Dreißig's »Singakademie«

[330] Im Allgemeinen fanden sich die Reisenden durch die auch dießmal auffallend abweisende, ja fast unhöfliche Aufnahme in Dresden auf's Neue und doppelt bitter überrascht, da sie so sehr von derjenigen abstach, deren sich die liebenswürdigen und ausgezeichneten Künstler allenthalben zu erfreuen gehabt hatten. Von über 40 Personen, Fachgenossen und Laien, denen sie sich persönlich und zum Theil mit guten Empfehlungen vorgestellt hatten, ignorirten fünf Sechstheile ihre Anwesenheit gänzlich, einige machten ihnen Gegenbesuche, nur zwei bis drei zogen sie in ihre Familienkreise und, mit Ausnahme einer Dame, der Harfenspielerin und Schriftstellerin Fräulein Aus dem Winkel, und zweier Mitglieder der Capelle, der Violinisten Schmiedel und Morgenroth, reichte ihnen kein Mensch die Hand zur Beförderung ihrer Zwecke. Verdrossen, mühsam und mit vielen Kosten betrieben sie die Vorbereitung zu ihrem Concerte und behielten daneben, bei der Langsamkeit, mit der die Geschäfte damals in dieser schönen Residenz sich abzuwickeln pflegten, Muße genug, die schönen Sammlungen in Augenschein zu nehmen und die treffliche Musik in der katholischen Kirche zu frequentiren, wo Sassaroli's unglaubliche Gesangsfertigkeit immer auf's Neue Weber's Bewunderung eroberte. In die ausgezeichnetste geschlossene Gesellschaft der Stadt, »die Harmonie«, eingeführt, lernten sie den wackern Dreißig kennen, der, mit unablässigem Fleiße, Mühe und Opfern, bemüht war, Dresden eine Nachbildung der schönen Schöpfung Fasch's in Berlin, die Singakademie, zu geben. Bis zu einem gewissen Grade gelang ihm dieß bewundernswürdig und die musikalische Gesellschaft, die er bildete, trägt diesen Augenblick noch seinen Namen, ohne indeß seit seinen Zeiten an Werth ihrer Leistungen fortgeschritten zu sein.

Welchen Werth Weber den Leistungen Dreißig's beimaß, das[330] geht aus dem nachfolgenden, in Dresden geschriebenen und in Nr. 198 der »Zeitung für die elegante Welt« abgedruckten Aufsatze hervor:


»Dresden 1812.


Des Musikalisch Neuen giebt es wenig bei uns. Fremde Künstler finden hier so wenig ihre Rechnung, daß sie stets seltner erscheinen und uns wohl endlich ganz aufgeben mögen. Zur Freude aller wahren Verehrer der Kunst, gedeiht aber eine Musik-Anstalt täglich mehr, die die schönste Ausbeute für die Zukunft verspricht, und deren sich, außer Berlin, nur wenige Städte zu rühmen haben mögen. Ich meine die vom Hoforganisten Dreißig errichtete ›Singakademie‹. Der zunehmende Verfall der Gesang- und namentlich Chor-Musik, und das Beispiel jener herrlichen Anstalt in Berlin, bestimmte Herrn Dreißig zu dem Entschluß, eine Singanstalt zu gründen in welcher ausschließlich Kirchenmusik betrieben werden sollte. In der katholischen Hofkirche darf nach einem königl. Befehl blos Musik aufgeführt werden, die in Dresden oder von in Dresden angestellten Kapell- und Musikmeistern geschrieben ist. Die übrigen protestantischen Kirchen geben wenig oder gar keine Musik, und eine reiche Ausbeute stand uns bevor, da die klassischen Meisterwerke Händels, Mozarts, Haydns, etc., für uns neu und nie gehört waren. Dies sowohl, als auch Berücksichtigung mancher Verhältnisse, bestimmte Dreißig sich vor der Hand blos auf den Kirchenstyl zu beschränken. Mit sechs oder sieben Personen begann er im März 1807 seine Uebungen. Nach und nach, sehr langsam, wuchs die Zahl der Theilnehmenden. Eine ungeheure Menge von Vorurtheilen erhoben sich dagegen und waren zu bekämpfen. Der hier, noch mehr als an irgend einem anderen Orte bemerkbare scharfe Abschnitt der Stände, vorzüglich aber die Vorliebe für alles Fremde und besonders Italienische, waren die Haupthindernisse des schnellen Gedeihens. Uneingedenk daß zwei der größten Sängerinnen Mara und Häser Deutsche sind, hält es gewiß der größte Theil des Dresdner Publikums für unmöglich, daß ein Deutscher singen, noch weniger Singunterricht geben kann. 1809 konnte die Gesellschaft schon einen kleinen Saal miethen, und endlich gelang es der eisernen Beharrlichkeit[331] des Unternehmers es so weit zu bringen, daß im verfloßnen Jahre ein großer Saal gemiethet wurde, und daß jetzt das Singpersonal aus 16 Sopran, 12 Alt, 11 Tenor und 12 Baßstimmen besteht. Alle Donnerstag Abend um 6 Uhr versammelt man sich und die Akademie dauert gewöhnlich bis 8 Uhr. Außerdem ist noch der Montag um 5 Uhr dazu bestimmt lernbegierige Ungeübte in Herrn Dreißig's Wohnung zu unterrichten, und das des Donnerstags Vorzunehmende mit ihnen durchzugehen.

