Fest zur 50. Aufführung des »Freischütz« in Berlin

[444] Hier hatte sich eine Anzahl ausgezeichneter Männer, unter Lichtenstein's Vorsitz, zusammengethan, um die funfzigste Aufführung des »Freischütz« durch ein kleines, geistig belebtes Fest zu feiern, das aus gemeinschaftlichem Anhören der Oper und darauf folgendem Mahl bestehen sollte. Der Intendant, der treffliche Graf Brühl, freute sich des Vorhabens und schrieb an Lichtenstein folgende kernige Zeilen:


»Berlin am 18. December 1822.


Ew. Wohlgeboren,


Benachrichtige ich hierdurch ganz ergebenst, daß die fünfzigste Vorstellung des Freyschütz binnen einem Zeitraum von 18 Monaten, Sonnabend den 28. December statt haben wird. Ich habe Ihrem Wunsche gemäß den Logenmeister Lehmann aufgetragen, die ganze rechte Seite des Balcons im 2. Range für Ew. Wohlgeboren zu notiren und können Sie die 38 Billets schon am nächsten Mittwoch hier im Büreau in Empfang nehmen lassen. Es freut mich gar sehr, daß Ew. Wohlgeboren zu Ehren unsres wackern Weber ein Fest veranstalten wollen, denn er verdient diese Auszeichnung in jeder Hinsicht; möchte er doch an diesem Tage hier seyn, und den Triumph genießen[444] können, sein geniales Kunstwerk selbst zu dirigiren. Sollten seine Freunde nicht auch dafür sorgen, dem Publiko durch einen Zeitungs-Artikel kund zu thun, daß diese fünfzigmalige Wiederholung nicht etwa in einem Zeitraum von vielen Jahren, sondern in 18 Monaten stattfindet? Einige heftige Widersacher des Freyschütz, welche nur der modernen, hochtragischen Musik Gerechtigkeit widerfahren lassen, und den Weber'schen Freyschützen in die Pfanne hauen, behaupten zwar, es sey nichts als der Teufelsspuk. welcher die Leute anlocke; indeß kann ein solcher theatralischer Knalleffect hier in Berlin nicht 50 wohlbesetzte Vorstellungen herbeiführen.

Empfangen Ew. Wohlgeboren die Versicherung der ausgezeichneten Achtung und freundlichster Ergebenheit.


Brühl.«


Weber wurde nun in Kenntniß von dem Vorhaben gesetzt und durch ein herrliches, wie es scheint von Lichtenstein verfaßtes, mit den Unterschriften aller Theilnehmer des Festes versehenes Schreiben aufgefordert, in Person, oder wenigstens im Geiste, bei der am 28. Dec. Abends zu seiner Ehre versammelten kleinen Gemeinde zu sein.

Selten hat ihn ein Liebesbeweis, ein Zeichen von Hochachtung. so tief erschüttert, als diese Veranstaltung, die von geistig so hoch-, seinem Herzen so nahe stehenden Menschen ausging.

Er schrieb an Lichtenstein den nachstehenden Brief. Dieser wirst von allen Briefen, die er überhaupt geschrieben, vielleicht die kräftigsten Lichter auf sein Denken und Schaffen und seine Dresdener Dienst- und geselligen Verhältnisse, so daß wir ihn in ganzer Ausdehnung folgen lassen:


»Dresden den 18. December 1822.


Das ist nun einmal wahr und ausgemacht, daß alle wahren Beweise von fortwährender Theilnahme und Liebe stets von Euch, meine lieben Freunde in Berlin, kommen. Ich kann dir nicht genug sagen, lieber Bruder, was dein Brief mir für Freude gemacht hat. Ich war so exaltirt, daß wenn ich gewußt hätte, ob den 28. die Sache vor sich ginge, ich mich wahrhaftig in den Wagen gesetzt hätte, und den[445] Abend so unverhofft in Eure Mitte getreten wäre. Ich konnte mir das so schön ausmalen, daß ich nur mit großer Ueberwindung von dem Gedanken loskomme. Aber erstlich, stell dir vor, daß ich seit 4 Wochen der einzige dienstfähige Kapellmeister bin, da Morlacchi und Schubert krank liegen, und ich also allen Dienst in allen Zungen thun muß. Zweitens wäre es die Hauptpointe, daß mich Niemand in Berlin eher zu sehen bekäme, als bis ich an den Jagor'schen Tisch treten könnte, und – – wie leicht könnte dies vereitelt werden bei den vielen Zufällen, die eine theatralische Vorstellung zu fürchten hat. Am Ende käme ich gar nicht einmal in's Theater selbst, nemlich unbemerkt, und bemerkt zu werden vermeide ich in dergleichen Gelegenheiten auf's Angelegentlichste, weil es gar zu leicht als ein nach Prunk Haschen aussehen könnte, was meiner Natur in den Tod zuwider ist. Also, fahre hin, schöner Traum, dessen Ausmalen ich mir immer nicht versagen kann, und in dem ich mich recht eigentlich wiege. Ich lege dir hier einige Worte bei, die ich dich bitte den Versammelten vorzulesen. Ich weiß noch nicht was ich sagen werde, und bin wahrlich recht verlegen darum, da mir das Herz so voll ist. Für große, öffentliche Ehrenbezeugungen habe ich ein ziemlich durables Fell bekommen. Aber Beweise wahrer Liebe machen mich wirbeln, und ich glaube dann nie so recht ordentlich es zu sagen, wie mir's um's Herz ist; und so ist es auch. Das Rechte bringt man nicht heraus.

Das Ungewöhnliche dieses Beifalls muß mir auch billig ungewöhnlich bang für die Zukunft machen. Wenn der Jubelgreis nur nicht vor der Zeit alt wird. Komisch war, daß man mir einige Stunden vor Eingang deines Briefs eine berliner Rezension über den Freyschütz zuschickte, wo es mir gar übel ergeht. Darauf kam aber dein Brief, wo es mir gar zu gut geht. Was anderweitige Anerkennung höheren Orts betrifft, so glaube ich nicht daran. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich glaube, ich habe kein Glück bei den Großen dieser Erde.

