eine liebe ferne Schwester!«

Und mit diesen Worten nahm er das kleine goldene Kreuz, band es wieder an der Schnur fest und barg es von Neuem auf seiner Brust. Aber dieser Zufall blieb doch ein Mißton in der göttlich reinen Harmonie, in der er eben geschwelgt. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren: Wenn das eine Warnung deines Schutzgeistes gewesen sein sollte, der dich auf irrigen Wegen sieht! Amadeus setzte sich abermals an das Instrument. Anfangs entlockten ihm seine Finger eine ernste, fast wehmüthige Melodie, dann stürmte es unwillig auf, aber es ward auch wieder ruhig – bis plötzlich sein Auge auf die Brieftasche fiel. Da stoben die Töne wieder wie Funken auf, und die Funken wurden Blitze und alles jubelte wieder in ihm: »Sie liebt mich doch! – Meine Aloysia liebt mich!« und vergessen war Kreuz und Giuditta; er aber sprang zum zweiten Male empor, holte die Mutter – die ganz erstaunt über sein seliges Wesen war – und eilte mit ihr nach dem Hause am Rheinthore.

Der Christbescheerung, die hier Groß und Klein mit der reinsten Freude erfüllte, haben wir erwähnt. Als sich der erste Jubel der Kinder gelegt, mußte Aloysia unter Wolfgangs Begleitung die Gesangstücke vortragen, die sie von dem jungen Hausfreunde heute Abend erhalten.

Mozart ergriff zuerst eine Arie. Es war jene Arie: »Non sò d'onde vienne etc,« die Bach so schön componirt, die aber Amadeus – nur mit Beibehaltung des Textes – ganz neu geschaffen, und zwar für seine Aloysia.44

Aber wie entzückend war auch diese, von einer stillen, kaum selbstbewußten Liebe dictirte Tonschöpfung! wie eigenthümlich in Form und Behandlung45, – wie einfach und wahr der Ausdruck dessen, was er selbst empfand, was er Aloysia, durch den Vortrag derselben, so gern empfinden[106] lassen wollte. Ach! es wurden ja hier durch den Gesang der Geliebten, die Worte Metastasio's zum Selbstgespräch eines jungen Herzens, das zum erstenmale die Regung der Liebe fühlt und staunend über die neuen Gefühle, welche im Kampfe gegeneinander sich mächtig erheben, nicht wagt, sich selbst zu gestehen, wodurch es so tief gerührt und erschüttert werde. Das war ja der Zustand seines Herzens und was er selbst empfand, das legte er in die Seele seiner Geliebten und – weil er Künstler war – auf ihre Lippen.

Und rein und unendlich schön drückte diese Arie die Empfindung eines jungen Mädchens aus, die in voller Unschuld, in Staunen und Zweifel über die Regungen ihres Herzens geräth, ... die sich selbst nicht versteht. Sie findet in sich, in der Vergangenheit keinen Grund zu aufregender Besorgniß; noch ist die Neigung, welche in ihr aufgekeimt, nicht zur allesbeherrschenden Leidenschaft geworden; ... aber .... sie steht an dem Wendepunkte, das fühlt sie, der über ihr inneres Leben entscheiden wird46.

Und wie sang nun Aloysia diese Arie? Sie sang sie .... mit dem Zauber eines unbeschreiblichen Wohllautes und einer Innigkeit des Gefühls, die alle Anwesenden hinriß und Amadeus vor Seligkeit erbeben machte. Und doch! lag nicht bei all dieser Tiefe der Erregung auch wieder die Ruhe und Klugheit der Unschuld über dem Ganzen, wie der leichte Duft des Morgens über der aufblühenden Rose?

Ob und wie weit Amadeus es sich selbst klar gemacht hatte, daß die Worte Metastasio's seine eigene Situation aussprachen, – wer will es sagen? Daß aber seine Empfindungen das bewegende Element für diese künstlerische Gestaltung wurden, und ihr den individuellen Charakter aufprägten, ist unzweifelhaft; sie war so recht eine Schöpfung der Begeisterung, welche die Liebe ihm eingehaucht, sonst wäre sie nicht dies vollendete Kunstwerk geworden47.

