18.

Der König der Töne.

[191] Die Probe im großen Saale des Schlosses ging vortrefflich. Der Churfürst, Graf Seeau, Graf Seinsheim und noch mehrere Begünstigte des Hofes wohnten ihr bei. Karl Theodor rief selbst nach dem ersten Acte »Bravo!« und als Mozart zu ihm ging, ihm die Hand zu küssen, sagte er zu dem Maestro mit gnädigem Lächeln:

»Die Oper wird charmant werden; Er wird gewiß Ehre davon haben, junger Mann. Man sollte nicht meinen, daß in einem so kleinen Kopfe so etwas Großes stecke!«65

Auch Graf Seinsheim kam am Ende der Probe freudestrahlend auf Wolfgang zu und rief: »Ich versichere Sie, daß ich sehr viel von Ihnen erwartet habe; aber alle meine Erwartungen sind übertroffen.«[191]

In den Familien Weber, Wendling und Cannabich aber war lauter Jubel; so wie die Musiker der Münchener Capelle, meistens Leute von vielem Wissen und Talent, ihre Bewunderung für ein Werk laut aussprachen, das Alles, was sie seither gehört hatten, so weit übertraf. Selbst die nächsten Tage noch rühmte der Churfürst Mozarts Schöpfung in seinen Morgen-Cercles, ja Abends bei der Cour sagte er Jedermann: »Ich war ganz surprenirt – noch hat mir keine Musik den Effect gemacht – das ist eine magnifique Musik!«66

Welche Aussichten für Mozart! Bei solcher Begeisterung Karl Theodors konnte ihm ja eine ausgezeichnete Anstellung und Verwendung gar nicht entgehen. Schon sah er sich als Capellmeister neben seinem Freunde Cannabich angestellt; – schon schuf sein gewaltiger Geist in Gedanken Oper auf Oper; – schon führte er, in Seligkeit schwimmend, seine geliebte Constanze als Gattin heim!

Ach! die Jugend hat Platz für die grenzenlosesten Hoffnungen! Welche großherzigen Entschlüsse tragen wir in ihr der Zukunft auf der goldenen Opferschale eines guten Willens entgegen. Nichts fürchten wir dann auf unserem Argonautenzuge nach dem verlorenen Paradiese, – nicht einmal die wilden Stürme des Geschicks oder die Donnerschläge roher Gewalt! – Nichts fürchten wir! .... und doch .... wenige Jahre später .... und wie viele Herzen sind erstarrt in den Eisfeldern einer egoistischen Alltäglichkeit!

Aber an eine egoistische Alltäglichkeit dachte jetzt Mozart wirklich am wenigsten, – ja er kannte eine solche gar nicht! In der höchsten Blüthe seines Lebens stehend, bei ausgebreiteten Kenntnissen, glühender Liebe für seine Kunst, bei raschem Blut, leichtem Körper und über Alles mächtiger Jünglings-Phantasie trugen ihn die Adlerflügel seines Genius hoch über den Staub der Trivialität!

Mozart schwärmte in einer goldenen Zukunft ...... während Freund Lange – jetzt erklärter Bräutigam Aloysia's – auf Mozarts Zukunft und für dessen Rechnung Champagner trank.

So kam die Zeit der ersten Aufführung, des »Idomeneus« heran, die endlich, nach mehreren Verschiebungen, auf den 26. Januar festgesetzt wurde. Schöner und wunderbarer Zufall[192] .... es war dies der Tag vor Wolfgangs Geburtsfest! Und welche Freude sollte dabei dem Sohn und Bruder werden? – eine Stunde vor der Aufführung lagen Vater und Schwester in seinen Armen! –

»Du, mein Gott, das ist ja unerhört!« – sagte um dieselbe Zeit Graf Seinsheim, indem er sich zu dem Baron Lehrbach wandte, der eben neben ihn in seine Loge getreten war. – »Haben Sie jemals ein so volles Haus gesehen?«