Gern bestätige ich unser sämmtliches Wohlsein. Max nimmt herrlich zu, und hat vor 14 Tagen seinen ersten Zahn bekommen. Der verehrte Herr Bruder sticheln aber etwas und meinen, ich würde[446] wohl einige Aber anhängen? Du hast wohl Recht, theurer Freund, wenn du mich eine unzufriedene Seele nennst. Dein letzter, lieber Brief vom Mai enthält inhaltschwere Worte, die so treffend sind, daß meine Lina ganz ernstlich darauf drang, ich sollte ihn alle Morgen durchlesen. Das habe ich nun zwar nicht so buchstäblich gehalten, aber oft habe ich ihn gelesen, und eben so viel beruhigenden Trost als Ermuthigung daraus empfangen. Gewiß bin ich ein von Gott mit vielem Glück überschütteter Mensch. Nur zwei Dinge betrüben mich gewiß mit Recht. Meine gar zu schwankende Gesundheit und mein Alleinstehen hier in jeder Hinsicht. Seit meinen bedeutenden Erfolgen habe ich manche betrübende Erfahrung in meiner Umgebung machen müssen, und das thut so wehe. – In Berlin, selbst in Wien, würde ich gewiß das doppelte arbeiten wie hier, und zwar mit der größten Leichtigkeit, weil freudiger Trieb und Anregung da nicht fehlen. Hier muß ich alle Luft rein aus mir saugen, und daß sie dann selten erscheint, ist doch wohl natürlich. Der Aufenthalt in Pillnitz den ganzen Sommer hat Weib und Kind und auch mir recht wohl gethan. Das Letztere ist wahrhaft zu verwundern, da ich alle Wochen (oft 8–9 Mal) in die Stadt fahren mußte, dabei meistens Abends nach dem Theater wieder nach Hause, so daß es wahrlich oft Strapatze war. Die den ganzen Sommer und noch jetzt fortdauernde Krankheit Schubert's zwang mich dazu. Darunter litt natürlich die arme Euryanthe am Meisten. Jetzt kamen die Feierlichkeiten zur Vermählung des Prinzen Johann dazu, wo Morlacchi schnell erkrankte, so daß ich ein Hof-Conzert ohne Probe übernehmen mußte, und seine eigene Cantate, die er zu dieser Feier componirt hatte. Schon früher hatten wir uns, Gottlob, verständigt, und der Eifer, mit welchem ich ihm hier meine Theilnahme bewies, scheint die Ruhe von dieser Seite begründet und dadurch meine hiesige Existenz unendlich verbessert zu haben. Der Himmel erhalte es dabei. Damit mir nun bei dieser täglich 8-9 Stunden füllenden Arbeit nicht etwa gar Euryanthe einfiele, mußte ich auch 6 Musikstücke zu einem Festspiele für Robert componiren. Dafür hat mir mein gnädigster König einen schönen Brillantring geschenkt, die Aufführung meiner Oper aber für diesen Winter unmöglich[447] gemacht. – Im März kommen die Italiener wieder nach Wien, mit denen mag ich nicht caramboliren, ich habe also das Ganze bis zum Herbst 1823 verschoben. Unterdessen hat man mir auch angetragen. eine Oper für London zu schreiben. Du siehst, daß es mir nicht an Gelegenheit fehlte, durch Vielschreiberei dummes Zeug zu liefern; ich lasse mich aber nicht irren und warte auf die gute Stunde. Von künftigem Sommer hoffe ich viel, in der schönen Natur, und ungestörten Ruhe, wenn's wahr ist! –

Der Dichter und Theater-Regisseur Treitschke in Wien hat eine sehr bedeutende Schmetterling-Sammlung. Er wünscht mit dir in Tausch, Kauf etc. zu treten. Ist es dir erwünscht, so schicke mir, was du allenfalls an ihn schreiben willst.

Du kannst denken, wie begierig ich auf die nächsten Briefe bin. Bis zum 20. kann dieser nicht in Berlin seyn, da er erst den 19. Abends abgeht.

Meine Lina grüßt bestens mit mir Victoire und die Kinder. Es ist mir sehr lieb, dein Urtheil über die Logier'sche Methode zu hören, da man aus dem Hin- und Hergeschrei doch nicht das Rechte heraus findet.

Nun Gott zum Gruß, und genug für heute. Ich umarme dich dankbarst gerührt mit vollem Herzen und bin wie


immer und immer

dein Weber.«


Je deutlicher Lichtenstein aus diesem Briefe sah, wie nahe Weber's Herzen ihr Vorhaben ging, um so eifriger drang er auf sein Hinkommen und sandte, zur Unterstützung seiner Bitte, Brühl's obiges Schreiben mit.

Weber antwortete in wenigen, aber charakteristischen Zeilen, die wegen des darin ausgesprochenen Zweifels an der Ursache des Freischütz-Erfolgs von Bedeutung sind:


»Dresden am 26. December 1822.


Du kannst glauben, daß ich die größte Lust hätte, die lieben Freunde so zu überraschen, und mir einen gewiß unvergeßlichen Abend[448] zu bereiten. Es geht aber nicht. Morlacchi und Schubert sind noch krank, ich habe daher auch wahrscheinlichst das Neujahrs-Conzert bei Hof, welches ich wenigstens jetzt schon anordnen muß, und außerdem täglich zwei Mal solennen Kirchendienst. Im Geist bin ich gewiß bei Euch, und punkt 10 Uhr werde ich hier mit meiner Lina des ganzen Freundeskreises Gesundheit trinken.

Glaube es wohl, daß sich Widersacher finden. Ist auch natürlich. Der Teufelsspuk macht mich selbst oft irre, und wenn nicht ehrenwerthe Männer mir mit Zufriedenheit die Hand drückten, so dächte ich selbst, Mosje Samiel mache die Sache allein.

Sehr freue ich mich auf deine Relation und was überhaupt passirt. Hoffentlich bekommst du übermorgen diese Zeilen. Daher kannst du den lieben Versammelten noch den frischesten, innigsten Gruß bringen, ihres fernen, dankbaren Freundes.

Gott erhalte dich und die Deinigen.


Ewig dein

Weber.«


Der mit dem Briefe vom 18. December an Lichtenstein gesandte Gruß an die Berliner Freunde, welcher, wenn je etwas von Weber aus dem Herzen geschrieben wurde, von seinen wahrsten Gefühlen erzählt, lautet aber:


»Wenn je der Wunsch zu billigen war, des Fortunatus Wunschhütlein zu besitzen, so konnte er gewiß Niemand weniger verargt werden, als mir Armen, Reichen, – wegen dem Grund seiner Verzweiflung Beneidenswerthen.

Durch eine Reihe von Jahren habt Ihr, theure Versammelte, mir so zahllose Beweise von inniger Theilnahme, liebender Nachsicht und treuer Freundschaftswärme gegeben, habt den wohl oft wunderlichen Kauz so gerne gehätschelt, ermuthigt, erhoben, und ihm die rauhe Bahn zu ebnen gesucht, daß er es wohl für eine seiner schönsten Freuden auf Erden halten dürfte, den Abend, den Ihr seinem Andenken weiht, durch des Wunschhütleins Macht eine Stunde in Eurer Mitte hausen zu dürfen, um in seiner treuen Umarmung Euch fühlen, in seinen Augen lesen lassen zu können, wie über Alles wohlthuend ihm[449] diese Erneuerung so manchen unvergeßlichen Abends ist, der einwirkend auf sein ganzes Seyn war.

Da es nun aber nichts hilft, daß ich singe: ›wenn ich ein Vöglein wär'‹ – oder, ›Samiel hilf‹ rufe, welches ich vollends für gar nichtig halte, so weiß ich doch, daß ich der Fortunatus – wenn auch ohne Wunschhütlein – bin, denn man zeige mir noch einen Weber, der solche billige und ihn liebende Kaufherrn hat, als ich – die mit dem Herzen empfangen, was das Herz gegeben, und die somit auch aus diesen wenigen Zeilen den innigen Dank, und die unwandelbare Treue für Sie herausfühlen werden, die kein Wort und kein Ton wieder zu sagen im Stande sind. Die nur das Leben bewährt, und auch nur mit ihm von mir scheiden werden.

Und nun mein Lebewohl aus der Ferne, indem es mich unwiderstehlich dazu drängt, Euch mit Matthison zuzurufen:


Fühlt Ihr beim seeligen Verlieren

In treuer Freundschaft Zauberland,

Ein lindes, geistiges Berühren,

Wie Zephir's Kuß an Lipp' und Hand,

Und wankt der Kerze flackernd Licht,

Das ist mein Geist, o zweifelt nicht.


Carl Maria von Weber.«


Und so reichte, seine göttliche Abkunft bekundend, der Genius dem Genius, der Geist dem Geiste, auf Toneswellen getragen, unbehindert durch Raum und Zeit, am 28. December 1822 die Bruderhand in der Gemeinde der Kunst hinüber.

Fußnoten

1 (Freischütz.)

D. Verf.


2 Hierdurch bestätigt sich die, von Cläre von Glümer in ihrer geistvollen Lebensbeschreibung der Schröder-Devrient gegebene Nachricht über dieß Benefiz, das von andrer Seite her in Abrede gestellt wurde.

D. Verf.


3 In »Tonkünstlers Leben« III. Band.

D. Verf.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866.
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