O wie göttlich schön umschlangen sich doch hier die beiden Himmelsschwestern Kunst und Liebe. Und war denn nicht gerade bei Beiden die Liebe aus der Bewunderung einer gegenseitigen ungewöhnlichen musikalischen Begabung erwachsen? Und schlug sie nicht um so leichter Wurzel, als das junge Mädchen unter Amadeus liebendem Einfluß die Blüthe ihres herrlichen[107] Gesanges so reich und voll entfaltete, daß alle Welt staunte? – war es nicht Wolfgang, durch den zugleich ihr Herz in Liebe bewegt wurde, während sein musikalisches Genie sie zum Bewußtsein ihres Talentes brachte?

So ward für beide die Kunst der Dolmetscher der Liebe, und die Liebe die Seele der Kunst!

Amadeus glühte, sein Herz schlug hörbar und seine Hand zitterte, als er jetzt ein ebenfalls für diesen Abend componirtes Duett ergriff. Es war auch dies eigens für ihn und Aloysia geschrieben. Letztere hatte zu beginnen und sang ihren Theil reizend; nur an einer Stelle zitterte ihre Stimme auffallend und eine tiefe Gluth bedeckte ihr hübsches Gesichtchen. Es war die Stelle, in welcher die Geliebte ihrem Herzensfreunde in süßen Tönen züflüsterte: »Ja, so wisse, mein Geliebter, daß mein Herz auf ewig dein!« – Sie konnte fast nicht mehr stehen, so wankten ihre Kniee und die Stimme drohte zu versagen. Da fiel glücklicherweise Amadeus ein; als aber auch er mit einem unaussprechlichen Ausdrucke der Wahrheit dieselben Worte wiederholte: »Ja, so wisse, o Geliebte, daß mein Herz auf ewig dein!« und beide Stimmen in Jubeltönen auf dieser Stelle länger verweilten, da war für beide ihr heiligstes Geheimniß ausgesprochen: Sie wußten, daß sie sich einander liebten!

Es war recht gut, daß nach Beendigung dieses Tonstückes, das von allen Anwesenden das lauteste Lob erntete, das Abendessen hereingebracht wurde. Indessen herrschte eine ganz eigene Stimmung bei demselben. Frau Weber war plötzlich in Gedanken verloren, – Wolfgang strahlte in Seligkeit und sprudelte in Witzen, – Aloysia machte in einer ihr fast ganz fremden Zerstreuung alles verkehrt, und gab dem Vater Pfeffer, wenn er Salz verlangte, und die Schnupftabaksdose statt der Weinflasche. Nur der Vater und Constanze – die während des Gesanges in der Küche gewesen, blieben gleich freudig. Ersterer lächelte schmunzelnd vor sich hin, während Constanze mit einem Ausdruck stiller Seligkeit an des jungen Mannes Blicken hing.

Endlich kam die Stunde des Scheidens. Aloysia eilte, um im Nebenzimmer die »Enveloppe« der Frau Mozart zu holen, auch Amadeus mußte dort seinen Mantel nehmen.

Aber wunderbar! .... ehe man in dem dunklen Zimmer Mantel und »Enveloppe« fand, fand man sich selbst. »Aloysia!«[108]

– flüsterte es leise: »Amadeus!« antwortete es ebenso, und zwei Glückliche lagen sich in den Armen, und zwei Herzen schlugen an einander, und ein inniger feuriger Kuß sagte: »Ja, so wisse, daß mein Herz auf ewig dein!«

Aber Umarmung, Kuß und Geständniß waren nur das Ergebniß eines Momentes. Im nächsten Augenblicke legte Aloysia die »Enveloppe« der Frau Mozart um. Kaum aber war dies geschehen, als ein helles Gelächter im Zimmer erschallte. Die Zerstreute hatte die »Enveloppe« verkehrt übergehängt, und Frau Mozart stand, wie eine Chinesin, in geblümtem Ziz-Cattun da.

Mama Weber schüttelte bedenklich den Kopf. Aloysia bat tausendmal um Vergebung, die Andern scherzten und lachten. Endlich waren die Gäste fort, und nach kurzer Zeit suchten auch Webers, abgespannt von Freude und Jubel – die Ruhe.

Nur Eine war ungemein aufgeregt, .... und diese Eine war Aloysia.

