Der »Localton« in Weber's Werken

[338] Es ist Weber gelungen, die Wirkungen dieser gefährlichen Eigenthümlichkeit seines Talents auf ein Minimum zu reduziren, indem er seinen Werken eine Eigenschaft mitgab, die er zuerst mit diesem Gewichte und in dieser Bedeutung aus der Malerei in die Musik herübertrug, und die niemals vom Genius allein in dieser Weise hätte geltend gemacht werden können, sondern die ein Produkt reiflichster Reflexion und von einem geschulten Charakter consequent festgehaltener. objectiver Anschauung der eignen Werke ist. Es ist dieß der »Localton« im Kunstwerke.

Es gab vor Weber's Zeit kein musikalisches Werk, dessen Gesammtstimmung sich mit einem Worte hätte plastisch charakteristiren lassen, wie es geschieht, wenn man beim Freischütz »Waldesduft«, beim Oberon »Elfenleben«, bei der Preziosa »Zigeunermärchenwelt« sagt, oder wenn man den Gesammteindruck eines Gemäldes mit »Abenddämmer«, »Morgenlicht«, »Festlichkeit«, »Ländlichkeit« etc. bezeichnet und damit sofort in der Seele des Hörers eine untrügliche Vorstellung vom consequent und mit aller Dauer des Charakters festgehaltenen Grundton der Stimmung des Bildes hervorruft.

Die unnachahmliche Durchführung dieses Localtons in Weber's Werken unterscheidet dieselben von denen aller seiner Vorgänger specifisch und giebt denselben, trotz allen Protuberanzen des Melodie- und Harmonieeffektes doch die Rundungen der Schönheitslinie, die sie unter die classischen Schöpfungen unbedingt einreiht.

Um diese Eigenschaften seiner Produktionsform zu erwerben, bedurfte es vor allen Dingen der, so vielen schwächer dotirten Künstlergeistern verderblichen, und andern, eben so stark begabten, antipathischen, Durchbildung einer strengen und unerbittlichen Selbstkritik. Daß aber Berlin der Ort dafür war, den Trieb zu dieser schweren Kunst in Weber zu erwecken und sie zu cultiviren, dafür spricht der Charakter der psychischen Entwickelung der Bevölkerung dieser Stadt seit den Zeiten der beiden, bestimmend auf den Grundton der geistigen Lebensform der lutherischen deutschen Großmacht wirkenden, großen Genien:[338] des Denkers unter den Königen, Friedrich, und des Königs unter den Denkern, Kant.

Besonders aber wirkte, wie wir sehen werden, die Individualität der Persönlichkeiten ein, die ein gutes Geschick hier mit Weber zusammenführte und die ein liebender, hochweiser Vater nicht passender in ihrer Gesammtheit hätte wählen können, um einen Genius von Weber's Natur auf den unbestreitbar rechten Weg zu seinem Ziele zu lenken und ihn auf demselben zu fördern.

Mit dem Aufenthalte Weber's in Berlin im Jahre 1812 schließt die Jugendperiode seines Talents eben so sichtlich ab, wie die Sturm- und Drangzeit seines Charakters mit der Flucht von Stuttgart 1810 schließt und seine sämmtlichen künstlerischen Produkte von da ab sind, ohne Abschweifung nach rechts und links, eben so viele regelmäßige Staffeln in der Laufbahn, die sich im »Freischütz«, »Euryanthe« und »Oberon« gipfelt.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 338-339.
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