Friedrich Schlichtegroll

Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb Mozart

1793

Wem, der jemahls bey den Harmonien dieses großen Tonkünstlers sich bald in süße Empfindung verloren gefühlt, bald den unerschöpflichen Reichthum seiner Ideen bewundert hat, und die Gewalt, mit der er das Gebiethe seiner Kunst in ihrem weiten Umfange beherrschte, wem also von allen Kennern und Freunden der Musik muß es nicht willkommen seyn, etwas von der merkwürdigen Lebensgeschichte dieses früh entwickelten, großen und originellen Genies zu hören! Wer von allen diesen wird es nicht denjenigen seiner Freunde, die seit frühen Jahren Zeugen seines bewunderungswürdigen Talents und des unerhört schnellen Ganges der Entwickelung desselben waren, recht warm und innig danken, daß sie den Freunden der süßesten unter allen Künsten das Vergnügen nicht haben vorenthalten wollen, den Zauberer, der ihnen so manche frohe Stunde verschönert, so manche trübe erheitert hat, in der Geschichte seiner Kindheit und Jugend, die leider! auch zum größten Theil die Geschichte seines ganzen Lebens ist, näher kennen zu lernen?

Der Mensch mit wunderähnlichen Gaben und Fertigkeiten von der Natur beschenkt, ist selten ein allgemeines Muster zur Nachahmung für Andere. So wie seine Vollkommenheiten uns übrigen unerreichbar sind, so können auch seine Fehler nicht zu unserer Entschuldigung gereichen. Um sich brauchbare Regeln für das praktische Leben als Mensch im Allgemeinen abzuziehen, und durch Aufmerksamkeit auf Beyspiele sich dem erreichbaren Grade der Ausbildung unserer Natur zu nähern, müssen wir nicht jene seltnen Menschen zum Muster auswählen, sondern vielmehr Geister von mittlern Gaben, die aber diese Anlagen gleichförmig und vorsichtig ausgebildet haben, und denen wir es gleich zu thun hoffen dürfen.

Aber unbeschreiblich schätzbar und wichtig bleibt ungeachtet dessen dennoch das Andenken jener Menschen mit seltnen Kräften und Anlagen zu einzelnen Fertigkeiten. Sie sind Phänomene, die man anstaunt, und deren treue Abbildungen der Forscher der Menschennatur als unschätzbare Kabinetsstücke ansieht, zu denen er oft zurückkehrt, um an ihnen den unbegrenzten Umfang des menschlichen Geistes zu bewundern. Zu ihnen gehört Mozart, ein Wunder von Anlagen und von früher Entwickelung derselben; man würde das, was von ihm erzählt wird, kaum glauben können, wenn er nicht unser Zeitgenosse gewesen wäre, und wenn diese Erstaunen-erregenden Züge nicht von so vielen Menschen bestätigt würden.

Der genaue Zusammenhang, der zwischen den Schicksalen Mozarts mit denen seines Vaters statt findet, erfordert eine Erwähnung des letzteren. Leopold Mozart war eines Buchbinders Sohn aus Augsburg, studirte aber in Salzburg und kam 1743 als Hofmusikus in die fürstliche Kapelle. Im Jahre 1762 wurde er Vice-Capellmeister; er beschäfftigte sich neben seinem Dienst am Hof und in der Metropolitan-Kirche mit Unterweisung auf der Violine und mit Componiren. Er gab 1756 den »Versuch einer gründlichen Violin-Schule« heraus, die im Jahre 1770 die zweyte Auflage erlebte. Er war mit Anna Maria Pertlinn verheirathet, und es ist ein Umstand, der für den genauen Beobachter nicht ohne Bedeutung seyn kann, zu wissen, daß diese Aeltern des, für die Harmonien so ausgezeichnet glücklich organisirten, Künstlers zu ihrer Zeit für das schönste Ehepaar in Salzburg galten.

Von sieben Kindern aus dieser Ehe, war ihnen nur eine Tochter Maria Anna und dieser Sohn (geb. zu Salzburg den 27. Jan. 1756) am Leben geblieben; der Vater gab [7] daher die Unterweisung auf der Violin und das Componiren ganz auf, um alle von seinem Dienste freye Zeit auf die musikalische Erziehung dieser zwey Kinder zu wenden. Die Tochter, die älter als der Sohn war, entsprach der väterlichen Unterweisung so gut, daß sie in der Folge bey den Reisen der Familie die Bewunderung, die man dem Sohn zollte, durch ihre Geschicklichkeit theilte. Sie ist jetzt an einen fürstlichen Rath im Salzburgischen verheirathet, wo sie in Anspruchsloser Stille ganz den schönen Pflichten der Gattinn und Mutter lebt. In den letzten Jahren ihres ledigen Standes, die sie im väterlichen Hause zubrachte, gab sie einigen jungen Frauenzimmern der Stadt Salzburg Unterricht im Klavierspielen, und noch jetzt findet man die geschickten Schülerinnen der Nannette Mozart durch Nettigkeit, Präcision und wahre Applicatur, aus allen übrigen heraus. Als der Vater seine siebenjährige Tochter auf dem Klaviere zu unterweisen anfing, war der Sohn Mozart etwa drey Jahr alt. Der Knabe zeigte schon da sein außerordentliches Talent. Er unterhielt sich oft lange beym Klavier mit Zusammensuchen der Terzen, die er dann immer anstimmte, und sei Freude darüber bezeigte, diese Harmonie aufgefunden zu haben.

Im vierten Jahre seines Alters fing sein Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuets und andere Stücke auf dem Klaviere zu lehren, eine Sache, die dem Lehrer ebenso leicht und angenehm wurde, als dem Lehrling. Zu einer Menuet brauchte er eine halbe Stunde, zu einem größeren Stück eine Stunde, um es zu lernen, und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Tacte zu spielen. Von nun an machte er solche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke componirte, die er seinem Vater vorspielte, und ihn aufschreiben ließ.

Vor der Zeit, ehe er die Musik kannte, war er seinem lebhaften Temperamente nach für jede Kinderey, wenn sie nur mit einem Bischen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Überall zeigte sich ein liebendes, zärtliches Gefühl in ihm, so daß er die Personen, die sich mit ihm abgaben oft zehn Mahl an einem Tage fragte, ob sie ihn lieb hätten? und wenn man es ihm im Scherze verneinte, er sogleich die hellen Zähren im Auge zeigte. Aber von der Zeit an, wo er mit der Musik bekannt wurde, verlor er allen Geschmack an gewöhnlichen Spielen und Zerstreuungen der Kindheit, und wenn ihm ja noch diese Zeitvertreibe gefallen sollten, so mußten sie mit Musik begleitet seyn. Wann z.B. er und ein gewisser Freund vom Hause, der sich viel mit ihm abgab, Spielzeug von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemahl derjenige von beyden, der leer ging, einen Marsch dazu singen oder auf der Geige spielen.

Er war in diesen Jahren überaus gelehrig, und was ihm sein Vater nur immer vorschrieb, das trieb er eine Zeitlang mit dem größten Eifer, sodaß er darüber alles andere, selbst die Musik auf einige Zeit zu vergessen schien. Als er z.B. rechnen lernte, waren Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden mit Kreide voll Ziffern geschrieben. Er war im ganzen voll Feuer und hing jedem Gegenstande sehr leicht an; er würde daher in Gefahr gewesen seyn, auf schädliche Abwege zu gerathen, wenn ihn nicht seine treffliche Erziehung dafür geschützt hätte. Aber unter allen war es doch die Musik, von der seine Seele voll war, und mit der er sich unablässig beschäfftigte. Mit Riesenschritten ging er darin vorwärts, so daß selbst sein Vater, der doch täglich um [8] ihn war und jede Stufe der Fortbildung bemerken konnte, oft davon überrascht und darüber in ein Erstaunen, wie über ein Wunder, gesetzt wurde.

Ein Zug mag zum Beweis hiervon dienen, von einem Augenzeugen auf folgende Weise erzählt: Als sein Vater aus der Kirche mit einem Freund nach Hause zurück kam, trafen sie den kleinen Wolfgang mit der Feder beschäfftigt an. Was machst du denn da? wurde er vom Vater gefragt.

Wolfgang: Ein Concert für das Clavier. Der erste Theil ist bald fertig.

Der Vater: Laß sehen. Das muß was Sauberes seyn.

Wolfgang: Nein, es ist noch nicht fertig.

Der Vater nahm es ihm weg, und zeigte seinem Freunde ein Geschreibe von Noten, die man kaum lesen konnte, indem sie größten Theils auf ausgewischte Tintenflecke hingeschrieben waren; denn der Kleine hatte alle Mahl mit der Feder bis auf den Grund des Tintenfasses getaucht, und so mußte der Feder immer ein Fleck entfallen, den er dann mit der flachen Hand auswischte, und immer wieder darauf fortschrieb. Beyde Freunde lachten anfangs über diesen Galimathias von Noten. Als aber der Vater die Composition selbst mit Aufmerksamkeit betrachtete, blieb sein Blick lange starr auf das Blatt geheftet, bis endlich helle Thränen, Thränen der Bewunderung und Freude, seinem Auge entfielen. »Sehen Sie, Freund«, sagte er mit Rührung und Lächeln, »wie alles richtig und nach der Regel gesetzt ist; nur kann man es nicht brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre.« – »Dafür«, fiel hier der kleine Wolfgang ein, »ist es auch ein Concert; man muß so lange exerciren, bis man es herausbringt. Sehen Sie, so muß es gehen.« Er fing nun an zu spielen, konnte aber auch nur so viel herausbringen, daß man sah, welches seine Ideen gewesen waren. Denn er hatte sich damahls den Begriff gebildet, daß Concertspielen und Mirakelwirken einerley seyn müsse; darum nun war sein Aufsatz ein Gewirr von zwar größten Theils richtig, aber so schwer zusammen gesetzten Noten, daß es selbst jedem Meister unmöglich war, sie zu spielen.

