Hiemer's Text zur Oper »Sylvana«

[139] 9 Jahr älter als Weber, war Hiemer eine joviale liebenswürdige Natur, die das Herz auf der Zunge hatte und Carl Maria sehr wohl zusagte, der ohne große Schärfe des Urtheils für poetisch-dramatischen Werth eines Textes, ein Mangel, der ihm selbst in der höchsten Reise seines Talents geblieben ist, in Hiemer den Mann erblickte, der ihm einen begeisternden Text zu einer Opernschöpfung liefern könnte. Er[139] theilte ihm den Ritter Steinsberg'schen Text zum »Waldmädchen« mit, Hiemer schmiedete aus diesem, aller Wahrscheinlichkeit nach sehr mittelmäßigen Werke, ein neues Opus, das, schwach in der Erfindung des Details, glatt im Dialog, unsinnig in den Späßen, unreif in der Versification, die bekannte Fabel von dem wilden, stummen Mädchen, welches durch Liebe die Sprache erhält, mit einigen anregenden, dramatisch wirksamen Pointen, aber sonst so plump und unwahrscheinlich behandelte, daß ein wahres Muster eines unbeholfenen romantischen, deutschen Operntextes zu Stande kam. Weber war merkwürdiger Weise im Stande sich dafür zu begeistern, ja hielt sogar auf Connexion und Versification der schriftstellerischen Mißgeburt große Stücke, und schrieb schon gegen Mitte des Jahres 1808 einige Nummern der Oper, die den Namen »Sylvana« erhielt, nieder. Sie wurde indeß erst im Februar 1810 vollendet.

Weit größern Einfluß als irgend eine andere Persönlichkeit in Stuttgart, ja vielleicht irgend eine überhaupt, Vogler nicht ausgenommen, hat auf Weber's künstlerische Entwickelung ein Mann geübt, der nicht unter die Bahnbrecher im Reiche der Musik, aber zu jenen gehört, die durch Vereinigung von Wissen und Individualität dafür geschaffen sind, das Talent mit dem sie in Beziehung treten, bewußt zu machen, ihm die eigentlich ursprünglichen Seiten seiner Schöpferkraft innewerden zu lassen, mit großer Klarheit künstlerische Mittel und Wege zur Erreichung großer Zwecke zu bezeichnen, unwiderstehlich zum Schaffen zu treiben und, in nüchterner Erkenntniß des mäßigen Umfangs eigenen Könnens, durch Beispiel und rastlose Thätigkeit zu zeigen, was die bedeutende Begabung zu thun hat, um groß zu werden.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 139-140.
Lizenz:
Kategorien: