Weber's Derbheiten und Mißhelligkeiten beim Einstudiren des »Don Juan«

[340] Seit seiner Rückkehr von Berlin hatte Weber nur eine Oper, Dalayrac's »Adolph und Clara«, neu auf die Bühne gebracht. Reparatur und Umbau des Theaters in der Stadt näherte sich im September seiner Vollendung und für dessen Wiedereröffnung bereitete Weber die erste Vorstellung des »Don Juan« in deutscher Sprache, die Dresden hören sollte, vor. Er widmete diesem, von ihm so sehr bewunderten, größten Meisterwerke dramatischer Tonkunst allen Fleiß. Das treffliche Gedächtniß Bassi's, für den der Meister den »Don Juan« geschrieben, der die Rolle unter den Augen Mozart's öfter gesungen hatte, ging hierbei seinem Bestreben, Mozart's Intentionen auch im kleinsten Detail der Musikleitung und Bühnenpraxis zu treffen, kräftig zur Hand.

Diese Vorstellung, auf die er sich wahrhaft gefreut hatte, brachte ihm, zum großen Theile durch eigene Schuld, eine Reihe Verdrießlichkeiten.

Bemerkt mag hierbei beiläufig werden, daß Bassi, auf Grund seiner Mozart'schen Erinnerungen, auf Darstellung der Oper ohne die Sätze nach Don Juans Höllenfahrt drang. Er traf damit vollständig Weber's Meinung, der den Abschluß des Werkes durch diese Sätze für matt und undramatisch erklärte.

Er hatte, nach der von ihm sorgsam durchgesehenen Partitur, neue Stimmen für die Oper ausschreiben lassen; diese zeigten sich so voll Fehler, daß er, in seiner derben Art, grimmig ausrief: »Die[340] Notisten, die Sakramenter, sollte man mit den Ohren an den Tisch nageln!« Kaum war das durch diese Grobheit verletzte Gefühl dieser Herren etwas besänftigt, als ihm eine ähnliche wieder entfuhr. Beim Einstudiren des Maskenballchors leistete der durch ein Militärmanöver zerstreute Chor ungewöhnlich Ungenügendes, und Weber ließ sich von seinem Dirigentenpulte zu Miksch hinauf verlauten: »Nehmen Sie sie tüchtig zusammen, sie singen ja heut wie die Schweine!« Das fuhr dem Personale, nicht mit Unrecht, in die Nase und Tags darauf erschien eine Deputation von vier Chormitgliedern bei Weber, die ihn achtungsvoll aber dringend bat, auf irgend eine Weise die stürmisch aufgeregten Empfindungen des ganzen Personals zu besänftigen. Der ruhiger gewordene Meister, den die Derbheit längst gereute, versprach es. Erwartungsvoll stand das Personal auf der Bühne, als er das nächste Mal im Orchester erschien. Er ließ die sehr correkt ablaufende Probe ruhig vorübergehen und erst, als sich Alle sehr getäuscht entfernen wollten, rief er aus: »Meine Damen und Herren vom Chor, auf ein Wort! Ich habe Sie neulich durch die Art meines Tadels verletzt und frage Sie heut, ob ich Recht hatte Ihre Leistung zu tadeln? Sein Sie offen!« Ein lautes »Ja« ertönte. »Nun, da Sie mir dieß zugestehen,« sagte er, sein Käppchen abnehmend, »gestehe ich Ihnen, daß es mir von Herzen leid thut, Sie beleidigt zu haben!« Der überraschte Chor brach in ein jubelndes Hoch auf ihn aus.

Bei denselben Proben bemerkte er im Chor ein junges Mädchen, das ihm von Miksch als talentvoll vorgestellt, aber von ihm noch nicht geprüft, noch weniger aber zum Engagement empfohlen worden war. Auf seine Anfrage an Miksch, was das junge Mädchen da wolle? entgegnete dieser barsch: »Es sei die neue, von ihm vorgeschlagene und vom Generaldirektor angestellte Choristin Hanf.« Worauf Weber entgegnete, daß nur von ihm geprüfte Choristen angestellt würden und er das Mädchen auszutreten ersuche. Miksch schrieb ihm einen leidenschaftlichen Brief, dessen Gesichtspunkte Weber durch nachfolgende Zuschrift zu berichtigen für gut fand:[341]


»Dresden am 11. Oct. 1821.


Allerdings habe ich mich selbst auch von den Fähigkeiten der Demoiselle Hanf überzeugen wollen, ehe ich ihre Anstellung zufrieden war. Ew. Wohlgeb. scheinen im gänzlichen Verkennen Ihrer Verhältnisse als Chordirektor zu dem Kapellmeister befangen zu seyn, wenn Sie sich darüber verwundern. Daß der Herr Geheime Rath von Könneritz früher als dies geschehen, Mlle. Hanf schon bestimmt angestellt habe, mag auf einem Mißverständniß beruhen, und werde ich darüber bei demselben gebührend meine Anfrage machen. Der Chordirektor hat aber blos vorzuschlagen, und kann weder willkührlich verabschieden noch anstellen.

Herr Mezner stellte in der Regel die Choristen mir selbst vor, wo ich sie nach Befinden hörte oder nicht. In einem Institute, das ich selbst erschaffen, wird mir schwerlich Jemand vorschreiben können, was ich für nöthig oder nicht nöthig zu erachten habe.

Von persönlicher Kränkung in Bezug auf Ihre als Gesangslehrer erworbenen Kenntnisse, kann hier nicht die Rede seyn.

Auf meinen Vorschlag und nicht ohne Mühe von meiner Seite hat der Herr Graf von Vitzthum Sie zum Chordirektor gemacht. Ich pflege nur nach Ueberzeugung zu handeln und diese nicht alle Augenblicke zu wechseln, die Achtung, die ich für Ihre Kenntnisse und Erfahrung als Gesangslehrer hatte, habe ich noch, und als einen Beweis derselben mögen Sie diese Erwiederung auf eine Anfrage ansehen, die ein so totales Verkennen Ihrer Dienstverhältnisse ausspricht.

Ew. Wohlgeboren bereitwilliger etc.«


Neue Vorführungen des »Don Juan« wurden immer verhängnißvoll für Weber's Beziehungen zu seiner Direktion; hier wie damals in Prag. So war auch von allen Mißhelligkeiten, die sie im Gefolge hatte, die letzte die unangenehmste. Die Oper war, nebst der ebenfalls neuen »Donna del Lago« Rossini's, acht Tage vor Wiedereröffnung des umgebauten, neu decorirten, heller beleuchteten, mit brauchbarern Maschinerien versehenen Theaters, zur Aufführung fertig. Da erhielt Weber Befehl, daß das Theater mit der italienischen Oper[342] eröffnet werden solle, die erste deutsche Vorstellung des »Don Juan« aber vorher stattzufinden habe. Das erhabenste Meisterwerk dramatischer Tonkunst erschien daher am 23. Sept. 1821, zum ersten Male in deutscher Sprache in Dresden, auf der kleinen Bretterbühne des Theaterchens am Linke'schen Bade!

In Folge dieser und einiger anderer Angelegenheiten, die mißbilligend »Oben« vernommen worden waren, erhielt Weber eine Anzahl mehr oder weniger Verweisen ähnlich sehende »Bedeutungen«. Wir werden später sehen, in welch' geistreich-humoristischer Weise er seinen kleinen Grimm darüber zu erkennen gab.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 340-343.
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