Die Solo Parthien werden von dem Director an die dazu Fähigen abwechselnd vertheilt.

Zu Bestreitung der Unkosten, der Beleuchtung, Heizung, Musikalien etc., giebt jedes Mitglied den geringen Beitrag von 8 Thlr. jährlich. Es ergiebt sich hieraus von selbst, daß kaum die Kosten gedeckt sind, und der Gründer der Anstalt bis jetzt noch nicht den geringsten Nutzen gezogen, noch zu erwarten hat.

Dieser rühmliche, ausdauernde, durch keine kleinlichen Rücksichten aufzuhaltende Eifer des Herrn Dreißig, gereicht ihm zur entschiedensten Ehre, und es muß jedem Musikfreunde innig wohlthun zu sehen, daß es auch jetzt noch Männer giebt, die mit eigener Aufopferung für das Fortschreiten und die Pflege der Kunst besorgt sind.

Auch entspricht der Erfolg den Anstrengungen des Directors. Wer die Schwierigkeiten kennt ein Chorpersonal von Liebhabern mit einem bloßen Fortepiano so weit zu bringen, daß sie die theils sehr schwierigen Fugen und Chöre der bekanntesten Meisterwerke, rein und mit Präzision singen, wird gewiß mit einem angenehmen Gefühl die Singanstalt verlassen, mit Dank das Streben Herrn Dreißigs anerkennen und ihm Heil, Unterstützung und Anerkennung wünschen.

Beinah hätte ich vergessen Ihnen noch von einer interessanten Erfindung zu sprechen. Herr Mechanikus Kaufmann hat eine Maschine, einen Trompeter verfertigt, der auf einer natürlichen Trompete, vermöge der künstlichen Vorrichtung im Mundstücke, nicht nur Fanfaren und dergl. bläst, sondern auch Doppeltöne erzeugt, und zwar so deutlich und gleich stark im Ton, daß man darauf schwören sollte zwei[332] Trompeten zu hören. Er ist auch der Erfinder des Harmonichords, und versucht vielleicht mit Beiden eine Kunstreise.


Melos


Die Subscriptionen zum Concert gingen erbärmlich, die vornehme Welt betheiligte sich, da die Künstler keine Italiener waren, fast gar nicht, die Gesandten pauvre, der Hof nur äußerst schwach, so daß Weber und Bärmann beim Empfang der Subscriptionslisten sich ansahen, lachten und ausriefen: »Dresden erwischt uns nicht wieder!«

Wie sehr sollte das Gegentheil hiervon in Bezug auf Weber wahr werden!

Er schreibt kurz vor dem Concerte an Rochlitz:


»Dresden den 14. Februar 1812.


