Weber's Beziehungen zu Tieck

[272] Je ausschließlicher sich Weber's künstlerische Thätigkeit Bühnen-Schöpfungen zuwandte, um so mehr fühlte er sich zu den geistigen Verlebendigungen dramatischer Meisterwerke hingezogen, die Tieck in seinen Vorlesungen gab, wo in den stattlichen Räumen seiner großen Wohnung ein auserlesenes, geladenes Auditorium, oft vier Stunden lang, fast ununterbrochen, der sonoren Stimme des berühmten Vorlesers lauschte, dem es bekanntlich leicht war, ohne Ermüdung, ja fast ohne Pause, ein fünfaktiges Stück vorzutragen, ohne einen Augenblick[272] lang die Charakteristik einer Person matter zu coloriren. Tieck duldete keine Bewegung während er las, keine Handarbeit der Frauen, ja selbst ein Räuspern konnte ihn ungeduldig machen.

Trotz der nervösen Anspannung, die sich durch diesen unerbittlichen Zwang hervorrief und die Weber's beweglichem Temperamente oft sehr peinlich fiel, pflegte er doch selten bei Tieck's Vorträgen zu fehlen.

Als durch und durch praktischer Mann war er weit davon entfernt, Tieck's Ansichten von der Ausübung der dramatischen Kunst zu theilen, die, idealistisch und unmöglich, aus den Anforderungen des Nationalcharakters und der Zeit herausfielen. Auch hat er einige Jahre später, wo Tieck dazu berufen wurde, unmittelbar in das Leben der Dresdener Bühne einzugreifen, oft zu den Gegnern von dessen Maßnahmen gehört und, unter fortwährender Versicherung seines treuen Verehrens von Tieck's Verdiensten um die deutsche, romantische Poesie und die Einbürgerung der großen, ausländischen Poeten, seine Ueberzeugung ausgesprochen, daß seine Einwirkung auf die unmittelbare Praxis der Bühne eher schädlich als nützlich sein müsse. Der Erfolg hat die Ansicht bewahrheitet. Aber die Thatsache brachte einen Mißton in die Beziehungen des Dichters und des Componisten. Da jedoch, wo Tieck keiner Schauspieler, keines Schauplatzes zur Verlebendigung dramatischer Ideen bedurfte und charaktervolle Gestalten aus körperlosem Klange mit seinem mächtigen Organ hervorzauberte, alle Akteure des von ihm vorgetragenen Werkes, so zu sagen, aus Fleisch und Bein von seinem eigenen Geiste, Himmel und Erde aus seinem Herzen, seiner Seele schuf, da erkannte Weber den größten Meister dramatischer Darstellung in ihm und konnte seinen Offenbarungen wie ein Kind lauschen. Selten verließ er eine Vorlesung ohne eine Bemerkung, die darthat, daß er Neues erkannt und gelernt hatte. Wir kommen auf das Verhältniß dieser in der Theorie ihres Kunststrebens so sympathischen, in der Praxis so weit auseinanderlaufende Wege verfolgenden Geister später noch einmal zurück. Hier sei nur erwähnt, daß Weber, der dahin gewirkt hatte, Tieck von der Bühne selbst fern zu halten, es sich mit Freude zum Verdienst anrechnete, mit dazu beigetragen[273] zu haben, daß Tieck dahin bewegt wurde, vom Jahre 1821 angefangen, »dramaturgische Bemerkungen6 über die Aufführungen auf der Dresdener Bühne« in der »Abendzeitung« zum Abdruck zu bringen und so dem recitirenden Schauspieler wesentlich zu nützen. Abweichend von den Anschauungen vieler dramatischer Componisten, erblickte Weber, wie auch seine Bestrebungen, P. A. Wolff für Dresden gewinnen zu helfen, beweisen, im Schauspiele nicht den Rivalen, sondern den treuen Bruder der Oper, und hielt die Vervollkommnung der einen ohne die des andern für eine Absurdität.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 272-274.
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