Zweites Kapitel.

Die ersten Kunstreisen.

[18] München – Wien.


1762–1763.

Anna Maria und Wolfgang machten solche Fortschritte im Klavierspiel, daß sie bald etwas Außerordentliches zu leisten vermochten, und der Vater, angetrieben theils durch bloßen Ehrgeiz, theils durch den auch später ihn bewegenden Geist der Speculation, unternahm es im Sommer 1762 eine Kunstreise nach München zu machen. Wolfgang war nahezu sechs Jahre alt, seine Schwester ging ins elfte. Musikalische Wunderkinder waren damals noch etwas Seltenes. Leopold Mozart hat den Ruhm, den Reigen der nur zu häufig mit den Talenten ihrer Kinder speculirenden Väter eröffnet zu haben, in dessen weltwirrem Gekreisel die Gesundheit und die künstlerische Zukunft so manches früh entwickelten Talentes untergegangen ist.

Von dieser ersten Reise sind keine Einzelnheiten auf uns gekommen, auch ersieht man nichts darüber in den Briefen des Vaters. Alles, was man davon weiß ist, daß es den beiden jungen Virtuosen vergönnt wurde, vor dem Churfürsten zu spielen, daß sie den glänzendsten Beifall ernteten, und daß sie, nach einem Aufenthalt von drei Wochen, München wieder verließen.

Nach Salzburg zurückgekehrt, übten sich die Kinder, ermuthigt durch ihren münchner Erfolg, mit dem angestrengtesten Eifer auf dem Klavier, und noch in demselben Jahre wurde ein zweiter Ausflug – diesmal an den Kaiserlichen Hof zu Wien unternommen. Am 19. September machten sie sich auf den Weg.

[19] Ueber diese Reise kennen wir mehrere Einzelnheiten, durch den Brief, welchen Leopold Mozart an den Kaufmann Hagenauer, den Eigenthümer des Hauses, in welchem er wohnte, nach Salzburg schrieb. Wie es der Künstlerfamilie unterwegs erging, ersehen wir aus den folgenden Briefstellen die Nissen mittheilt.


Linz, den 5. October 1762.


»Haben Sie nicht geglaubt wir wären schon in Wien, da wir noch in Linz sind? Morgen, wenn Gott will, gehen wir dahin ab. Wir wären schon in Wien, wenn wir nicht in Passau fünf ganze Tage hätten sitzen müssen. Diese Verzögerung, woran der dasige Bischof Schuld war, ist mir nun achtzig Gulden Schade, die ich in Linz mitgenommen hätte, wenn ich früher gekommen wäre, da ich mich nun mit etlichen vierzig Gulden begnügen muß, die mir aus dem vorgestern gegebenen Concerte geblieben sind. Wolfgang hatte die Gnade, sich bei dem erwähnten Fürsten zu produciren, und dafür bekam er einen ganzen Ducaten.

In Passau waren wir den 20. September angekommen. Am 26. September reisten wir mit dem Domherrn Grafen Herberstein hieher, und trafen an demselben Tage ein. Die Kinder sind lustig und überall wie zu Hause. Der Bube ist mit allen Leuten, besonders mit Offizieren, so vertraulich, als wenn er sie schon seine ganze Lebenszeit hindurch gekannt hätte. Meine Kinder seyn übrigens alle in Verwunderung, sonderheitlich der Bube.

Graf Herberstein und Graf Schlick, der hiesige Landeshauptmann, wollen uns in Wien einen großen Lärm vorangehen lassen. Allem Ansehen nach werden unsere Sachen gut gehen. Gott erhalte uns nur, wie bisher, gesund. – –«


[20] Wien, den 16. October 1762.


