Zelter's »Liedertafel«

[340] Zelter war eine starre, trotzige, nach dem Ausspruche eines berühmten Zeitgenossen »mit dem Beile zugehauene« Natur, die sich nur[340] vor Göthe, da aber auch fast bis zu widerlichem Bücken, neigte und der Weber's feinfühliges, nervöses, rasch bewegtes Wesen auf die Dauer keine Wärme abgewinnen konnte. Er hatte es daher jenem Gefühle von Altmeisterschaft zu danken, daß ihn der alte Ton- und Hausbau-Meister mit ungewohnter Leutseligkeit in seines Lehrers, Fasch, große Schöpfung, die »Singakademie«, die er jetzt mit vollkommener Befähigung, aber derbem Wort und rücksichtsloser That leitete und, wo junge Damen, Künstler, Offiziere und Beamte gleichmäßig vor seinem Taktstocke zusammenzuckten, als sei er nicht zum Dirigiren, sondern zum Schlagen gehoben, persönlich einführte und ihn in den Stand setzte, Leitung und Leistung dieses, damals in seiner Art einzigen Instituts, gründlich kennen zu lernen. Noch höheres Interesse erregte bei Weber indeß Zelter's eigene, junge Schöpfung, die epochemachend, als erstes Grünen eines Zweiges der Musikkultur, betrachtet werden kann, der seitdem im deutschen Volksleben so reiche Blüthen getragen hat, so manchen Ermatteten in seinem frischen Schatten ruhen ließ, und von dem einer der schönsten Sprossen sich in den Kranz flocht, der Weber's Meisterstirne schmückte. Zu Ende des Jahres 1808 hatte Zelter unter dem Namen »die Liedertafel« einen Verein für den reinen Männergesang, der vorher nirgends in dieser Weise cultivirt worden war, gegründet. Derselbe fügte sich aus 24–30 männlichen Mitgliedern der Singakademie zusammen, deren jedes ein Lied dichten, componiren oder wenigstens frei vom Blatt singen können mußte. Die Gesellschaft, demnach aus künstlerisch gebildeten Männern bestehend, versammelte sich einmal monatlich »zur Tafel« und sang die von Mitgliedern oder deren Freunden componirten Lieder, die in Bücher eingetragen wurden. Die Berliner Kunstblätter schenkten der Anstalt, als neu in ihrer Art, viel Aufmerksamkeit, hoben die Eintheilung der Stimmen in 2 Tenor- und 2 Baßstimmen hervor, und einer der bedeutendsten Musikkritiker sagt in der »Leipziger Musikzeitung«: »Es ist in der Sache Etwas von dem Sinne und dem Wesen der deutschen Vorwelt in Absicht auf ihre Dicht- und Singkunst, das recht angenehme Wirkung macht.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 340-341.
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