Er war nun schon so weit in der Kunst gekommen, daß es Unrecht von seinem Vater gewesen wäre, wenn er nicht auch andere Städte und Länder zu Zeugen dieses außergewöhnlichen Talentes hätte machen wollen. Im sechsten Jahre seines Alters that daher sein Vater mit der ganzen Familie, die aus ihm, seiner Frau, der Tochter und dem Sohne bestand, die erste Reise nach München, wo sich die beyden Kinder bey dem Kurfürsten hören ließen, und mit Lob und Beyfall überhäuft wurden. Als sie nach Salzburg zurückgekehrt waren, und beyde Kinder jeden Tag vollkommener auf dem Klaviere wurden, so ging die gesammte Familie im Herbst des Jahres 1762 nach Wien, wo die beyden kleinen Virtuosen dem kaiserlichen Hofe vorgestellt wurden. Kaiser Franz sagte unter andern im Scherz zu seinem Sohne, »es sey keine Kunst, mit allen Fingern zu spielen; aber nur mit Einem Finger, und auf einem verdeckten Klaviere zu spielen, das würde erst Bewunderung verdienen.« Anstatt durch diese unerwartete Zumuthung betroffen zu werden, spielte der Kleine sogleich mit Einem Finger so nett, als es möglich ist; ließ sich auch die Klaviatur bedecken, und spielte dann mit einer solchen bewunderungswürdigen Fertigkeit, als wenn er es schon lange geübt hätte. – Das Lob der Großen machte schon als Kind keinen solchen Eindruck auf ihn, um darauf stolz zu werden. Schon in den damahligen Jahren spielte er nichts als Tändeleyen, wenn er sich vor Personen mußte hören lassen, die nichts von Musik [9] verstanden. Hingegen war er allezeit ganz Feuer und Aufmerksamkeit, wenn Kenner zugegen waren, und deshalb mußte man ihn oft hintergehen, und seine vornehmen Zuhörer für Kunstverständige ausgeben. Als sich der sechsjährige Knabe beym Kaiser Franz an das Klavier setzte, sagte er zu dem Kaiser: »Ist Herr Wagenseil nicht hier? der soll herkommen; der versteht es.« Der Kaiser ließ darauf Wagenseil zum Klavier treten, zu dem nun der kleine Mozart sagte: »Ich spiele ein Concert von Ihnen; Sie müssen mir umwenden.«

Er hatte bis jetzt blos das Klavier gespielt, und es schien, als wenn man bey der beyspiellosen Fertigkeit, mit der er für sein Alter dies Instrument behandelte, an einen Knaben keine Forderung, auch andere Instrumente zu spielen, wagen dürfe. Aber der Geist der Harmonien, der in seiner Seele wohnte, kam allen Erwartungen und allem Unterrichte bey weitem zuvor. Er hatte aus Wien eine kleine Geige mitgebracht, die er dort geschenkt bekommen hatte. Kurz darauf, als die Familie wieder nach Salzburg zurückgekehrt war, kam Wenzl, ein geschickter Geiger und ein Anfänger in der Composition, zu dem Vater Mozart, und bath sich dessen Erinnerungen über sechs Trios aus, die er während der Abwesenheit der Mozartischen Familie gesetzt hatte. Schachtner, ein noch lebender Hoftrompeter in Salzburg, den der kleine Mozart besonders liebte, war eben gegenwärtig. »Der Vater«, so erzählt dieser glaubwürdige Augenzeuge, »spielte mit der Viola den Baß, Wenzl die erste Violine, und ich sollte die zweyte spielen. Der kleine Wolfgang bath, daß er doch die zweyte Violine spielen dürfe. Aber der Vater verwies ihm seine kindische Bitte, weil er noch keine ordentliche Anweisung auf der Violine gehabt hätte, und daher unmöglich etwas Gutes vorbringen könnte. Der Kleine erwiederte, daß, um die zweyte Violine zu spielen, man es ja wohl nicht erst gelernt zu haben brauche; aber sein Vater hieß ihn halb in Unwillen fortgehen, und uns nicht weiter zu stören. Der Knabe fing bitterlich zu weinen an, und lief mit seiner kleinen Geige davon. Ich bath, man möchte ihn doch mit mir spielen lassen. Endlich willigte der Vater ein, und sagte zu Wolfgang: ›Nun, so geige nur mit Herrn Schachtner, aber so stille, daß man dich nicht hört; sonst mußt du gleich fort.‹ Wir spielten und der kleine Mozart geigte mit mir. Aber bald merkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz übrig sey. Ich legte still meine Geige weg, und sah den Vater dazu an, dem bey dieser Scene Thränen der gerührten und bewundernden Zärtlichkeit aus dem väterlichen Auge über die Wangen rollten. Wolfgang spielte so alle sechs Trios durch. Nach Endigung derselben wurde er durch unsern Beyfall so kühn, daß er behauptete, auch die erste Violine spielen zu können. Wir machten zum Scherz einen Versuch, und mußten herzlich lachen, als er auch diese, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmäßigen Applikaturen spielte; doch aber wenigstens so, daß er nie ganz stecken blieb.« – Immer mehr zeigte es sich nun, daß sein Ohr ganz für die Musik gebaut war. Mit leisem Gefühle bemerkte er die feinsten Unterschiede der Töne; und jeder Mißklang, ja sogar jeder rauhe, durch Zusammenstimmung nicht gemilderte Ton, spannte ihn unwillkührlich auf die Folter. So hatte er in dieser Periode der Kindheit und fast bis in sein zehntes Jahr eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein ohne andere Musik geblasen wurde. Sein Vater wollte ihm diese kindische Furcht benehmen, und befahl einmahl, daß man ihm, Trotz seiner Vorbitten, entgegen blasen mußte. Aber gleich beym ersten Ton wurde er bleich und sank zur Erde, und wäre in Verzuckungen gefallen, wenn man nicht inne gehalten hätte. Um diese Zeit spielte er auf Schachtners Geige, dieses schon erwähnten, noch lebenden [10] Freundes vom Mozartischen Hause; er lobte sie sehr wegen ihres sanften Tones, weßwegen er sie auch immer nur die Buttergeige nannte. Einige Tage darauf traf jener den kleinen Mozart an, als er sich eben auf seiner eignen Geige unterhielt. Was macht ihre Buttergeige? fragte er ihn sogleich, und fuhr dann in seiner Phantasie fort. Endlich dachte er eine kleine Weile nach, und sagte dann zu Schachtner: »Wenn Sie ihre Geige doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letzte Mahl darauf spielte; sie ist um einen halben Viertelton tiefer als meine da.« Man lachte über diese genaue Angabe; aber der Vater, der schon mehrere Proben von dem außerordentlichen Tongefühl und Gedächtniß dieses Kindes hatte, ließ die Geige hohlen, und zum allgemeinen Erstaunen traf seine Angabe ein. Ungeachtet er täglich neue Beweise von dem Erstaunen und der Bewunderung der Menschen über seine große Anlage und Geschicklichkeit erhielt, so machte ihn das durchaus nicht selbstsüchtig oder stolz, sondern er war ein überaus folgsames und gefälliges Kind. Niemahls bezeigte er sich unzufrieden mit einem Befehle seines Vaters; und wenn er sich schon den ganzen Tag hatte hören lassen müssen, so spielte er doch noch jedem ohne Unwillen vor, so bald es sein Vater wollte. Jeden Wink seiner Aeltern verstand und befolgte er, und er trieb die Anhänglichkeit an sie so weit, daß er sich nicht getraute, ohne Erlaubniß derselben auch nur das geringste zu essen oder anzunehmen, wenn ihm jemand etwas anboth.

Im Junius des Jahres 1763, also im siebenten Jahre des Knaben, machte die Mozartische Familie die erste große Reise außer Deutschland, wodurch nun der Ruhm des frühen Künstlers sich allgemein verbreitete. Sie gingen nach München, wo der junge Mozart ein Concert auf der Violine beym Kurfürsten spielte, und schon dazu aus dem Kopfe präambulierte. In Augsburg, Manheim, Mainz, Frankfurt a. Main, Koblenz, Cöln, Aachen und Brüssel gaben sie entweder musikalische Akademien für das Publicum, oder spielten bey den verschiedenen Fürsten und Großen mit ausgezeichnetem Beyfalle.

Im November kamen sie in Paris an, wo sie sich 21 Wochen aufhielten. Sie ließen sich vor der königlichen Familie in Versailles hören, auch spielte der Sohn in der dortigen Capelle vor dem ganzen Hofe die Orgel. Für das Publicum gaben sie zwey große Akademien in einem Privatsaale. Sie fanden hier, wie leicht zu erwarten war, sehr ihre Welt; gleich nach ihrer Ankunft wurde der Vater und die beyden Kinder in Kupfer gestochen, und überall sehr ehrenvoll behandelt. Hier war es auch, wo Wolfgang Mozart seine beyden ersten Werke verfertigte und bekannt machte. Das erste dedicirte er Madame Victoire, der zweyten Tochter des Königs; das andere der Gräfinn Tessé. Beyde Stücke sind in Paris gestochen. Er war damahls sieben Jahre alt.

Den 10. April 1764 reißten sie über Calais nach England, wo sie sich bis in die Mitte des folgenden Jahres aufhielten. Schon am 27sten desselben Monats ließen sich die Kinder vor den beyden Majestäten hören; eben so im folgenden Monat, wo der Sohn auch die Orgel des Königs spielte. Alle schätzten sein Orgelspiel weit höher, als sein Klavierspiel. Sie gaben nun ein Benefit oder eine große Musik zu ihrem Vortheile, wobey alle Symphonien von der Composition des Sohnes waren. Nach einem sehr gefährlichen Halsweh, das den Vater an den Rand des Grabes brachte, und das er [11] in Chelsea überstand, kehrten sie nach London zurück, und spielten wieder vor der königlichen Familie und dem vornehmsten Adel.