»Am Feste des heiligen Franziskus sind wir von Linz abgereist und in Matthausen angelangt. Den folgenden Erchtag5 kamen wir nach Ips, wo zwei Minoriten und ein Benedictiner, die unsere Wasserreise mitgemacht hatten, heilige Messen lasen, unter welchen unser Wolferl sich auf der Orgel so herum tummelte und so gut spielte, daß die Franziskaner Patres, die eben mit einigen Gästen das Essen verließen, dem Chore zuliefen und sich fast zu Tode wunderten. Nachts waren wir zu Stein und am Mittwoch langten wir hier an. Auf der Schanzelmauth wurden wir ganz geschwind abgefertigt und von der Hauptmauth zugleich dispensirt. Das hatten wir unserem Herrn Wolferl zu danken, denn er machte sogleich Vertraulichkeit mit dem Mauthner, zeigte ihm das Clavier, machte seine Einladung, spielte ihm auf dem Geigerl ein Menuet.«

Der Lärm, den Graf Herberstein und Graf Schlick in Wien hatten vorangehen lassen, sicherte den jungen Künstlern eine gute Aufnahme. Lassen wir den Vater weiter erzählen: – – »Bis jetzt sind wir, trotz des abscheulichsten Wetters, schon bei einer Akademie des Grafen Collalto gewesen, und die Gräfin Sinzendorff hat uns zu dem Grafen Wilschegg und den 11ten zu dem Reichsvicekanzler Grafen von Colloredo geführt, wo wir die ersten Minister und Damen zu sprechen die Gnade hatten. Erwähnte Gräfin ist sehr für uns bemüht und alle Damen sind in meinen Buben verliebt. Nun sind wir schon aller Orten in Ruf. Als ich am 10. October in der Oper war, hörte ich den Erzherzog Leopold aus seiner Loge in eine andere hinüber erzählen: [21] es sei ein Knabe in Wien, der das Clavier so trefflich spiele. Selbigen Abend um 11 Uhr erhielt ich Befehl, am 12ten nach Schönbrunn zu kommen. Am folgenden Tage ward ich aber auf den 13ten bestellt, weil am 12ten der Maximilians- und folglich ein Gala-Tag wäre, und man die Kinder in Bequemlichkeit hören will. Alles erstaunt ob dem Buben, und ich habe noch Niemand von ihm sprechen hören, der nicht sagte, daß seine Fähigkeit unbegreiflich ist.« –

Der Erfolg von Mozarts erstem Auftreten in Schönbrunn, war ein überaus glänzender. Kaiser Franz I., ein Freund und Liebhaber der Kunst, unterhielt sich mehrmals mit dem kleinen Wolfgang, den er mit Gunstbezeugungen überhäufte, indem er ihn unter Anderen auch mit einem Galakleide nach französischem Geschmacke beschenkte, das für den Erzherzog Maximilian angefertigt worden war. Man kann sich nichts Drolligeres denken, als das Bild unseres kleinen Helden in diesem glänzenden Costüme, das in einem mit Borten besetzten Rocke, mit breiten, weit nach hinten abstehenden Schößen, einer ebenfalls galonnirten, bis auf die Kniee herabfallenden Weste, gepuderten, in einen Beutel zusammengefaßten Haaren, Aermelverzierungen, größer als der Kopf dessen, der sie trug, kleinem dreieckigem Hütchen und einem Degen an der Seite bestand. Eines Tages sagte der Kaiser zu dem Knaben: »Es ist keine große Kunst mit allen Fingern zu spielen; aber nur mit einem Finger und auf einem verdeckten Claviere zu spielen, das würde erst Bewunderung verdienen.« Statt einer Antwort spielte das Kind mehrere sehr schwierige Passagen mit einem Finger; dann ließ er sich auch die Claviatur bedecken und spielte dennoch so gut, daß seine Zuhörer hätten glauben können, er habe sich durch lange Uebungen auf diese Art von Prüfung vorbereitet. Es war aber das erste Mal, daß er es versucht hatte. Folgende, [22] nicht weniger beglaubigte Anekdote, scheint mir aber noch merkwürdiger, weil sie bereits einen der in Mozart's Charakter hervorragenden Züge durchblicken läßt. Er saß am Claviere, der Kaiser neben ihm und ringsum befanden sich eine Menge Herren von Hofe, die er eben nicht für die besten Kenner hielt. Wenn er sich vor Leuten hören lassen mußte, die nichts von Musik verstanden (und darüber war es oft schwer ihn zu täuschen), so spielte er nur Contretänze, Menuets und andere Kleinigkeiten, die von den Fingern eines Virtuosen, denen gegenüber, welche ihn hören wollen, wie die bitterste Ironie klingen. In diesem Falle durfte er aber seiner Gewohnheit nicht folgen, er sagte daher zu dem Kaiser: »Ist Herr Wagenseil6 nicht hier? der soll kommen; er versteht es.« Der Kaiser willfahrte diesem Wunsche und ließ Wagenseil an das Clavier treten. »Es ist mir sehr lieb, daß Sie da sind;« sprach der Knabe, »ich spiele ein Concert von Ihnen; Sie müssen mir umwenden.«