»Nie!« – entgegnete der Angeredete – »nicht einmal als Ritter von Gluck seine Alceste und seine Iphigenie hier aufführen ließ.«

»Es ist noch eine Stunde bis zum Anfange,« – fuhr Seinsheim fort – »und doch ist kein Plätzchen im ganzen Hause mehr frei.«

»Frei?« – wiederholte Lehrbach. – »Haben Sie denn nicht gesehen, daß bereits Massen von Men schen abgewiesen werden?«

»Die Oper ist aber auch excellent!« – versetzte Graf Seinsheim. – »Nun wir haben es ja beide in den Proben gehört. Ich sah aber auch den Churfürsten noch niemals so enchantirt, wie von dieser Musik. Der junge Mozart steht in hoher Gunst bei ihm.«

»Da wird er wohl auch eine Anstellung hier finden?«

Seinsheim zuckte die Achseln; dann sagte er, zu Baron Lehrbach hingebogen, mit gedämpfter Stimme: – »Es fehlt wieder am Besten.«

»An Geld?«

»Wie immer.«

»Aber, mein Gott, warum schränkt man sich lieber nicht wo anders ein, und gewinnt dafür ein so eminentes Talent?«

»Sie haben gut reden! Wo soll man sich einschränken und wie

»Wo? ... bei der unsinnigen Hofhaltung. Und wie? ... indem man dieselbe vereinfacht und das überflüssige und unnütze Pack abschafft.«

»Ich wäre begierig, wo Sie, mein Charmantester, anfangen und aufhören wollten.«

»Was zum Teufel!« – sagte Baron Lehrbach – »braucht man denn 35 Leibärzte, Hofmedici und Leibchirurgen, wie sie unser Hofetat aufzählt? Ich bitte Sie! .... Mit [193] sechs hätte man auch genug, und von dem Gehalt der übrigen neunundzwanzig Faullenzer könnte man zehn Mozarts anstellen und glücklich machen.«

»Da haben Sie freilich recht!« – sagte Graf Seinsheim. – »Von all' den 35 Personnagen habe ich von jeher nur fünf activ gesehen. Die andern haben Titel und Gehalt und liegen auf der faulen Haut.«

»Und ein Mozart muß sich als Organist« in Salzburg abquälen und vertrauern. »Aber ich will Ihnen noch mehr sagen, bester Graf!« – rief Lehrbach eifrig, was er um so eher konnte, da die Hoflogen um ihn her noch leer waren und das erwartungsvolle Gesumme der im Opernhause anwesenden Menschenmasse ihn versicherte, daß seine Worte nicht von ungeweihten Ohren aufgefangen wurden.

»Ich will Ihnen noch mehr sagen: die Hofküche besteht aus folgenden 135 Personnagen: 15 Mundköche, 2 Mundköchinnen, 4 Bratenmeister, 12 Pastetenköche, 6 Mundgehülfen, 3 Mundgehülfinnen, 2 Hofköche, 1 Edelknabenbratenmeister, 4 Nebengehülfen, 3 Mundjungen, 5 Nebenseitenjungen, 4 Bratjungen, 2 Küchenportiers, 5 Küchenmänner, 5 Küchenweiber, 6 Küchenspülerinnen, 14 Küchenjungen, 1 Küchenjungen-Wäscherin, 8 Küchenwäsche-Verwahrerinnen, 13 Hofconditoreibäcker und 20 Privatkammer-Bedienstete.67 Macht zusammen 135 Menschen, von welchen dreiviertel total unnöthig sind!«

Graf Seinsheim wiegte bedenklich den Kopf hin und her. – »Wollen Sie, mein lieber theurer Baron, bei Churfürstlichen Gnaden auf eine Verringerung des Küchenetats dringen?« – frug er dann mit einem seinen spöttischen Lächeln.

