1803 Abt Vogler

[77] Es war dies der Abt Vogler.

Nur in seltenen Fällen ist es möglich, die Beziehungen, in die Menschen zu einander bei ihrer Annäherung treten müssen, mit solcher Bestimmtheit, aus ihren Charakteren, a priori zu prophezeihen, als dies heim Bekanntwerden zwischen Vogler und Franz Anton von Weber der Fall war. Vogler's und Franz Anton's Geister waren Zwillingsbrüder von merkwürdiger, nur durch die äußere Entwickelung etwas abgeschwächter Aehnlichkeit, die sogar ihren Gesichtszügen einen verwandtschaftlichen Stempel aufgedrückt hatte. Vogler wäre, im heitern Glanze von Carl Theodor's Hofe, unter den Cavalieren der Kurtrier'schen Garde, wahrscheinlich der jovial zerfahrene Franz Anton, dieser wäre am Pedalklaviere Meister Wenzel Stautinger's und unter den Mönchen und Prälaten des Würzburger Hochstifts, die dem Orgelspiel des Knaben lauschten, wahrscheinlich ein hochberühmter, eitler Musiker geworden. Beide glühten für die Kunst, für deren Ausübung sie hervorragende Talente hatten, beide liebten den Glanz in Sein und Schein, beide ließen, wenn es diesen galt, auch einmal Tombak für Gold passiren, beiden stand daher auch in der Kunst die Form über dem Inhalt, die Wirksamkeit über der Tiefe; beide freuten sich mit gleicher Lebendigkeit am sinnlich Wohlgefälligen, beide leitete mit gleicher Kraft die Eitelkeit auf Wege, die von der Bethätigung ihres Talents nach den höchsten Zwecken der Kunst abwärts führten.

Aber Vogler hatte vor Franz Anton das Glück voraus, beim Eintritte in das Leben gleich in diejenigen Sphären der bürgerlichen Gesellschaft zu gerathen, in denen eine Mischung, wie die seiner Psyche war, für die rothe Tinktur, das aurum potabile galt, durch die sich jeder bleierne Gedanke in ein Goldkorn zum Dienste der Rüstzeuge der Kirche veredeln müsse, und den redlichen Streitern in diesem Dienste die Unsterblichkeit tropfenweis eingeflößt werden könnte.[77]

Dem Clerus mußte ein Talent, eine Natur wie Vogler eine unschätzbare Erscheinung sein. Im steten Verkehre mit der streng disciplinirten, unwandelbar ihrer Zwecke bewußten Geistlichkeit, gewann er von Jugend auf den Sinn für Ordnung, Disciplin und bestimmte Richtung des Wollens, der ihn zum berühmten Manne, dessen Mangel Franz Anton zum armen, mit seinem Wunderknaben umherziehenden Musikanten gemacht hatte.

Diese Tendenz auf Ordnung, auf entwickelten Organismus, verbunden mit der Abneigung vor der durch den Geist der katholischen Kirche negirten experimentalen Forschung nach Naturgesetzen, führte einerseits Vogler frühzeitig auf Speculation in der Theorie der Musik in die er »Ordnung und Disciplin« zu bringen strebte, während sie ihn andrerseits diese »Ordnung und Disciplin« in einer Reihe von canonisch gegebenen Satzungen suchen ließ, die der Basirung auf klar erkannte Naturgesetze entbehrten. Es konnte, wie seine sogenannten akustischen Anordnungen in Sälen und Kirchen beweisen, keinen schwächeren Akustiker geben, als Vogler, während man wieder bei Erörterung seiner Vorschläge für Simplificationen und Umgestaltung der Orgel und seiner Anordnung neuer Instrumente auf Tritt und Schritt über seine tiefe Kenntniß der aus der musikalischen Erfahrung abgeleiteten Regeln für Tonbildung und Formung tönender Klänge staunen muß.

Tief gelehrt in Allem was sich im Bereich der Tonwelt durch ein mächtiges Gedächtniß und tüchtige Urtheilskraft erbeuten läßt, bewußt der anzustrebenden Zwecke, talentvoll genug, um selbst seine Ansichten in Kunstwerken zu verlebendigen, als Zögling der Jesuiten geschickt bei jeder Gelegenheit diejenige Facette seines vielseitigen Geistes blitzen zu lassen, von deren Glanz er sich die meiste Wirkung versprach, gewichtig in seinem Ausspruche, imposant und leutselig zugleich im Auftreten, mit Absicht bizarr in seinen Gewohnheiten, um, ohne Staunen zu erregen, jede Lebensform annehmen zu können, dabei aber anderntheils ohne philosophische Consequenz des Denkens, daher voll Unklarheit in seinem Ausdruck, den er für mystische Tiefe auszugeben bestrebt war, der ungenügenden wissenschaftlichen Begründung seiner[78] Systeme und Anordnungen bewußt, die er durch Apodiktik und Aplomb des Vortrags derselben zu maskiren strebte, als etwas charlatanmäßig reisender Apostel seine musikalischen Evangelien an allen Orten der civilisirten Welt auftauchend und verschwindend, von der Geistlichkeit allenthalben gestützt und getragen, von der derben Praxis der Kunst allenthalben angefeindet, war Vogler so recht der Mann dazu, eine große Masse der Kunstgenossen und des Publikums für sich zu interessiren, sie dabei aber in zwei schroff gegenüberstehende Parteien zu theilen, deren eine auf ihn schwor, während die andere ihn verletzerte und bekämpfte.

Aber er war auch weiter der Mann dazu, junge Gemüther, kraft der oben entwickelten positiven und negativen Eigenschaften und seiner geistlichen Disciplin aufs höchste zu beeinflussen und den Werdenden als ein Prophet zu erscheinen, an dessen Schritt sie sich zu heften hätten, sollte er selbst zum Märtyrthume führen. Die Form seines unbestreitbaren Lehrtalents begünstigte solchen Einfluß ungemein, da er es verstand, sich seinen Jüngern stets als ein Hoherpriester voll Milde und Leutseligkeit gegenüber zu stellen, der ihnen indeß nur einen kleinen Theil der ihm von seinem Gott zugeraunten, unumstößlichen Wahrheiten mittheilen dürfe.

Es war dies die sacerdotale Praxis der Patres Martini und Ballotti, der auch diese Tongelehrten einen großen Theil ihres Rufes als Lehrer verdankten, und zu deren Füßen sitzend Vogler nicht allein Tonsysteme, sondern auch den Takt des geistlichen Schrittes und neben der Algebra und den mißverstandenen Cartesianischen Sätzen Balloti's auch den Ton erlernt hatte, in dem der Priester sprechen muß, der keinen Widerspruch hören darf.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 77-79.
Lizenz:
Kategorien: