Wieland bei Weber's »Crescendo«

[382] Der auf's Neue ausgesprochene Wunsch der Großfürstin Maria Paulowna, die mit Weber einige seiner letztcomponirten Clavierwerke, vor Allem die ihr dedicirte Sonate, durchspielen wollte, rief Weber Ende October nach Weimar, wo er sofort in die Kreise der Großfürstin gezogen, mit derselben die modernen Clavierwerke durchging und, acht Tage lang festgehalten, jeden Morgen eine Lection im Vortrage ertheilen mußte. Bei der Fürstin kam er auch wieder in Berührung mit dem auf einige Zeit nach Jena hinübergehenden Göthe, der sich ihm dießmal freundlicher gezeigt zu haben scheint, ohne einen bleibenden Eindruck des Momentes zurückzulassen. Nebenbei wurde der Verkehr mit Bertuch, dessen Schwerfälligkeit ihm mehrfach den Ausruf »Alte Perrücke« entlockt, Genast, bei dem er die ihm von Süddeutschland her bekannte Alt- (oder Tenor-) Sängerin Schönberger traf, über deren Muray-, Joseph- und Titus-Darstellungen auf dem Weimar'schen Hoftheater er einen (S. 799 des Jahrgangs 1812 des »Journals für Luxus und Mode« abgedruckten) Aufsatz schrieb (welchen wir im III. Bande geben), mit dem frommen Joh. Daniel Falk, der ihn durch endlos lange Vorlesungen zur Verzweiflung brachte, und mit Amalie Schoppenhauer, gepflogen, für die er große Vorliebe hegte, Hier traf er auch mit Wieland wieder zusammen und, von dem bewunderten und geliebten Greise aufgefordert zu spielen, setzte er sich an das Piano und ergoß sich mit ungewöhnlichem Schwunge in eine freie Phantasie, in die er sein berühmt gewordenes und mit unglaublicher Gleichförmigkeit und Ausdauer vorgetragenes Crescendo einwob. Der Eindruck seines Spiels auf den Dichterfürsten war offenbar ein mächtiger, und als die Töne, vom Gelispel des süßesten Piano aus[382] höher und höher bis zum Sturme schwebten, hob sich der Greis, wie von magnetischer Gewalt emporgezogen, von seinem Sitze in die Höhe, so daß er aufrecht stand, als der mächtige Anschlag des kraftvollen Accords, der den Gipfel der Tonmassen andeutete, ihn zusammenzucken machte. Mit Thränen der Erschütterung in den Augen dankte der Greis dem jungen Künstler für die gewaltige Seelenerhebung.


Weber schreibt aus Weimar an Lichtenstein:


»Weimar 1. November 1812.


Wenn ich Dir auf Deinen theuren Brief vom 5. 8ber den ich d. 10. in Gotha erhielt nicht früher antwortete, so lag es blos daran, daß ich nie eine so recht freie Minute finden konnte, wie ich sie gern habe wenn ich recht ruhig aus mir heraussprechen und mit dem Bruder kosen will. Auch jetzt würdest Du kaum diesen Brief bekommen wenn ich nicht Dir einen Brief an Mad. Lautier beilegen müßte deren genaue adresse ich nicht weis, und den ich Dich zu übergeben bitte. Sie hat mir eine unerwartete Freude durch eine Zeichnung des kleinen Berges im Jordans Garten zu Pankow gemacht mit dessen Anschauung mir manche liebliche Stunden erneut aufwachen. Nimm mich also heute wie ich bin; zerstreut und verdrießlich.«

»Ohne Ursache bin ich es auch nicht. Du weißt, dem thätigen, gern nach bestimmten Zwekken handelnden Manne ist nichts unerträglicher als im Ganzen durch kleinliche Dinge gestört oder gedrängt zu werden. ich habe so viele Arbeiten vor mir, daß es mir immer ganz wehe um's Herz wird wenn ich sie überschaue, und häufig erzeugt dieß eine gewiße peinliche Aufwallung in der man am aller wenigsten etwas zu leisten im Stande ist. Ich bin ohnedieß immer so Gewissenhaft und auf der Folter wenn ich arbeite. oft verzweifele ich an mir selbst und meinen Genius, und glaube mich zu schwach ein Werk nach der Größe meiner Ansicht, meines Wunsches vollenden zu können. Nur der Gedanke daß mir das schon oft so gegangen, daß ein glücklicher Erfolg immer noch die Pein belohnt habe, hält mich aufrecht. ich habe nun vor allen die zwei drängendesten Arbeiten vorgenommen. Erstlich ein neues Clavier Concert, da ich nur eines besaß, und dann[383] ein Hymen von Rochlitz die den 1. Januar in Leipzig aufgeführt werden soll, und daher spätestens im Lauf dieses Monats gebohren sein muß. Eine Menge ekelhafter zeitraubender Arbeiten hielt mich bis jetzt auf. Das genaue Durchsehen der Abschriften der zum Stich bestimmten Manuskripte. Das aufschreiben von alten Variat. für die Großfürstin. Eine große italienische Scene mit Chören für den Prinz Friedrich etc. alle diese Dinge fressen die Zeit. Nun da ich eben im Zuge war und das erste Allo. des Concerto entworfen habe, bekomme ich einen schleunigen Ruf von der Großfürstin hierher. Da das eine Brodt Sache ist, so muß ich folgen, dachte in 3–4 Tagen erlößt zu sein – ja, gehorsamer Diener, da führt der Teufel den Fürst Kurakin herbei, natürlich wird dem die Zeit gewidmet, und ich muß um so länger bleiben. Es ist zum verzweifeln. Hier kann ich nicht arbeiten, habe kein Instrument etc. werde überlaufen, und muß wieder Visiten schneiden. Die Großfürstin will gern die Sonate unter meiner Leitung lernen, hat aber selbst schon öfter gesagt, sie glaube sie lerne sie in ihrem Leben nicht ordentlich; und wenn Sie keine Großfürstin wäre, würde ich so frei sein ihr vollkommen Recht zu geben. aber so – muß man sehen wie weit man es bringt. –«

»Das Bulletin und die Zeichnung etc. haben mir außerordentlich viel Spaß gemacht. Kielemanns Vertheidigung ist besonders exellent. wenn ich mich bei meiner Zurückkunft in Gotha einmal müde gearbeitet habe, wird auch wieder ein Bulletin erfolgen. Vor der Hand bin ich nicht in der Stimmung dazu. – Mit voller Seele unterschreibe ich was Du über den Menschen sagst, Du hast sehr recht mich zu tadlen, daß der Betrachtungen die Jämmerlichkeit im Leben, noch im Stande sind mich zu verstimmen. Aber versezze Dich auch etwas in meine Lage; bedenke dieß ewige Alleinstehen. Rechne dazu Legionen der traurigsten Erfahrungen, die mitten im höchsten Glauben an gute, treue Wesen mir ihren Zweifel gewaltsam aufdrängen. – –«

»Deine Weigerung wegen des Abdruckes des Weberspruches billige ich ganz. Doch scheinst Du mich nicht zu verstehen, wenn Du glaubst ich habe ihn blos deßhalb Publizität gewünscht, weil es mir lieb sein müßte etwas über mich gedruckt zu sehen. Nein! Die Redaktion der[384] Eleg. Z. bat um die Mittheilung nachdem sie ihn gelesen, ehe ich daran dachte ihn dazu anzubieten. Es ist allerdings ein nothwendiges Zeit Uebel daß man wünschen muß sich oft in jenem Litterarischen Speißezetteln als currendes Gericht, als Ragout und gar Braten mit aufgeführt zu sehen, aber glaube mir, daß ich sehr darin unterscheide, und es mir gar nicht lieb wäre, wenn Du Dich durch jenen leisen Wunsch veranlaßt gefühlt hättest, wie Du mir schreibst, ein andermal etwas über mich zu sagen. ich hoffe und weiß, wir verstehen uns beide. Es ist ein herrlicher Trost für mein ganzes Wesen, daß Du mir sagst seit meiner Abwesenheit herrsche ein durch mich veranlaßter geselliger Geist unter Euch. Möge der Himmel dieß lange erhalten. Ich denke mir immer meine Freunde in Berlin als Eine Familie. O daß ich euch alle eben so wieder fände, daß nichts erkühlte, nichts abstürbe im Gemüthe und der Liebe! Es gehört zu meinem Unglück daß ein ewiges junges Herz in meiner Brust schlägt. Die Wärme, der Enthusiasmus, den es bei dem Scheiden an dem Orte in sich trug, erhält es in gleicher Kraft, und den härtesten Stoß leidet es, wenn rückkehrend mit den alten gleichen Gefühlen, es dann nicht wieder dieselben Anklänge findet, sondern mancher in den Akkord gehörige Ton, da höher, da tiefer geworden ist. Gott erhalte unsre reine Stimmung!«

»Ich bleibe bis Ende November in Gotha. ich glaube unter uns gesagt, daß der Herzog nicht übel Luft hätte mich bei sich zu behalten. auch in Dresden könnte ich vielleicht eine Anstellung haben. Ob ich aber Drang dazu fühle, daß ist eine andere Sache. Doch ich glaube es würde mir beinah schwer werden bei bedeutenden Anträgen einen Entschluß zu fassen.«

»Göthe habe ich einmal recht angenehm genoßen. Heute ist er nach Jena gereißt um den 3. Theil seiner Biographie zu schreiben. Hier kömmt er nicht dazu. Es ist eine sonderbare Sache mit der näheren Vertraulichkeit Eines großen Geistes. Man sollte diese Herren nur immer aus der Ferne anstaunen.«

»Mad. Schoppenhauer grüßt Dich und Ihren Sohn. Sie macht ein angenehmes Haus, und ist die einzige wo ich öfters hingehe. Vorgestern war ich bei Falk der mir viele seiner neuen Gedichte[385] vorlaß, ein Cyclus unter dem Namen Seestükke. Er las nur 4 Stunden hinter einander. Bei solchen Gelegenheiten wird es mir immer ganz Angst, und ich griffe geschwind in meinen Busen, ob ich es denn auch schon öfter so gemacht habe, und die Leute weil ich zu viel gab, abspannte? Es kann mir wohl paßirt sein, warum sollte ich besser und klüger sein als andre.«

»Nun lebe wohl lieber Bruder. Grüße alle Bekannten und Freunde aufs herzlichste, besonders Flemming, die Koch, Wollank etc. und schreibe bald wieder deinem unveränderlichen treuen Bruder


Weber.«


Von der Großfürstin mit Dank und liebenswürdigsten Lobsprüchen überhäuft und mit einem kostbaren Aquamarin-Solitär beschenkt, kehrte er am 5. November nach Gotha zurück.

Durch alle Kundgebungen Weber's während der Periode seines Aufenthaltes an den Thüringischen Höfen geht eine Klage über Zeitverlust bei fast ununterbrochener aufregender Beschäftigung in der Umgebung und in den Kreisen der hohen Herrschaften, deren Liebenswürdigkeit und Kunstgeneigtheit er nicht anders als rühmen kann. Das Gefühl dieser Zeitvergeudung ist ihm offenbar um so empfindlicher, als seine Wohnung in Gotha und der Ort selbst, so still und traulich für das Produciren geschaffen schienen. In der That ist die Ausbeute an musikalischen Hervorbringungen, welche diese drei Monate gewährten, die der künstlerischen, contemplativen Arbeit so recht eigentlich gewidmet sein sollten, eine verhältnißmäßig geringe.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 382-386.
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