Es läßt sich denken, daß die Kinder, und vorzüglich der Sohn, unter dem reichen Beyfalle, den sie in den größten Hauptstädten Europens von allen Seiten einernteten, nicht bloß auf der nun erreichten Stufe stehen blieben, sondern sich noch immer fort bildeten. So spielten jetzte beyde Kinder überall Concerts auf zwey Klavieren; auch sang der Sohn Arien mit größter Empfindung. In Paris sowohl, als in London, legte man dem Sohne verschiedene schwere Stücke von Bach, Händel, Paradies und von anderen Meistern vor, die er nicht nur vom Blatt spielte, sondern sie auch sogleich in dem angemessenen Tacte und mit aller Nettigkeit vortrug. Als er beym Könige spielte, nahm er eine bloße Baßstimme, und spielte eine vortreffliche Melodie darüber. Joh. Christian Bach, der Lehrmeister der Königinn, nahm den kleinen Mozart zwischen die Knie und spielte einige Tacte, dann fuhr Mozart fort, und so immer abwechselnd, spielten sie eine ganze Sonate mit einer solchen Präcision, daß jeder, der ihnen nicht zusah, glauben mußte, das Stück würde nur von Einem gespielt. Während dieses Aufenthaltes in England, und folglich im achten Jahre seines Alters, componirte er sechs Sonaten, die er in London stechen ließ und alle der Königinn widmete.

Im Julius 1765 fuhren sie wieder nach Calais über, und reißten durch Flandern, wo Wolfgang oft die Orgeln der Klosterkirchen und Kathedralen spielte. Im Haag hatten beyde Kinder nach einander tödtliche Krankheiten zu überstehen. Erst nach vier Monathen erhohlten sie sich, und dann war die erste Arbeit des Sohnes, daß er sechs Sonaten für das Klavier setzte und stechen ließ, mit einer Zuschrift an die Prinzessin von Nassau-Weilburg. Zu Anfang des Jahres 1766 brachten sie vier Wochen in Amsterdam zu, und reißten dann zum Installationsfest des Prinzen von Oranien wieder in den Haag. Der Sohn setzte für diese Festlichkeit ein Quodlibet für alle Instrumente, nebst verschiedenen Variationen, und auch einigen Arien für die Prinzessinn. Nachdem sie öfters beym Erbstatthalter gespielt hasten [!], reißten sie wieder nach Paris, blieben dort zwey Monathe, während welcher Zeit sie zwey Mahl in Versailles waren, gingen über Lion durch die Schweiz, und verweilten bey dem Fürste von Fürstenberg in Donaueschingen. In München sang der Kurfürst dem Sohn Mozart ein Thema vor, um es sogleich auszuführen und zu Papier zu setzen. Er that es in Gegenwart des Kurfürsten, ohne dazu ein Klavier oder eine Geige zu gebrauchen. Als er damit fertig war, spielte er es, und wurde dafür mit dem Erstaunen und der Bewunderung des Kurfürsten und aller Anwesenden belohnt. Endlich kamen sie nach einer Abwesenheit von länger als drey Jahren zu Ende des Monathes November 1766 wieder in Salzburg an. Sie blieben nun bis in den Herbst des folgenden Jahres in Salzburg, und Wolfgang Mozart schritt durch beständiges Studium immer dem Ziele der Vollkommenheit näher, das er so bald erreichte. Im Jahr 1768 spielten die Kinder in Wien vor Kaiser Joseph, der dem jungen Mozart auftrug, eine Opera buffa zu setzen. Sie hieß La finta semplice, erhielt den Beyfall des Capellmeisters Hasse und Metastasio's, wurde aber nachher nicht aufgeführt. Bey den Capellmeistern Bono und Hasse, bey dem Dichter Metastasio, dem Herzog von Braganza, Fürsten Kaunitz und anderen, ließ der Vater immer die erste beste Italienische Arie aufschlagen, und der Sohn setzte in Gegenwart dieser Personen die Musik mit allen Instrumenten dazu. Zur Einweihung der [12] Waisenhauskirche hatte er das Amt, das Offertorium und ein Trompeten-Concert gesetzt, und dirigirte als zwölfjähriger Knabe diese feyerliche Musik in Gegenwart des kaiserlichen Hofes.

Das Jahr 1769 brachten sie wieder in Salzburg zu, bis der Vater im December mit dem Sohne allein, der aber vorher noch Concert-Meister beym Salzburgischen Hof-Orchester wurde, eine Reise nach Italien antrat. In Inspruck gaben sie eine Akademie beym Grafen Künigl, wo Mozart ein Concert prima vista spielte. Hatte er schon in den anderen Ländern so viele Bewunderung erregt, so kann man leicht denken, wie sehr seine Erscheinung in Italien willkommen war, wo ja die Musik wie in ihrem eignen Boden gedeiht, und die Kunst darin unter die ersten Verdienste gezählt wird. In Mayland erntete er großen Beyfall im Firmianischen Hause ein, und componirte auch verschiedenes. Nachdem er nun hier die Scrittura zur ersten Oper für das Carneval 1771 erhalten hatte, reißten sie im März 1770 weiter. In Bologna fand Mozart einen enthusiastischen Bewunderer an dem Pater Maestro Martini, einem großen Contrapunctisten. Dieser war, nebst den andern Capellmeistern ganz außer sich, als ihm der junge Mozart über jeden Fugen-Thema, das Martini ihm hinschrieb, die dazu gehörige Risposta nach dem Rigore modi angab, und die Fuge augenblicklich auf dem Klaviere ausführte. Auch in Florenz vermehrte das die Bewunderung, daß der dortige Musikdirector, Marchese Ligneville, ebenfalls ein starker Contrapunctist, dem jungen Künstler die schwersten Fugen und Themata vorlegte, die dieser sogleich vom Blatte spielte. – Mozart Vater und Sohn kamen zu Rom in der Charwoche an. Mittwochs Nachmittags gingen sie sogleich in die Sixtinische Capelle, um das berühmte Miserere zu hören. Da es, der allgemeinen Sage nach, den päbstlichen Musikern unter Strafe der Excommunication verboten ist, diese Musik abcopiren zu lassen: so nahm sich Wolfgang Mozart vor, recht genau darauf zu hören, und sie zu Hause aufzuschreiben. Er that es, und hielt darauf sein Manuskript im Hute, als dieses Miserere am Charfreytage wieder gegeben wurde, wodurch er noch Verbesserungen in seinem Aufsatze machen konnte. Dies wurde bald in Rom bekannt, und erregte allgemeines Aufsehen. Er mußte es in einer Akademie zum Klavier singen, wobey der Castrat Christofori zugegen war, der es in der Capelle gesungen hatte, und durch sein Erstaunen Mozarts Triumph vollkommen machte. – Als er in Neapel in dem Conservatorio alla pietà spielte, fielen seine Zuhörer auf den Gedanken, in seinem Ringe stecke die Zauberey; er zog daher den Ring ab, und nun war erst die Verwunderung recht groß. Er gab hier noch eine große Akademie beym kaiserlichen Gesandten, dem Grafen Kaunitz, und kehrte nach Rom zurück. Hier verlangte ihn nun auch der Pabst zu sehen, und gab ihm dann das Kreuz und Breve als »Militae auratae eques«. In Bologna wurde er mit einstimmiger Wahl als Mitglied und Maestro der »Academia filarmonica« aufgenommen. Man schloß ihn deßhalb ganz allein ein, und gab ihm eine Antiphona vierstimmig zu setzen. Er war in einer halben Stunde damit fertig, und erhielt darauf das Diplom. Sie eilten nun, um nach Mayland zurück zu kommen, weil der Sohn sich einmahl zur Composition der dortigen ersten Carneval-Opera verbindlich gemacht hatte. Wäre das nicht gewesen, so hätte er die Scrittura zur ersten Oper auch in Bologna, Neapel oder Rom erhalten können. Zu Ende des Oktobers 1770 kamen sie in Mayland an. Hier componirte der Sohn in seinem vierzehnten Jahre die Opera seria, Mitridate, die zuerst am 26sten December, und dann mehr als zwanzig Mahl nach einander aufgeführt wurde. Auf den allgemeinen Beyfall, den [13] diese Arbeit erhielt, kann man auch noch daraus schließen, daß die Impresa ihm sogleich den schriftlichen Accord auf die erste Oper für das Jahr 1773 gab. Die letzten Tage des Carnevals brachten sie nun noch in Venedig zu; in Verona überreichte man ihm ebenfalls das Diplom als Mitglied von der filarmonischen Gesellschaft; und so verließ er endlich Italien, wo man ihn allenthalben mit ausgezeichneter Ehre begegnet war und ihm den Nahmen »il Cavaliere filarmonico« beigelegt hatte.

Als Mozart mit seinem Vater im März 1771 wieder in Salzburg eintraf, fand er einen Brief der Grafen Firmian in Mayland, der ihm im Nahmen der Kaiserinn Maria Theresia auftrug, die große theatralische Serenata zur Vermählung des Erzherzogs Ferdinand zu schreiben. Da die Kaiserinn den ältesten unter allen Capellmeistern, den berühmten Hasse, zur Composition der Oper bestimmt hatte, so wählte sie den jüngsten unter allen für die Serenata, Ascanio in Alba, aus. Er übernahm dieß Geschäfte, reißte im August mit dem Vater wieder auf einige Monathe nach Mayland, wo während den Vermählungsfeyerlichkeiten immer mit der Opera und der Serenata abgewechselt wurde.

Zur Wahl des neuen Erzbischofs in Salzburg setzte er im Jahr 1772 die Serenate: »Il Sogno die Scipione«, brachte darauf den Winter mit dem Vater in Mayland zu, wo er die übernommene Opera seria, Lucio Silla, für das Carneval 1773 schrieb, das 26 Mahl nach einander aufgeführt wurde. Im Frühjahr des Jahres 1773 war er wieder in Salzburg. Einige Reisen, die er in diesem und folgendem Jahre nach Wien und München mit seinem Vater machte, gaben Gelegenheit zur Verfertigung mehrerer vortreflichen Musiken, als einer Opera buffa, La finta Giardiniera, zwey großer Messen für die Münchner Hof-Capelle u.s.w. Im Jahr 1775 hielt sich der Erzherzog Maximilian in Salzburg auf, bey welcher Gelegenheit Mozart eine Serenata, Il Re Pastore, setzte.

Je außerordentlicher das angeborene Talent und die schnelle Entwicklung dieses großen Künstlers war, desto mehr werden die Leser die gewissenhafte Genauigkeit rechtfertigen, mit welcher hier die stufenweise Ausbildung desselben erzählt ist. Von jetzt an dürfen wir kürzer seyn. – Nun hatte er den Gipfel seiner Kunst erreicht und nun war sein Ruhm durch alle Länder von Europa verbreitet. Welche der größeren Städte er jetzt auch wählen mochte, um in ihr seine seltnen Talente der Unterhaltung des Publicums zu widmen, so war er einer allgemeinen Bewunderung gewiß. Indeß schien doch der große Marktplatz aller ausgezeichneten Talente in den schönen Künsten, das damahlige Paris, der schicklichste Ort für ihn, da er dort schon bekannt war, dort schon ein von ihm begeistertes Publicum vorfand. Er reißte deßwegen im September 1777 mit seiner Mutter nach dieser sonstigen Hauptstadt des Europäischen Luxus. Es würde sehr zu seinem Vortheile gewesen seyn, wenn er in Paris geblieben wäre; aber er fand wenig Geschmack an der Französischen Musik. Als nun im folgenden Jahre seine Mutter, die ihn dieses Mahl allein aus der Familie begleitet hatte, in Paris starb, kehrte er, nachdem er eine Symphonie für das Concert spirituel, nebst einigen andern Stücken daselbst verfertigt hatte, zu Anfang des Jahres 1779 mit Freuden wieder zu seinem Vater zurück. Im November des nächsten Jahres schrieb er in München eine Opera seria für das folgende Carneval, und reißte von da aus nach Wien, wohin ihn sein Fürst, der Erzbischof von Salzburg, der sich eben dort aufhielt, berufen hatte. Seit dieser Zeit, also seit seinem 24sten Jahre, lebte er in Wien, und [14] trat in kaiserliche Dienste. Er erfüllte die großen Erwartungen, zu denen seine bewunderungswürdigen und früh entwickelten Gaben das ganze musikalische Publicum berechtigt hatten auf eine vollkommen befriedigende Art, und ward, um mit wenig Worten alles zu sagen, der Lieblingscomponist seines Zeitalters.

Die verschiedenen Werke Mozarts hier einzeln anzuführen, wäre zu weitläuftig und selbst überflüßig; denn wer sollte seine Sonaten und Concerte für das Klavier, seine Symphonien und Quartetten nicht kennen, und in wessen Liebhabers Händen wären sie nicht? Einen gleichen Beyfall erwarben ihm seine Opern, deren er mehrere in Wien verfertigte, und darunter die Zauberflöte besonders einen so vorzüglichen und allgemeinen Beyfall erhielt, daß sie binnen zwölf Monaten hundert Mahl vorgestellt wurde. Schon im Jahr 1785 sagte der große Joseph Haydn zu Mozarts Vater, als dieser eben in Wien war: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten Componisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört habe; er hat Geschmack und er besitzt die gründlichste Kenntniß in der Kunst der Composition.« Dieses Urtheil eines vor allen dazu berufenen und geeigneten Richters hat eine neue Bestätigung erhalten in der Todtenmesse oder dem sogenannten Requiem, welches Mozart in seinen letzten Tagen setzte, aber nicht ganz vollenden konnte. Das Feyerlich-Pathetische des Ausdruckes, das man darin mit dem höchsten Grade der Kunst auf die zweckmäßigste Art vereinigt findet, hat bey der zu dem Vortheil der Witwe und Kinder veranstalteten Aufführung alle Herzen gerührt, und sich aller Kenner Bewunderung erworben.