Wolfgang's Talente und originelle Laune machten ihn auch zum Liebling der Erzherzoginnen, der Töchter Maria Theresia's. Zwei derselben führten ihn zur Unterhaltung in den Gemächern des Schlosses umher; weil aber der Knabe nicht gewöhnt war, sich auf den glatten Parketböden zu bewegen, so fiel er hin. Die ältere der beiden Prinzessinnen beachtete den Unfall nicht; die andere dagegen, welche ungefähr so alt wie unser Held war, hob ihn liebkosend auf. »Sie sind brav,« sagte er zu ihr, »ich will Sie heirathen.« Die Prinzessin theilte pflichtschuldigst diese Erklärung ihrer erhabenen Mutter mit, worauf die Kaiserin Wolfgang zu sich rufen ließ und ihn fragte, was ihn zu diesem, für ihre Tochter so schmeichelhaften Entschluß bewogen habe. »Die [23] Dankbarkeit,« erwiderte der Kleine, ohne sich zu besinnen; »sie war gut gegen mich, während ihre Schwester sich nichts um mich bekümmerte.« Diese junge Erzherzogin, welche Mozart hatte heirathen wollen, war Maria Antoinette, die nachmalige Königin von Frankreich.

Auch materiell betrachtet war der Erfolg dieser Künstlerreise sehr beträchtlich. Schon beim ersten Auftreten am Hofe händigte der Zahlmeister dem Vater Mozart 100 Ducaten ein. Ueberall, bei den vielen hohen Herrschaften, vor denen sich Wolfgang und seine Schwester producirte, floßen reichliche Honorare. Wie sich diese Einladungen häuften, zeigt die folgende Briefstelle an Hagenauer.


Wien, den 19. October 1762.


– – »Heute waren wir bei dem französischen Botschafter, und morgen sollen wir zu einem Grafen Harrach. Aller Orten werden wir durch die herrschaftlichen Wagen mit einem Bedienten abgeholt und zurückgeführt. Von sechs bis neun Uhr sind wir für sechs Ducaten zu einer großen Akademie veraccodirt, wobei die größten Virtuosen, die dermal in Wien sind, sich produciren werden. Man bestellt uns vier, fünf, sechs bis acht Tage voraus, um nicht zu spät zu kommen; so bei dem Oberst-Postmeister, Grafen Paar, auf den Montag. Einmal sind wir um halb drei bis gegen vier Uhr an einem Orte gewesen. Da ließ uns der Graf Hardegg mit seinem Wagen holen und zu einer Dame in vollem Galopp führen, wo wir bis halb sechs Uhr blieben; dann ging es zum Grafen Kauniz, bei dem wir bis gegen neun Uhr waren.«

Mitten in diesem fröhlichen glücklichen Treiben überfiel das Scharlachfieber den jungen Wolfgang, und fesselte ihn 14 Tage [24] lang ins Zimmer. Welche Theilnahme der Hof und die vornehmen Wiener Herrschaften an dem kleinen Patienten nahmen, beweisen die folgenden Briefstellen:


Wien, den 30. October 1762.


