Bibliothekar Hofrath Lehr

[137] Sein Ehrgeiz wurde rege, seine Bestrebungen Großes zu leisten, welche die Bahn, auf der sie zu diesem Ziele wandeln wollten, noch nicht mit vollkommener Bestimmtheit erkannt hatten, begannen in der neuen Welt des Verkehrs mit Denkern, Schriftstellern und ernsten Künstlern nach neuen Richtungen zu tappen. Eine große Anzahl Musestunden wurden auf Vervollständigung der allgemeinen Bildung gewandt und zu diesem Zwecke, unter des Bibliothekar Lehr Leitung, auf der Königlichen Büchersammlung zugebracht. Lehr war eine denkende, bescheidene, heitere und liebenswürdige Natur, nicht ohne poetisches Talent und Weber componirte von seinen Liedern 1808 »Er an Sie« und 1809 den feurigen reizenden Trinkgesang »Weil es also Gott gefügt«. Weber schloß sich mit Liebe an Lehr an und tauschte dafür kostbare Andeutungen für die Vervollkommnung seines Styls, seiner Form zu denken, für seine kritischen und philosophischen Studien ein. Er las Kant, Wolff und Schelling und die Frucht davon war die, ihm von seinen künstlerischen Collegen so oft halb beneidete, halb verdachte Fähigkeit, logisch und klar zu denken, ästhetisch zu empfinden und bewußt zu werden und seinen Gedanken einen sprachlich genügend richtigen Ausdruck zu geben. Diese Fähigkeit, die ihn später verleitet hat, sich selbst auf ästhetischem und kritischem Felde zu versuchen, ist für den schaffenden Künstler immer mit großen Gefahren verknüpft, wie wir neuerdings an einer ganzen Schule[137] wunderlicher Halbkünstler in drolliger Weise sehen, die sie zu ihren Selbstkritikern gemacht hat.

Insoweit indeß die Entwickelung dieser Fähigkeiten charakteristisch für Carl Maria's Ausbildung war, ist der Aufenthalt in Stuttgart, wie in so vielen anderen Beziehungen, höchst bedeutungsvoll für ihn gewesen.

Aber das Jugendblut, das seine Thorheits-Wellen in Wien zu schlagen begann und in Breslau und Carlsruhe fortgebrandet hatte, war noch nicht verbraust, der aus allen Punkten blasende Wind des Leichtsinns, der es schaumig aufjagte, hatte sich noch nicht gelegt, die Folgen von Schulden, Liebschaften, vorschnelle Entschlüsse und Anordnungen hatten ihm bisher höchstens böse Gesichter geschnitten, ihn nicht ernstlich gezüchtigt, als er nach Stuttgart kam. Dieß war aber damals mit seinem wilden Hofleben, seinem verrotteten Beamtenstande und bedeutungslosen, öffentlichen Treiben nicht der Ort, ein feuriges, zu Abwegen so wie ein jedes andere. hingeneigte Jünglingsgemüth, in Pflichtgefühl, moralischer Disciplin und scharfem Blick für die seinen Unterschiede vom sittlich Richtigen, dem allenfalls Erlaubten und dem nach damalig dortigen Beamtenbegriffen Gestatteten zu schulen.

Der reservirte, ja fast ängstlich gegen die unerquickliche Außenwelt abgeschlossene, unfreie und bürgerliche Ton, in den Familienkreisen der oben erwähnten, angesehenen Männer, konnte dem lebenslustigen jungen Künstler nicht genügen, zudem führte ihn sein Verhältniß zum Herzog Ludwig mit einer Menge im Schutze ihrer Stellung ungebunden lebender Cavaliere und Officiere zusammen, die theils selbst in Musik und sonstigen freien Künsten dilettirten, theils sich gern mit Künstlern vergesellschafteten und endlich war der Dienst leicht, und im Schlosse waren »Trinkstübchen« für Cavaliere und Hofbeamte angelegt und der Schwäbische Wein war gut und wohlfeil, und Hoch und Niedrig lebte, ohne einen Blick auf morgen, lustig in den Tag hinein, und Schulden haben, zechen, Mätressen halten und mehr verzehren als man hatte, gehörte so zum Ton in dem Hofkreise, sein Fürst und Herzog ging ihm darin mit so trefflichem Beispiele voran, daß der[138] junge, biegsame, neugeschaffene Hofbeamte, sich wie gar nicht in die Sphäre, in der er nun einmal lebte, gehörig vorgekommen, ja wie eine lebendige Mahnung für seinen Herrn erschienen wäre, hätte er nicht mitgetrieben – – wozu ihn schließlich Blut und Temperament der Lebensperiode trieb.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 137-139.
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