[138] Zu Anfang des Jahres 1818 sehen wir Weber mit den bittern Empfindungen ringen, mit welchen eine der herbsten und unverdientesten Kränkungen, die ihm während seiner ganzen Künstlerlaufbahn zugefügt wurden, seine Seele erfüllt hatte.

Gleich bei seinen ersten Opernleitungen in Dresden, hatte er unbehaglich wahrgenommen, daß das Orchester in einer Weise angeordnet war, welche ihm eine Direktion in seinem Sinne, d.h. fortwährende Beeinflussung des Ganzen einer Operndarstellung, des Orchesters, der Sänger, des Chors und Decorationswesens etc. unmöglich machte.

Das Dresdener Orchester hatte die Form eines länglichen Vierecks, das seine langen Seiten nach Parquett und Bühne kehrte. Rechts und links erstreckte es sich mit höhlenartigen, 7 Fuß hohen Vertiefungen, unter die im Proscenium angebrachten Hoflogen, von denen die rechts der König, die links die Prinzen einzunehmen pflegten. In der Vertiefung unter der Prinzenloge führte die Treppe in's Orchester herab, unter der des Königs waren die Pauken und Trompeten und[138] die andern, bei türkischer Musik vorkommenden, Instrumente eingepfercht. Diese Instrumente konnten aus dieser Höhle hervor weder zu genügender Geltung kommen, noch waren deren Spieler im Stande, den Dirigenten zu sehen, der, mitten im Orchester, auf einem Podest vorm Clavier saß. Der falsche Einsatz dieser starktönenden Instrumente brachte daher sehr oft die unangenehmsten Mißhelligkeiten hervor. Der Standpunkt des Dirigenten mitten im Orchester isolirte denselben vollständig von der Bühne, machte es unmöglich, die Sänger durch leise Andeutungen zu unterstützen, oder mit dem Orchester den Vorgängen auf der Bühne genügend zu folgen, dem Souffleur Zeichen zu geben und in die Coulissen zu sehen und zu winken.

Bei der specifisch italienischen Oper mit ihrem kleinen, eingespielten Repertoire, ihrem schwachen Orchester und Personale, ihrem Mangel an Chören und Ensembles, und der bei ihr üblichen Leitungsform, deren ganzer Schwerpunkt im Einflusse des Dirigenten auf den ersten Violinisten, und für die Gesangsleitung auf den Contrabässen lag, hatte dieß um so weniger auf sich gehabt, als die Capellmeister sich bisher meist lediglich mit dem rein Musikalischen der Operaufführung beschäftigt hatten, in dem das Hauptmoment der italienischen Oper fast ausschließlich lag, das ganze Scenische aber den Regisseuren allein überlassen geblieben war.

Für Weber, der die Gesammtheit der dramatischen und musikalischen Erscheinung der Oper an den Wink seines Kopfes, den Blick seines Auges, die Bewegung seines Taktstockes band, war dieß ein großes Hinderniß, die Aufführung der neuen Opern mit ihrem stärkeren Orchester, ihren Personalmassenentfaltungen auf der Bühne, ihrem rascher fortschreitenden, bewegten, handelnden, dramatischen Leben, ihrer detaillirten Durchbildung der Charakterzeichnungen u.s.w. in entsprechender Weise zu beherrschen und zu beseelen. Dieser Tendenz widerstrebte auch die Anordnung der Instrumente im Orchester selbst. Hinter dem Dirigenten saßen nämlich ein Contrabassist und ein Cellist, die mit ihm aus der Partitur lasen und fortwährend durch die Bewegungen des Dirigenten am Erkennen der Noten gehindert wurden, diesem aber verdeckte der starke Ton dieser Instrumente in[139] solcher Nähe am Ohr alle Subtilitäten des Orchestervortrags und hinderte ihn Fehler sein zu hören. Vor dem Dirigenten saß wieder ein Contrabassist und ein Cellist, so daß er ganz vom Klange dieser starken Instrumente umgeben war. Der dritte Contrabaß war in der Ecke des Orchesters, an der Königsloge, postirt. War, bei vollem Orchester, ein vierter Contrabaß nöthig, so wurde für diesen ein Stückchen vom Parquett abgetheilt. Rechts vom Dirigenten saß der erste und zweite Violinist am selben Pulte, vor demselben zwei Bratschisten und links von diesen wieder vier erste und vier zweite Violinen. Mitten zwischen dem Streichquartett, vorn an der Bühne an, saßen je ein Alt-, Tenor- und Baßposaunist, welche die Streichmusik nicht allein ungemein belästigten, sondern auch deren Klangwirkung sehr beeinträchtigten. Links vom Dirigenten saßen zunächst zwei Flötisten und zwei Oboisten, dann kamen zwei Clarinettisten und zwei Fagottisten, und endlich zwei Hornisten und zwei Trompeter. Waren vier Hörner nöthig, so wurden die Trompeter in die Höhle unter der königlichen Loge verbannt.

Nachdem Weber volle acht Monate lang diese Orchesteranordnung studirt und von ihrer Unzweckmäßigkeit, besonders für die Ziele der deutschen Oper, vollständige Ueberzeugung gewonnen hatte, beschloß er dieselbe, was mit leichter Mühe und ohne Kosten möglich war, in rationeller Weise umzugestalten. Er sollte mit Schmerz und Kränkung erfahren, was es damals hieß, in Dresden bei einem Hofinstitute an hergebrachte, zur Gewohnheit gewordene, wenn auch noch so unzweckmäßige Formen, zu tasten, wenn man das Recht dazu nicht durch ganz besondern Stand der Gnade verliehen erhalten hatte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 138-140.
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