»Gott soll mich bewahren!« – rief der Baron. – »Ich habe nie die Passion gehabt, für Andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen; auch ist das Küchen-Departement bei allen hohen Herrn das unantastbarste. Aber in die Seele schneidet es einem doch, wenn man sieht, daß hier an die erbärmlichsten, faulsten und unverschämtesten Menschen Tausende weggeworfen werden, während es an Geld gebricht, einen so viel versprechenden Mann, wie Mozart, anzustellen.«[194]

»Nun!« – sagte Graf Seinsheim – »mir ist es auch leid; denn ich schätze den jungen Maestro in der That sehr und prophezeie ihm Großes. Aber was können wir machen? Die Dinge sind einmal wie sie sind. Rütteln darf man an dergleichen Sachen schon aus Rücksichten für den Churfürsten nicht, der alle Einschränkungen und derartige Verbesserungspläne wie den Tod haßt, – – und außerdem ist der Mozart ein solches Genie, daß er sich doch durchhelfen wird!«

In diesem Augenblicke trat ein Greis, an der Seite eines hübschen, aber nicht mehr jungen Frauenzimmers, in das Orchester. Der junge Mozart folgte ihnen und setzte selbst zwei Stühle in die eine Ecke des für die Capelle bestimmten Raumes. Dann drückte er beiden mit Zärtlichkeit die Hand und verschwand ebenso unbemerkt von dem Publikum, wie er gekommen.

»Wer mag das sein?« – flüsterte Baron Lehrbach dem Grafen Seinsheim zu.

»Wie können Sie fragen?« – entgegnete der letztere. – – »Kennen Sie diese Züge nicht?«

»Bei Gott! es ist Mozarts Vater!«

»Und seine Schwester!« – sagte Seinsheim. – »Er hat mir gesagt, daß er beide erwarte.«

Jetzt fing die erste Logenreihe an, sich zu füllen. Herren und Damen in reichen Toiletten erschienen. Schöne, üppige Weiber mit weitausgeschnittenen Kleidern, Schultern und Busen fast ganz frei und nur der Jahreszeit wegen, hie und da mit leicht übergeworfenen, kostbaren Pelzen bedeckt, in Spitzen, Brillanten und sonstigem Schmuck, wie Fürstinnen prangend. Alle aber überstrahlte die sechzehnjährige Gräfin Törring-Seefeld, die damalige Geliebte Karl Theodors. Sie war schön, wie der junge Tag und reizend, wie Aphrodite, da sie dem Schaum des Meeres entstieg. Ihre Toilette war feenhaft und wurde durch einen Schmuck gekrönt, der 300,000 Gulden kostete, und ein Geschenk des Churfürsten war. Aber ihr huldigte auch, obgleich man ihr Verhältniß zum Churfürsten kannte, der ganze Adel, der, an solche Dinge gewöhnt, nur Neid, nicht Verachtung für ähnliche Verbindungen hatte. Saß doch an ihrer Seite der Premierminister und Oberhofmeister, der alte Graf von Seinsheim, und es war drollig zu sehen, wie die alterssteife Excellenz sich[195] bemühte, der allmächtigen Favoritin den Hof zu machen. Selbst den hochwürdigen Herrn Geheimen Rath und Canonicus Ignaz Frank, Exjesuit und Beichtvater des Churfürsten, konnte man im Hintergrunde der Törring-Seefeldschen Loge erkennen, von welchem Platz aus seine lüsternen Blicke mit Behagen die göttlich-schönen Formen der jungen Gräfin verschlangen. Auch die Baronesse Zedtwitz und die Gräfinnen Tattenbach, Königsfeld und Fugger-Zinnenberg strahlten in Jugend, Schönheit und Brillanten wie Sonnen, und um sie drehten sich, den Planeten gleich, die jungen, hübschen Barone Sturmfeder, Lerchenfeld, Hacke und die Grafen Waldkirch, Preyßing, Leone, und wie sie alle hießen, die Cavaliere und Löwen des Tages.

Aber wie auch im ersten Logenrange die Brillanten funkelten, die Uniformen und Staatsgewänder blitzten und leuchteten, die Damen coquettirten und sich nebst den Herren der Haute volée, durch lautes Sprechen bemerkbar zu machen suchten .... Niemand in dem ganzen übrigen Hause achtete heute auf sie. Da war nur ein Gedanke, der die Massen fast feierlich stimmte, und dieser Gedanke war: daß es doch etwas Großes um die heutige Musik sein müsse, die schon vor der Aufführung, durch bloße Gerüchte, als etwas ganz Eminentes galt. Man wartete mit der höchsten Spannung auf den Beginn des Stückes. Die Blicke durchbohrten fast den Vorhang und schon die stimmenden Instrumente brachten eine Todtenstille hervor.

In der einen Ecke des Orchesters aber saß still und schweigsam der alte, schlicht-gekleidete Mann, den der junge Mozart selbst eingeführt. Graue Haare schmückten sein Haupt, in seinen feinen, geistigen Zügen aber lag eine fast fieberhafte Spannung. Seine weit geöffneten Augen ruhten unbeweglich auf dem Vorhange, der die Bühne verhüllte, während die Hände, wie zum Gebet gefaltet, in seinem Schooße lagen. Und in der That, der alte Mann, dem das Herz bald vor Erwartung sprang, betete auch. Es war ein brünstiges Gebet des Vaters für den Sohn, das den Ewigen um einen glücklichen Verlauf dieses Abends anflehte.

Da ward es plötzlich in dem ganzen Hause rege: Volk und Adel erhoben sich, der Churfürst trat ein. Aber nur noch eine oder zwei Minuten des Geräusches beim Niedersetzen ..... dann .... Todtenstille rings umher.[196]

Jetzt fiel der Taktstock des Capellmeisters, und .... die Oper: »Idomeneo, Re di Creta,« von Wolfgang Amadeus Mozart begann.

Aber wie erfaßte gleich die Ouvertüre alle Herzen! Welcher bis dahin noch nie gehörte Reichthum der Instrumentation! Welch' feurige Tonfülle, in der sich unausgesetzt das Geräusch der Waffen und der Kampf der Elemente folgten, und dazwischen die frische Schönheit der anmuthigsten, sanftesten Melodien. Das war nicht ein künstlich zusammengedrechseltes Machwerk, .... das waren musikalische Gedanken! .... große gewaltige Gedanken, die den Inhalt des ganzen Stückes andeuteten, als ob riesige Nebelgestalten aus dem Grabe der Vergangenheit aufstiegen und groß und ernst in der Ferne vorüberzogen. Das waren Erinnerungen an Iliums Größe, Kampf und Fall, an Idomeneos Schmerz und Verzweiflung, ... das waren Ahnungen der furchtbaren Kämpfe der Elemente, der Waffen und der Leidenschaften, die in gewaltigen, prachtvollen, tief in die Seele greifenden Tongebilden – wie ein Spiegel der Wirklichkeit – jetzt an den lautlos staunenden Massen vorübergehen sollten.

Aber dem musikalischen Sturme folgt jetzt ein nicht minder gewaltiger Sturm des Beifalls, zu dem der Churfürst selbst durch ein lautes Bravorufen und in die Händeklatschen das Zeichen giebt.

Erst der aufrollende Vorhang gebietet ihm Schweigen.

Nach den Gebräuchen und Gewohnheiten der altenOpera seria, welche weder Introduction noch Finales kannte, fängt das Stück mit einem instrumentirten Recitativ an, auf welches eine Arie der Ilia folgt: Padre, Germani addio! G Minore 2/4. Andante con moto. Die Tochter des Priamus macht sich Vorwürfe über die Liebe, die sie für einen Griechen gefaßt hat. Ergreifende Declamation, angenehme Melodie, sorgfältige Begleitung, entsprechende Bässe voll Effect. Alles trägt das Gepräge einer sanften und ergebenen Melancholie, welche der lyrische Charakter der Darstellerin ist. Nichts ist veraltet, alles ist frisch, neu, hinreißend.

