Der Übersetzer an den Verfasser.

[23] Verehrter und lieber Freund!


Sie haben die Übergabe Ihres Beethoven-Manuskriptes an mich mit einer ausführlichen, mir wie sicherlich Ihren künftigen Lesern sehr willkommenen Zuschrift begleitet und sich in derselben über die Ausdehnung Ihrer Untersuchungen, das Ziel Ihrer Arbeit, die Bestimmungsgründe des jetzigen Erscheinens in deutscher Sprache und die Art meiner Mitwirkung zu diesem Zwecke in deutlicher Weise ausgesprochen. Die Freiheit, welche Sie mir bei der Behandlung des überlieferten Stoffes gewähren, sowie der Umstand, daß ich in Folge neuer Aufschlüsse vielfach über die Thätigkeit des bloßen Übersetzens hinausgehen mußte, werden es Ihnen erwünscht machen, daß ich mich nach Vollendung dieses ersten Bandes in gleicher Weise über mein Verfahren Ihnen gegenüber ausspreche. Sie werden daraus entscheiden können, ob ich überall in Ihrem Sinne gearbeitet habe.

Gewiß erinnern Sie sich des lebhaften Interesses, mit welchem ich, als wir uns zuerst kennen lernten, die Mittheilungen aus Ihren Untersuchungen über Beethovens Leben ergriff, und des dringenden, auch gegen Sie öfter geäußerten Verlangens, die Resultate derselben endlich veröffentlicht zu sehen. Als Sie uns bei Ihrer letzten Anwesenheit am Rheine (Ende 1864) die fertigen Aushängebogen Ihres chronologischen Verzeichnisses und zugleich die neuen Ergebnisse Ihrer Düsseldorfer Nachforschungen mittheilten, schien die Hoffnung auf das Erscheinen ganz nahe gerückt; mancherlei Amtsgeschäfte, und namentlich der Umstand, daß Sie Ihr Werk zuerst deutsch erscheinen lassen wollten, schien noch eine zeitweilige Verzögerung herbeizuführen. Zu dem letzteren Zwecke nahmen Sie, während der erste Band seiner Vollendung entgegenging, meine Mitwirkung in Anspruch. Es war nicht eine getreue wörtliche Übersetzung, die Sie dabei im Auge hatten; Sie übergaben mir Ihr Manuskript als Stoff, bei dessen Bearbeitung ich den Geschmack und das Bedürfnis des deutschen Publikums zu Rathe ziehen dürfe. Die Andeutung von möglichen Ergänzungen Ihrer Mittheilungen ließen eine noch weiter gehende Selbständigkeit meiner Thätigkeit erwarten. Diese Betrachtung, dabei das Interesse des Gegenstandes und die Freude, Ihre Resultate allmählich kennen lernen und andern vermitteln zu können, überwog bei [23] mir die möglichen Bedenken; ich wollte mich dem Zutrauen, welches Sie in mich setzten, um so weniger entziehen, als ich nach der Herausgabe Ihres Beethoven selbst so oft und so ungeduldig verlangt hatte.