– – »Glück und Glas, wie bald bricht ein Essigkrug. Ich dachte es fast, daß wir vierzehn Tage nach einander zu glücklich waren. Gott hat uns ein kleines Kreuz zugeschickt, und wir danken seiner unendlichen Güte, daß es noch so abgelaufen ist. Den 21sten waren wir Abends um sieben Uhr abermals bei der Kaiserin. Wolferl war schon nicht recht wie sonst. Später zeigte es sich, daß der Wolferl eine Art Scharlach-Ausschlag hatte. Die Herrschaften hatten nicht nur die Gnade, sich täglich um die Umstände des Buben erkundigen zu lassen, sondern sie empfahlen ihn auf das Eifrigste dem Arzte der Gräfin Sinzendorff, Bernhard, der auch sehr besorgt war. Jetzt nähert sich die Krankheit sehr dem Ende. Indessen ist sie mir, gering gerechnet, fünfzig Ducaten Schade.« –


Wien, den 6. November 1762.


– – »Die Gefahr meines Wolferls und meine Angst sind Gottlob! überstanden. Gestern haben wir unsern guten Arzt mit einer Musik bezahlt. Einige Herrschaften haben indeß zu uns geschickt, um sich nach Wolfgangerl zu erkundigen und ihm zum Namenstage Glück zu wünschen. Das war aber auch Alles. Wäre er nicht schon bald vierzehn Tage zu Hause gewesen, so würde es nicht ohne Geschenke abgegangen sein. Jetzt müssen wir sehen, [25] daß die Sache wieder in ihren Gang kommt, der rechtschaffen gut war.« –


Wien, den 24. November 1762.


– – »Wir müssen mit Geduld abwarten, unsere Sachen in den guten alten Gang bringen zu können. Es fürchtet sich nämlich die hiesige Noblesse sehr vor Blattern und allen Gattungen des Ausschlags. Folglich hat uns die Krankheit des Buben fast vier Wochen zurückgeschlagen. Denn, obwohl wir, seitdem er gesund ist, 24 Ducaten eingenommen haben, so ist's doch nur eine Kleinigkeit, weil unsere Ausgaben täglich nicht unter einem Ducaten zu bestreiten sind.«


Wien, den 10. November 1762.


– – »Beiliegende Reime wurden mir in dem Concert, das gestern bei der Marquisin Pacheco war, von dem Grafen Collalto überreicht; ein gewisser Puffendorf hat sie bei Anhörung meines Buben niedergeschrieben.


Auf den kleinen sechsjährigen Clavieristen aus Salzburg.

Wien den 25. December 1762.


Ingenium coeleste suis velocius annis

Surgit, et ingratae fert male damna morae.

Ovidius .


Bewund'rungswerthes Kind, deß Fertigkeit man preis't,

Und Dich den kleinsten, doch den größten Spieler heißt,

Die Tonkunst hat für Dich nicht weiter viel Beschwerden:

Du kannst in kurzer Zeit der größte Meister werden;

[26] Nur wünsch' ich, daß Dein Leib der Seele Kraft aussteh'!

Und nicht, wie Lübeck's7 Kind, zu früh zu Grabe geh'.«


Am 11. December machte Leopald Mozart mit seinen Kindern einen Ausflug nach Preßburg, über dessen Zweck jedoch keine Notizen vorliegen. Da sein Urlaub zu Ende ging, und wohl auch die Kinder der Ruhe bedurften, so trieb es ihn nach Salzburg zurück, wo er in den ersten Tagen des Jahres 1763 ankam.