Da tritt Elektra auf: Ha! Welch' ein dramatisch-musikalischer Gegensatz zwischen ihr, der stolzen, eifersüchtigen und zornigen Tochter des Königs der Könige und der sanften, trojischen Sclavin. Welch' ein Bäumen und Toben der wildesten Leidenschaften in diesem leidenschaftlichen Herzen! Man hört,[197] wie die Schlangen der Eumeniden sich ausdehnen und zischend wieder in Knäuel zusammenrollen! Ein kalter Schauer des Entsetzens überläuft alle Zuhörer, die sich, willenlos auf ihren Sitzen zurücklehnen, als wollten sie fliehen vor diesem bezaubernd schönen .... aber entsetzlichen Weibe, dessen rasende Eifersucht keine Grenzen kennt. Hört nur, hört! ihre Stimme hält bei jedem Zwischensatze, wie in Folge einer convulsivischen Anstrengung inne, .... sie zittert vor Wuth, und die furchtbarste Eifersucht macht sich im hohen B Luft, das sich, mit einem außerordentlichen Effect, in der gleich darauf folgenden Wiederholung des Satzes, auf den Worten »vendetta e crudeltà« – (Rache und Grausamkeit) in H verwandelt. Alles bebt, Alles zittert .... auch der alte Mann in der Ecke des Orchesters, der, den Arm seiner Tochter mit seiner dürren, knöchernen Hand umspannend, den Oberkörper weit vorgelehnt, die Augen weit geöffnet, jeden Ton des Orchesters und der Vocalstimme gierig zu verschlingen scheint. Jetzt kommt das B, .... jetzt die Wiederholung des Satzes .... jetzt das H ..... Da flammen seine Augen hoch auf, Blässe überfliegt seine Züge .... aber es ist nicht die Blässe des Entsetzens, sondern jene einer übergroßen Freude, denn, mit vor Entzücken zitternder Stimme ruft er jetzt: »Victoria! Elektra hat Klytemnestra übertroffen!«

Und in der That: Elektra hat Klytemnestra übertroffen .... Mozart hat Gluck besiegt! Heil ihm, dem Könige der Töne!

Die Erregung, die diese Scene im Publikum hervorgerufen, war so gewaltig und so allgemein, daß das folgende Ritornell fast verloren ging. Wie die Wellen des sturmbewegten Meeres auf der Bühne, so bewegte es sich in Parterre und Logen; aber wie sich über jene – dem Sturme Stillschweigen gebietend – Neptun erhebt, so erhob sich jetzt in einem bewunderungswürdigen Chore Mozart über die Oberfläche seiner Zeit, um das Stillschweigen der Bewunderung den Musikfreunden und das der Verzweiflung seinen Nebenbuhlern zu bieten.

Es giebt wohl wenige Situationen auf der Bühne, die der nun folgenden Wiederkennung Idomeneo's und seines Sohnes Idamante zu vergleichen wären; der eine mit bestürzten Blicken das Opfer suchend, welches seinem gräulichen Gelübde fallen soll; der andere zur Hilfe der Schiffbrüchigen[198] herbeieilend und den ersten, welchem er begegnet, um Nachrichten von seinem Vater befragend. Agamemnon, Griechenlands Oberhaupt, ist – in Glucks »Iphigenie« – umgeben von dem Glanze des Thrones und des Oberbefehles, im Kampfe gegen die Götter, welche ihm gebieten, seine Tochter zu opfern, eine höchst tragische Gestalt; wie viel tragischer aber ist Mozarts Held »Idomeneo«, der, von dem besiegten Ilium heimkehrend, auf seinen heimathlichen Boden gleich einem Ueberreste seiner zerstörten Flotte und seiner todten Gefährten geworfen wird; .... der zehn Jahre des Unglücks über dem Gedanken an das Wiedersehen des Sohnes vergißt, den er auf dem Schooße der Mutter zurückgelassen hat .... und der diesen Sohn wieder findet, um .... dessen Mörder zu werden!