Ich war noch nicht lange mit der Arbeit beschäftigt, als ich bemerkte, daß die vielen beigegebenen und einzuordnenden Dokumente sehr ungenau von dem Copisten abgeschrieben seien, und, wie Sie auch selbst vermutheten, eine nachträgliche Vergleichung derselben mit den Originalen unerläßlich sei. Zu diesem Zwecke sagte mir Herr Archivar Dr. Harleß in Düsseldorf auf meine Bitte seine Unterstützung freundlich zu und korrigirte auch bald darauf die ihm von mir übersandten ersten Aktenstücke. Nicht lange nachher war es mir möglich, selbst einige Tage in Düsseldorf zuzubringen und die Vergleichung der übrigen Abschriften vorzunehmen. Hier nahm ich denn Gelegenheit, soweit es die Zeit mir erlaubte, die sämmtlichen auf Bonner Musik bezüglichen Papiere noch einmal durchzusehen. Da sich bei Ihnen der Plan einer ausführlichen Darstellung der Bonner Musik vor Beethoven erst allmählich und nach Ihrem Düsseldorfer Aufenthalte gebildet hatte, so konnte es nicht fehlen, daß ich Ihren Angaben Verschiedenes hinzufügen konnte. Abgesehen von kleinen Verbesserungen in Namen und Zahlen konnte ich die Reihe der Musiker wesentlich ergänzen, einige kleine Aktenstücke von Interesse beifügen und so die Geschichte der »100 Jahre Bonner Musik« einer gewissen Vollständigkeit näher bringen; zugleich boten mir meine dort gemachten Notizen manchen Stoff zur Erläuterung der später zu nennenden Fischerschen Mittheilungen. Ich glaubte im voraus vermuthen zu dürfen, daß Sie der nachträglichen Einfügung der neugewonnenen Notizen Ihre Zustimmung geben würden. Man konnte freilich fürchten, daß manchem Leser die Vermehrung eines ohnehin etwas trockenen Materials nicht erwünscht sein möchte; doch mußte ich bei näherer Erwägung diese Rücksicht fahren lassen. Die Absicht, einen nach bequemer Unterhaltung verlangenden Leserkreis zu befriedigen, und die, eine gründliche und sichere Kenntnis von Thatsachen und Zuständen zu vermitteln, beides kann der Natur der Sache nach nicht immer zusammen gehen; ich wußte aber, daß Ihre Absicht, daß die Arbeit vieler Jahre von Ihnen vornehmlich auf das letztere gerichtet war. Solche Darstellungen aber, wie die in unserem ersten Buche gegebenen, haben erst durch eine gewisse Vollständigkeit einen Werth: die einzelne Thatsache ist hier leicht unerheblich, die Kenntnis eines ganzen Complexes und einer zusammenhängenden Entwickelung aber wichtig. Daher bedarf für den einsichtigen Kenner diese ganze Vorbereitung [24] Ihrer Biographie durchaus keiner Entschuldigung; wer bedenkt, welche Bedeutung im vorigen Jahrhundert die kleinen deutschen Höfe für die Entwickelung des Theaters und der Musik hatten, eben die Zeit, in welcher sich die Entwickelung und Blüthe unserer deutschen Instrumentalmusik vollzog, der wird eine genaue Kenntnis desjenigen unter diesen Instituten, aus dessen Traditionen und Anschauungen unser größter Tondichter hervorging, sicher nicht für überflüssig halten. – Ich muß hier noch einmal der zuvorkommenden Freundlichkeit Erwähnung thun, mit welcher mir Herr Dr. Harleß bei der oben erwähnten Arbeit fortwährend zur Hand ging; auch später ertheilte er mir noch verschiedene Male auf briefliche Anfragen über einzelne Punkte erwünschte Auskunft. Auch erfuhr ich von ihm, was Sie vielleicht ebenfalls schon wissen, daß keineswegs die gesammten Kurkölnischen Akten sich bis jetzt in Düsseldorf befinden, sondern daß ein Theil derselben wahrscheinlich in dem bisher kaum zugänglichen Darmstädter Ministerialarchiv aufbewahrt wird, ein anderer aber sich noch in Arnsberg befinden soll, von wo die von uns durchsuchten Papiere erst 1861 nach Düsseldorf gekommen sind. Demnach wäre unter günstigen Verhältnissen für späterhin eine noch weitere Vollständigkeit zu erzielen1.

Sie sprechen den Wunsch aus, ich möchte meine Zusätze bezeichnen und mir so mein Recht auf dieselben wahren. Ich bitte Sie aber zu bedenken, welche Verwirrung und Buntheit daraus entstanden wäre, wenn vollkommen gleichartige Notizen in der Weise getheilt worden wären, daß einige im Texte, andere unter dem Texte gestanden hätten, oder daß im Texte immer eine Zahl derselben mit einem besondern Zeichen wäre versehen worden. Mir ist hier die persönliche Rücksicht, daß mir mein Eigenthum gewahrt bleibe, fremd, und es scheint mir genügend, wenn Sie und ich wissen, was von Ihnen und von mir ist, wenn nur für beides die gleiche Gewähr in Anspruch genommen werden kann. Dies darf aber geschehen, sofern Sie in die Genauigkeit meiner Angaben Zutrauen setzen, und daß Sie dieses thun, haben Sie mir ja schon ausgesprochen. [25] Ob freilich die Form, in welcher ich meine Zusätze eingereiht habe, überall Ihre Zustimmung hat, darüber werde ich jetzt erst, da Sie dieselben gedruckt vor sich sehen, Ihr Urtheil vernehmen können. Es kamen nun außerdem noch einzelne Fälle vor, in denen es mir möglich war, in anderer Weise und aus anderen Quellen Ihre Angaben in Kürze zu erläutern; das habe ich denn unter Voraussetzung ihrer Zustimmung in Form von »Anmerkungen des Übersetzers« unter dem Texte gethan. So durchsuchte ich z.B. noch einmal aufmerksam die alten Protokolle der 1787 gestifteten Bonner Lesegesellschaft, an der verschiedene der Hofmusiker betheiligt waren; doch mit Ausnahme von zwei Daten war für Beethoven und seine Familie daraus nichts Wesentliches mehr zu lernen. Eine Durchsicht der mir zugänglichen alten Bonner Anzeigen und Intelligenzblätter belehrte mich bald, daß in dergleichen Quellen Ihre Sorgsamkeit so gut wie nichts zu thun übrig gelassen hatte.

Außer diesen kleinen Zusätzen habe ich noch über drei längere eigene Zuthaten mich auszusprechen, welche ihres Umfanges wegen in den Anhang (VI bis VIII) kommen mußten. Es erschien mir wünschenswerth und auch möglich, die Beschreibung der Lokalitäten, an die Beethovens Thätigkeit in Bonn geknüpft war, namentlich des kurfürstlichen Schlosses in seinem damaligen Zustande, noch etwas eingehender zu geben. Da nun wider Erwarten ältere Pläne, Zeichnungen und Beschreibungen nicht mehr zu erlangen waren, so versuchte ich aus Schilderungen älterer Bonner, die ich aus gedruckten Beschreibungen erläutern konnte, eine Anschauung der wichtigsten Lokalitäten, namentlich des Theaters, zu gewinnen. Herr Hofrath Oppenhoff, der die kurfürstliche Zeit noch gesehen hat und sich auch Beethovens als eines immer in sich gekehrten jungen Mannes, sowie der traurigen Verhältnisse der ihm benachbart wohnenden Familie deutlich erinnert, sowie mein verehrter Kollege Dr. Kneisel gaben mir auf meine dahin zielenden Fragen dankenswerthe Auskunft.

Kenntnis und Benutzung der Fischerschen Mittheilungen verdanke ich Herrn Oberbürgermeister Kaufmann in Bonn; ich habe dieselben im Anhang VII mitgetheilt und mich daselbst über die Natur und Bedeutung dieser neuen Quelle auszusprechen versucht. Eine Einverleibung der Resultate derselben in Ihren abgeschlossenen Text erschien mir bei der eigenthümlichen Natur dieser Erzählungen, welche mich zu oft genöthigt hätte, mit meinem eigenen Urtheil hervorzutreten, nicht mehr geeignet. Aber gerade über diese Quelle und ihre Behandlung durch mich wäre ich am meisten gespannt, Ihr Urtheil zu hören.

[26] Die Zusammenstellung der Zeitungsverhandlungen über Beethovens Geburtshaus aus den Jahren 1838 und 1845, welche ich im Anhang VIII gegeben habe und worin noch manche kleine urkundliche Notiz enthalten ist, wird auch, hoffe ich, den Band nicht allzu sehr belasten.

Im übrigen habe ich mich natürlich bestrebt, nur als der sorgfältige und getreue Interpret Ihrer Mittheilungen zu handeln; ich hoffe, daß Sie Ihre darauf bezügliche Bitte werden erfüllt finden. Von der Freiheit, die Sie mir in Betreff der Dokumente im ersten Buche gewähren, habe ich nur beschränkten Gebrauch gemacht. Freilich habe ich, aufrichtig gestanden, nicht selten die Neigung verspürt, Partieen, in denen der urkundliche Charakter, wie ich meinte, zu stark hervortrat, dem Leser etwas mundgerechter zu machen; in der Regel aber mußte ich mir sagen: es war Ihre Arbeit, Ihre Eigenthümlichkeit sprach sich in der Behandlung überall aus; Ihr Streben nach möglichst klarem und einfachem Hervortreten des Thatsächlichen und genau Festgestellten, nach Mittheilung der Wahrheit ohne viel äußeren Schmuck der Rede bildete so sehr den Grundcharakter Ihres Buches, daß ich Bedenken tragen mußte, denselben durch Einmischung einer vielleicht abweichenden Weise zu stören. Ich habe von den vollständig beigegebenen Urkunden nur wenige weggelassen und ihren Inhalt kurz angegeben; einige derselben, die nur Verzeichnisse von Personen oder Ausgaben enthielten, habe ich in den Anhang gesetzt; die übrigen sind Ihrem anfänglichen Plane gemäß dem Texte einverleibt worden. Die beiden Dokumente von 1784 (S. 146 fg.2) habe ich so zusammengestellt, daß man sie zugleich übersieht.

Auch die zahlreichen wörtlichen Anführungen aus früher gedruckten Quellen habe ich im ganzen so eingefügt, wie es in Ihrem Manuskripte angedeutet war. Ich gestehe gern, daß ich auch hier manchmal geneigt gewesen wäre, an Stelle der fremden Darstellung die eigene zu setzen; aber das hätte dann doch die Ihrige sein müssen, und gerade Sie wünschten in diesen Fällen Beibehaltung des Ausdruckes der Quellen, um der Gefahr, in Irrthümer zu fallen, nicht so leicht ausgesetzt zu sein. Ich kann freilich, aufrichtig gesagt, diese Gefahr für so groß nicht ansehen, wofern die Quellen deutlich reden; aber es stimmte wieder ganz mit der Anlage Ihres Werkes überein, auch hier die Beweisstücke selbst zu geben; und viele der benutzten Quellen sind zudem der Art, daß bei ihrer seltenen Zugänglichkeit wörtliche Mittheilungen aus denselben von besonderem Interesse sein müssen. Dazu rechne ich z.B. die Musikalische Correspondenz, [27] Cramers Magazin, Reichards Theaterkalender, die Bonner dramaturgischen Nachrichten u.a., während auch die Mittheilungen aus Wegelers Notizen bei dem völlig quellenartigen Charakter derselben erwünscht sein werden; in den letzteren habe ich mir freilich kleine Kürzungen erlaubt. Ich war in der Lage, weitaus die meisten hieher gehörigen, auch selteneren Schriften selbst einsehen, copiren oder für die Korrektur vergleichen zu können; hierbei war mir Professor O. Jahns Bibliothek von wesentlichem Nutzen. Es ist gewiß in Ihrem Sinne, wenn ich bei dieser Gelegenheit des großen Interesses dankend Erwähnung thue, welches der verehrte Mann an dieser Arbeit fortwährend genommen hat, und welches sich in manchen dankenswerthen Winken über die Behandlung einzelner Punkte, sowie in der Mittheilung verschiedener werthvoller Beiträge aus seinen eigenen Sammlungen äußerte.

Ihre Eintheilung nach Kapiteln habe ich unverändert gelassen; ich habe derselben eine Eintheilung nach Büchern übergeordnet, worin die wichtigsten Zeitabschnitte von Beethovens Leben zusammengefaßt wurden. Da das zweite Buch in natürlicher Weise mit der Abreise von Bonn schließen mußte, für das dritte mir dann aber keine Grenze geeigneter schien, wie das Jahr 1800, die Entstehungszeit der Quartette und der ersten Symphonie, so ist in Folge Ihres Entschlusses, den Band mit 1795 zu schließen, das Mißverhältnis eingetreten, daß derselbe mitten im dritten Buche schließt. Leider war dasselbe nicht mehr zu heben; doch denke ich, daß man keinen zu großen Anstoß daran nehmen wird, wenn eine auf inneren Gesichtspunkten gegründete Periodeneintheilung unabhängig neben dem leicht in äußeren Veranlassungen begründeten Umfange der einzelnen Bände hergeht.

Sie gestatten mir, mit Rücksicht auf den deutschen Leser hier und da zuzusetzen oder wegzulassen; auch dies, namentlich das letztere, habe ich mir nur in beschränkter Weise erlaubt. Ich habe hauptsächlich in den Abschnitten, in denen Sie zum besseren Verständnisse die allgemeinen historischen und politischen Beziehungen der Zeit behandeln, manches gekürzt, was mir in dieser Rücksicht zu ausführlich schien. So werden Sie z.B. die Charakteristik des Kurfürsten Max Franz um vieles kürzer finden, wie sie von Ihnen geschrieben ist; ich hoffe, das Gesammtbild des Mannes wird darunter nicht gelitten haben. Anderes einzeln anzuführen, ist für den Leser unerheblich; Sie selbst werden es schon finden. Im ganzen glaube ich Ihre Gedanken deutlich und bestimmt wiedergegeben zu haben; einen strengen Anschluß an Ihre Worte haben Sie nicht [28] verlangt, und es mag sein, daß ich zuweilen in der Wahl eines Ausdrucks, oder in Zusetzung und Weglassung eines Satzes, wo der Sinn klar und unverändert blieb, meinem Geschmacke gefolgt bin.

Dagegen war ich natürlich in keiner Weise berechtigt, in Fällen, wo ich von Ihrer Ansicht abweichen zu dürfen glaubte, meinem Urtheile zu folgen, oder auch nur meine Abweichung auszusprechen; ich wäre ja dann über die Thätigkeit des Interpreten hinausgegangen. Es wäre auch wohl gewagt, Ihren auf langer Untersuchung und Überlegung beruhenden Angaben einen vielleicht nur momentanen Zweifel entgegenzusetzen; von kleinen Einzelnheiten, in denen die Ansichten divergiren können, abgesehen, wird an dem großen Ganzen Ihrer Mittheilungen nicht wohl zu rütteln sein. Es ist daher auch hier wohl nicht der Ort, in Bezug auf solche Einzelnheiten Fragen an Sie zu richten, über welche eine mündliche Unterhaltung vielleicht rasch uns beide ins Klare setzen würde. Glauben Sie z.B. nicht, daß die Zeit von Beethovens erster Wiener Reise (1787) etwas früher zu setzen wäre? Mir scheint wenigstens die Zeit sehr kurz, wenn er erst nach dem 30. Juni 1787 aus Wien reiste, sich unterwegs in Augsburg aufhielt, mehrere Briefe seines Vaters erhielt und doch seine Mutter, die am 17. Juli starb, noch lebend antraf (S. 1643). Auch möchte ich bei der Frage nach Beethovens Bonner Kompositionen, für welche Sie S. 231 fg. so viel wichtiges Material bringen, glauben, daß die Betrachtung des Stils derselben vielleicht noch bestimmtere Hinweisungen ergeben würde; obgleich ich mir denken kann, daß Sie durch die abenteuerlichen Versuche Früherer, mit einem angenommenen System von Stilperioden bei Beethoven zu rechnen, an diesem ganzen Verfahren irre geworden sind.

Doch überhaupt fühle ich eine Art Beschämung darüber, daß ich es unternommen, so ausführlich zu Ihnen, lieber Freund, von meinen hinzukommenden und nicht sehr ausgedehnten Bemühungen zu reden bei einem Werke, in welches Sie die reiche und mühsame Forschung vieler Jahre niedergelegt haben. Ich breche daher hier ab, und spreche nur noch einmal meine Freude darüber gegen Sie aus, daß unser freundschaftliches Verhältnis mir die Gelegenheit verschafft hat, die Kenntnis Ihrer Resultate unserem Publikum zu vermitteln. Denn ich glaube bestimmt voraussehen zu können, daß trotz der vielfachen und immer wieder vermehrten Bücher über Beethoven der besonnen prüfende Theil der Leser den reichen Gewinn würdigen wird, der ihm hier in der Kenntnis der Lebensverhältnisse unseres größten deutschen Komponisten geboten wird. [29] Daß dieser Gewinn ein so deutlicher und entschiedener ist, dazu sehe ich auch in der bewußten Konzentrirung der Aufgabe, die Sie sich gestellt haben, einen wirksamen und wichtigen Grund. Indem Sie uns den Menschen Beethoven der Wahrheit gemäß und nach umfassender Erforschung aller zugänglichen Quellen vor Augen führen wollen, thun Sie das, was frühere Biographen zwar auch nicht umgehen konnten, aber, indem dieselben von den Aufgaben historischer Untersuchung keine genügende Vorstellung hatten, nur halb und ungenügend ausgeführt haben. Sie wollen die Würdigung des Komponisten, also auch die Darstellung seiner Entwickelung, denen überlassen, welche dafür mehr Geschmack haben, und meinen außerdem, der Komponist sei durch seine Werke genügend bekannt. Ich möchte hier freilich fragen, ob diejenigen von den bisherigen Biographen, denen es hauptsächlich um eine ästhetische Würdigung zu thun war, überall den Beweis geliefert haben, daß sie alle Werke Beethovens gründlich gekannt haben; jedenfalls werden Sie gewiß nicht glauben, daß die musikalische Beurtheilung Beethovens, seiner Stellung und Entwickelung schon in abschließender Weise geschehen sei, und wie wäre das auch möglich ohne eine genaue Kenntnis seines äußeren Lebens? Demnach haben Sie durch Ihr Buch das Feld bezeichnet und geebnet, auf dem zunächst für Beethoven weiter zu arbeiten sein wird, und haben außerdem keinen Zweifel über das gelassen, was Sie leisten wollten: so daß nun niemand berechtigt sein wird, von Ihnen etwas zu verlangen, was Sie für jetzt nicht bieten wollten. Sie werden das wesentliche Verdienst beanspruchen können, der ferneren wissenschaftlichen Behandlung von Beethovens Werken durch Ihre Biographie, verbunden mit Ihrem chronologischen Verzeichnisse, eine Grundlage gegeben zu haben, deren dieselbe bisher entbehrte, und wie sie sorgfältiger, vollständiger und zuverlässiger nicht geboten werden konnte. Und wenn Sie mir die Anerkennung gewähren, daß durch meine Bemühung Ihre Untersuchungen so vor das Publikum gelangen, wie es in Ihrer Absicht gelegen hatte, so werde ich die doppelte Freude empfinden, aus Ihrem Munde ein Lob für eine Arbeit zu vernehmen, durch deren Vollendung ein von mir selbst so lange schon gehegter Wunsch in Erfüllung geht.

Ich bin, verehrter und lieber Thayer,


Ihr aufrichtiger Freund

H. Deiters.


Bonn, im Juli 1866.

Fußnoten

1 Wie mir auf nachträgliche Anfrage gütigst mitgeteilt worden ist, befinden sich in Darmstadt weder im Großherzoglichen Haus- und Staatsarchiv, noch in der Hofbibliothek Akten, welche sich auf die Kurkölnische Hofmusik beziehen. Auch ist nach Mitteilung des Herrn Geheimen Archivrats Dr. Harleß nicht anzunehmen, daß in Arnsberg nach den verschiedenen Ablieferungen in die Archive von Düsseldorf und Münster und nach Vernichtung vieler Akten noch irgendwelches Material zur Geschichte der Kurkölnischen Hofmusik vorhanden ist, so daß ich weitere Nachfragen unterlassen habe. Anm. d. Herausg.


2 2. Aufl. S. 175f., 3. Aufl. S. 189ff.


3 S. 196 der 2. Aufl., 3. Aufl. S. 213.


Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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