*262. [an L. Hagenauer in Salzburg]

[255] Paris 16. May 1766.


Monsieur!


Sie werden sich unfehlbar ganz erstaunlich Verwundern, daß sie so lange Zeit von mir keinen Brief erhalten haben. Ich würde sie auch nicht ohne einige Nachricht von unsern Umständen gelassen haben; Wenn ich nicht Versichert wäre, daß sie nun wenigst zweymahl durch Herrn Kulmann aus Amsterdam von uns Nachricht werden erhalten haben. Daß ich ihnen und meinen Freunden keine so genaue Beschreibung von Holland bisher gemacht habe, als ich sonst von Franckreich und Engelland zu thun gewohnet war, war die Kranckheit meiner Kinder die einzige Ursache. Wir sind von Amsterdam zu dem Fest des Prinzen von Oranien (so den 11ten Merz war, und einige Zeit dauerte) wieder nach dem Haag gegangen; wo man unsern kleinen Compositeur ersuchte 6. Sonaten für das Clavier mit dem Accompagnement einer Violin für die Schwester des Prinzen, nämlich für diePrinceße von Nassau Weilburg zu Verfertigen, die auch gleich graviert worden. Über dieß muste er zumConcert des Prinzen etwas machen, auch für die Prinseße Arien componiren etc. Welches bey unserer An kunft alles wird zum Vorscheine kommen. Den HerrnKulmann habe gebetten eine kleine Küste an sie nach Salzburg zu schicken. So bald selbe ankommt, bitte solche zu eröffnen, und alda das kleine breitte Paquet zu suchen, darauf Musica stehet, welches nicht Versiegelt ist. Darinne [255] werden sie 2. Exemplarien von den im Haag gravirten Sonaten finden; davon nehmen sie eine sammt der dazu gehörigen Violin Stimme, und lassen sowohl die Clavier Theil, als die Violin theil besonders einbinden, und alsdann Sr Hochfürstlichen Gnaden xx in unserem Nahmen unterthänigst presentieren. Es sind noch zweyerley Variationen auch in dem nämlichen Paquet, die der Wolfgangl: über eine Arie (die zur Majorennitet und Installation des Prinzen1 gemacht worden) hat Verfertigen müssen: und die er über eine andere Melodie, die in Holland durchaus von jedermann gesungen, geblasen und gepfiffen wird, in der Geschwindigkeit hingeschrieben. – – Es sind Kleinigkeiten! Wollen sie von iedem ein Stück beylegen; so mag es der Seltenheit willen geschehen. Ich werde die Ehre haben ihnen meine Violin Schule in Holländischer Sprache vorzulegen. Dieß Buech haben die Hl: Hl: Holländer in dem nämlichen format in meinem Angesicht in das Holländische übersetzt dem Printzen dedicirt und zu seinem Installations-Fest presentirt. Die Edition ist ungemein schön, und noch schöner als meine eigene. Der Verleger (der Buchdrucker in harlem) kamm mit einer Ehrfurchtsvollen Mine zu mir und überreichte mir das Buch in Begleitung des Organisten, der unseren Wolfgangl: einlude auf der so berühmten grossenOrgel in Harlem zu spillen, welches auch den Morgen darauf von 10. bis 11. Uhr geschache. Es ist ein trefflich schönes Werck von 68. Register. NB: alles zünn, dann Holz dauert nicht in diesen feuchten Land.

Es würde zu weitläufig seyn unsere Reise aus Holland über Amsterdam, Utrecht, Rotterdam, über die Maas, denn über einen Arm von Meer bey der Mordyck, nach Antwerpen, zu beschreiben. Noch unmöglicher wäre den ietzigen betrübten Stand der ehemals grösten Handels Statt Antwerpen zu beschreiben, und die Ursachen davon anzuführen; Wir werden seiner Zeit mündlich davon sprechen. Wir giengen über Mecheln, wo wir unsern alten bekannten den dasigen Titl: Herrn Erzbischofen2 besuchten, nach Brüssel: wo wir nur einen Tag ausruheten und von da um 9. Uhr Morgens mit [256] der Post abgiengen, und um halb 8. Uhr Abends in Valenciennes anlangten. [...]

Mein liebster Herr Hagenauer! wir haben einen Salzburger in Amsterdam angetroffen, welcher wegen gewissen Umständen calvinisch geworden. Ich wünschte nichts mehrers, als ihn wieder auf einen bessern weg zu bringen. Ich gab mir alle Mühe. das zog mich wieder nach Amsterdam. das hielt mich länger in Holland auf. [...] Sie sind ganz verwundert über diesen meinem Caracteur sonst ganz und gar nicht ähnlichen Vortrag! nicht wahr? Allein, denken sie doch, ich komme Schnurgerad aus Holland! Man nimmt von jedem Lande etwas mit: und in Holland lernet man nichts bessers, als eigennützig zu seyn. [...] Daß wir nun aber nicht gerade zu aufsitzen, und schnurgerade nach Salzburg fahren können, ist leicht zu begreiffen. Es würde meinen Kindern, und meinem Geld Beutel zu beschwerlich fallen. Es wird mancher noch etwas zu dieser Reise bezahlen, der ietzt noch nichts davon weis. [...]

Fußnoten

1 Wilhelm V.


2 J.H. Graf von Frankenberg.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 257.
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