Als unser junger Clavier-Virtuose wieder in seiner Heimath war, kam ihm der Gedanke ein, noch ein anderes Instrument zu erlernen. Er hatte in Wien eine kleine Geige zum Geschenk erhalten und auf dieser fing er an, ohne Vorwissen seines Vaters sich zu üben8. L. Mozart gab damals einem Violinisten Namens [27] Wenzl Unterricht in der Composition, und dieser brachte seinem Lehrer sechs Trio's, die er während seiner Abwesenheit gemacht hatte. Ein anderer Musiker, Schachtner, durch den man eben diese Geschichte erfahren hat, war anwesend. Man wollte die Trio's probiren, Wenzl sollte die erste, Schachtner die zweite Violine und Leopold Mozart mit der Viola den Baß spielen. Mit einem Male kam der junge Wolfgang mit seiner kleinen Geige und bat, Schachtner's Partie spielen zu dürfen. Der Vater, der in diesem Wunsche nichts als ein unzeitiges kindisches Verlangen erblickte, erklärte ihm, daß es einfältig wäre, mitspielen zu wollen, ohne das Instrument zuvor erlernt zu haben. Wolfgang erwiederte, daß, um die zweite Violine zu spielen, man es nicht zuvor erst erlernt haben müsse, worauf der Vater ihn unwillig bedeutete, er solle das Zimmer verlassen. Er entfernte sich weinend, als aber die beiden Anderen sich für ihn verwendeten, wurde ihm endlich seine Bitte zugestanden. »Du magst meinetwegen mit Herrn Schachtner spielen,« sagte der Vater, »aber so leise, daß man Dich nicht hört; sonst mußt Du sogleich fort.« Man beginnt und bald bemerkt Schachtner zu seiner Verwunderung, daß er ganz überflüssiig ist. Er legt stillschweigend sein Instrument bei Seite und blickt den Vater an, der bei dieser neuen Ueberraschung ebenso vor Freude weinte, wie damals, als er das Clavier-Concert durchgesehen hatte. Die [28] sechs Trio's wurden ganz durchgespielt, ohne daß die zweite Violine auch nur bei einer Note gefehlt hätte. Die Beifallsbezeugungen der Mitspielenden ermuthigten den Anfänger so, daß er meinte, auch die erste, natürlich viel schwierigere Stimme spielen zu können. Man machte zum Scherz einen Versuch und alle Anwesenden mußten recht herzlich lachen, als er auch diese, wiewohl mit lauter unrichtigen und unregelmäßigen Applicaturen spielte; doch aber so, daß er wenigstens nie ganz stecken blieb.

Wie fein das Gehör unseres Wolfgangs schon in seiner Kindheit war, zeigt die folgende von Schachtner im obenerwähnten Briefe von Mozarts Schwester mitgetheilte Anekdote aus dieser Zeit (1763):

»Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die Wolfgangerl wegen seinem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einsmals, bald nachdem sie von Wien zurückkamen, geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht Ihre Buttergeige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bischen nach, und sagte zu mir: Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte. Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtniß dieses Kindes kannte, bat mich meine Geige zu holen, und zu sehen, ob er recht hätte. Ich that's, und richtig wars.«

Je älter unser Held wurde, um so deutlicher, gebieterischer, ausschließlicher zeigte sich seine einstige Bestimmung. Die Liebhabereien der Kindheit, sowie andere weniger wichtige Neigungen, [29] die mehr zur Reife hätte gedeihen und Früchte tragen können, verloren sich nach einander in ihm, oder gingen vielmehr in der einen Leidenschaft für die Musik unter, die jede andere verschlang. Bald mußte man ihm die Zeit bestimmen, welche er am Claviere zubringen dürfe; es trat bei ihm der völlig umgekehrte Fall ein, denn während man andere Kinder zur Arbeit antreiben muß, war man genöthigt, ihn zu ermahnen, sich Erholung zu gönnen. Später entschädigte er sich für diesen Zwang. Denn als Niemand mehr da war, der ihn in's Bett zu gehen nöthigte, trieb er es so weit, selbst den Schlaf als eine völlig müssige Erholung anzusehen.

Deutschland, in seiner damaligen Lage, war ein viel zu enger Schauplatz für ein so außerordentliches Talent wie das unseres Helden. L. Mozart sah dieß ein, auch wußte er überdieß, daß ein Prophet zu Hause nie etwas gilt, und so glaubte er, daß die Zeit gekommen wäre, seine Kinder nach Paris zu führen, wo die Köpfe sich viel schneller erhitzen und die Börsen sich rascher öffnen, als in irgend einem Orte des ruhigen, überlegenden und sparsamen Deutschlands.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 18-30.
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