Wie mußte dies alles das Publikum erfassen und packen, und als mit dem majestätischen, glänzenden und feurigen Schlußchore des ersten Actes der Vorhang fiel, brach ein neuer schallender Applaus aus.

Der Greis im Orchester aber rieb sich vergnügt die Hände. Seine Augen blitzten vor Seligkeit. Sprechen aber konnte er nicht. Und nur einmal neigte er sich zu dem Ohre der Tochter und sagte, sich eine Thräne aus den Augen wischend: »Hätte doch deine gute Mutter diesen Abend noch erlebt!« Dann versank er in tiefes Sinnen; aber ein seliges Lächeln verklärte sein Antlitz. Er stand ja am Abende seines eigenen Lebens wie Moses auf Nebo's Höhen und schaute hinüber in das gelobte Land einer neuen musikalischen Welt .... in das gelobte Land .... das sein Sohn, sein lieber Sohn, der Menschheit zu erobern versprach.

Da rauschte zum zweitenmale der Vorhang in die Höhe.


Se il padre perdei

La patria, il riposo

Tu padre me sei,

Soggiorno amoroso

E Creta per me.


Ilia, deren Ketten Idamante gebrochen hat, bezeugt dem Könige ihre Dankbarkeit und läßt ihn das Geheimniß ihres Herzens errathen. O wie athmete diese entzückend schöne Melodie und der ebenso entzückende Ausdruck dieser, durch die Liebe selbst modulirten und durch die Grazien instrumentirten Cavatine, die Seligkeit, die Amadeus jetzt so oft an der Seite seiner geliebten Constanze durchzitterte.[199]

Und Constanze? Saß sie denn nicht auch in dem Hintergrunde einer Loge und sog mit Entzücken diese, ihr so wohlbekannte Sprache ein? An ihrer Seite, an ihrem Claviere sitzend, hatte ja der theure Freund diese Melodie gefunden, um durch sie – wie er ihr in's Ohr geflüstert – vor aller Welt laut und öffentlich zu bekennen: daß er sie liebe und anbete!

Aber schon sind auch diese Töne verklungen; ein schöner Marsch, den man hinter den Coulissen hört, führt das Publikum in den Hafen von Cydonia, wo Alles schon zur Abreise Elektra's und Idamante's bereit ist. Die Matrosen singen den entzückenden Chor: Placido è il maré: einen Chor, welcher den glücklichsten Contrast zwischen den vorhergehenden und folgenden Scenen bildet. Welcher Friede gegenüber den schmerzlichsten Gemüthsbewegungen! Ein glänzendes und tiefes Blau färbt diese klare Harmonie; Flöten und Clarinette tragen die frische Seeluft herüber, das Quartett deutet das leise Schwanken der Wogen an, und eingewiegt .... selig eingewiegt auf den Wogen dieser göttlichen Musik, tönt es in allen Herzen nach: Ruhig sind Meer und Winde!

Und der Vater? O! er war sich nicht mehr bewußt im Theater zu sein! Geschlossenen Auges schlürfen seine Ohren diese Töne ein: sie schaukeln ihn auf endlosem Ocean; – sie lispeln ihm zu: »Ruhig sind Meer und Winde!«

Und ruhig kannst auch du jetzt deine Augen schließen; denn was du durch dein ganzes Leben und unter tausend Stürmen angestrebt, .... du hast es erreicht: dein Wolfgang Amadeus ist der größte Meister aller Zeiten .... er ist .... ein König der Töne!

Auf einmal schweigt der Chor, denn ein Sirenengesang ist zu den Ohren der Matrosen gedrungen. Es ist Elektra's Stimme, die in einer köstlichen Melodie, in Tönen, noch einschmeichelnder als der Hauch des Zephyrs, noch balsamischer als Flora's Athem, um günstige Winde fleht. Und die gewaltige Willenskraft Elektra's verleiht ihr Herrschaft über die Elemente. Die Zephyre eilen herbei. Das ist ihr sanftes Murmeln, das in den Sexten-Accorden den Chor:placido è il mar! zurückführt! .... Ja, »Ruhig sind Meer und Winde!« .... aber donnernd ist der Jubel, der diesem Chore folgt. Und warum rückt der Alte im Orchester so unruhig hin und her, – warum ist auf einmal alles so[200] beweglich an ihm geworden .... Nannerl fragt ihn darum: »Ei zum Teufel!« – ruft er da aus – »weil ich den Blitzkerl von Amadeus umarmen und an mein altes Herz drücken möchte!«

Aber was ist das? warum stürmen die Violinen so plötzlich, warum stöhnen die Blasinstrumente in langgedehnten Seufzern? Warum dieser entsetzliche, furchtbare Schrei der Musik? Warum zerreißt die Querpfeife mit einem schrillen, durchdringenden Tone jetzt alle tonischen Massen? Warum dieser, von dem Orchester so großartig ausgeführte furchtbare Sturm, der die Grundfesten des ungeheuren Hauses zu erschüttern scheint? Warum dieser Aufschrei des Volkes: Quel nuovo terrore! Welch' neuer Schrecken! ....?

Neptun hat im Zorne mit seinem allgewaltigen Dreizack das Meer geschlagen, daß es sich wüthend aufbäumt bis zu den Wolken und auf seinen Wasserbergen schwimmt das von ihm gesandte Ungeheuer Creta's Küsten zu. Kalt, eiskalt überläuft es jeden Zuhörer, und der Churfürst ruft laut, daß es das ganze Haus hören kann:

»Welch' ein Effect! das ist unaussprechlich schön!«

Jetzt erklärt Idomeneo unter dem Krachen des Donners, in einem herrlich instrumentirten Recitative, daß er selbst der Schuldige sei. Er weiht sein Haupt den unterirdischen Mächten und beschwört Neptun, den Unschuldigen zu verschonen. Und bei diesen Worten ertönen die Pauken in dumpfen Schlägen. Idomeneo ist nicht das Opfer, welches die Götter verlangen. Irgend etwas Finsteres scheint vom Orchester her im Anzuge begriffen zu sein .... Etwas, was immer näher und näher kommt und gleich einem dunkeln auf den Flügeln des Sturmes getragenen Meteor immer größer wird.

Da sucht das Volk sein Heil in der Flucht. »Corriamo! Fuggiamo!« – »Fliehet! Fliehet!« schreit es auf. Aber nicht Alle vermögen gleich schnell zu entfliehen; ein Hagel von Triolen fällt auf die Fliehenden; Finsterniß umgiebt sie; der Sturm treibt sie in verschiedenen Richtungen auseinander; die Blitze blenden sie durch ihr Leuchten. Es rettet sich wer kann, Alles stäubt auseinander, und immer schwächer werden die Rufe »Corriamo! Fuggiamo!« bis siepianissimo und mit der Feierlichkeit einer Kirchencadenz enden und der Vorhang fällt.[201]

Aber diese Scene war so groß, so furchtbar, so erschütternd, daß sich Alles im Theater erhoben hatte. Es war, als wollte man mehr sehen, mehr hören und zugleich dem gewaltigen Genius Mozarts durch eine allgemeine Erhebung – wie sie bei dem Eintreten des Regenten üblich – huldigen. Selbst der Churfürst war aufgestanden und lehnte sich, sichtbar erschüttert, über die Brüstung der Loge. Der Greis in dem Orchester aber stand auch. Seine Kniee bebten, sein Herz schlug hörbar, seine Augen leuchteten und während dicke, dicke Thränen über seine gefurchten Wangen liefen, stammelte er, die Hände wie zum Segen ausstreckend:

»Unvergleichlich erhaben! Ehre, ewige Ehre, dir, mein Sohn!«

Und trotz dieses ungeheuren Erfolges steigerten sich die Schönheiten der Oper im dritten Acte dennoch von Scene zu Scene. Aber fand sich denn nicht auch in ihm – zum ersten Male seit die Welt steht – eine Musik, die nie aufhören wird, melodisch und classisch zu sein? eine pathetische Declamation, eine harmonische und contrapunktische Wissenschaft, die selbst Bach verwirrt hätte; Instrumental-Stimmen, so entworfen und combinirt, wie man sie nur in den schönsten Scenen Don Juans trifft, die musikalische Einheit und die dramatische Wahrheit, mit einem Worte die reine Musik in ihrer ganzen Freiheit, Pracht und Größe und die angewandte Kunst mit all ihrem Reize und ihrer unwiderstehlichen Gewalt vor?

Es ist nichts Vollkommneres in dieser Gattung je aus der Feder eines Componisten geflossen.68

Und so steigerte sich denn auch die Theilnahme des Publikums bis in das Unglaubliche. Die blutenden Seelen der handelnden Personen lagen ja offen aufgedeckt vor Aller Augen, Ohren und Herzen! Ilia's Liebe und Hingabe, Elektra's Wuth und Racheschrei, Idomeneo's Verzweiflung griffen in jedes Herz. Ihre Thränen flossen und die der Zuhörenden nicht minder.

Und als nun Idomeneo das verhängnißvolle Gelübde nicht länger mehr geheim halten kann, und er Idamante[202] nennt, – – – das Recitativ in schmerzvollem Gemurmel erstirbt, und, sobald die den Thränen geweihte Tonart eingetreten ist, das Volk in tiefer Bestürzung ruft: »O voto tremendo! Spettacolo orrendo!« – – – wie groß, wie ungeheuer groß erhob sich da wieder Mozarts allgewaltiger Genius!

Alles starrte! Alles staunte. Alles bebte bei diesem hinsterbenden Rhythmus, dieser – die Seele durchbohrenden Grabesharmonie, welche mit dem ganzen Gewichte eines unüberwindlichen Fatums auf der Seele aller Anwesenden lastete. Da erschallten, wie aus den Tiefen der Unterwelt, die durch Sordinen gedämpften Trompeten und die bedeckten Pauken, und es war, als wenn die Todtenglocke einer ganzen Nation ertöne – und die Schrecken eines mit dem Untergange ringenden Volkes erfaßten Alle!

Kein Auge war thränenleer, kein Herz ohne fieberischen Schlag, keine Seele ohne hohe Begeisterung und es bedurfte des sanften, glücklichen Schlusses der Oper und des göttlich-schönen Schlußchores: »Scenda Amor, scenda Imeneo,«69 um die allzuaufgeregten Gemüther nur einigermaßen wieder zu beruhigen. Einen Beifallssturm aber, wie er nun erfolgte, hatte Münchens Opernhaus noch nicht erlebt, er tobte fort und wollte nicht enden und donnernd trug der Jubelruf von vielen Tausenden den Namen »Mozart« in die Lüfte.70

In der Orchesterecke aber saß ein alter, bleicher, vor Freude zitternder Mann. Er regte sich nicht, als der Sturm des Beifalls tobte; – er blieb unbeweglich, als die Menge unter lauten begeisterten Gesprächen das Haus in dichten Schaaren verließ; – er saß schweigend, als die Räume schon leer waren. Als aber die Strahlen der letzten erlöschenden Lichter in das Orchester fielen, erleuchteten sie matt und gespenstisch eine reizende Gruppe: Auf den Knieen vor seinem alten Vater lag der große Meister des »Ido meneo« Wolfgang Amadeus Mozart, und der Vater hielt ihn selig umschlossen und küßte ihn auf die Stirne – und beide schwiegen und weinten vor Erregung und Freude; und zu beiden Seiten standen, wie Genien aus einer besseren Welt, Nannerl, Wolfgangs Schwester und Constanze Weber.[203]

Auch ihre Augen waren feucht von Thränen der Freude und des Entzückens. Constanze aber drückte leise einen Kranz auf Mozarts Haupt und lispelte erröthend:

»Dem Könige der Töne!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 191-204.
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