Selbst Constanze fiel es auf. Als beide Mädchen daher ihr Zimmer erreicht, frug diese:

»Warum bist du denn heute Abend nur so zerstreut und so aufgeregt, Aloys

»Warum?« – entgegnete die Gefragte mit einem Blick, in dem alles Sonnengold einer glücklichen Liebe lag.

»Nun?«

Aber jetzt konnte das Herz Aloysia's die Fülle der Seligkeit, die es einschloß, nicht mehr allein tragen, und gewohnt, der treuen, so innig geliebten Schwester alles mitzutheilen, was es an Freud und Leid trug, sank die glückliche Constanzen mit den Worten an die Brust:

»Constanze! .... ich liebe ihn, und er liebt mich wieder!«

Constanze glaubte zu träumen.

»Du liebst ihn?!« – wiederholte sie gedehnt – »wen? wen liebst du?«

»O wie kannst du fragen!« – rief Aloysia – »wen anders, als Amadeus

Da zuckte es wie ein dreischneidiges Schwert durch die Seele Constanze's. Blässe bedeckte ihr Gesicht und mit bleichen, bebenden Lippen frug sie leise:

»Und er liebt dich wieder?«

»Ja!« .....[109]

»Und hat es dir selbst gestanden?«

»Heute Abend, .... vorhin! O ich bin namenlos glücklich!« und Aloysia umarmte die Schwester stürmisch und herzte und küßte sie. Aber plötzlich fuhr sie zurück und rief entsetzt:

»Constanze! was ist dir? deine Stirne ist kalt .... du bist blaß wie der Tod!«

»Es ist nichts!« – versetzte jene. – »Uebermüdung .... zu große Aufregung .... und dann .... die Ueberraschung!« ....

»Soll ich dir Thee kochen?« – frug Aloysia besorgt.

»Nein, Liebe!« – sagte diese leise – »lege dich zu Bett, und laß mich noch einige Augenblicke hier ruhig sitzen.«

»Aber du erkältest dich, es ist kein Feuer im Ofen.«

Constanze schüttelte mit dem Kopfe. – »Es ist mir schon besser!« – sagte sie dann, und in der That hatte ihre gute und kräftige Natur auch schon wieder den Eindruck überwunden, den die für sie so schmerzliche Nachricht auf sie gemacht.

Aloysia entkleidete sich daher unter seligem Geplauder. Was hatte sie nicht alles zu erzählen – wie malte sie ihr Glück in Gegenwart und Zukunft aus!

Sie merkte in ihrem Wonnerausch gar nicht, daß ihr Constanze mit keinem Worte antwortete. Selbst im Bette noch ging es fort .... bis der Schlaf sie übermannte und in süße Träume einwiegte.

Am Fenster aber saß Constanze. In ihrem stillen, tiefen Auge glänzte eine Thräne, während die Blicke durch die kleinen runden Scheiben in die Nacht hinaus starrten, die schwarz und schwer über dem Rheine lagerte. Nur das Wachtlicht da drüben in der Rheinschanze schimmerte noch matt herüber, sonst war alles Leben in Stille und Dunkelheit versunken.

Und still und dunkel war es auch in ihrem jugendlichen Herzen geworden, das gerade heute einen so schönen Tag feiern wollte, – das gerade diesen Abend über ein holdes Geheimniß so freudig geschlagen!

Constanze saß lange schweigend da; endlich erhob sie sich, kniete nieder und verrichtete mit Demuth und Inbrunst ihr Abendgebet. Was dies kindliche Herz gebetet? .... wer weiß es, außer Gott?! Vielleicht bat sie den himmlischen Vater um Vergebung, daß sie – zum ersten Male in ihrem Leben – hinter dem Rücken ihrer treuen, guten Eltern und ihrer lieben Schwester etwas gethan. Vielleicht küßte sie im[110] Geiste reumüthig die strafende Hand, die so wunderbar aus den Wolken herniedergelangt und augenscheinlich das eigene Geheimniß gegen sie gewandt.

Als sie sich erhob, war es stiller und friedlicher in ihrem Herzen; – aber schlafen konnte sie lange, lange nicht. Als ihr aber gegen Morgen die Augen zufielen, ruhte das müde Haupt des lieblichen Kindes auf einem naßgeweinten Kissen.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 99-111.
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