Das war Mozart, der Tonkünstler. Kein Forscher der menschlichen Natur wird sich aber wundern, wenn ein großer Künstler, dem man von dieser Seite die allgemeinste Bewunderung zollte, nicht gleich groß in den übrigen Verhältnissen des Lebens erscheint. Mozart zeichnete sich durch keine besonders einnehmende Körperbildung aus, so schön auch, wie schon erwähnt ist, seine Aeltern in ihrer Jugend waren, und so vielen Einfluß dieses auch immer auf die glückliche Organisation des Sohnes gehabt haben mag. Er war klein, hager und blaß, und verrieth nichts außerordentliches in seiner Physiognomie. Sein Körper war in beständiger Bewegung; immer mußte er mit den Händen oder Füßen etwas zu spielen haben. Das Billard liebt er leidenschaftlich und hatte sogar gewöhnlich eins auf seiner Stube, auf welchem er sich allein vor sich zu unterhalten pflegte. Selbst sein Gesicht blieb sich nicht gleich, sondern verrieth immer den äußern Zustand seiner Seele, in welcher die unteren Fähigkeiten, durch deren eine, die Phantasie, er der bezaubernde Künstler wurde, der er war, ganz deutlich über die obern Kräfte das Übergewicht hatten.

Denn so wie dieser seltne Mensch früh schon in seiner Kunst Mann wurde, so blieb er hingegen – dieß muß die Unpartheylichkeit von ihm sagen – fast in allen übrigen Verhältnissen beständig Kind. Er lernte nie sich selbst regiren; für häusliche Ordnung, für gehörigen Gebrauch des Geldes, für Mäßigung und vernünftige Wahl im Genuß hatte er keinen Sinn. Immer bedurfte er eines Führers, eines Vormundes, der an seiner Statt die häuslichen Angelegenheiten besorgte, da sein eigener Geist beständig mit einer Menge ganz anderer Vorstellungen beschäfftigt war, und dadurch überhaupt alle Empfänglichkeit für andere ernsthafte Überlegung verlor. Sein Vater kannte diese Schwäche, sich selbst zu regiren, sehr wohl in ihm, und gab daher, als ihn sein [15] eigner Dienst in Salzburg fesselte, dem Sohne die Mutter zur Begleiterin nach Paris mit. In Wien verheirathete er sich mit Constanza Weber, und fand in ihr eine gute Mutter von zwey mit ihr erzeugten Kindern, und eine würdige Gattinn, die ihn noch von manchen Thorheiten und Ausschweifungen abzuhalten suchte. So beträchtlich sein Einkommen war, so hinterließ er doch, bey seiner überwiegenden Sinnlichkeit und häuslichen Unordnung, den Seinigen weiter nichts als den Ruhm seines Nahmens, und die Aufmerksamkeit eines großen Publicums auf sie, das die Schuld für die süßen Freuden der Mozartischen Muse auch den Erben noch mit Dankbarkeit abzutragen suchte. Aber dieser immer zerstreute, immer tändelnde Mensch schien ein ganz anderes, ein höheres Wesen zu werden, sobald er sich an das Klavier setzte. Dann spannte sich sein Geist, und seine Aufmerksamkeit richtete sich ungetheilt auf den Einen Gegenstand, für den er geboren war, auf die Harmonien der Töne. Auch bey der vollständigsten Musik hörte er den kleinsten Mißton, und sagte zugleich mit treffender Genauigkeit, auf welchem Instrumente der Fehler gemacht worden sey und welcher Ton es eigentlich hätte seyn sollen. Selbst seine Hände hatten eine so feste Richtung für das Klavier, daß er selten und nur mit äußerster Mühe und Furcht im Stande war, sich bey Tische das Fleisch zu schneiden; gewöhnlich bath er seine Frau um diese Gefälligkeit. Über das allerkleinste Geräusch bey der Musik gerieth der sonst so sanfte Mann in den lebhaftesten Unwillen.

Die Musik machte das Hauptgeschäft seines Lebens und zugleich seine angenehmste Erhohlung aus. Nie, auch in seiner frühesten Jugend nicht, brauchte man ihn zum Spielen anzuhalten; vielmehr mußte man zu verhüten suchen, daß er sich darüber nicht vergaß und seiner Gesundheit schadete. Von seiner Kindheit an spielte er am liebsten bey der Nacht; wenn er sich Abends um 9 Uhr vor das Klavier setzte, so brachte man ihn sicher vor Mitternacht nicht wieder davon weg, und auch dann mußte man ihn noch halb zwingen; sonst würde er die ganze Nacht fort phantasirt haben. Früh von 6 oder 7 Uhr an bis 10 Uhr componirte er, und zwar mehrentheils im Bette; dann setzte er den ganzen Tag nichts mehr, ausgenommen, wenn noch etwas besonders Dringendes zu verfertigen war. So glänzend seine Laufbahn war, so kurz war sie auch. Kaum war er 36 Jahr alt, als er starb. Aber er hat sich in dieser kurzen Zeit einen Nahmen gemacht, der nicht untergehen wird, so lange noch Ein Tempel der Muse der Tonkunst stehen wird, und oft noch wird von gefühlvollen Seelen, sanft bewegt durch den Reichthum und die Schönheit seiner Harmonien, seinem Andenken ein begeistertes und dankbares Lob gewidmet werden.

Quelle:
Friedrich Schlichtegroll: Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb Mozart. Leipzig 1942, S. 7-16.
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Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

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