Mit Freuden ergreife ich die Feder um Ihnen mein Andenken zurück zu rufen, und zugleich zu wiederholen was ich nicht oft genug thun kann, wie unvergeßlich mir Ihre nähere Bekanntschaft und die gütige Theilnahme die Sie mir bewiesen, stets bleiben wird. Besonders theuer wird mir die Rückerinnerung an den letzten Abend bleiben den ich in Ihrem Hause verlebte. Hatte ich vorher den Mann mit ausgezeichnetem Geist, und warmem Gefühl für Kunst in Ihnen hoch geachtet, so lernte ich jetzt den glücklichen Gatten und herrlichen Menschen in Ihnen lieben, und erfreulich war mir die Gewißheit daß die ›glücklichen Stunden‹ aus warmem Herzen und nicht als leeres Kompliment Ihrer Schöpferin, gewidmet waren.

Verzeihen Sie, wenn ich abschweife, aber in meinem bunten Leben, wo ich die meisten Menschen nur von ihrer glatten Seite kennen lerne, sind mir solche Augenblicke zu selten, und kostbar, als daß ich nicht bei jeder Gelegenheit das Andenken daran zu erneuern suchen sollte.

Meine Reise ist bis jetzt sehr günstig ausgefallen; in Gotha spielten wir zwei Mal bei Hofe, und gaben den 23. unser Conzert in der Stadt mit Beifall und einem für Gotha vollen Saale. Ich mußte dem Herzog versprechen künftigen Sommer ein paar Monate bei ihm[333] zuzubringen, und ich that dies um so lieber als es mir die Hoffnung gab in Uhrer Nähe zu seyn, und so desto leichter mein Plänchen auf Leipzig auszuführen. Den 27. kamen wir in Weimar an, spielten 9 Mal bei der Großfürstin, die uns mit ausgezeichnetem Wohlwollen beehrte, und zuletzt veranlaßte der Herzog ein großes Hofconzert, welches in den Annalen Weimars etwas unerhörtes ist. In der Stadt konnten wir kein Conzert geben, weil alle Tage mit einfallenden Hoffesten wegen des Geburtstags der Großfürstin, Erbprinzen etc. besetzt waren.

Den alten verehrungswürdigen Wieland habe ich gesprochen, und eine herzliche Freude über den herrlichen Greis gehabt. Capellmeister Müller hat sich sehr freundschaftlich und gefällig gegen uns benommen7, und seine genauere Bekanntschaft hat mich um so mehr gefreut, als ich so manches widersprechende Urtheil über ihn gehört. Den Abend nach unserm Hofconzerte hatte er das Unglück zu fallen und sich die Hand bedeutend zu verrenken. Noch habe ich keine Nachricht ob es ihm besser geht, vielleicht sind Sie davon unterrichtet.

Seit dem 5. Februar sind wir nun hier in Dresden, und haben schon alle die langweiligen Kreuz- und Quergänge gemacht, die nöthig sind um zum Zwecke zu kommen. Heut Abend ist unser Conzert von dem ich mir gar nichts verspreche, und bei Hofe ist es zwar so gut wie gewiß, daß wir spielen, aber der Tag ist noch nicht bestimmt.

Beiliegende Rezension bitte ich so bald als möglich zu Tage zu fördern, da ich sie ohnedies lange genug liegen ließ. Es ist aber kaum möglich bei dieser ewigen Unruhe zu arbeiten, und ich werde mich in Berlin ein paar Tage einsperren um alle rückständigen Aufsätze zu vollenden. etc.

Können Sie Ihrer Zeit ein paar Minuten abstehlen, so bitte ich Sie, mir nach Berlin poste restante zu schreiben.

Empfehlen Sie mich Ihrer so achtungswürdigen Gattin auf's[334] Herzlichste und vergessen Sie den nicht, der es unter seine liebsten Dinge rechnet, sich Ihren Freund nennen zu dürfen.


Carl Maria von Weber.


Freund Bärmann empfiehlt sich bestens.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 330-335.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon