Das Berliner »National-Theater«

[287] Schon 1784 hatte das deutsche Schau- und Singspiel dem französischen Schauspiele und zum Theil auch der italienischen Oper die Hauptschlagadern ihrer Existenz im öffentlichen Leben unterbunden und, charakteristisch genug für die volksthümliche Entwickelung der Berliner deutschen Bühne, sah sich Friedrich Wilhelm II., durch die Gewalt der öffentlichen Stimme gedrängt, Döbbelin's Schöpfung, durch Erhebung zum »National-Theater«, als ein Institut zu kennzeichnen, das dem Drange des Berliner Publikums nach einer selbstständigen deutschen Kunstanstalt sein Dasein verdankte und die Theilnahme des Staats an demselben, durch eine Subvention von 6000 Thlr. und die Einsetzung einer Oberleitung, kund zu geben. Der artistische Theil derselben wurde in des redlichen Engel, später in Ramler's und Warsing's Hände gelegt. Das Glück gab diesen Wackern zu ihren echt deutschen Bestrebungen Rüstzeuge von höchster Kraft in die Hände. Fleck, Mattausch. Kaselitz, Unzelmann, Czechtitzky, die Unzelmann und Baranius verkörperten die Schaaren großartiger Schöpfungen, welche die Blüthenperiode deutscher Poesie, Musik und Schauspielkunst, wie im unausgesetzten goldnen Strome, quellen ließ. Was Mozart, Dittersdorf, Dallayrac, Salieri, Kreutzer, Gluck, Anselm Weber, Cherubini ertönen ließen, Schiller, Göthe, Iffland, Kotzebue, Untzer,[287] Ziegler, Lafontaine dichteten, sammelte die Geister unwiderstehlich mit deutschen Tönen und Gedanken um die Bühne, machten, mit feurigen Zungen redend, das Publikum immer mehr der Größe deutschen Geistes bewußt, stolzer auf seine Nationalität.

Bis zum Jahre 1795 hatte das Berliner Nationaltheater kein eigentliches Opernpersonal. Die dazu befähigten Schauspieler mußten die Opernparthien singen, und was die Werke dadurch vielleicht an musikalisch-technischer Schönheit verloren, gewannen sie an Gesammtwirkung durch das treffliche Zusammenspiel. Lippert, der heut den Belmont sang, spielte morgen den Posa; die Unzelmann sang heute die Constanze, morgen die Gräfin im Figaro, spielte übermorgen die Eboli und dann Elise Valberg. Der Baranius fiel hinter einander Blondchen, Susanna, Königin im »Carlos« und die Margarethe in den »Hagestolzen« zu; Kaselitz spielte heut den Lerma und sang morgen den Bartolo; Unzelmann gab den Posa und den Figaro u.s.w. Erst als Warsing den Pomp der großen italienischen Oper, von der Vorstellung von Gluck's Iphigenie (1795) an, auf das Nationaltheater verpflanzt hatte, begann Bernh. Anselm Weber, der mit größtem Eifer der Pflege der deutschen und besonders der Gluck'schen Oper oblag, auf die Gewinnung einer Anzahl erster wirklicher Sänger Bedacht zu nehmen und die Anstellung der Sänger Eunicke und Frau, Hübsch, Rau, Weitzmann, Gern, Schick Tochter und Blume hob die Oper des Nationaltheaters zu vollständiger Ebenbürtigkeit mit der Italienischen. Hierzu trug noch bei, daß, auf ausdrücklichen Befehl des Königs, das Balletkorps der italienischen Oper fortan auch auf dem Nationaltheater mitwirken mußte, eine Maßnahme, welche die spätere Vereinigung beider anbahnte.

Bei Friedrich des Großen Tode war die Hofoper, die den alten Helden nicht mehr interessirte, tief gesunken. Die Mara war entwichen, das Institut, das der Herrliche nicht mehr besuchte, unpopulär geworden, das Haus oft leer, trotz des freien Einlasses.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 287-288.
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